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Tell me the best way I could kill you & Back to reality

~ Yu Kanda x Tyki Mikk~
von

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~13~

Wenn auch zögerlich offensichtlich skeptisch, langsam ging Kanda in die Knie und ließ sich Lavi gegenüber nieder. Sie hatten sich zurückgezogen an einen Ort, den Kanda oft aufgesucht hatte. Es handelte sich um einen abgelegenen, stillen Raum, in welchem er oft Stunden mit seinen Meditationen zugebracht hatte. Ein Ding, zu dem er derzeit nicht mehr fähig war und als er sich bequem setzte, schnellte sofort die kritische Frage in ihm hoch, was Lavi nun mit ihm vor hatte. Beinahe problemlos hatte er ihn gefunden und ihn gebeten, ihm zu folgen. Zielstrebig hatte er ihn hierher geführt und nun saßen sie sich gegenüber. Lavi fiel es schwer, dabei Kandas Mimik zu deuten. Es grenzte an Argwohn sowie auch an einer gewissen Erwartung, die in Kandas dunklen Augen funkelte und Lavi wich diesem stechenden Blick vorerst aus. Es war wichtig, dass er in diesen Momenten ruhig und entspannt blieb. Ebenso hatte er eine Sicherheit zu zeigen, die Kanda derzeit nicht innewohnte und so ließ er sich Zeit auf der Suche nach den Notizen, die er sich gemacht und mitgebracht hatte. Lange hatte er geforscht und sich informiert, bevor er Kanda aufsuchte. Die Bücher im Krankenflügel und bei den Therapeuten waren ihm dabei eine große Hilfe gewesen und wie neugierig war er darauf, inwieweit Kanda fähig war, sich auf dieses neue Gebiet einzulassen. Er räusperte sich, als er mehrere Blätter hervorzog und sie ruhig auseinanderfaltete. Kanda verfolgte währenddessen jede Regung und starrte auf die Blätter, als wären sie die Vorboten der Apokalypse.

„Also.“ Lavi ließ die Notizen sinken und wandte sich direkt an seinen Gegenüber. „Ich habe mir vorgenommen, dafür zu sorgen, dass du heute Nacht endlich mal wieder ordentlich schläfst.“

Kandas Stirn legte sich in kritische Falten, doch das entsprach seinen Erwartungen, weshalb er nicht darauf einging. Er regte sich flüchtig auf den bequemen Bastmatten, setzte sich gemütlich in den Schneidersitz.

„Dazu habe ich zwei Entspannungsübungen herausgesucht.“ Er fuchtelte mit den beiden Blättern, spürte noch immer diesen stechenden Blick. „Es ist wichtig, dass du mir jetzt vertraust und tust, was ich dir sage.“

Kanda wandte den Blick ab. Grübeleien waren ihm anzusehen und Lavi hoffte, dass es sich dabei nicht um eine Vertrauensfrage handelte. Er hatte für sich angenommen, diesen Punkt bereits hinter sich zu haben. Er schloss den Mund, presste die Lippen aufeinander und verfolgte, wie Kanda durchaus unentschlossen an den Matten kratzte. Wenn Motivation vorhanden war, so war er ein Meister darin, diese Tatsache zu verbergen. Jetzt war es Lavi, der voller Erwartungen war.

„Yu?“, fragte er leise und beugte sich leicht nach vorn. „Vertraust du mir?“

Aus den Augenwinkeln richteten sich Kandas beinahe schwarze Augen auf den Rothaarigen zurück und einige Momente vergingen in Schweigen.

„Was ist das für eine Entspannungsübung?“, erkundigte er sich dann leicht murrend. „Ich bin nicht verspannt.“

Es geschah genau das, was Lavi befürchtet hatte und Kanda hob die Brauen, als er seufzend in sich zusammensank.

„Natürlich bist du verspannt.“ Er rieb sich die Stirn, atmete tief durch. „Das sieht man schon an deinem Gang. Die ziehst die Schultern zusammen und versteckst den Kopf zwischen ihnen. Außerdem siehst du ausschließlich immer aus, als wärst du vor irgendetwas auf der Flucht, wenn du unterwegs bist.“ Ihm stand nicht der Sinn danach, darüber zu diskutieren. Leicht mürbe sah er Kanda von unten an. „Du hast gesagt, dass du bereit bist, mit mir zu arbeiten und stellst dich schon gegen den ersten Schritt, den ich machen möchte?“

Die Worte schienen Kanda zu treffen. Eine schmerzhafte Ladung Wahrheit prallte ihm entgegen und mürrisch starrte er auf die Matten zurück.

Was auch immer er sagte und wie auch immer er reagierte, Lavi wusste, dass eine nicht zu unterschätzende Masse aus Angst und Misstrauen mitschwang.

Woher sollte Kanda auch gelernt haben, sich auf andere zu verlassen?

Eine Art, die er auch nicht gerade auf dem Schlachtfeld praktizierte. Er war stets sich selbst am nächsten gewesen, hatte niemanden gebraucht und Lavi verstand sehr wohl, wie schwierig und schmerzhaft es sein musste, sich einzugestehen, dass es von nun an nicht mehr der Fall war. Er hatte sich von sich selbst entfernt. Vertrauen konnte er sich nun nicht einmal mehr selbst. Und Lavi war derjenige, der diese Tatsache sah und versuchte, mit ihr umzugehen. Auch, wenn es kompliziert war, zumindest er war fest entschlossen und tat sein Bestes, dieses Gefühl auf Kanda übergehen zu lassen. So entschied er sich dazu, einfach anzufangen.

„Also.“ Er richtete sich auf. „Leg oder setz dich so hin, wie es dir angenehm ist.“

„Wieso?“

Es schien so, als… ja, vermutlich hatte Lavi falsch angefangen und so nahm er sich diese verständnislose Frage nicht zu Herzen. Er blieb ruhig und begann einfach zu lesen.

