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La nouvelle vie de Lady Oscar et sa famille

-ehemals Verdrehte Welten-
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War es nur ein Traum?

Serie: Lady Oscar - Die Rosen von Versailles

Autor: She-Ra

Genre: Romantik

Disclaimer: Die Serie, wie die einzelnen Charas gehören Riyoko Ikeda
 

“Oscar? Kind, wo steckst du schon wieder?”, hallte es durch die große Eingangshalle des Jarjayes Anwesens.

“Ich bin hier, Großmutter”, antwortete ein knapp 13 jähriges blondes Mädchen, welches aus Richtung des Angestelltentraktes angelaufen kam und sich dabei ihre Schürze festband. Etwas außer Atem stoppte sie in der großen Küche und ein paar ihrer hinten zusammen gebundenen Haare, fielen ihr störrisch ins Gesicht.

“Oscar! Du hast schon wieder verschlafen! Wenn dir das noch häufiger passiert, verlierst du und auch ich meine Anstellung!”

Schuldbewusst senkte Oscar ihren Blick und nestelte dabei verlegen an ihrem einfachen Kleid herum.

“Es tut mir wirklich Leid, Großmutter. Ich will Euch keine Schande bereiten. Bitte glaubt mir dies. Ich will Gewissenhaft und Folgsam sein, damit Ihr stolz auf mich sein könnt.”

Oscars Großmutter konnte, allein schon bei dem Anblick ihrer Enkelin, nicht mehr böse auf sie sein. Erst Recht nicht, als sie sie so reumütig vor sich stehen sah.

“Oscar?”, kam es nun eine ganze Spur sanfter von ihr.

“Ja, Großmutter?”, erwiderte Oscar fragend und hob dabei langsam ihren Blick.

Wenn Sophie ihre Enkelin genau ansah, konnte sie deutlich die Ähnlichkeit zwischen ihr und ihrem Vater erkennen.

“Ich bin stolz auf dich und ich weiß, dass unsere Herrschaften mit dir zufrieden sind. Du bist ein so fleißiges und vor allem tapferes Mädchen.”

Oscars Augen begannen vor Freude zu glänzen und sie umarmte ihre Großmutter stürmisch.

“Ich hab Euch lieb.”

“Ich hab dich auch lieb, mein Kind.”

Sanft strich Sophie ihrer Enkelin durch die blonden Locken. Sie war wirklich stolz auf Oscar, dass sie sich so tapfer verhielt, seit dem Tode ihrer Eltern vor knapp einem halben Jahr. Seitdem war ihre Enkelin in ihrer Obhut.

Oscar war immer ihr Sonnenschein gewesen, vor allem da sie das einzige Kind ihres Sohnes war, der sich selber immer einen Stammhalter gewünscht, aber nie bekommen hatte. Daher hatte ihre Enkelin auch den Namen Oscar erhalten. Das war aber auch das einzige. Oscars Mutter, wie aber auch Sophie hatten dafür Sorge getragen, dass das Mädchen wirklich als Mädchen groß wurde und auch eine dementsprechende Erziehung erhielt. Und Oscar lernte rasch und versuchte immer jedem und allem gerecht zu werden. Dies hatte sich auch nicht geändert, seit sie im Dienste der Familie de Jarjayes stand. Den einzigen Wehrmutstropfen den Sophie verspürte, war der, dass Oscar keine Freunde hatte. Die Töchter des Hauses waren schon alle längst vermählt und hatten ihre eigenen Haushalte. Nur noch das jüngste Kind, der gut behütete Stammhalter, lebte noch auf dem großen Anwesen.

André war ein Jahr älter als Oscar und als er erfuhr, dass jemand mit dem Namen Oscar auf das Anwesen kommen würde, freute er sich mehr den je. Den er hoffte, dass es sich um einen neuen Kameraden für ihn und seinen Freund Victor de Girodel handeln würde. So war die Enttäuschung umso größer, als seine Amme ihre Enkelin vorstellte. Seine Reaktion darauf war, dass er, wie auch Victor, sie immer wieder hänselten und ärgerten. Lange hielt Oscar dies durch und versuchte über die Stichelein hinweg zusehen. Aber irgendwann war ihr der Kragen geplatzt und sie hatte sich gewehrt. Dabei war ihr Sturrkopf zu Tage gekommen. Aber als ihr bewusst geworden war, was sie getan hatte, war sie in großer Sorge, dass es Konsequenzen mit sich tragen würde. Nicht nur für sie, sondern auch für ihre innig geliebte Großmutter. Und diese Erkenntnis ließ sofort Oscars Herz schwer werden. Aber nichts geschah, das ließ sie noch mehr überraschen. Ihr Handeln blieb für sie und Sophie ohne irgendwelche Konsequenzen. André war überrascht gewesen, aber ihm gefiel Oscars Art und so wurde es fast zu einem ‘Spiel’ zwischen ihnen. Mit der Zeit war sie seine Kameradin geworden, auch wenn sein Vater dies nicht gerne sah, da sie einfach nicht seinem Stand entsprach. So stellten die beiden es immer geschickter an, sodass es niemandem auffiel. Immer wieder beschützte André sogar Oscar. Auch an dem Abend, als sie eine sehr teure Flasche Wein zu ihren Herrschaften bringen musste. Deutlich sah er, wie sie stolperte und die wertvolle Flasche auf dem Boden zerbarst. Als er auf sie zuging, hörte er, wie die Tür vom Salon aufgestoßen wurde und sein Vater heraustrat. Als dieser erkannte, was geschehen war, veränderte sich seine Mine schlagartig und er trat dicht zu ihr. Dabei holte er mit seinem Arm aus.

"Du, dummes ungeschicktes Ding..."

In dem Moment stand André zwischen Oscar und ihm.

“Bitte, Vater. Es war meine Schuld. Ich hatte es eilig und habe Oscar nicht mehr ausweichen können. Wegen mir ist die Flasche zu Bruch gegangen!”, sprach er mit ruhiger und fester Stimme.

Sein Vater sah ihn ernst und prüfend an.

“Sprichst du auch die Wahrheit, mein Sohn?”, erwiderte er nachforschend.

André hasste Lügen und es war auch nicht seine Art, aber in diesem Moment befand er diese Notlüge, als den richtigen Weg.

“Ja, Vater”, kam es mit festem Blick und Ton von ihm.

“Die Bestrafung dafür, muss mir gelten.”

Der strenge Blick des Generals blieb. Er schien geradezu seinen Sohn zu durchleuchten.

“Wenn das so ist, wie du es schildertest, mein Sohn, kommst du gleich in mein Arbeitszimmer und erhältst deine Strafe.”

“Ja, Vater” , antwortete André, ohne den Blick zu lösen.

Sein Vater nickte und ging anschließend in sein Arbeitszimmer.

André sah ihm hinterher. Erst als er hörte, wie die Tür ins Schloss fiel, drehte er sich um.

Oscar hatte das ganze Geschehen schweigend, aber auch etwas überrascht beobachtet. Auch als André sich zu ihr kniete und begann die Scherben schweigend aufzulesen, änderte sich nichts an ihrem Blick. Es dauerte einen Moment, bevor Oscar ihre Sprache wiederfand.

“Warum hast du das getan, André?”, sprach sie leise.

Ohne seine Arbeit zu unterbrechen, antwortete er: “Ich tu nur das, was ich selber verschuldet habe.”

“Aber...”

“Kein aber, Oscar”, unterbrach er sie und sah sie nun direkt und unvermittelt an.

Sein sanftes Lächeln und der klare Blick seiner Augen, ließen Oscars Herz aus dem Takt geraten. Sie verspürte, wie ein neues wohliges Gefühl sich in ihr auszubreiten begann. So konnte sie nicht anders und erwiderte sein Lächeln. Es war wie ein stummes ‘Danke’.

Um ihn nicht länger anzustarren, erhob sie sich rasch.

“Ich werden einen Lappen holen, um den Boden zu säubern.”

André nickte nur und war bereits wieder dabei, die Scherben weiter aufzuheben. Oscar war, ohne seine Reaktion abzuwarten, bereits auf dem Weg in die Küche.

//Wie er mich angesehen hat... er... er hat so wunderschöne Augen... mein Herz... es schlägt so schnell, allein wenn ich nur an ihn denke...//, kam es ihr in Gedanken.

Und das waren nicht die einzigen. Immer mehr schossen ihr in den Kopf. Und diese rissen auch am späten Abend nicht ab. Alles kreiste sich nur noch um André.

Je später es wurde, desto mehr Dinge kamen ihr noch in den Sinn. Oft waren es die Worte ihrer Mutter, wenn sie z.B. über die Liebe zu ihrem Vater sprach. Und je mehr Oscar darüber nachdachte, desto klarer wurde sie.

//Ja, ich liebe ihn!//

Dieser Gedanke wurde zu einem ständigen Begleiter Oscars. Auch als sie älter wurden, änderte sich nichts daran. Oscars Gefühle wurden immer stärker zu ihm, aber sie hielt sie tief in ihrem Herzen verborgen. Auch an Tagen, wo der General große Bälle in seinem Haus veranstaltete und Oscar mit ansehen musste, wie André mit einer jungen Adeligen nach der anderen tanzte. Dies ließ Oscar jedesmal schwer ums Herz werden und ihr wurde dabei immer wieder deutlich vor Auge geführt, dass eine Liebe zwischen ihr und André niemals eine Chance haben würde. Dieser Standesunterschied war eine riesige Kluft zwischen ihnen. Zudem war ihr vollkommen bewusst, dass der General niemals im Leben einer Bindung zwischen den beiden zustimmen würde. Aber dennoch hielt sie an ihrer Liebe zu André fest. Er war zu ihrem Lebensmittelpunkt geworden.

Wenn es ihr möglich war, hielt sie sich in seiner Nähe auf.

Auch dem heutigen Abend war sie da gewesen. Es hatte wieder ein rauschendes Fest statt gefunden. Nun, wo alle Gäste sich verabschiedet hatten, war Oscar im Ballsaal gerade dabei, das Geschirr zusammen zutragen. Ihr war es den ganzen Tag schon nicht gut gegangen. Immer wieder war sie von einem starken Schwindel erfüllt gewesen. Genau wie in diesem Moment, als André den Saal betrat und mit ansehen musste, wie Oscar sich an den kleinen Beistelltisch krallte und langsam zu Boden glitt. Sofort eilte er zu ihr und fing sie auf.

“Oscar? Was hast du, Oscar?”

Seine Stimme war äußerst besorgt, als er sie vorsichtig auf den Boden legte. Aber davon bekam Oscar fast nichts mehr mit. Seine Stimme, die ihren Namen rief, hörte sie wie durch Watte. Dann war es auf einmal dunkel um sie herum und eine gnädige Ohnmacht hatte sie eingeholt.

Erst durch etwas kaltes und nasses auf ihrer Stirn und einem sanften aber bestimmten Rütteln ihrer Schultern, kehrte sie langsam wieder zurück in die Realität.

“Oscar? Bitte, Oscar. Mach deine Augen wieder auf”, hörte sie eine wohl vertraute Stimme über sich.

Langsam hob sie ihre Lider und sah André direkt in die Augen, wo sie deutlich eine starke Besorgnis feststellen konnte.

“An... André?", sprach sie fast tonlos.

“Oscar? Ja, Oscar. Ich bin es. Wie geht es dir? Hast du Schmerzen?”, überschüttete er sie sofort mit Fragen.

“Nein, mir ist nur etwas schwindelig und ich habe leichte Kopfschmerzen.”

Kurz schloss sie abermals ihre Augen und hielt sich dabei den Kopf. Dann versuchte sie sich langsam mit seiner Hilfe aufzurichten. Dabei sah sie auf einmal etwas Goldenes an ihrem Unterarm aufblitzen. Kurz musste sie blinzeln, bis Oscar erkannte, dass es sich um ihren verzierten Uniformärmel handelte.

“Was ist geschehen?”, fragte sie nun André.

“Dein Pferd hat gescheut und hat dich abgeworfen. Erinnerst du dich nicht mehr daran?”

Vorsichtig stützte André sie noch immer. Auch sein besorgter Blick war nicht gewichen. Leicht schüttelte Oscar ihren Kopf.

“Bist du dir ganz sicher, dass es dir wirklich gut geht? Soll ich nicht lieber Hilfe holen?”

André war dabei sie loszulassen und sich zu erheben, aber Oscar griff rasch nach seinem Handgelenk und hielt ihn fest. Dabei nickte sie leicht.

“Mir geht es soweit wirklich gut, André. Bitte glaube mir. Lass uns lieber nach Hause reiten. Dort werde ich mich etwas ausruhen. Dann wird es mir gewiss rasch besser gehen.”

Mit diesen Worten erhob sie sich und ging vorsichtig auf ihren Schimmel zu, der sie bereits abwartend ansah. André beobachtete dabei genauestens jeden ihrer Schritte. Bei der kleinsten Unachtsamkeit würde er reagieren. Aber scheinbar schien er sich nun zu täuschen, als er sah wie Oscar sicher auf ihr Pferd stieg und zu ihm herüber sah. Dabei fiel ihm jedoch auf, dass sie ihn auf einmal anlächelte. Nicht, wie sie es hin und wieder einmal tat, nein, es war anders. Aber dies konnte er sich nicht erklären. Und Oscar danach zu befragen, wäre ein sinnloses Unterfangen geworden, dass wusste er genau. So schwang er sich ebenfalls auf den Rücken seines Pferdes und gemeinsam mit Oscar ritt er nach Hause.

Während des schweigsamen Heimrittes, sah er immer wieder zu Oscar, die scheinbar ihren Gedanken nachhing. Als sie später auf dem Anwesen ankamen, hatte Oscar ihn noch einmal angelächelt, sich dann verabschiedet und war anschließend im Haus verschwunden. André blieb verwirrt zurück. Was war nur mit seiner Oscar los? War der Sturz doch schlimmer gewesen? Er nahm sich vor, Oscar in den nächsten Tagen genauer zu beobachten und im schlimmsten Fall einzuschreiten.

Oscar war direkt in ihr Zimmer gegangen und dieses verließ sie erst, als es draußen bereits dunkel und im Hause ruhig geworden war. Nun stand sie an der oberen Brüstung und sah in die große Empfangshalle hinab.

//Es war alles so real... Ich könnte schwören, dass es dies war...//

Kurz fuhr sie sich durch ihre Locken und schüttelte dann ihren Kopf.

//Ergeht es André so, wie ich es erlebt habe? Fühlt er vielleicht genauso, wie ich es tat? Hat er mich schon immer so angesehen wie vorhin? Es war mehr als nur Besorgnis in seinen Augen zu erkennen. Etwas sanftes und zärtliches war darin zu sehen. Es berührte mein Herz. Ich fühlte mich irgendwie... geborgen... Kann ich bei ihm das sein, was ich eigentlich bin?//

Viele Gedanken und Fragen gingen ihr durch den Kopf. Sie verglich ihr momentanes Leben mit André, mit dem was sie vor wenigen Stunden scheinbar zu erleben geglaubt hatte. Immer mehr Parallelen taten sich ihr dabei auf. Und je länger sie nachdachte, desto stärker begann ihr Herz hinter ihrer Brust zu schlagen.

//Ich muss mit André reden. Ich muss es einfach. Ohne diese Klarheit kann es nicht weitergehen.//

Wie zu ihrer eigenen Bestätigung, nickte sie leicht und zog sich anschließend in ihr Gemach zurück. Dort legte sie sich in ihr Bett und sah von dort aus ihrem Fenster hinaus.

Der klare Vollmond schien herein und ein paar Sterne funkelten. Kurz sah Oscar noch zu diesen, dann schloss sie ihre Augen und mit einem sanften Lächeln und ihren letzten Gedanken an André, schlief sie ein.

//Ja, ich liebe ihn!//

Der Ausritt zum See

Oscar erwachte wie gewohnt am nächsten Morgen, als die ersten Sonnenstrahlen ihre Nasenspitze kitzelten. Langsam öffnete sie ihre Lider. Anschließend richtete sie sich auf und sah zum Fenster hinaus. Jedoch galt ihr erster Gedanke mehr André, als dem verlockenden Sonnenschein, der einen wunderschönen Tag zu verheißen schien. In dem Moment, als sie das tat, schlug ihr Herz schneller. So sah die junge Frau an sich herunter und legte ihre zierliche Hand auf die Stelle, wo ihr Herz kräftig gegen ihre Brust schlug.

//Ja, es schlägt nur für ihn. Ich muss herausfinden, wie er empfindet. Was sein Blick bedeutet, mit dem er mich gestern bedacht hatte. War es wirklich nur Sorge, oder stand mehr dahinter?//

Mit diesen Gedanken in sich, schwang sie ihre Beine aus dem Bett und begann sich in Ruhe anzukleiden und für den bevorstehenden Tag vorzubereiten. Dabei war sie froh, dass sie sich für ein paar Tage frei genommen hatte und somit etwas Zeit mit André verbringen konnte bzw. um herauszufinden, was er für sie empfand.

Auf einer Seite war sie immer direkt und kein Freund von langen Worten, aber irgendetwas hielt sie hierbei nun davon ab. Es war Unsicherheit, die sie eigentlich kaum an sich kannte. Als sie ihre Bluse schloss, erwachte ein neuer Gedanke in ihr.

//Kenn ich André wirklich? Wir haben immer alles geteilt, aber nie haben wir über Gefühle gesprochen. Mein Leben lang hat er mich begleitet. Aber nun? Wir haben nie Geheimnisse voreinander gehabt. Ich habe ihm immer blind vertraut und ich konnte mich immer auf ihn verlassen. Wird es dann auch weiterhin so bleiben?//

Oscar war sich auf einmal gar nicht mehr ganz sicher, ob sie André wirklich direkt darauf ansprechen sollte. Eigentlich entsprach es ihrer Art und Weise, direkt auf den Punkt zukommen und nicht um den heißen Brei zu reden. Jedoch war die Unsicherheit im Moment einfach zu groß, was Oscar durcheinander brachte. Daher beschloss sie vorerst, alles beim Alten zu belassen und erst mal auf Distanz das Ganze zu beobachten und den richten Moment abzupassen.
 

Etwas später betrat Oscar den Salon, in dem bereits das Frühstück auf sie wartete. Ihr Vater saß bereits an seinem Platz, genauso wie ihre Mutter.

„Guten Morgen, Mutter. Guten Morgen, Vater“, begrüßte sie ihre Eltern höflich, wie sie es immer tat.

Anschließend ließ sie sich auf ihrem Stuhl nieder. Ihre Eltern hatte ihren Gruß erwidert und so begannen sie in Ruhe das Frühstück zu sich zunehmen. Die nicht unangenehme Stille wurde nur hin und wieder von General de Jarjayes Fragen unterbrochen.

„Oscar?“

„Ja, Vater?“

„Ich hoffe, doch das du deine freien Tage sinnvoll für dein Training nutzen wirst?“

„Aber gewiss doch, Vater.“

Oscar wusste, dass es eigentlich nur eine Routinefrage ihres Vaters war. Zudem war diesem vollkommen bewusst, dass sein jüngstes Kind niemals ein Faulpelz gewesen war und daher niemals jegliche Chance auf ihre eigenen möglichen Fortschritte verschenkt hätte. Dennoch fragte er immer wieder, wenn auch in unregelmäßigen Abständen, danach.

Mit ihrer Antwort, war er somit, wie immer, zufrieden. Daher verlief das Frühstück in Ruhe zu Ende. Als alle sich erhoben, verabschiedete Oscar sich von ihren Eltern und machte sich auf den Weg zu den Stallungen. Sie hoffte dort André zu finden, was auch der Fall war. Er war gerade dabei den letzten Stall auszumisten. Langsam trat Oscar auf ihn zu, jedoch bevor sie ihn direkt begrüßen konnte, ertönte ein Wiehern aus einer der Boxen. Es war ihr Schimmel, der sie freudig begrüßte. Dies ließ André aufsehen.

„Oh, guten Morgen, Oscar“, begrüßte er sie in seiner freundlichen Art, wobei er ihr noch ein Lächeln schenkte, wie er es immer tat.

„Guten Morgen, André“, erwiderte sie, genauso wie sein Lächeln.

„Wollen wir gleich ausreiten?“

„Das ist eine gute Idee, Oscar. Ich werde gleich die Pferde satteln. Bitte habe noch einen Moment Geduld.“

„In Ordnung, André“, sprach Oscar und trat dabei an die Box ihres Pferdes.

Sanft strich sie ihm über die Nüstern, aber ihr Blick fiel immer wieder in Richtung Andrés. Zuerst bemerkte dieser davon nichts, erst beim Satteln schien er ihren Blick zwischen seinen Schulterblättern zu spüren. Für einen Moment sah er zu ihr, wobei er feststellte, dass sie scheinbar weiterhin ihr Pferd streichelte. Leicht wanderte daher seine Braue kurz nach oben. Dann kümmerte er sich weiter um seinen Braunen.

„Was ist mit dir los, Oscar?“, fragte er sie nach kurzem Schweigen.

„Nichts. Sollte etwas mit mir sein?“, erwiderte sie normal wie immer.

„Nun ich frage, wegen deinem Sturz gestern.“

„Mir geht es wirklich gut. Glaub mir, André.“

Mit diesen Worten drehte sie sich in seine Richtung und sah ihn somit direkt an.

„Die Kopfschmerzen sind fort und ich verspüre auch sonst keinerlei Schmerzen.“

André musterte sie genau, aber ohne dadurch aufdringlich zu erscheinen. Dann nickte er leicht.

„Das freut mich zuhören“, kam es von, wobei er sein Pferd aus der Box führte und festband.

Anschließend trat er an Oscar vorbei, um ihr Pferd zu satteln. Dabei beobachtete sie ihn abermals genau. Keine seiner geschmeidigen und fließenden Bewegungen entging ihr. Da es bereits recht warm war und André daher seine Ärmel hochgekrempelt hatte, konnte sie ebenfalls das Muskelspiel seiner Unterarme betrachten. Dabei fragte sie sich innerlich, wie es sich wohl anfühlen mochte, wenn man von diesen starken männlichen Armen zärtlich umschlossen wurde. Oder wie es wäre, wenn sie sich somit an seiner Brust wieder finden würde. Dass ihr Blick bei diesen Gedanken für einen Moment verträumt wurde, bemerkte Oscar nicht. Nur André entging es nicht. Er wollte ihr die Zügel ihres Pferdes reichen, jedoch erfolgte keine Reaktion ihrerseits.

„Oscar?“, fragte er sie ruhig.

Aber er erhielt keine Antwort. So änderte sich sein Blick leicht.

„Oscar? Bist du sicher, dass es dir wirklich gut geht?“

Mit diesen Worten trat er dichter zu ihr und legte dabei seine Hand auf ihre Schulter. So bemerkte er, wie ihre Lider für einen Moment flatterten und ihr Blick wieder vollkommen normal und beinah ihren typischen kühlen Ton bekam.

„Ja, André?“

„Geht es dir gut? Du warst scheinbar etwas weggetreten.“

Sein Blick blieb weiterhin besorgt und Oscar konnte diesem nur schwer standhalten. Jedoch kam ihre Erziehung durch, so schüttelte sie ihren Kopf und griff anschließend nach den Zügeln ihres Pferdes.

„Ich war nur etwas in Gedanken. Aber lass uns nun aufbrechen. Oder willst du diesen schönen Tag im Stall verbringen?“

Mit diesen Worten führte sie ihr Pferd an ihm vorbei, ohne André noch einmal anzusehen. Etwas überrascht und dennoch besorgt sah er ihr kurz hinterher, dann schüttelte er seinen Kopf, band sein Pferd los und folgte ihr.

„Natürlich nicht. Aber sag, Oscar, wo wollen wir hin?“

Mit diesen Worten blieb er neben ihr stehen und schwang sich anschließend auf den Rücken seines Braunen. Oscar beobachtete ihn dabei von ihrem Pferd aus.

„Ich habe mir gedacht, dass wir zu unserem See reiten.“

„Das ist eine gute Idee. Wir sind lange nicht mehr dort gewesen.“

Oscar nickte und trieb ihren Schimmel an, sodass dieser erst in einen leichten Trab und anschließend in einen zügigen Galopp fiel. André lächelte und folgte ihr dabei. Es war ein ruhiges Tempo, welches Oscar eingeschlagen hatte. Sie genoss es, den Wind in ihren Haaren zu spüren und die Landschaft an sich vorbei ziehen zu sehen. Für einen Moment schloss sie daher ihre Augen und ließ sich fast treiben. So bemerkte, sie fast zu spät, wie ihr Pferd, durch ihre eigene Unachtsamkeit, ins Straucheln geriet. Sofort öffnete Oscar ihre Augen und versuchte ihr Pferd zu beruhigen. André hatte das ganze nur zum Teil verfolgen können, da er hinter ihr ritt. Nun jedoch holte er zu ihr auf.

„Alles in Ordnung, Oscar?“

„Ja, mir geht es gut. Ich war nur einen Moment unachtsam“, erwiderte sie ehrlich und setzte sich dabei wieder gerade in den Sattel.

„Bist du dir sicher?“

„Ja, das bin ich. Und nun komm“, kam es prompt eine spur energischer.

Im selben Moment tat es ihr leid, so hatte sie nicht zu ihm sprechen wollen. Daher biss sie sich für einen Augenblick auf die Unterlippe. Jedoch eine wirkliche Entschuldigung kam nicht. André nahm ihr auch ihre Worte nicht krumm, so kannte er seine Oscar und machte sich vorerst keine weiteren Gedanken.

Der weitere Ritt verlief schweigend. Oscar konzentrierte sich auf ihr Pferd und versuchte somit ihren Gedanken nicht mehr so einen freien Lauf zu lassen. Dabei registrierte sie nicht, dass André immer wieder zu ihr sah.

Bald erschien der See vor ihnen. Die Sonne ließ die Wasseroberfläche glitzern. Es war fast windstill, so lang er vollkommen ruhig vor ihnen. Am Ufer parierte sie durch und ließ diesen Anblick auf sich wirken. Es war beinah wie ein Traum. André hatte ebenfalls den See auf sich wirken lassen, anschließend war er abgestiegen und zu ihr getreten.

„Es so unendlich friedlich.“

„Das ist es wirklich. Es ist wie in einem Märchen.“

„Da stimme ich dir zu, Oscar. Aber sag, willst du nicht absteigen? Oder möchtest du gleich weiter?“

Abwartend sah er zu ihr hoch. So merkte er, wie ihr Kopf sich in seine Richtung drehte und kurz darauf ihre Locken nur so flogen, als sie ihren Kopf schüttelte.

„Nein, ich habe nur den Anblick genossen.“

Mit diesen Worten stieg sie von ihrem Schimmel herunter und ließ diesen an das seichte Ufer treten. Für einen Moment blieb Oscar noch stehen und sah zu den beiden Pferden, die etwas weiter in den See wateten. Dann drehte sie sich um und trat langsam auf einen der nahen Bäume zu. Dort ließ sie sich nieder und lehnte sich dort an den Stamm. André folgte ihr und ließ sich ebenfalls nieder. Jedoch zog er es vor, sich auf seinem Rücken auszustrecken und die Arme hinter seinem Kopf zu verschränken. Aus dieser Haltung heraus beobachtete er die wenigen vorbeiziehenden Wolken.

„Es ist viele Jahr her, als wir das letzte Mal hier waren. Erinnerst du dich noch daran?“

Oscar bewegte ihren Kopf fast gar nicht, aber dennoch konnte sie André deutlich sehen.

„Ja, ich erinnere mich. Mein Vater wollte damals, dass du mich davon überzeugst, die Uniform anzuziehen. Wir haben uns hier damals geschlagen.“

André nickte bei ihren Worten. Er konnte sich noch genau daran erinnern, als wäre es erst vor ein paar Tagen geschehen.

Wieder entstand Stille zwischen den beiden. Nur das Zwitschern der Vögel und das Rauschen der Blätter waren zu hören.

„Bereust du es manchmal?“, sprach er eine Weile später sie an.

Dabei drehte er nun seinen Kopf in ihre Richtung und sah, wie Oscar scheinbar nachdenklich zum See schaute. Deutlich konnte er sehen, wie ihr Haar sich leicht im Wind bewegte. Es hatte den Eindruck auf ihn, dass sie auf einmal verletzlich, so zerbrechlich auf ihn wirkte und nicht wie sonst so unnahbar.

//Sie ist wie ein Engel. Aber etwas scheint sie zu bewegen. Auch wenn sie es versucht zu verbergen, ich spüre es deutlich. Warum redest du nicht mit mir, Oscar? Habe ich dir etwas getan?//

Oscar unterbrach seinen Gedankengang, in dem sie seine Frage beantwortete. Jedoch sah sie ihn dabei nicht an. Genauso wenig, wie sie ihre Haltung veränderte.

„Ich bin meinem Vater dankbar für die Dinge, die ich lernen durfte. Keine andere Frau wird jemals so etwas erfahren“, antwortete sie scheinbar vollkommen ruhig.

André nickte leicht und richtete sich dann etwas auf. Auch sein Blick fiel auf den See.

„Aber ist das wirklich alles, was du brauchst? Versteh mich bitte nicht falsch, aber wie du selber sagst, bist du eine Frau und bist du dir sicher, dass das wirklich alles für dich ist? Vermisst du nichts?“

„Ob es wirklich alles ist, kann ich dir nicht beantworten. Es gibt gewiss viele Dinge, die ich nicht kenne. Und nein, ich versteh dich schon nicht falsch. Aber was sollte ich vermissen? Ich bin nun einmal so erzogen worden und darüber bin ich froh. Wir hätten uns sonst niemals kennen gelernt und wären daher niemals Freunde geworden. Zudem wäre ich schon lange nicht mehr hier. Ich hätte das Schicksal meiner Schwestern teilen müssen und wäre verheiratet worden. Das stimmt mich froh, dass ich diesem Zwang nicht erliegen musste", erwiderte Oscar schon fast sachlich.

Auch wenn sie sich selber teils schon Lügen strafen musste. Oscar vermisste etwas. Es war Liebe, Zuneigung und Geborgenheit. Sie wünschte sich einmal fallen lassen zu können, um die Frau zu sein, die sie wirklich war. Jedoch konnte sie nicht über ihren eigenen Schatten springen und dies André mitteilen. In ihr machte sich eine Angst breit, die sie in so einer Weise, noch nie verspürt hatte. Solange sie nicht wusste, wie André wirklich zu ihr stand, konnte sie sich ihm nicht in der Weise offenbaren, wie sie es sich ersehnte.

Während sie sprach, beobachtete André sie von der Seite. Er entdeckte etwas in ihren Augen, was scheinbar eine Mischung aus Melancholie, Stolz aber auch Trauer zu sein schien. Dennoch konnte er sich daraus keinen wirklichen Reim machen. Auch wenn er wusste, wie er mit Oscar umgehen musste in gewissen Situationen, war er nun ratlos. Er konnte froh sein, dass Oscar in diesem Moment soviel von sich preisgab. Normalerweise verschloss sie sich eher wie eine Auster und es war kein rankommen an sie. Diese momentane Entwicklung ließ seine Besorgtheit um Oscar nur größer werden. Es schien wirklich etwas in ihr vorzugehen, dass war ihm klar. Jedoch würde er niemals nachfragen, weil er ihre Reaktion darauf kannte. Zu tief waren seine eigenen Gefühle für Oscar. Sie konnte sagen und tun was sie wollte, er steckte es ein. Aber wenn es ihr nicht gut ging, blutete sein Herz. Er konnte jedoch im Moment nicht im Geringsten erahnen, was wirklich in Oscar vorging. Wie zerrissen sie war und nicht schlüssig in dem, was sie nun tun sollte.

„Ja, unsere Freundschaft ist wirklich etwas Besonderes. Wir haben zusammen sehr viel erlebt.“

Oscar entging nicht, wie er das Wort ’Freundschaft’ betonte, aber sie wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte. Darin hatte sie keine Erfahrung. Daher zog sie es vor, sich so zu verhalten, als hätte sie diese Betonung nicht mitbekommen. Daher nickte sie nur kurz.

„Genau, André. Es sind viele schöne Erinnerungen.“

Wirklich ergiebig war das Gespräch, was Oscar und André führten nicht. Es war für Außenstehende, die die beiden nicht genauer kannte, kein Unterschied zu bemerken. Jedoch sie selber spürten, dass etwas zwischen ihnen stand. André wollte Oscar nicht in die Ecke drängen, um es zu erfahren und sie traute sich einfach nicht, durch ihre eigene Unsicherheit, die sich immer weiter in ihr ausbreitete.

Daher verliefen die Stunden bis es Zeit wurde, dass die beiden zurück reiten mussten. Wieder herrschte dieses Schweigen zwischen ihnen, aber keiner von beiden sprang über seinen eigenen Schatten.
 

Beim Anwesen angekommen, verabschiedeten sie sich von einander und Oscar zog sich kurz darauf in ihr Gemach zurück. Dort ließ sie sich auf ihr Bett fallen und ihre Augen begannen fast zeitgleich an feucht zu schimmern.

//Warum kann ich mich ihm nicht anvertrauen? Warum kann ich es ihm nicht sagen, was ich fühle? Liegt es wirklich so sehr an meiner Erziehung? Aber wenn das wirklich der Fall ist, warum kann ich es nicht ändern? Wie ich es sonst kann?//

Oscar drehte sich auf die Seite und Tränen liefen stumm über ihre Wangen. So schlief sie auch eine ganze Weile später ein.
 

Andrés Gedanken waren die ganze Zeit bei Oscar, auch als erst später mit einer Tasse Tee zu ihr ging. Als sie auf sein Klopfen und auch auf seine Worte nicht reagierte, trat er ein. In ihrem Gemach sah er sich um und stellte das Tablett mit dem Tee auf einen kleinen Beistelltisch.

„Oscar?“, fragte er vorsichtig in die Stille des Raumes.

Aber erhielt keine Antwort. So trat er langsam weiter ohne sie zu finden.

„Oscar?“, verließ es wieder seine Lippen.

Dabei erreichte er den Durchgang zu ihrem Bett. Dort konnte er ihren Schatten sehen. Sie lag mit dem Rücken zu ihr. Er verweilte für einen Moment auf seiner Position, doch dann nahm er seinen Mut zusammen und schritt zu ihr. Dabei umrundete er das Bett. Der bleiche Mond ließ sein Licht in ihr Zimmer und direkt auf ihr Gesicht fallen. Daher sah er die langsam trocknende Tränenspuren in ihrem Gesicht. Es ließ sein Herz zusammen ziehen. Daher kniete er sich zu ihr und strich ihr, wie ein Hauch über die Wange.

//Was bewegt dich nur, Oscar? Warum hast du geweint?//

Er spürte, wie Oscar sich scheinbar gegen seine Hand drückte. Aus Reflex zog er seine Hand zurück, aus Angst Oscar geweckt zu haben. Aber dies war nicht der Fall. Leise seufzte André und deckte dann Oscar zu. Wieder bedachte er sie mit einem besorgtem Gesichtsausdruck. Schweren Herzens zog er sich aus ihrem Zimmer zurück. Rasch brachte er das Tablett zurück in die Küche. Seine Großmutter war überrascht, jedoch erklärte er ihr, dass Oscar bereits schlafen würde. Sophie schaute etwas erstaunt, aber fragte nicht weiter nach. So verabschiedete André sich von ihr, nachdem er ihr eine gute Nacht gewünscht hatte. Dann ging er in sein Zimmer. Mit den Gedanken an Oscar und die Sorge um sie, ließ ihn kurz darauf einschlafen.

Tränen im Regen

Am nächsten Tag ritt Oscar wie immer nach Versailles, um ihren Dienst zu versehen. Und André begleitete sie, wie er es immer tat, wenn er keine Pflichten im Hause de Jarjayes zu erfüllen hatte. Es war ein wunderschöner Morgen und die Sonne schickte ihre Strahlen über das blühende Land. Aber dafür hatte Oscar, ebenso wie André, kein Auge. Sie hingen ihren Gedanken und Problemen nach, jedoch ohne das dem anderen gegenüber zu erklären. Daher verlief der Ritt schweigend, wie schon am Tage zuvor.

In Versailles wurden sie bereits von Graf Victor Clemont de Girodel erwartet. Lächelnd sah er seiner Oscar entgegen. André hingegen schien er nicht zu beachten.

//Da ist sie ja, mein Engel. Sie ist so wunderschön und rein. Das göttliche Abbild eines Engels, den Gott zu Erden sandte. Obwohl sie ihre Uniform trägt, gibt es keine schönere Frau für mich. Mein Herz schlägt ganz allein nur für sie. Für diese atemberaubende und reine Person. Noch nie hat mein Herz so etwas verspürt. Ich merkte es erst mit der Zeit. Mein Körper und mein Geist verzehren sich nach ihr. Es ist schon soweit, dass wenn wir uns nach Dienstschluss verabschieden, mein Innerstes nach ihr schreit und schon den neuen Tag herbei sehnt. Gewiss könnte ich ihren Vater um ihre Hand bitten und er würde sie mir geben, aber würde sie es akzeptieren? Gewiss würde ich sie mehr, als auf Händen tragen. Jedoch wäre sie wirklich glücklich? Könnte sie sich in die Rolle als die Frau an meiner Seite wirklich einfügen? Sie, die die Freiheit so sehr liebt? Niemals würde ich sie zu etwas zwingen, was sie nicht wünscht, auch wenn alle anderen darüber reden würden… Ich würde es ganz allein nur für sie tun. Ich würde ihr die Welt zu Füßen legen.//

Girodel strich sich sein Haar etwas zurück und versuchte den Anflug von düsteren Gedanken zu verdrängen.

//Wenn sie schon nicht die meine sein kann, werde ich dennoch an ihrer Seite sein, wie ein Schatten. Sie vor allen Gefahren beschützen!//

„Guten Morgen, Lady Oscar“, begrüßte er sie höflich.

„Girodel, guten Morgen“, erwiderte die junge Frau.

André nickte ihm kurz zu. An sich hatte er nichts gegen den Grafen, jedoch sah er schon seit einer ganzen Weile etwas in seinen Augen aufleuchten, wenn dieser Oscar sah und das gefiel André ganz und gar nicht. Dies ließ dunkele Eifersucht in seinem Herzen schüren. Ihm war vollkommen bewusst, dass es nicht in seiner Macht lag, etwas dagegen zu unternehmen. Girodel war von Adel, er könnte alles was er wollte Oscar bieten und er dürfte sie zur Frau nehmen, ohne dass jemand dagegen Einspruch erheben würde.

In solchen Momenten verfluchte André die alte Ordnung und er wünschte sich nichts Sehnlicheres als Oscar offen seine Gefühle gestehen zu können, ohne das es Konsequenzen mit sich führen würde. So behielt André Girodel, den er als stärksten Konkurrenten hielt, immer im Auge, auch wenn dies nicht immer ein leichtes Unterfangen war. Daher konnte er nur aus der Ferne über sie Wachen. Aber dies tat er immer mit Argusaugen.

Nach der Begrüßung nahm er ihnen die Pferde ab. Etwas später folgte er ihnen ins nächste Gebäude. Dort blieb er im Hintergrund, während Oscar und Girodel den Tagesplan besprachen. Sorgfältig beobachtete André die beiden. Dabei entging ihm nicht, dass Oscar scheinbar wieder die alte war und sich wie immer verhielt. Dies ließ ihn innerlich aufatmen. Er kannte ihre Einstellung zu Girodel und diese war nur rein freundschaftlich.

Der Tag verlief wie immer ruhig. Oscar ließ die Garde antreten, um sie zu inspizieren. Alles lief, wie es sich vorstellte und daher sprach sie ein paar lobende Worte in Richtung ihrer Männer.

Am Abend trat Girodel wieder direkt zu ihr.

„Lady Oscar, mein Vater ist im Moment wieder hier und ich soll Euch ausrichten, dass er Euch gern bei uns begrüßen würde.“

„Oh, ich hoffe Eurem Vater geht es gut. Nun, dann richtet ihm bitte aus, dass ich seiner Einladung gern folgen werde.“

„Es geht ihm sehr gut“, erwiderte er lächelnd.

„Begleitet mich und Ihr könnt direkt mit ihm Reden.“

Oscar stieg auf ihr Pferd und überlegte dabei. André saß bereits auf seinem Tier und beobachtete die Szene genau.

„Dann werde ich mit Euch kommen, Girodel. Ich habe Euren Vater lange nicht mehr gesehen.“

Mit diesen Worten wand sie sich ab und sah zu ihrem langjährigen Freund.

„Reite du ruhig schon nach Hause, André und richte Sophie bitte aus, dass sie auf mich nicht sehr lange warten muss.“

Während sie sprach, sah sie ihn scheinbar vollkommen normal an.

//Schau bitte nicht so, André. Es ist nur Girodel und eine Einladung. Zudem werde ich nicht lange da sein. Versprochen!//

„In Ordnung, wie du willst, Oscar“, erwiderte André, auch wenn es ihm nicht passte.

Was hätte er auch dagegen sagen können? So wendete er sein Pferd.

„Bis nachher dann.“

Mit diesen Worten verabschiedete er sich und machte sich auf den Heimweg.

Ohne dass André und Victor es bemerkten, sah Oscar ihrem langjährigen Freund für einen Moment hinterher. Dann begleitete sie den Grafen zu dessen elterlichem Anwesen.

Es dauerte etwas, bis sich das altehrwürdige Hauptgebäude vor ihnen erhob und es in all seiner Pracht in der Abendsonne erstrahlte. Oscar war bereits ein paar Mal hier gewesen und daher kannte sie diesen Anblick, der etwas Romantisches hatte. Ihr fiel dies nun besonders auf, aber nicht im Zusammenhang mit dem Grafen, sondern wie sie für einen Moment an André dachte und wie er diese Situation empfinden würde. Jedoch ließ sie sich ihre Gedanken nicht anmerken und lenkte ihr Pferd in Richtung der Stallungen und folgte somit dem Grafen. Gänzlich hatten sie das Nebengebäude noch nicht erreicht, als bereits ein Stallbursche auf sie zu eilte und ihnen die Pferde abnahm, um diese zu versorgen. So stiegen Victor und Oscar ab und reichten dem Burschen die Zügel. Gewohnheitsgemäß nickte sie ihm zu, wobei ihr Gedanken für einen erneuten Augenblick an André verschwanden.

„Lady Oscar?“

Für eine Sekunde blinzelte die Angesprochene, als sie ihren Namen vernahm.

„Ja, Girodel?“

„Fühlt Ihr Euch nicht wohl? Ihr wirkt etwas abwesend auf mich. Zudem war unser Ritt ebenfalls sehr schweigsam verlaufen“, erwiderte Victor mit einem ehrlich besorgtem und direktem Blick auf Oscar.

Kurz lachte diese auf und schüttelte dabei ihren Kopf, wobei ihre goldenen Locken nur so flogen und die rötliche Abendsonne sie glänzen ließen. Das allein diese Bewegung im abendlichen Licht Victors Herz schneller schlagen ließ, erahnte Oscar nicht im Geringsten.

„Ihr seht Gespenster, Girodel. Mir geht es wirklich gut. Aber lasst uns nun lieber hinein gehen.“

Mit funkelnden Augen sah er Oscar an und nickte anschließend leicht. Es fiel ihm nicht leicht, seinen Blick von ihr zu lösen, aber er schaffte es sich innerlich zur Ordnung zu rufen.

„Wie Ihr meint, Lady Oscar“, erwiderte er sanft mit einem charmanten Tonfall.

Oscar entging, wie so oft, wie Victor sie ansah, als sie die prächtige Freitreppe auf die große einladende Eingangstür zuging.

Kaum das sie die letzte Stufe erklommen hatte, öffnete sich bereits die schwere Tür und ein Diener erschien. Sofort erkannte dieser Victor und Oscar und begrüßte sie mit aller Höflichkeit und allem Anstand, wie es die Situation seinerseits erforderte.

Da das Abendmahl noch nicht angerichtet war, ging Victor mit seinem Gast in den Salon. Dort ließ er einen der besten Weine des Hauses servieren, was Oscar mit einem Kopfschütteln quittierte.

„Das muss doch nicht sein, Girodel.“

„Und ob, Lady Oscar. Lasst mir bitte diese Freude. Ihr habt mich sehr lange nicht mehr auf dieses Anwesen begleitet…“

//und vor allem, weil Ihr einfach alles erstrahlen lasst, allein durch Eure Schönheit und Eurer Anmut//, beendete er seinen Satz in Gedanken, ohne das Oscar es wirklich registrierte.

Daher nickte sie ihm nur mit einem leichten Lächeln zu.

„Nun, wenn Ihr dies so sehen wollt, Girodel.“

Dabei begannen sie den vorzüglichen Wein zu trinken.

Es dauerte nicht lange, als das allgemeine Gespräch, welches sie angefangen hatten, auf die Arbeit mit der Garde umschwang. Oscar schilderte in vollkommen sachlichen Ton, so wie es schon immer ihre Art gewesen war, wie die nächsten Tage ablaufen sollten. Solche Unterhaltungen waren für sie nichts Ungewöhnliches, zudem war Girodel ihr Stellvertreter. Worüber hätte sie sonst auch mit dem Grafen reden sollen? Die 'Gemeinsamkeiten’, die beide teilten, war die königliche Garde, Reiten und Fechten. Aber darüber zerbrach sich Oscar nicht ihren Kopf. Ihre Gedanken wanderten immer wieder zu André. Sie fragte sich, was er wohl gerade im Moment tun würde. Die Stallarbeit war gewiss bereits erledigt. Vielleicht war André bei seiner Großmutter Sophie und unterhielt sich mit ihr oder er erledigte noch die eine oder andere Aufgabe. Sie hatte ihn noch nie einfach nur herumsitzen und nichts tun sehen. Gern wäre sie nun bei ihm, aber ihre Erziehung und der Anstand verbot es ihr, nun einfach aufzubrechen und somit die Einladung zum Diner unhöflich auszuschlagen.

Victor konnte kaum seinen Blick von ihr lösen, während sie über unzählige Dienstpläne, bevorstehenden Übungen und Aufgaben, etc. sprachen. Diese Gespräche führten sich auch während des gemeinsamen Essens weiter, wo sich auch Victors Vater hinzugesellte. Er freute sich Oscar mal wieder zusehen und rasch hatte er sie ebenfalls in weitere militärische Gespräche verwickelt. Gern hätte Victor das Thema gewechselt und sich somit über andere angenehmere Themen zu unterhalten. Jedoch kannte er Oscar soweit gut genug, dass diese auf private Dinge niemals eingehen würde, zudem hinderte ihn auch die Anwesenheit seines eigenen Vaters daran. Daher genoss er einfach jede Minute, die er mit ihr verbringen konnte. Und er war fast untröstlich, als Oscar sich verabschieden wollte. Zudem hoffte er, dass der längst eingesetzte Regen, sie zum Bleiben überreden würde. Jedoch blieb dies ohne jeglichen Erfolg. Er konnte nicht ahnen, dass Oscar André innerlich versprochen hatte, zurück zureiten. So geleitete er sie zur Tür, nachdem sich sein Vater von ihr verabschiedet hatte. Ohne es wirklich zu realisieren, sah er sie mit einem traurigen Blick an, als er ihr eine gute Nacht und einen sicheren Heimweg wünschte.

„Bis morgen, Girodel“, waren Oscars letzte Worte, als sie auf dem Rücken ihres Schimmels den Heimweg antrat.

Kurz wank sie ihm noch zu, als sie das Anwesen verließ. Das Victor ihr noch nachsah, auch als sie längst nicht mehr zu sehen war und der Regenvorhang sie geradezu verschluckt zu haben schien, erahnte sie nicht. Und auch wenn sie es bemerkt hätte, wäre es ihr egal gewesen. Ihre Gedanken waren längst wieder bei André. Sie war sich mehr als bewusst, dass ihr Herz und ihre Seele ihm gehörten und dies auf immer und ewig.

Je näher Oscar ihrem Elternhaus kam, desto mehr schien der Regen zu zunehmen. Auch zuckten bereits die ersten Blitze am nächtlichen Himmel und in der Ferne war ein zunehmendes Donnern zu vernehmen. Oscars Schimmel begann immer nervöser mit den zierlichen Ohren zu spielen und sein Schweif schlug unbändig hin und her. Oscar behielt, auch wenn es immer schwerer wurde, die Kontrolle über ihr nervöses Tier. Daher konnte sie nicht verhindern, wie der Regen und der ansteigenden Wind ihre immer mehr durchnässten Haarsträhnen ins Gesicht trieben. Genauso wie der Regen ihre Uniform vollkommen durchweichte und sie mehr als deutlich spürte, wie das Wasser ihren Rücken hinab lief. So erreichte sie etwas später total durchnässt ihr elterliches Anwesen. Da Oscar annahm, dass niemand mehr im Stall war, ritt sie direkt auf das Nebengebäude zu. Dort stieg sie ab und spürte nun deutlich, wie sehr ihre Oberarme schmerzten, durch das ständige Nachzügeln, um ihr Tier unter Kontrolle zu behalten. Rasch führte sie ihren Schimmel an seinem Platz und begann anschließend den Satteln zu lösen, dabei merkte sie, dass ihre Arme fast so schwer wie Blei waren. Jedoch wurde sie aus den ansteigenden Gedanken gerissen, als sie eine vertraute Stimme vernahm.

„Oscar? Wieso bist du bei diesem Wetter nicht bei Graf de Girodel geblieben?“, kam es scheinbar vollkommen gefühllos.

//Was hat er nur?//, fragte sich Oscar, als sie ihr nasses Haar nach hinten strich und dabei einen Schritt zurück trat, als André ihr Pferd abzusatteln und zu versorgen begann.

Oscar versuchte ihn dabei nicht zu aufmerksam zu beobachten. Jedoch entging ihr keine seiner schmeidigen Bewegungen.

„Ich habe dir doch gesagt, dass ich heute noch nach Hause komme“, versuchte sie ihm zu erklären.

Dabei legte sie ihre Arme um ihren zierlichen Körper, der vor Nässe und Kälte immer stärker anfing zu zittern. Es fehlte nur noch, dass ihre Zähne anfingen zu klappern. André sah das ganze nicht, sein Blick war fest auf Oscars Pferd gerichtet.

„Es wäre besser gewesen, wenn du nicht durch den Regen geritten wärest. Dann hoffe ich mal, dass du dich nicht erkältet hast. Geh lieber hinein und zieh dich um. Ich versorge dein Pferd schon“, erwiderte er fast kühl.

André waren Girodels Blicke nie entgangen und auch wenn er Oscar kannte, hatte er dennoch ein ungutes Gefühl. So war sein Ton sichtlich gewählt, dass er jedoch damit sie mehr als traf, erahnte er nicht. Oscar war aber mehr als getroffen, als sie seine fast abweisenden Worte vernahm. Es versetzte ihr einen Stich ins Herz. So senkte sie ihren Kopf, als sie spürte, wie Tränen sich in ihre Augen brannten.

Mehr als ein leises: „Ich danke dir, André. Und ich wünsche dir eine gute Nacht“, brachte sie nicht mehr hervor.

Dann machte sie auf ihrem Absatz kehrt und verließ zügigen Schrittes den Stall. Draußen empfing sie wieder der Regen, der noch weiter zugenommen hatte. Genauso wie das Gewitter, welches nun seine vollständige Kraft zeigte. Wirklich registrieren tat Oscar dies nicht, genauso wenig wie der Regen sich mit ihren Tränen vermischte, als sie auf das Elternhaus zulief. Auch wenn André ihre Tränen nicht gesehen hatte, war Oscars merkwürdiger Tonfall ihm nicht entgangen. Daher hatte er ihr mehr als überrascht nachgesehen. Für einen Moment sah er auf die Stelle, wo Oscar zum Schluss gestanden hatte, doch dann schüttelte er seinen Kopf.

//Du siehst schon Gespenster. Oscar und weinen? Niemals!//, schollt er sich in Gedanken und beendete anschließend seine Arbeit.

Ein Gespräch unter Frauen

Emilie de Jarjayes kam gerade aus dem Salon, als sie sah, wie ihre Tochter Oscar die Treppe hinauf lief. Besorgt sah sie ihr hinterher. Deutlich spürte sie, dass etwas mit ihrem Kind nicht stimmte. Seit Tagen hatte Emilie schon diesen Eindruck. Aber sie hatte es nicht gewagt, ihre Tochter direkt darauf anzusprechen. Emilie kannte ihr Kind und wusste, dass Oscar niemals offen über ihre Privatsphäre sprechen würde. Jedoch so aufgelöst, wie ihr Kind nun war, musste etwas geschehen sein. Vielleicht hatte es etwas mit dem Besuch bei Graf de Girodel zu tun. Durch André hatte sie davon erfahren, als er heimkehrte.

Nachdem Emilie hörte, wie Oscars Zimmertür etwas lauter ins Schloss fiel, erwachte ihre Mutter aus ihrer Starre. Kurz überlegte sie, dann führte ihr Weg sie direkt in die Küche, in der sie ein Tablett mit zwei Tassen, einer Kanne heißer Schokolade und einem Teller mit Keksen herrichtete. Mit diesem schritt sich etwas später die Treppe hinauf. Vor Oscars Zimmer blieb sie stehen. Eigentlich war es nicht Emilies Art zu lauschen, jedoch wollte sie sicher gehen, dass ihr Kind auch wirklich da war. Zuerst hörte sie nichts, jedoch als Emilie näher an die Tür heran trat, um anzuklopfen, vernahm sie ein ganz leises Schluchzen. Madame de Jarjayes legte ihre freie Hand auf ihre Brust, wo ihr Herz schlug. Zuletzt hatte sie ihr Kind weinen hören, als sie drei oder vier Jahre alt gewesen war. Damals war Oscar böse gestürzt, aber nach einer Moralpredigt ihres Vaters, hatte sie immer die Zähne tapfer zusammen gebissen.

Emilies sanftes Mutterherz zog sich immer mehr zusammen. Was konnte ihr jüngstes Kind nur haben? Kurz zögerte sie, doch dann nahm sie ihren Mut zusammen und klopfte an. Sofort vernahm sie ein Rascheln und ein leichtes Knarren.

„Ja, bitte?“, kam es von Oscar.

Ihre Mutter hörte deutlich heraus, dass die Stimme ihrer Tochter nicht so fest klang, wie sonst.

„Ich bin es, Oscar. Darf ich bitte herein kommen?“

„Maman?... Gewiss… natürlich. Tretet doch bitte ein“, erwiderte Oscar leicht hektisch.

Emilie wartete kurz, bevor sie die Tür öffnete und das Zimmer ihrer Tochter betrat. Ruhig schoss sie die Tür hinter sich und trat anschließend auf den Tisch am nahen Fenster zu, auf dem sie das Tablett abstellte.

„Ist etwas geschehen?“, fragte Oscar ihre Mutter.

Diese drehte sich bei diesen Worten um und sah sie an. Deutlich erkannte sie die noch leicht geröteten Augen ihres Kindes. Innerlich ließ es sie seufzen.

