Wenn Träume zerbrechen von Miroir (Geschichte eines jungen Soldaten) ================================================================================ Kapitel 1: 1812 --------------- Ich war sehr stolz, dass ich mit nach Russland ziehen durfte, auch wenn das hieß, dass ich meine Verlobte Anna zurücklassen musste. Natürlich verstand sie, welch Ehre es bedeutete. Ich war einer der rund 600 000 Männer, die mit Napoleon nach Russland durften. Es versteht sich von selbst, welch Glück mich erfüllte. Schon immer hatte ich unseren Kaiser bewundert. Einmal hatte ich die Gelegenheit, ihn zu sehen. Zwar war er nicht hochgewachsen, doch beeinträchtigte das nicht im Geringsten die Macht seiner Präsenz. Seine Eleganz und mehr noch sein Stolz überstrahlten alles, so dass die, die sich in seiner Nähe befanden, ebenso ein wenig von seinem Glanz abbekamen. Seine Stimme zeugte von der Entschlossenheit und Willenskraft , die er schon so oft bewiesen hatte. In diesem Moment war mir klar, dass ich alles für diesen Mann, falsch, für meinen Kaiser tun wollte. Darum meldete ich mich auch ohne Zögern als Erster als Soldat für den Russlandfeldzug. Damals ahnte ich noch nicht, was für ein entscheidender Fehler das sein sollte. Lange waren wir schon gereist, immer wieder Truppen zurücklassend, die uns den Rückweg sichern sollten. Ich wusste nicht, wie viele wir noch waren, doch war mir klar, dass die Armee deutlich geschrumpft war. Trotzdem zweifelte ich nicht eine Sekunde an dem Mann, der fast Europa erobert hatte. Auch Mitleid mit dem Feind, den Russen empfand ich nicht. Es war doch ihre eigene Schuld, sie hätten sich Napoleon nicht widersetzen dürfen. Und nun wehrten sie sich auch noch so heimtückisch, in dem sie immer wieder , wie lauter kleine Nadelstiche, nachts angriffen. Immer dann, wenn wir es am wenigsten erwarteten. Auch wenn es immer nur vereinzelte Angriffe waren, so fügten sie uns doch erhebliche Verluste zu, die selbst der Gutmütigste nicht übersehen konnte. Tag für Tag wuchs meine Hass auf die Russen und ich war immer überzeugter, im Recht zu sein. Zudem war der Winter sehr kalt, viel kälter als daheim in Frankreich , und das setzte mir sehr zu. Die Vorräte wurden ebenfalls knapp, da die Nachhut genauso wie wir an der Spitze der Armee, unter Angriffen zu leiden hatte. Es gab Tage, an denen wir kaum zu essen hatten und dafür umso mehr froren. Doch heute würde alles anders werden. Wir waren kurz davor, in Moskau einzumarschieren, es war nicht mehr weit. Wie immer würde Napoleon in einem direkten Frontalangriff den Gegner niedermähen, davon war ich überzeugt. Es gab niemanden, der ihn aufhalten könnte. Grimmig und voller Entschlossenheit stapfte ich Moskau entgegen. Alle waren siegesgewiss und spotteten in derben Witzen über die "armen" Bewohner von Moskau. Manche sangen sogar, um ihrer Vorfreude Luft zu machen. Allerdings auch, um die Angst zu verdrängen. Zweifellos würden wir gewinnen, doch das hieß nicht, dass man selbst nicht das eigene Leben verlor. Diese Angst konnte ich damals nicht verstehen, denn gab es denn etwas Ehrenvolleres, als den Heldentot für Vaterland zu sterben? In meinen Augen nicht. Vermutlich, weil ich nicht wusste, dass mein Tod wenig ehrenhaft sein würde. Und vor allem, schon bald. Der Schnee hielt uns doch mehr auf als wir erwartet hatten. Wir schlugen dann doch nochmal ein Lager auf. Ich teilte mein Zelt mit zehn anderen Soldaten. Es waren allesamt junge Männer im Alter von zwanzig bis dreissig Jahren, also so wie ich. Alle waren wir siegesgewiss und voller Erwartungen auf den kommenden Tag. Alkohol war uns leider verboten, daher konnten wir nicht feiern, außerdem sollten wir bis zum morgigen Tag ein paar Stunden schlafen. Sie alle waren rasch Reich der Träume, ich dagegen hielt meine Müdigkeit zurück, da ich immer an des Kaisers Worte denken musste, in denen er sagte, dass ein Held nur zwei Stunden schlief . Ich wollte unbedingt ein Held sein. Zur Ablenkung schrieb ich einen Brief an Anna. Diesen würde ich ihr zwar vermutlich erst bei meiner Rückkehr überreichen können, aber ich wollte die Ereignisse dann festhalten , wenn sie geschahen. So schrieb ich: "Liebste Anna, schon lange haben wir uns nicht gesehen, kein Wort voneinander gehört, doch ich bin überzeugt, dass es dir gut geht. Sicherlich vermisst du mich und machst dir Sorgen, ob ich wohl noch am Leben bin. Zweifle nie, denn der Kaiser ist mein Beschützer und er würde nie verlieren. Du kannst voll Stolz auf deinen Verlobten sein, der bald schon wieder bei dir sein wird und dich in seine Arme schließt, als wäre er nie weggewesen. Endlich sind wir dann wieder vereint und können das lange schon überfällig gewordene Eheveersprechen schließen. Nichts sehne ich so sehr herbei wie diesen Tag. Weine nicht, um mich, mein Mädchen, wo du doch sicher sein kannst, dass ich zu dir zurückkehre und es endlich würdig bin, mich mit dir zu vermählen. Denn ich werde einer