„Bei den Übungen werden einzelne Muskelgruppen für kurze Zeit angespannt und dann willentlich entspannt. Bei der mit der Ausatmung erfolgten Entspannung soll alle Spannung im aktivierten Muskel abgebaut werden.“ Er blickte kurz auf, prüfte, ob Kanda aufmerksam war, doch es machte den Anschein, also las er weiter. „Den Unterschied zum Zustand der Anspannung sollte man spüren. Wichtig ist, während der gesamten Übung ruhig weiter zu atmen und sich auf die jeweilige Muskelgruppe zu konzentrieren."

„Hm.“

Und endlich.

Kanda begann sich zu regen. Wenn er es auch zögerlich tat, er drehte sich und erleichtert verfolgte Lavi, wie er sich sinken ließ und sich niederlegte. Schließlich schien er sich dem doch zu öffnen und aufmerksam rückte Lavi um ein Stück zurück. Er befürchtete, dass es Kanda die Entspannung und die Konzentration kosten würde, wenn er ihm zu nahe war und wirklich, mit einem knappen Blick schätzte Kanda die Distanz ein, schien sie für gut zu befinden und zog sich das Band aus dem Haar, um den Hinterkopf ablegen zu können.

„Okay.“ Kurz überblickte Lavi seine Notizen, suchte die richtige Stelle. „Ich sage dir jetzt, was zu tun ist. Versuch dich danach zu richten. Ich denke, diese Übung wird dir wirklich helfen.“

„Hm.“ Es klang nicht so recht überzeugt, doch Lavi wusste schon zu schätzen, dass sich Kanda überhaupt hingelegt hatte. Er befeuchtete die Lippen flüchtig mit der Zunge, senkte die Stimme zu einem Flüstern und auch, als er Kanda bat, die Augen zu schließen, tat es dieser. Er blinzelte mehrmals, Lavi konnte sehen, dass er tief Luft holte, doch kurz darauf lag er wirklich vor ihm. Wie erbeten, bettete er die Arme neben seinem Körper auf der Matte, streckte die Beine von sich. Angenehme Stille umgab sie, als sie sich nun dieser Übung hingaben.

„Versuch an nichts zu denken“, erhob Lavi leise die Stimme und lauschte in die Lautlosigkeit hinein. Nur leise drang Kandas Atem zu ihm. „Konzentriert dich voll und ganz auf meine Stimme. Blende alles aus, was dich ablenken könnte.“

Eine flüchtige Regung ging durch Kandas Gesicht, bevor es sich wieder entspannte. Konzentriert musterte Lavi ihn.

Er wusste nicht, wie belastend und penetrant die Bilder dessen waren, was ihm zustieß.

Ob er vor seinem geistigen Auge all jenes sah, was geschehen war.

Ob er es wieder spürte, das alte Leid erlebte…

Wenn dies der Fall war, so zeigte er eine Stärke, die an das erinnerte, was er einst war und wieder werden wollte.

Er blieb liegen, ein geräuschvoller Atemzug drang über seine Lippen und zufrieden nickte Lavi in sich hinein.

Er hatte sich alles aufgeschrieben, er hatte sich vorbereitet und dennoch war er nervös. Der Terapeut, mit dem er flüchtig gesprochen hatte, hatte ihm das Buch, welches davon handelte, mit Nachdruck empfohlen und so legte Lavi Vertrauen in das, was er nun vor sich hatte. Es machte nun auch den Eindruck, dass er beginnen konnte und so begann er mit langsamer, ruhiger und leiser Stimme zu lesen.

„Balle langsam die rechte Hand zur Faust… spann dabei die Muskeln der rechten Hand des rechten Unterarmes an.“ Flüchtig blickte er auf und wirklich… Kandas Hand ballte sich zur Faust. „Halte die Spannung für zehn Sekunden und lass dann plötzlich locker.“

Und Kanda fügte sich. Er fügte sich dem, was Lavi vorlas, entspannte den Arm nach der vorgegebenen Zeit und tat anschließend dasselbe auch mit dem anderen. Es war irgendwie eine angenehme Atmosphäre. Es gab nichts… kein Laut. Nicht einmal das Ticken einer Uhr und Lavi baute eine zehnsekündige Pause ein, bevor er sich dem nächsten Schritt zuwandte. Dieser bezog sich auf das Gesicht und aufmerksam verfolgte er, wie Kanda die Stirn runzelte, die Augenbrauen verzog und auch diese Bewegung aufrecht erhielt, um sie nach jenen Sekunden wieder zu lösen. Die Übungen, die Lavi sich herausgesucht hatte, bezogen sich auf den gesamten Körper. Kein Glied würde er vergessen, keine Muskelpartie und entspannt wandte er sich hinterher den Augen zu. Er las es vor und Kanda ließ sich Zeit. Möglicherweise empfand er es als angenehm, dortzuliegen und flüchtig tat er auch nicht viel mehr, als das, bevor er die Lider fest schloss, mir den Augäpfeln rollte und auch diese Muskeln schließlich wieder entspannte. Sie ließen sich Zeit, ließen sich nicht hetzen und gerne schwieg Lavi für weitere Momente, bevor er sich den Notizen zuwandte.

„Drück den Kopf möglichst fest auf den Untergrund“, murmelte er leise und betrachtete sich flüchtig die langen schwarzen Strähnen, die sich über die Matte schlängelten. „Und entspanne die Nackenmuskulatur wieder.“

Eine bequeme Regung ging durch Kandas Körper, als er auch diesen Worte Folge leistete. Mit jedem Körperteil verfuhr Lavi gleich. Er bat um Anspannung und stets auch darum, diese zu halten.

Die Schultern…

Die Arme…

Der Rücken…

Die Beine…

Bequem stemmte Lavi den Ellbogen auf das Knie und das Kinn in die Handfläche. Leise hatte er die Zettel vor sich abgelegt und schenkte Kanda nunmehr keine Aufmerksamkeit mehr. Seine Konzentration legte sich einzig und allein auf das Lesen und auch darauf, die Stimme nicht zu schnell zu erheben, auch nicht zu laut. Mit allen Mitteln wollte er die enstpannte ruhige Atmosphäre aufrecht erhalten. Er verließ sich darauf, dass Kanda seinen Worten folgte und dass es in diesen Augenblicken nichts anderes in seinem Kopf gab. So verging die Zeit und Lavi könnte nicht sagen, wie lange er nun schon neben Kanda saß, als die letzte An- und Entspannung stattfand. Es handelte sich um die Füße. Lavi bat darum, die Zehen dem Schienbein entgegenzustrecken, anschließend auch gen Boden, bevor sich auch die Muskeln der Wade wieder lockern konnten. Fast wurde Lavi selbst ein wenig müde, als er zum nächsten Punkt kam. Er blickte auf, behielt das Kinn in die Hand gestemmt und musterte flüchtig und schweigend Kandas Gesicht. Es wirkte entspannt, nicht mehr so unruhig wie zu Beginn der Übung und ein knappes, unauffälliges Lächeln formte seine Lippen, als er zu den Zetteln zurückblickte.