„Nein. Mach dir keine Sorgen. Es ist nichts geschehen.“

„Wie kann ich Euch dann helfen?“

Emilie trat an Oscar vorbei und hob deren durchnässte Uniformjacke vom Boden auf, die scheinbar unachtsam ihren Weg dorthin gefunden hatte. Mit dieser in Händen trat zum nächsten Stuhl und hängte sie dort über die Rückenlehne. Während sie über die Schulterverziehrungen strich, um diese etwas zu Glätten, sprach sie weiter.

„Ich wollte nach dir sehen. Du musst ja vollkommen durchnässt sein, mein Kind. Daher wollt ich dir eine kleine Freude machen und habe dir daher etwas zum Aufwärmen mitgebracht.“

Mit diesen Worten ließ Emilie sich am Tisch nieder.

„Komm, setz dich zu mir. Ich habe uns heiße Schokolade gemacht, die wird dir gewiss gut tun.“

„Aber das ist doch nicht nötig, Maman. Und was ist, wenn Vater davon erfährt?“

„Mach mir doch diese Freude, Oscar. Und mach dir vor allem keine Sorgen. Dein Vater ist nicht da. Zudem was sollte er schon sagen? Ist es mir nicht erlaubt, dass ich mich mit meiner eigenen Tochter bei einer heißen Schokolade unterhalte?“

Nun lachte Oscar leicht auf.

„Ihr habt Recht, Maman.“

Mit diesen Worten ließ Oscar sich neben ihr nieder. Diese goss derweil eine Tasse dampfende Schokolade ein und schob diese ihrer Tochter herüber. Dazu reichte sie ihr den Teller mit den Keksen.

„Greif zu, mein Kind. Lass sie dir schmecken.“

Oscar nickte und biss in einen der Kekse. Emilie beobachtete sie dabei und hielt weiterhin ihr Lächeln.

„Sie sind köstlich, Maman“, erwiderte Oscar, als sie nach einem weiteren Keks griff.

„Vielen Dank. Als Kind hast du sie schon gern gegessen.“

Ihre Tochter nickte leicht.

„Ja, das ist wahr. Immer wenn ich Ärger gehabt habe und auf mein Zimmer geschickt wurde, stand immer Teller mit Keksen und eine heiße Schokolade auf dem Tisch. Das seit Ihr gewesen?“

Emilie nickte und erhob sich dabei, um aus einem der Schränke ein Handtuch zu holen.

„Das habe ich immer getan. Dein Vater hat dich immer vereinnahmt, dass ich nur so einen Weg sah, um dir eine kleine Freude zu bereiten.“

Oscar sah auf den Keks in ihrer Hand und schwieg für einen Moment.

„Es hat Euch sehr getroffen, wie Vater mich erzogen hat…“

„Ja und nein.“

„Ja und nein?“

„Du hast mich richtig verstanden, mein Kind. Gewiss hätte ich dich gern in schönen Kleidern gesehen. Jedoch habe ich dich all die Jahre sehr genau beobachten können und dabei ist mir nicht entgangen, wie du dich positiv entwickelt hast. Du bist zu einer hübschen jungen und starken Frau heran gewachsen. Du hast deinen Weg für dich gefunden.“

Emilie war hinter ihre Tochter getreten und hatte angefangen ihr die Haare abzutrocknen. In dieser Zeit schwieg Oscar. Erst Minuten später richtete sie wieder ein Wort an ihrer Mutter.

„Ob es wirklich der Richtige ist?“

„Wie meinst du das, Oscar?“, erwiderte Emilie sanft.

Dabei legte sie das Handtuch zur Seite und begann anschließend Oscars Haar zu bürsten.

„Ich… ich weiß es nicht… Irgendwie bin ich vollkommen durcheinander…“

Emilie nickte leicht und unterbrach dabei ihre Handlung nicht.

„Seit Tagen fühle ich mich so merkwürdig.“

„In wie fern, mein Kind?“

„Ich weiß es nicht, wie ich es beschreiben soll…“

„Hat es etwas mit dem Grafen zu tun?“

„Mit Girodel? Nein, warum sollte das der Fall sein?“

„Ich weiß es nicht, daher frage ich dich, Oscar.“

Normalerweise hätte Oscar spätestens jetzt abgeblockt. Aber in diesem Moment spürte sie, wie das Gespräch und die Nähe ihrer Mutter ihr gut taten. Daher sprach sie weiter, da sie wusste, dass ihre Worte bei Emilie sicher verwahrt waren.

„Nein, wir haben uns über die Garde unterhalten. Da war nichts.“

„Hat es dann etwas mit der Garde zu tun? Gab es vielleicht Ärger?“

„Nein, es läuft alles sehr gut und es gab auch keinen Ärger. Es ist etwas anderes.“

Emilie legte die Bürste zur Seite und ließ sich anschließend neben ihrer Tochter nieder. Dabei ergriff sie Oscars Hand.

„Was ist den dann geschehen?“

Ruhig sah sie ihrem Kind in die Augen. So erfuhr sie von Oscars Sturz und von dem, was Oscar für eine kurze Zeit für Realität gehalten hatte. Immer mehr erzählte Oscar und je weiter das Gespräch verlief, desto häufiger fiel der Name Andrés. Innerlich ließ diese Tatsache Emilie lächeln, doch als sie bemerkte, wie sich in Oscars Augen Tränen sammelten, stand sie auf und nahm sie wortlos in den Arm. Zuerst wehrte Oscar sich dagegen, jedoch Emilie ließ sich davon nicht stören. Daher dauerte es eine ganze Weile bis Oscar sich entspannte. Ihre Mutter strich ihr die ganze Zeit sanft und beruhigend über den Rücken.

„Lass alles raus, mein Kind. Schäme dich nicht deiner Tränen.“

Kaum hatte sie das gesagt, erklang ein gedämpftes Schluchzen. Auch verspürte sie den Griff Oscars an ihrem Kleid, der durch ihr Schluchzen leicht ziehend war. Emilie streichelte ihr durch das blonde Haar und sah sie dabei zärtlich an. Jedoch verließ ihre Lippen kein Wort. Deutlich spürte sie, wie schwer es ihrem Kind fiel, so wollte sie sie nicht bedrängen und ihr somit Zeit geben, die passenden Worte zu finden. Und dies dauerte auch eine Weile bis sie Oscar Stimme vernahm, die durch die vielen Stofflagen ihres Kleides stark gedämpft klang.

„Ich weiß nicht, was ich tun soll, Maman. Ist mein Leben wirklich richtig, so wie ich es führe? Ich… ich bin doch eine Frau… hätte ich da nicht andere Aufgaben?“

„Du weißt, ich würde dich nie zu etwas zwingen, Oscar. Wenn du dich dazu entscheidest ein anderes Leben zu führen, stehe ich hinter dir.“

„Und was ist mit Vater? Er hat soviel Hoffnung und Erwartungen in mich gesetzt und ich will ihn nicht verletzen.“

„Er ist zwar streng, mein Kind. Aber glaubst du wirklich, dass er es will, dass du unglücklich bist?“

„Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht. Ich bin einfach nur durcheinander.“

„Ist es wegen André?“

Das Oscars Augen sich weiteten, konnte Emilie nicht sehen, aber da eine Antwort ausblieb, löste sie sich etwas von ihrem Kind, um sie genauer zu betrachten.

„Es ist wegen ihm, nicht wahr?“

Für einen Augenblick sah Oscar ihre Mutter direkt an, doch dann erhob sie sich und drehte ihr anschließend den Rücken zu. Wieder entstand ein Schweigen. Vollkommen ruhig sah Emilie ihr Kind an und bemerkte das ganz leichtes Nicken.

„Hab keine Angst, mein Kind. Mir ist nicht entgangen, wie du ihn in den letzten Tagen angesehen hast. Genauso wie er dich immer ansieht.“

„Mich? Ich bin doch nur eine Freundin… eine Kameradin für ihn.“

„Was macht dich da so sicher, Oscar? Hat er dies je zu dir gesagt? Oder irgendeine Andeutung gemacht?“

Oscar schüttelte ihren Kopf, dass ihre blonden Locken nur so flogen.

„Nicht direkt. Aber… ich habe versucht mit ihm zu reden, Maman.“

„Hast du das? Und was hat er darauf geäußert?“

„Wie soll ich sagen? Direkt darauf angesprochen habe ich ihn nicht… als ich es wollte, hat mich irgendwie der Mut verlassen und ich konnte es auf einmal nicht mehr. Vielleicht war es Angst, dass ich ihn für immer verliere.“

Emilie trat hinter ihre Tochter und legte ihr die Hand auf die Schulter.

„Das glaube ich nicht, dass dies geschehen wird. Ich kenne euch beide, mein Kind, und André ist wie ein offenes Buch für mich. Er sieht dich schon sehr lange mit einem ganz besonderen Blick an. Nicht wie der eines einfach Freundes. Es ist soviel Gefühl darin enthalten.“

Leicht drehte Oscar ihren Kopf in die Richtung ihrer Mutter, dabei verdeckten ein paar ihrer Haarsträhnen ihr Gesicht.

„Meint Ihr das wirklich, Maman? Mir… mir ist dies noch nie aufgefallen.“

Lächelnd nickte Emilie und strich ihr dabei die widerspenstigen Haarsträhnen zur Seite.

„Es ist die Wahrheit. Nun, vielleicht weil du es nicht sehen konntest. Oder weil André versucht hat, es vor dir zu verbergen, was ihm dann wirklich gelungen ist.“

Oscars Blick wurde nachdenklich.

„Wenn ich mich an unsere gemeinsame Zeit erinnere, war André immer in meiner Nähe und hat auf mich acht gegeben. Warum merke ich es erst jetzt? Wie viel Leid muss er mit sich herum getragen haben, weil ich so blind war…“

„Darüber zerbrich dir nicht den Kopf mein Kind. Er will gewiss nur dein Bestes.“

„Das will ich für ihn doch auch, Maman. Aber… wie soll ich mich ihm gegenüber verhalten? Vorhin…da…“

„Was war denn vorhin?“

Oscar senkte ihren Blick und atmete tief durch, anschließend begann sie die Situation im Stall zu schildern.

„Er wollte dich bestimmt nicht verletzen. Für mich klingt es eher danach, dass er etwas eifersüchtig ist.“

„Eifersüchtig? Aber warum? Es ist doch nichts geschehen.“

„Das mag sein, aber das weiß er nicht. Du gibst sowenig von dir selber preis, dass er es nur vermuten kann. Zudem ist Girodel ein junger, gut aussehender Mann im besten Alter“, kam es ruhig, ohne das Emilie ihrem Kind den Grafen schmackhaft machen wollte.

„Das mag ja alles sein, Maman. Aber er ist wirklich nur ein Freund.“

„Ich glaube dir, mein Kind. Deutlich kann ich in deinen Augen sehen, dass du es ehrlich mit André meinst. Das Beste wäre, wenn du mit ihm sprichst.“

„Wie soll ich das anstellen, Maman? Einfach zu ihm hingehen und es sagen?“

„Nein, das nicht. Ihr habt euch doch immer über alles unterhalten können. Versuch es damit.“

„Könnt Ihr mir nicht helfen?“

„Ich würde es gern, Oscar. Aber dies kann ich dir leider nicht abnehmen. Denke in Ruhe darüber nach und dir werden die passenden Worte einfallen.“

Lächelnd gab Emilie Oscar einen Kuss auf die Stirn.

„Entledige dich bitte deiner restlichen nassen Sachen. Nicht das du mir noch krank wirst.“

„Das werde ich tun, Maman“, erwiderte Oscar mit einem leicht abwesenden Blick.

„In Ordnung. Ich ziehe mich nun zurück. Schlaf gut, mein Kind.“

„Danke. Ihr auch.“

Emilie nickte ihr zu und schritt langsam auf die Zimmertüre zu.

„Maman?“

„Ja, Oscar?“

Ihre Mutter blieb stehen und drehte ihren Kopf in die Richtung ihres Kindes.

„Ich danke, Euch.“

„Das brauchst du nicht. Ich habe es gern getan. Und mach dir keine Sorgen.“

Oscar nickte und lächelte leicht.

„Gute Nacht, Maman.“

„Gute Nacht, mein Kind.“

Sie sah ihrer Mutter hinter her, bis die Tür wieder geschlossen war. Seufzend begann Oscar sich aus den noch feuchten Sachen zu schälen. Die Worte ihrer Mutter kreisten dabei in ihren Gedanken.

//Maman hat Recht. So kann es nicht weitergehen und wenn ihre Worte wirklich wahr sind, dann muss ich mit ihm Reden.//

Seufzend zog sie ihr Nachthemd an und legte sich in ihr Bett. Von dort aus, konnte sie durch das Fenster den Mond sehen, genau wie am Abend zuvor. Lange sah sie diesen an und versuchte sich dabei einige Worte für ein Gespräch mit André zu recht zulegen, dabei schlief sie jedoch ein.

Dass jemand etwas von dem Gespräch zwischen Oscar und Emilie mitbekommen hatte, wusste niemand und zunächst würde dies auch noch ein Geheimnis bleiben.

Sinnlose Verdächtigung

André ahnte nichts von dem Gespräch zwischen Oscar und ihrer Mutter. Er hatte noch etwas Zeit im Stall verbracht und die Pferde beobachtet. Zudem hatte der Regen aufgehört und somit war er trockenen Fußes ins Haus getreten. Kurz war er an der Treppe stehen geblieben und hatte zum oberen Trakt, wo Oscars Zimmer lag, geschaut. Doch nach einem kurzen Seufzen hatte er beschlossen in die Küche zugehen und dort noch eine Kleinigkeit zu essen. Er hoffte nicht auf seine Großmutter zu treffen und scheinbar war ihm das Glück holt. Die große Küche lag verwaist da. Auf dem Herd sah er einen Topf stehen. Mit sicheren Schritten trat auf diesen zu, hob dessen Deckel an und roch an dem Inhalt. Es waren Reste vom Abendessen. Eigentlich könnte er sich davon etwas erwärmen, jedoch war ihm nicht wirklich danach. Daher verschloss er den Topf wieder und ging in eine der Vorratskammern, auf die Sophie immer ein wachsames Auge hatte. Seine Augen wanderten über die gut gefüllten Regale, jedoch fand er nichts, wonach es ihm nur im Geringsten gelüstete. Kurz verließ ein erneutes Seufzen seine Lippen, doch beim Hinaustreten sah er einen Korb mit wunderschönen Äpfeln. Ohne weiter nachzudenken, nahm er sich einen und rieb ihn an seinem Hemd sauber, sodass die roten Wangen des Apfels glänzten. Auf dem Weg zum Küchentisch, biss er genüsslich hinein und etwas Fruchtsaft rann ihm über die Lippen. Kurz strich er mit seiner Zungenspitze darüber und ließ sich dann auf einem Stuhl nieder. Auch wenn er nach außen hin vollkommen ruhig wirkte, sah es in ihm anders aus. Seine Gedanken kreisten. Eigentlich taten sie es jeden Tag, aber heute war es besonders schlimm. Ihm war nicht entgangen, dass sich etwas an Oscar geändert hatte und er konnte sich keinen wirklichen Reim daraus machen. In einem Moment wirkte sie irgendwie verträumt auf ihn und im nächsten Moment war sie wieder vollkommen die Alte. André kannte Oscar wie kein Zweiter, jedoch konnte er einfach nicht verstehen, was im Moment in ihr vorging.

//Ach, Oscar. Was hast du nur?//, kam es ihn in Gedanken.

//Haben meine Ohren mir vorhin einen Scherz mit mir getrieben, als ich glaubte zu hören, dass du weinst?//

André seufzte wieder und schüttelte anschließend seinen Kopf.

//Oscar und weinen? Nein, dass wäre niemals Oscar. Allein wenn ich an den einen oder anderen Sturz von ihrem Pferd denke, da hat sie niemals nur eine Träne verloren. Meist hat sie nur ganz kurz gemurrt und das war alles… Oder hat sie vielleicht Schmerzen? Oder hat es gar mit diesem Grafen zu tun? Gnade Gott, wenn er ihr etwas getan hat!//

Andrés zuerst besorgte Gedankengänge, wurden langsam aber sicher von seiner Eifersucht und seiner aufsteigenden Wut auf Girodel durchwachsen.

//Gewiss hat er etwas mit Oscars Zustand zutun. Anders kann es nicht sein.//

Seine Augen verengten sich und seine Hand ballte sich zu einer Faust. So erstarte er in seiner Haltung, der angebissene Apfel in der einen Hand und seinen Blick auf die gegenüberliegende Wand gerichtet, als könnte er durch diese hindurchsehen. Seine Gedanken rotierten und überschlugen sich. So fand ihn auch Sophie eine knappe halbe Stunde vor. Sie hatte ein Tablett mit einer Teekanne und einem Teeservice dabei, welches scheinbar unbenutzt war.

„Guten Abend, André. Lässt du dich auch einmal hier blicken?“, begrüßte sie ihn und trat an ihm vorbei.

Jedoch als sie keine Antwort erhielt, sah sie zu ihm, nachdem sie das Tablett auf einer der Arbeitsplatten abgestellt hatte. Die alte Dame stemmte die Hände in ihre Hüften und sah ihn prüfend durch ihre Brille hin an.

„Redest du nicht mehr mit mir? Was hast du?“, kam es in einem nicht gerade freundlichem Ton.

Und wieder bekam Sophie keine Antwort. Mehr als deutlich sah man ihr an, dass ihr dies nicht wirklich zusagte. Zielsicher baute sie sich vor ihm auf. Deutlich konnte sie an Andrés Augen sehen, dass er scheinbar durch sie hindurch sah und das fuchste sie sehr. Böse funkelten ihre Augen, als sie wütend ihm eine Kopfnuss verpasste, die es in sich hatte. Sein Kopf ging in der Bewegung mit.

„AUA“, kam als erstes Lebenszeichen von ihm.

Dabei rieb er sich die schmerzende Stelle. Mit großen Augen sah er Sophie an.

„Wofür war das, Großmutter?“

Jedoch bereute er seine Frage eine Sekunde später, nachdem er die nächste Kopfnuss erhalten hatte.

„Du alter Tu – nicht – gut“, grummelte sie ihn an, dabei immer noch die Faust schwingend.

Sofort zog André seinen Kopf ein. Er wusste, dass mit ihr in so einer Situation nicht gut Kirschen essen war.

„Verzeiht, Großmutter. Ich war in Gedanken.“

„Das habe ich gemerkt“, erwiderte die alte Dame.

„Wo bist du so lange gewesen?“

„Im Stall. Ich habe die Tiere versorgt.“

„So lange? Du weißt, dass du auch hier im Haus deine Aufgaben hast.“

André wusste, dass er keine Widerworte geben sollte, wenn er nicht noch mehr Prügel einstecken wollte. Daher senkte er seinen Kopf.

„Tut mir leid. Ich mache es wieder gut.“

Vorsichtig sah er zu seiner Großmutter hoch und hoffte sie mit seinem Blick besänftigen zu können. Aber scheinbar hatte sein aufgesetzter Blick keine Wirkung auf Sophie. Ihr wütender Blick blieb. Kurz schüttelte sie ihren Kopf und begann dann das mitgebrachte Tablett abzuräumen. André beobachtete sie dabei und hielt es vorerst besser zu schweigen. Ihm war jede ihrer geschmeidigen Bewegungen vertraut und es strahlte soviel Ruhe auf ihn aus, dass seine Gedanken etwas in den Hintergrund gerieten. Auch wenn sie oft einen rüden Umgangston ihm gegenüber hatte, liebte er seine Großmutter. Er mochte gar nicht daran denken, dass sie eines Tages nicht mehr bei ihm sein würde.

„Großmutter?“, unterbrach er nach einer Weile die Stille.

„Braucht Ihr mich noch oder kann ich mich zurückziehen?“

Nun war es Sophie, die nicht reagierte. Leicht legte André seinen Kopf schief.

„Großmutter?“, fragte er vorsichtig nach.

Nun konnte er so schnell gar nicht reagieren, wie Sophie um ihre eigene Achse sich drehte und sich abermals vor ihm aufbaute.

„Wie stellst du dir das eigentlich vor?“, fing sie an zu wettern.

„Was hast du mit Lady Oscar gemacht? Sie ist vollkommen aufgelöst!“

Andrés Augen weiteten sich bei den Worten der alten Dame.

„Wie bitte? Aber Großmutter, ich habe nichts getan. Glaubt mir bitte. Ich würde ihr niemals etwas antun. Sagt mir bitte, was ist mit Oscar?“

Kaum hatte er die letzte Frage gestellt, hatte er wieder eine Kopfnuss erhalten und er rieb sich abermals die schmerzende Stelle.

„Wie oft habe ich dir gesagt, dass du sie Lady Oscar nennen sollst!“, kam es mit grummelndem Unterton.

„Was sie hat? Sie ist vollkommen durcheinander. Und du musst etwas damit zu tun haben!“

„Ich? Aber, Großmutter. Ich habe sie doch heute kaum gesehen.“

„Du warst doch mit ihr in Versailles. Ist da etwas vorgefallen?“

André überlegte einen Moment und schüttelte dann seinen Kopf.

„Nein, Großmutter. Es war ein vollkommen normaler Tag. Sie hat ihren Dienst wie immer versehen. Vor Dienstschluss hat sich Graf de Girodel zu uns gesellt. Sie ist mit ihm auf sein Anwesen geritten. Bis dahin war alles wie immer.“

Genau beobachtete Sophie ihn bei jedem seiner Worte.

„Aber es muss etwas mit ihr geschehen sein.“

„Ich weiß es wirklich nicht, Großmutter. Nun… mir ist schon aufgefallen, dass Oscar sich irgendwie anders verhält, aber ich habe es eher für eine Nichtigkeit abgetan.“

„Wie meinst du das? Los sprich, André!“

„Ich kann dazu nicht viel sagen, Großmutter. Wirklich auffallend war es nicht. Sie wirkte in manchen Moment etwas verträumt, aber mehr auch nicht.“

//Was ist nur mit ihr?//

In André stiegen wieder die Sorgen empor.

„Das kann nicht sein. Es muss etwas vorgefallen sein.“

„Wirklich nicht, Großmutter. Bitte glaubt mir doch. Aber was soll ich damit zu tun haben?“

„Du bist doch die ganze Zeit bei ihr.“

„Das ist wahr, aber wie bereits gesagt, etwas vorgefallen ist nicht.“

„Aber dein Name viel sehr oft…“, sprach Sophie eher zu sich.

Nun wurden Andrés Ohren groß.

„Wie meint Ihr das? Was hat Oscar gesagt?“

Ihr Enkel holte Sophie zurück aus ihren Gedanken.

„Bitte?“

„Was hat Oscar gesagt?“, wiederholte er seine Frage.

„… Oscar? Nein… nichts…“

Sophie merkte, dass sie sich verplappert hatte. So drehte sie ihrem Enkel den Rücken zu und begann damit, das restliche Geschirr zu reinigen. André jedoch war aufgestanden und trat zu ihr. Sanft legte er seine Hand auf ihre Schulter.

„Bitte, Großmutter. Ihr wisst doch etwas. Bitte, sagt es mir“, kam es mit besorgter Stimme und flehendem Blick.

Sophie drehte ihren Kopf ein wenig in seine Richtung. Jedoch schwieg sie einen Moment. Doch dann seufzte sie und senkte ihren Blick etwas. André wurde dadurch nur noch hibbeliger.

„Wie soll ich sagen? Ich wollte Lady Oscar ihren Tee bringen. Und nun ja…“

„Ja, Großmutter? Bitte redet weiter“, begann er sie leicht zu bedrängen.

„Wart Ihr bei ihr?“

André verlor immer weiter seine Ruhe und Geduld und begann somit leicht Sophies Schultern zu rütteln.

„Oder… habt Ihr gelauscht? Bitte, redet doch mit mir“, flehte er nun vollends.

Sophie sah ihrem Enkel direkt in die Augen und schien darin zu lesen. Daher dauerte es einen Moment bis sie leicht nickte.

„Was habt Ihr gehört, Großmutter? Bitte…“

„Ich… sie hat geweint…“, begann sie mit gesenktem und traurigem Blick.

„Viel verstanden habe ich nicht, dazu war es zu leise. Nur deinen Namen hörte ich einige Male. Daher…“

„Daher dachtet Ihr, ich habe ihr etwas getan? Aber, Großmutter. Ich könnte das niemals!“

Wieder entstand eine Stille zwischen ihnen, in der man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Sophie hielt für einen Moment den Blick Kontakt, jedoch wendete sie ihn anschießend ab und ließ sich auf dem nahem Stuhl nieder. Seufzend begann sie ihre Brille zu putzen, wobei André sie unruhig beobachtete. Es fiel ihm nicht leicht ruhig zu bleiben. Er kannte seine Großmutter gut genug, dass sie nicht weiter reden würde, wenn er sie die ganze Zeit weiter bedrängen würde.

„Du magst Lady Oscar sehr gern, nicht wahr, André?“, begann sie erst nach einer ganzen Weile.

„Wir alle mögen Oscar doch, Großmutter“, kam die verständnislose Antwort.

Sophie schüttelte ihren Kopf und setzte anschließend ihre Brille wieder auf.

„Gewiss mögen wir sie alle. Aber bei dir ist es mehr, oder?“

Prüfend sah sie ihn durch ihre Brille hindurch an. André senkte seinen Blick auf seine Schuhspitzen. Irgendwie musste er sich die Worte zu Recht legen.

„Wie soll ich sagen, Großmutter?“, begann er.

Jedoch stoppte André. Unbemerkt schluckte er, da ihm bewusst wurde, was seine Großmutter sagen bzw. tun würde, wenn sie die Wahrheit erfahren würde. Jedoch an ihrem Blick erkannte er, dass er gar nicht er versuchen brauchte auszuweichen. Also ließ er sich seufzend neben ihr nieder. Sein Blick war auf seine Hände gerichtet, die er auf seinem Schoß gefaltet hatte.

„Ja, Großmutter. Ich… ich mag Oscar sehr“, gab er leise zu.

Wieder entstand eine Stille, die nur von einem Seufzen Sophies unterbrochen wurde.

Vorsichtig sah André etwas in ihre Richtung. Jedoch blieben die erwartete Kopfnuss oder die Prügel mit dem Nudelholz aus. Er bemerkte, dass Sophie ihn nicht ansah. Ihre Hände hatten sich leicht in ihre Schürze gekrallt.

„Du liebst sie, nicht wahr?“, fragte sie nach einer ganzen Weile.

André zog automatisch seinen Kopf ein, jedoch das einzige was geschah, war das erneute Seufzen seiner Großmutter.

„Ich habe es schon lange geahnt, mein Junge“, begann die alte Dame und erhob sich.

„Ich wollte doch nur dein bestes, als ich dich damals hier hin holte.“

„Das weiß ich, Großmutter. Und dafür bin ich Euch auch sehr dankbar“, unterbrach er sie.

„Ja, André. Ich weiß. Aber wie soll es nun weiter gehen? Lady Oscar ist von Adel. Was denkst du, wird ihr Vater dazu sagen, wenn er davon erfährt?“

„Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht. Aber warum zerbrecht Ihr Euch Euren Kopf? Sie erwidert meine Gefühle nicht und es wird auch so bleiben. Ich habe mich damit abgefunden und so lange ich in ihrer Nähe bleiben kann, bin ich zufrieden.“

„André…“, mit aufsteigenden Tränen sah sie zu ihrem Enkel.

Auch wenn er sie nicht sah, hörte André diese. Daher erhob er sich und trat zu ihr. Sanft schloss er sie anschließend in seine Arme.

„Ach, Großmutter. Macht Euch nicht soviel Sorgen. Es bleibt alles so, wie es ist.“

Ruhig strich er ihr über den Rücken und sah sie besorgt an. Ihm war klar, dass sie nicht mehr die Jüngste war und er wollte nicht, dass ihr etwas geschah.

„Bist du dir da wirklich sicher? Wäre es nicht vielleicht besser, wenn du fort gehen würdest?“

Mit großen Augen sah André sie an.

„Aber Großmutter. Nein, niemals würde ich hier fortgehen. Ich bleibe in Oscars Nähe, so lange sie es will. Das habe ich mir geschworen.“

Mehr und mehr Tränen rannen über Sophies Wangen.

„Mein Junge…“, brachte sie schniefend hervor.

Sanft strich ihr André die Tränen fort und reichte ihr anschließend ein Tuch.

„Wie ich bereits sagte, es wird sich nichts ändern, Großmutter. Aber ich glaube, wir sollten nun zu Bett gehen. Es ist spät.“

Mit leicht geröteten Augen sah Sophie ihren Enkel an, dann nickte sie leicht.

„Vielleicht hast du Recht, André.“

„Gewiss, Großmutter. Aber nun kommt.“

Er legte seinen Arm um sie und geleitete sie aus der Küche. Ruhig gingen sie zum Dienstbotentrakt, wo ihre Zimmer lagen. Vor ihrer Tür verabschiedete André sich von ihr.

„Schlaft gut, Großmutter.“

Lächelnd sah er sie an und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.

„Du auch, mein Junge“, erwiderte sie und trat kurz darauf in ihr kleines Gemach.

André wartete bis die Tür geschlossen war, dann zog auch er sich zurück. In seinem Zimmer legte er sich auf sein Bett und starrte dort an die Decke. Wieder begannen seine Gedanken zu kreisen.

//Ach, Oscar…//

Doch wirklich weit kam er nicht. Der Tag war anstrengend gewesen, so dass er rasch eingeschlafen war.

Sophie hingegen lag noch eine ganze Weile wach.

//André… mein Junge. Du hast genau die Augen deiner Mutter und das gute Herz deines Vaters. Ich will doch nur dein Bestes…//

Wieder kullerten ein paar Tränen. Auch wenn sie oft ungerecht ihm gegenüber war, liebte sie ihren Enkel. Er sollte sein Glück im Leben finden und sich nicht ins Unglück stürzen. Mit den Gedanken an André, schlief sie später ein.

Eine ereignisreiche Nacht

„Wie kannst du es wagen, solch eine Frage an mich zu stellen, André?“, polterte General de Jarjayes.

Seine Faust schlug hart auf seinem Schreibtisch auf, wobei seine Schreibfeder über die Tischplatte rollte und erst von seinem wankenden Weinglas gestoppt wurde. Zeitgleich fiel sein Stuhl um, auf dem er zuvor gesessen hatte.

„Du weißt, wer du bist. Und mir ist egal, was du für Oscar empfindest. Sie wird niemals deine Frau! Und wenn du diesen Wunsch nicht schnell vergisst, wirst du das Anwesen sofort verlassen! Hast du mich verstanden?“

Seine Worte duldeten keine Widerworte, dass wusste André. Jedoch war er sich seiner Sache so sicher, dass er trotz der lauten Worte, etwas erwiderte.

„Aber, General…“, begann er.

Abermals donnerte die Faust des Generals auf die massive Tischplatte, so dass sein Weinglas ins Kippen geriet und anschließend umfiel. Die rote Flüssigkeit verteilte sich dabei über die Dokumente, die vor ihm lagen.

„Kein ABER! Hast du mich nicht verstanden?“, fuhr er André an.

„Zudem war der Graf de Girodel vorhin bei mir. Er hat mich um Oscars Hand gebeten und ich habe zugestimmt.“

„Bitte. WAS?“, erwiderte André mit größer werdenden Augen.

Er konnte einfach nicht glauben, was er gerade erfahren hatte. Daher schüttelte er seinen Kopf. Seine Augen begannen zu brennen. Daher machte er auf seinem Absatz kehrt und verließ eiligst das Arbeitszimmer des Generals. Geradewegs führte ihn sein Weg in sein Zimmer. Dort ließ er seinen Tränen freien lauf.

„Oscar…“, kam es rau über seine Lippen, wobei er auf sein Bett sank.

Er stützte seinen Kopf auf seine Hände. Eine Träne nach der nächsten verließen seine Augen, rannen über seine Wange und tropften anschließend zu Boden. Sein Herz brannte. Nicht nur aus der innigen Liebe zu Oscar, sondern auch aus Schmerz, dass er sie scheinbar nun für immer verloren hatte. Zu diesem Schmerz entstand nun auch noch das Gefühl von Wut. Nicht auf Oscar, sondern einzig und allein auf den Grafen de Girodel.

Harsch wischte sich André mit seinem Ärmel über die Augen. Dann erhob er sich, griff seinen Degen und verließ mit diesem sein Zimmer und das Anwesen. Rasch sattelte er sein Pferd und kurz darauf galoppierte er in vollem Tempo vom Gelände.

Blind vor Wut führte ihn sein Weg zum Anwesen de Girodel.

Die Landschaft flog an André geradezu vorbei. Nichts würde ihn aufhalten können.

Einen wirklichen Plan gab es für ihn nicht, nur ein Ziel. Und dieses rückte von Galoppsprung zu Galoppsprung immer näher.

Bald sah er das herrschaftliche Haus der Familie de Girodel vor sich auftauchen und auf dessen Vorhof machte André sein Ziel aus.

Victor wollte gerade zu seinem Dienst aufbrechen und stand daher mit seinem gesattelten Pferd vor den Stufen seines Elternhauses. Als er auf einmal das Donnern von Pferdehufen vernahm. Als er den Reiter erkannte, verhielt er und sah ihm abwartend entgegen. André parierte sein Pferd direkt vor dem Grafen durch, so dass Girodels Grauer leicht stieg. Victor beruhigte jedoch sein Tier schnell.

„Guten Morgen, André. Sag, ist etwas geschehen? Ist etwas mit Oscar, dass du wie der Teufel persönlich hier angaloppiert kommst?“, kam es leicht besorgt von ihm.

André visierte Girodel mit verengten Augen an. Dann sprang er von dem Rücken seines Pferdes und zog im gehen seinen Degen. Victors Augen weiteten sich dabei und er wich prompt einen Schritt zurück. Dabei glitt seine Hand zu dem Griff seiner Waffe.

„Was soll das, André?“

„Das solltet Ihr wissen, Girodel!“, zischte André ihn an.

„Wie darf ich das bitte verstehen?“

„Es geht um Oscar!“

Mit erhobenen Degen trat André auf Girodel zu. Dieser zog ebenfalls seinen Degen und ging in Abwehrposition.

„Oscar? Wieso? Ich verstehe das nicht, André.“

„Ihr versteht sehr wohl!“

Kaum hatte er dies ausgesprochen, griff er Girodel an. Dieser wich abermals aus und parierte anschließend Andrés nächste Attacke. Er wollte ihn nicht verletzen. Zudem war er der bessere Mann und viel erfahrener im Umgang mit dem Degen.

André war sich diesem bewusst, aber seine Wut auf ihn, machte ihn blind. Daher griff er wieder und wieder an. Girodel parierte und versuchte André zu beruhigen. Jedoch ohne jeglichen Erfolg.

Weiterhin erfüllte das Klirren der Degen die klare Luft. Jedoch gesellte sich ein weiteres Geräusch hinzu. Das Donnern von weiteren Pferdehufen.

„ANDRÉ! GIRODEL! HÖRT SOFORT AUF!“, ertönte Oscars Stimme.

Victor wich Andrés letztem Angriff aus und senkte anschließend seine Waffe. Jedoch André, der noch immer rot sah, griff den nun unachtsamen Grafen erneut an und traf ihn genau in seinem Herzen. Erst als André spürte, wie die Klinge seines Degens in Victors Körper eindrang, stoppte er. So sah er, wie Girodels Augen sich weiteten und sein Blick auf die Klinge in seiner Brust glitt. Seine Lippen waren geöffnet, ohne dass ein Laut diese verließ. Seine Hand wanderte zu der Stelle, wo seine helle Uniformjacke sich gerade rötlich verfärbte. Langsam sackte dabei Girodel zu Boden.

André hatte längst seinen Degen losgelassen.

Oscar sprang mit geweiteten Augen von ihrem Pferd und lief sofort zu Victor.

„Girodel!“

Sie kniete sich neben ihn und legte ihre Hand auf die blutende Stelle. Das ihr weißer Handschuh sich ebenfalls mit Blut vollsaugte, ignorierte sie. Ihr Blick wanderte in Richtung des Angreifers.

„André… warum?“

Er schluckte und sah Oscar für einen kurzen Moment an. Dann senkte er jedoch seinen Blick.

„Antworte mir, André!“

Er schüttelte stumm seinen Kopf. Sein Herz schmerzte, als er die schimmernden Augen Oscars gesehen hatte.

„Oscar…“, kam es fast tonlos von Girodel.

Sofort drehte diese ihren Blick zu ihm und bemerkte, wie Girodels Blick glasiger und seine Haut noch blasser geworden war. Dieser Anblick löste die Tränen in ihren Augen aus.

„Oscar…“, kam es noch leiser werdend von ihm.

Zitternd hob Victor seine Hand und strich ihr mit dieser über ihre Wange.

„Ja?... Victor?“, kam es von Oscar, wobei sie sich leicht gegen seine Hand lehnte.

„Bitte… weine nicht. Ich… ich sehe dich… lieber lächeln…“, erwiderte er matt.

„Den ich…“, Victor stoppte, weil er anfing Blut zu spuken.

Oscar zückte ihr blütenweißes Taschentuch und tupfte ihm das Blut aus den Mundwinkeln.

„Ich… ich…“, sprach er immer abgehackter Stimme, „liebe… dich…“

Ihre Augen weiteten sich nun vollends. Sanft ergriff sie seine Hand und drückte diese.

„Shht… nicht so viel auf einmal. Ich lasse einen Arzt kommen, der wird dir helfen“, kam es sanft von ihr.

Jedoch Victor schüttelte seinen Kopf.

„Es ist zu spät, geliebte Oscar. Aber du solltest es wissen.“

Girodels Augen begannen zu flattern. Kurz bäumte sich sein Körper, von dem Schmerz gepeinigt, auf, dann sackte er zurück. Die letzte Luft wich aus seinen Lungen und er schloss seine Augen für immer.

„Victor…“, kam es leise von Oscar, als sie dies registrierte.

„Victor?... VICTOR!!“

Kurz war sie davor ihm auf die Brust zu sinken, jedoch besann sie sich und erhob sich. Mit vor Wut blitzenden Augen und Tränen auf ihren Wangen, trat sie auf André zu. Dabei zog sie ihren Degen und hielt ihm die Klinge an seine Kehle.

„Warum hast du das getan, André? Du hast ihn getötet! Den einzigen Menschen, der je mehr in mir sah, als nur den Offizier!“

André spürte das kalte Metall an seinem Hals und er wagte kaum zu schlucken. Langsam hob er seinen Blick und sah in ihre Augen, die er schon immer so geliebt hatte.

„Es… es tut mir leicht“, haspelte er.

Vor Wut zitterte Oscars Hand und daher ritzte ihre Klinge leicht seine Haut.

„Verschwinde, André! Verschwinde aus meinem Leben!“, zischte sie, wobei immer mehr Tränen ihre Wangen nässten.

Für einen Moment senkte ihr Jugendfreund seinen Blick, doch dann sah er sie traurig an.

„Oscar…“

„VERSCHWINDE!“, schrie sie ihn an.

Es fiel ihm nicht leicht, aber André tat das Gegenteil. Er wich nicht zurück, sondern trat einen Schritt nach vorn, sodass Oscars Klinge langsam in seinen Hals eindrang.

Ihre Augen weiteten sich und sie wich zurück. Aber André folgte jedem ihrer Schritte.

„Verzeih… ich habe dies nicht gewollt…“

Er spürte, wie das Blut an und in seinem Hals hinunter lief und seine Atmung immer schwerer wurde, bis er nach vorne fiel und auf dem Boden zu liegen kam.

„Verzeih…“, war sein letztes Wort.

„ANDRÉ!“
 

Schweißgebadet wachte André auf. Senkrecht saß er nun in seinem Bett. Ihm war alles so real vorgekommen. Seine Hand wanderte zuerst zu seinem Hals, den er abtastete, aber er fand dort keine Wunde. Anschließend glitten seine Finger zu seiner Brust, wo sein Herz wild gegen seine Rippen schlug.

„Es… es war nur ein Traum“, sprach er zu sich selbst.

Dies ließ ihn aufatmen. Langsam schwang er dann seine Beine aus dem Bett, um zu seiner Waschschüssel zugehen. Das kalte Wasser beruhigte ihn etwas. Jedoch griff er nicht nach einem Handtuch und ließ die Tropfen der kühlen Flüssigkeit über seine Wangen hinab gleiten. Dabei betrachtete er sein Gesicht im Spiegel. Er sah aus wie immer. Jedoch spürte er, wie sein Herz schmerzte. Würde dieser Alptraum vielleicht Wahrheit werden? Würde er sich dann wirklich so vergessen? André schüttelte seinen Kopf und seufzte. Ihm war vollkommen klar, dass er es niemals soweit kommen lassen durfte. Nicht, wenn er Oscar für immer vertreiben wollte.

Neben der Waschschüssel ballten sich seine Hände zu Fäusten.

„Entweder finde ich heraus, was mit ihr ist oder es wäre wirklich das Beste, wenn ich für immer gehe. Es wäre nicht leicht für mich, aber niemals würde ich Oscar im Wege stehen. Ich möchte nur, dass sie glücklich ist. Und das für immer, auch wenn ich vielleicht nicht mehr an ihrer Seite sein kann oder darf.“

Wieder verließ ein Seufzen seine Kehle. Kurz schüttelte er seinen Kopf, dann trat er zu seinem Fenster, um dies zu öffnen. Ein kühler Nachtwind schlug ihm entgegen, aber es fröstelte ihn nicht. Sein Blick fiel empor zu den vielen Sternen am Firmament. Dort sah er auf einmal Oscars Antlitz ihn anlächeln. Dies zauberte auch ein Lächeln in sein Gesicht.

„Ach, Oscar. Wenn ich dir doch nur sagen könnte, was ich für dich empfinde. Wie stark meine Gefühle für dich sind.“

Als würde ihr Sternenabbild es verstehen, schien sie ihn nun aufmunternd anzulächeln. Prompt schlug sein Herz schneller.

„Ich muss herausfinden, was mit ihr ist. Vielleicht kann ich ihr helfen und sie wird meine Gefühle verstehen.“

Wie zur eigenen Bestätigung nickte er. Anschließend machte er sich daran, dass Fenster zuschließen. Jedoch machte er eine Entdeckung. Eine Kutsche fuhr vor die Eingangstreppe und ein Bediensteter eilte herbei. Wer ausstieg, konnte André nicht erkennen. Aber in ihn stieg Besorgnis empor. Rasch griff er nach seinem Hemd und warf es sich über. Die Mühe es zu schließen, machte er sich nicht. So eilte er zur Eingangshalle, wo sich in dem Moment auch Madame de Jarjayes und seine Großmutter einfanden. Sophie, bekleidet mit ihrer Schlafhaube, hielt einen einfachen Kerzenhalter und trat dem Besuch entgegen.

„Dr. Raçon. Gut das Ihr hier seid.“

„Was ist den geschehen? Euer Bote teilte mir nur mit, dass ich unverzüglich hier erscheinen sollte.“

Sophie nickte bei seinen Worten und deutete auf die Treppe.

„Bitte, begleitet uns hinauf. Auf dem Weg werden wir Euch erklären, was geschehen ist.“

Nun nickte der Hausarzt der Familie und folgte den beiden Damen hinauf.

André beobachtete das ganze mit gemischten Gefühlen.

//Ist wer erkrankt, dass Dr. Raçon gerufen wurde?//

Der kleinen Gruppe zu folgen, wagte er nicht. Daher blieb er seufzend am Rande der Eingangshalle stehen. Von hier aus konnte er sehen, wie das Licht der Kerzen immer schwächer wurde.

Eigentlich konnte er sich nun zurück ziehen, jedoch war es ihm nicht möglich. Seine Müdigkeit war wie verflogen. Daher zog André es vor in die Küche zu gehen. Da es eine klare Nacht war, fiel das silberne Mondlicht in den Raum, sodass er keine Kerze entzünden musste. Zudem kannte er sich hier blind auf. Er füllte den Wasserkessel und machte sich daran einen Tee zu kochen.

Während er später darauf wartete, dass das Getränk durchzog, stand er am Fenster und sah hinaus. Von dort aus konnte er auch sehen, wie etwas später die Kutsche des Arztes wieder abfuhr. Seufzend sah André dieser nach. Vielleicht würde sich ja bald klären, was geschehen war.

Etwas blieb er noch am Fenster stehen, dann wand er sich ab und goss sich eine Tasse Tee ein. Mit dieser ließ er sich am Küchentisch nieder. So fand ihn seine Großmutter ein paar Minuten später vor.

„André? Warum bist du nicht in deinem Bett?“

Der Angesprochene sah auf.

„Warum war der Arzt da, Großmutter?“

Seufzend ließ Sophie sich ihrem Enkel gegenüber nieder.

„Du hast ihn also bemerkt.“

André nickte, jedoch ließ Sophie sich nicht unterbrechen.

„Lady Oscar hat hohes Fieber?“

„Wie bitte, Großmutter?“

„Du hast richtig verstanden, mein Junge. Sie muss sich im Regen furchtbar erkältet haben. Madame de Jarjayes weckte mich vor einen halben Stunde, da sie noch einmal nach ihrer Tochter gesehen hatte. So war es ihr aufgefallen, daher rief ich sofort nach Dr. Raçon. Und er bestätigte unseren Verdacht. Er untersuchte sie und ließ uns einige Medikamente hier. Morgen wird er wieder nach ihr sehen.“

„Ich verstehe, Großmutter.“

Mit diesen Worten erhob er sich und reichte ihr eine Tasse Tee.

„Hier trinkt bitte. Ich werde nun zu Oscar gehen und nach ihr sehen.“

„Du kannst ihr nicht helfen, André.“

„Ich weiß, aber ich möchte über sie wachen. Und falls etwas geschieht, gebe ich sofort Bescheid.“

Lange sah Sophie ihren Enkel an, dann nickte sie leicht.

„Tu das André. Später werde ich dich ablösen.“

„Ich danke dir, Großmutter.“

Leicht lächelte André Sophie an. Dann gab er ihr einen Kuss auf die Stirn und verließ anschließend die Küche. Auf dem Weg zu Oscars Zimmer, zog sich sein Herz immer weiter zusammen.

//Bitte Oscar, du musst wieder gesund werden!//

Eine erste Annäherung

Sophie betrat Oscars Zimmer, als die Sonne langsam aufging. Daher entdeckte sie, wie Andrés Haupt auf Oscars Bettkante ruhte und er scheinbar tief und fest schlief. Irgendwie gefiel der alten Dame dieser Anblick.

Als sie das Bett umrundete, machte sie die Entdeckung, dass André Oscars Hand festhielt. Dies ließ ihr Herz schneller schlagen, jedoch war auch Furcht in diesem vorhanden.

Kurz zögerte Sophie, trat anschließend zu Oscar und wechselte den Lappen, welche ihre Stirn kühlen sollte. Immer noch hatte ihr Sorgekind Fieber. Leise ließ diese Erkenntnis Sophie seufzen. Dabei trat sie zu ihrem Enkel, um ihn zu wecken.

„André. Wach auf. Es ist Zeit.“

„Os… Oscar?“, kam es leise.

Er schien nicht wirklich wach zu sein, so rüttelte Sophie ihn abermals. Nur diesmal etwas fester.

„Wie?... Wo?...“, kam es nun von André.

Schwerfällig richtete er sich auf. Dabei rieb er über seine Augen und streckte sich anschließend ausgiebig.

„Oh, Großmutter. Guten Morgen.“

Er hoffte, dass sie nicht gesehen hatte, wie er Oscars Hand gehalten hatte. Da sich Sophie nicht dazu äußerte, nahm er an, dass sie es nicht gesehen hatte.

„Ich löse dich jetzt ab. In der Küche habe ich dir Frühstück vorbereitet.“

„Vielen Dank, aber das brauchtet Ihr nicht, Großmutter.“

„Es ist besser. Du brauchst doch etwas. Außerdem musst du deine Aufgaben hier erledigen.“

„Wie Ihr meint, Großmutter.“

André ging in Richtung der Zimmertür. Dort stoppte er jedoch und sah zu ihr.

„Ihr sagt mir Bescheid, wenn etwas ist?“

„Das werde ich, mein Junge.“

„Ich danke, Euch.“

Sophie nickte kurz, sah ihm anschließend hinterher und kümmerte sich darauf wieder um Oscar. Besorgt beobachtete sie sie, als sie das Tuch auf Oscars Stirn erneut wechselte.
 

Am späten Vormittag traf Dr. Raçon ein, um sich die Kranke nochmals anzusehen.

Kaum das der Arzt angekommen war, hielt André sich in der Nähe von Oscars Zimmer auf. Innerlich betete und hoffte er, dass es seiner geliebten Oscar bald wieder gut gehen würde. Jedoch das Ergebnis der Untersuchung erfuhr er erst, als Sophie gegen Mittag in die Küche kam. Madame de Jarjayes hatte sie abgelöst, sodass seine Großmutter das Mittagessen zubereiten konnte. André beobachtete sie, wie sie dies schweigend tat. Viel erfuhr er nicht, nachdem sie gespeist hatten, nur das Oscar noch immer schlief.
 

Erst am Nachmittag durfte er wieder zu Oscar. Diese schien noch immer nicht aufgewacht zu sein. Wie in der Nacht zuvor, ergriff André wieder ihre Hand und ließ sich damit an ihrem Bett nieder. Zärtlich strich er mit seinem Daumen über ihren Handrücken. Aber von ihrer Seite gab es keine Reaktion.

Andrés Herz wurde von Stunde zu Stunde schwerer. Er hatte einfach Angst, Oscar für immer zu verlieren.

//Bitte, Oscar. Wach bitte auf//, flehte er in Gedanken immer wieder.

Er war so sehr in seinen Gedanken versunken, dass er nicht bemerkte, wie Emilie de Jarjayes das Zimmer betrat. Langsam schritt sie auf ihn zu und legte ihre Hand auf seine Schulter. Sofort schrak er auf und sah Emilie mit geweiteten Augen an. Dann registrierte er, dass er noch immer Oscars Hand hielt. Daher ließ er diese rasch los.

„Madame...“, kam es fast stammelnd von ihm.

„Keine Sorge, André.“

Sanft lächelte Oscars Mutter ihn an und drückte dabei leicht seine Schulter.

„Oscar geht es bald besser. Vorhin war sie kurz wach. Sie ist noch zu geschwächt, aber auf dem Weg der Besserung. Das hat Dr. Raçon vorhin bestätigt.“

„Ist… ist das wirklich wahr, Madame?“

Emilie nickte und hielt dabei ihr Lächeln.

„Ich wollte es dir nur mitteilen, damit du dich nicht weiter sorgen musst.“

„Dafür danke ich Euch, Madame.“

„Das brauchst du nicht“, erwiderte sie und machte sich daran, das Zimmer zu verlassen.

„Aber, André?“

„Ja, Madame?“

„Sprich mit Oscar.“

„Wie darf ich das verstehen, Madame?“

Fragend sah André zu ihr, da er nicht wusste, auf was Oscars Mutter hinaus wollte.

„Ich kenne dich und ich kenn mein Kind. Dir wird nicht entgangen sein, was in letzter Zeit geschehen ist, oder?“

„Gewiss nicht, Madame. Aber ich kann mir keinen Reim daraus machen.“

„Doch das kannst du, mein Junge. Hör in dich hinein und achte auf Oscar. Dann findest du die Lösung.“

Mit diesen Worten öffnete Emilie die Tür.

„Habe keine Angst. Glaube an sie und an dich! Und vertraue auf dich. So wirst du auch meinem Kind helfen. Zusammen werdet ihr euren Weg finden.“

Dann schloss Emilie die Tür hinter sich und ließ somit einen ziemlich verwirrten André zurück.

//Wie soll ich das verstehen? Weiß sie etwa, was ich für Oscar empfinde? Ist es so offentlich?//

Nachdenklich wanderte er seinen Blick zurück zu Oscar, dabei gingen ihm Madame de Jarjayes Worte nicht aus dem Kopf.

//Meint sie vielleicht, dass ich mit Oscar reden sollte?//, dachte er mit einem leisen Seufzen.

Mit seiner freien Hand strich er ihr eine Haarsträhne zur Seite, die auf ihrer Wange klebte.

//Aber wäre diese Idee wirklich gut, jetzt wo sie krank ist?//

In dem Moment, als er seine Hand zurückziehen wollte, erschrak er leicht. Oscar lehnte sich gegen seine Hand und lächelte. André glaubte erst, dass er träumte, jedoch war es kein Traum. Es war tatsächlich so. Oscar kuschelte sich an seine Hand und lächelte dabei entspannt. Vorsichtig, als könne er ihr weh tun, strich er abermals über ihre zarte Haut. Dabei auf jegliche Reaktion Oscars bedacht.

//Du bist so wunderschön…//

„André…“

Dieses eine Wort, sein Name, riss ihn aus seinen Gedanken.

„Ja, Oscar? Ich bin hier“, antwortete er rasch.

Aber er stellte fest, dass Oscar im Fieber zu sprechen schien. Daher entspannte sich seine Haltung wieder.

„Ich werde immer bei dir sein. Solange du es wünscht“, sprach er zärtlich.

Dabei drehte sich Oscar und vergrub seine Hand unter ihrem Gesicht.

„Oh, André…“, entfuhr es ihr wieder leise.

Dieser musste ihre Bewegung mitgehen, um sie nicht zu wecken.

„Bleib bitte bei mir. Geh niemals fort“, kam es weiter von ihr.

Andrés Augen weiteten sich. Hatte er das wirklich gehört? War es keine Täuschung? Oder sprach sie im Fieberwahn?

Er wagte kaum zu Atmen und sein Herz schlug zum Zerbersten schnell. Seine Haltung würde zwar über kurz oder lang zu einem Krampf führen, aber das war André vollkommen gleichgültig. Hauptsache er konnte so nah wie möglich bei seiner Oscar sein. Diese schien vollkommen ruhig weiter schlafen. Aber sie schien zu spüren, dass André mehr als verkrampft neben ihr saß. Daher öffnete sie langsam blinzelnd ihre Augen. Es dauerte noch einige Momente bis ihr Blick klar wurde und sie ihr gegenüber erkannte.

„André?“, kam es fast tonlos.

„Os… Oscar?“, erwiderte er, als ihm bewusst wurde, dass sie erwacht war.

Sofort zog er seine Hand zurück. Für Oscar war seine Bewegung zu schnell, sodass ihre Hand für einen Bruchteil über ihre Decke schwebte.

„Geh nicht fort. Ich bitte dich.“

Nun weiteten Andrés Augen. Hatte er richtig verstanden? Daher verhielt er auf der Stelle und sah sie einfach nur an. Oscar aber verstand sein Schweigen falsch und senkte daher traurig ihren Blick. Ihr Herz wurde schwer bei dem Gedanken, dass er sie scheinbar nur als Freund sah. Daher registrierte sie nicht, wie Andrés Blick sich änderte und seine Haltung sich entspannte. Langsam ließ er sich wieder auf seinem Stuhl nieder und streckte seine Hand nach ihr aus. Zaghaft glitten seine Finger durch ihr Haar, welche ihr Gesicht verbargen. Als Oscar dies nun merkte, hob sie langsam ihren Kopf und sah ihn mit unendlich traurigen Augen an. Als André dies sah, zog es sein Herz zusammen, aber dann nahm seinen ganzen Mut zusammen und strich ihr mit seinen Fingern über ihre Wange. Dabei spürte er ein leichtes Zittern ihrerseits.

