Der Fremde
Hui, danke für die Kommis.^^ Ian ist übrigens ein Mensch. :D Ein stinknormaler Futzimensch... und na ja... Alans Reaktion... die lässt sich vielleicht ja auch so erklären. ;)
Carlisle und Alan sahen mich entsetzt an, scheinbar hatte ich mitbekommen, was ich nicht hätte mitbekommen sollen. „Und was ist La Tua Cantante?“, fragte ich weiter. „Cassie… das… was machst du überhaupt hier?“ Alan klang zornig. „Ich habe mein Zimmer gesucht“, antwortete ich knapp. „Den Gang runter rechts“, erklärte Alan scharf und Carlisle warf ihm einen enttäuschten Blick zu. „Komm, ich zeige es dir noch einmal“, sagt er freundlich und führt mich freundlich aber bestimmt aus seinem Arbeitszimmer.
„Ich wollte nicht lauschen“, sage ich leise, als wir vor meiner Zimmertür waren, die ich sogar auf Anhieb erkannte. „Das glaube ich dir. Du musst Alan verzeihen. Er ist ein wenig angespannt momentan.“ „Wer ist dieser Michael?“, fragte ich noch einmal und Carlisle sah aus einen Moment aus dem Fenster, als überlege er, ob ich es wissen sollte. „Michael ist der Vampir, der dich damals rettete. Alan hat vor einem halben Jahr wieder mit ihm Kontakt aufgenommen. Er wird bald hier ankommen.“
Bella strich mir beruhigend durchs Haar und über den Rücken und Alice hielt meine Hand, als wir auf dem Boden in meinem Zimmer saßen und die Tränen hemmungslos liefen. Ich konnte mich nicht mehr beruhigen und schluchzte schon seit einer halben Stunde. Die beiden waren rettungslos überfordert.
„Was ist denn los?“, fragte Bella sanft und klang nicht ungeduldig, obwohl sie schon häufiger gefragt hatte. „N… nichts“, japste ich nach Luft und wischte mit meiner freien Hand die Tränen fort. „Ich hab… nur vorhin… daran… daran gedacht, dass… meine Mutter wahrscheinlich schon… beerdigt wurde“, schluchzte ich und wieder übernahmen mich die Tränen. Ich hatte schreckliche Gewissensbisse, weil ich sie alle einfach allein gelassen hatte. Sam, Jake, Embry, Quil und all die anderen. Und weil ich Mum nicht beerdigen konnte. Ich hatte mich am Morgen so schlecht gefühlt, dass ich nicht zur Schule konnte. Esme hatte mich entschuldigt, obwohl sie wusste, dass ich nicht krank war. Sie meinte, Carlisle würde mir schon ein Attest ausstellen. Und das am zweiten Tag…
Als Alice dann nach der Schule nach mir hatte sehen wollen, hatte ich bereits auf dem Boden gekauert.
„I… ich brauch… f… fr… frische Luft“, stammelte ich und stand wackelig auf. „Sollen wir mitkommen?“, boten Alice und Bella sofort an, doch ich schüttelte den Kopf. „Ich… k… komm schon zu Recht…“ Alice stand auf und hielt mich zurück. „Pass auf dich auf, ich kann nicht sehen, ob dir etwas passiert“, drängte sie und ich nickte zitternd. „O…okay.“
Ich lief aus dem Zimmer und fand auf Anhieb die Haustür. Mein Orientierungssinn war mies. Sehr mies.
Ich nahm meine Jacke von der Garderobe, schlüpfte in meine Stiefel und trat hinaus in die beißende Kälte. Wir hatten den zwanzigsten Februar. Bald würde meteorologischer Frühlingsbeginn sein, aber davon spürte man hier noch nichts. Der Schnee flog mir ins Gesicht, verfing sich in meinen Wimpern und schmolz auf meiner Haut. Ich verbarg mein Gesicht halb in der Jacke und steckte die Hände in die Hosentaschen. Die Tränen gefroren auf meinen Wangen, aber das war mir egal. Blind ging ich Richtung Stadt und versuchte, meine Gefühle zu beruhigen.
Ich merkte nicht, dass ich einfach so über eine Straße ging, sah jedoch auf – von einer unsichtbaren Kraft getrieben – und entdeckte das Auto. Es kam immer näher und ich sah noch einmal alles an mir vorbeirasen. Mein ganzes Leben. Alle geliebten Gesichter. Meine Wölfe. Die Vampire. Die vage Erinnerung an meine Eltern. Ich stieß einen spitzen Schrei aus und riss die Arme hoch, um wenigsten meinen Kopf zu schützen. Das alles dauerte nur Bruchteile von Sekunden, doch plötzlich hörte ich Reifen quietschen und das Auto prallte mit einem lauten Knall in die Schaufensterscheibe eines Geschäfts. Einen Moment lang legte sich Stille über die Straße, doch dann stürmten Menschen an mir vorbei und ich starrte fassungslos auf den qualmenden Motor. „Jemand muss den Fahrer raus holen! Der Wagen könnte in die Luft fliegen!“, schrie jemand und kurz darauf wurde der Befehl befolgt. Zitternd entfernte ich mich rückwärts vom Unfallort und stolperte, als ich gegen die Bordsteinkante stieß. Unsanft fiel ich auf den Boden. Jemand reichte mir eine Hand. Verwirrt sah ich den Arm hinauf und landete bei einem Paar goldener Augen in einem weißen Gesicht. „Hallo, Cassidy.“
„Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll“, sagte ich leise und betrachtete den warmen Kakao zwischen meinen Händen. Er lächelte. „Dann bin ich froh, dass ich hier nicht der einzige bin.“
Mein Gegenüber sah aus wie sechsundzwanzig und hatte kurze braune Haare und einen Drei-Tage-Bart. Seine blasse Haut, seine goldenen Augen und seine Schönheit hatten ihn für mich sofort als Vampir enttarnt, doch dass er mich kannte, hatte ich nicht erwartet. Es war Michael.