„Jetzt konzentriere dich auf deinen Atem“, flüsterte er. „Atme aus, atme ein und zähle jedes Mal bis zehn.“

Auch dafür ließ er sich Zeit. Bemerkbar hob sich Kandas Brust, senkte sich auch wieder und Lavi ließ es ihn fünfmal wiederholen, bevor er erneut die Stimme erhob.

„Jetzt öffne die Augen“, meinte er leise und richtete sich auf. „Und streck dich, wenn dir danach ist.“

Kanda schien es damit nicht eilig zu haben. Weitere Momente blieb er still liegen, bis er zu blinzeln begann und seine dunklen Augen wieder zum Vorschein kamen. Er blickte zur Decke des Zimmer auf, sein gesamter Körper begann sich zu regen und er streckte sich wirklich, als wäre er soeben aus dem Tiefschlaf aufgewacht. Er streckte die Arme von sich, krümmte den Rücken und wirkte durchaus zerpflückt, als Lavi ihn letztendlich darum bat, sich aufzurichten. Was ihn anging, er war zufrieden mit sich und ebenso mit dem, was er sah. Kanda rieb sich die Augen, kurz wirkte es, als würde er ein Gähnen unterdrücken und auch die Art und Weise, wie er Lavi daraufhin ansah, erschien etwas trübe… müde.

Lavi lächelte.

„Wie fühlst du dich?“, erkundigte er sich sofort in der alten Tonlage und vorerst drang nur ein Räuspern an seine Ohren.

Es war offensichtlich, dass die Übung nicht am Ziel vorbeigeschrammt war und ebenso, dass es Kanda schwerfiel, dies zuzugeben. Sich einzugestehen, dass etwaiger Argwohn einfach nicht angemessen gewesen war. Schlussendlich starrte er auch lieber an Lavi vorbei. Dieser lächelte erneut, als er den zweiten Zettel hervorzog. Schweigend überblickte er ihn, las sich durch, was er sich aufgeschrieben hatte, doch mit einem Mal machte er den Anschein, selbst nicht mehr ganz so entschlossen zu sein. Eine zweifelnde Regung ging durch sein Gesicht und fast vorsichtig blickte er dann auf und Kanda an.

„Ich…“, hob er an, „… habe noch eine Übung.“

Er räusperte sich, juckte sich flüchtig im Schopf.

„Aber ich verstehe, wenn du diese nicht machen möchtest. Es…“, er suchte nach Worten, „… war auch nur so eine Idee. Meinetwegen können wir die Übung auch später machen, wenn du…“

„Um was geht es denn?“, unterbrach Kanda ihn unerwartet und leise zischte Lavi auf, bevor er das Auge wieder an das Blatt Papier nagelte.

„Es geht um eine Partnerübung“, erwiderte er mit der alten Unsicherheit. „Sie… basiert auf… Berührungen.“

„Was für Berührungen?“ Kanda schien zu seinem alten Argwohn zurückgekehrt zu sein, doch diesmal hatte er jedes Recht dazu. Lavi war sich ja selbst nicht sicher.

„Na ja…“, er druckste herum, „… ich müsste deine Handgelenke berühren… und deinen Rücken…“ Vorsichtig blickte er auf und fühlte sich dennoch nicht ernüchtert, als Kandas Gesicht Bände sprach. Die Tatsache, dass es ihm unangenehm wäre, war deutlich sichtbar.

„Wenn du es nicht willst…“

„Ich will es nicht.“

Eine deutliche Ansage und nickend nahm Lavi das Papier an sich und faltete es wieder zusammen.

„In Ordnung… überspringen wir das.“ Er machte sich nicht viel daraus, gestand sich ein, wie er sich gewundert hätte, wäre Kanda dazu bereit gewesen, ihn an sich heranzulassen. Vermutlich war es wirklich überstürzt… nicht sonderlich gut durchdacht und dennoch war Lavi mit seinem Latein noch nicht am Ende.

„Dann kommen wir zum übernächsten Schritt“, meinte er lächelnd und verstaute das Papier in seiner Hosentasche. Und wieder erinnerte er sich an das, was er gelesen hatte. „Der Körper giert ganz automatisch nach Schlaf, wenn die Kraftreserven allesamt aufgebraucht sind, also tob dich aus und tu etwas, das dich entkräftet, denn auch, wenn du es nicht glaubst, du bist noch nicht erschöpft genug.“

Es mochte seltsam klingen und Kanda runzelte auch sofort die Stirn.

Die Worte richteten sich entgegen dem, was er spürte und dennoch nickte er kurz darauf. Wie er seine Kräfte erschöpfen konnte, das wusste er sofort und gemeinsam kamen sie auf die Beine.
 