„Schau bitte nicht so, Oscar. Ich bin hier und gehe auch nicht fort. Das verspreche ich dir“, sprach er sanft mit einem zärtlichen Lächeln.

„Wirklich?“

Langsam wurden Oscars Augen größer und ihr Herz schlug prompt schneller.

„Du wirst niemals gehen?“

„Aber nein. Ich sagte doch, dass ich es dir verspreche. Und ich habe und werde niemals ein Versprechen brechen.“

Leicht nickte sie bei seinen Worten.

„Das ist wahr. Du hast immer alles gehalten.“

Jedoch stoppte Oscar auf einmal und seufzte. Dies nahm André besorgt auf.

„Was hast du, Oscar? Fühlst du dich nicht wohl? Leg dich bitte wieder hin. Ich werde den Arzt kommen lassen.“

Mit diesen Worten zog er seine Hand zurück und erhob sich. Aber nun ergriff Oscar seine Hand und drückte sie sanft an ihre Wange.

„Nein, geh bitte nicht. Mir geht es gut. Ich lege mich auch wieder hin, aber bitte geh nicht“, kam es fast flehend.

Sofort folgte André ihrer Bitte. Um ihr jedoch die Hand nicht zu entziehen, ließ er sich auf ihrer Bettkante nieder. Vorsichtig strich er ihr mit der freien Hand durch ihr blondes Haar.

„Shht… ich bleibe hier“, erwiderte er zärtlich.

Langsam hob Oscar ihren Blick und er sah deutlich, wie ihre Augen feucht schimmerten.

„Du warst immer für mich da, André und gabst mir immer soviel. Und was gab ich dir? Nichts!“

Nun lief eine einsame Träne über ihre Wange. André war geschockt über ihre Worte. Behutsam strich er ihr die Träne fort.

„Das ist nicht wahr, Oscar. Du schenktest mir immer dein Vertrauen und deine Freundschaft.“

Bei seinem letzten Wort sah sie ihm direkt in seine grünen Augen. Deutlich konnte er den Schmerz darin sehen. Verstand er dies wirklich richtig? Es fiel ihm schwer, aber er musste mir ihr darüber reden. Vielleicht hatte ihre Mutter ja recht. So nahm André all seinen Mut zusammen und ergriff sanft mit beiden Händen ihr Gesicht, sodass sie es nicht zur Seite drehen konnte.

„Ich weiß nicht, ob dies der richtige Moment ist, aber ich muss es einfach sagen, Oscar.“

Für einen Moment stoppte er und legte sich seine Worte zurecht.

„Was ist mit dir in den letzten Tagen nur geschehen? Ich mache mir große Sorgen um dich. Mich schmerzt es zu sehen, dass du scheinbar so leidest. Ich will doch nur dein Bestes.“

Mit ehrlichem Blick sah er sie an und Oscar bemerkte dies deutlich. Damit hätte sie nicht gerechnet. Kurz senkte sie ihren Blick, doch dann schaue sie ihm wieder in die Augen.

„Wie soll ich sagen, André? Eigentlich ist nichts geschehen.“

Abwartend sah er sie an, aber schwieg, damit sie weiter reden konnte.

„Erinnerst du dich an meinen letzten Sturz? Da fing es alles an.“

Leicht nickte André.

„Ja, daran erinnere ich mich. Aber was hat es damit auf sich?“

„An den Sturz kann ich mich kaum erinnern, aber ich hatte so etwas wie einen Traum. Er war so real, dass ich wirklich glaubte, dass es die Wahrheit ist.“

André verstand nicht ganz, was dies mit der ganzen Situation zu tun hatte. Aber er wartete weiterhin ab. Und darüber war Oscar dankbar. Daher begann sie ihm von ihrem Traum zu erzählen, was geschehen war und wie sie es erlebt hatte. Wobei sie aber, die Gefühle für ihn nicht direkt ansprach, aber zwischen ihren Worten war es zu vernehmen.

Als sie endete, strich André ihr sanft durchs Haar.

„Das hat dich also beschäftigt?“

Leicht nickte Oscar und schloss dabei ihre Augen, um seine Berührungen zu genießen. So entging ihr sein zärtliches Lächeln, welches er ihr schenkte.

„Ich habe auch oft Träume von uns. Sie sind zwar nicht mit dem deinen zu vergleichen, aber ich glaube, dass sie in einem Punkt doch ähnlich sind. Immer drehen sie sich um dich. Manchmal sind es Erinnerung an Dinge, die wir zusammen erlebt haben oder wie sie vielleicht einmal geschehen könnten. Aber was sich immer gleicht… du bist dabei. Du bist der Mittelpunkt meines Traumes. Sogar jeder meiner Träume. Und nicht nur dort, sondern auch hier. Bitte, Oscar. Ich weiß nicht, ob ich noch einmal diesen Mut finden werde dies zu äußern. Aber du musst mir glauben. Seit vielen Jahren bewegst du mein Herz. Nicht wie es in einer Freundschaft ist. Sondern es ist mehr. Es schlägt für dich! Nur für dich allein! Und es schmerzt mich, wenn ich dich traurig sehe. Wenn ich könnte, würde ich dir jede Trauer und jeden Schmerz ersparen, nur um dich auf ewig Lächeln und deine Augen für immer in den schönsten Blautönen erstrahlen zu sehen. Dann wird mir warm um mein Herz.“

Tief sah André ihr die ganze Zeit in die Augen, dabei strich er ihr sanft durchs Haar.

„Ich würde dir mein Leben zu Füßen legen, nur damit du glücklich bist. Und dies nur aus einem einzigen Grund. Denn ich liebe dich, Oscar Francois de Jarjayes. Mehr als mein Leben!“

Bei seinen letzten Worten hatte er sich ihr genähert und gab ihr nun einen sanften Kuss auf die Stirn. Dann löste André sich von ihr und erhob sich. Dabei senkte er seinen Blick.

„Verzeih, wenn ich zu weit gegangen bin. Aber ich wollte, dass du weißt, wie ich fühle. Und wenn du es nun wünscht, werde ich aus deinem Leben verschwinden. Den ich könnte es nicht ertragen, wenn du traurig und vor allem enttäuscht auf mich bist.“

Mit diesen Worten schritt er langsam durch ihr Zimmer.

Die zarten Bande entstehen

Mit Worten konnte Oscar nicht mehr reagieren. Sie war einfach zu geschockt, von Andrés Geständnis. Als er jedoch Anstalten machte ihr Zimmer zu verlassen, sprang sie auf und versperrte ihm nach einigen Sprüngen den Weg. Ihre Atmung ging schwer und Schweißperlen rannen von ihrer Stirn und ihren Schläfen.

„Bitte… bleib… bleib hier. Du… du hast… es versprochen…“, kam es immer matter werdend von ihr.

André hatte sofort gestoppt, als er sie sah und hörte.

„Oscar…“, sprach er, bevor er sie auffing, als sie stark geschwächt in sich zusammen sackte.

Vorsichtig hob er sie auf seine starken Arme und trug sie zurück zu ihrem Bett. Oscar hatte weder die Kraft sich dagegen zu wehren, noch sich an ihm festzuhalten.

Sanft bettete André sie in ihren seidenen Kissen. Anschließend deckte er sie sorgfältig zu und legte ein frisches Tuch auf ihre wieder glühende Stirn. Oscar hielt still und schloss dabei ihre Augen. Als sie jedoch spürte, wie er seine Hand fortzog, öffnete Oscar sie wieder.

„Geh nicht fort. Ich bitte dich…“, sprach sie leise.

„Ich bleibe bei dir, so lange du es willst.“

Mit diesen Worten wollte er sich auf dem Stuhl niederlassen, der noch immer an ihrem Bett stand. Doch Oscar ließ es nicht soweit kommen und griff daher nach seiner Hand. Leicht drückte sie sie und deutete mit einem Blick an, dass er sich auf der Bettkante niederlassen sollte. Kurz zögerte André, doch dann folgte er ihrer stummen Bitte. Kaum das er saß, drehte sich Oscar zu ihm und ergriff seine andere Hand. Dabei sah sie ihn wieder direkt in seine grünen Augen. Deutlich spürte sie, wie das Gefühl, in diesen zu versinken, stärker wurde. Aber sie musste dagegen ankämpfen, wenn sie offen mit ihm reden wollte, wie er es zuvor getan hatte. Daher schluckte sie kurz, bevor sie ihre Worte an André richtete.

„Ich gebe ehrlich zu, mit deinen Worten habe ich nicht gerechnet und ich kann nicht frei von Angst und auch Bestürzung sprechen.“

André fiel es schwer zu schweigen und nicht einfach aufzustehen und zugehen. Oscar merkte deutlich seine Anspannung. Daher drückte sie leicht seine Hände, um wieder seine vollkommene Aufmerksamkeit zu erhaltern.

„Bestürzung vor mir alleine, weil ich in all den Jahren nie bemerkt habe, was du für mich empfindest. Und daraus entsteht auch Angst. Ich habe deine Nähe und deine Freundschaft immer für selbstverständlich empfunden. Jedoch fragte ich mich erst in den letzten Tagen, ob es das wirklich ist. Es kamen immer mehr Fragen in mir hoch. Z.B., ob du wirklich immer alleine bleiben und somit direkt an meiner Seite bleiben würdest. Aber du lehrtest mich gerade mit deinen Worten das genaue Gegenteil. Und du glaubst gar nicht, wie froh ich darüber bin, dass ich nun weiß, was du für mich empfindest. Das ich nicht einfach nur eine Freundin bin.“

Während sie sprach, war sie ihm etwas näher gekommen, ohne dabei seine Hände loszulassen.

„Vorhin erzählte ich dir von meinem Traum. Aber ich erwähnte nicht alles. Es schien es wären unsere Plätze vertauscht, genauso wie unsere Gefühle. Durch deine Worte versteh ich nun, was es bedeutet, wenn man nur als Freund gesehen wird und man zu seinen eigenen Gefühlen nicht stehen kann. Das ist mir nun vollkommen bewusst geworden und ich verstehe, wie schwer es dir ergangen sein muss.“

Der Druck ihrer Hände wurde etwas fester. Jedoch störte sich André nicht daran. Er hing an Oscars Worten und lauschte ihr weiter. Es schien sogar fast, als würde er die Luft anhalten.

„Nie hätte ich gedacht, jemals so etwas zu empfinden. Mein Herz schlägt schnell, dass ich es nicht beschreiben kann. André? Ich… ich liebe dich auch! Aus tiefstem Herzen!“

In Oscars saphirblauen Augen standen Tränen. Für André schien das ganze, wie ein Traum zu sein. Jedoch zog er sie zu sich, nachdem er ihre Hände von den seinen gelöst hatte, um sie fest in seine starken Arme zu schließen. Sein Gesicht vergrub er dabei in ihren blonden Locken. Deutlich spürte er, wie sie sich an seinem Hemd festkrallte und dieses mit ihren Tränen nässte.

„Du machst mich sehr, sehr glücklich, Liebste“, flüsterte er.

Auch wenn er leise sprach, konnte Oscar seine Worte deutlich verstehen, genauso wie sie seinen rasenden Herzschlag spürte und hörte.

„Können wir nun wirklichen zusammen glücklich sein?“, erwiderte sie leise.

André löste die Umarmung und ging somit etwas auf Distanz, um ihr in die wunderschönen Augen zu sehen. Dabei strich er ihr die Tränen fort.

„Wenn wir an uns glauben und uns gegenseitig vertrauen, werden wir es! Und das auf ewig!“

Bei seinen Worten begann Oscar zu lächeln. Dann umarmte sie ihn kurz.

„Ja, du hast Recht, Liebster. Ich glaube und vertraue dir!“

Für einen Moment hatte sie ihre Wange an die seine gepresst. Nun trennte sie sich etwas von ihm, um ihn wieder direkt in die Augen zu sehen. Diesmal verbat sie es sich nicht, in diesen zu versinken. Genauso wie er es bei ihr tat.

Beide waren sich so nahe, dass sie den Atem des jeweilig anderen deutlich auf ihrer Haut spüren konnten. Es erweckte den Eindruck, als wäre die Zeit um die beiden herum stehen geblieben.

Doch etwas Bewegung geschah nun. André näherte sich Oscars Gesicht, ohne das er den Blickkontakt löste. Erst als seine Lippen die ihren berührten, schloss er seine Augen. Zuerst war sein Kuss vorsichtig und auf jede Reaktion Oscars bedacht. Aber als sie seinen Kuss zärtlich erwiderte und all ihre Gefühle in diesen hinein legte, wurde er mutiger und intensivierte den Kuss. Er hatte den Eindruck, als wären hunderte von Schmetterlingen in seinem Bauch. Oscar erging es ähnlich. Glücklich und auch erleichtert, schmiegte sie sich an ihn und er drückte sie zeitgleich fester an sich, ohne ihr dabei weh zu tun. Sanft strich er ihr dabei über den Rücken, was eine Gänsehaut bei ihr auslöste. Noch nie hatten beide so etwas empfunden. Aber sie würden es beide niemals vergessen.

Dass die beiden schon eine ganze Weile beobachtet wurden, hatten sie nicht bemerkt. Emilie de Jarjayes hatte nur nach ihrem Kind sehen wollen und hatte nun die beiden vorgefunden, als Oscar André ihre Gefühle gestand. Eigentlich hatte sich Emilie abwenden wollen, aber sie war zu gerührt von der Szene, dass sie ihren Anstand vergaß und zugesehen hatte. Nun ruhte eine ihrer Hände auf ihrer Brust, wo ihr Herz schlug und die andere vor ihrem Mund. In ihren Augen standen Tränen der Freude.

//Werdet glücklich ihr beiden!//

Rasch wischte Oscars Mutter sich über die Augen, dann verließ sie unbemerkt das Zimmer. Lautlos schloss sie die Tür hinter sich. Jedoch konnte sie keine zwei Schritte gehen, als sie Sophie in die Arme lief.

„Madame? Wie geht es Eurer Tochter?“

„Oh, Sophie. Ihr geht es besser. André ist noch bei ihr.“

Sophie nickte verstehend.

„Das freut mich zu hören. Aber ich bin her gekommen, weil ich Euch mitteilen wollte, dass Euer Gemahl, der General, gerade eingetroffen ist. Ich soll Euch ausrichten, dass er Euch sehen will in seinem Arbeitszimmer.“

„Ich danke dir, Sophie“, erwiderte sie nickend und trat an ihr vorbei.

„Bereitest du uns gleich einen Tee?“

„Gewiss, Madame. Soll ich ihn im Salon anrichten.“

„Ja, bitte.“

Sophie nickte und folgte Emilie ein Stück. Diese ging, als Andrés Großmutter in der Küche verschwand, zum Arbeitszimmer ihres Mannes. Ruhig klopfte sie an und wartete, bis er sie herein bat.

„Mein Gemahl, ich freue mich, dass du wieder zu Hause bist.“

„Emilie“, erwiderte er mit einem Nicken.

„Setzt dich bitte.“

Oscars Mutter erwiderte das Nicken und ließ sich ihm gegenüber nieder.

„Ist etwas vorgefallen, als ich fort war?“

„Nein und ja.“

„Wie darf ich das bitte verstehen, Emilie? Sag was vorgefallen ist.“

„Die Tage deiner Abwesenheit waren ruhig. Oscar jedoch hat sich gestern eine starke Erkältung zugezogen.“

Der General sah von seinen Unterlagen auf.

„Wie ist dies geschehen?“

„Unsere Tochter war bei der Familie de Girodel eingeladen und sie kehrte abends noch zurück. Dabei ist sie in das Unwetter geraten. Dr. Raçon hat sie untersucht und er ist der Meinung, dass sie auf dem Wege der Besserung sich befindet.“

„Warum ist sie nicht übernacht bei Girodel geblieben? Das wäre gewiss kein Problem gewesen.“

„Ich nehme an, damit ich mich nicht sorge, wenn sie nicht zurückkehrt.“

„Das ist gewiss möglich. Hauptsache sie wird wieder gesund. Aber sag, Emilie, was ist mit dir? Deine Augen leuchten so, wie ich es lange bei dir nicht mehr gesehen habe.“

„Mit mir, mein Gemahl? Es ist nichts. Ich freue mich nur, dass du wieder hier bist und das es unserem Kind besser geht.“

Prüfend sah der General seine Frau an. Jedoch kannte er sie und nickte daher nur abschließend.

„Ich verstehe. Tust du mir bitte noch einen Gefallen? Richte Sophie bitte aus, dass ich morgen Abend einen Gast erwarte und sie daher bitte das Diner dafür vorzubereiten.“

„Ja, das werde ich tun. Aber wer kommt den zu Besuch?“

„Graf de Girodel. Er wollte mit mir einige Dinge besprechen.“

„Ich werde alles vorbereiten lassen, mein Gemahl.“

Emilie erhob sich mit diesen Worten.

„Sophie hat für uns Tee im Salon serviert. Ich hoffe, du wirst ihn gleich mit mir einnehmen.“

„Ja, gleich. Jedoch muss ich zuerst noch diese Dokumente durchsehen.“

Seine Frau nickte kurz und verließ anschließend das Arbeitszimmer ihres Mannes. Bei dem Gedanken, dass Girodel hier erscheinen würde, bekam Oscars Mutter ein ungutes Gefühl in der Magengegend.

//Ich hoffe, dass nicht das eintreten wird, was ich vermute.//

Leise seufzte sie bei ihrem Gedanken, als sie zu Sophie in die Küche ging. Diese sah sofort auf, als sie Schritte hörte.

„Madame? Kann ich Euch helfen?“

„Ja, Sophie. Mein Gemahl lässt ausrichten, dass wir morgen Abend einen Gast zum Essen erwarten.“

Andrés Großmutter entging der besorgte Gesichtsausdruck ihrer Herrschaft nicht. Da sie nicht ahnte, was Emilie wusste, konnte sie sie daher nicht direkt darauf ansprechen.

„Wer wird den erwartet, Madame?“

„Graf de Girodel. Er hat etwas mit meinem Gemahl zu besprechen.“

Abermals seufzte sie, so dass Sophie näher trat.

„Fühlt Ihr Euch nicht wohl, Madame? Vielleicht war alles ein wenig zu viel“, kam es besorgt.

„Nein, Sophie. Mir geht es gut. Aber ich bin nicht frei von Sorgen.“

„Sorgen, Madame?“

Emilie sah Sophie direkt prüfend an.

„Ich glaube nicht, dass der Graf hierher kommt, weil es um meinen Gemahl geht, sondern eher wegen Oscar.“

„Seit Ihr Euch da sicher, Madame?“

„Ja, das bin ich. Leider. Seine Blicke ihr gegenüber sind nicht zu übersehen. Er liebt sie.“

Sophie führte erschrocken die Hände zu ihrem Mund.

„Aber was ist…“, begann die alte Dame.

Doch dann merkte sie, dass sie sich verplappert hatte.

„Was mit André und Oscar ist? Ich weiß es nicht. Du kennst meinen Gemahl und ich glaube nicht, dass er begeistert davon wäre, wenn er davon erfährt. Er will ja nur ihr Bestes, nur ob es das wirklich ist, bezweifele ich.“

Sophie schluckte unmerklich, als sie Emilie Worte vernahm. Kurz öffnete sie ihren Mund, um etwas zu sagen, doch dann schwieg sie. Oscars Mutter brauchte sie nicht direkt ansehen, um zu wissen, wie es um Sophie stand.

„Die beiden lieben sich, Sophie. Und sie sind ein so wunderschönes Paar.“

„Aber, Madame…“, begann Andrés Großmutter.

„Kein aber, Sophie. Es ist die Wahrheit. Ich habe sie vorhin zusammen gesehen. Und glaube mir, ich wünsche mir für die beiden nur das Beste auf dieser Welt.“

Emilie sah, wie in Sophies Augen sich Tränen bildeten. Daher trat sie zu ihr und schloss sie in ihre Arme.

„Wir müssen einen Weg für die beiden finden. Sie haben es sich mehr als verdient.“

Leise schniefte die alte Dame für einen Moment, bevor sie nickte.

„Ja, Ihr habt Recht. Es ist ein junges Glück. Das darf man nicht zerstören. Aber was sollen wir tun?“

„Ich weiß es nicht. Wir werden abwarten müssen. Im Moment können wir nichts unternehmen und sind somit zum Warten verurteilt.“

„Und Euer Gemahl? Wenn er davon erfährt, wird er gewiss sehr zornig.“

„Ich weiß, Sophie. Aber ich hoffe, dass ich dann mit ihm reden kann. Wir müssen daran glauben und zu Gott, unserem Herren, beten.“

„Ja, Madame. Ich schließe sie mit in meine Gebete ein.“

„Dafür danke ich dir, Sophie“, erwiderte Emilie lächelnd.

„Aber nun muss ich zu meinem Gemahl, er wird gewiss auf mich warten.“

Sophie nickte und sah Oscars Mutter hinterher. Innerlich hoffte sie inständig, dass sich alles zum Guten wenden würde.

Eine folgenschwere Entscheidung

Der Abend verlief ruhig. Oscar und André genossen die gegenseitige Nähe und ihr half es bei der Genesung. Abends aß sie bereits wieder etwas, was André mit einem Lächeln aufnahm. Beide ahnten nicht, was der folgende Tag für sie bringen würde. Beide erfuhren erst am nächsten Morgen, dass der General wieder im Hause war. André durch seine Großmutter und Oscar durch ihren Vater selber. Von ihm erfuhr sie auch von dem Besuch am Abend, jedoch dachte sie sich nichts dabei. Ihre Gedanken waren einzig und allein bei ihrem André. Dieser jedoch spürte deutlich, dass mehr war, als er erfahren hatte, auch wenn seine Großmutter sich nicht weiter dazu äußerte. Zudem konnte er nichts dagegen unternehmen. Oscar berichtete er nicht von seinen Vermutungen, da er wollte, dass sie vollkommen gesund werden sollte. Daher saß er nach getaner Arbeit an ihrem Bett. Sein Blick war nachdenklich.

„Was hast du?“, fragte Oscar ihn, als sie es bemerkte.

„Hm? Was meinst du, Oscar?“

„Du wirkst nachdenklich. Ist etwas geschehen?“

„Aber nein. Es ist alles in Ordnung. Jedoch willst du heute Abend wirklich bei dem Diner teilnehmen? Wäre es nicht besser, wenn du dich noch ausruhst?“

„Mach dir keine Sorgen. Ich fühle mich bereits besser. Und wenn es mir doch nicht gut gehen sollte, werde ich mich zurückziehen“, erwiderte sie lächelnd und strich ihm dabei über die Wange.

„Es ist doch nur ein gemeinsames Essen.“

//Das denkst auch nur du. Ich habe ein ganz ungutes Gefühl…//

André versuchte seine düsteren Gedanken zu verdrängen und daher erwiderte er ihr Lächeln.

„Du hast bestimmt Recht.“

Er beugte sich zu ihr und gab ihr einen zärtlichen Kuss.

„Ich werde dich nun alleine lassen, damit du dich umkleiden kannst.“

Oscar erwiderte sanft seinen Kuss und hielt dann ihr Lächeln.

„Tu dies. Wir sehen uns nachher?“

André erhob sich und nickte.

„Ganz gewiss, Liebste.“

Bei diesem Wort strahlten Oscars Augen noch stärker. Dann verabschiedeten sie sich von einander und Oscar begann sich anzukleiden.

Als sie eine halbe Stunde später die Treppe hinunter schritt, traf auch der Besuch ein. Freundlich begrüßte sie ihn, jedoch war Oscar etwas verwirrt, als Girodel ihr einen Handkuss gab, was er normalerweise nie tat. Aber sie ließ ihn gewähren. Gemeinsam mit ihren Eltern gingen sie in das Esszimmer, welches bereits prachtvoll hergerichtet war. Und kaum das sie saßen, wurde ihnen auch das Essen serviert. Viel wurde währenddessen nicht gesprochen. Der Hauptbestandteil der Gespräche war die Arbeit in der Garde, das Militär allgemein und die momentane Situation bei Hofe. Emilie verhielt sich, wie es der Anstand verlangte und schwieg. Jedoch nahm sie alles genau war und behielt dabei ihre Tochter im Auge, ohne das jemand es bemerkte.

Nach dem Essen gingen sie in den Salon, um einen Kaffee zu trinken. Alles schien wie ein ganz normaler Besuch abzulaufen. Jedoch war dem nicht so. Nach der zweiten Tasse Kaffee bat Girodel Oscars Vater auf ein Gespräch unter vier Augen. Dieser nickte und verließ anschließend mit dem Grafen den Salon, um in sein Arbeitszimmer zu gehen. Daher blieben Emilie und Oscar im Salon zurück.

„Wie fühlst du dich, mein Kind?“

„Mir geht es wieder besser, Maman“, erwiderte diese mit einem Lächeln.

„Das freut mich. Aber du solltest dich bald zurückziehen. Du bist noch nicht vollkommen genesen und ich möchte nicht, dass du einen Rückfall erleidest.“

„Macht Euch keine Sorgen. Ich gebe auf mich acht.“

Emilie seufzte innerlich. So kannte sie ihr Kind. Aber etwas dagegen unternehmen konnte Madame de Jarjayes nicht.

„Wie du meinst, mein Kind. Aber ich werde mich nun zurückziehen. Wenn etwas sein sollte, scheu dich nicht zu mir zukommen.“

Mit diesen Worten erhob sie sich.

„Gewiss, Maman. Ich wünsche Euch eine gute Nacht.“

„Ich dir auch, Oscar.“

Dann verließ Emilie den Salon und Oscar blieb alleine zurück. Ruhig trank sie ihren Kaffee und ahnte nichts von dem, was sich im Arbeitszimmer ihres Vaters abspielte.
 

„General de Jarjayes? Ich nehme an, dass Ihr wisst, dass ich aus einem speziellen Grund diese Unterredung mit Euch erbat.“

Oscars Vater nickte und reichte ihm dabei ein Glas Rotwein.

„Aber gewiss, Graf de Girodel“, erwiderte er mit einem Nicken.

„Nun, es geht um Eure Tochter Oscar“, begann Girodel.

Der General trank, während der Graf sprach, ruhig von seinem Wein und sah dabei über den Gläserrand zu ihm, ohne ihn jedoch zu unterbrechen.

„Seit ich Oscar das erste Mal sah, hat sie mein Herz für sich gefangen genommen und ich wollte heute offiziell um ihre Hand bitten.“

Scheinbar vollkommen ruhig leerte der General sein Glas.

„Ich verstehe, Graf. Und Ihr sollt eine positive Antwort von mir bekommen. Ich stimme Eurem Wunsch zu.“

Kaum das Victor es hörte, zeichnete sich ein deutliches Lächeln auf seinen Lippen ab.

„Ich danke, Euch.“

Kurz zeigte Oscars Vater ein Nicken, dann stellte er sein leeres Glas ab.

„Kein dank. Es erfüllt mich mit Freude und mit Stolz. Morgen werde ich zum König gehen und eine Anfrage an ihn richten, um Eure Vermählung offiziell werden zu lassen.“

Als Antwort nickte der Graf.

„Und ich werde dafür Sorge tragen, dass die Verlobung in unserem Hause ausgerichtet wird. Sagen wir in zwei Wochen?“

„Das freut mich außerordentlich, General de Jarjayes.“

Zufrieden sah Oscars Vater ihn an. Dann stießen sie noch auf das bald freudige Ereignis an. Erst sehr spät verabschiedete sich der Graf.

Oscar war bereits zu Bett gegangen, nichts ahnend von dem was beschlossen worden war.
 

Am nächsten Tag holte General de Jarjayes die Erlaubnis des Königs ein und als Oscar ein paar Tage später wieder vollkommen gesund war, wurde sie mit seiner Entscheidung konfrontiert.

Es war ein schöner Morgen. Gemeinsam saß sie mit ihrer Familie beim Frühstück, als ihr Vater ihr mitteilte, dass er sie mit dem Grafen de Girodel, auf dessen Bitte hin, einer Verlobung zugestimmt hatte. Oscar konnte nicht glauben, was sie da erfuhr. Auch Emilie war erschrocken, sie hatte so sehr gehofft, dass dieser Fall nicht eintreten würde.

„Aber Vater? Warum diese Entscheidung?“, unterbrach Oscar seine Worte.

Dabei erhob sie sich rasch, sodass ihr Stuhl umfiel.

„Es ist zu deinem Besten. In zwei Wochen wird hier im Hause die offizielle Verlobungsfeier stattfinden und dafür wünsche ich mir von dir, dass du ein Kleid tragen wirst!“

Oscar schüttelte ihren Kopf, dass ihre blonden Locken nur so flogen.

„Das könnt Ihr nicht von mir verlangen!“

„Und ob ich das kann, Oscar! Ich bin dein Vater und du hast dich meinen Anweisungen zu beugen!“, erwiderte er mit langsam zornigem Ton.

„Das werde ich niemals zulassen!“

„Du wirst es! Und keine Widerworte mehr. Der König hat bereits seine Zustimmung gegeben. Also ist es beschlossen!“

Oscar spürte deutlich Tränen in sich aufsteigen, aber sie kämpfte tapfer dagegen an. Sie wollte sich keine Blöße vor ihrem Vater geben, zudem konnte dieser auch Tränen nicht leiden. Erst Recht nicht bei ihrer Erziehung. Daher lief sie blindlings aus dem Raum und verschwand in ihrem Zimmer, wo sie sich auf ihrem Bett fallen ließ. Kurz darauf waren ihre Kissen getränkt von ihren Tränen.

Als Oscar aus dem Zimmer rannte, stand ihre Mutter auf. Ihr sanftes Mutterherz zog sich zusammen. Kurz war ihr Blick auf die offen stehende Tür gerichtet, jedoch wanderten ihre Augen nun zu ihrem Gemahl, der scheinbar die Ruhe selbst war.

„Warum hast du das getan? Hat sie nicht immer das getan, was du wolltest? Lass sie nun ihren eigenen Weg gehen.“

„Sie hat und wird es auch weiterhin tun. Ich will nur ihr Bestes.“

„Und was ist deiner Meinung nach das Beste für sie?“

„Sie ist eine junge gesunde Frau und sie wird die Ehre unseres Hauses hochhalten. Eine eheliche Verbindung mit der Familie de Girodel ist das Beste was ihr geschehen kann. Der junge Graf ist, meiner Meinung nach, der ideale Ehemann für sie. Oscar wird ihm viele starke Söhne schenken.“

„Liegt dir scheinbar nichts an dem Wohl unseres Kindes?“

„Und ob es das tut. Was denkst du von mir, Emilie? Oscar soll eine sichere Zukunft haben. Mit ihrer Erziehung habe ich einen Fehler gemacht. Ich hätte nicht wider Gottesworten handeln dürfen, so will ich nun mit dieser Bindung alles wieder in die richtigen Bahnen lenken. Dazu vergiss nicht, Emilie, du wurdest ebenfalls mit mir verheiratet.“

„Du scheinst es dir sehr einfach zu machen, nicht wahr? Glaubst du, dass das wirklich möglich ist? Möchtest du gar nicht wissen, wie sie es empfindet?“, erwiderte sie mit einem Seufzen.

„Ja, wir wurden vermählt. Aber aus unserer Zweckbindung entstand Liebe. Willst du mit deinem ’Wunsch’ jeglichen Respekt, die Liebe und das Vertrauen deiner eigenen Tochter für immer verlieren?“

Langsam wurde Oscars Vater ungehalten.

„Ich verbitte mir solche Worte! Auch von dir! Ich bin das Familienoberhaupt und meine Kinder haben meine Wünsche und Befehle zu akzeptieren und nicht zu hinterfragen! Und das gilt auch für dich, meine Gemahlin! Und wenn du dies nicht tolerieren willst, wirst du mich kennen lernen! Hast du mich verstanden?“, polterte er sie ungestüm an.

Emilie schaffte es, den Blickkontakt mit ihrem Gemahl aufrecht zu erhalten und bei seinen Worten nicht zusammen zu zucken. Jedoch war ihre Atmung schwerer geworden.

„Gewiss habe ich deine Worte verstanden. Und du weißt, dass ich immer deine Entscheidungen akzeptiert habe, auch als es um Oscars Erziehung ging. Aber ist sie nun nicht wirklich alt genug, ihre eigenen Entscheidungen zu fällen?“

„Nicht so lange sie hier in diesem Haus wohnt. Und wenn sie sich nicht meinem Willen beugt, ist sie nicht mehr meine Tochter.“

Madame de Jarjayes konnte nicht glauben was sie da hörte. Daher schwieg sie und verließ Kopfschüttelnd den Raum. Kurz zögerte sie, doch sie folgte ihrer Tochter. Leise klopfte sie an deren Zimmertür an.

„Oscar? Darf ich eintreten?“, fragte sie sanft.

„Maman? Ja, kommt herein.“, kam die gedämpfte Antwort.

Emilies Herz schmerzte, erst recht, als sie ihre Tochter weinend auf ihrem Bett liegen sah. Sofort eilte sie zu ihr und setzte sich neben sie. Zärtlich strich sie ihrer Tochter über den Rücken.

„Versuch dich zu beruhigen, mein Kind.“

„Aber wie? Ich verstehe ihn nicht. Und warum Girodel? Ich… ich…“

„Du liebst ihn nicht, sondern André.“

Leicht nickte Oscar bei ihren Worten.

„Aber würde Vater das jemals verstehen und sogar akzeptieren?“

„Das kann ich dir leider nicht beantworten, mein Kind. Glaube mir, ich werde mich für dich und auch für André einsetzen! Das verspreche ich dir.“

Oscars Augen füllten sich wieder mit Tränen und sie vergrub ihren Kopf in Emilies Kleid.

„Ich danke Euch, Maman. Von ganzem Herzen.“

„Shht… Ich bin deine Mutter und ich möchte nur, dass du glücklich bist. Du bist doch mein letztes Kind, welches mir noch geblieben ist“, erwiderte sie und strich ihr dabei weiterhin durch das Haar.

Dabei hoffte Oscars Mutter, dass sie eine Lösung finden und ihr Gemahl sich bald beruhigen würde.

Nach einer Weile waren Oscars Tränen verstummt und sie war erschöpft eingeschlafen. Sanft betete Emilie ihr Kind in ihren Kissen. Dann erhob sie sich und traf André, der gerade das Zimmer betreten hatte. Für einen Moment bat sie ihn um eine Unterredung. Überrascht folgte er ihr und sah sie anschließend abwartend an. Als er erfuhr, dass seine Befürchtung war geworden war, ballten sich seine Fäuste und sein Blick wurde düster.

„Bleib ruhig und besonnen, André. Ich werde sehen, dass ich das Beste für euch machen kann.“

Bei diesen Worten sah er sie auf einmal überrascht an.

„Aber… aber, Madame?“, stammelte er.

„Ich weiß bescheid, mein Junge. Euch beiden sieht man das Glück an und ich freue mich sehr für Euch. Ich weiß, dass du mein Kind glücklich machen kannst und dafür werde ich kämpfen.“

Nun bildeten sich in Andrés Augen Tränen. Er konnte nicht anders und gab ihr einen leichten Handkuss. Aber Emilie entzog ihm ihre Hand und drückte ihn anschließend mütterlich an sich.

„Geh zu ihr. Sie schläft jetzt. Nur sei vorsichtig. Mein Gemahl ist im Moment sehr gereizt. Wir müssen die Zeit abwarten.“

André war von ihrer Handlung mehr als überrascht, jedoch ließ er sie gewähren. Dann nickte er leicht.

„Ihr habt recht, Madame. Ich werde acht geben.“

Lächelnd gab Emilie ihm einen Kuss auf die Stirn.

„Ich weiß, André. Wir dürfen unser Vertrauen nicht verlieren.“

„Dafür werde ich Sorge tragen.“

Nun nickte Emilie und ließ ihn zu seiner Oscar. Lächelnd sah sie André hinterher und machte sich anschließend auf den Weg in ihr Schlafgemach. Dabei kreisten ihre Gedanken immer wieder um das entstandene Problem, bis sie in einen unruhigen Schlaf fiel.
 

Sophie war währenddessen in der Küche. In ihren Augen standen ebenfalls Tränen, da ihr die Worte des Generals nicht entgangen waren. Zudem hatte er ihr bereits die Verlobungsfeier mitgeteilt, dass sie sich darum kümmern sollte. Ihr altes Herz war schwer. Ihr ging es ähnlich wie Madame de Jarjayes und auch sie suchte nach einer Lösung.
 

So ging der Tag ohne weitere Vorkommnisse zu Ende. General de Jarjayes hatte sich nach dem Frühstück wütend in sein Arbeitszimmer eingeschlossen und zog es später auch vor dort zu nächtigen. André blieb bis zum Abend bei Oscar und redete mit ihr über den Vorfall. Er versprach, dass er sie niemals aufgeben und für sie kämpfen würde.

Emilie blieb in ihren Gemächern, um nachzudenken. Jedoch jeglicher Lösungsansatz, den sie fand, verlief im Sande.

Wie Liebesglück zur Liebesqual werden kann

Die Tage vergingen, ohne dass sich etwas an der Situation änderte. Oscar ging ihrem Dienst nach und versuchte dabei Girodel aus dem Wege zu gehen. Meistens wies sie ihm irgendwelche Aufgaben zu, mit denen er mehrere Stunden beschäftigt war. André versuchte immer in ihrer Nähe zu sein. Auch wenn sie sich nicht umarmen oder küssen konnten, schenkten sie sich gegenseitig immer wieder ein Lächeln.

Nach Oscars Dienstschluss ritten sie immer gemeinsam zurück, wie sie es früher auch immer taten. Aber dennoch blieben sie dabei sehr vorsichtig. Beide wussten, dass sie sich nicht verraten durften. So blieben den beiden immer nur wenige Minuten, in denen sie unbeobachtet Zärtlichkeiten austauschen konnten. Diese Momente waren sehr kostbar für beide und sie genossen sie sehr.

An einem Abend, etwa eine Woche vor der Verlobungsfeier, bekam Oscar eine Idee. Diese musste sie André unbedingt mitteilen. Daher trat sie nach dem Abendessen hinaus, um noch etwas frische Luft zu tanken. Dabei kreuzte sie Andrés Weg. Mit einem eindeutigen Blick, gab sie ihm zu verstehen, dass sie ihn treffen wollte. Mit einem unauffälligen Blinzeln bestätigte er ihr, dass er verstanden hatte. Daher folgte er ihr etwas später, ohne dass es jemand bemerkte.

In Madame de Jarjayes geliebten Rosegarten, der sich ein Stück abseits der großen Parkanlagen erstreckte, trafen sie sich. Lächelnd umarmte sie André und küsste ihn anschließend zärtlich. Lächelnd drückte er sie an sich und erwiderte dabei den Kuss sanft.

„Ich habe mich nach dir gesehnt, Liebster.“

„Mir ging es genauso, Liebste.“

Für ein paar Minuten genossen sie das Beisammensein. Doch dann löste sich Oscar von André. Überrascht sah dieser sie an, dabei entging ihm ihr auffälliges Lächeln nicht.

„Was hast du, Liebste.“

„Ich habe vielleicht eine Lösung für unser Problem gefunden?“

„Wirklich?“

„Ja. Ich werde morgen zum König gehen und ihn bitten, die Zustimmung für die Verlobung zurück nehmen.“

„Ich verstehe. Aber wie wird dein Vater reagieren, wenn er es erfährt?“

„Das wird sich nicht verhindern lassen. Aber ich habe eine Möglichkeit gefunden, wie wir dennoch zu einander stehen könnten.“

Andrés Blick war fragend und er verstand nicht, auf was Oscar hinaus wollte. Diese sah es, strich ihm zärtlich über die Wange und hauchte ihm anschließend einen Kuss auf die Lippen. Er war für einen Moment überrascht, jedoch fing er sich schnell wieder und erwiderte dann den Kuss sanft.

„Ich werde die Königin bitten dir einen Titel zu verleihen und sie wird es gewiss gern tun.“

Nun sah André sie verdattert an. An so eine Möglichkeit hatte er nicht gedacht. Aber ihm war nicht wohl bei dem Gedanken. So löste er sich von Oscar und schritt an einem der Rosenbeete entlang. Dabei vergrub er seine Hände in den Taschen seiner Jacke. Oscar folgte ihm und kuschelte sich an seinen Rücken, als er stehen blieb.

„Was hast du, Liebster?“, fragte sie sanft.

„Ich weiß nicht, ob deine Idee wirklich gut ist. Gewiss wäre ich der Königin sehr dankbar, wenn sie zu uns steht. Aber ich bin ein stolzer Bürger Frankreichs und kein Adeliger“, erwiderte er leise.

Oscar löste sich bei seinen Worten von ihm und senkte dabei ihren Kopf. Daran hatte sie nun nicht gedacht. Es tat ihr wirklich leid. Sie hatte ihm den Titel gewiss nicht aufdrängen wollen. Zudem hatte sie selber vergessen, wie sehr André Frankreich liebte und gern ein Bürger dieses wunderschönen Landes war.

André drehte sich zu ihr um und bemerkte sie ihre traurige Haltung.

„Wir brauchen doch keinen Titel um glücklich zu sein. Oder denkst du da anders?“

Oscar schüttelte ihren Kopf.

„Nein, den brauchen wir nicht. Für dich allein, würde ich auf ihn und auf alles andere verzichten.“

Lächelnd schloss André sie in seine starken Armen und küsste sie zärtlich. Oscar erwiderte diesen glücklich.

Jedoch war diese Szene nicht unbeobachtet geblieben. General de Jarjayes hatte nur den Abend mit einem kleinen Spaziergang beschließen wollen und da er seiner Gemahlin eine Freunde bereite wollte, war er zu ihrem Rosengarten gegangen, um ihr ein paar Rosen zupflücken. Aber seine gute Laune verschwand mit einem Schlag, als er seine Tochter in einer innigen Umarmung mit André vorfand. Hinzu kam noch der Kuss, der das Fass zum Überlaufen brauchte. Seine Hände ballten sich zu Fäusten und er machte sofort kehrt, ohne dass die beiden es bemerkten. Rasch hatte er das Hauptgebäude wieder erreicht. Dort zog er sich in sein Arbeitszimmer zurück. Von dort aus, konnte er den zum Garten gerichteten Eingang deutlich sehen. Nun wartete er ab und behielt ihn dabei genau im Auge.
 

André und Oscar hatten davon nichts bemerkt. Sonst wären sie nicht so ruhig geblieben. Etwas genossen die Beiden noch ihre Zweisamkeit, doch dann wurde es Zeit zurück zukehren. Gemeinsam gingen sie Hand in Hand durch den Garten bis sie die Eingangstür erreichten. Oscar gab ihrem André noch einen Kuss, wünschte ihm eine Gute Nacht und trat anschließend ins Haus. Lächelnd sah er ihr hinterher und beschloss dann im Stall noch nach dem rechten zu sehen.

Der General hatte diese Szene ebenfalls beobachtet und wartete nun ab. Als Oscar die Eingangshalle erreichte, trat er aus seinem Arbeitszimmer hervor und bat sie zu sich hinein. Kurz nickte Oscar, trat an ihm vorbei und ließ sich anschließend auf einem Stuhl nieder. Ihr Vater schloss die Tür hinter ihr und schritt langsam auf seine Tochter zu. Dabei fiel sein Schatten, wie ein Damokles Schwert, auf sie. Diese jedoch bemerkte die angespannte Situation ihres Vaters. So sah sie zu ihm und wartete auf die Dinge, die nun kommen sollten. Der General schenkte ihr nun noch für einen Moment seine Aufmerksamkeit. Dann trat er an ihr vorbei, um sich ein Glas Cherry einzugießen. Mit diesem ließ er sich an seinem Schreibtisch nieder.

„Ich wollte mit dir über deine Verlobungsfeier reden. Morgen werde ich nach Madame Bertin schicken lassen, damit sie dir ein für den Anlass entsprechendes Kleid anfertigt.“

„Aber, Vater…“, begann Oscar.

„Kein aber! Sie wird auch dein Hochzeitskleid schneidern!“

Der General sah, dass seine Tochter etwas erwidern wollte, jedoch stoppte er sie mit einer harschen Handbewegung.

„Du wirst dich meinem Willen beugen und auf der Feier deine besten Manieren zeigen, Oscar.“

Vollkommen ruhig trank er einen Schluck und beobachtete seine Tochter dabei über den Rand seines Glases.

„Oder möchtest du etwas, dass André etwas geschieht?“

Oscars Augen weiteten sich, aber sie war nicht fähig etwas zusagen.

Mit einer scheinbar gewissen Genugtuung lehnte sich der General zurück.

„Mir ist deine Liebelei mit André nicht entgangen und dein Schweigen, wie auch dein Blick bestätigen dies nur. Du wirst Girodel ehelichen, dann wird André nichts geschehen.“

Oscar musste hart bei seinen Worten schlucken.

„Das könnt Ihr nicht tun.“, brachte sie schwer atmend hervor.

„Und ob ich das kann. In letzter Zeit vermehren sich die Diebstähle in vielen adeligen Haushalten. Das dürfte dir bekannt sein. Und wenn man dieses Schmuckstück hier bei ihm fände, …“, sprach er und holte aus einer Schreibtischschublade einen, in ein Taschentuch eingewickelten, goldenen Armreif hervor. „… könnte nicht einmal der König ihm noch helfen.“

In Oscars Augen stiegen Tränen der Wut empor und diese konnte sie nicht zurück halten. Ihr war es gleich, dass ihr Vater diese nun sehen konnte. Sie wollte sie auch nicht mehr verstecken. Daher liefen ihr kurz darauf heiße Tränen über ihre leicht geröteten Wangen.

„Niemals hätte ich gedacht, dass Ihr zu so etwas im Stande seid, Vater.“

Oscar erhob sich und wischte sich dabei mit ihrem Hemdärmel über ihre Augen.

„Ich werde mich Eurem ’Wunsch’ folge beugen“, zischte sie wütend und zugleich enttäuscht.

Es fiel ihr schwer, die Tür normal zuschließen. Aber kaum, das sie sich alleine in der Eingangshalle wieder fand, lief sie weinend in ihr Zimmer, in welches sie sich sofort einschloss. Sie wollte niemanden an diesem Abend noch sehen. Nicht einmal André, der von dem ganzen nichts ahnte.

Was Oscar entging, war der Blick ihres Vaters. Eigentlich hätte dieser zufrieden sein sollen, aber etwas anderes lag in diesem. Mit einem Zug lehrte er sein Glas und legte anschließend seinen kopf auf seine Unterarme.
 

Emilie hatte sich bereits früh zurückgezogen, weil sie sich nicht wohl gefühlt hatte. Jedoch schreckte sie auf einmal aus ihrem Schlaf auf. Ihr Herz raste und ihre Atmung ging schwer. Kurz versuchte Emilie sich zu beruhigen, dann erhob sie sich und zog ihren Morgenmantel über. Während sie diesen schloss, verließ sie ihr Gemach. Bei Oscars Zimmer stoppte sie. Leise klopfte sie an, als sie ein leichtes Schluchzen aus dem inneren des Raumes vernahm.

„Oscar? Kind, ich bin es. Lass mich zu dir“, sprach sie sanft.

Kurz herrschte Stille.

„Ich möchte meine Ruhe, Maman“, kam es von Oscar.

„Aber, mein Kind“, erwiderte Emilie besorgt.

„Versteht es bitte.“

„Wie du wünscht, mein Kind.“

Traurig sah Emilie auf die verschlossene Tür. Dann seufzte sie und schritt kurz darauf langsam die große Treppe hinab. Ihr Weg führte sie zum Arbeitszimmer ihres Ehemannes. Da er ihr nachmittags bereits mitgeteilt hatte, dass er noch einiges zu erledigen hatte, wusste Emilie, dass er sich dort aufhalten musste. Ruhig klopfte sie nun auch hier an, als sie das Arbeitszimmer erreicht hatte.

„Mein Gemahl?“, fragte sie vorsichtig, als keine Reaktion auf ihr Klopfen kam.

Jedoch blieb es ruhig.

„Ist etwas geschehen?“

Wieder blieb der General ihr eine Antwort schuldig. So konnte Emilie nur besorgt den Rückweg zu ihrem Schlafgemach antreten. Dort ließ sie sich seufzend auf ihrem Bett nieder. Was war nur geschehen? Emilie spürte eine deutliche Furcht in sich, die sie sich noch nicht ganz erklären konnte. Aber sie hoffte, dass diese sich bald klären würde. Emilie sah von ihrem Platz zum Fenster hinaus und ihr Blick blieb auf dem zunehmendem Mond und den unendlichen Sternen hängen. Dabei verließ ein Seufzen ihre Lippen und ihre Stirn legte sich in Sorgenfalten. Emilie hoffte, dass ihr Kind sich ihr morgen öffnen und sie somit erfahren würde, was vorgefallen war. Ihr war bewusst, dass es sehr einschneidend gewesen sein musste, sonst wäre ihr Kind niemals so aufgelöst gewesen. Aber nun konnte sie nichts unternehmen, außer sich zur Ruhe zu betten. Es fiel ihr schwer wieder den Schlaf zu finden.
 

André hatte in Ruhe nach den Pferden gesehen und hatte jedem noch einen Apfel gegeben. Anschließend flanierte er noch etwas durch den Garten und genoss dabei die milde Luft. Er ahnte nicht, was im Haus geschehen war, sonst wäre er bereits zu Oscar geeilt. Aber nun waren nur seine Gedanken bei ihr und seine Gefühle für sie. Es war noch immer für ihn unfassbar, dass sie ihn wirklich liebte. Allein dieser Gedanke ließ Andrés Herz wieder und wieder vor Freude hüpfen.

//Ich werde mein Versprechen halten und wir werden zusammen glücklich werden. Sei dir sicher!//

Bei diesem Gedanken lächelte er in sich hinein. André war sich sicher, dass sie es gemeinsam schaffen würde, nur daran mussten sie glauben. Zusammen würden sie alle Hürden meistern. Und er war sich sicher, dass sie es würden. Mit Zuversicht in seinem Herzen betrat er das Gebäude. Alle schienen bereits zu schlafen. Nur noch beim Arbeitszimmer des Generals schimmerte Licht unter der Tür hervor.

//Er scheint wohl noch viel Arbeiten zu müssen.//

Kurz blieb er stehen, dann wanderte sein Blick zur Treppe empor, die ihn zu seiner geliebten Oscar führen würde. Aber er wusste, dass dies nicht klug sein würde. Es war zu spät und es ziemte sich nicht zu nachtschlafender Zeit in die Gemächer einer jungen Dame einzudringen. Bei der Vorstellung, Oscar in einem Traum von Kleid zu sehen und mit dem Manieren einer echten Dame, konnte André sich ein Grinsen nicht verkneifen. Dies war gewiss nicht böswillig, dafür liebte er Oscar zu sehr, aber Oscar gehörte für ihn einfach in eine Hose mit einem dazugehörigen Hemd. Alles andere wäre nicht seine Oscar.

Kurz schickte er in Richtung Oscars Schlafzimmer noch ein Lächeln. Anschließend machte er sich auf dem Weg in sein Zimmer. Dort zog er sich in Ruhe um, öffnete dann sein Fenster, um die frische Luft in den Raum zulassen und anschließend streckte er sich auf seinem Bett aus. Etwas genoss er noch den leichten Wind, der durch das geöffnete Fenster hinein kam und ihn so umspielte. Und mit den Gedanken an seine geliebte Oscar schlummerte er langsam ein.

Unmut im Hause de Jarjayes

Oscar zog es am nächsten Tag vor, nicht am gemeinsamen Frühstück mit ihrer Familie teilzunehmen. Sie blieb lieber auf ihrem Zimmer, um dort die Wand anzustarren. Niemanden ließ sie zu sich vor. Auch André nicht, als er etwas freie Zeit hatte. Er war schon sehr verwundert, aber er hoffte, dass er am Abend mit Oscar würde reden können. Daher zog er unverrichteter Dinge von dannen.

//Es tut mir leid, André. Bitte glaube mir.//

Oscar konnte nicht mehr weinen. Ihre Augen brannten, aber keine Tränen bildeten sich mehr. Ihr Herz lag in Scherben vor ihr und sie wusste weder ein noch aus. So verging der Morgen bis Madame Bertin eintraf. Jetzt musste Oscar ihre Tür öffnen und die Schneiderin mit ihren Helferinnen eintreten lassen. Es dauerte nicht lange und sie wuselten um sie herum. Nahmen hier Maß, wählten dort verschiedene Stoffe aus und puzzelten dabei immer wieder an Oscar herum. Normalerweise konnte sie so etwas nicht leiden, aber im Moment hatte sie keine andere Wahl, als es zu erdulden. Wie eine Puppe folgte sie den Anweisungen, wenn sie einmal den Arm heben oder sich um ihre eigene Achse drehen sollte.

//Ach… mein André… Wenn wir doch nur von hier fort könnten… Irgendwohin, wo wir glücklich sein könnten…//

Innerlich seufzte Oscar bei diesem Gedanken.

Emilie de Jarjayes und Sophie waren ebenfalls in Oscars Zimmer. Auf einer Seite freuten sie sich, dass Oscar bald ein Kleid tragen würde. Jedoch auf der Anderen, waren sie sehr traurig. Deutlich bemerkten sie Oscars Verzweiflung, aber helfen konnten sie ihr im Moment nicht. Ihre Mutter versuchte ihr beizustehen, so gut sie es konnte. Und auch Andrés Großmutter gab ihr bestes. Aber sogar ihre sonst so fröhliche Laune, wenn es um ihren letzten Schützling ging, war heute nicht zu bemerken.

Sie hatte ein längeres Gespräch mit Madame de Jarjayes am heutigen Morgen gehabt und so war ihr Kenntnisstand derselbe, wie der Oscars Mutter. Sophie liebte Oscar, wie ihren eigenen Enkel und auch sie wünschte den beiden das Beste. Aber wie sollte sie etwas gegen den General unternehmen? Ihre Gedanken kreisten immer wieder, jedoch ohne ein klares Ergebnis zubekommen.

Von dem was am Vorabend geschehen war, wussten sie nur soviel, dass heute die Schneiderin kommen sollte. Mehr hatten auch sie nicht Erfahrung bringen können. Jedoch wollten beide Frauen Oscar beistehen und sie unterstützen und Oscar war froh, dass beide bei ihr waren.

Als die Schneiderin und ihre Helferinnen am späten Nachmittag endlich das Anwesen verließen, war Oscar mehr als erleichtert. Seufzend ließ sie sich an ihrem Tisch nieder. Sophie holte rasch einen Tee und servierte ihr und Madame de Jarjayes diesen. Erst wollte die alte Dame noch bleiben, aber sie besann sich ihren Aufgaben und ließ die beiden anderen zurück.

Schweigend tranken Oscar und ihre Mutter den Tee, dabei beobachtete diese ihre Tochter genau.

„Mein Kind? Was ist gestern vorgefallen? Ich mache mir Sorgen um dich.“

„Es war nichts, Maman.“

„Bitte belüge mich nicht, Oscar.“

„Wie kommt Ihr auf die Idee, dass ich dies tun würde?“

„Weil ich dich kenne. Zudem habe ich gehört, wie du weintest und auch heute wirkst du mehr als traurig.“

Oscar seufzte nun richtig und fuhr dabei mit ihren schlanken Fingern durch ihr blondes Haar.

