Der Schatten des Holunders
Da einige von euch zweifeln: es war Gift im Spiel. Ob es Selbstmord, Mord, Totschlag, Unfall oder Körperverletzung mit Todesfolge war? Ich fürchte, das werdet ihr noch herausfinden müssen...
6. Der Schatten des Holunders
In seinem Zimmer drehte sich Sesshoumaru zu Sakura: „Ich will Namida Kamara sprechen.“
Sakura machte, dass sie davon kam. Irgendetwas hatte in seiner Stimme gelegen, das ihr verriet, dass er wütend war. Weshalb? Weil er nur Motive fand, aber kein Gift? Nur das Warum aber nicht das Wie?
Anscheinend hatte er weder bei dem Heiler noch bei dem Leiter der Kanzlei etwas wittern können, das sie überführt hätte. Das besagte sicher nicht, dass sie unschuldig waren, aber es bedeutete auch, dass sie nicht einfach gelogen hatten.
Die Ehefrau des mittleren der drei Kamara-Brüder war eine Dämonin, die sich bewusst war, wer sie sprechen wollte. So folgte sie Sakura unverzüglich.
Sesshoumaru stand in seinem Zimmer, drehte sich um, als die beiden niederknieten und Sakura die Tür geschlossen hatte: „Du kannst dir denken, warum ich dich sprechen will, Namida?“
„Ich hörte, dass Ihr in Sachen Tamahato Takahara ermittelt, Lord Sesshoumaru.“
„Er regelte Grundstücksgeschäfte mit dir?“
„Ja, Lord Sesshoumaru. Ein entfernter Onkel war verstorben. Ich erhielt diese Grundstücke als einziges überlebendes Familienmitglied. Mein Mann, Kazutaka, und auch Lord Kasuki, wiesen mich an, diese Grundstücke zu verkaufen. Sie lagen sehr weit entfernt. Sie...und auch Hiro empfahlen, mir Tamahato Takahara. Er sei in der Kanzlei stets mit derartigen Geschäften betraut, der Spezialist. Der dortige Herr machte ihm auch einen guten Preis, da er so seine eigenen Grundstücke arrondieren konnte.“
„Du hast also öfter mit Takahara geredet?“
„Ja.“
„Und er gefiel dir?“
Sakura stellte fest, dass der Hundeprinz nicht nur bei Menschen taktlos war. Oder war das unter Dämonen der Brauch?
Namida senkte den Kopf: „Ich weiß, dass er nur ein Mensch war, aber er…er hatte sehr gute, gewinnende Manieren. Ich habe mich selbstverständlich zu keinerlei Unziemlichkeiten hinreißen lassen, dessen könnt Ihr sicher sein. Aber es war angenehm, in seiner Nähe zu sein.“
„Warum?“
Weil er das Gegenteil von Eurer Ausstrahlung besaß….war Namida versucht zu sagen. Aber ihr war klar, was ihr widerfahren würde, auch nur zu leicht der gesamten Familie Kamara, würde sie den Erbprinzen der westlichen Länder beleidigen. „Seine Manieren, seine ganze Art… Er strahlte so eine Wärme aus.“
„Er war dennoch ein Mensch.“
„Ich weiß.“ Sie starrte noch immer den Boden an: „Und darum habe ich auch nicht mehr getan, als mit ihm Händchen zu halten. Wäre er ein Dämon gewesen…ich wüsste nicht, wie ich dann reagiert hätte. Oh, Kazutaka ist ein guter Mann, ich würde ihn nicht hintergehen wollen, “ beteuerte sie eilig. „Aber …ach, was soll es.“
„Hat Takahara mit dir über andere Dinge aus der Kanzlei gesprochen? Andere Grundstücksgeschäfte?“
„Nein, Lord Sesshoumaru.“
„Du kannst gehen.“
Namida gehorchte erleichtert.
Sesshoumaru trat an das Fenster, sah hinaus. Hatte Kazutaka Kamara mitbekommen, dass selbst seine eigene Ehefrau für den Kanzleischreiber schwärmte? Das wäre auch ein Motiv. Wie intensiv tat sie es eigentlich? Er drehte sich um: „Sakura.“
„Lord Sesshoumaru?“
„Was meinte Namida mit „Händchenhalten“?“
„Äh...“
Wusste er nicht einmal das?
„Wenn sich zwei...zwei Menschen mögen, sitzen sie gern eng beisammen und halten sich eben gegenseitig die Hand.“
Wie sollte sie das erklären.
Er ließ sich an der Wand nieder: „Zeig mir das.“
„Vergebt, Lord Sesshoumaru….“ Sie wurde rot: „Ich…es könnte Euch belästigen….“ Immerhin vermied er es gewöhnlich, Menschen zu berühren.