Geschickt tauchte Kanda unter einem Ast durch, sprang über ein Hindernis des Waldes und sprintete weiter. Seit nun mehr als einer Stunde joggte er durch den Wald, der die schwarze Festung umgab. Das Haar haftete bereits im Schweiß seiner Stirn, hin und wieder gerieten seine Schritte ein wenig ins Schlingern und dennoch rannte er weiter. Er zog durch das Meer aus Stämme, folgte einem blinden Pfad und nahm es mit einer Steigung auf. Konzentriert achtete er darauf, nicht auszurutschen, setzte über dicke, über den Boden wuchernde Wurzeln hinweg und lief sich keuchend aus. Seine Beine waren bereits wie Gummi, seine Lunge brannte und doch blieb er nur kurz stehen. Er konnte noch, er musste noch weiter und so lief er wieder an, strich durch ein Gebüsch und joggte in dem ihm eigenen Tempo über eine kleine Lichtung. Seine Füße fanden guten Halt auf dem Boden und leicht sanken sie ins Moos des Bodens ein, als er weiterhin durch das Dickicht eilte. Ausdauerübungen wie diese, hatte er sich oft hingegeben. Mehrmals hatte er auch mit Mugen in diesem Wald trainiert und so kannte er jede Stelle. Schwer und dumpf raste das Herz in seiner Brust, als er den Wald verließ und an der Außenmauer des Ordens entlanglief. Er musste die Festung nun schon mehrmals umrundet haben und nach einer weiteren kapitulierte er. Er erreichte einen streng bewachten Hintereingang, lief sich keuchend aus und stemmte sich auf die Knie. Lavi hatte es sich an der Mauer gemütlich gemacht und kam nun zufrieden auf die Beine. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Kanda noch soviele Kräfte innewohnte. Bei weitem eher hatte er ihn hier erwartet und äußerst zufrieden musterte er die zusammengesunkene, erschöpfte Haltung seines Gegenüber. Die letzten Kräfte schienen nun endlich aufgebraucht und dennoch nahm sein Plan damit noch immer nicht sein Ende.
 

Ein herrlicher Geruch zog den beiden entgegen, als sie dann die Speisehalle betraten. Auch das gewohnte Bild erwartete sie. In den frühen Abendstunden hatten sich viele eingefunden, um ihren Hunger zu bekämpfen. Wissenschaftler, Finder… sie alle hatten sich hier eingefunden und unauffällig wurden die beiden von vereinzelten Blicken verfolgt, als sie zum Tresen traten. Es geschah selten, dass Kanda nicht alleine diesen Ort betrat. Stets hatte er es alleine getan und umso irritierender wurde es, dass er Lavi an seiner Seite akzeptierte, zumal im Grunde jeder über Kanda und seine Eigenarten Bescheid wusste. Lächelnd erreichte Lavi die hölzerne Theke, lehnte sich seitlich dagegen.

„Iss einfach das, was dir am meisten schmeckt“, wandte er sich dann an Kanda. „Du musst nicht aufessen aber es ist heute verdammt wichtig, dass du überhaupt etwas in den Magen bekommst.“

In diesem Moment schwang die Tür der Küche auf und galant schwebte Jerry hinaus. Er schien sich bester Laune zu erfreuen und begrüßte die beiden bekannten Gesichter lächelnd.

„Ich wünsche euch einen herrlichen Abend, meine Herren.“ Seufzend stemmte er sich auf den Tresen. „Womit darf ich eure Gemüter beglücken?“

„Ich hätte Appetit auf eine Suppe“, grübelte Lavi laut und das schien gar kein Problem zu sein. Jerry stemmte denn Ellbogen auf den Tisch, das Kinn in die Hand und somit wandte er sich an Kanda. Dieser schien nicht sonderlich angetan von Lavis Worten. Unentschlossen stand er dort und es brauchte seine Weile, bis er sich entschied. Sofort eilte Jerry in die Küche zurück und Lavi und Kanda blieben stehen.

„Was hat richtig essen mit schlafen zu tun?“, erkundigte sich Kanda nach wenigen Momenten bitter und verschränkte die Arme vor dem Bauch.

„Wenig“, gab Lavi zu. „Es ist trotzdem wichtig, damit dir Energie zur Verfügung steht, wenn du wieder aufwachst.“ Er lächelte ihm zu und sofort wandte Kanda das Gesicht ab.

Noch immer gab es keinen Hunger in ihm. Nicht einmal Appetit verspürte er, doch er war bereit, sich auch auf diese Sache einzulassen. Letztendlich blieb ihm keine andere Möglichkeit und dennoch saß er wenige Minuten später unentschlossen vor seiner Nudelsuppe, während Lavi bereits schlürfte und es sich schmecken ließ. Kanda rückte auf der Bank herum, starrte auf die Schale und seine Mimik zeugte von einer gewissen Überwindung, bevor er nach den Stäbchen griff, die Schale zum Mund hob und zu essen begann. Er zwang sich, er überwand etwaige Abneigung und fühlte sich nicht sonderlich wohl, als er die leere Schale nach einer schier unendlichen Zeit sinken ließ. Lavi schlürfte unterdessen schon an seiner zweiten Suppe. Auch Linali hatte sich bei ihnen niedergelassen. So saßen sie friedlich beieinander, doch Kanda und Lavi verabschiedeten sich bald. Das, wofür sie hergekommen waren, hatten sie getan und als sie wieder im Gang standen, wandte sich Lavi sofort an Kanda.

„Ich denke, wir haben heute große Fortschritte gemacht“, meinte er zuversichtlich. „Bitte mach die Entspannungsübung noch einmal, bevor du dir bei Jerry den Baldriantee abholst. Und dann legst du dich hin und versuchst zu schlafen.“

Und Kanda nickte.

Was ihn anbelangte, so, wie er nun dreinblickte, fand Lavi seine Zuversicht begründet. Er konnte sich hier und jetzt von Kanda verabschieden, ohne sich Vorwürfe zu machen. Ganz sicher würde Kanda heute Nacht besser… oder überhaupt schlafen. Der Tag war getan, war voll und ganz ausgeschöpft worden und Lavi kam nicht um ein Lächeln, als er sich verabschiedete und sich auf den Weg machte. Auch er würde sich nun hinlegen. Er wusste nicht, was ihn morgen erwartete, doch es war niemals falsch, sich mit Schlaf zu stärken und so legte er sich nieder, atmete tief durch und schloss die Augen.
 

Es handelte sich diesmal um eine Nacht, die Lavi nicht mit ungesundem Halbschlaf und unendlichen Sorgen hinter sich brachte. Er war völlig entspannt, er fühlte sich wohl… auch ein kleines bisschen stolz und innig streckte er sich, als er am nächsten Morgen in aller Frühe wieder zu sich kam. Bookman lag noch schnarchend im anderen Bett und so schlich sich Lavi leise hinaus. Auf den Fußballen trat er zur Tür, öffnete sie und verließ das Zimmer. Eine Dusche würde ihm nun gut tun und kaum hatte er sich diesen Luxus geleistet, da machte er sich auf den Weg zum Speisesaal. Er war dabei bei bester Laune, pfiff leise vor sich hin und blickte auf, als er den richtigen Gang erreichte. Er hob die Braue, verlangsamte seine Schritte flüchtig, nur, um sie kurz darauf wieder aufzunehmen.

