There`s always a reason to feel not good enough! von DraySama ================================================================================ Kapitel 2: Wenn der Regen die Erde küsst … ------------------------------------------ Regen, dachte sich Hyde. Niemand kam bei Regen hierher und er wusste, er sollte einen anderen Platz aufsuchen, doch er tat es nicht. Er hatte die Hoffnung, dass Gackt wieder auf den Eifelturm kommen würde und er ihn so wieder treffen konnte. Die Tage vergingen, doch er erschien nicht und allmählich wuchs in dem Engel ein Gefühl heran, welches er bisher nicht kannte. Zu seiner Sorge um den kleinen Dämon gesellte sich Furcht. Was, wenn ihm etwas geschehen war? Was, wenn er irgendwo lag und Hilfe brauchte? Hyde war so sehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, dass er keinen Blick mehr für die Menschen hatte. Sie waren ihm nicht egal, aber dennoch waren sie in diesem Moment vollkommen unwichtig. Langsam und mit hängenden Flügeln beschloss er seine Lieblingskirche aufzusuchen und den betenden Menschen zuzuhören. Es war so, dass Gott die Gebete hören konnte, doch für Engel waren diese niemals bestimmt, wie ein himmlisches Briefgeheimnis, fand Hyde. Dennoch zog es ihn immer wieder zu den Betenden hin und er hörte ihnen oft stundenlang zu. Langsam schritt er durch den Regen, jeder, der ihn ansah, sah in ihm einen jungen Menschen mit weissblondem Haar, einer weissen Strickjacke, die ihm über die Hüfte reichte, und engen Lederhosen. Keiner sah die Flügel, die er so missmutig hängen liess, keiner sah seine wirkliche Herkunft. Manchmal aber gab es Ausnahmen: Kinder, die noch ein reines Herz und ihre Phantasie noch nicht verloren hatten, konnten ihn sehen. Die kleine Kirche auf dem kleinen Hügel hatte es ihm schon immer angetan, auch wenn er als Engel beinahe jedes der von Menschen gebauten „Gotteshäuser“ kannte, war die hier sein absolutes Lieblingsstück. Sie war wunderschön und hatte eine faszinierende Aura, die er beinahe mit den Händen greifen hätte können. Der Ort war voller pulsierender Kraft und half sogar einem müden Engel wieder auf die Beine. Als er eingetreten war, betrachtete er eine Mutter, die auf den hölzernen Bänken Platz gefunden hatte, wie sie ihren Rosenkranz zwischen den Fingern drehte. Genau erkannte er, dass sie Zweifel im Herzen trug und schon lange keine Worte mehr an seinen Herren gerichtet hatte. So setzte er sich zu ihr, legte die Hand auf ihre Schulter und gab ihr den fehlenden Mut, sodass sie leise anfing zu betten. Sie beklagte sich nicht, sondern bat um Hilfe. Hyde wurde es schwer um sein Herz, die Frau hatte einen kranken Sohn, der gegenwärtig im Krankenhaus lag. Sein Blick fiel auf ein Mädchen, das nicht älter als fünf Jahre alt war, ein kleiner aber reiner Geist, der ihn verwundert aber nicht angstvoll anblickte. Er erhob sich und führte das Kind von seiner Mutter weg, damit diese nicht gestört wurde bei ihrem innigen Gebet. „Kommst du, um Mami zu helfen?“ Wieder einmal war Hyde bestürzt, denn er konnte eine Entscheidung Gottes nicht in Frage stellen. Manchmal mussten Menschen sterben, auch wenn er es nicht verstand. Wieder musste er ein Kind enttäuschen, indem er einfach nur schweigend da stand, mit sich selbst rang und keine Worte fand. Wie sehr wünschte er sich, dass er reden konnte, dem Kleinen Trost und Frieden schenken konnte. Doch er wusste, er versagte immer wieder. So kniete er sich vor dem kleinen Mädchen hin und blickte sie an. „Du musst für deine Mami da sein, wenn dein Bruder es nicht sein kann. Ich weiss, du verstehst meine Worte nicht, aber bitte denke an sie, wenn es soweit ist. Ich werde tun, was ich kann, liebe kleine Michelle.“ Es war einfach schrecklich mit anzusehen, wie das kleine Mädchen mit den goldenen Locken ihn nun beinahe wütend anblickte. „Warum kommst du dann her? Wenn du so oder so nicht helfen willst?!“, war ihre berechtigte Frage. Hyde wollte doch helfen, wollte Leid mindern und Freude schenken. Doch es stand nicht in seiner Macht. Er war da, um sie zu … ja, um was? Konnte er das wirklich Schützen nennen? Von all den Menschen, die wirklich Hilfe brauchten, konnte er nur einen kleinen Teil beschützen, den Teil, der nicht leiden sollte. Doch all die anderen, warum hatten sie es verdient? Warum hatte sein Herr sie für solch eine Qual auserkoren? War das das kosmische Gleichgewicht, welches er nicht verstehen würde? Das wurde ihm immer wieder gesagt, so komplex sein Engelsverstand auch war, er konnte nicht alles verstehen, was in dem Universum vor sich ging, er war immer noch viel zu primitiv. „Du musst verstehen, dass es ganz viele Dinge gibt, die du nicht verstehen kannst. Genau so, wie für mich, auch ich weiss nicht alles.