Das Leben ist schwarz...schwarzblau von WordlessPoet (Zwei Welten krachen aufeinander) ================================================================================ Kapitel 2: Kapitel 2 Teil 1 und 2 --------------------------------- Kapitel 2 Teil 1 Gott, wie ich diese Arbeit hasse! So was Stumpfsinniges dürfte niemandem zugemutet werden. Bodenwischen. Was tut man nicht alles für ein bisschen Geld. Nicht mehr lange, bald habe ich alles zusammen, dann kann ich diesen Scheißladen endlich verlassen. Aber davor; ein seltenes Grinsen schleicht sich auf meine Lippen; werde ich dem Chef hier mal ordentlich die Meinung geigen. Meine Gedanken Schweifen bei dieser hoffnungslosen Unterbeschäftigung umher und bleiben an einem äußerst unangenehmen Thema hängen: Schule. Ich habe mich schon länger nicht mehr dort blicken lassen, vielleicht sollte ich Morgen wieder hingehen, nicht, dass sie auf die Idee kommen, meinen Vater anzurufen oder jemanden vorbeizuschicken um mir Hausaufgaben zu bringen. Obwohl ich bezweifle, dass jemand dazu bereit wäre. Ich könnte ja beißen. „Entschuldigen sie bitte, ich bin auf der Suche nach…“ Dass die Leute immer meinen, nur weil man in eine scheußlich grüne Uniform gezwängt wurde, wie Personal aussieht und zufällig auch zum Personal gehört, einen auch wie Personal behandeln zu müssen. Ich bin nur eine verdammte Putze, ich habe keine Ahnung, wo der Krempel ist, den sie suchen und ehrlich gesagt ist es nicht mein Problem, wenn sie zu blöd sind ihn selbst zu finden. Wenn ich aber meinen Job behalten will, muss ich lammfromm, immer scheiße freundlich sein und den Kunden ihre Wünsche von den Augen ablesen, obwohl ich sie am liebsten angeschrien hätte. Was es dann doch wieder zu meinem Problem macht. Das heißt, King Kunde bekommt was immer seine Hoheit wünschen. „…den Brühwürf…“, als ich mich genervt umwende stockt nicht nur dieser King. „Elija, was machst du denn hier?“ Denis! Ich wurde auf frischer Tat ertappt. Ein leuchtender Ritter in froschgrüner Rüstung, der den wehrlosen Boden mit einem gefährlich scharfen Wischmopp ersticht. Weglaufen ist zwecklos, der König hat’s gesehen, also kann ich mich genauso gut dem Kampf stellen. Herausfordernd blicke ich Denis direkt im seine azurblauen Augen, in denen es belustigt funkelt. Ich ahne Schlimmes; nur zu gut ist mir sein letzter Lachanfall noch im Gedächtnis. „Wage es ja nicht!“, zische ich durch zusammengebissene Zähne hervor. Er kann ein Glucksen nicht mehr unterdrücken. „Ich muss sagen, dieses Grün steht dir ausgezeichnet, solltest du immer tragen.“ Als er mein Gesicht sieht, wird er sofort wieder ernst. Für ihn mag das vielleicht lustig sein aber für mich wird es langsam bitterer Ernst. In den ersten Wochen, in denen ich hier gearbeitet habe, hatte ich jeden Moment Angst, einer meiner Klassenkameraden oder ein Lehrer würde mich hier sehen. Dieser ausgeprägte Verfolgungswahn hat sich erst wieder gelegt, als nach einem Monat immer noch niemand vorbeigekommen war. Niemand, der mich in dieser lächerlichen Kluft gesehen hat, Niemand, der es in der Schule rumerzählen würde, vor allem keine Möglichkeit, dass mein Vater davon erfahren könnte. Alles war „perfekt“. Dann kommt dieser grinsende Idiot und macht alles kaputt. Wenn er in der Schule erzählt, dass