„Mein Befehl.“
Und er würde sie nicht tadeln, wenn sie seiner Anweisung nachkam. Sie hatte keine Wahl. So stand sie auf, ließ sich an seiner Seite nieder. Nie zuvor war sie ihm so nahe gewesen. „Wenn Ihr nun meine Hand nehmt…“
Er tat es. Sie war überrascht. Sie hatte die Klauen nur bei einer Strafe gespürt und dabei nicht mitbekommen, dass seine Hand so warm war, wärmer, als die eines Menschen. Auch seine Körpertemperatur schien höher zu sein, das spürte sie durch die Kleidung an ihrem Oberschenkel. Und jetzt hielt er ihre Linke so behutsam…Seltsamerweise machte ihr das plötzlich bewusst, dass er ein männliches Wesen war, eigentlich fast gleichaltrig, wenn man sein Aussehen in Betracht zog. Sie wurde erneut rot, als sie fühlte, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte, ihre romantischen Gefühle sie zu überwältigen drohten.
Sesshoumaru spürte ihre Aufregung, nahm allerdings an, sie fürchtete, er könne ihr aus Versehen wehtun. Immerhin war er ein Dämon: „Und weiter?“
„Was...was meint Ihr?“ Sie sah zu Boden.
„Was passiert nun?“
„Nichts, Lord Sesshoumaru. Man sitzt einfach da, hält die Hand und erzählt...oder so.“
„Das gehört also nicht zum Balzverhalten bei Menschen?“
„Nun, wenn Ihr das so nennen wollt…“ Wieso machte er mit einem Wort so deutlich, dass er Menschen für minderwertige Geschöpfe hielt? „Das ist die…die erste Stufe.“ Warum ließ er ihre Hand nicht los?
„Wollte Takahara Namida verführen?“
„Das weiß ich nicht. Aber es wäre wohl…dumm gewesen. Immerhin ist sie die Schwägerin des Herrn hier.“ Sachlich bleiben, mahnte sie sich. Ihr war warm. Nie in ihrem Leben war sie so nahe neben einem Mann gesessen, dazu noch Händchen haltend. Und das ausgerechnet bei ihm….
Irgendwie schlug ihr Herz bis zum Hals und mit ihrem Atem schien auch irgendetwas los zu sein.
„Dumm, ja. – Wie ist die zweite Stufe?“
Ihr Götter, dachte sie: „Ich…ich habe das noch nie selbst gemacht, Lord Sesshoumaru. Aber ich denke, dann legt der Mann den Arm um die Frau. Und dann küsst man sich.“ Hoffentlich wollte er das jetzt nicht auch vorgeführt bekommen…
Er gab sie frei: „Geh auf deinen Platz.“
Sie hätte sich um ein Haar bedankt, als ihr bewusst wurde, dass das wohl ziemlich unhöflich gewesen wäre, damit zu beweisen, wie unangenehm man die Nähe empfunden hatte. Unangenehm?
Eher im Gegenteil. Aber das durfte sie ihm nie zeigen.
Sesshoumaru erhob sich trat ans Fenster. Was hatte wohl Namida, eine Dämonin, daran gefunden, mit einem einfachen, schwächlichen Menschenmann Hand in Hand dazusitzen? Ihm selbst hatte das absolut nichts bedeutet. Und Sakura schien eher unangenehm berührt zu sein. Womöglich hatte sie auch Angst gehabt, er würde ihre Finger zerdrücken. Nun, gleich. Er hatte eine andere Aufgabe.
Er betrachtete den Garten. Motive hatte ihm die bisherige Suche genug beschert. Aber hatte er nicht einen Fehler begangen? Gewöhnlich untersuchte er, wie ein Mord geschehen konnte, wie das Opfer das Gift erhalten hatte.
Diesmal hatte er angenommen, auf die Untersuchung des Heilers, welches Gift verwendet wurde, warten zu müssen, ehe er an das Wie ging. War das falsch gewesen? Überflüssig? Vielleicht sollte er noch einmal in aller Ruhe auf seinem gewöhnlichen Weg vorgehen.
Verschiedene Düfte trieb der Wind an seine Nase.
Was hatte sein Vater gesagt? Im Zimmer des Ermordeten hätte ein leicht süßlicher Duft gelegen, nach Jasmin oder Flieder. Hatte sich der Mörder das Gift im Garten besorgt? Welche Pflanzen waren wohl für Menschen giftig?
Dämonen wussten so etwas nicht. Aber er ging sowieso von einem menschlichen Mörder aus. Kazutaka oder Hiro wäre es leicht möglich gewesen, ihren Bruder unter einem Vorwand dazu zu bringen, Takahara hinrichten zu lassen. Die Kamara-Brüder vertrauten sich.