„Wie hast du mich erkannt?“, fragte ich neugierig. „Ich bitte dich, du siehst deiner Mutter furchtbar ähnlich. Aber als ich Alan traf, sagte er, du hättest weiße Haare, deshalb war ich irritiert.“ Ich seufzte. „Jaah, das musste sein, um mich vor meinen Freunden zu beschützen. Die wollen mich sonst auseinander nehmen – zumindest mein Bruder. Aber schwarz gefällt mir auch nicht schlecht. – Besser, als ich gedacht hätte.
Du kanntest also meine Mutter?“ „Ich kenne sogar dich schon, seitdem du ein kleines Mädchen warst.“ Er lächelt mich freundlich an und ein Gefühl von Vertrautheit durchfloss mich. Der Mann hatte meine Eltern gekannt. Im Moment schien er die einzige Verbindung für mich zu ihnen zu sein.
„Woher kanntest du uns?“ „Deine Mutter und ich hatten eine sehr innige Beziehung. Wir waren einerseits wie Feuer und Wasser, wie Himmel und Hölle, aber andererseits war es auch so, dass wir einander brauchten. Wir kannten uns, seitdem sie vierzehn war.“ Ich runzelte die Stirn. „Hattet ihr eine Affäre?“ „Was? Nein!“, bestritt er sofort. „Dein Vater hätte mich umgebracht – selbstverständlich nur, wenn er es geschafft hätte“, fügte er schnell hinzu. „Die beiden kannten sich schon seit der ersten Klasse. Am liebsten stritten sie sich, aber das änderte sich auf dem College schlagartig. Ich werde nie den Tag vergessen, an dem Mary, deine Mutter, zu mir kam und mir ganz entgeistert erzählte, sie habe sich doch glatt in den Volltrottel verliebt – so nannte sie deinen Vater bis dahin.“
Meine Stimmung hellte immer mehr auf, während ich mich mit ihm unterhielt. Er ließ mich vollkommen vergessen, was noch am selben Morgen passiert war.
„Ich weiß kaum etwas über meine Eltern“, gestand ich beschämt. „Nur, dass mein Vater Arzt war und meine Mutter den Haushalt schmiss. Bis vor kurzem dachte ich noch, meine Eltern wären von einem Serienkiller getötet worden.“ Michael schmunzelte. „Auf eine gewisse Art und Weise trifft das ja auch zu.“ „Aber auch nur im entfernten Sinne“, grinste ich. „Kannst du mir vielleicht von meinen Eltern erzählen?“, wollte ich plötzlich wissen und sah Michael begeistert an. Er sah mich ein wenig erschrocken an. „Ich… ich weiß nicht, ob das so gut ist…“ „Warum denn nicht?“, fragte ich. „Weil…“ Fragend sah ich ihn an, doch er starrte ausdruckslos aus dem Fenster.
„Cassidy“, hörte ich plötzlich jemanden von der Tür aus rufen. Ich sah auf und mein Blick blieb an dem Ians hängen. Hand in Hand mit einem mir unbekannten Mädchen kam er auf mich zu. „Hey, was für ein Zufall dich hier zu sehen. Ich dachte, du wärest krank. Wie geht es dir?“, plapperte er drauf los, verstummte jedoch sofort, als sein Blick auf Michael fiel. Ich musste keine Gedanken lesen können, um zu wissen, was er dachte.
Gibt es hier irgendwo ein Nest?
„Mir geht’s schon besser, danke, Ian. Darf ich dir Michael vorstellen? Er ist ein Freund von mir“, erklärte ich und Ian nickte, während Michael nur einen müden Blick für den Menschen übrig hatte. Ian wirkte noch einen Moment verwirrt, dann erschrak er. „Oh, tut mir Leid, ähm… das ist Lara. Lara, das ist Cassidy, die Austauschschülerin.“ Lara lächelte mich freundlich an. „Ich geh auch auf die Schule“, erklärte sie mir. „Cool, dann sehen wir uns garantiert häufiger mal“, sagte ich grinsend. Ian wirkte irgendwie nervös. „Wir müssen dann auch. Kommst du morgen wieder zur Schule?“ Ich schluckte, bevor ich nickte. „Klar, bin schon wieder so gut wie fit.“ „Okay.“ Mit diesen Worten zog er Lara aus dem Geschäft und schien es ziemlich eilig zu haben, sich vom Café zu entfernen, in dem ich mit Michael saß.