„Es tut mir leid, Maman. Aber ich möchte Euch nicht mit hineinziehen.“

„In was, mein Kind?“

Sanft legte Emilie ihre Hand auf die ihrer Tochter.

„Mach dir um mich keine Sorgen.“

Schweigend sah Oscar ihre Mutter an, dann senkte sie ihren Blick und schaute in ihre geleerte Tasse.

„Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll“, begann sie nach einer ganzen Weile des Schweigens.

„Ich hatte eigentlich gedacht, einen Weg für André und mich gefunden zu haben.“

„Das freut mich zu hören, mein Kind.“

Nun schüttelte Oscar ihren Kopf, so dass ihre Locken nur so flogen.

„Leider ist er nicht durchführbar.“

„Erzähl mir bitte, was du genau meinst.“

So begann Oscar von ihrer Unterhaltung mit André zu berichten. Emilie lauschte genau und nickte dann verstehend.

„Vielleicht sollte ich zur Königin gehen und mit ihr reden. Es ist zwar eine Weile her, dass ich immer an ihrer Seite war, aber sie hat meinem Wort Gehör geschenkt.“

„Das wird nichts bringen und ich bitte Euch, geht nicht zu der Königin.“

„Aber warum? Dein Vorschlag war doch sehr gut.“

Emilie verstand nicht, warum Oscar sich dagegen sträubte.

„Wenn Ihr das tut, wird… wird…“

Nun begannen Oscars Augen doch wieder feucht zu schimmern und ein leises Schluchzen verließ ihre Kehle.

„Was wird dann, mein Kind?“

Besorgt schloss Oscars Mutter ihre Tochter fest in ihre Arme. Wie früher strich sie ihr dabei durchs Haar und wiegte sie leicht.

„Vater… Er… er hat uns gesehen.“

Emilies Augen weiteten sich, als sie das vernahm. Jedoch schwieg sie, damit Oscar weiterreden konnte.

„Er machte mir gestern Abend deutlich, dass ich mich nicht gegen die Verlobung mit dem Grafen stellen und nichts dagegen unternehmen darf.“

„Was hat er gesagt?“

Langsam aber sicher stieg die Wut in Emilie empor.

„Das, wenn ich nicht auf ihn höre und das tue, was er verlangt, er André fortschicken wird und noch schlimmer.“

„Noch schlimmer?“, Madame de Jarjayes konnte nicht fassen, was ihre Tochter von sich gab.

Schniefend nickte diese.

„Er würde André abführen und in die Bastille sperren lassen.“

„Das ist doch nicht dein ernst?“

„Und ob, Maman. Nun kann ich mich ihm nur beugen, wenn ich Andrés Sicherheit garantieren will.“

Madame de Jarjayes war Fassungslos, als Oscar endete.

„Das kann nicht sein ernst sein. Ich werde sofort mit ihm reden!“

Vorsichtig löste sie sich von ihrem Kind und erhob sich.

„Nicht, Maman. Ich will nicht, dass Euch etwas geschieht!“

„Keine Sorge, mein Kind. Er wird mir nichts tun“, erwiderte Emilie und strich ihr dabei sanft über die Wange.

Dabei lächelte sie sie aufmunternd an, auch wenn ihr nicht danach zu mute war. So verließ sie Oscars Zimmer und schritt hinab zum Arbeitszimmer ihres Gemahls. Dabei lief ihr André über den Weg. Dieser war überrascht Madame de Jarjayes aufgebracht zu sehen. Er kannte sie eigentlich immer als zurück haltende und ruhige Frau. Aber scheinbar war dies nicht der Fall. Kurz stoppte sie bei ihm und teilte ihm mit, dass er bitte zu Oscar gehen sollte. Anschließend eilte sie zügigen Schrittes und mit gerafften Kleidern weiter. André hatte nur kurz genickt und sah ihr nun überrascht hinterher. Daher entging ihm nicht, wie Oscars Mutter ohne Anzuklopfen in das Arbeitszimmer des Generals trat. Zudem bemerkte er, wie unsanft die Tür ins Schloss fiel. Dies ließ ihn zusammen zucken. Etwas musste geschehen sein, daher beeilte er sich nun zu seiner Oscar zugelangen.
 

Emilie hatte Glück, dass ihr Ehemann die Tür von seinem Arbeitszimmer wieder aufgeschlossen hatte. Und nun baute sie sich vor ihm auf.

„Wie kannst du nur?“, kam es, fast vor Wut schnaubend, von ihr.

Der General war mehr als überrascht, als er seine Frau vor sich stehen sah. Jedoch verging dies sofort und sein Blick verengte sich.

„Wo sind dein Benehmen und deine Manieren geblieben? Einfach hier einzudringen…“, begann er gleich loszupoltern.

„Wie bitte? Das fragst du mich? Wie kannst du es wagen, unser Kind so unter Druck zusetzen?“

„Also was erlaubst du dir?“

Wütend stand der General auf und schlug dabei mit seiner Faust fest auf den Schreibtisch. Jedoch Emilie ließ sich diesmal nicht von seinem Gehabe abschrecken. Sie zuckte nicht einmal mit der Wimper.

„Dies könnte ich dich ebenfalls fragen, mein Gemahl!“, erwiderte sie mit funkelnden Augen.

Dem General stieg die Zornesröte ins Gesicht. Er konnte einfach nicht fassen, wie seine Ehefrau sich nun verhielt.

„Ich? Zweifelst du im geringsten Maße meine Autorität an?“

„Ja, du! Wenn du es so sehen willst, dann tu das.“

Seine Fäuste begannen vor Wut zu erzittern und seine Kieferknochen mahlten.

„Was willst du?“

„Das müsstest du dir eigentlich denken können. Aber ich kann dir auch gerne helfen. Wieso zwingst du Oscar den Grafen zu heiraten? Und drohst ihr zugleich noch?“

Die Augen des Generals verengten sich.

„Ich habe meine Gründe und ich verbitte mir, dass man diese hinterfragt! Schließlich bin ich das Familienoberhaupt!“, donnerte er weiter.

„Diese Position will dir auch niemand streitig machen, mein Gemahl. Aber ich hätte gern eine Antwort auf meine Frage. Ist dies zuviel verlangt?“

„Das würde auch in einem vernünftigem Ton gehen. Jedoch hat es dich nicht zu interessieren!“

„Und ob es das hat. Oscar ist auch meine Tochter. Zudem ist sie nicht deine Marionette, mit der du nach belieben spielen kannst!“

„Was hat sie dir gesagt?“, zischte der General sie an.

„Das wirst du wissen. Aber ich möchte es auch von dir erfahren.“

„Wie du willst. Ich habe ihr klar gemacht, dass ich eine Bindung zwischen ihr und André nicht wünsche! Zudem soll sie an den Ruf ihres Familienhauses denken.“

„Das hat sie immer getan und das weißt du! Sie hat immer darauf geachtet, dass du stolz auf sie sein kannst. Und dies, ohne an sich selbst zu denken.“

„Und so wird sie auch weiter handeln. Was die Verlobung angeht, lasse ich nicht mehr mit mir reden!“

„Entweder löst du diese Bindung oder ich werde persönlich beim König vorstellig. Er ist ein kluger Mann und er wird verstehen, wenn ich es ihm erkläre.“

Langsam begann die Wut des Generals überzuschäumen.

„Das wagst du nicht!“, kam es im gefährlichem Ton.

„Und ob. Viele Jahre habe ich geschwiegen und war immer an deiner Seite. Aber nun ist es einfach zuviel. Ich will mein letztes Kind, welches mir noch geblieben ist, nicht durch dich verlieren!“

Das war zuviel für Oscars Vater. Wütend holte er aus und verpasste seiner Frau eine heftige Ohrfeige, so dass sie, durch seinen Schwung, gegen die Gruppe von Stühlen flog und unsanft aufkam. Benommen hielt sie sich ihr Gesicht. Dabei standen Tränen in ihren Augen.

„Wie konntest du nur?“, erwiderte sie kaum hörbar.

Mit geweiteten Augen sah General de Jarjayes auf seine Faust, die er dabei langsam öffnete. Dann fiel sein Blick auf seine Gemahlin. Hatte er das gerade wirklich getan? Es war ihm bewusst, dass er oft jähzornig war, aber er hatte geschworen, niemals seine Hand gegen seine Ehefrau zu erheben und nun hatte er es doch getan. Seine Wangen wurden blass.

„Verzeih“, sprach er tonlos.

Innerhalb weniger Sekunden schien er auf einmal sichtlich zu altern.

Emilie erschrak dies. Nicht nur, weil er so noch nie mit ihr umgegangen war, sondern weil sie nun mit ansehen musste, wie ihr sonst so stolzer Ehemann auf seinem Stuhl in sich zusammen sackte und seinen Kopf in seinen Armen verbarg.

Hart schluckte Oscars Mutter, dann zog sie sich an einem der Stühle empor bis sie auf ihren, noch leicht wankenden Beinen, zum Stehen kam. Kurz atmete sie sie durch und trat auf Oscars Vater zu. Vorsichtig legte sie ihm die Hand auf seine Schulter. Jedoch schüttelte er seinen Kopf.

„Bitte, Emilie. Lass mich allein.“

Oscars Mutter zog ihre Hand zurück, jedoch sah sie ihn weiterhin besorgt an. Hatte es gerade danach geklungen, dass in seiner Stimme Tränen mitschwangen? Noch nie hatte sie ihren Gemahl in dieser Weise erlebt. Sofort war ihre Wut auf ihn verraucht.

„Bitte, mein Gemahl. Schau mich an.“

Der General konnte nur seinen Kopf schütteln.

„Liebster…“, kam es leiser werdend von ihr.

Dieses eine Wort, welches sie schon seit langer Zeit nicht mehr verwendet hatte, versetzte ihm einen Stich in sein Herz. So vergrub er seinen Kopf noch mehr.

„Verzeih mir alten Narr, Liebste. Aber lass mich nun bitte alleine. Ich muss nachdenken.“

Madame de Jarjayes Hände ruhten auf ihrer Brust. Auch ihr Herz schmerzte und dies noch viel mehr, als ihre Wange. Ihr besorgter Blick ruhte auf ihrem Gemahl.

„Verzeih mir, dass ich laut geworden bin. Ich wusste einfach nicht weiter“, kam es entschuldigend von ihr.

Dabei beugte sie sich zu ihm und hauchte ihm einen Kuss auf sein Haar. Anschließend strich sie ihm zärtlich über sein Haupt.

„Ich werde dich in Ruhe lassen, Liebster und mich zurück ziehen.“

Emilie wand sich ab und verließ ruhig das Zimmer. Nachdem sie die Tür leise geschlossen hatte, sah ihr Gemahl auf. In seinen Augen standen wirklich Tränen.

//Es tut mir leid. Das habe ich nicht gewollt. Ich wollte weder dich noch unser Kind ins Unglück stürzen. Aber es ging nicht anders. Vielleicht wirst du es eines Tages verstehen.//

Eine Träne rann an seiner Wange hinab und fiel auf ein geheimnisvolles Schreiben.
 

Oscar und André hatten von dem Streit nichts mitbekommen. André hatte nur erwähnt, wie er ihre Mutter gesehen hatte. Oscar war mehr als in Sorge um sie. Daher wollte sie sofort zu ihr, jedoch André hielt sie auf. Er wollte wissen, was vorgefallen war und als er es erfuhr, stieg in ihm die Wut auf. André erhob sich, um zu ihrem Vater zugehen und mit ihm zureden. Oscar trat zu ihm.

„Sei vorsichtig. Ich möchte nicht, dass dir etwas geschieht.“

„Hab keine Angst, Liebste. Ich werde darauf acht geben. Aber verstehe mich. Ich kann doch nicht zulassen, dass er die Frau, die ich liebe, so behandelt.“

„Oh, André…“

Leicht lächelte Oscar und gab ihm dabei einen zärtlichen Kuss, den André sanft erwiderte. Anschließend verließen sie gemeinsam ihr Zimmer. Dabei wurden sie Zeuge, wie Madame de Jarjayes an ihnen vorbei schritt. Oscar konnte deutlich den Handabdruck auf ihrer Wange sehen und ihre Augen weiteten sich. Auch André war es nicht entgangen und somit folgten beide ihr.

„Maman? Wartet. Hat Vater Euch dies angetan?“

Emilie sah von ihrem Kind zu André und wieder zurück.

„Sei nicht böse auf ihn. Ich habe es mir selber zuzuschreiben. Es war mein Fehler.“

„Euer Fehler? Das ist dennoch kein Grund jemanden zuschlagen! Ich werde zu Vater gehen und ihn zur Rechenschaft ziehen!“

Nun kam Oscars Temperament zum Vorschein, welches André zuvor auch bei ihrer Mutter bemerkt hatte. Die junge Frau machte auf dem Absatz kehrt, jedoch stoppte Emilie sie.

„Oscar. Kind. Dein Vater hat sich entschuldigt. Das ist die Wahrheit. Lass bitte erst die Gemüter wieder ruhiger werden. Dann werden wir alles aufklären. Da bin ich mir sicher.“

Ihre Tochter sah sie prüfend an. Doch nickte sie anschließend.

„Wie Ihr wünscht, Maman.“

Dankbar lächelte Emilie sie an und strich ihr über die Wange.

„Vielleicht reitet ihr beide noch etwas aus. Euch wird die frische Luft bestimmt gut tun.“

Oscar sah zu André. Dieser überlegte erst, dann nickte er.

„Aber Ihr schont Euch, Maman.“

„Das werde ich, mein Kind.“

Nochmals lächelte Emilie beide an, dann zog sie sich in ihr Gemach zurück. André und Oscar sahen ihr noch hinter her.

Etwas später verließen sie hoch zu Ross das Anwesen.

Die Verlobungsfeier

Der Abend und die darauf folgenden Tage verliefen ohne Ereignisse. Madame Bertin war zweimal noch auf dem Anwesen gewesen, um Änderungen an dem Kleid vorzunehmen. Am Tage der Verlobungsfeier war es fertig.

General de Jarjayes verschwand nach dem Vorfall mit seiner Gemahlin für ein paar Tage und traf erst am Nachmittag der Verlobung wieder ein. Kurz besah er sich die Vorbereitungen für die abendliche Feier, die im vollen Gange waren. Anschließend zog er sich in sein Arbeitszimmer zurück und schloss sich dort ein.

Emilie de Jarjayes und Sophie Glacé halfen Oscar beim Ankleiden. Es fiel ihnen schwer, aber alle hofften, dass es noch zu einer positiven Wendung kommen würde. Oscars Mutter entging auch nicht, dass ihr Gemahl wieder da war. Aber er war so schnell in seinem Zimmer verschwunden, dass sie nicht mehr das Gespräch suchen konnte. Nun half sie ihrer Tochter mit der Korsage und seufzte dabei innerlich. Sophie suchte derweil den passenden Schmuck heraus. Oscar, wie auch André, hofften ebenfalls, dass noch etwas geschehen würde. Daher ließ sie ihre Mutter an sich herumpuzzeln. Die meiste Zeit schwieg Oscar, nur als die Korsage geschnürt wurde, verließ ein Murren ihre Kehle. Aber ihr war bewusst, dass sie sich nicht sträuben brauchte, weil es nichts an der Situation ändern würde. Es dauerte noch seine Zeit bis Oscar fertig angekleidet und zu Recht gemacht, vor ihrer Mutter und ihrer alten Amme stand. Diese schwiegen, als Oscar sich einmal um die eigene Achse drehte. Beide Damen hatten feuchte Augen, dass jüngste de Jarjayes Kind in einem Traum von Kleid zusehen. Teils war es ein anerkennender Blick, der aber auch teils von Trauer und Sorge durchwirkt.

„Du siehst wunderschön aus, mein Kind“, kam es von Emilie.

„Ich danke Euch, Maman. Jedoch muss ich zugeben, dass es nicht wirklich bequem ist.“

„Daran wirst du dich gewöhnen. Glaube mir.“

„Ob ich das wirklich möchte…“, erwiderte Oscar traurig.

Ihre Mutter ging zu ihr und strich ihr über die Wange.

„Ich weiß, dass du es nicht magst. Du warst immer ein Kind der Freiheit und warst nicht in einem Panzer aus verschiedenen Stoffen gesperrt. Aber für den heutigen Abend musst du leider durch“, sprach Madame de Jarjayes sanft.

„Und überlege einmal. Trage es nicht für den Grafen, sondern für André. Meinst du, es wird ihm gefallen?“

Nun hob Oscar ihren Kopf und sah ihre Mutter direkt an.

„Ich glaube ja. Er würde mich zwar niemals zwingen, so etwas zu tragen, aber ich glaube, tief in sich würde er mich bestimmt einmal in einem Kleid sehen wollen.“

Emilie lächelte sie an und strich ihr nochmals über die Wange.

„Gewiss, mein Kind. Aber versuch dich nun etwas in deinem Kleid zu bewegen, damit du ein Gefühl dafür bekommst.“

Oscar nickte und tat was ihre Mutter wollte. Sophie beobachtete das ganze noch eine Weile, dann entschuldigte sie sich, um unten bei den abschließenden Vorbereitungen zu helfen.

André strahlte nach außen hin Ruhe aus, aber in ihm drin sah es vollkommen anders aus. Er hatte Angst um Oscar, dass er sie auf ewig verlieren könnte. Dies zerrte sehr an seinem Nervenkostüm, wie auch an seinem Glauben und Vertrauen. Jedoch versuchte er dies nicht nach außen zu zeigen. Um sich etwas Ablenkung zu verschaffen, packte er überall mit an. Auch wenn ihm bewusst war, dass dies mit der Verlobungsfeier zu tun hatte.

Für alle Beteiligten war die Zeit bis zum Abend rasch vergangen. Nach und nach trafen die ersten Gäste ein. General de Jarjayes war rechtzeitig aus seinem Arbeitszimmer in sein Schlafgemach gegangen, dort hatte er sich umgekleidet und begrüßte nun zusammen mit seiner Gemahlin die Gäste.

Pünktlich erschien Graf de Girodel mit seinem Vater. Während der General sie begrüßte, erschien Oscar auf dem Treppenabsatz. Zuerst bemerkte ihr Vater sie nicht, jedoch als die Gespräche um sie herum verstummten, sah er auf. Genauso wie Victor und sein Vater. Sie wurden Zeuge, wie Oscar die Treppe scheinbar herunterschwebte. Kein Anwesender konnte seinen Blick von ihr lösen. Dabei kamen auch langsam die ersten Stimmen hoch.

„Schaut… wie wunderschön sie ist.“

„Ja, wie eine Prinzessin.“

„Ich hätte nie gedacht Lady Oscar in einem Kleid zusehen.“

Dies und viel mehr waren zu vernehmen.

Oscar hörte alles deutlich, aber sie versuchte es zu ignorieren, auch wenn es ihr nicht wirklich leicht fiel. Sie stand nicht gern im Mittelpunkt. Jedoch konnte sie sich diesem nicht entziehen. Langsam schritt sie auf ihre Eltern zu. Ihre Lider hielt sie leicht gesenkt und sah daher nicht, wie vor allem Victor, sie prüfend mit funkelnden Augen betrachtete. Ihre Gedanken waren bei André. Dieser stand etwas abseits. Sein Mund war leicht geöffnet, seitdem er Oscar die Treppe herunter schreiten gesehen hatte.

//Sie ist wunderschön.//

Das war das einzige was ihm nun im Gehirn herumspukte. Dieses Bild, Oscar in einem Kleid, würde er niemals mehr vergessen.

Victor trat auf Oscar zu, verbeugte sich leicht und gab ihr einen zarten Handkuss.

„Ihr seht wunderschön aus, Lady Oscar.“

„Ich danke, Euch“, erwiderte Oscar höflich.

Anschließend begrüßte sie auch Girodels Vater. Das er ebenfalls mehr als angetan von ihr war, entging auch Oscars Familie nicht. Galant bot Victor Oscar seinen Arm an, um sie in den Festsaal zu geleiten. Wie eine Feder legte Oscar ihre Hand auf seinen Unternarm und ließ sich anschließend von ihm führen. Ihnen folgte Oscars Eltern und Victors Vater.

Kaum das Oscar den Saal betreten hatte, waren „Ohs“ und „Ahs“ zu vernehmen.

In der Mitte des Raumes blieben sie stehen und Oscars Vater begrüßte höflich die Gäste. Emilie war dabei an seiner Seite. Unbemerkt beobachtete sie dabei ihr Kind. Ihr tat ihre Tochter leid. Zugern hätte sie ihr das ganze erspart, aber im Moment konnte sie nichts unternehmen.

„Meine verehrten Gäste. Im Namen meiner Familie möchte ich Sie herzlich bei uns begrüßen. Heute ist ein ganz spezieller Tag. Ich möchte nun die Verlobung meiner Tochter Oscar mit Graf Victor Clemont de Girodel bekannt geben.“

Die Anwesenden klatschten höflich, als das angesprochene Paar einen Schritt vortrat.

„Damit ist die Feier eröffnet.“

Wieder erklang ein höfliches Klatschen. Anschließend spielte die Musik auf. Victor sah zu Oscar und betrat mit ihr die Tanzfläche. Im Takt schwebte das Paar über die Tanzfläche. Alle Anwesenden tuschelten, als sie die beiden Beobachteten. Victor ließ sich aber davon nicht im Geringsten stören. Sein Augenmerk lag ganz allein auf Oscar. Genau betrachtete er sie und sah somit jede kleinste Bewegung, jede Geste. Daher entging ihm nicht ihr trauriger Blick. Als es die Etikette zuließ, führte er sie etwas abseits. Dort bot er ihr etwas zu trinken an.

„Lady Oscar? Was habt Ihr? Ihr wirkt bedrückt. Sollte es nicht ein Tag der Freude sein?“, fragte er sanft und zugleich besorgt.

Oscar hielt ihren Blick gesenkt. Gern hätte sie geseufzt, aber die Enge ihrer Korsage verhinderte dies. Victor sah sie weiterhin direkt an, dann hob er sanft ihr Kinn an, so dass sie ihn ansehen musste. Dabei strich er ihr zärtlich mit dem Daumen über die Wange.

„Habt keine Angst. Ihr könnt doch mit mir Reden.“

Tapfer kämpfte Oscar gegen ihre aufsteigenden Tränen an. Es gelang ihr fast ganz, nur ihre Augen schimmerten feucht.

„Warum habt Ihr nicht mir gesprochen, Girodel?“

Fragend sah Victor sie an, unterbrach sie aber nicht.

„Ich dachte, wir wären Freunde.“

„Aber das sind wir.“

„Sind wir das wirklich? Ich habe Euch vertraut, Girodel. Aber nun?“

„Es lag gewiss nicht in meiner Absicht, Euch zu verletzen“, erwiderte Victor mit ehrlichem Blick.

Oscar sah dies deutlich. Aber dennoch löste sie sich aus seinem sanften Griff und trat ein paar Schritte zur Seite.

„Und warum dann diese Verlobung?“, fragte sie ihn, wobei sie ihm ihren Rücken zeigte.

„Weil ich Euch liebe. Ich fühle für Euch, seit wir uns kennen. Ihr bestimmt mein Denken und mein Sein“, erwiderte er.

Unmerklich ließen seine Worte Oscar schlucken. Damit hatte sie nicht gerechnet.

//Bin ich wirklich so blind gewesen? Zuerst André, nun Girodel?//

Ihr Herz krampfte sich zusammen.

„Eure Worte ehren mich, Girodel. Das müsst Ihr mir glauben. Aber ich kann Eure Gefühle nicht erwidern. Es tut mir leid.“

Nun wurde Victor Blick traurig und er senkte seinen Blick.

„Ich verstehe. Aber warum habt Ihr Euch vorher nicht dazu geäußert? Wir hätten doch darüber reden können.“

Langsam trat er zu ihr und legte zaghaft seine Hand auf ihre Schulter. Für einen kurzen Moment sah Oscar über diese zu ihm. Jedoch sah sie danach sofort wieder nach vorne. Da sie nicht antwortete, sprach er weiter.

„Warum seid Ihr mir ausgewichen? Habe ich Euch verletzt, ohne es zu merken? Wenn das der Fall ist, möchte ich mich offiziell bei Euch entschuldigen.“

Er ließ von ihr ab und trat an ihre Seite, jedoch ohne sie anzusehen.

„Bitte glaubt mir. Niemals würde ich Euch in ein Unglück stürzen wollen. Und ich sehe und spüre, dass Ihr meine Gefühle nicht erwidert. Es war vielleicht ein Traum von mir, zu hoffen, dass Ihr es vielleicht tun würdet. Aber es schmerzt mich, Euch so traurig zu sehen. Daher nehme ich, für Euch allein, Abstand von unserer Verlobung. Ich gebe Euch frei.“

Bei seinen abschließenden Worten hob Oscar sofort ihren Kopf. Hatte sie richtig gehört? Aber bei ihrem musternden Blick sah sie deutlich, dass er seine Worte ehrlich meinte. Genauso wie sie seine Trauer bemerkte. Dies tat ihr leid, aber sie konnte seine Gefühle nicht erwidern. Daher drehte sie sich zu ihm und legte ihre Hand auf die seine.

„Ich danke, Euch für Eure Worte und Eure Ehrlichkeit, Girodel.“

Kurz zögerte sie, dann stellte Oscar sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Ihr war klar, dass es für ihn dadurch nicht leichter wurde. Aber auf der anderen Seite wollte sie ihm etwas ihres Dank Gefühles schenken. Victor war mehr als überrascht von ihrer Handlung und als er ihre zarten und weichen Lippen nicht mehr auf seiner Wange spürte, strichen seine behandschuhten Finger über diese Stelle.

„Ich habe Euch zu danken, Lady Oscar. Für einen Moment habt Ihr mich Teil Eures Lebens sein lassen. Aber nun entschuldigt mich bitte. Ich werde zu meinem Vater gehen und ihm die Lösung unserer Verlobung mitteilen.“

Damit verbeugte er sich und ließ sie alleine stehen. Oscar sah ihn leicht lächelnd hinterher.

Dass die Szene von André mit argwöhnischen Augen beobachtet worden war, merkte sie nicht. Sein Blick hatte sich bei ihrem Kuss verdunkelt und seine Hände hatten sich zu Fäusten geballt. In ihm brodelte die Eifersucht und er konnte es kaum verbergen. Auch wenn er den Hintergrund ihres Gespräches nicht wusste, ebbte seine Wut nicht ab. Sein Blick folgte Girodel, der zu seinem Vater trat, der beim General stand und sich mit diesem unterhielt.

„Vater? Verzeiht meine Unterbrechung, ich würde gern kurz mit Euch reden.“

„Gewiss, mein Sohn. Um was geht es den.“

„Es geht um meine Verlobung.“

Leicht nickte sein Vater und sah ihn abwartend an.

„Oscar sieht bezaubernd aus, nicht wahr? Sie wird dir bestimmt eine gute Ehefrau und Mutter vieler starker Söhne werden.“

Dezent räusperte Victor sich.

„Ja, sie sieht wunderschön aus. Aber dennoch möchte ich die Verlobung lösen.“

„Wie bitte? Warum bist du der Ansicht dies zu tun?“

„Sie wird niemals glücklich an meiner Seite werden und das kann ich einfach nicht mit mir vereinbaren.“

„Das ist nicht dein ernst, mein Sohn. Sie wird deine Gemahlin werden.“

„Nein, Vater. Ich kann es nicht.“

„Und ob du es kannst. Die Vermählung wird stattfinden. Und nun keine Widerworte mehr!“

Victor schluckte hart bei den Worten seines Vaters.

„Aber warum beharrt Ihr sosehr darauf, Vater?“

„Ich habe meine Gründe, besser gesagt, wir haben unsere Gründe.“

„Wir? Meint Ihr General de Jarjayes und Euch.“

Bestätigend nickte er bei Victors Worten.

„Und nun geh zu Oscar.“

„Wie Ihr wünscht.“

Sein Vater nickte und ließ seinen Sohn stehen.

Victor verstand das Verhalten nicht. So ging er zu Oscar zurück. Deutlich konnte diese seinen bedrückten Gesichtsausdruck erkennen.

„Was habt Ihr, Girodel?“

Kurz seufzte er und berichtete ihr von dem kurzen Gespräch. Dabei wanderte eine ihrer Braue nach oben.

„Wir müssen herausbekommen, von was Euer Vater redet.“

„Ihr habt Recht. Jedoch glaube ich nicht, dass der heutige Abend dafür noch geeignet wäre.“

Oscar überlegte und konnte gerade noch verhindern, sich durch ihr blondes Haar zufahren, welches für die heutige Feier adrett hochgesteckt war.

„Ich werde am morgigen Tage versuchen etwas zu erfahren.“

„Dies werde ich ebenfalls tun. Und wenn ich etwas in Erfahrung bringen sollte, werde ich Euch darüber informieren.“

„Ich danke, Euch.“

Leicht lächelte Victor sie an. Noch immer schmerzte sein Herz, aber er gab sie frei. Aber er ließ es sich nicht mehr anmerken. Zusammen mit Oscar hielt er nun ein Schauspiel für alle Anwesenden ab, bis die Feierlichkeit endete. Mit einem Handkuss verabschiedete Victor sich als letzter Gast von ihr. Oscar nickte ihm leicht zu. Anschließend verabschiedete sie sich von ihrem Vater und ging mit ihrer Mutter in ihr Zimmer, damit sie ihr beim Umziehen helfen konnte. Vergeblich hatte sich Oscar vorher noch nach André Ausschau halten. Dieser hatte es vorgezogen sein Quartier im Stall zu beziehen. Auch sein Herz schmerzte.

Davon ahnte Oscar nichts. Sie berichtete ihrer Mutter, während diese ihr half, was sie erfahren hatte. Diese konnte es ebenfalls nicht glauben, was sie hörte. Sie schlug sie ihrem Kind vor, gemeinsam mit ihr, an morgigen Tage zum General zugehen und mit ihm zu reden. Oscar war froh, dass ihre Mutter auf ihrer Seite war. Morgen würde sie noch mit André reden, damit auch er wusste, was geschehen war. Aber nun war es zu spät. Oscar war müde und der lange Tag forderte nun seinen Tribut.

Die Beichte und deren Folgen

In der Nacht begann ein Unwetter. Es regnete und stürmte. Die Bäume ließen ihre Zweige hängen und große Pfützen bildeten sich vor dem Anwesen.

Obwohl es am vorigen Abend spät geworden war, erwachte Oscar wie jeden Morgen zeitig. Sie erhob sich, kleidete sich an und verließ voller Tatendrang ihr Zimmer. Ihr Ziel war es endlich von ihrem Vater eine Erklärung zu erhalten, was die Verlobung mit dem Grafen de Girodel auf sich hatte. Aber zuerst würde sie das Frühstück abwarten müssen. Der General war ohne vorheriges Essen ungenießbar. Jedoch hatte Oscar zuvor lange warten müssen, so hatte sie nun auch die Geduld weiter zu warten. Ihrer Mutter, die sie kurz darauf traf, schien es ähnlich zu sehen. Daher frühstückten sie schweigsam und warteten ab, bis Oscar Vater andeutete zu gehen. Und scheinbar ließ er sich an diesem Morgen Zeit. Oscar wurde innerlich immer angespannter. Zudem fragte sie sich, wo André sich aufhielt, da sie ihn nicht gesehen hatte. Jedoch beruhigte sie sich damit, dass er gewiss seinen Aufgaben nachgehen würde.

Als der General endlich seinen Kaffee geleert hatte und dann aufstand, erhob sich Oscar ebenfalls.

„Vater?“

„Ja, mein Kind?“

„Ich würde mich gern mit Euch unterhalten.“

„Wie du wünscht. Begleite mich in mein Arbeitszimmer.“

Emilie erhob sich ebenfalls und sah kurz nickend zu ihrem Kind.

„Vielen Dank, Vater“, erwiderte Oscar.

Gemeinsam verließen sie den Speisesaal und machten sich auf den Weg zum Arbeitszimmer des Generals. Diesem entging nicht, dass Emilie ihnen folgte.

„Kann ich dir helfen, meine Gemahlin?“

„Ich möchte, dass Maman dabei ist, Vater“, antwortete Oscar anstelle ihrer Mutter.

Fragend sah ihr Vater sie an. Jedoch nickte er und ging voran. Nacheinander betraten sie das Zimmer des Generals. Alle nahmen Platz und abwartend sah Oscars Vater zu seinem Kind.

„Was möchtest du, Oscar?“

„Um es direkt auf den Punkt zu bringen, Vater. Was hat es auf sich mit der Verlobung von Girodel und mir? Und bitte eine ehrliche Antwort. Der Vater des Grafen meinte, dass er und Ihr Eure Gründe dafür hättet. Diese würde ich gern erfahren. Habe ich nicht das Recht dazu, wenn ich schon verheiratet werden soll?“

Oscars Vater hörte ihr erstaunlich ruhig zu. Jedoch konnte man deutlich sehen, wie seine Gesichtsmimik arbeitete.

„Wie kommst du darauf, mein Kind?“, versuchte er auszuweichen.

„Weil es doch den Tatsachen entspricht. Das kann ich Euch deutlich ansehen“, erwiderte Oscar vollkommen ruhig.

Nun schwieg General de Jarjayes. Er schloss seine Augen und schien nachzudenken.

„Ich verstehe nicht, warum du dich erdreistest, meine Entscheidungen zu hinterfragen. Vielleicht liegt es daran, wie ich dich erzogen habe“

Kurz stoppte er um zu Seufzen.

„Das war wohl mein Fehler. Ich habe durch deine Erziehung gegen Gottes Wort verstoßen. Die zu einem Mann zu formen, obwohl du eine Frau bist. Eines Tages musste ich dafür meine gerechte Strafe erhalten.“

„Das ist nicht wahr, Vater. Ich bin Euch sehr dankbar. Durch Euch habe ich soviel lernen und erfahren können. Ihr habt Euch nicht schuldig gemacht, Vater.“

„Und ob ich das habe!“, polterte er auf einmal los, sodass Emilie leicht zusammenzuckte.

„Ich habe wieder der Natur gehandelt! Und nun…“.

Auf einmal wurde Oscars Vater leiser. Überrascht sah ihn daher seine Tochter an.

„Und nun was, Vater?“

Kurz seufzte er wieder, dann sah er kurz zu seiner Tochter. Diese erschrak, als sie feststellen musste, wie alt ihr Vater auf einmal wirkte. Hart schluckte sie, wartete aber nun seine Worte ab.

„Du weißt, wie sehr ich mir immer einen Sohn gewünscht habe, mein Kind. Aber ich war nicht im Stande dazu. Und ich habe somit dich zum Mann machen wollen, anstatt stolz auf dich und deine Schwestern zu sein. Durch mein starrsinniges und stures Verhalten, habe ich dich ins Unglück gestürzt.“

Oscar und Emilie wollten etwas erwidern, jedoch hob der General seine Hand.

„Lasst mich bitte erst zu Ende berichten.“

Kurz sahen sich Mutter und Tochter an, dann nickten sie einstimmig.

„Ich danke Euch. Deine Mutter, Oscar, weiß, wie oft ich auf Reisen war. Wie viel ich tat, damit es ihr und euch gut geht. Das ist immer mein Ziel gewesen. Aber durch meine Entscheidung, aus dir etwas zu machen, was du nicht bist, beging ich einen schwerwiegenden Fehler.“

Oscars Vater erhob sich und goss sich einen Cherry ein. Diesen leerte er in ein paar Zügen, dann folgte ein weiteres Glas. Mit diesem ließ er sich an seinem Schreibtisch nieder.

„Deine Mutter wird bestätigen, dass die Familie de Girodel oft bei uns zu Gast war. Gräfin de Girodel war gut mit deiner Mutter befreundet. Und auch Clemont, der Vater deines Verlobten, war ein guter Freund. Zusammen haben wir die Laufbahn im Militär eingeschlagen. Daher verbrachten wir auch im Dienst viel Zeit. Ich weiß noch wie stolz er war, als sein Sohn geboren wurde. Und wie sehr es innerlich an mir nagte. Aber ich konnte nichts daran ändern. Als du geboren wurdest und er erfuhr, welchen Namen ich dir gegeben und welche Pläne ich mit dir hatte, konnte er es nicht glauben. Er meinte, ich sei ein Narr. Und heute sehe ich selber ein, dass ich das wirklich war. Über all die Jahre.“

Wieder seufzte der General und leerte anschließend sein Glas.

„Clemont war der festen Überzeugung, dass eine Frau niemals soviel und mindestens genauso gut wie ein Mann, beim Militär würde leisten können. Und ich mit meinem Starrsinn, verhöhnte ihn lachend. Das konnte er nicht auf sich beruhen lassen, sodass wir ein Abkommen schufen. Er wollte deine Entwicklung verfolgen und wenn er eines Tages bemerken würde, dass du deine weibliche, wahre Seite und somit auch alle Gefühle für einen Mann entdeckst, dass du deinen Posten aufgeben und seinen Sohn heiraten solltest. Und ich Narr schlug darauf ein. Ich war mir damals sicher, dass dies niemals eintreffen würde, aber ich habe mich geirrt.“

General de Jarjayes öffnete eine Schublade und holte ein Dokument hervor. Dieses reichte er seiner Tochter.

„Er entdeckte, dass du scheinbar deine Gefühle für einen Mann entdeckt hattest und somit ließ er mir dieses Schreiben, als Erinnerung zukommen. Natürlich wollte ich ihm nicht glauben. Aber ich bin ein Ehrenmann und stimmte erst einmal zu. Daher erhielt auch sein Sohn, als er um deine Hand bat, direkt meinen Segen. Natürlich hoffte ich, dass Clemont sich geirrt hatte, aber dann entdeckte ich dich und André im Rosengarten deiner Mutter. In mir stieg Wut und Zorn empor. Aber zugleich wurde mir deutlich vor Augen geführt, dass ich falsch gehandelt habe.“

Während er sprach, hatte Oscar das Dokument überflogen. Anschließend reichte sie es an ihre Mutter.

„Ich kann Euch verstehen, Vater. Gewiss will ich es nicht für gut halten, aber ich habe gerade in diesem Dokument gelesen, dass es dennoch zu einer Entbindung Eures Versprechens kommen kann.“

„Du willst doch nicht von deinem Vater verlangen, dass er das tut?“, kam es geschockt von Emilie, nachdem auch sie die Zeilen gelesen hatte.

„Gewiss nicht, Maman. In diesem Dokument steht, dass auch ein Duell eine Entscheidung bringen kann. Und ich wähle diesen Weg. Ich werde zum Grafen gehen und ihm mitteilen, dass die Verlobung gelöst werden soll. Das ich dafür auch kämpfen werde.“

„Das wirst du nicht, Oscar! Das ist meine Aufgabe. Ich habe dies alles zu verschulden und werde nun versuchen es zu berichtigen.“

Mit diesen Worten erhob er sich. Emilie sprang von ihrem Stuhl auf und eilte zu ihrem Gemahl.

„Ich bitte dich, duelliere dich nicht mit Clemont. Es lässt sich gewiss anders aus der Welt schaffen“, flehte sie ihn mit angsterfüllten Augen an.

„Es tut mir Leid, Liebste. Wir beide sind Ehrenmänner und wir stehen zu unserem Wort.“

Sanft drückte er seine Gemahlin an sich, dabei sah er zu seiner Tochter.

„Ich hoffe, dass du mir verzeihen kannst, Oscar. Mir war nicht bewusst, in welches Unglück ich dich stürzen würde. Das war zu keiner Zeit meine Absicht.“

Mit klarem Blick sah er sie an.

„Ich freue mich, dass du die Liebe für dich finden konntest und ich werde dir auch nicht im Wege stehen. Auch wenn André nicht von adeligem Geblüt ist, ist er der Beste für dich. Er liebt und achtet dich.“

Oscars Wangen röteten sich leicht und sie senkte verlegen ihren Blick.

„Ich verzeihe Euch, Vater und ich danke Euch für Eure Worte. Niemals hätte ich gedacht, jemals so etwas Schönes zu empfinden.“

Für einen Moment hielt sie ihren Blick nach unten gesenkt, dann hob sie ihre Lider und sah ihren Vater direkt an.

„Ich werde nun zu André gehen. Anschließend reiten wir gemeinsam zum Grafen und werden zusammen das Problem aus der Welt schaffen.“

„Wie du wünscht, mein Kind.“

Oscar nickte und lächelte leicht ihre Mutter an. Dann machte sie sich auf den Weg André zu suchen. In der Küche und im Stall fand sie ihn nicht. Auch in seinem Zimmer hielt er sich nicht auf. So führte Oscars Weg sie in den Wintergarten. Wenn er sich dort nicht aufhielt, wusste sie nicht, wo er sein konnte. Fort geritten sein konnte er nicht, da sein Pferd noch an seinem Platz im Stall stand. Mit zügigen Schritten betrat sie den Wintergarten und entdeckte dort ihren André. Eilig trat sie zu ihm

„André. Hier bist du. Ich habe dich gesucht“, begrüßte sie ihn freundlich.

„Guten Morgen, Oscar“, erwiderte er.

Oscar entging der merkwürdige Ton Andrés nicht.

„Was hast du, Liebster?“

„Was sollte mit mir sein? Ich mache gerade eine Pause.“

Mit diesen Worten biss er in einen Apfel und würdigte sie dabei nicht eines Blickes. Dieses Verhalten versetzte Oscar einen Stich in ihrem Herzen.

„Habe ich dir etwas getan?“, während sie sprach, umrundete sie ihn, sodass sie ihm ins Gesicht sehen konnte.

Dieses drehte er leicht zur Seite.

„Nein, dass hast du nicht. Aber nun entschuldige mich bitte. Ich muss weiter arbeiten.“

André erhob sich und machte Anstalten, den Wintergarten in Richtung der Terrasse zu verlassen. Oscar sah dies und folgte ihm mit eiligen Schritten. Sanft aber bestimmt stoppte sie ihn an der Tür.

„Warum belügst du mich, André? Ich sehe doch, dass dich etwas bedrückt. Wir haben uns doch immer alles sagen können. Ich dachte, du liebst mich.“

Diese letzten Worte hätte Oscar nicht sagen sollen. Mit wütendem und zugleich enttäuschtem Blick sah er sie an.

„Ja, ich liebe dich. Aber ich bin mir nicht mehr sicher, ob du etwas für mich empfindest“, kam es kalt.

Sein Blick und seine Worte ließen Oscars Herzschlag aussetzen und ihre Augen weiteten sich.

„Geh zu deinem Grafen. Er ist etwas Besseres als ich und er kann dir viel mehr bieten, als ich es je könnte.“

Oscar war geschockte von seinen Worten.

„Und nun lass mich bitte meine Arbeit machen.“

Er löste ihre Finger von seiner Schulter und trat, ohne sie noch einmal anzusehen, hinaus in den Garten. Normalerweise hätte Oscar in so einer Situation ihn aufgehalten und ihn zur Rede gestellt. Aber jetzt war sie nicht fähig dazu. Sie stand wie angewurzelt im Wintergarten. Ihre Lippen waren leicht geöffnet und ihre Augen schimmerten. Oscar konnte nicht glauben, dass André das gesagt hatte. Es konnte nicht sein. Wie konnte er nur auf diesen Gedanken kommen?

Unendliche Minuten schienen zu vergehen, bis sie sich langsam wieder fing. In diesem Moment erschien ihre Mutter im Wintergarten.

„Oscar? Schnell. Dein Vater ist aufgebrochen, um dich auszulösen“, sprach sie aufgebracht.

Ihre Tochter drehte sich zu ihr und wurde dabei wieder vollkommen klar.

„Wie bitte, Maman? Das ist nicht Euer ernst?“

„Doch, es ist wahr. Aber Kind, was ist mit dir? Du bist so blass.“

„Es ist wegen André.“

Für einen Moment senkte sie ihren Blick und berichtete dabei ihrer Mutter was Minuten zuvor geschehen war. Emilie schüttelte ihren Kopf, als sie es hörte.

„Ich werde zu ihm gehen. Vielleicht redet er mit mir.“

„Aber ich sollte dies tun.“

„Ja, mein Kind, du hast Recht. Jedoch wenn er dir ausweicht, wie du sagtest, wirst du nicht an in heran kommen.“

Traurig nickte Oscar, dann straffte sie ihre Haltung.

„Gut. Ich werde Vater folgen und Ihr sucht bitte nach André.“

Emilie nickte leicht.

„Ich danke dir, mein Kind.“

„Kein dank. Aber ich breche sofort auf.“

Damit verließ sie das Zimmer. Rasch lief sie in ihr Gemach, um ihren Degen zu holen. Während sie diesen anlegte, lief sie hinaus. Anschließend warf sie sich ihrem Mantel über und lief durch den Regen, der ihr nun wie ein Unheilbote vorkam, zum Stall. Mit flinken Fingern sattelte sie ihren Schimmel, schwang sich auf dessen Rücken und galoppierte anschließend vom Hof. Ihr Weg führte sie direkt zum Anwesen de Girodel.

Auf halben Weg kam ihr Victor entgegen. Er erkannte sie und bat sie zum Anhalten.

„Lady Oscar. Ich wollte zu Euch.“

„Mein Vater?“, brachte sie nur hervor.

Victor nickte bestätigend und wendete sein Pferd.

„Ja, er ist zusammen mit Vater zu einer Ruine in der Nähe geritten.“

„Führt mich dorthin. Es ist sehr wichtig. Sie wollen sich duellieren.“

„Ich weiß. Bitte folgt mir.“

Kaum hatte Victor dies gesagt, sprengte er mit seinem Grauen los und Oscar folgte ihm. Der Ritt war scharf, aber nach einer viertel Stunde sah Oscar die Umrisse eines verfallenen Gebäudes im Regen auftauchen. Zudem drang der Hall von klirrenden Klingen an ihr Ohr. Sofort trieb sie ihren Schimmel weiter voran. Sie überholte Victor und entdeckte ihren und Victors Vater, die gerade mit ihrem Duell begonnen hatten.

Ohne weiter nachzudenken, hielt Oscar auf die beiden Duellanten zu. Mit ihrem Pferd zwang sie sie dazu, von einander abzulassen.

„Oscar?“, kam es von ihrem Vater.

„Ja, ich bin es. Ich habe gesagt, dass ich es mit dem Grafen klären werde“, erwiderte sie entschlossen.

Dann schwang sie sich vom Rücken ihres Tieres und trat langsam auf Victors Vater zu.

„Dies ist eine Sache zwischen Eurem Vater und mir, Lady Oscar.“

„Graf de Girodel. Ich bin nicht hier, um mit Euch oder meinem Vater zu streiten.“

„Dann tretet zur Seite.“

Er hob seinen Degen, den er zuvor gesenkt hatte, wieder an. Jedoch Oscar stellte sich in seinen Weg, dabei die Arme weit ausgebreitet.

„Das werde ich erst dann, wenn Ihr mir zugehört habt.“

Oscars Blick war entschlossen und sie konnte deutlich das Zittern der Hand ihres Gegenübers sehen.

„Mein Vater hatte mit meiner Erziehung nur das Beste im Sinn. Auch wenn er mich gegen aller Etikette erzogen hat. Jedoch werfe ich ihm dieses nicht vor. Ich bin sogar stolz und äußerst dankbar dafür. Dank ihm durfte ich sehr viele Erfahrungen sammeln, die eine Frau sonst niemals erfahren würde. Euer Sohn war mir immer ein treuer und loyaler Gefährte. Jederzeit konnte ich auf ihn Zählen und dafür bin ich ihm dankbar. Und seine Loyalität und sein Wesen hat er von Euch, Graf. Ihr habt ihn zudem gemacht, was er heute ist. Genau wie mein Vater es bei mir tat. Unsere Familie sind viele Jahre miteinander befreundet. Sollte man sie durch so etwas für immer entzweien?“

Victor saß auf seinem Grauen und hatte Oscars Rede gelauscht.

//Ihr seit nicht nur wunderschön, sondern auch noch klug. Ich hoffe, dass Ihr Euer Glück findet. Aber ich verspreche Euch, solange ich kann, werde ich Euch immer ein Freund und auch Beschützer sein.//

Sein Vater sah Oscar mit verengten Augen an, dann senkte er langsam seinen Degen.

„Ihr seit eine bewunderungswürdige Dame, Lady Oscar. Ich gebe zu, dass ich mit Euren Worten nicht gerechnet habe. Ein Teil erinnerte mich an meine Gemahlin, Gott habe sie seelig. Und ich glaube, sie würde dies ebenfalls nicht wollen. Daher entbinde ich Euch Eurer Pflicht.“

Kaum das er dies gesagt hatte, zeigte sich ein Lächeln auf Oscars Lippen. Auch der Himmel schien die Worte des Grafen vernommen zu haben. Der Regen wurde weniger, bis er gänzlich erstarb.

„Ich danke Euch, Graf de Girodel.“

„Kein dank, Lady Oscar.“

Er steckte seinen Degen zurück und trat zu Oscars Vater, der alles schweigend verfolgt hatte.

„Reynier, du hast wirkliche ganze Arbeit geleistet. Deine Tochter ist nicht nur wunderschön, sondern auch klug. Ich hoffe, wir werden weiter Freunde sein.“

Mit diesen Worten reichte er ihm seine Hand. Der General ergriff die angebotene Hand und schüttelte sie.

„Das werden wir.“

„Dann lasst mich dich und deine Tochter auf mein Anwesen auf einen Tee einladen.“

„Sehr gerne, Clemont.“

„Ich muss leider ablehnen, Graf de Girodel. Aber einander Mal nehme ich Eure Einladung dankend an.“

„Wie Ihr meint. Grüßt mir Eure verehrte Frau Mutter.“

Oscar schwang sich auf dem Rücken ihres Schimmels.

„Ich werde es ihr ausrichten.“

Dann verabschiedete sie sich und machte sich auf den Heimweg. Sie musste endlich mit André reden.

Victor hielt es für besser sie zu begleiten.

Die Aussprache

Während Oscar ihrem Vater gefolgt war, hatte Emilie André gesucht. Da ihre Tochter ihr mitgeteilt hatte, dass dieser hinausgegangen war, hatte sie sich etwas übergezogen und war ihm anschließend gefolgt. Ihr war bewusst, dass die Parkanlage groß war, jedoch hoffte sie innig, dass André nicht zu weit gegangen war. Aber nach ihren ersten paar Schritten, fiel ihr ein, wo ihr Gemahl Oscar und André gesehen hatte. Daher führte ihr Weg sie direkt zu ihrem Rosengarten. Von weitem konnte sie dort eine Gestalt hocken sehen. Mit sicheren Schritten ging sie zu ihm und sah, wie über die einzelnen Blütenblätter einer weißen Rose strich.

„In diesem Jahr sind die Weißen, die schönsten im gesamten Garten.“

Überrascht sah André auf und so konnte Emilie seine leicht geröteten Augen sehen. Jedoch wischte er sich rasch über diese und erhob sich.

„Madame? Ja, Ihr habt Recht. Sie sind wunderschön. Jedoch bitte ich Euch, dass Ihr wieder hineingeht. Ihr erkältet Euch.“

„Ich danke, dir. Deine Worte können auch für dich gelten. Lass uns lieber gemeinsam hineingehen.“

„Aber nein. Mir macht der Regen nichts aus. Zudem habe ich noch Aufgaben zu erledigen.“

„Du warst und bist immer sehr fleißig. Und ich würde mich freuen, wenn du mich hinein begeleiten würdest.“

Mit einem eindeutigen Blick sah sie ihn an. Dann trat sie an ihm vorbei und schnitt ein paar der Rosen ab.

„Zudem müssen die Blumen in eine Vase.“

„Gewiss, Madame.“

André war bewusst, dass er Emilie nicht ewig aus dem Weg gehen konnte. So nahm er ihr höflich die Rosen ab und geleitete sie zurück zum Anwesen. Im Wintergarten legte er die frisch geschnittenen Rosen auf den Tisch.

„Ich kann sonst noch etwas für Euch tun, Madame?“

Emilie legte ihren Mantel über eine Stuhllehne und sah zu ihm.

„Geh dich bitte abtrocknen. Dann würde ich gerne einen Tee zu mir nehmen.“

„Wie Ihr wünscht.“

Er nickte leicht und verließ anschließend den Wintergarten. Nachdenklich ging er in sein Gemach. Dort trocknete er sich ab und zog sich etwas anderes an. Seine Gedanken kreisten um Oscar. Auf einer Seite war er traurig, dass Oscar ihm nicht gefolgt war. Auf der andern war er der Meinung, dass sie bestimmt zu Victor gegangen war. Dieser Gedanke verletzte ihn zusätzlich. Um seiner Wut Luft zu machen, warf er sein nasses Hemd in die nächste Ecke. Anschließend ging er hinunter in die Küche. Dort traf er auf seine Großmutter. Er teilte ihr mit, dass Madame de Jarjayes einen Tee wünschte. Sophie nickte und bereitete das gewünschte Getränk vor. André wartete bis sie ihm das fertige Tablett gab. Mit diesem ging er zu Oscars Mutter.

„Madame? Euer Tee.“

„Ich danke dir.“

Emilie hatte die Rosen in der Vase drapierte und ließ sich nun am Tisch nieder.

„Leiste mir bitte etwas Gesellschaft.“

André war es nicht recht, aber dennoch beugte er sich ihrem Wunsch und ließ sie ihr gegenüber nieder. Madame de Jarjayes nahm ihre Tasse und trank einen Schluck.

„Was bewegt dich, André.“

„Madame?“

„Du hast mich verstanden. Hast du dich mit Oscar gestritten?“

Er wich ihrem Blick aus.

„Nein, nicht direkt.“

„Was ist es dann? Wegen der Feier gestern?“

André biss sich auf die Lippen, als durch ihre Worte seine Erinnerungen wieder hochkamen. So nickte er leicht zur Antwort.

„Was ist geschehen, dass du so verletzt bist?“

„Ich kann nicht, Madame. Bitte verzeiht mir.“

„Keine Angst, André. Deine Worte werden diesen Raum nicht verlassen. Nicht, wenn du es nicht willst.“

Es fiel ihm schwer, aber er wusste, dass er Oscars Mutter vertrauen schenken konnte.

„Als ich sie gestern mit dem Grafen sah, so strahlend und dann… als sie ihm diesen Kuss gab…“

Nun verstand Emilie und sie lächelte. Sanft legte sie dabei ihre Hand auf die seine.

„Sie hat sich bei ihm bedankt. Er wollte von der Verlobung Abstand nehmen. Für sie. Oscar hat ihm klar gemacht, dass sie ihn nicht liebt. Und er wollte nicht, dass sie traurig ist. Er will, genauso wie du, ihr Bestes. Das hat sie mir gestern Abend noch berichtet. Sie wollte es dir heute Morgen eigentlich mitteilen.“

Bei ihren Worten sah André auf.

