Bittersweet Lullaby von -Yue ================================================================================ Kapitel 3: ----------- Zitternde Schatten tanzten über das Gesicht der Gestalt, verzerrten es zu einer unwirklichen Grimasse. „Was zum Henker?“ Aoi schnappte hörbar nach Luft, als der Mann langsam begann, Stufe für Stufe zu ihnen hinab zu steigen. In seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken und die Gewissheit, dass sie nicht flüchten konnten brachte ihn endlich auf eine Idee. Das Gedankenkarussell stoppte und er räusperte sich. Wenn sie hier nicht weg konnten, mussten sie diesen Mann eben vertreiben. Wenigstens für den Moment. „Kommen Sie nicht näher! Er hat Scabies!“ Mit dem Finger deutete er dabei auf Uruha und versuchte die Behauptung besonders grauenvoll klingen zu lassen, indem er eine Oktave tiefer sprach. Verunsichert blieb die Gestalt in der Mitte der Treppe stehen. Aoi blickte ihn erwartungsvoll an. Eigentlich hatte er gehofft er würde auf dem Fuße kehrt machen. „Was soll das sein?“ Der Donner ließ die dunkle Stimme in dem Raum vibrieren, sodass Aoi ein Schauer über den Rücken lief. Doch neue Hoffnung keimte in ihm auf und er verzog den Mund zu einem bitteren Grinsen. Todesmutig wagte er sich einen Schritt auf die Treppe zu. „Die Krätze!“, tönte er im Brustton der Überzeugung. Und tatsächlich trat der sichtlich angeekelte Mann einen Schritt zurück, ehe er zwei Stufen auf einmal nehmend aus dem Blickfeld der Männer verschwand. Und endlich sprang auch die Deckenbeleuchtung wieder an. Stolz wie Oskar wandte Aoi sich den anderen zu und musste feststellen, dass nicht nur der Unbekannte zurückgewichen war. Auch die anderen Bandmitglieder hatten sich einige Schritte von ihrem Gitarristen entfernt und starrten teils mit offenen Mündern auf den wütenden Japaner. Dessen Gesicht war rot vor Zorn und grimmig fixierte er Aoi mit seinem Blick. Dieser schluckte trocken. Jetzt konnte er es den anderen nicht mehr verdenken, dass sie auf Abstand gingen. „Uruha, hör mal…“, beschwichtigend hob er die Hände. Von seinem Siegesreichtum war wenig übrig geblieben. „Was fällt dir eigentlich ein!?“, donnerte der Gitarrist und ging sicheren Schrittes auf den Schwarzhaarigen zu. „Nicht!“, brüllte Ruki und alle Köpfe schnellten zu ihm herum. „Du steckst ihn an!“ Uruhas verblüffter Ausdruck ließ Reita in schallendes Gelächter ausbrechen. Kai rieb sich leicht grinsend den Nacken, als er Ruki erklärte, dass Aoi geflunkert hatte um den Fremden in die Flucht zu schlagen. „Ach so“, murmelte Ruki errötend, „Es hatte so überzeugend geklungen.“ „Danke“, grinste Aoi und war froh darüber, dass sich Uruhas Wut mehr oder weniger in Rauch aufgelöst hatte. „Und was machen wir jetzt?“, murrte Uruha und blickte trotzig von Reita zu Kai, die jedoch beide so ratlos aussahen wie er selbst es war. „Wir sollten auf dem schnellsten Wege einen Ausgang finden“, meinte Ruki mit ernster Miene. Sein Blick blieb an Reita hängen. „Oder wir opfern ihn.“ „Was?“ Reita zog die Stirn kraus. Entweder hatte Ruki gerade einen makaberen Witz gerissen oder er meinte es wirklich ernst. Fast tippte Reita auf letzteres, denn niemand lachte. „Das letzte Mal mag er dir vielleicht nur die Nase abgebissen haben, mein Freund, doch jetzt wird er sich nicht mehr nur mit einem Finger oder einem Zeh zufrieden geben.“ „Von was sprichst du?!“ „Hannibal Lektor.“ Rukis eisiger Tonfall mischte sich mit dem leisen Grollen des Donners. „Hannibal Lektor ist tot!“ „Ist er nicht!“, beharrte Ruki eisern. „Ist er wohl!“ „Lass mir meinen Glauben du gefühlskalter Bock!“, grunzte der Sänger vorwurfsvoll. Reita verschränkte die Arme vor der Brust. „Er hat mir nicht die Nase abgebissen.“ „Hat er wohl!“ „Hat er nicht!“ „Eine Tasse Tee?