ich arbeite, während ich doch eigentlich krank zu Haus liege, kann ich mich auf noch mehr Ärger gefasst machen. Nicht zu sprechen von den Hänseleien, die ich dann über mich ergehen lassen müsste. Bis jetzt war ich einfach der missachtete Außenseiter, dem sich niemand auch nur auf zehn Meter Entfernung nähert und das war mir gerade Recht. Das kann sich jedoch schnell ändern, ehe du dich versiehst, bist du schon von allen gemobbt und nicht nur gemieden. Dazu hab ich nun echt keinen Bock, das darf ich unter keinen Umständen zulassen. „Tut mir Leid“, murmelt er zerknirscht. „Aber du musst doch zugeben, dieses Grün fordert einen geradezu auf sich darüber lustig zu machen. Ich frag’ mich ernsthaft, wer dermaßen an Geschmacksverirrung leidet.“ „Also ich bin’s bestimmt nicht. Wenn ich hier das Sagen hätte, wäre das Farbspektrum deutlich beschränkter.“ Er schaut mich an als hätte ich ihm gerade einen rosa (oder besser grünen) Elefanten vorgeführt. „Was! Man wird doch wohl mal was sagen dürfen.“ „Man schon, aber von dir hätte ich das nicht erwartet. Das waren jetzt tatsächlich mehr als…“, er zahlt es an den Fingern ab, „…drei Worte. Ein absoluter Rekord, die Biostunde von neulich mal ausgenommen. Herzlichen Glückwunsch!“, herausfordernd grinst er mich an. Dieser Typ ist ja richtig ironisch, hätte ich nicht gedacht, und hartnäckig noch dazu, dafür muss ich ihm widerwillig Respekt zollen. In den letzten Wochen habe ich alles getan um dieses Lächeln von seinem Gesicht zu wischen. Hab ihn nur angezischt, wenn er nett war, hab ihn ignoriert und bin auf keinen seiner Versuche eingegangen. Trotzdem steht er hier und lächelt, lächelt mich in seiner unnachahmlich naiven Art an. Vielleicht ist er einfach nur unsagbar dämlich, jeder normale Mensch hätte schon längst aufgegeben, hätte es gemacht wie all die Anderen in der Schule und mich einfach wie einen Aussätzigen behandelt. Sein haselnussbraunes, kurzes Haar steht wie wild in alle Himmelsrichtungen ab, er trägt lockere Jeans und einen grau gestreiften Pullover: Normal durch und durch. Und doch blitzt mir aus seinen blauen Augen nichts als der Schalk entgegen. Keine Verachtung, keine Abscheu, nichts darin verrät, dass er mich anders behandelt, als er seine Freunde behandeln würde. Wer ist der Kerl, ein Alien im Menschenkostüm? Wie er da steht mit seinen kleinen Grübchen, die entstehen, wenn er lacht. Was zum…Warum zum Teufel weiß ich so was? Er ist mir doch eigentlich total egal, sogar mehr als das, also warum? Warum fällt mir so was dann auf? Wahrscheinlich habe ich sein Lächeln schon zu oft gesehen, das passiert mir selten. Ich weiß nicht ob ich ihm dafür dankbar sein oder ihn dafür hassen soll, dass er es immer noch versucht. „Apropos Biostunde…“, ich schrecke aus meinen Gedanken. Ich hab ihn doch nicht etwa angestarrt!? Offensichtlich hat er nichts bemerkt, denn er redet munter weiter, „…ich wette du hast dir eine saftige Strafe eingefangen. Was musst du denn machen?“ Irgendwie habe ich das dämliche Gefühl ich schulde ihm eine Antwort, wofür will mir allerdings nicht in den Sinn kommen. „Na ja, ich muss für eine Woche das Jungenklo putzen. Wie du siehst“, ich schwenke den Wischmopp, „bin ich noch in Übung, also wird das kein allzu großes Problem.