„Yu?“, erhob er die Stimme und sofort hielt dieser inne. Er hatte sich gerade aus dem Speisesaal gestohlen und wandte sich Lavi zu, als ihn dieser erreichte. Der Rotschopf war dabei voller Erwartungen und Kanda sah das alte Grinsen, als er gemustert wurde.

Und Lavi fühlte sich nur bestätigt.

Kanda sah… besser… aus. Nicht mehr ganz so blass, nicht mehr ganz so abgekämpft und die Tatsache, dass er im Speisesaal gewesen war, musste wohl bedeuten, dass er sogar etwas zu sich genommen hatte.

„Wie geht es dir?“, erkundigte sich Lavi dennoch und Kanda schien kurz grübeln zu müssen, bevor er antwortete.

„Es geht“, meinte er nur, doch es war offensichtlich, dass dies untertrieben war. Vermutlich fiel es ihm schwer, zuzugeben, dass Lavi Recht gehabt hatte und seine Ideen Früchte trugen. Aber das passte zu ihm, passte zu seiner Art und tat Lavis Zufriedenheit keinen Abbruch.

„Wollen wir uns in einer Stunde treffen?“, erkundigte sich dieser sogleich. „Es gibt noch eine andere Übung, die ich gerne mit dir machen möchte.“

„Können wir tun.“

Und wieder fühlte sich Lavi bestätigt. Dass Kanda so rasch zustimmte, hatte ebenso etwas zu bedeuten und so betrat er die Speisehalle kurz darauf noch immer mehr als zufrieden. Bei Jerry besorgte er sich ein ausgewogenes Frühstück, suchte sich einen bequemen Platz und ließ es sich schmecken. Er löffelte sein Müsli, strich sich die Brötchen und grübelte bereits über das, was nach dem Essen auf ihn zukam. Bewusst hatte er sich für eine Übung entschieden, die keinen Körperkontakt forderte. Kandas Abneigung dem gegenüber war am gestrigen Tag deutlich geworden und ebenso wenig wollte und konnte er ihn zu etwas zwingen.

Plötzlich meldete sich sein Golem. Lavi spürte die Bewegungen in seiner Hosentasche und kauend zog er ihn hervor. Er war überrascht, hatte nicht damit gerechnet, dass Komui etwas auf dem Herzen hatte und doch wurde er zu ihm bestellt.

„Komm bitte gleich“, waren Komuis letzte Worte und Lavi schluckte, als er einen ernsten Unterton in der Stimme des Älteren wahrnahm. Es schien dringend zu sein und wenn auch unwillig, er ließ sein Essen stehen, erhob sich von der Bank und verließ die Speisehalle. In zügigen Schritten machte er sich auf den Weg, wischte sich noch einen Krümel aus dem Mundwinkel und stopfte den Golem in die Hosentasche zurück. Seine Intuiton sagte ihm, dass es sich nicht um eine Mission handelte. Etwas Seltsames lag in der Luft und spätestens, als er die Wissenschaftsabteilung erreichte, bestätigten sich gewisse Befürchtungen, denn es war Kanda, der ihm entgegenkam und dasselbe Ziel zu verfolgen schien. Lautlos öffnete sich Lavis Mund und vorerst blieben sie vor der Tür stehen. Lavis Stirn legte sich in Falten und selbst Kanda war eine gewisse Unruhe anzusehen. Vermutlich hatte auch er Komuis Ernsthaftigkeit wahrgenommen, doch letztendlich blieb ihnen nichts anderes übrig, als den Rest des Weges zu bewältigen. Sie gingen Seite an Seite, ließen die Wissenschaftsabteilung hinter sich und wurden sofort nähergewinkt, als sie Komuis Büro betraten. Dieser nippte flüchtig an seinem Kaffee, zog sich das Barett vom Kopf und ließ sich hinter seinem Schreibtisch nieder. Verbissen versuchte Lavi in seinem Gesicht zu lesen, als er mit Kanda nähertrat. Dass ausgerechnet sie beide gerufen wurden… es gefiel ihm nicht und so ließ er sich nur stockend und unsicher auf dem Sofa nieder, während sich Kanda nur an die Armlehnte lehnte und die Arme vor dem Bauch verschränkte. Eine unangenehme Still lag im Raum, als sich Komui auf seinem Stuhl zurechtrückte. Er sah seine beiden Gäste vorerst nicht an, rückte an seiner Tasse und erweckte auch dadurch den Anschein, dass etwas nicht stimmte… ebenso, dass es sich um etwas handelte, dass er nur ungern aussprach. Und je mehr Zeit er sich ließ und je länger er zögerte, desto unruhiger wurde Lavi auf dem Sofa. Er rückte vor zur Kante, kreuzte die Beine, doch auch ein Blick zu Kanda brachte keine Abhilfe. Wenn dieser seine Unruhe teilte, so konnte er diese Tatsache beiweitem besser verbergen als Lavi. Dieser spürte, wie trocken seine Lippen waren und eilig befeuchtete er sie mit der Zunge, als Komui aufblickte. Mit ernster Miene sah er von Lavi zu Kanda, atmete tief ein und lehnte sich unter einem leisen Seufzen zurück. Kurz schien er nach den richtigen Worten zu suchen, betastete einen Federhalter und presste die Lippen aufeinander.

„Ich wurde gerade von den Großmarshallen vorgeladen“, hob er dann endlich an und Lavi wurde jäh von noch schlimmeren Befürchtungen heimgesucht. Er schluckte, wollte weitere Worte hören ebenso so sehr wie er sich vor ihnen fürchtete. Komuis Blick lenkte sich nun vorrangig auf Kanda. „Sie haben sich nach dir erkundigt.“

„Wie bitte…?“ Lavi traute seinen Ohren nicht. Von Komui blickte er zu Kanda und zurück, doch sein Vorgesetzter hob die Hand, bat ihn, still zu sein.