„Ist das wirklich wahr?“

„Aber ja. Ich würde dich nicht belügen.“

„Dann muss ich sofort zu ihr.“

„Sie ist nicht hier.“

„Wo ist sie dann, Madame?“

„Sie ist zum Grafen de Girodel geritten.“

„Aber warum? Wenn doch alles geklärt ist?“

„Nicht ganz. Hör mir bitte genau zu.“

Es fiel André nicht leicht, aber er nickte und lauschte dann ihren Worten. Sie berichtete von dem Gespräch mit ihrem Gemahl, dem Dokument und den Grund der Verlobung.

„Und nun ist sie hinterher, um das Duell zu verhindern.“

Sofort sprang André auf.

„Und ich muss ihr hinterher. Ich könnte es niemals ertragen, wenn ihr etwas geschehen sein sollte.“

Emilie nickte leicht und trank dann einen Schluck.

„Tu das, mein Junge.“

André nickte ebenfalls, dann verließ er im Laufschritt das Haus, sattelte sein Pferd und folgte Oscar.

//Oh, Oscar. Was war ich doch für ein Narr. Ich war so dumm. Ich hoffe, du verzeihst mir meine dumme Eifersucht.//

Mittlerweile hatte er etwa die Hälfte der Strecke hinter sich gebracht, als er zwei Gestalten am Wegesrand stehen sah. Als er diese erreichte, verengten sich seine Augen etwas. Es war Oscar und auf deren Schoss war Girodels Kopf gebettet.

„Oscar?“, kam es prüfend.

„André. Endlich. Ich dachte, es würde niemand kommen. Girodels Pferd ist gestürzt und er hat sich verletzt. Er hat eine stark blutende Wunder am Hinterkopf.“

Als sie sprach, zog sie ihre Hand hervor, die deutliche Blutspuren aufwies. Sofort hellten sich Andrés Blick auf.

„Ich werde sofort Hilfe holen.“

„Danke, André.“

Kurz nickte er und gab dann seinem Tier die Sporen. Oscar sah ihm hinterher, bis sie ihn nicht mehr sehen konnte.

//Bitte beeile dich, André.//

Sie wurden von einem Aufstöhnen aus ihren Gedanken geholt. Ihr Blick fiel zurück auf den Grafen.

„Os… Oscar…“, kam es matt.

Die Lider des Grafen flatterten leicht und er hob seine Hand in Richtung seines Kopfes.

„Ja, ich bin es. Bitte, bleibt ruhig liegen. Der Arzt ist auf dem Weg.“

„Der Arzt? Was… was ist geschehen?“

„Euer Pferd ist gestürzt und Ihr seid unglücklich gefallen.“

Wieder ertönte ein Stöhnen von ihm.

„Ich erinnere mich nicht daran.“

„Shhht… sprecht nicht soviel. Ihr habt eine böse Wunde.“

„Aua“, erwiderte er prompt, als er diese berührte.

Langsam öffnete er seine Augen und sah in ihr liebliches Antlitz. Dabei konnte er deutlich ihre Besorgnis in den Augen sehen. Dies veranlasste ihn seine Hand zu ihr auszustrecken und ihr über die Wange zu streichen. Für einen Moment lehnte Oscar sich dagegen, doch dann registrierte, wer dies tat. So löste sie sich von ihm und nahm seine Hand in die ihre.

„Bleibt ruhig liegen. Gleich ist Hilfe da.“

„Ihr seit die größte Hilfe, allein wenn ich Euer Lächeln sehen darf.“

„Aber Girodel…“

„Verzeiht, wenn ich zu anmaßend war.“

„Shhht… es ist nichts geschehen.“

Inständig hoffte Oscar, dass André bald mit dem Arzt eintreffen würde. Scheinbar war Victor der Sturz nicht bekommen So wanderte ihr Blick umher.

//Wo bleibst du nur, André?//

„Lady Oscar?“

„Ja, Girodel?“

„Es tut mir leid, dass ich Euch so viele Unannehmlichkeiten bereitet habe.“

„Das ist nicht Eure Schuld. Unsere Väter haben einen Fehler begangen, aber sie haben ihn eingesehen. Es ist alles wieder in Ordnung.“

Kurz nickte Victor, doch dann verzog er schmerzverzerrt sein Gesicht.

„Tut es sehr weh?“

„Ich hätte mich nicht bewegen sollen. Aber Ihr habt Recht. Dennoch hätte ich eine Frage an Euch.“

„Und die wäre?“

„Ihr sagtet, dass Ihr einen Anderen lieben würdet. Darf ich fragen wer?“

Da Victor seine Augen wieder geschlossen hatte, konnte er Oscars nachdenklichen Blick nicht sehen.

„Das entspricht der Wahrheit. Nun… ich weiß nicht, ob ich es sagen soll…“

„Vertraut Ihr mir nicht?“

„Das ist es nicht, Girodel. Ich vertraue Euch, aber dennoch…“

Langsam öffnete er seine Augen und sah zu ihr hoch. Sein Blick war prüfend und zugleich musternd.

„Ist es André?“, fragte er nun direkt.

Sofort sah er, wie Oscars Blick sich veränderte.

„Also habe ich Recht?“

Etwas beschämt senkte die junge Frau ihren Blick.

„Ist es so eindeutig?“, sprach sie leise.

„Nicht direkt. Aber ich hätte es ahnen müssen. Er war immer in Eurer Nähe. Und Ihr seit ein bezauberndes Wesen.“

Er hob leicht ihr Kinn an, damit sie ihn direkt ansehen musste.

„Ich habe in Euch immer die Frau gesehen, die Ihr seid.“

Deutlich erkannte er, wie die Röte sich in Oscars Wangen schlich und dies ließ ihn lächeln.

„Es steht Euch.“

Kurz weiteten sich ihre Augen, als sie es hörte.

„Ich…“

Jedoch wurden ihre Worte gestoppt, als sie das Donnern von galoppierenden Hufen und die Räder einer Kutsche hörte. Dies ließ sie sofort gänzlich aufsehen. Es war André, der den Arzt dabei hatte. Kaum das er sie erreicht hatte, sprang er von seinem Pferd und lief zu ihr.

„Verzeih, dass es gedauert hat. Aber es ging nicht schneller. Durch den Regen sind viele Wege sehr durchgeweicht“, kam es schwer atmend.

„Schon in Ordnung.“

Sie erhob sich, als der Arzt mit einem Helfer zu ihr kam, um Girodel zu versorgen. Daher trat sie zu André. Dieser schloss sie in seine Arme, ohne weiter darüber nachzudenken. Dabei sah er sie an und bemerkte ihre Röte.

„Was hast du?“

„Ich? Mit mir ist alles in Ordnung.“

„Aber warum die zarte Röte?“

Oscar strich sich leicht über die Wange und spürte die davon ausgehende Wärme.

„Girodel machte mir ein Kompliment“, gab sie leise zu.

Prüfend sah André sie daraufhin an. Etwas Eifersucht machte sich wieder in ihm breit, jedoch hatte er sie nun besser unter Kontrolle. Zudem wusste er, dass seine Oscar ihn ebenfalls liebte und er niemals an ihren Gefühlen musste.

„Ich verstehe. Ich hoffe, ich kann solche dir ebenfalls geben.“

„Aber das musst du nicht.“

„Und wenn ich es möchte? Ich finde, dir steht diese zarte Verfärbung deiner Wangen.“

Seine Worte hatten zur Folge, dass ihre Röte noch stärker zunahm. Oscar war so etwas einfach nicht gewohnt und konnte daher damit nicht umgehen. Sanft hob er, wie zuvor Victor ihr Kinn an. Zärtlich lächelte er sie dabei an. Dann neigte er sich zu ihr und gab ihr einen zarten Kuss. Oscar war etwas überrascht, dass André dies vor Zuschauern tat, spannte sie kurz ihren Körper an. Dies hatte zur Folge, dass André den Kuss löste.

„Was hast du, Liebste?“, sprach er leise.

„Verzeih. Ich wollte dich nicht verärgern.“

„Das hast du nicht. Aber dich bewegt doch etwas“, kam es ohne Vorwurf.

„Ich glaube, es ist einfach noch zu neu für mich. Es hat nichts mit dir zu tun. Ich bin sehr gern bei dir und ich genieße deine Nähe.“

Zärtlich strich er ihr über die Wange.

„Du brauchst nicht weiter zu sagen. Ich verstehe was du meinst. Du solltest mir eher verzeihen, dass ich dich damit überfallen habe. Zugleich wollte ich mich auch entschuldigen. Ich war von Eifersucht zerfressen und habe dir nicht zuhören wollen. Niemals wieder wollte ich deine Gefühle anzweifeln. Ich…“

Oscar stoppte seine Worte, indem sie ihre Finger auf seine Lippen legte.

„Vergeben und vergessen. Ich hoffe, du verzeihst mir, dass ich dir nicht nachgehen konnte.“

Sanft küsste André ihre Finger, dann löste er diese und hielt sie fest.

„Ich habe mit deiner Mutter gesprochen. Sie hat mir alles erklärt. Und ich verstehe es und bin dir auch nicht böse.“

Nun lächelte Oscar richtig, stellte sich auf ihre Zehenspitzen und gab ihm einen zwar kurzen aber außerordentlich zärtlichen Kuss.

„Wir werden auf einander hören, nicht wahr?“

„Ja, das werden wir.“

Sanft drückte er seine Oscar noch mal an sich, dann wendeten sie sich in Girodels Richtung. Der Arzt hatte ihn versorgt und nun half er ihm, zusammen mit seinem Helfer, in die Kutsche. André löste sich von Oscar und half den beiden. Der Arzt dankte ihm kurz.

„Wir werden ihn nach Hause bringen. Soweit ist er stabil und es droht keine Gefahr.“

„Vielen Dank, Doktor.“

Dieser nickte den beiden zu und ließ dann die Kutsche abfahren. Oscar und André sahen dieser hinterher. Anschließend stiegen sie auf ihre Pferde und nahmen Victors Tier an die Hand und ritten langsam nach Hause.

Auf dem Heimweg lächelten sie sich immer wieder an.

Das Leben einer Frau

Dadurch, dass Victors Pferd lahmte, kamen sie nur langsam voran. Aber stören tat es beide nicht. Sie konnten daher die Zeit zusammen genießen. André hatte Oscars Hand ergriffen und strich ihr immer wieder mit dem Daumen über den Handrücken, was ein sanftes Lächeln bei ihr auslöste. Aber unterhalten taten die beiden sich nicht. Es waren nur Blicke, die sie sich immer wieder schenkten, die viel mehr als tausend Worte ausdrückten. Deutlich war es zu erkennen, wie glücklich die beiden waren.

Oscar gewöhnte sich langsam daran, ihre Gefühle mehr zu zeigen, auch wenn es für sie vollkommen neu war. Aber ihr war bewusst geworden, wie André hatte leiden müssen in all den Jahren, wo er seine Gefühle für sie verborgen hatte. Jedoch hatte sie noch viel zu lernen. Oscars Wunsch war es, ihn auf ewig glücklich zu machen und das würde für sie bedeuten, dass sie sich ändern musste. Das dies nicht ganz mit Andrés Vorstellungen übereinstimmte, erahnte sie nicht.

Als sie das Anwesen ihrer Eltern erreichten, brachten sie die Tiere in den Stall. Heute half auch Oscar mit ihren Schimmel zu versorgen. Anschließend beobachtete sie ihren André, wie er Girodels Tier ansah und ihm versuchte zu helfen.

„Und was sagst du?“

„Er scheint sich nur die Bänder gedehnt zu haben. Die Knochen sind heile. Ein paar Tage Stallruhe und er ist wieder fit.“

„Das ist gut. Girodel wird es sicher freuen.“

„Das glaube ich auch. Wenn es gesund ist, bringe ich ihn zu ihm zurück.“

„Wenn du möchtest, werde ich dich gern begleiten.“

„Aber natürlich, Oscar. Ich bin für jeden Moment dankbar, in dem wir zusammen sein können.“

Seine Worte, verbunden mit seinem sanften Lächeln, ließen Oscars Augen erstrahlen. Es war soviel, was bei ihr durch ihn ausgelöst wurde und was sie lernen musste, zu verarbeiten. André merkte, dass es in ihr arbeitete. Aber er hatte gelernt. Ihm war klar geworden, dass sie zu ihm kommen und mit ihm reden würde, wenn sie etwas bewegte.

„Ich werde vorgehen und schauen, ob Sophie uns einen Tee macht.“

„Tu das, Liebste.“

Lächelnd trat Oscar zu ihm und gab ihm einen zärtlichen Kuss, den er sanft erwiderte. Anschließend strich sie ihm über die Wange und verließ daraufhin den Stall. Oscars Schritt war leicht und fast schwebend. In der Eingangshalle lief sie ihrer Mutter beinah über die Füße. Fragend sah diese sie an. Aber entging ihr auch nicht, wie ihre Tochter strahlte.

„Ihr habt alles klären können?“

„Ja, Maman. Es ist alles in Ordnung.“

„Das freut mich zu hören. Und was habt ihr nun vor?“

„Ich wollte zu Sophie und sie fragen, ob sie uns einen Tee macht.“

„In Ordnung. Aber wo ist André?“

„Er ist im Stall und versorgt Girodels Pferd.“

„Das Pferd des Grafen?“

Emilies Blick wurde besorgt. Oscar nickte und schilderte ihr in ein paar Worten was vorgefallen war. Dabei ließ sie auch nicht das begonnene Duell der Väter außen vor. Zuerst war ihre Mutter wirklich geschockt, aber als sie vernahm, dass alles eine gute Wende genommen hatte, war sie glücklich. Daher schloss sie ihre Tochter in die Arme.

„Du glaubst nicht, wie viel Angst ich um euch hatte.“

„Tut mir leid. Das lag gewiss nicht in meiner Absicht.“

„Ich weiß, mein Kind. Aber nun komm. Wir gehen zusammen in die Küche.“

Oscar nickte und gemeinsam betraten sie kurz darauf Sophies kleines Reich. Die alte Dame sah auf und erkannte sofort ihre Herrschaften.

„Wärst du so freundlich uns einen Tee zu machen, Sophie?“, fragte Oscar sie lächelnd.

„Aber gewiss, Lady Oscar“, erwiderte diese ebenfalls mit einem Lächeln.

Emilie und ihre Tochter nahmen an dem Küchentisch platz und sahen Sophie zu. Dabei begannen sie eine kleine Unterhaltung zuführen.

„Mein Kind?“

„Ja, Maman?“

„Wie deckst du dir, soll es weiter gehen?“

„Was meint Ihr?“

„Nun, die Verlobung mit dem Grafen ist gelöst. Dein Vater wird noch zum König gehen und ihm dieses mitteilen. Aber was geschieht dann? Ich mein, du und André, ihr liebt euch. Jedoch wie stellst du dir alles andere vor?“

„Ihr meint, meinen Dienst in der Garde?“

„Unter anderem, ja.“

„Darüber habe ich nachgedacht. Für André gebe ich sie gern auf. Es wird nicht leicht, aber ich tue es aus Liebe, Maman.“

Emilie de Jarjayes lächelte ihr Kind erleichtert an und Sophie hatte leichte Tränen in den Augen.

„Und wann gedenkt ihr euch zu vermählen?“

Nun begannen die Wangen ihrer Tochter zu glühen und sie senkte verlegen ihren Blick auf ihre Hände.

„Darüber habe ich noch nicht nachgedacht und André auch noch nicht“, sprach sie leise.

Sanft legte Emilie ihre Hand auf Oscar. Dabei lächelte sie.

„Ihr seid jung und habt noch Zeit. Aber man sollte sich dennoch Gedanken darüber machen. Zudem wird dein Vater auch danach fragen.“

„Ich weiß, Maman“, erwiderte Oscar.

Sophie stellte das hergerichtete Tablett vor Oscar und sah sie direkt an.

„Ich bin der Meinung, dass Ihr, nun wo Ihr und mein Enkel sich gefunden haben, lernt eine Hausfrau zu sein.“

„Aber Sophie“, brachte Emilie ein.

„Madame, ich meine es nicht böse. Aber Ihr wisst selber, irgendwann werden die beide außer Haus sein und Lady Oscar wird ihren Mann doch versorgen müssen. Daher bin ich der Ansicht, dass sie kochen, nähen, etc. lernen sollte.“

Nachdenklich sah Emilie das alte Kindermädchen an. Oscar beobachtete dabei die beiden Frauen mit leicht geweiteten Augen.

„Kochen? Ich? Aber das kann nicht dein ernst sein, Sophie.“

„Und ob, Lady Oscar. Eure Mutter hat es ebenfalls gelernt. Es gehört zu den guten Tugenden einer Ehefrau.“

Daran hatte Oscar nicht gedacht. Jedoch wurde ihr klar, dass viele neue Dinge auf sie zukommen würden und sie merkte, dass ihr alle nicht ganz zu sagten. Aber für André würde sie es tun. So seufzte sie kurz und sah anschließend ihre Amme an.

„Du hast Recht, Sophie. Dann bitte ich dich und Maman, es mir beizubringen.“

Andrés Großmutter klatschte vor Freunde in die Hände.

„Das freut mich, Lady Oscar. Wenn Ihr Euren Tee eingenommen habt, können wir direkt mit der ersten Stunde beginnen.“

Bei diesen Worten schluckte Oscar hart. Dass es nun so schnell gehen würde, damit hatte sie nicht gerechnet. Emilie ahnte, wie es in ihrer Tochter aussehen musste, so legte sie ihren Arm um sie.

„Du wirst es schaffen, mein Kind. Da bin ich mir sicher.“

„Ich danke, Euch für Euren Zuspruch, Maman.“

Madame de Jarjayes nickte und erhob sich.

„Dann lass deinen André nicht warten. Zudem wird der Tee noch kalt. Ich werde mich nun etwas in den Salon begeben.“

Oscar stand ebenfalls auf und nickte. Anschließend bedankte sie sich bei Sophie und verließ anschließend mit dem Tablett die Küche. Ihr Weg führte sie zum Wintergarten. Auf dem Tisch an der großen Glasfront stellte sie das Tablett ab und sah die weißen Rosen, die ihre Mutter in einer schlichten Vase dorthin gestellt hatte. Oscar beugte sich ihnen entgegen, schloss ihre Augen und roch den süßlichen Duft. So fand André sie ein paar Minuten später. Lächelnd betrachtete er sie dabei, um sie nicht zu erschrecken. Aber sie hatte seine Schritte vernommen. Daher richtete sie sich auf und sah ihm lächelnd entgegen. Zur Begrüßung bekam er einen sanften Kuss, auf den er gerne einging. Dabei drückte er seine Oscar zärtlich an sich. Glücklich schmiegte sie sich an ihn und nahm dabei seinen herben Männerduft, der nach ihm und den Pferden roch, deutlich war. Es war ein Teil von ihm und sie verband es auf ewig mit ihm. Für sie war es etwas vollkommen vertrautes. So standen die beiden Verliebten in einer innigen Umarmung vor der großen Glasfront, in der sich langsam die untergehende Sonne drin spiegelte. Den Tee hatten sie fast vergessen. Aber Oscar erinnerte sich daran, dass Sophie ihr eine Lektion im Kochen gehen wollte. Also löste sie sich schweren Herzens von ihm. Er ahnte nicht, was nachher noch anstehen würde. Daher genoss er den Tee. Anschließend musste André sich von ihr verabschieden, da er noch einige Aufgaben hatte. Sie nickte kurz und ging mit dem Tablett zurück in die Küche. Sophie sah ihr entgegen und nahm ihr das Geschirr ab.

„Dort vorn, habe ich Euch eine Schürze hingelegt, Lady Oscar.“

„Muss das wirklich sein, Sophie?“, bat Oscar sie mit einem Augenaufschlag, mit dem sie ihre Amme hatte überreden können.

Jedoch blieb dies heute ohne jegliche Wirkung.

„Es ist besser. Zudem schützt es Eure Kleidung.“

Die alte Dame nahm die Schürze und band sie Oscar um. Diese seufzte und ließ Sophie gewähren.

„Und womit beginnen wir nun?“

„Zuerst müssen wir das Gemüse putzen. Ich zeige Euch wie.“

Oscar sah ihrem ehemaligen Kindermädchen über die Schulter. Anschließend versuchte sie ihr Glück. Als alles gesäubert war, ging es ans Zerkleinern. Sophie gab ihr ein Messer mit dem sie die Kartoffeln würfeln sollte. Dabei sah sie ihrem Schützling genau zu. Daher sah sie deutlich, wie schwer Oscar sich damit tat.

„Nein, Lady Oscar. Ein Küchenmesser ist kein Degen.“

„Mir wäre es lieber, wenn es einer wäre. Ich gebe ehrlich zu, dass ich mich lieber duellieren würde, als…“

„Ihr müsst es aber lernen. Und nun schaut mir noch einmal zu.“

Seufzend ergab Oscar sich in ihr Schicksal. Es dauerte eine Weile, aber irgendwann hatte sie dennoch den Dreh raus. Es begann ihr sogar Spaß zu machen, auch wenn sie es sich kaum vorstellen konnte. Irgendwie zog sie Verbindungen zwischen ihrem normalen Training und dem klein schneiden des Gemüses.

„Das macht Ihr sehr gut, Lady Oscar. Nun müssen wir den Topf mit Wasser füllen und ihn auf den Herd stellen. Anschließend muss dieser noch ordentlich eingeheizt werden.“

Oscar nickte verstehend und tat wie ihr geheißen. Dann musste sie etwas Geduld aufbringen bis das Wasser kochte. Anschließend zeigte ihr das Kindermädchen, wie sie nach und nach die einzelnen Zutaten hinein geben musste.

„Wirklich sehr gut. Ihr lernt sehr schnell, Lady Oscar.“

„Vielen Dank, aber ich habe ja auch eine gute Lehrerin“, erwiderte sie mit einem Lächeln.

„Ein Lehrer ist nur so gut, wie seine Schüler“, antwortete die alte Dame mit einem Zwinkern.

„Aber nun müssen wir Eure Suppe probieren.“

Sie griff nach einem Löffel und reichte diesen Oscar. Dankend nahm sie ihn entgegen und kostete.

„Da fehlt etwas.“

„Und was könnte es sein?“

„Vielleicht ein Gewürz?“

„Richtig. Hier ist Salz. Tut etwas davon hinein und probiert es nochmals.“

Abermals tat Oscar, wie Sophie es ihr nannte. Zuerst war sie zaghaft und gab nur ein paar Körner hinein. Aber sie schmeckte, dass es nicht genug war. Also wurde sie mutiger und kurz darauf war die Suppe gut.

„Ich finde, dass es genau richtig ist.“

Sophie nahm einen neuen Löffel und probierte.

„Ja, sehr gut. Und wie Ihr seht, habt Ihr nun Eure erste Lektion hinter Euch gebracht.“

Oscar nickte leicht, dann begann sie zu lächeln.

„Das ist wahr und es war doch nicht so schwer, wie ich zuerst annahm. Ich danke dir, Sophie.“

„Kein dank, Lady Oscar. Wenn Ihr nun so freundlich wärt und den Tisch decken würdet?“

„Aber natürlich“, erwiderte Oscar und begann Geschirr aus dem Schrank zunehmen. Derweil trat Emilie in die Küche und sah zu den beiden.

„Es riecht hier vorzüglich.“

„Oh, Madame. Ja, Eure Tochter hat die Suppe für heute Abend zubereitet.“

„Wirklich? Das freut mich zu hören.“

Emilie trat zum Herd und kostete die Suppe. Anschließend sprach sie ähnlich wie Sophie und Oscar freute sich darüber.

„Da mein Gemahl heute nicht im Hause ist, wäre ich dafür, dass wir heute hier speisen“, schlug Madame de Jarjayes vor.

„Aber, Madame?“, versuchte Sophie zu protestieren.

„Nein, Sophie. Es ist hier doch gemütlich. Ich helfe Oscar mit dem Tischdecken und dann können wir gleich essen.“

„Wie Ihr wünscht.“, antwortete Sophie ergeben.

Mit geübtem Griff half Emilie ihrer Tochter mit dem Eindecken. Dabei erklärte sie ihr, wie das Besteck, die Gläser und auch die Teller zu liegen hatte. Oscar hörte genau zu und versuchte es sich zu merken.

Als sie fertig waren, löste sie ihre Schürze und hängte sie ordentlich an den dafür vorgesehenen Platz. In dem Moment betrat André die Küche. Er hatte Oscar gesucht, aber nicht finden können. Nun war er mehr als überrascht sie hier mit ihrer Mutter und Sophie zu sehen. So blieb er für einen Moment erstarrt im Türrahmen stehen.

Lächelnd sah seine Oscar ihm entgegen. Aber als er sich nicht rührte, trat sie auf ihn zu und gab ihn, zum ersten Mal in Anwesenheit anderer, einen kurzen aber sanften Kuss. Dabei schlug ihr Herz zum Zerbersten schnell. Aber sie hatte keine Angst. Sie wusste, dass sie ihrer Mutter und Sophie vertrauen konnte. André hatte damit nicht gerechnet und war daher im ersten Moment mehr als überrascht, aber Oscars Nähe und ihre Zärtlichkeit ließen ihn wieder entspannen. Daher erwiderte er sanft ihren Kuss.

„Komm, es gibt Abendessen. Du hast bestimmt Hunger“, sprach Oscar sanft und nahm ihn bei der Hand.

„Ja, den habe ich“, erwiderte er und ließ sich von ihr zum Tisch führen.

Da bemerkte er, dass für vier Personen eingedeckt war und so wurde sein Blick fragend. Emilie hatte die ganze Zeit, seit der Begrüßung durch ihre Tochter gelächelt. Nun trat sie mit der Suppenschüssel zum Tisch.

„Wir essen heute gemeinsam hier. Und ich hoffe, es wird dir schmecken. Oscar hat die Suppe gekocht.“

Mit diesen Worten stellte sie die Schüssel ab und setzte sich anschließend hin. Auch Sophie und Oscar ließen sich nieder.

André sah Madame de Jarjayes mit großen Augen an. Dann schluckte er unmerklich und sah auf die dampfende Schüssel. Es roch hervorragend, jedoch konnte er es sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Oscar gekocht hatte.

Schweigend ließ er sich seinen Teller füllen und etwas abwartend sah er anschließend in die Runde. Emilie und Sophie wünschten einen guten Appetit. Oscar lächelte ihn abwartend an. So kam er nicht drum herum, die Suppe zu probieren. Mit fast spitzen Zähnen kostete er vorsichtig die Suppe. Aber seine Vorahnung, dass die Suppe versalzen sein konnte oder nach nichts schmeckte, bewahrheitete sich nicht.

„Sie ist wirklich köstlich“, sprach er mit ehrlichem Blick und einem Lächeln in Oscars Richtung.

„Lady Oscar ist auch eine hervorragende Schülerin“, kommentierte seine Großmutter.

„Und mit der Zeit, wird sie noch mehr lernen. Schließlich willst du später doch gut versorgt sein, du Nimmersatt.“

„Aber, Großmutter!“, versuchte André zu protestieren.

„So viel esse ich gar nicht.“

„Und ob, mein Lieber“, kam es trocken zurück.

André wusste, dass es eine sinnlose Diskussion geben würde, so hielt er es für besser zu schweigen und dafür die köstliche Suppe zu sich zunehmen.

Dabei machte er sich Gedanken über die ganze Szenerie.

//Daran habe ich gar nicht gedacht. Oscar und ich werden nicht ewig hier bleiben können. Und das mein Engel so gut kochen kann, hätte ich nicht für mich möglich gehalten. Ich hätte mir niemals vorstellen können, dass sie jemals kochen wird.//

Innerlich konnte er sich, bei der Vorstellung, dass Oscar eine perfekte Hausfrau abgeben würde, nicht verkneifen. Und er war mehr als gespannt, was in den nächsten Tagen noch geschehen würde, als er von seiner Großmutter erfuhr, dass seine Oscar weiter unterwiesen werden sollte. Auf einer Seite tat Oscar ihm leid, weil er genau wusste, wie streng seine Großmutter war. Aber auf der Anderen, war er stolz auf seinen blonden Engel, die scheinbar dies alles nur für ihn tat.

So wurde ihm bewusst, was es für eine Auswirkung nicht nur auf ihn, sondern auch auf Oscar hatte, seitdem sie nun ganz offen zu einander stehen konnten.

Ein unerwarteter Freund

Am nächsten Tag kehrte General de Jarjayes zu seinem Anwesen zurück. Er war nach dem Besuch bei Graf de Girodel noch beim König gewesen, um die Verlobung seiner Tochter mit Victor zu annullieren. Es war ihm nicht gerade leicht gefallen und auch sein Gegenüber war mehr als überrascht und ließ sich daher auch erklären, was vorgefallen war. Dem General fiel es sichtlich schwer, alles vor dem König offen auszubreiten, aber er hatte keine andere Wahl. Jedoch war er mehr als verwundert, als er die Entscheidung Ludwig XVI. vernahm. Er verstand die Gesamtsituation und löste die Verlobung von Oscar und Victor. Aber nicht nur dies. Zudem willigte er ein, dass wenn Oscar und André eines Tages heiraten wollten, sie seine Zustimmung hatten. Damit hatte der General nicht gerechnet. Er bedankte sich höflichst für diese großzügige Geste des Königs. Dieser lächelte und erwiderte, dass Oscar und auch die Familie de Jarjayes immer eine der treusten und loyalsten Familie auf seiner Seite waren und sie es sich somit verdient haben.

Mit diesem Wissen traf der General in seinem Haus ein. Jedoch hielt er es ihm Moment für besser, diese Informationen noch zurück zuhalten.

Bei seiner Ankunft erfuhr er durch seine Gemahlin von neuen ‚Ausbildung’ Oscars. Natürlich verstand und akzeptierte er diese Entscheidung, dennoch konnte er es sich kaum vorstellen.

Im Laufe des Tages und auch der Nächsten entging ihm bei seinen Beobachtungen nicht, wie ausgewechselt seine Tochter zu sein schien. Und dies bewegte sein altes Herz, auch wenn er es nach außen hin nicht zeigte.

Oscar hingegen tat sich teils schwer mit den vielen Neuerungen. Nicht alles fiel ihr so leicht, wie sie es nach ihrem ersten Erfolg geglaubt hatte. Vor allem bei filigranen Arbeiten, wie dem Nähen und Sticken, versagte noch sehr oft ihre Geduld. In den meisten Fällen war sie oft vor einem Wutausbruch, aber ihre Mutter war immer in ihrer Nähe und half ihr so gut sie konnte. Und dafür war Oscar mehr als dankbar.

André hielt lieber etwas Abstand, vor allem wenn er bemerkte in welchem Gemütszustand Oscar sich befand. Dann kam ihr eigenes Ego zum Vorschein und diesem wollte er sich nicht unbedingt aussetzen. Natürlich liebte er sie dennoch, aber auch früher hatte André dann lieber Abstand gewahrt. Aber er bewunderte Oscar, wie sie jede neue Sache anging und es versuchte. Auch wenn es immer wieder Rückschläge gab, schien sie sich nicht entmutigen zu lassen. Deutlich spürte man ihren Kampfeswillen, der ungebrochen war. Aber André spürte auch eine gewisse Angst in sich. Was wäre, wenn sich Oscar bald nicht mehr die sein würde, die sie sie einst war und die er kannte und liebte? Und diese Sorge wurde von Tag zu Tag größer, so dass er sich vornahm mit Oscar darüber zu reden. Dabei hoffte André sie nicht zu verletzen, da sie sich nur für ihn allein all diese Mühe gab.

Mittlerweile war eine Woche verstrichen. Heute wollte André Victors Pferd zurück bringen und wenn er später wieder auf dem Anwesen war, wollte er mit Oscar reden. Er hätte es auch auf dem Ritt getan, bei dem sie ihm begleiten wollte, jedoch war sie von Sophie soweit eingenommen worden, dass sie leider ihm absagen musste. Daher ritt André alleine los.

Es dauerte nicht allzu lang, bis er das Anwesen de Girodel erreichte. Als er vor dem großen Portal abstieg, kam gleich ein Stallbursche angelaufen, um die Tiere zu versorgen. Kurz sah André diesem hinterher, dann trat er die große Treppe empor. Die große Eingangstür öffnete sich und ein Diener trat hervor und bat ihn mit hinein. André wurde zum Salon geführt, wo Victor in einem bequemen Sessel saß. Sein Kopf war noch immer von einem Verband geziert.

„André. Es freut mich dich zu sehen. Nimm doch bitte Platz“, begrüßte er ihn freundlich.

„Vielen Dank, dass du mein Pferd versorgt und es nun hierher gebrach hast.“

„Das war doch selbstverständlich“, erwiderte André höflich.

„Ich soll Grüße ausrichten und mich erkundigen wie es Euch geht. Aber dann muss ich auch wieder aufbrechen.“

„Bleib doch etwas hier und mach mir diese Freude. Ich würde mich gern mit dir unterhalten.“

Kurz überlegte André und ließ sich dann auf dem angebotenen Sessel nieder.

„Mir geht es besser. Ein paar Tage muss ich mich noch schonen, aber spätestens nächste Woche werde ich meinen Dienst wieder antreten können.“

„Das freut mich zuhören“, erwiderte André ruhig.

Victor nickte und orderte bei einem der Dienstmädchen noch einen Tee. Dann sah er wieder zu André.

„Und wie geht es Lady Oscar?“

„Ihr geht es gut. Ich soll Euch Grüße bestellen.“

„Vielen Dank. Richtet ihr die meinen ebenfalls aus.“

„Das werde ich tun.“

Der Graf nickte kurz, dann wurde der Tee serviert. Als die beiden wieder alleine waren, sah Victor André einen Moment direkt an, jedoch ohne etwas zusagen. André fühlte sich dabei nicht wohl, aber der Anstand verbat ihn direkt darauf anzusprechen. So wartete er ab, bis Victor wieder direkt anfing zu sprechen.

„Ich wollte schon seit einer ganzen Weile mit dir reden, André. Aber bis heute hatte ich nicht die Möglichkeit dazu.“

„Darf ich fragen, um was es geht?“

„Gewiss. Es geht um Lady Oscar.“

Irgendwie hatte André sich diese Antwort denken können, so nickte er nun leicht.

„Sie ist etwas ganz besonderes und ich würde lügen, wenn ich sage, dass ich sie nicht anziehend fände und dass ich sie nicht liebe.“

André hatte es geahnt, dass der Graf so empfinden würde, aber dass er das nun so offen und direkt aussprach, damit hatte er nicht gerechnet.

„Sie ist etwas Besonderes. Daher habe ich eine Bitte an dich, André. Pass gut auf sie auf und schütze sie mit deinem Leben.“

„Wie bitte?“, brachte er etwas verdattert hervor.

Victor griff nach seiner Tasse und trank einen Schluck seines Tees.

„Du hast mich richtig verstanden. Bei der Feier sagte Lady Oscar mir, dass sie einen anderen liebt. Damals hatte ich eine Vermutung, aber sie wurde nicht bestätigt. Erst vor einer Woche nach meinem Unfall“, sprach er ruhig und sah dabei über den Tassenrand zu ihm.

„Was ich sah, bestätigte meine Vermutung. Eigentlich hätte ich es schon viel früher wissen müssen. Du hattest das unendliche Glück immer bei ihr zu sein. Mit ihr unter einem Dach zu wohnen und mit ihr zu speisen. Das, was mir verwehrt blieb. Aber hab keine Angst, ich akzeptiere es, wenn auch mit schwerem Herzen. Niemals könnte ich es ertragen, dass Lady Oscar traurig oder unglücklich ist. Daher nahm ich Abstand von unserer Bindung.“

„Ich verstehe, Graf. Und ich danke, Euch für Eure Worte.“

„Kein dank. Als ich in die Kutsche stieg, sah ich sie und dich in dieser innigen Umarmung und ich kann nur meinen Glückwunsch für euch beide aussprechen.“

Nun lächelte André ihn dankend an. Victor nickte zur Antwort und leerte seine Tasse.

„Und wann gedenkt ihr euch zu vermählen?“

„Nun… also… darüber haben wir noch nicht nachgedacht“, haspelte André verlegen.

„Willst du sie nicht heiraten?“

„Doch! Natürlich! Nur wie gesagt, wir haben noch nicht darüber gesprochen. Zudem ist mir in den letzten Tagen klar geworden, dass wir für einen gemeinsamen Start noch einige Dinge benötigen. Ich bin nicht von Adel und habe nicht die Möglichkeit ein Zuhause zu bieten, wie sie es verdient hat.“

„Ich verstehe dein Problem. Aber bist du dir sicher, dass das wichtigste ist?“

„Wir können ja nicht ewig im Hause ihrer Eltern leben. Zudem macht sie sich so viel Arbeit. Meine Großmutter und auch ihre Mutter haben sie unter ihre Fittiche genommen und lehren sie kochen, backen, etc.“

Nun wurden Victors Augen groß.

„Ist das wirklich wahr?“

Er konnte sich, genau wie André zuvor, Oscar nicht in der Rolle einer Hausfrau vorstellen.

„Es ist wahr, Graf de Girodel. Sie tut nun soviel und was tue ich?“

„Hast du mir ihr darüber schon gesprochen?“

André schüttelte seinen Kopf und seufzte.

„Nein, dass wollte ich heute tun.“

„Das ist gewiss das Beste.“

„Und es wird noch ein Problem entstehen.“

„Welches, mein Freund?“

„Ich bin nun einmal nicht von Adel und eine Bindung zum dritten Stand ist nicht erlaubt.“

„Damit hast du Recht. Aber ich habe durch meinen Vater gehört, dass der König Lady Oscar wohl gesonnen ist, genauso wie die Königin. Da wird es bestimmt kein Problem geben. Außer…“

Interessiert hörte André ihm zu. Doch dann stutzte er.

„Außer… was?“

„Nun, mir ist zu Ohren gekommen, dass einige Adelige dies bereits erfahren haben und sie nicht begeistert davon sind. Wenn das wirklich wahr ist, werden sie versuchen etwas dagegen zu unternehmen.“

Nun weiteten sich seine Augen. Diese Information musste er erst verdauen.

„Was könnten sie den unternehmen?“

„Das weiß ich leider nicht. Aber ich kann meinen Vater bitten, sich umzuhören.“

„Wenn Ihr und Euer Vater dies könntet, wären Oscar und ich Euch auf ewig dankbar.“

Nun lächelte Victor ihn aufmunternd an.

„Kein dank, mein Freund. Ich helfe gern. Nicht nur wegen Lady Oscar, sondern auch für dich. Ich habe gespürt und auch gesehen, dass ihr für einander bestimmt seit und dem soll niemand im Wege stehen.“

Jetzt erwiderte André das Lächeln Victors. Damit hätte er nicht gerechnet. So hatte er den Grafen nicht eingeschätzt. Eigentlich hatte er ihn für oberflächlich und arrogant gehalten, aber nun musste André seine Meinung revidieren.

„Sobald mein Vater oder ich etwas erfahren sollten, werden wir es euch mitteilen.“

André nickte dankend, dann trank er seinen Tee aus und erhob sich.

„Leider muss ich aufbrechen. Ich habe noch einige Aufgaben zu erledigen.“

Victor nickte verstehend und erhob sich ebenfalls. Dann geleitete er ihn zur Tür.

„Ich hoffe, wir werden uns wieder sehen, mein Freund.“

„Gewiss, Graf de Girodel.“

„Grüß Lady Oscar von mir.“

„Das werde ich. Auf bald.“

Victor nickte und sah ihm hinterher, als André das Anwesen verließ. Anschließend zog er sich zurück, um nachzudenken.

Auf dem Rückweg hatte André einiges zum Nachdenken und zu verdauen. So traf er später auch auf dem Anwesen de Jarjayes ein. Ruhig versorgte er sein Pferd und ging anschließend ins Haupthaus. Dort zog er sich in seinem Zimmer rasch um. Anschließend führte sein Weg ihn zu General de Jarjayes. André hatte sich etwas vorgenommen und das wollte und musste er nun in die Tat umsetzen. Leicht wackelig waren seine Knie und sein Herz klopfte unwahrscheinlich schnell, aber wenn er sein Ziel erreichen wollte, musste er dadurch. So klopfte er am Arbeitszimmer des Generals an und wartete bis er eintreten durfte. Dieser saß wie gewohnt an seinem Schreibtisch und sah ihm entgegen.

„André? Was führt dich zu mir? Aber bitte, nimm Platz.“

„Vielen Dank, General de Jarjayes“, erwiderte er höflich und ließ sich ihm gegenüber nieder.

Abwartend sah Oscars Vater ihn an und hoffte zu erfahren, was André von ihm wollte.

„Es geht um Eure Tochter, General.“

Dieser nickte, legte seine Schreibfeder beiseite und sah ihn weiterhin an.

„Mir ist bewusst, dass es in Euren unverschämt klingen mag, aber ich möchte um die Hand Eurer Tochter Oscar anhalten. Ich weiß, dass ich nichts habe, keinen Titel, kein Zuhause, welches ich ihr bieten könnte, aber ich will dafür hart arbeiten. Auch wenn es nicht innerhalb weniger Wochen geschehen kann.“

André musste sich zusammen reißen, um nicht zu schnell zu reden, so nervös war er. Die Miene des Generals schien sich nicht zu ändern, als André sprach und auch danach nicht. Die einzige Reaktion war die, dass er sich wieder nach vorne lehnte und seine Schreibfeder ergriff. André verstand nicht und konnte diese Reaktion nicht deuten. So blieb ihm nichts Weiteres als abzuwarten. Innerlich war er nervös wie noch nie zuvor.

„Du weißt, was es bedeutet, die Tochter eines Adeligen zu ehelichen?“, begann nun Oscars Vater.

André nickte sofort verstehend.

„Ja, das ist mir bewusst und ich möchte nur ihr Bestes. Wir werden auch nicht überstürzt heiraten. Zuvor möchte uns etwas aufbauen können.“

„Das freut mich zu hören. Du hast dein Herz am rechten Fleck und ich kann mir keinen besseren Ehemann für meine Tochter vorstellen. Ich bin mir sicher, dass du sie glücklich machen wirst.“

Nun begann André zu strahlen, als er diese Worte vernahm.

„Ich danke Euch, General de Jarjayes, vielmals.“

Oscars Vater erhob sich zusammen mit ihm und reichte ihm seine Hand.

„Werde glücklich mit ihr, mein Junge. Und ich heiße dich in unserer Familie willkommen.“

André ergriff die ihm gebotene Hand und schüttelte sie, dabei nickte er.

„Vielen Dank, General.“

Dieser nickte ebenfalls und ließ sich dann wieder auf seinem Platz nieder. André atmete innerlich auf. Es war leichter verlaufen, als er gedacht hatte. Daher verabschiedete er sich nun und machte sich auf die Suche nach Oscar.

Abends am Kamin

Oscar war, wie André erwartet hatte, in der Küche. Dort wirkte es ein wenig chaotisch und man merkte deutlich, dass sein Engel noch keine wirkliche Übersicht über das Ganze hatte. Aber dennoch war André mehr als begeistert, was Oscar in der kurzen Zeit schon alles gelernt hatte. Lächelnd begrüßte er sie. Wie nervös er tief in sich war, erahnte sie nicht, als sie seine Begrüßung erwiderte. Zärtlich gab sie ihm einen Kuss und berichtete ihm anschließend von den Dingen, die geschehen waren. André hörte ihr zu und richtete anschließend die Grüße Girodels aus. Sofort erkundigte sie sich, wie es ihm gehen würde und André beantwortete all ihre Fragen. Oscar zog ihre Schürze aus und legte sie über einen nahen Stuhl.

„Ich habe im Moment meinen Dienst bei Hofe schleifen lassen und nun wo Girodel auch ausgefallen ist…“, begann sie mit einem Seufzen.

„Aber du bist doch beurlaubt.“

„Ja, ich weiß, André. Jedoch verlässt man sich dennoch auf mich. Morgen werde ich nach Versailles reiten und alles so weit klären.“

„Wie du willst. Soll ich dich begleiten?“

„Das brauchst du nicht“, erwiderte Oscar, die bereits sich etwas vorgenommen hatte, von dem ihr Liebster im Moment nichts erfahren sollte.

André war ihre Antwort ganz recht, da auch er einige Dinge erledigen wollte, ohne dass Oscar davon Wind bekommen sollte. Daher nickte er zur Antwort.

„Die Mädchen decken gerade ein. Zieh du dich erst einmal um, dann gibt es gleich etwas zu essen“, lenkte Oscar ab.

Abermals nickte André, gab ihr einen Kuss auf die Wange und machte sich daran, die Küche zu verlassen. Jedoch stoppte er im Türrahmen und drehte sich leicht zu ihr.

„Wollen wir nach dem Essen noch einen kleinen Spaziergang machen?“

„Das ist eine gute Idee. Sehr gern.“

Bei ihren Worten lächelte er und verließ dann die Küche. In Ruhe zog er sich um. Als er zurückkehrte, war Oscar verschwunden. Sie war im Speisesaal bei ihren Eltern und nahm dort das Mahl ein. Er selber aß, wie jeden Tag, mit seiner Großmutter und ein paar der Dienstmädchen und –boten zusammen. Es mundete ihm vorzüglich und Sophie lobte Oscar in den höchsten Tönen. Innerlich ließen ihre Worte André grinsen.

Nachdem alle fertig waren, half er ihr mit dem Geschirr. Später machte er sich, als all seine Aufgaben erledigt waren, auf den Weg zu Oscar. Diese traf er im Salon am, wo sie auf einem Sessel vor dem Kamin saß.

„Hier bist du ja“, sprach er sie lächelnd an.

Oscar hob bei seinen Worten den Blick und nickte.

„Vater und Mutter haben sich bereits zurückgezogen und hier am Kamin ist es sehr gemütlich.“

„Das ist wahr. Geht es deinen Eltern nicht gut?“

„Sie machten auf mich nicht den Eindruck, aber sie werden gewiss ihre Gründe haben.“

André nickte leicht und ließ sich neben ihr nieder.

„Wollen wir hier bleiben oder wollen wir noch hinaus?“

„Ich hoffe, du bist mir nicht böse, wenn ich im Salon bleiben möchte?“

„Aber nein, Oscar. Warum sollte ich dir den jemals böse sein?“, kam es mit einem Zwinkern.

Etwas rückte er mit seinem Stuhl näher an sie heran und ergriff ihr Hand, die auf dem nahen Polster ruhte. Zärtlich strich er darüber und beobachtete dabei Oscar. Ihr Haar schimmerte im Schein des Kaminfeuers und ihre Augen spiegelten das warme Licht wieder. Allein dieser Anblick ließ André träumen.

//Sie ist wirklich ein Engel. Ein Bote Gottes in Menschengestalt. Auf einer Seite so tapfer und mutig. Zugleich auf der anderen Seite rein und wunderschön.//

Oscar bemerkte seinen verträumten Blick. Daher beugte sie sich zu ihm und strich ihm zärtlich über die Wange. Als André dies registrierte, lehnte er sich leicht dagegen und betrachtete sie stumm weiter.

Solche Momente zwischen den beiden waren selten. Fast noch seltener, als ihre Zärtlichkeiten in Form von Küssen. Sie waren offiziell nicht verlobt und daher mussten sie vor Oscars Vater Vorsicht walten lassen. Dass André bei ihm bereits um ihre Hand angehalten hatte, ahnte sie nicht. Zudem würde sie ihn nicht dazu drängen. Sie waren jung und hatten noch Zeit.

Nach einer Weile löste André das Schweigen. Während er anfing zu sprechen, drehte er sich weiter zu Oscar und ergriff dabei ihre andere Hand.

„Oscar? Ich wollte mit dir schon eine ganze Weile reden.“

Etwas überrascht sah seine Liebste ihn abwartend an.

„Mir ist in den letzten Tagen deutlich geworden, was du für uns tust. Großmutter und auch deine Mutter bringen dir alles bei, was sie wissen. Und wenn ich dich sehe, wie du dich bemühst, mache ich mir Gedanken. Glaube mir, ich bin unsagbar stolz auf dich und das, was du leistest. Aber verspüre ich auch etwas Angst.“

Oscar Augen weiteten sich, als sie seine Worte vernahm.

„Aber warum, Liebster? Ich tue dies alles nur für dich.“

„Dafür bin ich dir dankbar.“

André versuchte sich seine folgenden Worte sorgsam zu recht zulegen, dabei drückte er unbewusst ihre Finger.

„Ich habe das Gefühl, dass du bald nicht mehr die Oscar bist, die ich kenne. Das soll nicht bedeuten, dass sich etwas an meinen Gefühlen für dich ändert. Ich werde dich auf ewig lieben und dich auf Händen tragen. Aber bist du im Moment wirklich glücklich? Ich weiß, wie sehr du immer deine Freiheit geliebt hast und nun so eingeschränkt durch Großmutter, die dich scheinbar kaum noch aus den Augen lässt…“

Oscar hatte fast die Luft angehalten, als er zureden begann. In ihr war ebenfalls eine Angst empor gelitten, als er von ihrer Veränderung sprach. Aber als er sagte, dass er sie dennoch liebte, begann sie zu lächeln.

„Du brauchst keine Angst haben, Liebster. Das musst du mir glauben. Zuerst konnte ich es mir auch nicht vorstellen. Zulange lebte ich wie ein Mann im Körper einer Frau. Aber seit ich weiß, dass ich dich aus tiefstem Herzen liebe, ist mir nun vollkommen bewusst, dass ich kein Mann bin und es auch niemals sein möchte. Natürlich haben auch meine Mutter und Sophie ihre Hände mit im Spiel. Jedoch in den letzten Tagen, während sie mit das eine oder andere zeigten, erfuhr ich auch so einiges von ihnen. Vor allem von meiner Mutter. Sie erzählte, wie sie das Kochen, Nähen und dies alles, erlernte. Und das sie zuerst überhaupt nicht davon begeistert gewesen war. Nur mit Murren und Widerwillen hatte sie alles gelernt, aber als sie Vater versprochen wurde, ihn kurz darauf kennen und später lieben lernte, wollte sie immer nur, dass es ihm gut geht. Von da an, kniete sie sich noch mehr in ihre Aufgaben hinein und dies mit all ihrer Liebe und Zuneigung. Dies hat mich sehr imponiert und ich spüre, dass es ihr so ging, wie mir heute. Mein Ziel ist ihr damaliges. Ich möchte dich nur glücklich machen und somit wissen, dass es dir immer gut gehen wird. Ich werde immer die Oscar bleiben, die ich war. Aber nur für dich allein, André.“

Niemals hätte er geglaubt, so etwas von Oscar zuhören. Ihre Worte machen ihn mehr als glücklich. Sanft zog er sie zu sich, schloss seine Arme fest um sie und küsste sie zärtlich. Dass sie dabei auf seinem Schoß zu sitzen kam, störte ihn nicht im Geringsten. Oscar war etwas überrascht von seiner Handlung, aber seine Nähe, Wärme und Zuneigung, ließen sie sofort wieder entspannen. Zärtlich erwiderte sie seinen Kuss und schmiegte sich dabei an ihn. Sie so nah bei und an sich zu spüren, lösten unwillkürliche Schauer bei André aus. Seine Atmung wurde dabei automatisch schneller und sein Kuss etwas fordernder. In ihm entbrannte eine Leidenschaft, die beide nicht kannten. Jedoch war sie ihnen auch nicht unangenehm. Sanft strich André Oscar über den Rücken und drückte sie damit näher an seinen Oberkörper heran. Durch ihr Hemd konnte er ihre zarten Rundungen spüren und sein Körper begann langsam darauf zu reagieren. Aber auch Oscar blieb nicht kalt. Ihre Atmung war schneller geworden und ihr Herz raste. Sie war nicht im Stande noch einen klaren und vernünftigen Gedanken zu fassen. So ließ sie sich von Andrés Leidenschaft einfach leiten. Somit rieb sie leicht ihren Oberkörper an dem seinen, was ein Keuchen seinerseits hervorrief. Andrés Atmen war heiß und seine Lippen, die sich noch immer im Kuss mit Oscars befanden, leicht geöffnet. Ohne zu wissen was er tat, strich er, wie von Geisterhand geleitet, mit seiner Zungenspitze über ihre sanften, wohlgeformten Lippen. Oscar war überrascht, aber es fühlte sich gut an, sodass sie die ihren öffnete und seine Zunge mit der ihren leicht anstupste. Für beide Liebenden war es eine vollkommen neue Erfahrung. Erst vorsichtig, aber dann immer leidenschaftlicher begannen sich ihre Zungen zu duellieren. Andrés Hände wanderte von ihrem Rücken hinab zu ihrem wohlgeformten Hinterteil. Mit kräftigen, jedoch zugleich sanften Bewegungen massierte er diesen, was Oscar mit einem leisen Aufstöhnen quittierte. Sie ereilte eine Gänsehaut, wie sie sie noch nie zuvor verspürt hatte.

„André…“, kam es fast tonlos von ihr.

Dieser öffnete seine Augen zum Spalt und sah sie mit ein dunkler schimmernden Augen leicht lüstern an. So entging ihm nicht, wie Oscar seine Behandlung scheinbar zu gefallen schien. Daher machte er zärtlich weiter und schloss seine Augen wieder. Nun spürte er, wie auch ihre Hände auf Wanderschaft zu gehen schienen. Zuerst glitten sie zu seinem Haarband, um es zu öffnen. Als seine braunen Haare sich über seine Schultern verteilten, glitten ihre Finger durch diese hinab zu seinen breiten Schultern. Aber lange verweilten sie dort nicht. Stück für Stück glitten sie hinab über sein Hemd. Da er es oben offen trug, berührten ihre Fingerspitzen seine freie Haut. Es schien ihm, als würden sie eine heiße Spur auf ihm hinterlassen und viele Blitze ihn zeitgleich durchfahren. Als er daher kehlige aufstöhnte, öffnete Oscar ihre Augen. Aber deutlich konnte sie allein an seiner Haltung erkennen, dass es ihm scheinbar mehr als gefiel. Dies ließ sie lächeln. Um ihn noch mehr zu verwöhnen, rutschte sie leicht auf seinem Schoß hin und her, um noch mehr Zärtlichkeiten zu kommen zulassen. Dabei bemerkte sie auf einmal einen Druck gegen ihr Bein und als sie sah, woher dies kam, schluckte sie hart. Die Anatomie eines Mannes war ihr bekannt, aber viel mehr kannte sie sich nicht aus. Jedoch entging ihr sein Aufstöhnen nicht, als sie ihr Becken eher aus Versehen, dagegen drückte. Ihr wurde somit bewusst, dass dies ihm mehr als zugefallen schien. Als sie jedoch mit ihren Fingern darüber streichen wollte, hörte sie auf einmal eine ihr bekannte Stimme.

„Lady Oscar? Wo seit Ihr?“

Sofort versteifte sie sich in ihrer Haltung und auch André schrak zusammen. Auch er hatte seine Großmutter erkannt. Oscar sprang von seinem Schoß und versuchte ihren Herzschlag und ihre Atmung wieder zu beruhigen. Rasch ordnete sie ihre Kleidung und André folgte ihrem Beispiel.

Wieder ertönte Sophies Stimme. Die Liebenden sahen sich an. Rasch gab André Oscar einen Kuss und sprach: „Ich liebe dich.“

Anschließend zog er es vor, durch eine Verbindungstür in eines der Nachbarzimmer zu verschwinden. Dies ging alles so zügig von statten, dass Oscar kaum reagieren konnte.