der Männer sein, die zum Sieg über die Feinde und zur absoluten Macht unseres Kaisers beigetragen haben. Wir alle werden zur Legende werden, dessen bin ich mir gewiss. Als Helden wird man uns feiern. Schon morgen werden wir in Moskau einmarschieren und wir werden siegen, so glorreich wie die Sterne es prophezeit haben. In ewiger Liebe, dein Jaques" Ich unterschrieb mit liebevollem Schwung meiner Federn und legte dann Tinte und Papier beiseite. Den Brief steckte ich in die Brusttasche meines dicken Mantels, direkt übers Herz. Lange würde es nicht mehr dauern, dann wäre dieser Brief endlich in den zarten Händen der Empfängerin. So hoffte ich. Der Morgen war gekommen, und mit ihm der Tag der Enscheidung, der Tag des Sieges. Da Napoleon ein Mann der Vorsicht war, schickte er erst mal einen Boten vorraus. Ungeduldig warteten wir auf seine Rückkehr. Es dauerte zu lange. Doch was kam, war absolut unerwartet. Nun, der Bote kam zurück, unbeschädigt auf seinem Pferd sitzend, doch blass im Gesicht wie der Schnee. Er sah wirklich nicht wie jemand aus, der dass vorgefunden hatte, was er erwartet hatte. "Eure Majestät...", stammelte er und fiel fast vom Sattel. Zwei Soldaten konnten ihn gerade noch stützen. Ein beunruhigtes Murmeln ging durch die Reihen. Was konnte geschen sein , dass den Boten so sehr verunsichert hatte? Keiner wusste es, bis der Bote es endlich fertig brachte, davon zu berrichten. Er flüsterte es dem Kaiser zu, sodass keiner außer ihm verstand. Mit Entsetzen sah ich mein Idol zum ersten Mal erschrocken. Das konnte nicht sein, dass war unmöglich. Nichts konnte meinen Kaiser erschüttern, aus der Fassung bringen. Er war ein Gott des Krieges, da konnten ein paar Russen es nicht schaffen, ihn zu verwirren. Völlig konfus ging ich vorsichtig einen Schritt auf ihn zu. "Herr.....?" , fragte ich nervös, obwohl mir klar war, dass es mir nicht zustand, direkt mit dem Kaiser zu sprechen. Doch ich hielt es nicht mehr aus. "Schweig still" , fuhr mich einer der Berittenen neben dem Kaiser an. Sofort berreute ich mein unangemessenes Benehmen, war aber nicht im Gerringsten beruhigt. "Wir überzeugen uns selbst", sprach in diesem Moment Napoleon selbst. Er rief mit lauter und fester Stimme einen Befehl und die Armee setzte sich in Bewegung. Wir ritten und marschierten auf Moskau zu. Nicht mehr weit entfernt, sahen wir ein helles, flackerndes Licht in der Richtung, in die wir zogen. Nun gänzlich durcheinander versuchte ich genauer hinzusehen. Ob das wohl etwas wegen dem Schnee war? Nein, das konnte nicht sehen. Aber was war es dann? Und dann begriff ich die schreckliche Wahrheit. Moskau brannte lichterloh! Alles stand in Flammen, jedes einzelne Haus. Eine brennende Stadt, inmitten des Schnees, und völlig verlassen. Keine feindliche Truppen, nichts. Kälte und Feuer. Ein bizzares Schauspiel, das ich nicht verstehen wollte. Ich konnte es nicht. Was war hier geschehen? Wo war die Armee? Und doch war alles glasklar durchschaubar. Wir waren hereingelegt worden. Mein Kaiser, der allmächtige, unüberlistbare, perfekte Napoleon war glatt überrumpelt worden mit einem genialen wie schlichten Schachzug der Russen. Es würde keine direkte Gegenüberstellung geben. Wir waren verloren. Sinnlos nach Russland gezogen, hatten die Kälte und den Hunger sowie die Attacken für nichts und wieder nichts durchgestanden. Viele Männer waren grundlos gestorben. Nicht für Ehre. Nicht für das Vaterland. Nicht für den Sieg. Nur dafür, dass wir nun in die größte Falle der Geschichte stolperten. Es war eine Pleite wie es sie nur einmal geben konnte. Unmöglich, das konnte nicht sein. Diese Würmer hatten den gigantischen französischen Kaiser an der Nase herumgehführt. Mein Verstand, meine gesamte Existenz drohte im Chaos zu versinken. Und der große Anführer war genauso fassungslos wie ich! Wie ich, ein bedeutungsloser, kleiner Soldat. Erschüttert sank ich auf die Knie, ohne jemanden, der mich tröstete. Plötzlich sehnte ich mich zu meiner Mutter zurück. Mutter, nimm mich in den Arm. Anna, sag dass das alles nicht wahr ist. Ich träume nur, das ist alles nur ein Alptraum Die grässliche Realität holte mich ein. Das hier war kein Traum. Alles war wahr, alles passierte. Ich war Zeuge der größten Katastrophe französischer Geschichte. Tränen der Enttäuschung liefen mir die Wangen herunter, doch ich bemerkte sie nicht. Alles war schrecklich, so schrecklich, dass es schlimmer nicht ging. Doch es ging noch schlimmmer. Hier war alles abgebrannt, keine Vorräte und keine warmen Rückzugsorte. Viele erfroren. Ich versuchte erst gar nicht, mich gegen die Kälte zu wehren. Es gab keinen Grund. Alles war verloren. Ich gab auf, blieb im Schnee liegen, spürte nicht einmal mehr, wie mein Körper nach und nach aufhörte, seinen lebensnotwendigen Funktionen nachzugehen. Spürte nicht, wie mein Herz aufhörte zu schlagen.... ~~~~~ the End ~~~~~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)