„Ich weiß nicht wie, doch es ist zu ihnen gedrungen, dass etwas nicht stimmt.“

Und Kanda schwieg. Mit denselben verschränkten Armen lehnte er dort, während sich Lavi entrüstet den Hals rieb.

„Doch sie wissen Bescheid.“

„Was wissen sie?“, wollte Lavi sofort wissen und kurz sah es danach aus, als wolle Komui wieder nach seinem Kaffee greifen. Doch seine Hand lenkte sich kurzum lieber zurück zum Federhalter. Er hob ihn vom Schreibtisch, bewegte ihn zwischen den Fingern.

„Sie wissen, dass ich Kanda nicht wegen einer Verletzung beurlaubt habe und erkundigten sich nach den wahren Gründen.“ Nachdenklich verfolgte Komui die Bewegungen des Federhalters und wieder konnte Lavi sich nicht zusammenreißen. Er war zu nervös, so voller Befürchtungen.

Würden sie Kanda doch noch holen?

Ihn seiner Obhut entreißen?

Doch Komui wirkte nicht, als hätte er Hiobsbotschaften vor sich.

„Natürlich wissen sie von deinem Sieg über den Noah“, wandte er sich direkt an Kanda. „Dass du dafür meine Befehle missachtest hast, habe ich ihnen verschwiegen, doch natürlich hakten sie nach.“ Komui warf Blicke in alle Richtungen, als vermute er Wanzen in seinem Büro. Argwöhnisch blickte er um sich. „Ich habe ihnen gesagt, dass du wegen Erschöpfungszuständen hierbleibst und natürlich bestanden sie sofort auf eine Untersuchung.“

Lavi konnte kaum noch still sitzen. Während sich Kanda verhielt, als ginge es nicht um ihn, rutschte er auf dem Polster herum und rieb die Hände aneinander. Er traf hier auf alles, was er befürchtet hatte, denn er wusste, dass es bei einer von den Großmarshallen angeordnete Untersuchung niemals bei der Untersuchung an sich blieb. Sie würden nachhaken, sie würden tief graben und am Ende auf jede Wahrheit kommen, die Komui so mutig vor ihnen verborgen hatte. Ihm war danach, etwas zu sagen, doch ein Blick von Komui genügte, dass das Wort in seinem Hals stecken blieb.

„Doch auch dem können wir aus dem Weg gehen, wenn wir uns nach der Alternative richten, die die Großmarshalle uns gelassen haben.“

„Wie sieht diese Alternative aus?“, wollte Lavi sofort wissen, hielt sich jedoch noch von etwaiger Zuversicht fern. Es war gut möglich, dass diese Alternative noch schlimmer war, als die Untersuchung an sich.

Komui atmete tief ein, stieß die Luft geräuschvoll aus und starrte auf seinen Tisch.

„Uns bleibt nur eine einzige Möglichkeit, um die Dinge so zu wenden, wie es gut für uns ist“, meinte er anschließend leise und blickte wieder auf. Er musterte seine beiden Exorzisten nachdenklich. „Und diese Möglichkeit besteht darin, uns nach der Alternative zu richten.“

Lavi war danach, erneut nachzuhaken. Es war nicht zu ertragen, wie Komui sie auf die Folter spannte. Selbst aus Kandas Richtung war eine flüchtige Regung wahrzunehmen.

„Ich…“, hob Komui an, „… muss Kanda wieder einspannen und erwarten, dass er die alten Leistungen erbringt.“

Und sofort stöhnte Lavi auf.

Wie Kanda darauf reagierte, dem schenkte er keine Beachtung. Vielmehr ließ er den Kopf sinken, schüttelte ihn und rieb sich die Stirn.

Kanda war noch nicht fähig, wieder auf Mission zu gehen!

Er wusste es, wollte es jedoch nicht aussprechen, um die stolzen Gefühle seines Kameraden nicht zu verletzen.

„Mir gefällt es auch nicht“, stellte Komui klar und ließ den Federhalter fallen, um sich direkt an den Langhaarigen zu wenden. „Die Entscheidung liegt trotzdem bei dir, Kanda. Entweder du lässt die Untersuchungen und die unendlichen Fragen über dich ergehen oder du gehst wieder auf Mission.“

Lavi wollte seinen Ohren nicht trauen. Natürlich musste Kanda in diesen Momenten innerlich aufjubeln. Ablenkung rief da nach ihm, etliche Wege, sich nicht mehr mit dem Geschehenen auseinanderzusetzen. Letztendlich lief es darauf hinaus, dass ihre gemeinsame Arbeit ins Stocken geriet und Lavi erwartete auch nicht, dass Kanda die alte Offenheit an den Tag legte, nachdem er ein oder zwei Missionen erfolgreich beendet hatte. Es waren einfach Tatsachen für Lavi und ehrlich gesagt, er stand nahe der völligen Verzweiflung, doch Komui war noch nicht fertig.

„Dennoch habe ich noch einen gewissen Einfluss auf all das und das einzige, was mir übrig bleiben würde, wäre, euch gemeinsam auf eine Langzeit-Mission zu schicken.“

„Uns zusammen?“ Sofort wurde Lavi hellhörig, doch Kanda reagierte um einiges schneller, als er.

„Ich akzeptiere“, meldete er sich zu Wort und natürlich war Lavi nicht verblüfft. Er schickte seinem Kameraden einen kritischen, missmutigen Blick und beließ es dabei.

„Die Sache ist trotzdem nicht so einfach, wie sie scheint“, warf er dann ein und an Komui gewandt. „Ich dachte, wir hätten noch ein paar Tage, um in Ruhe miteinander zu arbeiten. Wie sollen wir dazu kommen, wenn wir auf Mission sind?“

Er wollte es nicht.