„Sakura.“ Sie sah eilig auf, fast ein wenig erschreckt, ihn schon neben sich zu entdecken: „Wir gehen.“
Sie wagte nicht zu fragen, wohin, sondern schloss sich ihm an. Nun, was blieb ihr schon anderes übrig. Zu ihrem Erstaunen ging er in den Garten, wandelte langsam umher, so dass sie ihm folgen musste.
„Welche Pflanzen hier sind für Menschen giftig?“
„Fast alle, Lord Sesshoumaru. Selbst dort, die Heilpflanzen…es ist oft die Dosis, die zwischen Heilen und Tod unterscheidet.“
„Warum hat man solche im Garten?“ Nun, es war ein Dämonenschloss, aber dennoch sollten die Kamaras Wert darauf legen, nicht zu viele ihrer Mitarbeiter zu verlieren.
„Menschlichen Kindern wird schon bald beigebracht, was sie auf keinen Fall essen oder berühren dürfen, Lord Sesshoumaru.“ Sie wagte es, zu ihm zu blicken.
Er blieb unter einem Baum stehen. Da sie sich sofort hinknien wollte, hob er die Hand: „Lass das und sieh dich um.“
„Vergebt...nach was soll ich schauen?“
„Welche Pflanzen kennt jeder Mensch als giftig?“
„Die.. Dieser Baum hier, zum Beispiel. Er heißt Chinesischer Holunder und wird sehr gern gepflanzt, weil er so schnell so hoch wird und Schatten gibt. Außerdem blüht er sehr hübsch, blau.“
Sesshoumaru blickte empor zu dem zehn Meter hohen Baum. Kleine orange Beeren wuchsen daran. Zwischen Garten und Hof entdeckte er mehrere kleinere dieser Art, die wohl als Schattenspender für den Trakt des Schlosses gepflanzt worden waren. Nun gut, Schnellwüchsigkeit war für Menschen sehr wichtig. Diese erbärmlichen Geschöpfe lebten ja nur so kurz. „Welcher Teil ist giftig?“
„Alles, Lord Sesshoumaru. Wenn man Beeren oder Blätter isst, führt das zu Magen- und Darmstörungen, in höherer Dosis zu Lähmungen, gar zum Ersticken. “ Sie deutete in den Kräutergarten: „Dort, die rot blühende Pflanze ist Fingerhut. Mein Lehrer verwendet es vorsichtig bei älteren Menschen, wenn ihr Herz stolpert. Aber man muss sehr vorsichtig damit sein, sonst tötet man den Patienten.“
„Weiß das auch jeder?“
„Ich…ich denke nicht“, gestand sie ehrlich. „In den Kräutergarten des Heilers geht man als gewöhnlicher Mensch nicht. Das ist verboten.“
„Ich habe dich nur nach Pflanzen gefragt, die jeder Mensch als giftig kennt.“
Sie schluckte: „Vergebt, bitte…Lord Sesshoumaru.“
„Pflücke einige Beeren dieses Baumes.“
Sie war unsicher, ob er das als Strafe meinte, suchte sich aber ein großes Blatt einer Hortensie, ehe sie mit diesem als Fingerschutz die Beeren des Chinesischen Holunders von einem kleineren Exemplar pflückte.
Er sah ihr zu. War das das Gift, dem der Schreiber zum Opfer gefallen war? Lag die vergebliche Suche des Heilers daran, dass er nur nach Giftpflanzen in seinem eigenen Garten gesucht hatte? Heilergifte? Und dass er nicht an diesen Baum gedacht hatte? Hier wuchsen so viele davon, dass sicher jeder Mensch über die Giftigkeit Bescheid wusste. Zumindest, wenn menschliche Eltern Wert darauf legten, ihren Nachwuchs großzuziehen. Aber das war wohl der Fall.
Sakura drehte sich zu ihm um, wartete auf die nächste Anweisung.
„Bring sie in mein Zimmer. Dann gehe zu dem Heiler und frage ihn, ob er nach diesem Gift bereits im Tee gesucht hat. Wenn ja und er nichts gefunden hat, erkundige dich in der Kanzlei, ob es üblich war, dass Takahara bei der Arbeit einen Apfel aß und wer ihm den brachte.“ Sie wollte schon weg, als er fortfuhr: „Danach bringe mir folgende Dinge in mein Zimmer: eine Matte, Tee, einen Apfel, Tinte, Feder und Papier.“
„Ja, Lord Sesshoumaru.“ Ihr Erstaunen lag nicht in ihrer Stimme. Sie hatte ihn noch nie schreiben sehen, obwohl er das gewiss konnte. Erst, als sie die Beeren in seinem Zimmer ablegte, ahnte sie, worauf das hinauflaufen sollte. Er wollte wohl nachstellen, wie das Opfer vergiftet worden wäre. Interessant. Das hatte er noch nie getan. War es diesmal selbst mit seiner Nase unmöglich, etwas herauszufinden?