„Ich liebe dich auch“, hatte sie noch hervor gebracht.

Aber kaum, dass die Tür sich hinter André geschlossen hatte, öffnete sie eine andere und ihr Kindermädchen trat herein.

„Hier seit Ihr, Lady Oscar. Warum habt Ihr auf meine Rufe nicht reagiert?“

„Verzeih mir, Sophie. Ich war in Gedanken“, erwiderte Oscar und drehte sich zum Kamin.

Sophie sah sie dabei von der Seite an. Kurz schüttelte sie ihren Kopf und ließ ihren Blick durch den Raum schweifen. Zuerst schien alles vollkommen normal zu sein. Jedoch machte das Kindermädchen eine Entdeckung. Auf dem Boden, sah sie ein Band liegen. Sie bückte sich nach diesem und hob es auf.

Oscar beobachtete dies aus dem Augenwinkel und sie schluckte hart.

Sophie betrachtete sie das Haarband genau. Anschließend sah sie zu ihrem Schützling, die ihr Gesicht scheinbar hinter ihren blonden Haaren verstecken wollte.

„Das ist doch Andrés Band. Wie kommt es hierher?“, schien Sophie sich selber zu fragen.

„Ich weiß es nicht“, antwortete Oscar und hätte sich zeitgleich am liebsten auf die Zunge gebissen.

Sophie schob ihre Brille zu Recht und trat auf sie zu.

„Ihr seid eine Lady und Ihr wisst Euch zu benehmen. Vergesst niemals, es gibt Dinge, die nur für die Ehe bestimmt sind. Als Dame gibt man sich nicht einfach so hin!“, polterte sie los.

Aber als sie die geröteten Wangen und den beschämten Gesichtsausdruck Oscars sah, erweichte sich ihr Herz. Sie trat zu ihr und nahm sie in den Arm.

„Ich meine es nicht böse. Aber denkt bitte an mich und mein armes, altes Herz. Wenn Euer Vater davon erfahren würde… dann gnade Euch Gott. Das wisst Ihr.“

Oscar nickte, den sie wusste worauf Sophie hinaus wollte.

„Ich wollte niemanden verstimmen. Ich weiß auch nicht, was über mich gekommen ist“, sprach sie leise.

Sophie hörte ihr zu und strich ihr dabei durch das lange blonde Haar.

„Ihr seid verliebt, Lady Oscar. Wir werden uns morgen mit Eurer Mutter unterhalten. Aber habt keine Sorge, ich werde Ihr nichts erzählen.“

„Ich danke dir, Sophie. Wahrscheinlich ist es das Beste.“

Ihr Kindermädchen nickte und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.

„Aber nun zieht Euch zurück. Es ist spät und Ihr braucht Euren Schlaf.“

Nun nickte Oscar, verabschiedete sich anschließend von Sophie und ging direkt in ihr Zimmer. Dort kreisten ihre Gedanken über das gerade erlebte. Noch immer klopfte ihr Herz unsagbar schnell. Aber über ihre Grübeleien hinweg, schlief sie tief und fest ein.

Neue Erkenntnisse

Am nächsten Morgen, direkt nach dem Frühstück, brach Oscar nach Versailles auf. Kurz hatte sie Sophie zu verstehen gegeben, dass sie das Gespräch mit ihrer Mutter auf später verschieben würde, da sie in Versailles erwartet wurde. Ihr altes Kindermädchen nickte verstehend und ließ sie ziehen.

Ruhig ritt Oscar nach Versailles. Schon von weitem konnte sie das Schloss mit den anliegenden Gebäuden sehen. Es war ein gewohnter Anblick für sie und zum Teil war es auch etwas wie ein zuhause geworden, auch wenn sie hier nur ihrem Dienst nachgegangen war. Jedoch verband sie eine ganze Reihe an Erinnerungen mit Versailles und niemand konnte ihr diese nehmen. Bald hatte sie die Stallungen erreicht. Dort stieg sie von ihrem Schimmel und übergab ihre Zügel an einen der Stallburschen. Kurz richtete sie ihre Uniform und schritt anschließend auf das Schloss zu. Hin und wieder kreuzten bekannte Gesichter ihren Weg und sie nickte ihnen höflich zu. Aber ihr Weg führte sie zur Königin. An deren Salon angekommen, ließ sie sich melden. Oscar musste nicht lange warten, bis man sie vorließ. Mit sicherem Schritt trat sie auf Marie Antoinette zu und verbeugte sich vor ihr.

„Lady Oscar. Es freut mich Euch wieder hier in Versailles begrüßen zu dürfen. Es scheint eine Ewigkeit her zu sein, dass wir uns sahen. Aber bitte, erhebt Euch“, überschüttete die Königin sie, vor Freude sie wieder zusehen.

Oscar nickte und erhob sich.

„Meine Königin. Es freut mich ebenfalls Euch gesund und munter zusehen. Verzeiht mir, dass ich nicht an Eurer Seite sein konnte.“

„Ich verstehe, meine Freundin. Mein Gemahl, der König, hatte mir von Eurer Verlobung erzählt. Aber nun kommt, setzen wir uns. Ihr müsst mir alles erzählen“, plapperte Marie Antoinette weiter.

Abermals nickte Oscar und geleitete die Königin zu einem Tisch in der Nähe. Es wurde kurz darauf Tee und Gebäck serviert und Marie Antoinette sah abwartend zu Oscar.

„Ich weiß nicht, ob Ihr die Kunde über die Lösung der Verlobung bereits Kunde hab, Eure Majestät.“

Die Augen der Königin weiteten sich.

„Wie bitte? Aber Oscar? Ich dachte, Ihr seid glücklich.“

„Die Verlobung war eine ’Idee’ meines Vaters, aber es hat sich alles aufgeklärt. Ich empfinde nichts für den Grafen de Girodel“, erklärte Oscar kurz.

„Graf den Girodel?“, fragte sie nach.

„Ja, Eure Majestät. Die Verlobung bestand zwischen Graf de Girodel und mir. Was dachtet Ihr?“

Es schien hinter der Stirn Marie Antoinettes zu arbeiten. Doch dann nickte sie lächelnd.

„Natürlich, verzeiht. Ich hatte mich geirrt. Aber was gedenkt Ihr nun zu tun?“

„Deswegen bin ich hier, Eure Majestät. Da der Graf im Moment seinem Dienst noch nicht nachgehen kann, werde ich meine freien Tage unterbrechen. Es ist meine Pflicht, als Kommandant, mich um die königliche Garde zu kümmern. Jedoch wollte ich zugleich auch meinen Rücktrittsgesuch einreichen.“

Nun weiteten sich abermals die Augen der Königin.

„Aber warum, Lady Oscar?“

„Ich werde meinen Dienst quittieren, wenn Girodel wieder vollkommen genesen ist. Ihn schlage ich auch als meinen Nachfolger vor. Er ist der Beste für diese Position, mit den meisten Erfahrungen und die Garde hört auf ihn“, schlug Oscar ruhig vor.

„Mein Rücktritt hat einen Grund. In den letzten Tagen und Wochen hatte ich Zeit zum Nachdenken. Mir bedeutet meine Aufgabe hier bei Hofe sehr viel, aber ich habe für mich gemerkt, dass es nicht alles für mich ist. Ich möchte das Leben einer Frau führen, an der Seite eines Mannes.“

Je weiter Oscar sprach, desto mehr begann die Augen der Königin feucht zu schimmern.

„Also habt Ihr Euer Herz einem Mann geschenkt?“

Oscar nickte zur Antwort und lächelte leicht verlegen dabei.

„Ja, Eure Majestät. Das habe ich.“

„Oh, Oscar. Ich freue mich von Herzen aus für Euch“, erwiderte Marie Antoinette, wobei sie vor Begeisterung in die Hände klatschte.

„Das ändert natürlich alles, und ich stimme Eurem Gesuch zu. Auch Eure Empfehlung für den Grafen, werde ich an meinen Gemahl weiterleiten. Aber nun sagt, wer ist der Glückliche, dem Ihr Euer Herz schenktet?“

Neugierig betrachtete die Königin Oscar. Dabei lächelte sie leicht in ihren Fächer hinein. Leicht fiel es Oscar nicht, aber kurz nickte sie und begann wieder zu sprechen. Dabei begannen ihre Wangen mehr zu glühen.

„Bei dem Glücklichen handelt es sich um André.“

Abermals klatschte die Königin freudig in ihre Hände.

„Es freut mich sehr für Euch, meine Liebe. Ich hoffe, ich darf Euch als Erste gratulieren?“

„Gewiss, Eure Majestät.“

„Darf ich auch erfragen, wann Ihr Euch vermählen wollt?“

Verlegen senkte Oscar bei den Worten der Königin ihren Blick. Am liebsten hätte sie sich nun in irgendein Mäuseloch verkrochen.

„Ich weiß es noch nicht. Es gibt noch so viele Dinge, die geregelt werden müssen, bevor wir an eine Hochzeit denken.“

„Nun, ich verstehe. Darf ich hoffen, dass Ihr mich zu Eurer Vermählung einladen werdet?“

„Ihr seid ein gern gesehener Gast, Eure Majestät und wir würden uns über Eure Anwesenheit mehr als geehrt fühlen.“

Zufrieden lächelte Marie Antoinette Oscar an. Sie freute sich wirklich für die Freundin, dass diese ihr Glück gefunden zu haben schien.

Eine ganze Weile saßen die beiden Frauen noch zusammen, bis Oscar sich entschuldigte, um endlich ihren Dienst anzutreten. Ihre Truppe war mehr als freudig überrascht ihren Kommandanten wieder zusehen. Das zeigten sie deutlich und führten ihre Befehle rasch und präzise aus. Oscar war mehr als angetan von ihren Männern und tief in ihr begann sie jetzt schon sie zu vermissen. Aber sie hatte ihre Entscheidung getroffen und zu dieser stand sie. Es würden hier ihre letzten Tage werden. Ihre Truppe sollte erst am Tage ihres Abschiedes davon erfahren. Dafür hatte Oscar sich entschieden. An diesem Tag sollte auch Girodel von seiner Beförderung und seinem neuen Posten Kenntnis erhalten.

Mit sich und allen zufrieden, kehrte Oscar am späten Nachmittag zum elterlichen Anwesen zurück. Am Stall stieg sie ab und brachte ihr Pferd hinein. Sie hoffte André zu sehen, aber er, wie auch sein Pferd, waren nicht da. Oscar war etwas überrascht, aber ihr fiel ein, dass er ihr gesagt hatte, dass er noch etwas zu erledigen hatte. Daher machte sie sich keine weiteren Gedanken und ging nach der Versorgung ihres Pferdes auf den Weg ins Haus.

Sie hatte sich kaum umgezogen, als es an ihrer Tür klopfte.

„Herein.“

Emilie de Jarjayes betrat das Zimmer.

„Du bist zeitig zurück, mein Kind.“

„Ja, Maman. Es ist heute alles zu vollster Zufriedenheit gelaufen.“

„Das freut mich zu hören.“

Ihre Mutter ließ sich am Tisch vor einem der Fenster nieder. Dabei sah sie zu ihrem Kind. Oscar entging dieser Blick nicht und es ereilte sie die Erinnerung an Sophies Worte. Dies ließ sie innerlich schlucken. Emilie entging die aufsteigende Nervosität ihres Kindes nicht.

„Oscar, mein Kind, ich wollte mich etwas mit dir unterhalten. Es geht um André und dich.“

Ihre Tochter nickte leicht und ließ sich auf einem freien Stuhl nieder.

„In den letzten Tagen und Wochen ist mir immer bewusster geworden, seit André und du euch gefunden habt, dass ich doch einiges nachzuholen habe, was dein Vater in seiner Erziehung außen vor gelassen“, begann Emilie in ruhigem Ton.

„Dieses Gespräch habe ich bereits früher mit deinen Schwestern geführt, als sie in das passende Alter kamen. Es gibt Dinge zwischen einem Mann und einer Frau, die vollkommen natürlich sind. Erinnerst du dich noch an den Tag, als du zum ersten Mal deine Periode bekamst? Ich sagte dir, dass dich dies in einer gewissen Weise zur Frau macht. Aber dies ist nur ein Teil davon gewesen. Erst durch die ’Verbindung’ mit einem Mann in der Ehe, wirst du vollwertig zur Frau. Daher bitte ich dich, mein Kind, ich weiß wie sehr ihr beide euch liebt, aber habt Geduld.“

Auch wenn ihre Mutter nicht viel zum Thema Aufklärung beitrug, verstand Oscar in gewisser Weise.

„Ich werde es beachten, Maman“, sprach sie leise mit geröteten Wangen.

Auch wenn es nicht wirklich viele Informationen gewesen war, wurde ihr dennoch bewusst, dass sie beinah mit André zu weit gegangen wäre. Für ihn und sich würde sie sich gedulden, auch sie seinen Körper mehr als anziehend fand. Oscar wusste, dass sie die Ehre ihrer Familie hätte beschmutzen können und das wollte sie verhindern. Tief in ihrem innersten hoffte sie, dass auch André dies so sehen und auch verstehen würde. (* Anmerkung der Autorin: Die erste sexuelle Aufklärung gab es in Frankreich erst nach der franz. Revolution. Aber lange hielt sie nicht an und man verfiel in die altbekannten Muster, Sexualität und alles was damit zu tun hatte, als schmutzig und unrein zu sehen Link: http://www2.hu-berlin.de/sexology/ATLAS_DE/html/sexuelle_aufklaerung_und_erzie.html => Absatz 3 - 7)

Emilie sah lächelnd zu ihrer Tochter, dann erhob sie sich und trat zu ihr.

„Ich weiß, du wirst richtig Handeln und wenn etwas sein sollte, komm zu mir. Ich werde versuchen dir zu helfen, so gut ich es kann.“

Oscar sah bei den Worten ihrer Mutter auf.

„Dafür bin ich Euch dankbar, Maman“, erwiderte sie mit einem ehrlichen Blick.

Madame de Jarjayes gab ihr einen Kuss auf die Stirn und strich ihr durch das blonde Haar.

„Und wie geht es der Königin? Du warst doch gewiss bei ihr oder?“

„Ja, das war ich. Sie hat sich gefreut mich wieder zusehen.“

„Das glaube ich dir gern, mein Kind.“

„Ich habe mit ihr gesprochen und die Sache mit Girodel erklärt. Aber nicht nur das.“

„Sprich bitte nicht in Rätseln, Oscar. Was meinst du?“

Kurz holte sie etwas Luft und sah dabei zu ihrer Mutter.

„Ich war bei ihr, um ihr mein Rücktrittsgesuch einzureichen. Mir ist klar geworden, dass ich nur noch für André da sein will und in das Leben einer Frau passt der Dienst in der königlichen Garde nicht.“

„Bist du dir damit wirklich sicher, mein Kind?“

„Leicht ist es mir nicht gefallen. Ich durfte dort sehr viel lernen und es war eine Aufgabe, an der ich wachsen und mich messen konnte. Für immer ist es ein Teil von mir und ich werde es niemals vergessen. Aber nun, wo ich erfahren durfte, was es heißt zu lieben, habe ich eine neue Aufgabe und dieser will ich mich vollends stellen. Ich muss noch sehr viel lernen und es wird auch nicht immer leicht für mich sein, aber dennoch verspüre ich keine Angst vor dem neuen, was sich vor mir auftut.“

„Du machst mich sehr stolz, mein Kind. Deinem Vater wird es treffen, aber auch er versteht. Lass ihm noch etwas Zeit, bis er sich daran gewöhnt hat.“

„Das werde ich. Da Graf de Girodel noch nicht genesen ist, werde ich meinen Dienst absolvieren. Erst wenn er zurückkehrt, werde ich ihm meinen Posten überlassen und es auch der Garde direkt mitteilen. Die Königin war damit einverstanden. Er ist der beste Mann, um meine Nachfolge anzutreten.“

„Du hast Weise gehandelt. Ich bin sicher, dass er das ist. Und so lange du deinen Dienst bei Hofe versiehst, musst du Sophie nicht in der Küche helfen. Ich werde es ihr mitteilen und sie wird gewiss Verständnis dafür zeigen.“

Oscar lächelte nun richtig und drückte ihre Mutter für einen Moment.

„Nochmals habe ich Euch zu danken. Mir wird, seid ich angefangen habe zu Kochen usw., erst bewusst, was ich in den Jahren mit Euch verpasst habe, Maman. Ihr standet immer hinter mir und habt Euch niemals gegen eine Entscheidung von mir geäußert. Nun, wo ich beide Seite kenne, habe ich den Eindruck etwas verpasst zu haben.“

„Und das wäre, mein Kind?“

„Ich weiß es nicht. Vielleicht weil wir nie viel Zeit miteinander verbringen konnten. Entweder habe ich mit Vater oder André trainiert, war reiten oder später bei Hofe. Ich glaube, Ihr hättet mir sehr viel beibringen können.“

„Deine Worte ehren mich, mein Kind. Und ich gebe ehrlich zu, ich hätte niemals gedacht, so etwas aus deinem Munde zu hören. Aber nun machst du mich unsagbar stolz. Und dein Vater ist es ebenfalls. Du bist etwas ganz besonderes, mein Kind. Vergiss das niemals.“

„Das werde ich nicht, Maman.“

Liebevoll sah Madame de Jarjayes ihre Tochter an, wobei sie kurz nickte.

„Gut, mein Kind. Aber nun komm. Das Essen müsste angerichtet sein.“

Oscar nickte und ging gemeinsam mit ihrer Mutter hinab in Richtung des Speisesaals. Vor diesem blieben sie jedoch kurz stehen.

„Habt Ihr André eigentlich gesehen?“

„Nein, er ist kurz nach dir aufgebrochen. Aber ich denke, er wird bald hier sein. Spätestens der Hunger wird ihn hertreiben.“, erwiderte sie mit einem Zwinkern.

„Aber, Maman. Das klingt, als würde André die Speisekammern plündern“, versuchte Oscar ihren Liebsten zu verteidigen.

Ein leichtes Kichern, welches Emilie aber nicht böse meinte, konnte Oscars Mutter nicht unterdrücken.

„Das wollte ich damit auch nicht ausdrücken, mein Kind. Aber er hat immer einen sehr gesegneten Appetit“, sprach sie abermals zwinkernd.

„Er arbeitete auch den ganzen Tag sehr viel und muss daher muss er sich auch gut stärken“, versuchte sie ihn nochmals zu verteidigen.

„Ich versteh schon, du lässt nichts auf ihn kommen, mein Kind. Aber nun lass uns Essen.“

Oscar nickte und betrat nun mit ihrer Mutter den Speisesaal. Dort begrüßte sie ihren Vater und anschließend speisten sie zusammen. Dabei hoffte Oscar, dass André bald wieder daheim sein würde.

Ein langer Tag

Die nächsten Tage verliefen ohne weitere Vorfälle. Oscar ging gewohnt ihrem Dienst nach und das tat ihr gut. Es waren für sie normale Handlungsabläufe, da sie seit Jahr und Tag nichts anderes getan hatte. Das einzige was sie vermisste, war André, der sie sonst immer begleitet hatte. Aber im Moment war er scheinbar anderweitig beschäftigt, dass sie ihn nur abends sah, oder früh, wenn sie zu ihrem Dienst aufbrach. Zuerst fiel ihr dies nicht direkt auf, aber als aus zwei Tagen über eine Woche wurde, fragte sie sich schon, was André den ganzen Tag trieb. Oscar musste sich zusammen reißen, um ihren Dienst weiter ordnungsgemäß zu verrichten, ohne das ihre Gedanken immer wieder fort schweiften. Abends versuchte sie André abzufangen und mit ihm zu reden, aber er kam meist nicht vor Mitternacht zurück, sodass sie längst schlief. Daher hoffte sie bald die Gelegenheit zu finden, wenn ihr Dienst für immer endete. Und schon in zwei Tagen sollte es soweit sein.

Wirklich leicht fiel es Oscar nicht ihren Position abzugeben, aber es war ihr eigener Wunsch, wenn sie ein neues Leben mit ihrem André beginnen wollte. Und heute sollte es nun soweit sein. Sie wollte keine große Zeremonie, es sollte einfach von statten gehen. Daher hatte sie, als Girodel eintraf, die Garde Aufstellung und Haltung einnehmen lassen. Zuerst dachte Victor sich nichts dabei, auch wenn er schon etwas verwundert war. Daher parierte er neben seiner Kommandantin durch und begrüßte sie höflich.

„Guten Morgen, Lady Oscar.“

„Guten Morgen, Girodel. Es freut mich, dass Ihr wieder gesund seid.“

„Vielen dank. Ich fühle mich auch wieder gut. Aber darf ich fragen, warum die gesamte königliche Garde Aufstellung genommen hat? Ist etwas geschehen?“

„Nein, es ist nichts geschehen. Dem Königspaar geht es gut und es ist friedlich. Ich habe die Garde antreten lassen, um Euch und ihnen etwas zu sagen.

„Etwas zu sagen?“

„Ja, Ihr habt mich richtig verstanden, Graf. Während Eurer Abwesenheit habe ich mit der Königin gesprochen. Ich werde von meinem Posten zurücktreten und sie meinem fähigsten Mann überlassen. Und das seid Ihr, Graf.“

Die Gardisten bekamen große Augen und Ohren. Genau wie Girodel, konnten sie nicht glauben, was sie da hörten.

Oscar konnte im Augenwinkel sehen, wie einige ihrer Männer das Glied verließen. Sofort fuhr sie diese im scharfen militärischen Ton an.

„In Reih und Glied!“

Sofort zuckte die Gardisten zusammen und folgten ihrem Befehl. Girodel beobachtete dabei Oscar genau.

„Dann hätte ich eine Bitte an Euch, Lady Oscar.“

„Gewiss, Girodel. Und die wäre?“

„Ich glaube, ich spreche nicht nur in meinem Namen, sondern auch in dem der Garde. Bitte macht noch eine letzte Inspektion.“

Bestätigend nickten alle Anwesenden, was Oscar ein Lächeln herauslockte.

„In Ordnung. Dann werde ich dies gern tun.“

Kaum hatte Oscar dies gesagt, gingen alle an ihre Position und sie war mehr als stolz auf ihre Männer, die genau zeigten, was in ihnen steckte. Sie würde sie vermissen, dass war Oscar bewusst. Aber vergessen würde sie die Garde niemals, sie war zum Teil wie eine Familie für sie geworden.

Als die Inspektion endete und Oscar die Garde abtreten ließ, wandt Oscar sich an Girodel und bat ihn darum ihr zufolgen. Ihr Weg führte sie direkt zu der Königin Marie Antoinette. Diese wusste, was heut für ein Tag war und begrüßte beide lächelnd. Kurz sprach sie ein paar Takte zu Oscar, dann jedoch sah sie zu Girodel. Als er die Worte der Königin vernahm, als sie ihn zum Kommandanten der Garde beförderte, weiteten sich seine Augen. Er bedankte sich höflichst bei ihr. Anschließend konnte er sich mit Oscar zurückziehen. Als sich beide wieder auf dem Vorhof des Schlosses befanden, drehte Victor sich zu ihr und sah sie direkt an.

„Die Beförderung habe ich Euch zu verdanken, nicht wahr?“

Lächelnd nickte Oscar und reichte ihm dabei ihre Hand.

„Ja, ich habe es der Königin vorgeschlagen und sie hat bereitwillig zugestimmt. Ihr seid einfach der beste Mann für diesen Posten. Und ich weiß, dass Ihr und auch Euer Vater es sich immer gewünscht haben.“

Victor ergriff ihre Hand und drückte diese leicht.

„Ich danke Euch dafür sehr, Lady Oscar. Aber zugleich bin ich traurig, dass Ihr uns verlasst.“

„Macht nicht so ein Gesicht, Girodel. Gewiss werde ich nicht mehr sooft hier in Versailles sein, aber Ihr und Eure Familie waren immer gern gesehene Gäste im Haus meiner Eltern und warum sollte sich dies nun ändern?“

„Dann werde ich, wenn ich es darf, Euch gern einmal besuchen. So werdet Ihr immer wissen, welche Fortschritte es mit der Garde gibt.“

„Das freut mich sehr. Aber nun werde ich nach Hause aufbrechen. Es ist spät.“

Victor nickte und salutierte anschließend ordnungsgemäß. Oscar erwiderte diese Geste. Dann ging sie zu ihrem Pferd und verließ Versailles. Ab jetzt war sie kein Offizier mehr, sondern nur noch eine Frau. Sie spürte, wie Druck von ihren Schultern abzufallen schien und sie fühlte sich freier. So erhöhte sie automatisch das Tempo, um nach Hause zugelangen. Oscar hatte André immer noch nicht mitteilen können, dass sie ab nun nicht mehr Kommandant der königlichen Garde war. Und Oscar hoffte, dass André sich darüber freuen würde. Nun hatten sie genug Zeit, um diese miteinander zu verbringen.

Als Oscar das elterliche Anwesen erreichte, stellte sie mit Bedauern fest, dass André nicht da war. Wie jeden Tag. Traurig brachte sie ihr Pferd in den Stall und betrat anschließend das Haus. In ihrem Zimmer zog sie sich rasch um und suchte danach Sophie. Vielleicht wusste Andrés Großmutter, wo er sich befand. Jedoch ihr altes Kindermädchen konnte ihr nicht weiterhelfen. Auch ihre Mutter konnte ihre Fragen nicht beantworten. Das ließ Oscar seufzen. Ihren Vater brauchte sie nicht zufragen. Er hatte mal wieder in seinem Arbeitszimmer Quartier bezogen, da er, laut seiner Aussage, viele wichtige Entscheidungen zu treffen hatte. Also hieß das für jeden Anwesenden, dass er in keinster Weise gestört werden wollte. Nur ihre Mutter ließ er regelmäßig zu sich kommen, wenn sie ihm sein Essen oder den Tee brachte. So zog Oscar es vor, etwas im Garten spazieren zugehen und das schöne Wetter zu genießen. Wirklich half es ihr nicht auf andere Gedanken zukommen, denn diese waren wie immer bei André.

//Wo bist du nur, Liebster? Ist etwas geschehen? Kannst oder willst du mit mir darüber nicht reden?//

Immer mehr Fragen kreisten durch Oscars Kopf, auf die sie einfach keine Antwort fand. So beschloss sie heute wieder auf ihn zu warten.

Nach dem Abendessen ging sie auf ihr Zimmer. Dort setzte sie sich ans Fenster und sah hinaus. Von hier aus konnte sie das Tor des Anwesens sehen und somit würde ihr nicht entgehen, wenn André heimkehrte.

Die Stunden vergingen, ohne dass Oscar ihren Liebsten entdeckte. Sie sah nur das Rege Treiben einiger Angestellter. Aber kein Anzeichen von André. Seufzend lehnte Oscar ihren Kopf an das Fenster und schloss für einen Moment die Augen. Jedoch wurde aus diesem mehrer Stunden, da sie vor Erschöpfung eingenickt war. Erst als der Mond bereits aufging, erwachte sie. Für einen Moment musste Oscar sich orientieren. Dann entsann sie sich, warum sie noch auf der Fensterbank saß.

//Ist er wieder da? Habe ich ihn vielleicht verpasst?//

Diese Gedanken bewirkten, dass sie aufstand und sich kurz streckte. Anschließend verließ sie leise ihr Gemach. Da es bereits dunkel im Hause war, konnte Oscar annehmen, dass bereits alle zu Bett gegangen waren. Auch das Arbeitszimmer ihres Vaters war bereits dunkel. So schlich Oscar durch das Gebäude herüber zum Angestelltentrakt, ohne dass jemand dies bemerkte.

Als sie Andrés Zimmer erreichte, schlug ihr Herz wild. Ein paar Mal atmete sie tief ein und aus, um wieder ruhiger zu werden. Erst dann klopfte sie zaghaft an. Aber eine Reaktion blieb aus. So wiederholte Oscar es kurz darauf. Jedoch ohne das sich etwas tat. Zögernd legte sie die Hand auf die Türklinke und öffnete langsam, ohne das die Tür knarrte, diese.

Das Zimmer, welches indirekt vom Mond erhellt wurde, lag verlassen vor ihr. Als Oscar feststellte, dass André noch immer nicht zurückgekehrt war, seufzte sie leise. Kurz zögerte sie, dann jedoch betrat sie sein Zimmer und schloss beinahe lautlos die Tür. Sie wollte mit ihm reden und wenn sie es bei Tage nicht konnte, dann musste es halt in der Nacht sein.

Eigentlich kannte Oscar sein Zimmer. Es war schlicht und einfach gehalten und reichte vollkommen für einen jungen Mann. Aber dennoch war es für Oscar auf einmal etwas Besonderes. Es war sein Zimmer. Sie hatte sogar den Eindruck, als würde sie ihn leicht riechen können.

Zuerst ging sie langsam durch den Raum und ließ diesen fast auf sie wirken. Bei seinem Bett aber, blieb sie stehen. Hier also schlief er jede Nacht und Oscar konnte nicht anders und ließ sich vorsichtig auf diesem nieder. Seine Matraze war etwas weicher als die seine, aber sonst konnte sie keinen wirklichen Unterschied feststellen. Leicht strich sie über sein Kopfkissen, was sie geradezu magisch anzog. Oscar konnte sich kaum dagegen wehren und wenn sie ehrlich zu sich war, wollte sie es auch nicht. Sie folgte dem Drang in die weichen Daunen zu sinken. Dabei schloss sie ihre Augen und konnte auf einmal Andrés Geruch noch verstärkter wahrnehmen. Dies löste ein sanftes Lächeln aus und sie vergrub anschließend ihr Gesicht weiter in sein Kissen.

//Ach, André. Lass mich bitte nicht mehr so lange warten//, bat sie ihn in ihren Gedanken.

Jedoch über diese schlief Oscar tief und fest ein. Dabei träumte sie lächelnd von ihrem Liebsten.

André ahnte davon nichts. Vollkommen erschöpft, war er weit nach Mitternacht erst zurückgekehrt. Da er sich im Stall, wie auch im Haus, blind auskannte, brauchte er keine Kerze entzünden. Hinter vorgehaltener Hand gähnte André ausgiebig, als er die scheinbar endlosen Gänge zu seinem Zimmer entlang ging. Kurz vor seiner Tür streckte er sich noch einmal ausgiebig, um anschließend seine Tür zu öffnen und sein Zimmer zu betreten. Zuerst bemerkte er Oscar nicht, daher zog er in Ruhe sein Hemd aus und warf es über einen nahen Stuhl. Anschließend trat er zu seiner Waschschüssel und reinigte seine Hände und sein Gesicht. Nachdem er sich abgetrocknet hatte, drehte er sich zu seinem Bett und erstarrte. Seine Augen weiteten sich und er zwickte sich leicht. Lag dort wirklich sein Engel? André wagte sich nicht nur einen Schritt zugehen, geschweige den überhaupt zu atmen. Was tat sie hier nur? Auch wenn sie nun ein Paar waren, konnte es dennoch schlimme Folgen haben, wenn man Oscar hier fand. André mochte sich gar nicht ausmalen, wie ihr Vater, der General, reagieren würde. So schluckte er leicht und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Das erste, was er dann tat, war sein Hemd wieder überzustreifen. Anschließend trat er auf Zehenspitzen zu seinem Bett und kniete sich neben das Kopfende auf den Boden. Von hier aus, konnte er Oscars Schlaf am besten beobachten.

//Sie ist wirklich ein Engel.//

Leise seufzte er bei diesem Gedanken und strich ihr vorsichtig eine Locke aus ihrem Gesicht. Scheinbar gelang ihm dies, ohne das Oscar es bemerkte, aber André täuschte sich. In dem Moment, als er sich erhoben wollte, schlug sie langsam ihre Augen auf.

„André? Bist… bist du endlich wieder da?“, kam es leise.

„Shhht… ja, ich bin wieder hier. Aber was tust du hier? Solltest du nicht in deinem Bett sein?“, erwiderte er sanft.

Noch etwas verschlafen richtete Oscar sich auf und sah zu ihm.

„Eigentlich schon, aber ich wollte dich sehen und ich wollte bzw. muss mit dir reden, André.“

Überrascht sah er sie an.

„Aber das zu nachtschlafender Stunde? Du weißt, wenn dein Vater uns hier sieht…“

Oscar nickte kurz und rieb sich den Schlaf aus den Augenwinkeln.

„Ich weiß. Gewiss hätte ich auch bis zum Tage warten können. Aber immer, wenn ich mit dir reden wollte, warst du nicht da.“

„Es tut mir leid, aber ich habe im Moment sehr viel zu tun.“

„Und darf ich fragen wo? Ich sehe dich kaum noch und ich mache mir Sorgen.“

Sanft strich er ihr über die Wange.

„Aber, das brauchst du nicht Oscar. Bald habe ich wieder sehr viel Zeit für dich. Das verspreche ich dir, so wahr, wie ich nun hier bei dir bin.“

Musternd sah Oscar ihn an. Dabei bemerkte sie, dass sein Hemd offen stand und sofort spürte sie, wie es leicht in ihr zu Kribbeln begann. Ohne dass ihr Liebster es merkte, schluckte sie unauffällig. Deutlich spürte sie seine Anziehungskraft auf sich, der sie sich kaum noch widersetzen konnte.

„Hast du etwas, Liebste?“, fragte André, als er ihren abwesenden Blick bemerkte.

„Verzeih? Ja, etwas. Wie soll ich sagen?“

Oscar erhob sich und trat etwas näher auf ihn zu.

„Das wollte ich dir eigentlich schon seit Tagen berichten. Heute habe ich meinen Dienst in der Garde quittiert.“

„Du hast was, Oscar? Ich dachte, dass wäre dein ein und alles?“, erwiderte André mit großen Augen.

„Nicht mehr. Du bist alles was ich brauche und für dich habe ich es getan. Ich möchte nur noch als Frau an deiner Seite leben und ich möchte nicht, dass du Angst um mich haben musst. Verstehst du?“

André ergriff ihre Hände und küsste diese zärtlich.

„Deine Entscheidung ehrt mich, Liebste. Aber glaube mir, niemals hätte ich dich dazu gezwungen, da ich wusste, wie viel dir an der Garde liegt“, kam es ohne Vorwurf.

„Aber dennoch freut es mich sehr.“

Oscar beobachtete ihn und begann immer mehr zu Lächeln.

„Wirklich, Liebster?“

André sah ihr in die wunderschönen Augen und nickte. Dabei ließ er ihre Hände los und zog sie zu sich, um sie zur Antwort zärtlich zu küssen.

Nachts, wenn alles schläft

Oscar glaubte in diesem Moment, ihr Herz bliebe stehen. Aber André war so sanft und zärtlich, dass sie sich an ihn schmiegte und den Kuss erwiderte. Dabei konnte sie deutlich seine Haut spüren, da sein Hemd sich noch weiter geöffnet hatte. Es entstand in ihr der Drang, zärtlich darüber zu streichen. Kurz zögerte Oscar, doch dann glitten ihre Finger wie eine Feder über seinen gut gebauten Oberkörper. Dabei kamen in ihr, wie auch in André, die Erinnerungen empor.

Während Oscar seinen Oberkörper streichelte, ließ André seine Hände über ihren Rücken gleiten. Zärtlich begann er wieder ihr Hinterteil zu massieren, um ihr ein wundervolles Aufstöhnen ihrerseits zu vernehmen. Automatisch spannte sie kurz ihren Po an, jedoch entspannte sie sich kurz darauf wieder. Ihr Herzschlag hatte sich mehr als verdoppelt und begierig suchte sie, nach ihrem leisen Aufstöhnen, seine Lippen. Der Kuss beider wurde immer intensiver und leidenschaftlicher. Ohne weiter nachzudenken, strich Oscar Andrés Hemd über seine breiten Schultern. Sie wollte und musste ihn einfach genau betrachten. Er verstand ihre Aufforderung und löste sich daher für einen Moment von ihr, um sein Hemd abzustreifen. Unsanft landete das Kleidungsstück ungeachtet auf dem Boden. Oscar betrachtete das Spiel seiner Muskulatur und glitt anschließend federleicht darüber, was bei André einen wohligen Schauer auslöste. Jedoch hielt er still, um Oscar Zeit zugeben. So beobachtete er sie mit funkelnden Augen. Es fiel ihm schwer, aber er hielt sich zurück. Erst als seine Liebste ihn wieder direkt ansah, überwandt er die kleine Distanz und schloss sie dabei wieder in seine Arme. Abermals glitten seine Hände über ihren Rücken, aber sie verhielten am Bund ihrer Hose. Ohne den Kuss zu lösen, begann er ihre Bluse aus der Hose heraus zuziehen. Dabei versuchte er auf sie zuachten, da er sie nicht bedrängen wollte. Aber Oscar schien nicht abgeneigt zu sein. Daher wanderten seine Finger langsam unter den Stoff ihrer Bluse. Zärtlich strich er ihr nun über den blanken Rücken und konnte spüren, wie sich bei ihre eine Gänsehaut einstellte. Sanft glitt er über ihre Wirbelsäule hinauf zu ihren Schulterblättern und wieder hinab. Leicht drückte er sie dabei an sich und er konnte wieder ihre Rundungen an sich spüren. Deutlich spürte er die Wärme, die ihr Körper abstrahlte. Gern würde er ihre Bluse öffnen, um sie vollends zu betrachten, aber er wusste, wie neu alles für sie und auf für ihn war. Niemals würde er sie zu etwas drängen, was seine Liebste niemals wollen würde. So streichelte er sie sanft weiter. Jedoch schien das Oscar nicht genug zu sein. Sanft löste sie sich von ihm und trat ein paar Schritte zurück. Dabei sah sie ihn direkt an und begann langsam ihre Bluse immer weiter zuöffnen, bis sie ihr über die schmalen Schultern wie flüssige Seide hinunter glitt. Ihre Wangen zierte eine sanfte Röte. Noch nie hatte jemand sie so betrachten können. Nur ihr Arzt kannte sie. André versuchte nicht zu hart zuschlucken, als er sah, wie Oscar immer mehr von ihre elfenbeinfarbenen Haut ihm zur Schau bot. Sein Herz schlug immer schneller und er konnte seinen Blick kaum von ihr lösen. Wieder einmal bekam er den Eindruck einen Engel vor sich stehen zu haben. Oscar war so wunderschön. Allein ihre helle Haut, die geröteten Wangen und ihre blonden Locken, die ihr Gesicht und ihren Oberkörper umspielten. Langsam, um sie nicht zu erschrecken, trat er auf sie zu. Sanft strich er ihr Haar über die Schultern. Andächtig betrachtete er sie dabei. Lächelnd und mit funkelnden Augen strich er ihr über die Oberarme hinab und wieder hinauf. Oscar versuchte ihm dabei weiter direkt in die Augen zusehen.

//Ich hoffe, ich gefalle ihm//, kam es ihr in Gedanken, da sie sich ihres Körpers immer bewusster wurde.

Sie war gerade gewachsen, von teils zierlicher Gestalt einer Frau, aber auch ein paar Narben zierte ihren Körper. André wusste dies und was er sah, gefiel ihm sehr. Jedoch traute er sich nicht, sie weiter zu berühren. Oscar spürte sein Zögern. Erst überlegte sie, ob sie etwas sagen sollte, jedoch begrub sie diesen Gedanken sofort und ergriff seine Hände, die nun auf ihren Schultern ruhten und ab und zu mit ihren Locken spielten. Bedacht auf seine Reaktion führte sie seine Hände zu ihren Brüsten. André war sichtlich überrascht, dass Oscar für einen Moment die Führung übernahm, sie aber anschließend ihm wieder übergab.

Zärtlich begann er ihre Rundungen mit seinen Händen zu erkunden. Oscar schloss dabei ihre Augen und registrierte dabei jegliche Regung ihres Körpers. Lächelnd sah André zu ihr und wurde langsam mutiger. Sanft begann er ihre Brüste zu massieren. Dann sank er vor ihr auf die Knie und ließ seine Lippen seinen Fingern folgen. Sie schmeckte wunderbar. Niemals hätte er nur zu träumen gewagt, dies je zu erleben. Ein leises Aufstöhnen Oscars ließ ihn aufsehen. Aber André bemerkte, dass es ihr zu gefallen schien, daher machte er gefühlvoll weiter. Zudem strich er ihr sanft über die Flanken. Dabei spürte er, wie Oscars Atmung immer schwerer wurde und ihr Körper leicht zu zittern begann. André löste seine Lippen und richtete sich vollends auf. Als er vor ihr stand, suchte er ihren wundervoll geformten Mund, um sie zu küssen. Leidenschaftlicher als zuvor, erwiderte Oscar diesen und schlang dabei ihre Arme um ihn. Er drückte sie kurz an sich, dann hob er sie auf seine Arme und sah sie mit dunkler funkelnden Augen an. Seine Liebste sah ihm direkt in diese und bemerkte es. Sanft hielt sie sich an seinen Schultern fest und ließ sich von ihm zu seinem Bett tragen. Auf diesem legte er sie nieder und legte sich zu ihr. Leicht beugte er sich dabei über seinen Engel und fuhr mit den Finger ihr Gesicht nach, als müsste er sich alles genauestens einprägen.

Oscars Atmung nahm dabei weiter zu. Ihre Lippen waren leicht geöffnet und sie sah dabei ihren Liebsten weiterhin an. Langsam hob sie ihre zierliche Hand und strich ihm über die Wange. Etwas lehnte sich André kurz dagegen und hielt dabei ihren Blick. Jedoch drehte er dann sein Gesicht und liebkoste ihre Handinnenfläche, was zur Folge hatte, dass Oscar abermals eine Gänsehaut ereilte. Als sie seine Lippen dort spürte, schloss sie ihre Augen und zog die neuen Eindrücke in sich auf. André beobachtete sie dabei genau. Sein Blick blieb aber nicht nur an ihrem Gesicht haften. Er sah über ihren Hals hinab über ihren Oberkörper.

//Es ist wie Traum. Sie wirkt so zerbrechlich und zugleich wunderschön!//

Er löste sich von ihrer Hand und küsste sie richtig. Dabei lehnte er sich etwas auf sie, sodass ihre Körper sich leicht aneinander rieben. Zudem konnte Oscar etwas von seinem Gewicht spüren, aber es störte sie nicht im Geringsten.

Während sie den Kuss erwiderte, glitten ihre Finger über seine Flanken und den Rücken hinab zu seinem Hosenbund. Einem inneren Drang folgend, strich sie darüber. Zuerst nur auf der Rückseite, jedoch glitt sie langsam nach vorne. Dabei spürte sie, wie André die Luft für einen Moment anzuhalten schien. Auch begann sein Körper vor ansteigender Erregung leicht zu zittern. Sein ganzer Körper sehnte sich nach ihr und ihren Berührungen. Er verzerrte sich nach ihr, jedoch war noch etwas anderes in ihm, was er deutlich spüren konnte.

Oscar wollte nicht, dass er Angst hatte, so streichelte sie ihn beruhigend über seine Brust. Als sie merkte, dass alles in Ordnung zu sein schien und sein Zittern erstarb, glitten ihre Finger zurück.

Als André spürte, wie Oscar versuchte seine Hose zuöffnen, schloss er kurz seine Augen, aber dann stoppte er und legte seine Hand auf die ihre. Diese Handlung fiel ihm sehr schwer und er brauchte seine ganze Kraft dafür. Denn, würde sie so weiter machen, wäre es endgültig um ihn geschehen.

Oscar sah ihn nun direkt und fragend an. Hatte sie etwas Falsches getan?

Ohne seinen Blick von ihr zunehmen, löste er ihre Hand und küsste ihre Finger kurz.

„Nein, Oscar. Noch nicht.“

„Aber… aber warum? War… es falsch?“

Lächelnd strich André ihr nun über die Wange.

„Liebste. Du hast gewiss nichts falsch gemacht. Aber es ist zu früh für uns.“

Oscar verstand nicht ganz auf was er hinaus wollte. Verstand er nicht, dass sie ihm nur zeigen wollte, wie sehr sie ihn liebte?

Kurz gab er ihr einen Kuss auf die Nasenspitze.

„Bitte glaube mir, es fällt mir unsagbar schwer dir zu widerstehen. Jedoch ist es im Moment besser. Ich möchte noch nicht so weit gehen. Ich liebe dich über alles in meinem Leben und auch dieses neue Art der Liebe gehört dazu, aber du und auch ich, sind noch nicht bereit dazu. Wir sollten uns viel Zeit lassen. Außerdem möchte ich nicht, dass du es späte bereust.“

Oscar sah ihn stumm an und lauschte dabei seinen Worten.

„Ich liebe dich auch, mein André. Aber ich fühle mich bereit dazu. Ich…“

André stoppte ihren Redefluss, indem er seine Finger auf ihre Lippen legte.

„Das glaube ich dir, Liebste. Aber ich denke nicht nur an dich, sondern auch an deine Familie. Vor allem an deinen Vater. Wir müssen ihm noch etwas Zeit geben, bis er sich an alles gewöhnt hat.“

Kaum das André von ihrer Familie sprach, fiel Oscar die Worte ihrer Mutter wieder ein.

//“Erst durch die ’Verbindung’ mit einem Mann in der Ehe, wirst du vollwertig zur Frau. Daher bitte ich dich, mein Kind, ich weiß wie sehr ihr beide euch liebt, aber habt Geduld.“, dass waren Mamans Worte.//, erinnerte sie sich leicht schluckend.

Oscar mochte sich nicht vorstellen, wie ihr Vater reagieren würde, wenn er sie nun so vorfinden würde. André hatte recht, dass wurde ihr immer bewusster. So nickte sie leicht auf seine Worte. Lächelnd nahm André dies zur Kenntnis und gab ihr einen sanften Kuss. Dabei drehte er sich auf seinen Rücken und zog sie somit leicht auf sich. Oscar kuschelte sich an ihn und hielt den Kuss. Aber nach einer Weile löste sie ihn und legte ihren Kopf auf seine Schulter, dabei strich sie ihm über seinen Oberkörper, während er seine Finger über ihre Schulter gleiten ließ.

Es entstand eine Stille zwischen ihnen, die aber nicht unangenehm für sie war. Beide genossen die Nähe des jeweiligen anderen.

Nach einer Weile hob André seinen Kopf an und bemerkte, wie Oscar langsam weg zu driften drohte. Ihre Augen waren geschlossen und ihre Handbewegung wurde langsamer.

„Oscar? Liebste?“, sprach er sanft und bewegte leicht ihre Schulter.

Aber sie öffnete ihre Augen nicht. Nur ein leises „Hm?“, war zu vernehmen.

„Du solltest hier nicht einschlafen. Wenn Großmutter dich hier morgen früh entdeckt…“

Etwas schlaftrunken rieb sie sich über die Augen und erhob sich anschließend leicht.

„Aber ich würde gern hier bei dir bleiben und in deinen Armen liegen, Liebster.“

„Ich weiß, Liebste und ich könnte mir nichts Schöneres vorstellen, als an deiner Seite einzuschlafen und morgens mit dem Lächeln begrüßt zu werden. Aber es geht nicht. Bitte sei nicht traurig.“

Einen solchen Blick konnte Oscar nicht ganz unterdrücken. Aber dann nickte sie.

„Ich werde versuchen mich in Geduld zu üben, Liebster.“

Lächelnd gab André ihr einen Kuss auf die Stirn. Anschließend erhob er sich und reichte ihr ihre Bluse. Oscar war derweil ebenfalls aufgestanden und verbarg ihre Blöße mit den Armen. Langsam trat André auf sie zu und hob ihr Kinn an, sodass sie ihn ansehen musste.

„Liebste, du bist wirklich wunderschön und ich hätte niemals nur zu träumen gewagt, dich je so betrachten zu dürfen.“

Seine Worte lösten eine erneute Röte in ihren Wangen aus. Beschämt senkte sie leicht ihre Lider.

„Sieh mich bitte wieder an, Oscar. Es ist nur die Wahrheit.“

Langsam öffnete sie ihre Augen und sah ihn wieder direkt an. Deutlich konnte André ihre wunderschönen blauen Augen sehen, die er so sehr liebte. Leicht versank er in diesen, so wie Oscar in den seinen. Aber dann drückte sie sich an ihn und er strich ihr über den Rücken. Sein Gesicht vergrub er dabei in ihrem blonden Haar und sog ihren lieblichen Duft in sich ein.

Kurz blieben die beiden Liebenden in dieser Haltung stehen. Dann aber löste André sich schweren Herzens von ihr und legte ihr ihre Bluse um die Schultern. Kurz senkte so Oscar abermals ihren Blick. Aber sie wusste, dass es das Beste war. Langsam streifte sie sich nun ihre Bluse vollends über und schloss sie anschließend.

„Soll ich dich zu deinem Zimmer bringen?“, fragte André sie.

Aber Oscar schüttelte ihren Kopf.

„Nein, ich gehe alleine. Aber dennoch danke ich dir.“

Lächelnd nickte er kurz, dann trat er zu ihr und küsste sie noch mal sanft. Dabei drückten sie sich noch einmal sanft aneinander. Anschließend brachte André sie zu seiner Zimmertür. Dort folgte ein weiterer Kuss, bevor Oscar ihm eine gute Nacht wünschte und zu ihrem Gemach zurück ging.

André sah ihr hinterher, bis er sie nicht mehr ausmachen konnte. Dann schloss er leise seine Tür. Kurz lehnte er sich gegen diese und atmete tief durch. Es hatte ihn wirklich viel Überwindung gekostet, nicht weiter zugehen. Aber so war es das Beste für beide.

Kurz fuhr er sich durch sein Haar, dann legte er sich auf sein Bett und starrte an die Decke. Er konnte sich noch genau an alles erinnern und es fiel ihm schwer nun zu schlafen. André war einfach zu aufgekratzt. Und Oscar erging es nicht anders. Sie lag mittlerweile ebenfalls in ihrem Bett. Vor ihren inneren Augen konnte sie deutlich ihn noch sehen und ihn sogar fast riechen. Leise seufzte sie und drehte sich auf die Seite. Sie musste schlafen, denn morgen würde wieder ein langer Tag sein. Mit den Gedanken bei André schaffte sie es schließlich. Er hingegen schlief schneller ein, als er gedacht hatte. Aber sein Tag war sehr anstrengend gewesen und er würde noch für einige Zeit seine ganzen Kräfte brauchen.

Von den nächtlichen Ereignissen hatte niemand etwas im Hause bemerkt. Alle schliefen tief und fest.

Geheimnisse werden gelüftet

Am nächsten Morgen brach André kurz nach dem Frühstück auf. Oscar sah ihn erst, als er gerade vom Hof ritt. Leise seufzte sie und fragte sich dabei, wann er zurückkehren würde. Vor allem interessierte sie, warum er jeden Tag so viele Stunden abwesend war. Zudem war ihr nicht entgangen, dass er von Tag zu Tag immer erschöpfter wirkte. Auch wenn sie versuchte sich keine Sorgen zu machen, fiel es ihr nun immer schwerer. Daher beschloss sie ihm zu folgen. Um abschätzen zu können, wann er morgens aufbrach, stand sie zeitig vor dem Sonnenaufgang auf und beobachtete, wann er das Anwesen verließ.

Als sie eine Art Schema festgestellt hatte, beschloss Oscar, dass sie ihm nächsten Tag folgen wollte.

Zeitig stand sie auf und verbarg sich kurz darauf in einer Nische im Eingangsbereich. Dort verharrte sie, bis André gähnend aus dem Angestelltentrakt erschien und nach einem kurzen Abstecher in der Küche das Gebäude verließ. Scheinbar war er noch so müde, dass er Oscar nicht bemerkte. Nachdem er das Haus verlassen hatte, folgte Oscar ihm mit etwas Abstand.

Er benötigte etwas Zeit, bis er sein Pferd gesattelt hatte und dann vom Hof ritt. Nun musste Oscar sich sputen, um ihr Pferd zu holen. Rasch trenste sie ihren Schimmel und schwang sich anschließend auf dessen Rücken. Zeit zum Satteln hatte sie nicht, sonst würde sie wohlmöglich Andrés Spur verlieren.

Als sie kurz darauf hoch zu Ross das Anwesen verließ, konnte sie André noch auf dem Weg, welches vom elterlichen Haus fort führte, sehen. Um ihn nicht zu verlieren, erhöhte sie ihr Tempo ein wenig. Dabei achtete Oscar aber darauf, nicht zu dicht aufzuschließen. So folgte sie André mit einem guten Abstand.

Der Ritt dauerte eine knappe halbe Stunde, bis Oscar eine Mühle auftauchen sah. Und sie stutzte, als André den Weg dorthin einschlug. Um nicht entdeckt zu werden, hielt sie sich mit ihrem Pferd hinter einer Baumgruppe, die von hohen Büschen umgeben war, versteckt. Von dort aus konnte sie die Mühle und die nahe Umgebung genau überblicken. So sah Oscar, wie André auf eine Gruppe Männer zuritt. Einer davon schien der Müller zu sein. Kurz wurden sie von ihrem Liebsten begrüßt, dann brachte dieser sein Pferd in einen nahen Stall. Anschließend kehrte er zurück zu den Männern. Der Müller schien ihm und den anderen Anweisungen zugeben. Sie nickte und machten sich an die Arbeit. Alle gingen in die Mühle und Oscar konnte nichts mehr sehen.

//Arbeitet André hier? Aber warum?//, fragte Oscar sich in Gedanken.

Zuerst tat sich nichts. Erst nach einer Weile sah sie André, wie er mit einem schweren Sack beladen und überall mit Mehl bestaubt, auf ein Fuhrwerk zu ging. Auf diesem lud er den Sack. Ihm folgten die anderen, ebenfalls schwer beladen. Bis der Wagen voll war, wiederholte sich das Geschehene. Das Fuhrwerk wurde von einem wartenden Mann weggefahren. Aber kaum war dieser fort, erschienen zwei neue und die Prozedur wiederholte sich von neuem. Das ging bis zum Mittag, wo Oscar ein Magengrummeln verspürte. Sie ärgerte sich, dass sie nichts zu essen mitgenommen hatte. Aber jetzt konnte sie es nicht ändern. Oscar überlegte gerade, ob sie sich nach ein paar Beeren umsehen sollte, als André die Mühle verließ. Noch rechtzeitig konnte sie sich in den Schatten der Bäume zurückziehen, als er fast ihre Position passierte. Aber er bemerkte sie abermals nicht. Rasch schwang sie sich auf den Rücken ihres Pferdes und folgte ihm.

//Wo will er nun hin?//

Oscar konnte ihm nur stumm folgen und dabei darauf achten, nicht von ihm entdeckt zu werden. Es verging etwa eine halb Stunde bis André auf einer Anhöhe durchparierte. Oscar bemerke es beinah zu spät. Gerade noch rechtzeitig bremste sie und wich seitlich zwischen ein paar Bäume aus. Viel sehen konnte sie von dort aus nicht. Sie konnte hier nur verharren und abwarten. Durch ein paar Äste hindurch, konnte sie André erkennen. Dass er lächelte, konnte sie von ihrer Position aus nicht sehen. Oscar hoffte, dass es bald weiter gehen würde. Ihr Pferd wurde langsam unruhig und es fiel ihr schwerer, es zu beruhigen. Jedoch bevor ihr Schimmel anfing zu bocken, bemerkte Oscar, dass André die Anhöhe verließ. Dies ließ Oscar aufatmen und sie konnte ihr Tier wieder auf den Weg lenken. Langsam erklomm sie, wie zu vor André, den Hügel. Dort parierte sie durch. Vor ihr lag eine Ebene, auf der ein kleines Haus stand. Im Vergleich zudem Anwesen ihrer Eltern wirkte es winzig. Deutlich konnte Oscar sehen, wie André auf dieses zuhielt. Auch sah sie, dass dort bereits ein reges Treiben herrschte. Mit leicht verengten Augen beobachtete Oscar, dass ganze Geschehen.