„Der war ja komisch drauf“, murmelte ich leise und Michael fixierte mich mit seinem Blick. „Das war meine Anwesenheit. Ich mache Menschen – wie soll ich sagen? – nervös. Das liegt in der Natur der Vampire. Nur Menschen ohne jeglichen Selbsterhaltungstrieb haben keine Angst vor uns.“ Ich dachte sofort an Bella, die sich einmal herrlich amüsiert hatte, weil Edward sich zu Beginn ihrer Beziehung ständig darüber aufgeregt hätte, wie leichtfertig sie der Tatsache entgegenblicke, dass er ein Vampir war.
„Aber wieso haben sie keine Angst vor den Cullens und Alan?“, fragte ich und dachte daran, dass die Menschen zwar im Angesicht ihrer Schönheit oftmals verstummten, sie aber nie Angst vor ihnen bekamen. „Ich bin noch ein zusätzlicher Sonderfall.“ „Verrätst du mir, warum?“ „Nein.“ Er sagte es sanft und es klang nicht so, als ärgere ihn meine Frage. Im Gegenteil. Es klang eher so, als wolle er es mir erzählen, konnte es jedoch nicht.
Ein Windstoss ging durchs Café, als die Tür aufgerissen wurde und im nächsten Moment Stille einkehrte. Ich schaute auf und sah Alan in der Tür stehen. Er wirkte völlig durch den Wind, als ginge er auf dem Zahnfleisch und sein Haar war vom Laufen zerstrubbelt. Sofort lief er in gerade noch menschlicher Geschwindigkeit auf mich zu und nahm meine Hand in seine, die gewohnt eiskalt war. „Oh mein Gott, geht es dir gut? Was ist passiert?“ Er ratterte einen ganzen Fragenkatalog runter, während ich ihn stumm ansah. „Alan“, unterbrach ich ihn. Sofort verstummte er. „Es geht mir gut. Wieso sollte es mir nicht gut gehen?“ Er entspannte sich sofort. „Ich… ich weiß nicht, ich hatte plötzlich so ein Gefühl…“
Michael räusperte sich und Alan sah ihn an. Er schien Michael noch gar nicht bemerkt zu haben. Unsicher schaute er von Michael zu mir und wieder zurück. „Michael“, sagte er dumpf und die beiden sahen sich lange an. „Ich glaube, wir sollten im Haus darüber sprechen“, meinte Alan schließlich und zog mich sanft am Ellenbogen hoch, als erinnere er sich plötzlich daran, dass ich wesentlich zerbrechlicher war als Vampire. Auch Michael erhob sich. „Ich habe wie versprochen deinen Wagen aus Port Angeles geholt – dabei hätten mich die Werwölfe fast erwischt. Möchtest du ihn selbst fahren?“
„Was ist passiert?“, fragte Alan ruhig und ich starrte nervös auf meine Schuhe. „Ich habe nicht aufgepasst, als ich über die Straße ging. Dann kam ein Auto.“ „Ich habe einen Unfallort gesehen, als ich in die Stadt lief“, sagte er und musterte mich eingehend aus den Augenwinkeln. „Ist dir etwas passiert?“ „Nein, ich denke nicht. Ein kleiner Schock, aber sonst…“ Er nickte und lenkte den Wagen die Auffahrt zum Cullen’schen Anwesen hinauf. „Woher wusstest du, dass etwas passiert ist?“, fragte ich Alan und wandte den Blick langsam von meinen Füßen ab. „Ich weiß es wirklich nicht, Cassie. Ich war mit Edward auf der Jagd – ich musste mit ihm sprechen – und plötzlich… Ich hatte plötzlich eine Irreangst, dir könnte etwas passiert sein und kehrte um. Alice sagte, du wärest in der Stadt. Ich brauchte keine zwanzig Sekunden, bis ich dort war.“ Er hielt vorm Haus an, stieg jedoch nicht aus. Auch ich blieb sitzen. „Du hattest Angst um mich?“ Seine Worte hatten sich in meine Erinnerungen eingebrannt und ich war mir sicher, sie nie zu vergessen. „Ja, und zwar sehr große.“ Wir sahen einander an und ich spürte die Worte auf meiner Zunge, die gesagt werden wollten. Aber ich kannte sie nicht. Ich fand unbekannte Gefühle in mir und versuchte, ihnen irgendwie einen Ausdruck zu verleihen, doch ich blieb stumm. Alans Blick war sanft und er legte eine Hand auf meine. „Wir sollten reingehen“, flüsterte er, als Stromstöße uns durchfuhren. „Ja, das sollten wir.“ Im Bruchteil eines Augenblicks war er ausgestiegen und hielt mir die Tür auf. Ich schnallte mich ab und stieg aus, folgte ihm langsam ins Haus…