Diese Möglichkeit gefiel ihm nicht und ebenso wenig wollte er einsehen, dass es keine Alternative gab. Die Großmarshalle hatten diese zwar gestellt und dennoch war es unmöglich, sich danach zu richten. Lavi wusste es. Dass er Kanda lange Zeit nicht wiedersehen würde, wenn man ihn wirklich zu den Untersuchungen bestellte. Selbstverständlich würden die Ärzte herausfinden, dass etwas im Argen lag und es würde lange dauern, bis sie daraufhin von Kanda ablassen würden. Er war verbittert, ehrlich frustriert und das unter anderem auch durch Kandas Reaktion. Der Japaner dachte einfach zu pragmatisch, ohne auf die eigenen Gefühle einzugehen. Daraus formte sich ein riesiger Stolperstein. Am Ende machten sie auf den Ballen kehrt und trieben zurück an einen Punkt, den Lavi schon längst hinter sich glaubte. Sie waren doch schon längst an ihm vorbeigezogen? Lavi fühlte sich zurückgeworfen. Gerade so, als würden seine bisherigen Mühen nicht das Geringste bedeuten.

„Was soll ich machen?“ Komui wirkte so hilflos und auch das machte Lavi Angst. „Wir müssen uns nach den Großmarshallen richten. Ich habe schon genug Lügen erzählt, habe schon genug verschwiegen. So kann es nicht weitergehen.“

Natürlich… er hatte sein Versprechen gegeben, doch all das löste sich in Luft aus, wenn die Befehlsgewalt der Großmarshalle plötzlich eine Rolle spielte. Lavi presste die Lippen zusammen und starrte frustriert zu Boden. Kanda dachte nicht einmal daran, einen Widerspruch zu wagen. Vermutlich ging es darum nicht einmal um ‚wagen‘… vermutlich fehlte wirklich das Interesse an der gemeinsamen Arbeit. Vielleicht wollte er diese Möglichkeit auch nur für eine weitere Flucht nutzen. Mit den Befehlen der Großmarshalle wurde es ihm einfach gemacht.

Lavi fühlte sich boykottiert. Nicht mehr, nicht weniger. Komui entging seine Frustration natürlich nicht.

„Wenn ich euch beide nach einer Langzeitmission beurlaube, fällt das weniger auf“, versuchte er Lavi zu versöhnen. „Macht diese Mission und dann gebe ich euch noch ein bisschen Zeit, ja?“

„Du tust, als könnten wir es uns aussuchen“, murrte Lavi zurück und Komui zuckte mit den Schultern.

„Es hat die Großmarshalle noch nie interessiert, was ihr Exorzisten denkt oder wollt. Weshalb sollten sie jetzt damit anfangen?“

„Ts.“ Kopfschüttelnd starrte Lavi auf seine Hände zurück.

Er wusste es.

Er hatte sich zu beugen und so versuchte er sich von noch mehr Frust loszueisen. Er durfte sich nicht in ihm verlieren. Viel eher benötigte er nun Kraft und Entschlossenheit, denn eine Langzeitmission hatte sich bislang noch nie als heiße Luft entpuppt. Umso ironischer war das, was Komui noch dazu zu sagen hatte.

„Ich habe eine perfekte Mission für euch“, sagte er. „Ich denke, dass es sich um falschen Alarm handelt. Letzten Endes wird es wahrscheinlich nur darauf hinauslaufen, dass ihr euch einschleicht und Informationen sammelt, bis ihr euch sicher seid.“

Seufzend kapitulierte Lavi. Er ließ die Hände sinken, richtete sich Augenrollend auf.

„Um was geht es?“
 

Schweigend verließen sie eine halbe Stunde später Komuis Büro. Sie trugen die schwarzen Missionsmappen bei sich, bewegten sich still nebeneinander und sofort, als sie die Wissenschaftsabteilung hinter sich hatten, wandte sich Lavi an Kanda, bevor dieser verschwinden konnte. Offen wandte er sich ihm zu. Glücklicherweise musste er ihn nicht berühren, um ihn aufzuhalten und seine Aufmerksamkeit zu bekommen. Resigniert sah er ihn an.

„Wirst du jetzt rückfällig?“, erkundigte er sich mürbe und musterte seinen Gegenüber. „Wieder so tun, als wäre nichts gewesen, nachdem wir schon so weit gekommen sind?“

Kanda runzelte die Stirn, wendete die Mappe in die linke Hand und versenkte die andere in der Hosentasche.

„Das, worauf wir uns jetzt zu konzentrieren haben, ist die Mission“, erwiderte er dann und erfüllte somit Lavis Befürchtungen. „Auch, wenn es nach einem Fehlschlag riecht.“

„Und wirst du dich wieder vor mir verkriechen, wenn wir sie hinter uns haben? Wird es das gewesen sein mit deiner Ehrlichkeit?“ Müde blickte Lavi zu Boden und die Stille, die daraufhin über sie hereinbrach, erstaunte ihn wenig. Kanda schwieg, blickte an ihm vorbei und atmete tief durch. Grübeleien waren ihm anzusehen und während sein Gegenüber noch immer zu Boden blickte, fanden seine beinahe schwarzen Augen zu ihm zurück. Er musterte ihn nachdenklich, abwesend bearbeiteten seine Finger die Mappe und flüchtig blickte er sich um, bevor er sich den Mund rieb.

Es war verlockend, das gab er zu.

Dass seine Problematik nicht mehr Thema war, wenn sie zurückkehrten.

Vielleicht schenkte die Mission ihm auch Vergessen und genug Abwechslung, um jenes Erlebnis auf ewig hinter sich zu lassen?

Hoffnungen, die automatisiert in ihm hervorschnellten, doch gleichsam zuckten auch andere Bilder vor seinem geistigen Auge auf.

Jenes Erlebnis auf der Wiese… als er sich öffnete und anschließend keine Reue empfand.

Irgendwie seltsam.

„Nein.“

„Hm?“ Lavi blickte auf, sah, wie Kanda den Kopf schüttelte, ihn ernst ansah.

„Wir werde genau da weitermachen, wo wir aufgehört haben.“

„Ehrenwort?“ Lavi schien nicht überzeugt zu sein und umso erstaunter war er, als er Kanda ihm die Hand reichte. Es wäre ihr erste Berührung seit langem. Die erste Berührung, für die er Mut finden… und die Kanda nicht wehtun würde und auch wenn er zögerte, nach wenigen Momenten griff er zu.
 