“, durchbrach Kais sanfte Stimme das eskalierende Streitgespräch und fast augenblicklich kehrte Ruhe ein. Nicht einmal Uruha oder Aoi hatten bemerkt wie der Schlagzeuger sich in der Küche ans Werkeln gemacht hatte. Reita wusste nicht was unheimlicher war, Kai oder der Fremde. Schnaubend ließ Ruki sich auf den abgesessenen Polstern nieder. Kai füllte die Tassen und der aufsteigende Duft rief eine unwirklich heimische Atmosphäre hervor. Ruki drehte die Tasse einige Male in seinen Händen um sie daran zu wärmen. Mit trotziger Miene blickte er schließlich zu Kai, der neben ihm Platz genommen hatte. „Er hat ihm aber die Nase abgebissen“, sagte er eine Spur leiser als zuvor, da Kai den Zeigefinger an seine Lippen hielt. „Du solltest aufhören ihn deswegen zu diskriminieren, Ruki“, meinte er lächelnd, „Vielleicht überarbeitet Lektor-san die Geschichte und Reita darf seine Weichteile behalten.“ Zweifelnd hob Ruki eine Augenbraue und linste zu ihrem Bassisten, der sich mittlerweile auch an einer Tasse grünem Tee gütlich tat. Reita war bewusst gewesen, dass seitens Ruki kein vernünftiger Vorschlag hätte kommen können, aber der war nun mal wirklich unterste Schublade. „So schlecht finde ich Rukis Idee gar nicht“, meinte Uruha plötzlich, der sich die Gelegenheit, Reita in irgendeiner Art und Weise eins auswischen zu können, nicht entgehen lassen wollte. Fast verschluckte sich der Bassist an seinem Tee. „Die Sache hat einen Haken, Uruha! Mir hat niemand die Nase abgebissen!“ „Dann beweis es“, lächelte Uruha gewinnend, „Beweis uns, dass du eine Nase hast.“ Reita stockte der Atem vor Wut. Er würde dem Gitarristen sicher nicht den Gefallen tun und seine Nase vor ihm enthüllen! „Könnt ihr euch nicht mal wie echte Männer benehmen, statt solche Kindereien aufzuziehen?“, schnaubte Reita verärgert. „Echt Männer würden sich für ihre Freunde opfern.“ Triumphieren grinste der feminine Gitarrist ihn auf diese Worte hin an und klatschte in die Hände. Reita kam diese Geste vor, als wäre alles längst beschlossene Sache. Unsicher blickte er sich nach den anderen um, deren Blicke nur schweigend auf ihm ruhten. „Das kann doch nicht euer Ernst sein!“ Alles sah danach aus, als hätten sich die anderen stumm darauf geeinigt, dass er wohl zu entbehren wäre. Und so fand er sich Sekunden später vor der Speichertüre im ersten Obergeschoss wider. „Nun geh schon.“ Uruha stieß ihm auffordernd den Ellenbogen in die Rippen. Der Bassist gab ein leises Knurren von sich, nahm jedoch den langen Holzstab mit dem metallenen Haken am Stielende und führte diesen zielsicher an die Vorrichtung der hölzernen Türe. Es klickte leise als sich die beiden Eisenelemente berührten. Knarrend löste sich das Holz aus seiner Verankerung als Reita kräftig an dem Hilfsmittel zog. Gleichzeitig klappte eine Art Treppe nach unten, die eigentlich mehr an eine provisorische Leiter erinnerte. Es schien als hielten die fünf Musiker die Luft an um kein zusätzliches Geräusch zu verursachen. Das Knarren und Poltern war definitiv zu laut. Dass es ihre Atemgeräusche ohne Probleme schlucken würde, daran dachte in diesem Moment niemand. „Viel Glück“, hauchte Aoi als sich die Geräuschkulisse gelegt hatte. Brummend hob Reita eine Augenbraue, blickte seine Kameraden nur viel sagend an. Dann wandte er sich um und erklomm die ersten Sprossen. Einzig und allein der Wut in seinem Bauch verdankte er seine sicheren Schritte. Vorsichtig lugte er über den Eingangsrand. Eine einsame Glühbirne erhellte flimmernd den Speicher. Das Licht reichte jedoch nicht aus um sich einen guten Überblick zu verschaffen und so wagte Reita den letzten Schritt und hievte sich nach oben. Kaum hatte er knarrenden Boden unter den Füßen, krachte die Speichertüre wuchtig in ihre Verankerung zurück. Erschrocken fuhr er herum. „Habt ihr sie noch alle?!“, tobte er als ihm klar wurde, dass seine so genannten Freunde ihm soeben seine einzige Fluchtmöglichkeit versperrt hatten, „Ihr miesen, undankbaren…“ Die letzten Worte blieben ihm im Halse stecken, als er heißen Atem in seinem Nacken spürte. Er rümpfte die Nase. Weingummi?! „Hast du meinen Hut dabei?“, fragte eine Stimme neugierig. Reita war sich nicht sicher, ob er es wagen konnte sich umzudrehen. „D-deinen Hut?“ „Ja“, brummte die Stimme weniger erfreut, „Der Idiot hat ihn vorhin fallen lassen, als dein Freund was von einer ansteckenden Krankheit sagte.