//Was macht er hier?//

Abwartend sah sie hinab zu dem Haus. Viel unternehmen konnte sie nicht, da es in der nahen Umgebung keine Versteckmöglichkeiten gab. So blieb Oscar nichts anderes übrig, als abzuwarten. Dabei ließ sie ihren Blick schweifen. Landschaftlich war es hier wirklich schön. Grüne Wiesen umrahmten das Gebäude. Dahinter erstreckte sich ein kleiner Wald. Eigentlich war es wirklich schön hier, dass musste Oscar sich eingestehen, aber darum ging es nun nicht. Kurz schüttelte sie ihren Kopf und konzentrierte sie sich wieder auf André. Aber wie sie feststellen musste, war er nun verschwunden. Suchend ließ sie ihren Blick schweifen und es benötigte einen Moment, bis sie ihn wieder entdeckte. Er trat aus dem Gebäude und unterhielt sich dabei mit einem Mann, den Oscar nicht kannte. Über was sie sprachen, konnte sie nur spekulieren. Seufzend rutschte sie vom Rücken ihres Pferdes und klopfte dessen Hals. Sie war zum Nichtstun verurteilt und das passte ihr nicht im Geringsten. Oscar nur abwarten und aus der Ferne zusehen. Auch wenn die Anhöhe nicht zu übersehen war, schien aber niemanden zuinteressieren, sodass sie dort weiter ausharren konnte.

Die Zeit verging und Oscar sah, wie immer mehr Männer sich scheinbar verabschiedeten, bis André alleine zurückblieb. Die junge Frau zögerte kurz, dann schwang sie sich auf den Rücken ihres Schimmels und ritt langsam die Anhöhe hinab. Ihr Liebster war wieder ins Haus gegangen und daher sah er sie nicht.

Je näher Oscar dem Haus kam, desto deutlicher konnte sie sehen, dass man sehr fleißig an dem Gebäude gearbeitet hatte. Daraus konnte sie sich keinen Reim machen. Vor der Eingangstür stieg sie ab und trat langsam die Stufen empor. Die Tür war nur angelehnt und so konnte Oscar von draußen ein leises Klopfen vernehmen. Zuerst verharrte sie, dann aber schob sie die Tür etwas weiter auf. Dabei hielt sie kurz die Luft an und hoffte, dass diese nicht knarren oder quietschen würde. Aber Oscar hatte Glück. So tat sich ein langer Flur vor ihr auf. Auch hier waren deutliche Arbeitsspuren zuerkennen.

Sich aufmerksam umsehend, folgte Oscar den klopfenden Geräuschen. Als es lauter wurde und sie sich dem Ziel näherte, erkannte sie, dass es sich um ein hämmern handelte. Bei einem Durchgang sah sie das matte Licht einiger Kerzen, auf das sie langsam zuschritt. Vorsichtig sah sie in den Raum hinein und entdeckte André, wie er einen schadhaften Balken ausbesserte. Genau beobachtete Oscar ihn dabei. Keine seiner Bewegungen entging ihr und um ihn nicht zu unterbrechen, wartete sie, bis er eine kurze Pause einlegte, um sich den Schweiß von der Stirn zu reiben.

„André? Was tust du hier?“, fragte sie, als sie den Raum betrat.

Ihr Liebster erschrak und wirbelte um seine eigene Achse. Mit sich weitenden Augen und rasch schlagendem Herzen, sah er sie an.

„Os… Oscar?“, brachte er kurz darauf hervor.

„Verzeih mir, ich wollte dich nicht erschrecken“, kam es entschuldigend von ihr.

„Ist schon in Ordnung. Aber was machst du hier?“

„Ich bin dir gefolgt. Denn mir ist nicht entgangen, dass du von Tag zu Tag immer müder und erschöpfter bist. Ich habe mir Sorgen gemacht.“

„Bitte? Aber Oscar… Du solltest dir doch keine Sorgen machen.“

„Es tut mir wirklich leid, aber wie würdest du es empfinden, wenn du mit ansehen musst, wie die Liebe deines Lebens vollkommen ausgelaugt ist“, erwiderte Oscar erklärend.

„Aber ich habe eine Bitte an dich. Warum arbeitest du an der Mühle? Und was tust du hier? Ich dachte, wir können über alles reden?“

Oscar versuchte nicht zu viel Enttäuschung in ihrer Stimme mitklingen zulassen.

Erst senkte André beschämt seinen Blick, dann verließ ein Seufzen seine Lippen.

„Ja, wir können über alles reden und ich wollte dich bestimmt nicht verletzten, Liebste. Das würde ich niemals wollen. Eher gehe ich durch die Hölle, als ich dir etwas antun würde.“

Bei seinen Worten begannen Oscars Augen feucht zu schimmern.

„André…“, kam es gerührt von ihr.

Er lächelte sie an und trat zu ihr. Zärtlich strich er ihr über die Wange.

„Es ist die Wahrheit“, sprach er sanft.

„Tut mir leid. Ich wollte dir nicht unterstellen, dass du lügst oder mir gar weh tun wolltest.“

„Das weiß ich, Liebste.“

Abermals strich er ihr zärtlich über die Wange. Leicht lehnte Oscar sich dagegen.

„Aber sagst du mir nun, was du hier und an der Mühle tust?“

Verlegen rieb André sich seinen Hinterkopf, als sie ihn ansprach.

„Dann muss ich wohl sagen, was geschehen ist.“

„Du musst nicht, aber ich würde es dennoch gern hören, um es zu verstehen.“

„Nun gut. Ich arbeite vormittags an der Mühle, um mir etwas Geld nebenbei zu verdienen.“

„Aber wieso, André? Warum brauchst du auf einmal Geld?“

„Ich brauche es, damit ich dieses Haus wieder in Schuss bringen kann. Leider kann ich es nicht alleine und brauche dafür Hilfe. Daher habe ich ein paar Handwerker engagiert und diese wollen bezahlt werden.“

Oscar sah ihn nicht verstehend an.

„Aber wieso, Liebster?“

Kurz räusperte André sich und trat anschließend ein paar Meter in den Raum.

„Eigentlich sollte es eine Überraschung sein.“

„Eine Überraschung?“, fragte Oscar und legte dabei ihren Kopf leicht schief.

„Ja, für dich.“

Nun verstand Oscar überhaupt nicht mehr, was er von sich gab. André bemerkte es und sprach weiter.

„Ich habe mir viele Gedanken über uns, unsere Liebe und unsere Zukunft gemacht. Eines Tages möchte ich mit dir eine Familie gründen. Das ist mein innigster Wunsch. Dazu gehört auch ein eigenes Heim. Gewiss könnten wir auch bei deinen Eltern leben und sie würden sich auch darüber freuen, aber ich fühle mich bei dem Gedanken daran nicht wohl. Ich bin deinen Eltern sehr dankbar, für alles was sie taten, jedoch möchte ich gern etwas Eigenes haben. Zudem möchte ich dir etwas bieten können. Du bist soviel gewohnt, was ich mir niemals werde leisten können. Daher habe ich die Arbeit an der Mühle ebenfalls angenommen.“

Oscars Augen weiteten sich, je weiter er sprach. Unmerklich schluckte sie dabei. Damit hatte sie nicht gerechnet.

„Liebster…“, unterbrach sie ihn leise.

„Ich gebe ehrlich zu, dass auch ich mir Gedanken gemacht habe, jedoch nicht soweit, wie du es tatest.“

Eine kleine verließ ihr Auge und rann über ihre Wange.

„Ich bin mehr als gerührt, was du tust und getan hast. Aber du musst mir nichts bieten können. Ich würde dir überall hin folgen. Und mir ist es gleich, ob wir in einem Schloss oder in einer Holzhütte leben. Hauptsache du bist bei mir, Liebster. Das ist für mich das Beste.“

Sanft strich André ihr die Tränen fort.

„Ist das wirklich wahr?“, fragte er sie ebenfalls leise.

„Ja, das ist es. Und für dieses Haus hast du dir all diese Mühen gemacht? Was sagen meine Eltern dazu?“

„Nur für dich. Und mir sind keine Mühen zu groß, wenn ich dir damit eine Freude breiten kann. Nun deine Mutter weiß nichts davon.“

„Und mein Vater?“, unterbrach sie ihn.

„Oh, bitte verzeih mir. Sprich weiter“, kam es beschämt.

Lächelnd sah er zu ihr.

„Ich habe mit ihm darüber gesprochen. Zuerst wollte er mir ein Haus mit einigen Ländereien überlassen, aber ich lehnte es dankbar ab. Ich erklärte ihm, dass ich auf ewig ein Schuldgefühl ihm und seiner Familie gegenüber haben würde. Und dein Vater verstand es. Daher bot er mir seine Hilfe an. Durch ihn fand ich dieses Haus und ein Teil davon hat er bezahlt. Zuerst war mir dieses nicht Recht, aber er war der festen Überzeugung, dass es mein Lohn für all die Jahre, die ich im Hause de Jarjayes gearbeitet habe, wäre und so akzeptierte ich es.“

Oscar zeigte ein immer größer werdendes Lächeln. Dann trat sie zu ihm und umarmte sie ihn.

„Ich verstehe dich und dein Handeln.“

Kurz küsste sie ihn anschließend.

„Und ich weiß, wie stolz du bist. Das macht es auch mich. Ich bin fast sprachlos, was du für uns tust.“

„Genauso viel, wie du, Liebste. Du lernst Kochen, Backen…“

„Zusammen werden wir uns eine wunderschöne Zukunft aufbauen, Liebster.“

André lächelte bei diesen Worten glücklich.

„Zeigst du mir nun das Haus?“

„Sehr gern. Aber erwarte nicht zuviel. Es ist noch lange nicht fertig.“

„Das ist mir bewusst, aber dennoch möchte ich es sehen.“

Er nickte und bot ihr seinen Arm an.

„Hier befinden wir uns in einem der größten Räume. Ich dachte mir, dass man ihn als Salon oder als Esszimmer nutzen könnte.“

Oscar nickte zustimmend und ließ sich anschließend von ihm alles zeigen. Auch wenn man noch nicht viel sehen konnte, war es ihr möglich alles durch seine Augen zu sehen und sich alles genauso vorzustellen.

Sie war wirklich stolz auf ihn, dass er nur für sie allein so etwas tat. Und das stimmte sie mehr als glücklich.

Als sie alle Räume gesehen hatte, gingen sie zur Eingangstür.

„Wollen wir nach Hause reiten?“

„Eigentlich hätte ich noch einiges zu tun. Aber du hast Recht. Zudem hast du bestimmt noch nichts zu dir genommen oder?“

Nun röteten sich leicht ihre Wangen und sie senkte beschämt ihren Blick.

„Das stimmt. Aber ich verspüre keinen großen Hunger.“

„Mir wäre es lieber, wenn wir gleich zusammen etwas essen würden.“

Oscar nickte zustimmend und anschließend machten sie sich auf den Rückweg. Nachdem Abendessen machten sie noch einen kleinen Spaziergang im Garten.

Oscar war froh, dass sie nun wusste, was André tat. Unter seiner Zustimmung beschloss sie ihn regelmäßig im Haus zu besuchen und ihm dort zu helfen, soweit sie es konnte. Zudem hatte sie sich vorgenommen noch mehr von ihrer Mutter und auch von Sophie zulernen.

Später lag sie glücklich in ihrem Bett und dachte noch einmal über den vergangenen Tag nach. Dabei erinnerte sie sich an seine Worte.

//Er möchte mit mir wirklich eine Familie gründen…//

Dies ließ sie lächeln und träumen. Dabei schlief sie glücklich ein.

Ein Tag in Paris

Am nächsten Morgen berichtete Oscar ihrer Mutter und auch Sophie, was sie am Tage zuvor erlebt hatte. Die beiden Frauen waren wirklich überrascht und sehr angetan. So waren sie von Oscar Idee, ihm unter die Arme zugreifen, mehr als angetan. Zusammen bereiteten sie von nun an das Essen für die Männer zu, die das Haus herrichteten. Dies war auch für Oscar eine sehr gute Übung. Sie lernte sehr fleißig und sie erfuhr immer mehr Tricks. Wer Oscar meinte zu kennen, glaubte heute kaum noch, dass sie einst die Kommandantin der königlichen Garde gewesen war. Nur ihre innig geliebten Hosen und Blusen hatte Oscar nicht ablegen können. In dieser Kleidung fühlte sie sich einfach am Wohlsten. Emilie bedrängte sich nicht, dies zu ändern. Ihr Wunsch war es nur, ihr Kind glücklich zu sehen. Lediglich Sophie merkte es öfters an. Jedoch traf sie mit diesen Worten bei Oscar auf taube Ohren. So konnte die alte Dame nur seufzen und es hinnehmen. Aber die Lernbereitschaft und der Eifer, den ihr Schützling an den Tag legte, wiegten alles wieder auf. All zu gern unterwies Sophie Oscar in allen möglichen Dingen. Bald war sie zwar noch nicht perfekt, aber für die kurze Zeit, war es mehr als gut. Das einzige Manko, welches Oscar noch besaß, waren handwerkliche Dinge wie Häkeln, Sticken und Stricken. Dafür konnte sie irgendwie nicht die Geduld aufbringen. Immer wieder versuchte sie es, aber diese Puzzelarbeit lag ihr einfach nicht, egal wie sie es auch anstellte. Nicht selten fand so eine Häkelarbeit den Weg in eine der Zimmerecken. Emilie hatte sich daran gewöhnt, aber sie geriet dennoch nicht aus der Ruhe und ging immer wieder auf ihre Tochter ein. Jedoch nur so lange, bis sie merkte, dass es einfach genug für den Tag war. Dann entließ sie ihr Kind, sodass Oscar anderen Dingen nachkommen konnte. Darüber war sie mehr als froh. Jedoch bemühte sie sich auch in den Abendstunden zu lernen. Ihr Wunsch war es, André immer glücklich zu machen.

In der wenigen freien Zeit, die sie sich selber gab, ritt sie selber zum Haus, um ihren Liebsten und die anderen zu versorgen. Und wenn sie konnte, fasste sie auch mit an. Auch wenn sich alles hinzog, war langsam das Gesamtziel zuerkennen und Oscar begann von diesem Heim zu träumen, wie es sein würde, eines Tages dort zu leben. Ihre Eltern und Sophie kamen ebenfalls ab und zu dorthin, um sich alles anzusehen. Vor allem der General war sehr angetan, was André alles schaffte. So lobte er ihn sehr oft. Hin und wieder konnte er es sich auch nicht nehmen lassen, ihm unter die Arme zugreifen. Dabei achtete er darauf, dass André davon nichts mitbekam, da ihm mittlerweile bewusst geworden war, dass es sich bei Oscars Liebsten, um einen sehr stolzen Mann handelte.

Eines Tages traf auch ein unerwarteter Gast ein. Es war Graf de Girodel, der durch Zufall davon erhalten hatte. André war mehr als überrascht ihn hier zusehen. Victor wollte ihm seine Hilfe anbieten in Form von Geld, aber André lehnte dankend ab. Der Graf brauchte eine ganze Weile, bis er ihn doch überzeugt hatte. Mit der Geste Victors hatte er nicht gerechnet, aber der Grund, der dahinter stand, war es ihm nicht mehr so schwer gefallen, ihm zu zustimmen.

An diesem Tag war Oscar, auf eigenen Wunsch, mit ihrer Mutter nach Paris aufgebrochen. Sie wollte einige Dinge besorgen und benötigte dabei die Hilfe von Emilie. Um was es genau ging, wusste sie nicht. So saßen sie nun in der Kutsche.

„Sag, wohin möchtest du heute, mein Kind?“

„Es müssen ein paar Dinge für das Haus besorgt werden und anschließend wollte ich zu Madame Bertin.“

Kurz hatte Madame de Jarjayes zustimmend genickt, doch nun sah sie ihre Tochter neugierig an.

„Und warum willst du zu der Schneiderin?“

„Ich möchte André eine Freude bereiten und Madame Bertin soll mir ein einfaches Kleid schneidern. Es muss schlicht und nicht mit Schleifen etc. verziert sein.“

Nun lächelte Emilie bei den Worten Oscar.

„Das freut mich zu hören und ich bin mir sicher, dass es André bestimmt gefallen wird.“

„Ich hoff es sehr“, erwiderte sie ruhig.

Doch dann sah sie ihre Mutter fragend an.

„Maman?“

„Ja, Oscar?“

„Ich könnte Eure Hilfe gebrauchen.“

„Die sollst du bekommen. Um was handelt es sich?“

Verlegen sah Oscar auf ihre Hände, die sie auf ihren Beinen ruhten.

„Ich erzählte Euch von dem Gespräch mit André.“

Emilie nickte bestätigend und sah abwartend zu ihrer Tochter.

„Er sagte, dass er gern eine Familie mit mir hätte und das bedeutet, dass wir eines Tages heiraten werden…“

Dadurch, dass sie auf ihre Hände sah, bemerkte sie nicht das freudige Lächeln ihrer Mutter.

„Ja, ich erinnere mich daran. Soll es etwa bedeuten, er hat dir einen Antrag gemacht?“

„Nein, das nicht und ich glaube, dass er warten wird, bis das Haus fertig ist. André sagte selber, dass er mir etwas bieten möchte. Und irgendwie verstehe ich ihn. Wir haben so lange kämpfen müssen und nun wird alles perfekt werden.“

„Damit hast du auch recht, mein Kind. Soll Madame Bertin dir auch dein Brautkleid anfertigen?“

„Vielleicht. Ich bin mir nicht sicher.“

„Und wieso dies?“

„Auf einer Seite möchte ich ihm gefallen, aber auf der anderen Seite würde er auch nicht wollen, dass ich mich eingeengt fühle und dies ist bei einem Kleid der Fall“, kam es mit einem leisen seufzend.

„Ich kann dich verstehen. Aber versuche es doch einmal so zu sehen. Eine Hochzeit ist ein ganz besonderer Tag im Leben, den am auch nur einmal begehen sollte. Findest du nicht, dass man dann etwas ganz besonderes tragen sollte?“

„Von dieser Warte aus, habe ich es noch nie betrachtet. Ich habe glaube, Ihr habt Recht. Dann werde ich ein Kleid tragen.“

„Das freut mich hören. Aber es ist noch immer deine Entscheidung und in diese soll dir niemand hineinreden.“

„Ich weiß, aber ich möchte ein Kleid tragen. Ihr habt Recht, dieser Tag soll etwas ganz besonderes werden und ich möchte ihm gefallen.“

Lächelnd strich Emilie ihm über die Wange.

„Das wirst du ihm ganz bestimmt. Und wir haben ja Zeit. Die Anfertigung des Kleides und die vielen Anproben dauern. André ist im Moment nur im Haus und wird daher auch nichts davon mitbekommen.“

„Das glaube ich auch. Vielleicht sollten wir uns heute bereits beraten lassen, oder was denkt Ihr?“

„Meiner Meinung nach, wäre es das Beste.“

Oscar nickte und bald hatten sie Paris erreicht. Rasch waren die wichtigsten Dinge erledigt und sie fanden sich bei der Schneiderin ein. Diese war überrascht Lady Oscar bei sich zu begrüßen, aber als sie erfuhr, um was es ging, war sie sofort Feuer und Flamme. Zügig ging sie ans Werk. Schnell waren passende Stoffe für das erste Kleid gefunden und man hatte sich auf einen Schnitt geeinigt. Als mit dem ersten Kleid alles in Auftrag war, setzten sie sich an die Planung für ein Hochzeitskleid. Madame de Bertin ließ ein paar Modelle vorführen, aber keines fand nur etwas Anerkennung Oscars. Sie versuchte der Schneiderin zu erklären, wie sie es sich vorstellte und auf diese Worte hin, begann Madame Bertin mit einigen Skizzen. So fanden sie nach geraumer Zeit ein Kleid, welches Oscars Vorstellungen entsprach. Anschließend ging es um die zu verwendenden Stoffe, Muster, Verzierungen etc.

Am Ende des Tages drehte sich Oscar alles. Sie hätte niemals gedacht, dass das ganze so anstrengend sein würde. Nun saß sie in der Kutsche und war froh, dass sie sich auf dem Heimweg befanden.

„Was hältst du davon, wenn wir gleich einen Tee zusammen einnehmen?“

„Das ist eine sehr gute Idee, Maman. Ich hätte niemals geglaubt, dass man soviel Dinge für ein einfaches Kleid besprechen muss.“

Kurz lachte Emilie de Jarjayes auf, aber es war nicht böse gemeint.

„Es war noch wenig, mein Kind. Bei meinem Brautkleid saßen wir über drei Tage mit der Schneiderin zusammen.“

„So lange? Hattet Ihr ausgefallene Wünsche?“

„Ich? Nein, mein Kind. Wirklich mitreden konnte ich nicht. Meine Mutter und meine Großmutter haben sich nicht entscheiden können. Sie haben sich geradezu darum gezankt.“

„Ich verstehe. Und wie war es bei meinen Schwestern? Daran kann ich mich so nicht mehr daran erinnern.“

„Sie durften sich etwas aussuchen. Dafür habe ich schon Sorge getragen. Sie sollten nicht das erleben, wie ich es tat.“

Oscar nickte und gähnte kurz. Bevor sie das Anwesen erreichten, war Oscar eingenickt. Emilie bemerkte dies mit einem Lächeln.

Da André heute früher Feierabend gemacht hatte, traf er zeitgleich mit der Kutsche ein. Überrascht sah er Oscars Mutter an, als diese zu ihm trat und ihn bat, Oscar aus der Kutsche zu heben und sie in ihr Zimmer zutragen.

„Ist ihr etwas geschehen, Madame? Ist sie krank?“, entfuhr es ihm sofort besorgt.

„Aber nein. Wir hatten einen langen anstrengenden Tag und sie ist nur eingeschlafen. Ich möchte sie nun nicht wecken.“

Emilie sah, wie André erleichtert aufatmete und daraufhin nickte. Sie beobachtete, wie er zur Kutsche ging und sie auf seine Arme nam. Anschließend ging sie vorher und hielt alle Türen auf. Als er Oscar in ihr Bett legte, bedankte sie sich bei ihm und zog ihr Kind um, nachdem André das Zimmer verlassen hatte.

Der Abend verlief ruhig und ohne weitere Vorkommnisse.
 

Zwei Tage später traf Oscars Kleid ein. Sie war wirklich überrascht, wie gut die Schneiderin auf ihre Wünsche eingegangen war. Es war ein schlicht gehaltenes Kleid, ohne große Verzierungen. Das Kleid war aus einem cremefarbenen, leichten Stoff gearbeitet und von blau weißen Bordüren an den Ärmel, am Dekollte und am Saum geziert. Es passte perfekt zu Oscars Körper und betonte ihre Vorzüge, jedoch ohne diese nicht zu aufreizend wirken zu lassen. Sophie und Emilie gefiel es sehr gut, als sie es sahen.

Oscar hatte sich für diesen Tag einiges vorgenommen und mit Hilfe der beiden Damen konnte sie alles vorbereiten. Gemeinsam kochten und bereiteten sie alles vor. Anschließend wurde das Esszimmer hergerichtet. Einer der Diener sollte André gegen Abend unter irgendeinem Vorwand zum Anwesen locken.

Je später es wurde, desto nervöser wurde Oscar. Dabei konnte auch ihre Mutter ihr nicht helfen.

Nachdem die Vorbereitungen abgeschlossen waren, befanden sie sich nun in Oscars Zimmer. Dort half Emilie ihrer Tochter mit dem Kleid. Nun frisierte sie ihr Kind und beobachtete sie dabei durch den Spiegel, der sich vor Oscar befand.

„Versuch ein wenig durchzuatmen. Es ist alles fertig und es wird André bestimmt gefallen.“

„Das hoffe ich so sehr, Maman. Aber wirklich durchatmen kann ich erst, wenn er hier ist.“

Emilie befestigte die letzte Haarsträhne und lächelte sie aufmunternd an.

„Du wirst ihn bestimmt verzaubern. Da bin ich mir sicher. Und mach dir um deinen Vater keine Gedanken. Ich habe ihn überzeugt, dass ich mit ihm zum Ball des Grafen und der Gräfin Villefort müssen.“

Überrascht sah Oscar ihre Mutter an.

„Wann werdet Ihr wieder hier sein?“

„Ich nehme an, dass es gegen Mitternacht sein wird.“

„Dann wünsche ich Euch einen schönen Abend.“

„Den wünsche ich auch dir und André“, erwiderte Emilie mit einem Lächeln.

Kurz trat sie zur Seite und holte etwas aus einer verborgenen Tasche hervor. Es war eine goldene Kette mit einem Medaillon. Mit diesem trat sie wieder hinter ihre Tochter und legte es ihr an. Oscar sah überrascht ihrer Mutter dabei zu.

„Was ist das, Maman?“, fragte sie nach, als ihre Mutter fertig war.

„Dieses Medaillon habe ich von meiner Mutter bekommen und sie von ihrer Mutter. Es ist eine Art Glücksbringer.“

„Ich verstehe und ich danke Euch sehr dafür. Aber warum schenkt Ihr es mir? Warum nicht einer meiner Schwester?“

„Deine Schwestern liebe ich genauso wie dich, mein Kind. Und zuerst war ich mir auch nicht sicher, aber das hat sich geändert. Ich möchte das du es bekommst und trägst.“

Oscar erhob sich lächelnd und drückte anschließend ihre Mutter.

„Ich werde es in Ehren halten, Maman. Es ist wunderschön.“

„Es gefällt dir wirklich?“

„Ja, Maman. Das tut es.“

Kurz betrachtete Oscar sich im Spiegel und sah so, wie das Licht sich im Medaillon leicht brach. Emilie beobachtete sie dabei.

„Du siehst wirklich aus wie eine Prinzessin.“

Diese Worte trieben Oscar die Röte in die Wange.

„Aber, Maman…“

„Kein aber, mein Kind es ist so. Nun werde ich mich zurückziehen. Entspann du dich noch etwas.“

Sanft strich sie ihrem Kind über die Wange.

„Ich hoffe, ich werde morgen erfahren, was heute geschehen ist.“

„Ja, das werdet Ihr, Maman.“

Emilie de Jarjayes nickte zu frieden und ließ dann ihr Kind alleine.

Eine knappe halbe Stunde später verließ der General mit seiner Gemahlin das Anwesen. Emilie hatte kurz zuvor einen Boten losgeschickt. Die anderen Angestellten hatten die Anweisungen bekommen, an diesem Abend sich zurück zuziehen. Diese nahmen es überrascht jedoch auch freudig auf.

Oscar sah wie ihre Eltern das Anwesen verließen. Nun würde es bald soweit sein, jedoch musste sie sich noch etwas gedulden, bevor sie den Boten zusammen mit André auf den Hof galoppieren sah. Kurz atmete Oscar durch, dann verließ sie ihr Zimmer. Ruhigen Schrittes ging sie auf die Treppe zu, die in die Eingangshalle führte.

Kaum hatte sie die ersten Stufen gemeistert, öffnete sich die Eingangstür und André kam herein gestürmt. Sofort sprang er die ersten Treppenstufen empor, dann entdeckte er seine Liebste und stoppte mit geöffnetem Mund.

Lächelnd sah sie ihn an und ging weiter auf ihn zu.

„Ich freue mich, dass du hier bist, Liebster“, sprach sie zärtlich.

André musste ein paar Mal hart schlucken. Er konnte sich kaum an seinem Engel satt sehen. So dauerte es einen Moment, bis er seine Sprache wiederfand.

„Du… du siehst wunderschön aus…“, haspelte er angetan.

„Ich danke dir“, kam es mit zarten rose Wangen von ihr.

„Aber was ist geschehen? Jean meinte, ich müsste sofort herkommen. Etwas wäre mit dir passiert.“

„Verzeih mir, Liebster. Aber ich wollte dich überraschen und ich bat ihn dich hier hin zulocken. Ich hoffe, du bist mir nicht böse.“

André atmete erleichtert bei ihren Worten auf. Dann schüttelte er seinen Kopf.

„Nein, ich bin dir nicht böse, Liebste.“

Als sie vor ihm stehen blieb, lächelte er und küsste sie anschließend kurz aber sanft. Oscar erwiderte diesen mit freudig klopfendem Herzen. Kurz darauf löste sie ihn jedoch.

„Begleitest du mich bitte?“

„Aber sehr gern, Liebste.“

André bot ihr seinen Arm an, den Oscar dankend annahm. Gemeinsam betraten sie kurz darauf den Speisesaal, der wundervoll dekoriert war. Überall brannten die Kerzen in den silbernen Kerzenleuchtern und tauchten den gesamten Raum in ein romantisches Licht. Auch der kristallene Lüster an der Decke strahlte ein sanftes Ambiente aus. Die Vorhänge von den großen Fenstern waren etwas vorgezogen, jedoch konnte man noch einen leichten Blick auf den nächtlichen Garten erhaschen, der friedlich im Mondlicht dalag.

Überrascht sah André sich um. Oscar ließ ihn gewähren.

„Aber warum dies alles?“

„Ich wollte dich überraschen. Lass uns nun essen, bevor es noch kalt wird.“

André nickte kurz und zog ihr dann den Stuhl zu Recht. Nachdem seine Liebste saß, ließ auch er sich nieder. Kurz darauf begannen sie zu speisen. Innerlich wurde Oscar immer nervöser. Noch war der Höhepunkt des Abends nicht erreicht.

Der Antrag

André ließ sich das Essen munden. Dass Oscar nervös war, bemerkte er nicht. Dafür kreisten seine eigenen Gedanken zu sehr. So sah er überrascht auf, als Oscar nach dem Nachtisch zu ihm trat.

„Liebster? Wir haben zwar keine Musik hier, aber dennoch würde ich dich gern fragen, ob du mit mir tanzen würdest.“

Rasch wischte André sich mit der Serviette über den Mund und nickte. Anschließend erhob er sich und ergriff sanft ihre Hand.

„Aber sehr gern, Liebste.“

Lächelnd sah er zu ihr und trat dabei etwas von dem wuchtigen Esstisch fort, wo etwas Platz zum Tanzen war. Kurz verbeugte er sich, genauso wie Oscar einen Knicks andeutete, dann begannen sie zu tanzen. Auch wenn keine Musik erklang, hatten beide dennoch den Eindruck, als würden sie welche vernehmen. Sie genossen den Tanz sehr und es dauerte eine ganze Weile, bis sie ihn langsam ausklingen ließen. Lächelnd sah Oscar ihn an.

„Es war wunderschön.“

„Das kann ich nur wiedergeben.“

„Was hältst du davon, wenn wir noch einen kleinen Spaziergang machen?“

„Sehr gern.“

Abermals bot er ihr seinen Arm an. Anschließend traten sie hinaus auf die große Terrasse. Der Mond war bereits aufgegangen und auch die Sterne funkelten, wie frisch poliert, am Himmel. Langsam schritten sie gemeinsam die Stufen hinab in die Gartenanlage.

„Sag, wo sind deine Eltern, Oscar?“

„Sie sind heute auf einem Ball.“

„Ich verstehe“, antwortete André und ging ruhig mit ihr weiter.

Es entstand eine Stille zwischen ihnen, in der Oscars Gedanken kreisten. Als sie den Rosengarten ihrer Mutter erreichten, löste sie sich von André und trat ein paar Schritte vor.

„Du wirst dich gewiss fragen, warum all dieser Aufwand. Das Essen, mein Kleid.“

Abwartend sah André zu ihr und nickte leicht. Oscar sah nicht zu ihm, aber sie erahnte es. So atmete sie kurz durch, bevor sie weiter sprach.

„Seit ich von dem Haus weiß, habe ich mir sehr viel Gedanken gemacht. Über dich, über mich, unsere Zukunft. Ich habe gesehen und ich weiß auch, was du alles für mich tust und dafür bin ich dankbar. Du machst mich zum glücklichsten Menschen.“

Langsam drehte Oscar sich zu ihm um und sah ihn dabei mit klaren, funkelnden blauen Augen an.

„Ich kann mir nichts anderes vorstellen, als mit dir auf ewig zusammen zu sein. Und ich hoffe mein Wunsch gleicht sich mit dem deinen, für immer zusammen zu bleiben.“

Wieder stoppte sie, um kurz zu schlucken und all ihren Mut zusammen zunehmen.

„Ich habe den heutigen Abend gewählt, um dich etwas zu fragen. Besser gesagt, um dich um etwas zu bitten.“

Nervös begann sie an ihrem Kleid zu nesteln. Ihren Blick verlegen nicht zu senken, kostete sie sehr viel Kraft.

„Willst du bis zum Ende unserer Tage an meiner Seite bleiben? Als mein Gemahl?“

Oscar Stimme wurde immer leiser. Diese paar Worte waren ihr nicht einfach gefallen, obwohl sie vorher lange darüber nachgedacht hatte. Andrés Augen weiteten sich und er konnte nicht fassen, was er nun vernahm. Er hatte sich ebenfalls vorgenommen Oscar einen Antrag zumachen, aber er hatte sich den Kopf über den Zeitpunkt und die Situation zerbrochen.

Da er nicht reagierte, senkte Oscar nun doch ihr Haupt. Ihr Herz schmerzte.

„Verzeih, wenn ich dich nun überrumpelt habe. Das lag nicht in meiner Absicht.“

Kurz blinzelte André, dann trat er mit zügigen Schritten auf sie zu und legte seine Hände auf ihre schmalen Schultern.

„Liebste… Niemals hätte ich mit so etwas gerechnet“, sprach er ehrlich.

Er hätte gern selber ihr einen Antrag gemacht, aber so kannte er seine Oscar. Direkt und ohne Umschweife. Daher lächelte er nun.

„Ja, ich möchte mir dir alt werden. Aber…“

Sofort sah Oscar mit glänzenden Augen auf. Jedoch als er stoppte, sah sie ihn überrascht an.

André löste seine Hände von ihr und kramte kurz in seiner Jackentasche. Dort schien er etwas zu finden. Langsam ging er vor ihr auf die Knie und ergriff dabei ihre Hand. Dabei sah er zu ihr hoch.

„Aber nur, wenn du auch der meinen Seite alt werden möchtest, Liebste.“

Oscar hatte für einen Moment die Luft angehalten. Nun lief ihr Tränen über die Wangen, als sie nickte.

„Ja, das will ich, Liebster“, hauchte sie.

André lächelte und steckte ihr einen schlichten goldenen Ring auf den Finger. Darüber war Oscar mehr als überrascht. Als ihr Liebster sich erhob, betrachtete sie das Schmuckstück genau, dann sah sie ihn an und küsste ihn zärtlich. André erwiderte den Kuss und zog sie an sich.

Für einen Moment standen sie, in einem innigen Kuss vereint, im Schein des Mondes und der Sterne. Doch dann löste Oscar langsam den Kuss und sah ihn lächelnd an.

„Du machst mich sehr, sehr glücklich.“

Lächelnd strich sie ihm über die Wange.

„Und du mich, Liebste.“

„Darf ich dich fragen, woher du diesen wunderschönen Ring hast?“

„Er gefällt dir? Gern hätte ich dir einen Neuen geschenkt.“

„Er ist wunderschön.“

„Dieser Ring war der Ehering meiner Eltern. Meine Großmutter gab ihn mir vor einigen Jahren mit den Worten, dass ich ihn der Frau geben soll, der mein Herz für ewig gehören würde.“

Vor Rührung stiegen Oscar abermals Tränen in die Augen.

„Und das bin wirklich ich?“, fragte sie leise.

André nickte zur Antwort und strich ihr dabei die Tränen fort.

„Ich werde ihn hüten wie meinen Augapfel und ihn in Ehren tragen.“

„Das wirst du. Meine Eltern wären bestimmt sehr stolz auf dich.“

„Ich hoffe es.“

Oscar kannte seine Eltern nur von Erzählungen und von Sophie wusste sie, wie sehr André an ihnen gehangen hatte.

„Es tut mir leid, dass sie nun nicht hier sein können“, sprach sie leise und senkte ihren Blick.

Zärtlich hob André kurz darauf ihr Kinn an, sodass sie ihn ansehen musste.

„Sei bitte nicht traurig. Ich wünsche es mir auch. Aber ich weiß, dass sie auf ewig in meinem Herzen und somit sind sie bei uns. Und ich bin mir sicher, dass sie sich mit uns freuen, wo auch immer sie nun sind“, sprach er sanft.

Auch wenn André ihr die Tränen fortgewischt hatte, rannen Neue hinunter.

„Ich hoffe es, Liebster.“

Er nickte und reichte ihr dabei ein Tuch. Dankend nahm sie es entgegen und trocknete ihre Augen und ihre Wangen. Anschließend nahm André sie in seine Arme.

„Du zitterst ja, Liebste. Lass uns lieber hinein gehen“, sprach er besorgt, als er es merkte.

Aber Oscar schüttelte lächelnd ihren Kopf.

„Mach dir keine Sorgen. Mir ist nicht kalt. Es ist die Nervosität, die von mir abfällt.“

Nun lächelte auch André und nickte. Dann ließ er sie los und trat zu einem der Blumenbeete. Dort pflückte er eine cremfarbene Rose und steckte diese in Oscars Haar, dabei bedacht ihr nicht weh zutun. Lächelnd hielt Oscar still. Als er etwas zurück trat, um sie zu betrachten, sah sie ihn abwartend an. So sah sie, wie er sich scheinbar nachdenklich das Kinn rieb. Doch dann zeigte auch er ein Lächeln.

„Wunderschön. Genauso wie du, Liebste.“

Mit sich noch mehr rötenden Wangen, erwiderte Oscar sein Lächeln.

„Vielen dank, Liebster.“

„Keinen dank. Es entspricht nur der Wahrheit.“

Oscar nickte und trat nun zu ihm. Abermals küssten sie sich zärtlich.

Etwas genossen sie noch den milden Abend, dann aber beschlossen sie ins Haus zurück zugehen. Dort führte ihr Weg sie in den Salon. André öffnete eine Weinflasche und reichte Oscar kurz darauf ein Glas. Ebenfalls mit einem bewaffnet ließ er sich neben ihr nieder. Lächelnd stießen sie an und tranken in aller Ruhe etwas. Dann sah Oscar ihren André an.

„Soll ich dich begleiten?“

„Begleiten? Wohin, Liebste?“, fragend sah er zu ihr.

„Zu meinem Vater“, erwiderte sie, ohne den Blick zulösen.

André verstand ihren Wink und sah nun leicht verlegen in sein Rotweinglas.

Oscar verstand diese Geste falsch und sprach sofort: „Wenn du alleine gehen willst, sage es mir ruhig.“

„Nein, dass ist es nicht. Sondern, ich hatte mit deinem Vater vor geraumer Zeit ein Gespräch.“

Nun sah Oscar ihn überrascht an und legte dabei ihren Kopf leicht schief.

„Es war nach der Sache mit dem Grafen. Wir haben uns eine ganze Weile unterhalten und da habe ich ihn bereits um deine Hand gebeten.“

André wagte es nicht aufzusehen. Daher entging ihm zuerst Oscars überraschter und anschließend lächelnder Blick.

„Du hast ihn wirklich gefragt? Und was hat er gesagt?“

„Dass er zustimmt. Er ist einverstanden.“

„Wirklich? Das ist ja wunderbar“, erwiderte Oscar lächelnd.

Dabei stellte sie ihr Glas zur Seite, dann rutschte sie zu ihm.

„Du bist mir nicht böse?“

„Aber nein, Liebster. Ich bin nur überrascht, aber das in angenehmer Weise.“

Nun lächelte auch André und küsste sie zärtlich. Sanft erwiderte Oscar diesen und schmuste sich dabei an ihn.

Wie die Zeit verging, merkten sie nicht. Aneinander gekuschelt sahen sie in das prasselnde Feuer im Kamin. So bekamen sie nicht mit, wie Oscars Eltern heimkehrten. Der General half Emilie aus dem Mantel.

„Der Abend war besser als erwartet, Liebste.“

„Das habe ich dir gesagt, Liebster“, erwiderte sie lächelnd, dabei dankte sie ihm.

Kurz gähnte ihr Gemahl und streckte sich dabei.

„Dann sollten wir uns nun zurückziehen.“

„Eine gute Idee. Oder wollen wir vorher noch einen Tee trinken?“

„Das klingt verlockend. Dann einen Tee und anschließend betten wir uns zur Ruhe.“

Emilie nickte zustimmend und ging mit ihrem Mann in Richtung der Küche. Dabei kamen sie am Salon vorbei. Dort sah Madame de Jarjayes, dass dort noch jemand zu sein schien. Daher stoppte sie und ihr Mann sah sie fragend an.

„Was hast du?“

„Ich glaube, da ist jemand noch auf. Licht scheint unter der Salontür hervor.“

Sein Blick folgte dem seiner Gemahlin. Dabei nickte er.

„Ich glaube, du hast recht. Wollen wir nachsehen?“

„Ich weiß nicht.“

„Aber warum? Du glaubst doch nicht, das…“

In letzter Zeit war die Laune des Generals mehr als hervorragend gewesen, aber nun begann sie sich ins Negative zu wandeln. Emilie spürte, wie seine Armmuskulatur sich anspannte.

„Nein, Liebster. Wie kommst du nur darauf?“

„Wenn wirklich nichts ist, können wir ja hinein gehen. Zudem ist dies noch immer mein Haus.“

Mit diesen Worten ging er mit strammem Schritt auf die Tür zu. Dabei zog er seine Gemahlin mit sich. Polternd stieß er die Tür auf und sah in dem Moment, wo Oscar aufschrak. An Andrés Schulter war sie eingenickt. André hatte sie noch nicht wecken wollen. Nun sah er, wie auch Oscar, erschrocken in Richtung der Tür.

„Was geht hier vor?“, grummelte der General weiter und trat dabei auf die beiden zu.

„Liebster…“, versuchte Emilie sanft auf ihn einzureden.

Aber er hob nur die Hand, sodass sie schweigen musste. Seine Laune war kurz vor dem Gefrierpunkt, als er direkt vor dem jungen Paar stehen musste. Streng musterte er sie. Jedoch schien sich nun seine Annahme nicht zu bestätigen. Die Kleidung beider war in Ordnung. Kein Knopf war geöffnet oder keine Haarsträhne war zerzaust. So wurde sein Blick milder, als er das bemerkte. Auch Emilie sah dies und knuffte dabei ihrem Gemahl leicht in die Seite. Kurz sah er zu ihr und nickte.

„Du hast ja Recht, Liebste“, sprach er zu ihr.

Anschließend blickte der General zu den jungen Leuten.

„Verzeiht, ich wollte euch nicht stören oder erschrecken“, kam es eine ganze Spur sanfter.

Kurz sah Oscar zu André, dabei nickte sie nur für ihn ersichtlich. So erhoben sich beide.

Überrascht sah der General die beiden an. Daher entging ihm, wie Emilie zu lächeln begann. Ihr war der Ring an Oscar Hand nicht entgangen. Aber auch sie wusste, nicht dass André bereits das Einverständnis ihres Gemahls hatte. So hielt sie sich zurück, ihre Tochter und ihren zukünftigen Schwiegersohn in die Arme zu schließen.

„Es ist nichts geschehen, General“, begann André ruhig zu sprechen.

Kurz sah er zu Oscar, dann legte er seinen Arm um sie. Früher hatte er dies, in der Gegenwart von Oscars Vater nicht gewagt. Zärtlich lächelte er sie an.

„Aber dennoch würde ich Euch und Eurer Gemahlin etwas mitteilen.“

Sanft drückte er bei diesen Worten Oscar mehr an sich.

„Eure Tochter Oscar und ich wollen heiraten“, sprach er nun direkt aus.

Emilies Lächeln wurde immer breiter, doch sah sie unauffällig zu ihrem Gemahl empor. Sie erwartete eine kühle Haltung seinerseits, jedoch täuschte sie sich. Er lächelte und klopfte André kurz darauf auf dessen Schulter.

„Dann möchte ich euch als Erster gratulieren.“

„Ich danke Euch, General de Jarjayes.“

Immer noch lächelnd sah Oscars Vater zu seiner Gemahlin.

„Was siehst du mich so an, Liebste? Möchtest du deiner Tochter und deinem zukünftigen Schwiegersohn nicht gratulieren?“

„Gewiss… gewiss. Aber du hast nichts einzuwenden?“

„Nein, das habe ich nicht. Ich bin kein Unmensch und ich sehe deutlich, wie sehr sich die beiden lieben und ich bin kein Narr und stelle mich ihnen in den Weg“, erwiderte er lächelnd und strich ihr dabei über die Wangen.

Emilie konnte kaum fassen, was sie von ihrem Gemahl hörte. Dann trat sie zu Oscar und anschließend zu André, um beide herzlich zu drücken und zu gratulieren. Anschließend trat sie zu ihrem Gemahl zurück. Nun war er es, der sie an sich drückte.

„Und zu dieser wunderbaren Stunde, habe ich euch etwas mitzuteilen.“

Überrascht und abwartend sahen die drei ihn an. Er grinste und rückte dann mit der Sprache heraus.

„Ihr habt auch das Einverständnis des Königs.“

„Wie bitte?“, entfuhr es zeitgleich von Oscar und Emilie.

„Ihr habt richtig verstanden. Als ich die Bindung zwischen Graf de Girodel und Oscar löste, musste ich ihm die Situation erklären. So erfuhr er alles und er war der Meinung, dass die beiden es verdient haben, so gab er seine Zustimmung“, erklärte er ihnen ruhig.

„Das… das ist ja wunderbar“, kam es von Emilie, die als erste ihre Sprache wieder gefunden hatte.

Auch Oscar und André stimmten kurz darauf ein. So war der Abend perfekt. Gemeinsam stießen die vier noch auf den Tag an, bevor sie sich in ihre Gemächer zurückzogen.

Der große Tag

Am nächsten Morgen erwachten alle etwas verspätet, bis auf André, der sich aus seinem Bett gequält hatte und anschließend zur Mühle geritten war.

Der General wollte sein Bett nicht verlassen. Es war gestern doch etwas zuviel Wein gewesen und sein Kopf schmerzte. Daher hatte er sich mosernd umgedreht, als seine Gemahlin ihn wecken wollte. Emilie hatte nur ihren Kopf schütteln können und war so alleine gegangen. Sie begegnete ihrer Tochter an der Treppe. Freundlich begrüßten sie sich und machten sich dabei auf den Weg zur Küche. Dort fanden sie Sophie vor, die im ersten Moment erbost blickte. Doch als sie ihre Herrschaften erkannte und das Strahlen in deren Gesichtern, begrüßte sie sie höflich und sah sie dabei mit einem fragenden Blick an. Während Emilie sich hinsetzte, trat Oscar zu ihrer alten Amme und umarmte diese freudig. Davon war ihr Kindermädchen mehr als überrascht.

„Aber, Lady Oscar. Was ist mit Euch?“

„Ich bin so glücklich, Sophie. Du kannst gar nicht glauben, wie sehr.“

Oscar löste die Umarmung und sah ihr Kindermädchen mit strahlenden Augen an. Wirklich verstehen, tat Sophie nicht. Aber der Wink Emilies, den Sophie im Hintergrund sehen konnte, war eindeutig. Oscars Mutter schien wie beiläufig über den Ringfinger ihrer Hand zu streichen. Sofort wanderte Sophies Blick an die Hände ihres Schützlings und dort erkannte sie den Ring. Dies hatte zur Folge, dass in den Augen der Amme sich Tränen bildeten.

„Oh, mein liebes Kind. Ich beglückwünsche Euch.“

„Ich danke dir, Sophie.“

Lächelnd drückte sie die alte Dame und reichte ihr anschließend ein Tuch, um sich die Tränen zu trocknen. Dankend nahm Sophie es entgegen und schnäuzte sich anschließend leicht.

„Ich werde Euch rasch etwas zu Frühstücken servieren und dann erzählt Ihr mir alles, ja?“

„Aber gewiss, Sophie. Kann ich dir helfen?“

„Nein, Lady Oscar. Nehmt ruhig an der Seite Eurer Mutter Platz.“

Die junge Frau nickte lächelnd und ließ sich dann nieder. Während sie später aßen, berichtete Oscar ihrem Kindermädchen. Wieder fing diese an zu weinen und Oscar, wie auch Emilie hatten ihre liebe Müh, sie zu beruhigen.

Erst sehr viel später begannen sie über das bevorstehende Ereignis zu reden und auch die ersten Pläne zu notieren. In groben Zügen wurde eine Einladungsliste verfasst und auch das Diner besprochen. Oscar war Sophie und ihrer Mutter dankbar, dass sie ihr helfen wollten.

„Ich möchte aber auch alles noch mit André besprechen.“

„Natürlich, Oscar. Wann möchtest du den heiraten?“

„Das haben wir noch nicht geklärt, aber ich denke, dass André zuerst mit dem Haus fertig sein will.“

Emilie nickte verstehend.

„Das verstehe ich. Aber dennoch können wir in den nächsten Tagen die Einladungen verschicken. Bis jeder diese erhalten und uns seine Teilnahme bestätigt hat, dauert es noch eine Weile. Zudem dein Kleid wird auch noch eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen.“

„Ja, Ihr habt Recht, Maman“, erwiderte Oscar nickend.

Emilie lächelte sie an und anschließend planten sie weiter. Auch der General beteiligte sich kurz darauf ein wenig daran. Er wollte die Hochzeit hier auf dem Anwesen ausrichten und darauf bestand er. Als alle diesem Vorschlag zustimmten, nickte er lächelnd und verschwand anschließend in seinem Arbeitszimmer. So blieben die Damen alleine zurück.

Gegen Mittag brach Oscar auf, um ihrem Verlobten sein Essen zu bringen. André erwartete sie bereits und hob sie lächelnd von ihrem Pferd. Zärtlich küssten sie sich zur Begrüßung und während er anschließend etwas aß, berichtete Oscar ihm von dem Morgen. Ruhig hörte er sich alles an und fand nichts daran auszusetzen.

„Wir können uns gleich ja das Haus noch mal ansehen. Wir sind gut vorangekommen.“

„Das würde ich sehr gern.“

André nickte lächelnd und aß dann zu Ende. Kurz wischte er sich anschließend seine Hände ab und erhob sich mit ihr. Gemeinsam betraten sie dann das Haus und Oscar sah sich mit großen Augen um.

„Ihr seid wirklich sehr weit gekommen. Was denkst du, wie lange ihr noch brauchen werdet?“

„Wenn alles so gut voran geht, denke ich noch einen Monat. Dann fehlt nur noch die Einrichtung und der Garten.“

Ruhig hörte Oscar ihm zu und nickte.

„Ich hoffe, dass ich dir dabei mehr helfen kann.“

„Bestimmt, Liebste. Aber du hast mir bis jetzt sehr gut geholfen.“

„Jetzt übertreibst du aber, Liebster“, kam es von ihr mit leicht geröteten Wangen.

„Ich empfinde dies aber nicht so. Aber nun muss ich wieder an meine Arbeit“, erwiderte er mit einem Zwinkern.

Oscar nickte und gab ihm zum Abschied einen sanften Kuss. Anschließend sah sie sich noch ein wenig um, dabei kreisten ihre Gedanken.
 

Es vergingen Tage und Wochen, in denen alle viel zu tun hatten. Die Einladungen waren verschickt worden und auch die ersten Bestätigungen waren bereits eingetroffen. Oscars Kleid befand sich in der Endphase und Oscar hatte die letzte Anprobe hinter sich gebracht. Langsam wurde sie immer nervöser, den bald sollte der große Tag sein. Die ersten Geschenke waren eingetroffen und stapelten sich in einem extra Raum. Geöffnet werden sollten sie nach der Zeremonie. Teils wollte Oscar schon wissen, was sich darin befand, aber auf der anderen Seite war die Nervosität, was die Vermählung betraf um einiges größer.

Am Tage der Hochzeit war das Haus fertig geworden. Oscar hatte nur davon gehört, aber sehen hatte sie es nicht mehr können, da sie überall mit eingebunden worden war.

Draußen schien die Sonne und kein Wölkchen war am Himmel zusehen. Alles deutete darauf hin, dass es ein perfekter Tag werden würde.

Nun stand sie in ihrem Gemach und ihre Mutter, Sophie und einige Dienstmädchen puzzelten an ihr herum. Oscar war viel zu durcheinander, als etwas dagegen sagen zu können. Die Korsage und auch das Kleid saßen perfekt. Die Ärmel, wie auch der Saum des Kleides waren mit feinster Spitze gefasst. Die verschiedenen Stofflagen waren nicht alle schneeweiß, sondern in kleinen Nuancen abgestuft. Zusätzlich war das Kleid mit Perlen und feinen und aufwendigen Stickereien verziert. Es war einfach ein Traum, an dem man sich kaum satt sehen konnte.

„Ob es ihm gefallen wird?“, fragte Oscar ihre Mutter, als diese anfing, die Haare ihres Kindes zu frisieren.

„Ganz bestimmt mein Kind. Du siehst wunderschön aus“, erwiderte sie und begann dabei die ersten Haarsträhnen hochzustecken.

Sie konnte durch den Spiegel deutlich den gesenkten Blick und die geröteten Wangen ihrer Tochter sehen.

„Ich danke, Euch für Eure Worte und ich hoffe es sehr“, sprach sie leise.

Emilie nickte und setzte nun die ein Haarteil ein, um die Frisur vollständiger wirken zulassen. Oscar hielt dabei still, auch wenn sie sich ab und zu etwas beschwerte. Aber ihre Mutter ignorierte es und vollendete die Hochsteckfrisur, als sie ein paar Perlen hineinsteckte. Kurz trat sie zurück, um sich ihr Werk zu betrachten.

„Irgendetwas fehlt noch“, sprach sie mehr zu sich.

Dabei wanderte ihr Blick umher. Als sie etwas entdeckte, hellte sich ihre Miene auf.

„Jetzt weiß ich es.“

Sie trat zu dem nahen Beistelltisch. Dort stand eine Vase mit einem Strauß weißer Rosen. Da die Blüten in unterschiedlicher Größe waren, suchte sie die Kleinsten aus. Diese kürzte sie und steckte sie anschließend in Oscars Haar.

„Und was denkst du nun?“, fragte sie, als sie den einfachen Schleier, der ebenfalls mit Spitzen und Stickereien versehen war, befestigt hatte.

Oscar besah sich ihr Spiegelbild genau und drehte dabei vorsichtig ihren Kopf.

„Es sieht wunderschön aus. Ich danke Euch.“

„Ich habe es doch gern getan, mein Kind“, erwiderte Emilie lächelnd.