*tbc*



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2011-03-12T15:58:11+00:00 12.03.2011 16:58
Das war voll süß dass Kanda sich auf die Übungen eingelöassen hat.Die eine wollte er zwar nicht machen aber das kann man ja verstehen <3
Von: abgemeldet
2011-03-12T15:50:24+00:00 12.03.2011 16:50
Hey! Guten Abend!
Ein neues Kapitel von dir, was für eine Freude, da geht einen doch das Herz auf. Ich muss sagen, es war exzellent wie immer. Schön langsam könntest du selbst ein Therapeut werden für traumatisierte Fälle, da ich finde, dass die Handlungsweisen, welche du Lavi bezüglich Kanda vollziehen lässt, wirklich nachvollziehbar und realistisch sind. Die Entspannungsübungen denke ich, tragen einen großen Teil dazu bei, das Kanda nicht mehr so gehetzt und angespannt ist. Lavi bringt es auf den Punkt, als er sagte, dass Kanda immer den Anschein macht auf der Flucht zu sein, abgehetzt und müde.

Ich mochte die Szene sehr als Lavi-kun Yu-chan fragte:

*****
„Yu?“, fragte er leise und beugte sich leicht nach vorn. „Vertraust du
mir?“
*****

und Kanda sich wirklich auf Lavis Übungen einließ. Obwohl ich denke, dass es nicht einfach war für unseren hübschen Japaner so schutzlos vor Lavi zu liegen und sich ganz auf ihn einzulassen und seinen Anweisungen zu folgen. Dies zeigt, dass er Lavi-kun wirklich vertraute und sich auch irgendwie sicher bei ihm fühlte, auch wenn er die nächste Übung, welche eine Partnerübung darstellte nicht machen wollte.

Aber ich denke, dies wird auch noch kommen und Yu-chan wird die Berührungen von Lavi-kun zulassen. Er brauch nur Zeit und auch wenn er vielleicht niemals andere Menschen an sich ran lassen wird, Lavi, der ihm seit diesem schicksalhaften und schrecklichen Ereignis zur Seite steht, wird er nicht von sich stoßen.

Hmm, ich frage mich was Kanda wohl gemacht hätte, wenn Lavi die Partnerübung trotzt allen vollzogen und unseren Japaner nicht vor die Wahl gestellt hätte; ich glaube Yu hätte ne Panikattacke sondergleichen bekommen. Ich bin froh, das Lavi Yu selbst entscheiden ließ.

Es war auch schön zu sehen, dass es Kanda wieder ein bisschen besser ging und er auch zugeben musste, dass Lavi und dessen Ratschläge ihm gut taten, dass er sich nun auch auf jemand anderen verlassen konnte und nicht nur auf sich selbst.

Ich war auch ziemlich schockiert, dass die Großmarshalle Kanda jetzt doch einer Untersuchung unterziehen wollten, obwohl ich ja dachte, dass jetzt wieder was passieren würde, was Kanda-kun und Lavi-kun in ihrer Arbeit zurückwerfen würde; Kanda hat gerade solche Fortschritte gemacht. hmm. Obwohl ich ja denke, wenn Yu-chan mit Lavi unterwegs ist, werden die Rückschritte zwar vielleicht stark sein, aber Kanda wird genauso viel Fortschritte machen. Er muss Lavi nur weiter vertrauen und auch wenn eine Mission ansteht, sich selbst dabei nicht vergessen; obwohl wir sprechen hier von Yu o…O der würde glaube ich alles über eine Mission vergessen. Er ist einfach zu Pflichtbewusst und die Ablenkung die er durch die Mission erfahren würde hmm….

Aber was wird passieren wenn Kanda während der Mission einer zunahe kommt; das wäre fatal; Kanda ist einfach nicht bereit sich jetzt wieder in die Arbeit zu stürzen; hmmm; verdammte Obermarshalle, wirklich o…O

Aber ich muss sagen, du schaffst es immer wieder deine Leser durch solche plötzlichen Wendungen in der Handlung zu verblüffen. Wirklich woow, es bleibt interessant. Du hast wirklich ein äußerst ausgeprägtes Talent dafür, in einer Story Action, Gefühle bzw. Emotionen, Drama, Angst und zwischenmenschliche Beziehungen, in dem Fall Freundschaft (vielleicht auch mehr) miteinander zu vermischen und so ein Meisterwerk an Schreibkunst zu kreieren. Wirklich, mich haut die Story echt immer wieder um und es ist eine große Freude sie zu lesen. Ich leide echt mit den beiden Charakteren mit, sei es Yu-chan der mit seinem Missbrauch zu kämpfen hat, oder auch Lavi-kun der irgendwie so verzweifelt versucht unseren sturen, hübschen, fragilen Japaner zu helfen.

Hmm, nun weiter zu der Handlung. Ich muss auch sagen, mir hat auch das Ende dieses Kapitels äußerst gut gefallen. Als Lavi Yuu fragte:


*****
Und wirst du dich wieder vor mir verkriechen, wenn wir sie hinter uns haben?
Wird es das gewesen sein mit deiner Ehrlichkeit?“ Müde blickte Lavi zu Boden
und die Stille, die daraufhin über sie hereinbrach, erstaunte ihn wenig.
*****

und Yu-chan antwortete:

****
„Wir werde genau da weitermachen, wo wir aufgehört haben.“
„Ehrenwort?“ Lavi schien nicht überzeugt zu sein und umso erstaunter war
er, als er Kanda ihm die Hand reichte. Es wäre ihr erste Berührung seit
langem. Die erste Berührung, für die er Mut finden… und die Kanda nicht
wehtun würde und auch wenn er zögerte, nach wenigen Momenten griff er zu.
****

Dies war wieder eine solch emotionale Szene, wow und sie war auch so wichtig für Kanda, vor allem da er das erste mal eine klitzekleine Berührung von sich auch initierte, sei es auch nur wie in dem Fall ein Handschlag. Was für ein Vertrauensbeweis und Kandas Worte waren auch von solcher Ehrlichkeit geprägt und von solch einem Vertrauen in Lavi-kun. Hach wirklich schön.

PS: Und wieder Kanda-kun mit offenen Haaren –hach- fangirling *_________* with his long ebony hair he looks really like a girl.. hehe; <3 he is such a beautifuly, lovely charakter...<3



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