“ „Bist du noch ganz bei Trost? Hast du dich da drinnen mal umgesehen. Ich bin Heil froh, dass ich die Sauerei nicht wegmachen muss und du glaubst, dass das kein Problem ist?! So schlimm war das Ganze nun auch wieder nicht, dass du so eine Strafe verdient hättest. Du hast mein vollstes Mitgefühl.“ Meine sorgfältig aufgebaute Mauer aus falschem Optimismus stürzt sang- und klanglos in sich zusammen. Besonders stabil kann sie ja nicht gewesen sein, wenn dieser von Denis geworfene Kieselstein sie zum Einsturz bringt. Ich bin schon echt erbärmlich, jeder Depp kann anständige Mauern bauen. Natürlich wird es ein Problem werden. Es ist widerlich, es ist entwürdigend und demütigend. Wenn die anderen Schulmonster das mitkriegen, sieht mein Leben noch beschissener aus, als es eh schon ist. Missmutig fange ich wieder an meinen Mopp zu schwingen; hätte ich bloß nichts gesagt. „Auf dein Mitleid kann ich verzichten, das hilft mir nicht weiter.“ Wenn er doch nur verschwinden würde. Ich kann ihn langsam nicht mehr ertragen. Seine Art ist so was von entwaffnend, dass ich mir völlig wehrlos vorkomme, ein Gefühl, das ich hasse, das ich nie wieder erfahren möchte, das mich dazu bewegt mich von ihm abzuwenden, nur um seiner erdrückenden Präsenz zu entkommen. Er ist zu viel. „Du hast doch nach den Brühwürfeln gefragt. Die sind da hinten, den Gang entlang, dann rechts; das unterste Regal links.“ Er soll ruhig merken, dass er zu weit gegangen ist, soll ruhig merken, dass er nicht erwünscht ist. An seinem Blick kann ich sehen, dass die Botschaft durchaus angekommen ist. Na also, wir verstehen uns. Nichts wie weg hier. „Machst du das eigentlich immer so?“, er klingt sauer. „Stößt alle Leute vor den Kopf, die nett zu dir sein wollen, als ob du vor nichts mehr Angst hättest, als dass dir Menschen auf irgendeine Weise zu nahe kommen könnten? Glaubst du wirklich, dass die Menschen so schlecht sind?“ Ich bleibe Stehen. „Das geht dich nichts an. Du hast ja keine Ahnung!“ Ich habe diese „Menschen“ gesehen und hinter ihrer scheinheiligen Fassade sind sie hässlich. Verzerrte Fratzen, gierig und verdorben. Abstoßend, so wie ich. Das Holz des Besenstiels drückt sich in meine Handflächen, so fest schließen sich meine Hände darum. Ein Zittern durchläuft meinen Körper während meine Kiefer sich so fest aufeinander pressen, dass es wehtut. Seine Worte gingen tiefer als er gedacht hätte; haben mich dort verletzt, wo ich am verwundbarsten bin und die scheußliche, eitrige Wunde dort weiter aufgerissen. In einem Versuch die Situation zu entspannen meint er: „Tut mir Leid, ich hätte das nicht sagen dürfen. Ich…“ „Da hast du Recht und jetzt verschwinde!“ Ich kann meine Wut kaum noch beherrschen, sie durchströmt meinen immer stärker bebenden Körper bis in die letzte Vene. „Aber ich h…“ Wenn er jetzt noch eine Sekunde länger bleibt, passiert ein Unglück. „Verdammt noch mal verschwinde endlich!