“ Er strich ihr über das Haar. „Geh jetzt zu deiner Mami, sie macht sich sonst Sorgen, ja?“ „Ich wollte dir nicht wehtun, lieber Engel“, meinte sie bestürzt und rannte dann den Mittelgang der Kirche entlang. Deutlich konnte Hyde hören, wie ihre Mutter sie ermahnte nicht an solch einem Ort zu rennen und er hätte beinahe gelacht. Gott hörte alle Gebete, das stimmte. Doch es war ihm egal, wo sie gesprochen wurden. Er war nie in einer Kirche und er interessierte sich nicht für sie. Hyde wusste, dass er sich manchmal fragte, warum immer an einem Menschensonntag so viele Leute zu ihm sprachen. Doch der Blonde wusste, weshalb. Sonntags waren die Messen, die Gottesdienste. Und alle glaubten, sie würden fromm und gut sein, wenn sie hingingen und für alle sichtbar beteten. Doch wozu? Man könnte genauso gut in einem Wald beten, während dem Duschen, dem Kochen, ja sogar während dem Arbeiten. Für seinen Herrn würde es keinen Unterschied machen. Aber er wusste auch, dass ihm ein Mensch solche Dinge nicht glauben würde. Der Himmel war einfach zu unglaublich für die normalen Menschen. Er konnte niemandem darüber berichten, denn keiner würde ihm glauben. In früherer Zeit wäre er wahrscheinlich gesteinigt worden, heute würde er nur verlacht werden von den Gläubigen und ermutigt von denen, die sich von Gott abgewandt hatten. Wieder etwas, was er nicht verstand. Viele Menschen sagten, sie glaubten nicht an Gott. Doch wenn eine schwere Not kam oder sie alleine waren, dann sprachen sie zu ihm und baten ihn um Hilfe. Und sein Herr hatte ihm gesagt, dass er alle Menschen liebte, selbst dann, wenn sie ihn aus ihrem Herzen verbannt hätten. Wollte er oder konnte er solche Dinge nicht verstehen? Langsam schritt er durch den Tag, der so dunkel und einsam war. Keiner der Menschen wagte sich bei solch einem Wetter nach draussen. Sie kuschelten sich lieber in ihre warmen Betten oder in die Arme von den Menschen, die sie liebten. Doch er würde niemals diese Liebe erfahren, von der er schon so viel gehört hatte. Seine Liebe gehörte Gott allein. Er wanderte über den Friedhof, kniete sich manchmal an einem Grab hin, um den Blumen noch einmal neues Leben zu schenken, damit sie erneut erblühten. Manche der Grabsteine waren verwittert, die Menschen schon längst vergessen. Kaum ein Angehöriger machte sich die Mühe, öfter als alle paar Monate herzukommen, um ein Grab zu besuchen, es zu pflegen oder gar neue Blumen zu bringen. Dann wurde es die Aufgabe der Engel, der Toten zu gedenken. Er war da, wo die Menschen es aufgegeben hatten, ihre Aufgaben gegenüber den Toten wahrzunehmen. Als er den Friedhof wieder verliess, klärte der Himmel wieder auf und die Sonne liess sogar sich kurz blicken. Er hob ihr sein Gesicht entgegen und fühlte die Liebe, die ihn erfüllte. Bald würde er wieder nach Hause dürfen, würde empfangen von seinesgleichen. Wesen, die wie er waren und dasselbe fühlen konnten wie er selbst. Oder war dies alles nur eine Lüge? Er erinnerte sich an seinen Bruder, der vor seinem Fall gesagt hatte, dass der Himmel genauso ein sündiger Platz sei wie die Unterwelt auch. Doch konnte ein Ort, an dem es nur Güte und die Liebe zu Gott gab, wirklich von Sünde regiert werden? War Gott wirklich so nachsichtig mit seinen Engeln, die geblieben waren? Hyde seufzte leise und setzte sich auf eine Bank. Er beobachtete die Menschen, die nun an ihm vorbeihasteten, die nach Hause wollten, bevor es wieder anfing zu regnen. Nur manchmal erhaschten sie einen Blick auf ihn, kurz wie ein Blitz, der den nachtschwarzen Himmel erleuchtete. Ja, wenn sie in Gedanken waren und der Verstand ausgeschaltet hatten, konnten manchmal auch erwachsene Menschen einen Engel sehen. Doch immer, wenn sie genauer hinblickten, war er verschwunden, denn mit Verstand konnte man kein Himmelswesen erblicken, dazu benötigte es viel Glauben und noch viel mehr Herz. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)