Sesshoumaru wartete in seinem Zimmer, bis sie die gewünschten Sachen brachte. „Lege sie dorthin.“ Als sie gehorcht hatte: „Dein Bericht.“
„Der Heiler sagte, er habe im Tee danach gesucht, aber nichts gefunden, auch Jasmin oder andere Pflanzen nicht, die im Garten wachsen, da er auch an eine zufällige Vergiftung, einen Unfall, dachte.“
Der Heiler konnte ja doch mitdenken. Aber er schwieg.
„So ging ich Eurem Wunsch entsprechend in die Kanzlei. Den Angestellten dort ist es grundsätzlich verboten, ihren Arbeitsplatz zu verlassen, außer wenn…nun, wenn es dringend notwendig ist. Darum hat eigentlich jeder von ihnen Obst oder eine Schüssel mit Reis neben sich stehen, um seinen Hunger zu stillen. Das Essen wird auf Servierbrettern morgens aus der Küche in die Kanzlei gebracht, wo sich jeder nimmt, was er möchte. Tamahato Takahara bevorzugte allerdings Obst.“
Also war es unmöglich, jemanden zielgerichtet zu vergiften. War Takahara doch ein zufälliges Opfer? Nein, dachte er unverzüglich. Er hatte in diesem gesamten Fall seinen Grundsatz schon genug missachtet, nach dem Wie des Mordes zu suchen.
Wie konnte diese Vergiftung passieren. Hatte er das Wie, hatte er den Wer.
Oder war es doch ein Unfall? Er betrachtete die Schreibsachen, die Sakura neben und auf die Matte gelegt hatte. Kein Gift im Tee. Also doch der Apfel? Aber wie? Oder war alles ganz anders?
Sein Auge fiel auf die Beeren. „Sind die Früchte des Chinesischen Holunders besonders giftig?“
„An dieser Pflanze am giftigsten, soweit ich weiß, Lord Sesshoumaru.“
Nicht einmal ein Mensch konnte die kleinen Beeren mit einem Apfel verwechseln. Hm. „Sakura, setz dich auf die Matte. Und schreibe.“
„Was, Lord Sesshoumaru?“ Sie nahm gehorsam Platz.
„Mir gleich.“
Sie griff die Feder, sah sich suchend um: „Oh…“
„Was?“
„Ich...ich habe das Federmesser vergessen.“
„Ich habe es dir nicht befohlen.“ Es hatte keines neben der Leiche gelegen.
Sakura zog sich die Feder durch die Zähne, presste so den Kiel enger, ehe sie sie in die Tinte tauchte. Sie wusste nicht, was sie schreiben sollte, so zeichnete sie willkürlich Schriftzeichen, tunkte wieder ein. Anscheinend wollte er sehen, wie ein menschlicher Schreiber arbeitete. Aber was sollte das bringen? Irgendwie konnte sie sich nicht vorstellen, dass das anders war, als wenn ein Dämon schreiben würde.
Sesshoumaru betrachtete sie nachdenklich: „Warte. Jetzt gieß dir Tee ein, trinke“
Sie gehorchte, ehe sie weiter schrieb.
Einige Minuten später kam der nächste Befehl: „Und jetzt nimm den Apfel.“
Sie hätte zuvor gern ihre Finger gewaschen, aber das war kaum möglich. So nahm sie ihn.
„Das genügt.“
Ein Schreiber, Tee, Obst, Feder und Tinte. Das war das Wie. Und damit auch das Wer. Ob es wirklich das Gift des Chinesischen Holunders war oder nicht. Das ließ sich später sicher noch feststellen.
„Wasch deine Hände, dann bitte meinen Herrn und Vater sowie Lord Kasuki in meinem Namen in die Kanzlei.“
Sakura hätte fast zu tief Luft geholt. Was hatte er bemerkt, das ihr entgangen war? Und warum hatte er das nicht früher? Aber sie war nicht lebensüberdrüssig. So eilte sie davon.
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Alles klar, oder? Hat man das Wie hat man den Wer und kann nach dem Warum fragen.
Lord Sesshoumaru löst im nächsten Kapitel den Fall udn stellt seinem Vater eine zweideutige Frage....
Wer so nett ist, mitzuraten, erhält, wie gewohnt, eine Infoens, wenn ich sehe, dass das neue Kapitel online ist.
bye
hotep