“ Entsetzt bemerke ich wie eine Träne meine Wange herunterrollt, als ich meinen Kopf herumreiße und die letzten Worte in den Raum schreie. Es regnet. Zumindest wäre das eine Möglichkeit für dieses widerliche Nass in meinem Gesicht. Ich hab schon lange nicht mehr geheult, wenn jemand dabei war. Einfach erbärmlich. Beschämt wende ich mich ab, nur zu deutlich hat sich sein schockiertes Gesicht in mein Gedächtnis gebrannt, wie ein glühendes Brandsiegel; schmerzhaft und lange sichtbar. Alles in mir schreit danach so schnell wie möglich zu verschwinden, mich in eine dunkle Ecke zu verkriechen, mich langsam in den Schlaf zu weinen und dann hoffentlich nie wieder aufzuwachen. Aber es gibt noch ein Letztes, was ich unbedingt klären muss, was mich daran hindert sofort die Flucht zu ergreifen, was lebensnotwendig ist, da ich bedauerlicherweise auch Morgen wieder aufwachen werde. Ich wische mir die Tränen aus dem Gesicht und versuche meine Stimme wieder unter Kontrolle zu bekommen; ich will auf keinen Fall, dass sie weinerlich klingt, wäre ja noch schöner! „D…Du wirst es doch keinem Erzählen, oder?“ Ich verfluche mich innerlich für den flehenden Unterton. Elija, was bist du doch für ein Weichei. In seinen Augen wirbeln im Moment hunderte von Gefühlen durcheinander und allmählich kristallisiert sich eines ganz deutlich heraus. Oh bitte, lass es kein Mitleid sein, was da in deinen Augen schimmert! Ich will kein Mitleid von dir, nur eine einfache Antwort, mehr brauche ich nicht! Er löst sich aus seiner Starre und räuspert sich: „Meine Lippen sind versiegelt!“ Ich habe das Gefühl, eine zentnerschwere Last fällt von meinen Schultern ab. „Danke“, flüstere ich ihm in Gedanken zu. Auszusprechen wage ich es nicht, kann es nicht. Ein „Danke“ verbindet zwei Menschen und das darf ich nicht mehr zulassen. Niemals. Kapitel 2 Teil 2 Verwirrt bleibe ich allein im Gang des Supermarktes zurück. Das hatte ich nicht erwartet. Immer wieder sehe ich sein tränennasses Gesicht. Aber noch mehr spuken mir seine Worte im Kopf herum: „D…Du wirst es doch keinem Erzählen, oder?“ Er sah so verdammt einsam, verlassen und hilflos aus. Die unerwartet starke Welle des Mitleids, die mich daraufhin überkam, schwappt noch immer in meinem Inneren und will einfach nicht zur Ruhe kommen. Vom Gedanken an sein gequältes Gesicht, als er sich meines Mitleides bewusst wurde, immer wieder aufgewiegelt, peitscht sie durch meine Gedankenwelt und bringt alles durcheinander. Sein angespannter Gesichtsausdruck hat mir viel verraten, hat mir mehr verraten, als er je über sich preisgeben wollte. Ich muss seit fünf Minuten unbewegt mitten um Gang stehen, denn einige Leute schauen mich schon komisch an. Langsam mache ich mich auf den Weg in Richtung Kasse, nur um dann festzustellen, dass ich noch immer keine Brühwürfel habe. Den Weg den Elija mir beschrieben hat, habe ich vergessen, darum beschließe ich, dass meine Mutter eben ohne sie auskommen muss. Wie vernagelt starre ich auf das Blatt, auf dem bis jetzt Nichts steht als die Überschrift und selbst die dringt nicht bis in mein Hirn. Mist! So kann das nicht weiter gehen, ich kann mich einfach nicht konzentrieren. Wütend wird das Papier mit samt den Stiften von Schreibtisch gewischt. Der Vorfall von heute Nachmittag geht mir nicht mehr aus dem Kopf, wie ein lästiger Ohrwurm. Seufzend hebe ich alles wieder auf, lasse mich dann auf mein Bett fallen und starre an die weiße Decke. Bis jetzt hatte ich eigentlich nur aus purer Neugier immer wieder versucht mehr aus Elija herauszuquetschen. Ich bemerke immer öfter, dass ich erschreckend viel vom Unterricht mitkriege, seit er neben mir sitzt. Das kann doch nicht