“ Reita wurde siedend heiß. Es gab also mehr als nur einen Verrückten auf diesem Speicher! „Ich… ich hab deinen Hut nicht“, gestand der Bassist kleinlaut und fuhr bei dem nächsten rumpelnden Geräusch zusammen. „Das ist schlecht“, maulte die Stimme in seinem Nacken, „Das war eine Sonderanfertigung. Ich hänge daran.“ „Was war das?“, hauchte Reita, die Jammerlaute des anderen ignorierend. Ein rauschendes Geräusch durchschallte den kleinen Raum und da wusste Reita bescheid. Es fiel ihm wie Schuppen von den Augen als das Flimmern in dem düsteren Raum zunahm und er den Fernseher in einer der Ecken wahrnahm. Es mussten Poltergeister sein! „Macht auf!! Lasst mich raus!“, brüllte er aus Leibeskräften. Er hatte Zuhause zwar einen Staubsauger, der aussah wie das Werkzeug der Ghostbusters, doch was nutzte dieser ihm da wo er lag!? Ihm blieb nichts anderes übrig als seine Freunde dazu zu bewegen die verdammte Tür zu öffnen, bevor er in Raum und Zeit verschwand. Während Reitas Gebrüll durch die Holzritzen dröhnte, versuchte Ruki panisch den Stock in der Halterung zu verankern. „Wieso hast du auch die Türe zuschnappen lassen?!“, fuhr er Uruha an, der unbekümmert mit den Schultern zuckte. „Ich dachte, das erhöht die Spannung. Lass mich mal“, murrte er, da Rukis Größe bei der Aktion nicht gerade von Vorteil war. In Nullkommanichts hatte er den Haken an der richtigen Stelle platziert. Triumphierend grinste er und riss mit einer kräftigen Bewegung… den Haken aus dem Holz. Ruki blieb der Mund offen stehen. „Wie sollen wir ihn jetzt da raus holen?!“, keifte er überfordert und gestikulierte wild mit den Armen, als die Speichertüre nach unten kippte. Sprachlos starrte Reita auf die Gestalten im Halbdunklen und schließlich auf die offene Türe. „Und so was will ein Mann sein.“ Die zweite Person in diesem Raum klopfte sich die staubigen Hände an der Hose ab und grinste den Blonden spöttisch an. In diesem Moment wünschte Reita sich nichts sehnlicher als einen Poltergeist, um in eine andere Dimension zu entschwinden. Dort stand er, sein ganz persönlicher Alptraum. Und er war ihm in diesem Haus in der Einöde hilflos ausgeliefert. „Reita! Reita, ist alles okay?!“, hörte er Rukis Stimme von unten zu ihm aufhallen, doch er schenkte ihr keine Beachtung. „Was zum Henker tut ihr hier?!“ „Da unten gab es keinen Fernseher, deswegen haben wir versucht diesen hier zum laufen zu bringen“, erklärte Hizumi sachlich und klopfte dem alten Kasten auf die Haube. Ein kurzes Piepen ertönte und ein Gewirr aus Stimmen und Bildern brachte buntes Leben in den kleinen Raum. „Hizumi, deine Hände sind göttlich“, applaudierte Karyu als der Fernseher, den sie schon seit Stunden versuchten zum Laufen zu bringen, tatsächlich funktionierte. „Ich weiß“, grinste der schwarzhaarige Sänger, „Mit etwas Fingerspitzengefühl geht alles, nicht wahr Reita.“ Reitas Augen wurden so groß wie Teller, als Hizumis Grinsen immer dreckiger zu werden schien und sich zwei weitere D’espairs Ray Mitglieder nur viel sagende Blicke zuwarfen. „Ich finde es wirklich süß, dass du an Geister glaubst“, stichelte Hizumi weiter und brachte Reita damit beinahe zur Weißglut. „Du bist wirklich das…raah!“, erschrocken stolperte der Bassist einige Schritte zur Seite. Aois Kopf war in der Türöffnung aufgetaucht. „Sachte, sachte!“ Hizumi brach in schallendes Gelächter aus, in welches die anderen nur Sekunden später einstimmten. „Seid Still!“, versuchte Reita die Bagage zum Schweigen zu bringen, „Ich verstehe immer noch nicht was ihr hier zu suchen habt?!“ „Wieso? Ist das euer Haus?“, fragte Zero, die Augenbraue hebend. „Nein…“, murrte Reita. „Nun, Karyu hat den Wagen im Morast festgefahren und als Tsukasa einen Schatten gesehen hatte, hielten wir es für besser uns einen Unterschlupf zu suchen, statt die Nacht im Auto zu verbringen.“ „Was ihr auch?“, hauchte Aoi ungläubig, der Zeros kurze Erklärung mit angehört hatte. „Was heißt hier, wir auch?“ „Und ist haargenau das Selbe passiert.“ Aoi schluckte trocken. Die Stimmung kippte von einem Extrem in das andere. In den Kehlen der Musiker hatte sich ein unangenehmer Kloß gesetzt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)