gesund sein; ich brauche dringend jemanden, der mich ein bisschen von dem ermüdend lehrreichen Gelaber ablenkt und ihn kann ich da leider vergessen. Ein weiterer Grund ihn zum Reden zu bringen. Aus ihm einen gesprächigen Menschen zu machen, würde wahrscheinlich mehrere Jahrhunderte dauern, die ich leider nicht habe, oder in meinem vorzeitigen und höchstwahrscheinlich gewaltsamen Tod enden, also habe ich das längst aufgegeben. Irgendwas an ihm lässt mich aber immer noch nicht los, sonst wäre ich ja kaum so hartnäckig, selbst, wenn das bei ihm keine Wirkung hat. Diese ungewollte Faszination hat sich in etwas verändert, was ich nur mit Sorge beschreiben kann. Seit ich ihn derart aufgelöst erlebt habe, kommt er mir ganz anders vor. Immer wenn ich daran denke schnürt sich mir die Brust zu. Ich kann mir nicht vorstellen was er erlebt hat, aber es muss schlimm gewesen sein, dass er so ausflippt. Er wirkt auf mich immer so stark und unnahbar, so als würde ihn nichts interessieren und ihm nichts wirklich nahe gehen. Heute ist seine Maske kurz gefallen und in ihm brodeln Gefühle, von denen ich keine Ahnung habe, von denen Niemand in seinem Alter Ahnung haben sollte, mit einer Intensität, die ich ihm gar nicht zugetraut hätte, die mir sogar ein bisschen Angst macht. Ich mache mir ernsthafte Sorgen. Sorgen um einen Menschen, von dem ich absolut nichts weiß, dem ich wahrscheinlich egal bin, der mich nicht leiden kann und der auch mir egal sein könnte. Sein sollte. Aber aus einem unerfindlichen Grund ist er es nicht und das irritiert mich gewaltig. Ich bin halt, wie Sebastian schon sagte, ein sozialer Mensch. Beruhigt ist mein Gewissen, das mich vor der Einmischung in fremde Angelegenheiten warnt, aber nicht wirklich … „Drrrrrrrrrrrrrrrrrring, drrrrrrrrrrrrrrrring!“ Ein unangenehmes und durchdringendes Geräusch, das nur von meinem Wecker stammen kann, reißt mich aus dem Schlaf. Schlaf? Ich muss wohl gestern Abend beim Grübeln eingenickt sein, denn es ist kurz vor Sieben morgens: Zeit in die Schule zu gehen. Hastig suche ich meine Sachen zusammen und stürze aus dem Haus um meinen Bus noch zu erwischen. Als ich das Klassenzimmer betrete, stelle ich verwundert fest, dass der rechte Platz neben mir besetzt ist und das, wie könnte es anders sein, von einem schwarzen Etwas, wie immer schlafend. Ich sacke hinunter auf meinen Platz, was ihn zum Aufschrecken bringt. „Morgen!“, flöte ich ihm entgegen. Ich habe beschlossen erst mal nicht auf gestern einzugehen und meinem Ich-zermürbe-Elija-so-lange-bis-er-genug-redet-um-mich-vom-Unterricht-abzulenken-Plan treu zu bleiben. Er hebt eine Augenbraue und mustert mich skeptisch durch seinen Wasserfall aus schwarzen Haaren hindurch. „Morgn...“ Das habe ich nicht erwartet. Sebastian, den vor mir sitzt, dreht sich verwundert um und wirft mir einen fragenden Blick zu. Ich kann nur mit den Schultern zucken, mir ist nicht ganz klar, was das jetzt zu bedeuten hat, wo ich doch vermutet hatte, dass er mich noch mehr ignoriert als vorher. Aber es stimmt mich fröhlich. Vielleicht taut er ja noch etwas auf. (Schritt 1: Morgendliches grüßen: geschafft!) Vor Ende der Stunde fordert die Lehrerin Elija auf kurz da zu bleiben, da sie ihm noch etwas mitzuteilen hat. Langsam und bedächtig räume ich meine Schulsachen zusammen und bald sind nur noch er, ich und die Lehrerin übrig. Man will ja schließlich auf dem Laufenden bleiben. „Elija wie sie bereits wissen, werden sie zur Strafe das Jungenklo putzen, kommen sie also bitte nach der letzten Stunde zum Hausmeister, der kann ihnen die Putzutensilien geben. Ich hoffe sie haben aus dieser Sache gelernt. Sie können jetzt gehen…“ Unauffällig versuche ich aus dem Raum zu kommen; beim offensichtlichen Lauschen erwischt zu werden, wäre dann doch peinlich; und habe ihn gerade verlassen, als hinter mir noch einmal eine Stimme ertönt: „Ach ja, das hätte ich beinahe vergessen. Die Schulleitung hat heute Morgen ihren Vater von der Sache unterrichtet. Er schien nicht besonders begeistert zu sein und als ich ihre Krankheit erwähnte, meinte er, dass er nichts davon wüsste. Ich möchte ihnen nicht unterstellen, dass sie geschwänzt haben, deshalb bringen sie mir doch bitte ein Attest, sonst muss ich ihnen, so Leid es mir tut noch einen Eintrag geben und das in ihrem Zeugnis vermerken.“ Ich habe es für unmöglich gehalten, dass Elija noch blasser werden kann. Ich habe mich geirrt. Das was jetzt an mir vorbei aus der Tür herausstürmt, würde selbst einen Schneemann neidisch machen. In der Hoffnung unentdeckt zu bleiben, folge ich ihm durch die halbe Schule aufs Jungenklo. Meine neu entwickelte Sorge treibt mich voran und lässt meinen Vorsatz, sich nicht in fremde Angelegenheiten einzumischen, schmelzen wie Eis in der Saharasonne. Es hat bereits geklingelt, sodass das Klo wie ausgestorben ist. Ich sehe gerade noch, wie er schnell in eine leere Kabine hechtet und sie hinter sich verschließt. Schon wieder benimmt er sich so seltsam. Wie ich da so allein mitten im Raum stehe, dringt ein Würgen an meine Ohren, gefolgt von einem Ekel erregenden Platschen. Ich kann nicht glauben, dass er sich übergeben hat. Ich sehe, wie er sich langsam auf den Boden der Kabine setzt. Sein tiefes und schnelles Atmen hallt von den Wänden wider; ich wage nicht auch nur das leiseste Geräusch zu machen. Plötzlich kracht es, gefolgt von einer Folge von Flüchen, die selbst mir rote Ohren bescheren. Wieder schlägt seine Faust gegen die Tür, immer wieder, bis er schließlich aufhört und sich langsam erhebt. Panisch sehe ich mich nach einem Versteck um, finde, wie sollte es auch anders sein, keines, sodass er mir beim Türöffnen direkt gegenüber steht. Wie würde ich mich wohl fühlen, wenn jemand mich dabei beobachtet hätte, wie ich mich erst übergeben und dann einen nicht zu verachtenden Wutanfall gekriegt habe. Grauenvoll; und schon zum x-ten Mal tut mir mein unbedachtes Handeln ungeheuer Leid. Dass ich meine Nase auch überall reinstecken muss! Ich mache mich auf eine wütende Reaktion gefasst. Diese bleibt jedoch aus. Wie ferngesteuert geht er auf das Waschbecken zu, um sich das Blut abzuwaschen, das langsam von seinen Knöcheln rinnt und sich kaltes Wasser ins Gesicht zu spritzten. Noch immer keine Reaktion auf meine Anwesenheit. Ich bin mir sicher, dass er mich sehr wohl bemerkt hat. Kurz vor der Tür dreht er sich um, sieht mich mit undeutbarem Blick an und geht. Wortlos. Ich bleibe zurück. Wieder einmal sprachlos, seltsam traurig und verwirrter als je zuvor. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)