„Jetzt noch der Schmuck, und du bist fertig.“

Oscar nickte und sah, wie Emilie scheinbar den Schmuck aussuchte. Madame de Jarjayes zögerte und sah anschließend zu ihrem Kind.

„Was möchtest du den tragen?“

„Mir würde das Medaillon, welches Ihr mir gabt, gefallen.“

„Ich glaube, dass ist die beste Wahl“, erwiderte ihre Mutter und legte ihr anschließend die Kette um.

„So, nun bist du fertig. Sophie und ich ziehen uns nun zurück. Dein Vater wird dich nachher abholen.“

Oscar nickte und sah ihrer Mutter und der Amme hinterher. Dann war sie allein. Ihre Gedanken kreisten. Ihr Blick wanderte durch ihren Raum. Einiges an Mobiliar war nicht mehr da, man hatte es bereits in das neue Haus gebracht. Und bald würden noch weiteren folgen. Wie zum Abschied sah Oscar sich noch einmal um. Ihr ganzes Leben hatte sie hier verbracht und es hingen viele Erinnerungen daran. Auf einer Seite war sie traurig, auf der Anderen freute sie sich auf ihre Zukunft mit André.
 

Während Oscar noch ihren Erinnerungen nachhing, trafen immer mehr Gäste ein. Die nach der Begrüßung hinaus in den Garten traten. Dort war alles vorbereitet worden. Die Büsche waren adrett geschnitten und die Wege waren von kleinen Sträußen geziert. Dort, wo die Trauung stattfinden sollte, waren Stühle aufgestellt. Ein paar Bedienstete eilten umher, um die letzten Arbeiten zu erledigen. André stand bereits auf seiner Position und nervös tippelte er auf der Stelle. Dabei kontrollierte er immer wieder seine Kleidung, die aus einem dunklen, eleganten aber schlichten Gehrock und der dazu passenden Hose bestand. Seine Haare wurden ordentlich von einem gleichfarbigen Band zusammen gehalten.

Für ihn schien die Zeit stehen geblieben zu sein.

Von seiner Position konnte er alle Anwesenden überblicken. Dazu zählten Oscars Schwestern in Begleitung ihrer Gatten und deren Kinder. Auch Graf de Girodel war mit seinem Vater erschienen.

Kaum das alle ihre Plätze eingenommen waren und die Musik einsetzte, erschien General de Jarjayes, gekleidet in seiner besten Uniform, mit Oscar an seinem Arm. Andrés Augen weiteten sich und er schluckte hart. Er konnte nicht in Worte fassen, als er seinen Engel im Brautkleid sah. Alle Anwesenden drehten sich in Richtung der Braut und des Brautvaters. Sofort war ein leises Raunen zu vernehmen.

„Wie wunderschön sie ist.“

„Ja, wie ein Engel.“

„Oder eine Prinzessin.“

Dies und viel mehr war zuhören.

Oscar sah durch ihren Schleier André entgegen. Ihre Wangen waren leicht gerötet und ihr Herz schlug schnell gegen ihre verschnürte Brust.

//Er sieht so stattlich aus//, war ihr erster Gedanke.

Ihr Vater geleitete sie bis zum Altar, wo André und der Priester warteten. Dort lüftete er ihren Schleier kurz, um ihr einen Kuss auf die Stirn zu geben und ihr ein paar leise Worte mit auf den Weg zugeben.

„Ich wünsche dir alles Gute, mein Kind. Du machst mich unsagbar stolz.“

„Ich danke Euch, Vater“, erwiderte sie leise.

Der General lächelte und zog ihren Schleier anschließend zu recht. Anschließend übergab er die Hand seiner Tochter an André. Dieser nickte dankend, lächelte kurz seine Liebste an, um sich dann anschließend mit ihr in Richtung des Geistlichen zudrehen.

Oscars Vater ließ sich neben seiner Gemahlin nieder und nahm ihre Hand, die er zärtlich drückte. Neben ihnen saß Sophie, die jetzt schon mit den Tränen kämpfte. Hinter ihnen kamen Oscars Schwestern mit deren Familien.

"Du siehst bezaubernd aus, Liebste", sprach André leise zu Oscar.

"Ich danke dir, Liebster. Dies alles soll nur für dich sein", erwiderte sie mit geröteten Wangen.

Antworten konnte André danach nicht mehr, da der Geistliche sich dezent räusperte.

Als dieser anschließend anfing zu reden, kehrte schlagartig Ruhe ein.

„Verehrtes Brautpaar und verehrte Anwesenden“, begann er.

„Wir sind heute hier zusammen getroffen, um diese Paar im heiligen Bund der Ehe zu vereinen“, sprach er weiter.

Er ließ sich die Ringe bringen, die Oscar und André Tage zuvor noch hatten anfertigen lassen. Diese segnete er und wand sich anschließend direkt an das Brautpaar, die sich nun zueinander stellten. Zuerst sprach er André an.

„Ich frage Euch vor Gottes Angesicht: Nehmt Ihr Eure Braut als Gemahlin an und versprecht Ihr ihr die Treue zu halten in guten und in bösen Tagen, in Gesundheit und in Krankheit, sie zu lieben, zu achten und zu ehren, bis der Tod Euch scheidet?“

Andrés Herz schlug bis zum Zerbersten, als er die Worte vernahm. So nickte er kurz.

„Ja, ich will.“

Der Geistlichte nickte ebenfalls, dann sah er zu Oscar und wiederholte dabei seine Worte. Ihr ging es kaum anders und als er endete, antwortete sie wie ein Hauch: „Ja, ich will.“

Abermals nickte der Priester und begann wieder zu reden.

„Nehmt den Ring, das Zeichen Eurer Liebe und Treue, steckt ihn an die Hand Eurer Braut und sprecht: Im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes.“

Kurz schluckte André, steckte dann Oscar den Ring mit leicht zittrigen Fingern an und wiederholte dabei die eben genannten Worte.

„Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“

Nun sah der Geistliche wieder zu Oscar und sprach dieselben Worte, wie zuvor bei André.

Sie nahm den Ring und beim Überstreifen auf Andrés Ringfinger, wiederholte sie: „Im Namen des Vater und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“

Der Priester bestätigte die Vermählung, als er seine Stola um die ineinander gelegten Hände der Brautleute legte, seine rechte Hand darauf legte und sprach:

„Im Namen Gottes und seiner Kirche bestätige ich den Ehebund, den Ihr geschlossen habt.“

Lächelnd sahen Oscar und André sich in die Augen. Der Geistliche löste die Stola und erhob seine Hände und sprach einen Segen für das Paar.

„Ihr dürft Eure Braut küssen“, sprach er lächelnd zu André.

Dieser nickte kurz, lüftete dann Oscars Schleier und näherte sich ihren Lippen. Die Wangen beider waren zart rose gefärbt. Und als ihre Lippen sich zu einem innigen Kuss vereinten, herrschte vollkommene Stille. Erst als der Kuss sich löste, konnte man zuerst Sophies Schluchzen vernehmen. Auch Emilie konnte ihre Freudentränen nicht verbergen, ebenso wie ihre anderen Töchter. Nur der General schien es nicht so emotional zu bewegen. Nur seiner Gemahlin entging nicht, wie er sich versuchte unbemerkt eine Träne fort zu streichen. Sanft legte sie ihre Hand auf seinen Unterarm, sodass er sie überrascht ansah.

„Ich hatte etwas im Auge, Liebste“, redete er sich heraus.

Emilie nickte lächelnd und kuschelte sich dann kurz an ihn. Anschließend erhoben sie sich und näherten sich dem Brautpaar, um diesen zu gratulieren.

Zärtlich umarmte Emilie ihre Tochter und wünschte ihr dabei alles erdenklich Gute. Danach wurde auch André an ihre mütterliche Brust gezogen und mit Glückwünschen bedacht. Der General umarmte seine Tochter ebenfalls. Anschließend klopfte er André lächelnd auf die Schulter.

"Willkommen in unserer Familie, mein Sohn."

"Ich danke Euch, General."

"Nenn mich ruhig, Vater. Nun da wir eine Familie sind."

Abermals dankte André ihm. Dann traten aber schon die nächsten Gratulanten vor. Sophie, die ihrer Tränen nicht mehr Herr wurde und kurz sich fest an ihren Enkel krallte, bis Emilie sie sanft mit sich zog. Dann folgten Oscars Schwestern, Onkel, Tanten und anderen nahen Verwandten. Alle wollten dem Paar alles Gute wünschen.

Das Schlusslicht der Gratulanten wurde von Graf Victor Clemont de Girodel gebildet. Vor Oscar verneigte er sich und hauchte ihr einen Handkuss auf.

"Auch ich möchte Euch gratulieren und mich auf das Herzlichste für diese Einladung bedanken", erwiderte er charmant.

"Ich danke Euch, Girodel", erwiderte Oscar glücklich lächelnd.

"Ich habe Euch zu danken, verehrte Lady Oscar. Auch wenn mein Herz noch ein wenig schwer ist, freut es sich zugleich, Euch in diesem wunderschönen Kleid zusehen. Es kleidet Euch ausgezeichnet."

Im ersten Moment schluckte Oscar, als ihr bewusst wurde, wie er sich fühlen musste. Doch dann nahm die Röte in ihren Wangen schlagartig zu.

"Vielen dank für Euer Kompliment, Girodel. Auch wenn ich Eure Gefühle nicht erwidern kann, hoffe ich dennoch, dass wir Freunde bleiben."

"Das würde ich sehr gern", erwiderte Victor mit einer leichten Verbeugung.

Anschließend trat er zu André und gratulierte auch diesem.

"Passt mir gut auf Oscar auf", raunte er ihm zu und zwinkerte dabei.

"Das werde ich tun. Ich werde sie auf Händen tragen und mit meinem Leben beschützen", erwiderte dieser mit einem Nicken.

Zufrieden sah Girodel ihn an und nickte anschließend ebenfalls. Danach trat er zu seinem Vater.

Erst jetzt schritt das junge Brautpaar zur großen und reichlich gedeckten Tafel, die im Garten angerichtet war. Die Gäste folgten ihnen und ließen sich dort nieder. Während sie anfingen zu speisen, wurden immer wieder Reden auf das Brautpaar gehalten. Einer der Ersten, war Oscars Vater. Er wollte und konnte es sich nicht nehmen lassen ein paar besondere Worte an das Brautpaar zurichten.

"Meine lieben Freunde. Lasst uns unsere Gläser auf das Brautpaar erheben. Ein so junges Paar, was viele Schwierigkeiten meistern musste. Und ich gebe zu, eine Hürde bin ich gewesen."

Kurz folgte ein höfliches Lachen, der Anwesenden und Oscar schmiegte sich an André, der sie sanft an sich drückte.

"Ich weiß, ich weiß. Aber heute sind wir hier versammelt, um meine Tochter Oscar und meinen Schwiegersohn André hochleben zulassen. Mögen sie lange und glücklich miteinander leben."

"Hört, hört", kam es von ein paar der Anwesenden.

"Lasst uns auf das Brautpaar anstoßen."

Alle erhoben ihre Gläser und prosteten Oscar und André zu. Diese Geste wiederholte sich ein paar Mal. Auch wie die Reden, die gehalten wurden, sich teils ähnelten. Aber niemanden störte es.

Ausgiebig wurde gefeiert. Das Essen war auserlesen und die teuersten Wein- und Champagnersorten wurden kredenzt.

Aber noch war der Tag nicht zu Ende. Die Sonne näherte sich langsam den Horizont und warf ihre letzten wärmenden Strahlen auf die Hochzeitsgesellschaft. Bald würde diese ins Palais gehen, um dort weiter zu feiern.
 

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Anmerkung: Mir ist bewusst, dass Hochzeiten zur damaligen Zeit anders ausgesehen haben, aber Oscar und André sind ein besonderes Pärchen und daher hielt ich es für schöner ^^. Ich habe versucht die Zeremonie an die Zeit anzupassen, aber ein wenig wirkt sich noch zu modern. Hoff, ihr seid mir nicht böse

Eine Feier mit Überraschungen

Bevor das Brautpaar mit seinen Gästen ins Palais hinüber wandern konnte, stand Girodel, nachdem er ein paar Anwesenden verschwörerisch zugenickt hatte, auf. Da die anderen Gäste sich ebenfalls erhoben, fiel dies niemandem wirklich auf. Erst als Oscar und André auf die weit geöffneten Glastüren zutraten, stoppte Victor die beiden.

„Als Kommandant der königlichen Garde ist es mir nicht gestattet Euch passieren zulassen.“

Überrascht sahen Oscar und André erst sich und dann Victor an. Dieser nahm Haltung an und trat zur Seite, womit er den Blick auf eine Gruppe Männer frei werden ließ. Es waren Offiziere der Garde, die ihre Degen zogen und eine Gasse bildeten. Victor kam seinen Männern ein Zeichen und sie senkten ihre Waffen. Anschließend blickte der Graf zu Oscar und André, die das ganze abwartend betrachteten.

„Als ehemaliger Offizier, wollen wir, die Garde und ich, Euch ein Geleit in Euer neues Leben weisen.“

Oscar nickte lächelnd und trat mit André langsam vor. Als sie die ersten Männer näher kamen, erhoben diese, auf Victors Befehl hin, ihre Degen und ließen so das Brautpaar durch das Spalier in das Palais schreiten.

„Ein hoch auf das Brautpaar“, sprach Victor mit lauter und fester Stimme, als sie den Eingang erreichten.

Sofort stimmten seine Männer mit ein und Oscar war mehr als glücklich. Damit hatten weder sie noch André gerechnet. So betraten sie freudestrahlend den Ballsaal, der genauso geschmückt war, wie die Tafel draußen.

Nach und nach strömten die Gäste hinein. Dabei unterhielten sich alle und Oscar und André wurden immer wieder von ihnen angesprochen.

Im Hintergrund begann eine Gruppe Streicher, begleitet von einem Klavier, aufzuspielen. Es war eine perfekte Untermalung für diesen denkwürdigen Tag. Als das erste Stück verklungen war, trat General de Jarjayes zum Brautpaar.

„Ich hoffe, dass ich deine Braut für ein paar Minuten entführen darf?“, fragte er André.

Dieser nickte ihm zu und sah ihnen hinterher, wie sie zur Tanzfläche gingen. Dort gab Oscars Vater den Streichern ein Zeichen und die begannen von neuem aufzuspielen. Kurz verbeugte der General sich vor seiner Tochter, die diese Geste mit einem Knicks beantwortete. Dann begann er mit ihr zu tanzen. Alle Anwesenden sahen ihnen dabei zu, bis André auf die Tanzfläche trat und den General antippte.

„Darf ich?“, fragte er höflich.

„Aber sehr gern, mein Junge“, erwiderte Oscars Vater und überreichte ihm die Hand seines Kindes.

Wieder kam ein leises Raunen der Anwesenden auf, als sie das Paar beobachteten. Aber lange hielt dieses nicht vor, den General de Jarjayes trat zu seiner Gemahlin und forderte sie zum Tanz auf. Seinem Beispiel folgenden, gesellten sich immer mehr Paare auf die Tanzfläche.

Oscar und André bekamen kaum eine Pause, immer wieder wurde vor allem Oscar zum Tanz aufgefordert. Erst nach einer ganzen Weile konnte sie etwas Luft schnappen. Aber lange war ihnen diese Pause nicht vergönnt. Die ersten Geschenke, die an einem Ende des Saales aufgebahrt standen, wollten ausgepackt sein. So traten Oscar und André näher an diese heran. Nach und nach wurden ihnen einzelne Geschenke vorgestellt. Von ihren Schwestern erhielten sie Dinge für den gemeinsamen Hausstand, die Teils auch Geschirr und Mobiliar bestand. Aber auch weitere nützliche Gegenstände waren dabei. Sophie trat zu ihnen und reichte ihnen eine kleine Schachtel.

„Es ist nichts Besonderes, aber ich glaube es ist passend.“

Überrascht sah das Brautpaar die alte Damen an. Dann öffnete Oscar die Schleife, die das Geschenk verschloss. Anschließend öffnete sie eine Schatulle, die sich im inneren befand. André sah Oscar dabei über die Schulter und schluckte, als er den Inhalt erkannte. So trat er sofort zu Sophie und umarmte sie. Seine Augen schimmerten dabei feucht.

„Ich danke Euch, Großmutter“, sprach er leise zu ihr.

Dann sah er zu Oscar und begann ihr zu erklären, was sie nun in Händen hielt.

„Mein Engel, was du dort siehst, ist ein Familienerbstück. Meine Eltern erhielten es auf ihrer Hochzeit von ihren Eltern und die zuvor von den ihren und jede Generation legte etwas Persönliches bei seiner Hochzeit mit hinein. Das oberste sind eine Miniatur des Hauses, welches mein Vater meiner Mutter bauen wollte und von ihr liegt ein selbst gearbeitet Tuch bei.“

Sophie nickte bei seinen Worten.

„Ich weiß, dass es nicht wertvoll ist, aber…“

Oscars Augen schimmerten und nun trat sie zu ihrer Amme und umarmte sie.

„Doch es ist wertvoll, viel mehr als Geld, liebe Sophie. Und ich bin dir sehr dankbar für dieses Geschenk. Und ich kann mich André nur anschließen. Wir werden ebenfalls etwas hinein legen und es später weiterreichen.“

Sophie liefen Tränen der Rührung über die Wangen und André und später Emilie benötigten etwas Zeit, um die alte Dame zu beruhigen. Währenddessen wurde weiter gefeiert und alle hatten ihre Freude daran. Nach einer Weile trat Graf de Girodel abermals zu dem Brautpaar.

„Auch ich möchte ein Hochzeitsgeschenk überreichen.“

Überrascht sah André ihn an.

„Aber das solltet Ihr doch nicht, Graf.“

Fragend sah Oscar ihren Gemahl an. Sie verstand nicht, wieso er dies sagte. Victor bemerkte dies und ließ ein längliches Geschenk herantragen. Hinter diesem befand sich ein Ölgemälde auf dem Oscar und André zusehen waren.

„Vielen Dank, Girodel. Aber was meinte André gerade mit seinen Worten?“

Kurz nickte Victor und räusperte sich anschließend.

„Ich bin und war der Meinung, genau wie mein Herr Vater, dass dieses Gemälde nicht im Geringsten widerspiegeln kann, was Ihr und Euer Gemahl verdient habt. Und dies empfanden auch eine Reihe anderer Menschen so. Daher habe ich André vor ein paar Wochen einen Besuch abgestattet. Ich überbrachte eine Summe, um den Umbau des Hauses zu finanzieren, um André und Euch einen guten Start in Euer neues Leben zu ermöglichen“, erklärte er lächelnd.

„Aber… Girodel…“, kam es leicht stammelnd von Oscar.

Damit hatte sie nicht gerechnet.

„Das ist doch viel zu viel.“

„Nein, dass ist es nicht. Ihr habt sehr viele Freunde und auch viele dankbare Menschen, die nur Euer Bestes wünschen. Bitte nehmt diese Geschenke an und beleidigt sie damit nicht.“

Nachdenklich sah Oscar André an und dieser nickte leicht ergeben. Anschließend sah Oscar Victor wieder direkt an.

„Wenn dies so ist, wie Ihr es schildert, dann nehmen wir es gern an und ich bedanke mich auf das herzlichste bei Euch und allen anderen.“

Graf Girodel nickte zufrieden und trat anschließend zurück zu seinem Vater.

Gemeinsam feierten sie noch sehr lange. In dieser Zeit wurden die Geschenke und die restlichen Dinge, die Oscar und André gehörten, in das neue Haus gebracht. Davon bekam niemand etwas mit.

Das Brautpaar ging von einem zum Anderen, um sich zu bedanken. Für sie war der Abend mehr als perfekt. Niemals hatten sie mit so etwas gerechnet.

In dem Moment, als sie für eine kleine Pause hinaus auf die Terrasse treten wollten, trat einer der Gardeoffiziere zu ihnen und reichte ihn ein offizielles Schreiben. Überrascht nahmen sie es entgegen und gingen mit diesem hinaus. Oscar öffnete es und im Schein einiger entfachter Fackeln, überflog sie die wenigen Zeilen. Dabei sah André sie fragend an.

„Von wem ist dieses Schreiben?“

„Es ist von Königin Marie Antoinette und dem König Ludwig XVI. Sie gratulieren uns ebenfalls. Sie bedauern, nicht bei der Trauung anwesend sein zu können. Aber sie wünschen uns alles erdenklich Gute für unsere gemeinsame Zukunft. Dabei bittet die Königin uns, sie in ein paar Tagen zu besuchen.“

Ruhig hörte André ihr zu und nickte.

„Bist du sehr traurig, dass sie nicht anwesend waren?“

„Etwas. Aber mir war bewusst, dass es ihre Pflichten als Königspaar dies nicht zulassen würden. Daher freu ich mich sehr über dieses Schreiben.“

Abermals nickte André und drückte sie anschließend zärtlich an sich. Sanft schmiegte Oscar sich dabei an ihn.

„Dieser Tag ist etwas ganz besonderes und ich werde ihn niemals in meinem Leben vergessen.“

„Mir ergeht es genauso. Wir werden sie auf ewig in unseren Herzen tragen“, erwiderte er lächelnd.

Dann beugte er sich zu ihr und küsste sie zärtlich. Der silberne Vollmond, der vor einer Weile am Himmel empor gestiegen war, warf sein silbernes Licht auf das Paar und ließ sie leicht leuchten. Oscars Eltern waren durch Zufall an die weit geöffnete Flügeltür heran getreten, so entdeckten sie die beiden. Lächelnd drückte prompt der General seine Gemahlin an sich.

„Sie sind ein wunderschönes Paar, findest du nicht?“

„Das sind sie wirklich. Sie haben ihren Weg gefunden“, erwiderte der General zärtlich.

„Dies sehe ich genauso, Liebster. Aber komm, lassen wir die beiden noch etwas allein.“

„Du hast Recht, Liebste. Wie immer“, sprach er und zwinkerte ihr dabei zu.

Anschließend gingen sie zurück zu den anderen Gästen.

Von dem ganzen hatte das Brautpaar nichts bemerkt. Sie genossen die Nähe des jeweilig Anderen. Aber bald wurde es auch Zeit für sie wieder hineinzugehen. Jedoch kaum das sie wieder im Saal waren, wurden sie wieder vereinzelt in Beschlag genommen. Zudem wollten einige der Anwesenden noch Tanzen.

Victor beobachtete das Geschehen von einer ruhigen Ecke aus, wobei er genüsslich an seinem Weinglas nippte.

//Sie ist wirklich wunderschön. Etwas schmerzt es mich, sie an Andrés Seite zusehen, aber zugleich erfreut es mich und mein Herz sie so glücklich zusehen.//

Er erhob sein Glas und prostete ungeachtet der anderen Anwesenden unauffällig in Richtung des Brautpaares.

//Werdet glücklich ihr beiden. Ihr zwei seid sehr außergewöhnliche Persönlichkeiten. Seid euch treu und auf ewig einander in Liebe ergeben. Ich trinke auf euch!//

Mit diesem Gedanken führte er das Glas an seine Lippen. Kurz lächelte er leicht verträumt, dann leerte er das Glas in einem Zug.

Als etwas später die ersten Gäste aufbrechen wollten, verteilten Oscar und André an alle fünf gezuckerte Mandeln, die in einem Seidentuch eingeschlagen waren.

Die Hochzeitsmandeln symbolisierten einzelne Wünsche. Gesundheit, Wohlstand, Glück, Fruchtbarkeit und ein langes Leben. Jeder Beutel war mit einer Schleife und einer weißen oder roten Rose verziert. Oscar und André waren sich einig gewesen, diese Geschenke in dieser Weise zu übergeben, da sie als passender empfanden, als es in goldenen, silbernen oder kristallenen Aufbewahrungsgefäßen zu überreichen. So passte es besser zu dem Paar. Vor allem sollte dies auch für sie beide stehen. Beide von unterschiedlichem Stand, aber dies benötigte keine Gold, Silber oder Kristall.

Alle nahmen dankend diese Aufmerksamkeit entgegen. Die ersten, die dann gingen, waren Oscars Schwestern, die in Rücksicht auf ihre Kinder, es vorzogen sich zu verabschieden.

Die junge Braut umarmte jede ihrer Schwestern und deren Ehemänner. Auch jedes der Kinder wurde ihre Zuneigung zuteil. Oscar war glücklich ihre gesamte Familie um sich zuhaben, wie lange war dies her. Und André war froh, sie so zusehen. Er trug gerade Josephines jüngste Tochter auf dem Arm, die eingeschlafen war.

„Sie hat einen gesunden Schlaf“, erwiderte er zu Josephines Gemahl, als er das Kind diesem reichte.

„Das ist wahr. Sie stört sich scheinbar nicht daran, dass hier alles laut ist. Aber sag, wo war sie?“

Kurz lachte André auf.

„Sie hat unter dem Buffettisch gelegen. Ich habe sie nur durch Zufall entdeckt. Ihr Beinchen hatte sie etwas hervor geschaut unter einen der Überwürfe.“

„Oh, ich verstehe.“

Nun lachten auch die Anderen, die dabei standen, mit. Dann aber wurde es wirklich Zeit für sie. Oscar und André begleiteten sie noch bis zur Tür. Von dort beobachteten sie, wie die Kutschen abfuhren. Kurz wanken sie ihnen hinterher, doch dann mussten sie sich um die anderen Gäste kümmern.

Jedoch je später es wurde, desto mehr Gäste verabschiedeten sich, bis nur noch Oscars Eltern anwesend waren. Die Nanny hatte sich schon vor einer ganzen Weile verabschiedet. Deutlich hatte sie gemerkt, dass sie einfach nicht mehr die Jüngste war und so hatte sie sich zurückgezogen. Nun war der Zeitpunkt angebrochen, dass Oscar und André das Palais verlassen wollten. Lange umarmte Oscar ihre Mutter und sprach ihr leise dankende Worte ins Ohr. Emilie konnte nur immer wieder ihren Kopf schütteln.

„Ich bin deine Mutter und du weißt, dass es meine Aufgabe ist, dass es meinem Kind gut geht.“

„Dennoch verspüre ich einen großen Dank.“

Emilie strich ihrer Tochter sanft über die Wange.

„Ich weiß, mein Kind.“

Dann war die Verabschiedung an Oscars Vater dran und gegen Oscars Vorstellungen war diese herzlicher als erwartet. Sanft drückte er an sie und sprach ein paar leise Worte in ihr Ohr, was sofort die Röte in ihre Wangen schießen ließ. Sofort senkte sie ihren Blick und war nicht im Stande etwas zu erwidern. Nur ein leichtes Nicken ihrerseits war zu sehen.

Jetzt trat André zu ihr und legte seinen Arm um sie.

„Wollen wir los, Liebste?“, fragte er sie zärtlich.

Wieder erfolgte ein Nicken.

„Ja, Liebster“, kam es kurz darauf.

Gemeinsam verabschiedeten sie sich nochmals von Oscars Eltern. Dann half André seiner Oscar mit dem Kleid in die vorbereitete Kutsche. Anschließend ließ er sich neben ihr nieder. Nun fuhren sie in ihre gemeinsame Zukunft. Was diese ihnen bringen würde, wussten sie nicht. Aber eines breitete sich in ihren Köpfen aus, es stand die Hochzeitsnacht für beide bevor.

Emilie sah gemeinsam mit ihrem Gemahl der abfahrenden Kutsche hinterher. Dabei konnte Oscars Mutter die Tränen nicht mehr unterdrücken. Leicht drückte sie ihr Gesicht an seine Brust.

„Da fährt unser letztes Kind“, schluchzte sie leise.

„Ich weiß, Liebste. Aber sie ist schon lange kein Kind mehr. Sie ist eine wunderschöne junge Frau geworden und Liebste? Sie ist dir sehr ähnlich“, sprach er sanft und strich ihr beruhigend über den Rücken.

„Ich weiß, Liebster.“

Dann sah sie bei seinen abschließenden Worten auf.

„Findest du?“

„Ja, nicht in allen Zügen. Aber sie kann genauso stur sein, wie du, Liebste“, erwiderte er mit einem Zwinkern.

„Aber dazu haben wir unsere Gründe.“

„Ist das so?“

„Oh ja, mein Gemahl.“

Oscars Vater lachte auf und drückte sie dabei an sich.

„Dann kannst du mir von diesen berichten, wenn wir uns zur Ruhe legen.“

„Wenn du willst, kann ich das tun.“

Mit diesen Worten traten sie zurück ins Haus. Kurz sahen sie sich noch um, dann gingen sie hinauf in ihr gemeinsames Gemach.
 

~.~.~.~

Anmerkung: Die Sitte mit den 5 Hochzeitsmandeln geht auf eine Tradition von Ludwig XIV. zurück. Dort wurden sie auch an die Gäste verteilt. Beim Adel in goldenen, silbernen oder kristallenen Gefäßen. Beim Einfachen Volk In Tüll und Stoffen des Hochzeitkleides.

Die Hochzeitsnacht

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Die Hochzeitsnacht - zensiert

Die Fahrt in die neue Zukunft als Mann und Frau zu ihrem gemeinsamen Haus schien unendlos zu dauern. Oscar hatte sich an ihren Gemahl gekuschelt und die Augen geschlossen. Teils war sie schon etwas ermüdet von der Feier, aber dennoch war sie innerlich unruhig. Sie hoffte an Andrés Herzen etwas Ruhe zu finden, die er selber immer ausstrahlte. Aber sie spürte und hörte deutlich, wie schnell auch sein Herz schlug. Dies ließ ihre innere Nervosität nicht weniger werden.

André hatte seinen Arm um sie gelegt und strich ihr dabei sanft über den Oberarm, dabei hing auch er seinen Gedanken nach. Ihm ging es kaum anders als Oscar, aber dies äußerte er nicht. In sich verspürte er, zu der Nervosität, eine Art Angst, ihr nicht zu gefallen oder ihr das Bieten zu können, was sein Engel verdiente.

Während beide ihren Gedanken nachhingen, wurde die Kutsche langsamer, bis sie vor dem Haus hielt. Ein mitgereister Diener sprang herunter und öffnete die Kutschentür. André löste sich von seiner Oscar und stieg aus. Kurz fiel sein Blick auf das Haus, dann sah er zurück und half seiner Liebsten aus der Kuschte. Langsam traten sie auf das Gebäude, welches in den letzten Wochen zu voller Schönheit erblüht war. Etwas kuschelte sich Oscar an André. Auch wenn nur das matte Licht des Vollmondes die Umgebung etwas erhellte, fühlte sie sich hier heimisch. Sie war sich sicher, dass sie glücklich werden würde und dies ganz allein mit ihrem André. Und er dachte ähnlich, wobei er die Schönheit seines Engels, den Gott der Allmächtige ihm an seine Hand gegeben hatte, nicht mit dem Haus oder sonstigen Schätzen vergleichbar fand. Vor der großen Eingangstür blieben sie stehen. André öffnete sie und sah zu Oscar, die ihn sanft anlächelte. Ohne zu zögern, nahm André sie ihn auf den Arm und trug sie über die Schwelle. Sanft hielt Oscar sich dabei an ihm fest. Langsam schritten sie von Raum zu Raum. Dabei stellten sie fest, dass ein paar Helfer scheinbar abschließend Hand angelegt hatten. Es gefiel beiden sehr, was sie sahen. Als sie die untere Etage besichtigt hatten, trug André Oscar langsam die geschwungene Freitreppe in das obere Stockwerk hinauf. Dabei schlugen beider Herzen immer schneller. Hier oben befand sich neben dem gemeinsamen Schlafzimmer, ein Ankleidezimmer für Oscar und auch ein paar noch leer stehende Räume, die darauf zu warten schienen, eines Tages Kinder zu beherbergen. Aber darüber hatten Oscar und André noch nicht gesprochen. Sie waren im Moment viel zu sehr auf sich fixiert.

Ruhigen Schrittes ging André, seine Oscar sicher in seinen Armen wissend, in das gemeinsame Schlafzimmer. Sie waren sich ohne Worte einig gewesen, dass sie keine getrennten Schlafgemächer haben wollten, wie es viele der Adeligen bevorzugten. Oscar war nun keine de Jarjayes mehr. Mit der Hochzeit hatte sie nicht nur ihren alten Namen, sondern auch ihren Titel abgelegt.

Als Beide nun das einladende große Ehebett vor sich liegen sahen, schluckten sie hart, ohne dass der Andere es bemerkte. Wie von unsichtbaren Fäden geleitet, schritt André auf dieses zu. Sanft bettete er seine Oscar in die weichen, seidenen Kissen. Anschließend setzte er sich neben sie und betrachtete seinen Engel. Es war, als würde er sich jedes Detail einprägen wollen, um es niemals zu vergessen. Anschließend streckte André seine Hand nach ihr Haus, um ihr über die Wange zu streichen. Beide waren so nervös, dass sie nicht wussten, wo sie beginnen sollten. Daher lehnte Oscar sich leicht gegen seine Finger. Dabei spürte sie, dass sie auf ihrem Schleier lag, der etwas an ihren Haaren zog. Daher richtete sie sich ein wenig auf und begann diesen aus ihren Locken zulösen. André entging dabei keine ihrer Bewegungen. Jedoch wirklich etwas tun konnte er nicht, als stumm zu zusehen. Als sie fertig war, nahm er ihr den Schleier ab und legte ihn vorsichtig beiseite. Anschließend sah er sie wieder direkt an, wobei er sich langsam in ihren wunderschönen Augen versank. Unmerklich näherte er sich ihr dabei. Als Oscar dies registrierte, schloss sie ihre Augen und ihre Lippen vereinten sich zu einem innigen Kuss. Zart stupste André sie mit ihrer Zungenspitze an, sodass Oscar ihre sanft geformten Lippen öffnete und seine Zunge mit der ihren begrüßte. Ein zärtliches und immer leidenschaftlicheres Zungenduell entbrannte. In beiden breitete sich noch nie empfundene Gefühle aus. Ihre Herzen schlugen im Einklang immer schneller, so wie auch ihre Atmung schwerer wurde. Dabei bemerkte Oscar, dass ihre Korsage sie am tiefen Durchatmen hinderte und sie so die Luft stoßweise ein und aus pustete. Als André dies bemerkte, löste er langsam den Kuss. Sanft zog er sie zu sich empor und blickte ihr wieder in die Augen, in denen er eine Zustimmung ihrerseits suchte. Und was er sah, gefiel ihm. Es war eine lodernde Leidenschaft in ihren Augen, die er noch nie bei ihr gesehen hatte. Dies ermutigte ihn, mit seinen Händen über das aufwendig gearbeitete Kleid in Richtung ihres Rückens zu streichen. Er glitt bis zu der Stelle, wo er die Schnüre des Kleidungsstückes verspürte. Langsam zog er an diesen, sodass das Kleid sich langsam öffnete. Deutlich konnte Oscar dies spüren, aber um das Kleid nicht zu beschädigen, erhob sie sich gänzlich von dem Bett und trat vor André, der sie mit einem leicht fragendem, aber auch einem leicht lüsternen Blick bedachte. Kurz schluckte Oscar, doch dann öffnete sie ihr Kleid vollends. Als dieses geschehen war, glitt es wie flüssige Seide an ihrem Körper hinab zum Boden. Langsam trat sie aus diesem hervor und blieb somit direkt vor André stehen, der noch immer auf dem Bett saß und zu ihr empor blickte. Was er sah, gefiel ihm. Oscar trug nur noch ihre Korsage, die ihre weiblichen Rundungen betonte, den Unterrock und ein Höschen. Aus Scham bedeckte sie ihren Körper mit ihren Armen.

Allein dieser Anblick ließ Andrés Erregung bis fast ins unermessliche steigen. So erhob er sich und unterbrach die kurze Distanz zwischen ihnen. Sanft hob er ihr Kinn an, um sie anschließend leidenschaftlich zu küssen. Oscar hatte etwas in ihm entfacht, von dem er nicht einmal zu träumen gewagt hatte und seiner Geliebten ging es nicht anders. Als er sie zu küssen begann, nahm er etwas ihrer Furcht und ihrer Scham, sodass sie zärtlich über seine breiten Schultern strich und anschließend anfing, seinen Gehrock zu öffnen. Wie von Geisterhand geführt, fiel dieser kurz darauf zu Boden. Während André begann ihre Korsage zu öffnen, löste sie seine Rüschen und öffnete kurz darauf sein Hemd. Ihr ganzer Körper begann sich immer mehr nach diesem Mann, der so dicht vor ihr stand, zu verzehren.

Die Korsage und das Hemd fanden ihren Weg zu Boden. Nun drückte André Oscar dicht an sich, ohne den leidenschaftlichen Kuss zulösen. Beide genossen sich so nah zu spüren. Leicht rieben sich die Körper aneinander, wobei Oscar und André anfingen in den Kuss hinein zu keuchen. Zärtlich begann André seine Hände über Oscars Rücken hinab zu ihrem Hintern gleiten zu lassen, um diesen sanft aber auch fordernd zu massieren. Dabei drückte er sie noch mehr an sich, wo sie deutlich seine steigende Erregung an ihrem noch verhüllten Scharmbereich spüren konnte. Leicht schluckte sie, aber dennoch war noch etwas anderes dabei. Oscar versuchte ihre Finger nicht zittern zu lassen, als sie an seinem Hosenbund entlang strich. Langsam löste André dabei seinen Kuss und ließ seine Lippen über ihren Hals hinab zu ihrem Schlüsselbein gleiten, welches er mit zarten Küssen liebkoste. Dabei öffnete er die Schüre ihres Unterkleides, welches dann zu Boden glitt. Ein wohliges Seufzen entglitt ihm dabei, sie immer näher an sich zu spüren. Langsam wanderten seine Lippen von ihrem Schlüsselbein zu ihre Brüsten.

Oscar wusste, dass sie keine Oberweite, wie andere Frauen hatte und daher verspürte sie Angst, dass sie André nicht gefallen würde. Aber als sie spürte, wie seine Lippen ihre Brüste verwöhnten, waren diese Gedanken mit einem Schlag verdrängt. Dabei war er auf jede Reaktion Oscars bedacht.

André ließ sich Zeit, bevor er langsam auf die Knie ging, um sie vollends zu entkleiden und zu liebkosen. Deutlich konnte er dabei ein aufkeimendes Zittern Oscars spüren, was ihn dazu führte, sie beruhigend zu streicheln.

Ein paar Minuten später stand sie vollkommen entblößt, so wie Gott sie geschaffen hatte, vor ihm. Ihre Wangen waren leicht rose gefärbt und sie versuchte ihre Scharm, trotz der in ihr langsam steigenden Leidenschaft, mit ihren Händen zu verbergen. Zärtlich begann André ihre Hände, Finger für Finger, zu liebkosen, um sie anschließend vollkommen zu erkunden. André war zärtlich und ließ ihr viel Zeit, bevor er sich erhob und sie mit einem Lächeln ansah. Anschließend drückte er sie an sich und küsste sie leidenschaftlich. Dabei kam ein André zum Vorschein, den Oscar nicht kannte. Aber er ihr keine Angst, sie spürte, dass sie sich in seinen Armen fallen lassen konnte.

Während sie sich küssten, machte Oscar sich wieder an seiner Hose zu schaffen. Nun wollte auch sie seinen Körper weiter erkunden. Als sie spürte, wie der Stoff aus ihren Finger glitt, löste sie den Kuss und ließ, wie zuvor André bei ihr, ihre Lippen über seinen gut gebauten Oberkörper gleiten. Dabei strich ihre Finger seine Muskelstränge entlang. So näherte sie sich immer weiter seiner Männlichkeit, die sich ihr scheinbar entgegen streckte. Wie zuvor André bei ihr, erkundete nun Oscar seinen Körper, wobei sie keine Stelle ausließ. Oscar genoss es ihn zu schmecken und ihn zu verwöhnen. Auch wenn beide noch unerfahren waren, konnten sie dennoch deutlich die Reaktionen des Anderen spüren. So zog André, als er spürte, dass sie ihm bald seinen Verstand rauben würde, seine Oscar sanft zu sich, um sie abermals leidenschaftlich zu küssen. Dann hob er sie auf seine starken Arme, drehte sich mit ihr zum gemeinsamen Ehebett und legte sie anschließend dort wieder in die seidenen Kissen. Dort verwöhnte und erkundete er ihren Körper weiter, bis auch ihr Körper immer mehr unter ihr zu winden begann. Dies ließ André sich von ihr lösen und zu ihr hoch kommen, wo er und sie sich unter einem leidenschaftlichen Kuss miteinander vereinten. Ihre Körper verschmolzen dabei zu einem. Die Luft um sie herum knisterte vor Leidenschaft, die die beiden abstrahlten.

Während ihrer Vereinigung hielten sie weiterhin ihren leidenschaftlichen Kuss aufrecht. Gemeinsam erlebten sie nun etwas vollkommen Neues, was ihn niemand jemals nehmen konnte. Sie zeigten sich ihre Gefühle in einer Sprache, die keine Worte benötigte.

Ihre Vereinigung endete, als sie fast zeitgleich ihrer Ekstase erlagen. Beide waren erschöpft, aber glücklich. Niemand würde ihnen jemals diese Erinnerung und diese Erfahrung nehmen.

Schwer atmend hob André seinen Kopf und küsste Oscar noch einmal zärtlich.

„Ich liebe dich“, sprach er ermattet, aber dennoch zärtlich lächelnd.

„Und ich liebe dich. Du hast mich zu deiner Frau gemacht“, erwiderte Oscar sanft lächelnd.

Zärtlich erwiderte sie seinen Kuss und genossen noch für einen Moment diese innige körperliche Bindung. Beide hätten niemals gedacht, so etwas zu erleben. Es war für beide nicht in Worte zu fassen.

Langsam trennten sie sich voneinander und das Ergebnis dieser ersten gemeinsamen Liebesnacht zeichnete sich auf dem weißen Bettlacken ab. Aber Oscar, wie auch André, registrierten dies nicht. Gemeinsam schwammen sich noch auf der Welle ihrer Gefühle. Auf ewig würden sie sich daran erinnern. Nun waren sie vollends Mann und Frau geworden. Jedoch waren Oscar und André nun doch stark ermüdet. Der Abend forderte seinen Tribut. So kuschelte Oscar sich dicht an ihren André und legte dabei ihren Kopf an seine Schulter. Dort konnte sie seinen Herzschlag lauschen, der sie immer mehr beruhigte. Dabei schloss sie ihre Augen. André legte seinen Arm um sie und lehnte seinen Kopf an den ihren. Auch in ihm stieg immer weiter die Müdigkeit empor. So dauerte es nicht mehr lange und beide waren, erschöpft von der Feier und ihrer Liebesnacht, tief und fest eingeschlafen, wobei sie eng aneinander gekuschelt sich in den Armen hielten. Dabei träumten sie von der bevorstehenden gemeinsamen Zukunft, die sich nun vor ihnen aufgetan hatte. Gemeinsam hatte für sie heute einen neuen Lebensabschnitt begonnen, als Madame und Monsieur Grandier.
 

~.~.~.~
 

Anmerkung: Die Tradition des über die Schwelle tragen, gab es eigentlich noch nicht in dieser Zeit, aber ich fand es dennoch passend. Ich hoffe, man sieht es mir nach.

Ein neues Leben

Am nächsten Morgen erwachten Oscar und André erst sehr spät. Beide hatten leichte Kopfschmerzen von dem Wein vom Vorabend. Oscar war diejenige, die zuerst ihre Augen aufschlug. Sie benötigte einige Momente, um sich zu orientieren. Dann entdeckte sie den noch schlafenden André neben sich. Ihr entging dabei nicht, dass die Decke nur seine nötigste Blöße bedeckte. So sah sie sofort an sich herunter und zog aus eigenem Reflex die Decke über ihren nackten Körper, dabei begannen ihre Wangen zu glühen. Durch diese ruckhafte Bewegung wurde auch André wach. Verschlafen richtete er sich auf und rieb sich dabei gähnend über seine Augen. Als er es schaffte endlich klar aus diesen zu sehen, bemerkte er Oscars verkrampfte Haltung.

„Guten Morgen. Sag was hast du?“, sprach er sanft und zugleich besorgt.

„… guten Morgen. Ich? Nichts. Wieso?“, wich sie ihm leicht aus und senkte dabei beschämt ihr Gesicht.

Zärtlich hob André dieses an und sah ihr tief in die Augen.

„Wenn es nichts wäre, würdest du mir nun nicht ausweichen, Liebste.“

Oscar sah ein kurzes Aufblitzen an seiner Hand und in der Sekunde, wo sie den Ring erkannte, kam schlagartig ihre Erinnerung zurück. Da er noch immer ihr Kinn hielt, konnte sie seinem Blick nicht ausweichen. Er wurde Zeuge, von der stärker werdenden Röte ihrer Wangen.

„Verzeih. Ich glaube, es war gestern einfach ein wenig zuviel“, sprach sie leise.

„Bereust du es?“, hakte André vorsichtig und schon fast verängstigt nach.

Sofort weiteten sich ihre Augen bei seinen Worten.

„Nein! Niemals!“, brachte sie dabei hervor.

„Komm niemals auf den Gedanken, dass ich unsere Liebe und alles was damit zutun hatte, bereue.“

André atmete erleichtert auf. Dabei ließ er ihr Kinn los und legte sich zurück in die noch leicht warmen Kissen.

„Das freut mich zu hören. Mir geht es genauso, Liebste.“

Lächelnd sah Oscar zu ihm herunter. Dabei löste sich ihren eisernen Griff um die Decke und sie ließ sich an seiner Brust nieder. Dort schloss sie ihre Augen und lauschte seinem beruhigenden Herzschlag.

„Ich hätte niemals geglaubt, dass ich… nein, dass wir eines Tages so friedlich zusammen leben würden.“

„Das sehe ich genauso“, erwiderte André und strich ihr dabei eine Haarsträhne, die sich aus der sehr lädierten Hochsteckfrisur gelöst hatte, nach hinten.

„Darf ich dich etwas fragen?“

„Natürlich, Liebster. Was den?“

„Bevor wir gestern Abend aufbrachen, sagte dein Vater etwas zu dir. Normalerweise würde ich ja nicht nachfragen, aber mir entging nicht, wie du deinen Blick senktest. Was hat er gesagt?“

„Nun…“, begann Oscar und spürte dabei wieder die aufsteigende Wärme in ihrem Gesicht.

„er wünschte uns alles Gute und…“

Oscar stoppte um zu Schlucken.

„Ja?“, fragte André sanft nach.

„Wie soll ich sagen?“, sprach sie immer leiser werdenden.

„Habe keine Angst“, versuchte er beruhigend auf sie einzureden.

Eigentlich war Oscar ein Mensch, die immer direkt auf den Punkt kam, aber dies fiel ihr in diesem Fall nicht gerade leicht. So schluckte sie noch einmal, hob ihren Kopf an und sah zu ihm.

„Er sagte, dass er hofft, bald einen Enkel zu erwarten“, kam es nun fast ohne Ton von ihr.

Nun war es an André, dass seine Augen sich weiteten und er hart schluckte. Daran hatte er noch gar nicht gedacht. So wurde auch sein Blick verlegen.

„Ich… ich verstehe“, brachte er stammelnd hervor.

Ihm war die Situation nun etwas unangenehm. Nicht, dass er sich keine Kinder wünschte, aber er hielt es dennoch etwas zu verfrüht. Das Haus war noch nicht vollkommen eingerichtet und das, was später der Garten sein sollte, wirkte eher wie ein Kriegsschauplatz.

„Aber er hat doch schon Enkel“, begann er, als eine unangenehme Stille eintrat.

„Ja, jedoch nicht… nicht von mir“, erwiderte Oscar und senkte dabei wieder ihren Blick.

„Sag, möchtest du später überhaupt Kinder?“, fragte André urplötzlich nach.

„Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Nicht, dass ich etwas gegen Kinder habe. Aber ich habe das Gefühl, dass ich keine gute Mutter sein kann“, gab Oscar zu.

Sofort richtete André sich etwas auf, wobei seine Liebste etwas ins Rutschen geriet und sich somit ebenfalls etwas erhob.

„Aber das ist nicht wahr. Ich bin mir sicher, dass du eine gute Mutter sein kannst!“

„Was macht dich da so sicher, Liebster?“

„Ich spüre es tief in mir und ich habe Augen im Kopf, Liebste. Gestern hast du dich so liebevoll um deine Nichten und Neffen gekümmert.“

„Das ist doch etwas anderes.“

„Warum sollte es dies sein?“, fragte er ruhig nach.

„Es sind nicht die Eigenen.“

„Aber das hat damit doch nichts zu tun, Liebste. Nur eins musst du mir bitte glauben, ich würde dich niemals zu etwas drängen.“

„Ich weiß und darüber bin ich mehr als froh.“

Leicht schmuste sich Oscar wieder an seine Brust, dabei konnte sie auf einmal das Knurren, welches Andrés Magen von sich gab, nicht überhören.

„Ich glaube, ich sollte uns etwas zum Frühstück zubereiten.“

Verlegen fasste André sich an seinen Hinterkopf.

„Das klingt sehr gut, aber sag, kann ich dir irgendwie helfen?“

„Nein, das ist lieb von dir gemeint. Aber ich bekomme das schon hin“, erwiderte sie mit einem Zwinkern.

Dann glitt sie aus dem Bett, wobei die Decke über ihren Körper glitt und er sie noch einmal in ihrer vollen Schönheit betrachten konnte. Auf einer Seite war sein Blick beschämt, aber auf der Anderen war auch etwas Stolz gepaart mit ein wenig Lüsternheit darin zu sehen. So beobachtete er sie, wie sie nach seinem Hemd griff, welches im Moment das einzig passende Kleidungsstück war. Mit einer fließenden Bewegung hatte sie es sich übergezogen und André konnte kaum seinen Blick von ihr Lösen. Jedoch schüttelte er kurz seinen Kopf, um wieder klar zu werden.

„Ich habe eine Idee. Dir steht mein Hemd zwar wirklich gut, aber vielleicht solltest du dich erst um deine Haare kümmern und in der Zeit, mache ich das Frühstück.“

„Meine Haare?“

Überrascht sah Oscar ihn für einen Moment über die Schulter an. Dann trat sie zu einem Spiegel und sah die Bescherung.

„Oh… dann richte ich rasch meine Haare und mache dann das Frühstück.“

André schüttelte grinsend seinen Kopf. Dann erhob er sich, angelte nach seiner Hose und zog sich diese über. Anschließend trat er hinter Oscar und gab ihr einen Kuss in ihren Nacken.

„Ich mach das schon. Keine Sorge.“

Kurz lächelte er sie an und machte sich anschließend auf den Weg nach unten. Nun schüttelte Oscar ihren Kopf und lächelte. Dann versuchte sie die restlichen Perlen und zerdrückten Rosen aus ihrem Haargewirr zu lösen. Ganz ohne eine leise Schimpftirade ging es jedoch nicht vonstatten. Aber diese wurde lauter, als sie versuchte die Haarteile zu entfernen. Sie saßen so fest, dass Oscar noch so sehr ziehen und zerren konnte, ohne dass sie ihre Position veränderten.

„Diese verdammten…“, grummelte sie.

Dabei legte sich auf einmal eine Hand auf ihre Schulter und Oscar zuckte zusammen und fuhr herum.

„Maman?“, kam es mit großen Augen.

„Ja, ich bin es mein Kind“, erwiderte ihre Mutter lächelnd.

„Aber… aber, was macht Ihr hier?“

„Einmal dachte ich mir bereits, dass du nicht mehr an deine Haare gedacht hast“, sprach sie mit einem Zwinkern.

„Dann haben dein Vater und ich euch etwas zu Essen bringen wollen. Sophie meinte es zu gut und hat etwas für euch beide eingepackt.“

„Aber das war doch nicht nötig.“

„Ich weiß, aber so ist sie nun einmal. Du kennst sie doch. Aber nun sehe ich mir das Chaos mal an.“

Oscar nickte kurz und hielt dann still. Ihre Mutter begann mit geschickten Bewegungen die Haarteile zulösen und von den schimpfen Worten ihrer Tochter ließ sie sich nicht stören. So dauerte es eine ganze Weile, bis Oscars Mähne, etwas gelockter als zuvor, ihr über die Schultern fiel.

„Nun bist du fertig. Jetzt zieh dich an, ich räume hier eben auf.“

„Das braucht Ihr nicht, Maman“, versuchte Oscar ihre Mutter davon abzuhalten.

„Schon gut, mein Kind. Aber ich möchte nur dein Kleid ordentlich aufhängen und wenn du dich eben ankleidest, kannst du deinen Vater auch begrüßen.“

Kurz seufzte Oscar und nickte anschließend ergeben. Dann ging sie ins Nebenzimmer, wo sie ein paar Truhen vorfand. Einen Teil davon hatte sie selber gepackt und so wusste sie, wo sie etwas Passendes zum Anziehen fand.

Währenddessen kümmerte sich Emilie grinsend um Oscars Hochzeitskleid. Sorgfältig wurde es von ihr über eine Ankleidpuppe gestreift und dann sorgfältig verstaut. Anschließend ging sie zum Ehebett und schlug die Decke beiseite. So entdeckte sie die Überbleibsel von Oscars Jungfräulichkeit. Emilie zog das Laken vom Bett und faltete es in groben Zügen zusammen. Anschließend machte sie das Bett neu und verließ daraufhin mit dem Laken vom Vorabend das Zimmer. Auf der Treppe traf sie mit Oscar zusammen, die sich im Gehen ihre Bluse richtete und ihr somit das Stück Stoff, dass Emilie vor sich hertrug, entging. Gemeinsam traten sie hinunter in die gemütliche Küche. Einer der wenigen Räume, die bereits komplett hergerichtet waren. Dort sah Oscar ihren Vater, der sie freudig anlächelte. André goss gerade frischen Tee in die bereit gestellten Tassen. Rasch begrüßte Oscar ihren Vater, dann half sie André beim Decken des Tisches. Währenddessen sah der General neugierig zu seiner Frau, die ihm das Laken reichte. Als er es mit Schwung öffnete, bemerkten dies auch Oscar und André. Genauso wie ihnen der Blutfleck nicht entging. André schluckte hart. Kurz wanderte sein Blick zu Oscar.

//Was? Aber... ich habe sie doch nicht verletzen wollen! Warum habe ich es nur nicht bemerkt?//, kam es ihm sofort in den Sinn.

//Ja, ich habe kurz Schmerz in ihren Augen gesehen, aber danach? Es war nichts mehr darin in dieser Art zu sehen...//

André raste gedanklich durch seine Erinnerungen. Er kannte Oscar und ihm war auch heute Morgen nicht aufgefallen, dass sie eventuelle Schmerzen haben könnte. Und als er nun kurz zu ihr sah, machte es noch immer nicht den Eindruck auf ihn, dass ihr etwas wehtat. Dann entsann er sich einmal, an ein Gespräch von zwei der Dienstmädchen auf dem Anwesen de Jarjayes. Die Schwester der einen hatte geheiratet und nach der Hochzeitsnacht war kein Blutfleck gefunden worden. Dies hatte die Familie des Ehemannes dazu veranlasst, die Bindung zu annullieren. Sie wollten keine Dirne, eine bereits 'berührte' Frau in ihren Kreisen haben. Nun wusste André, warum der General so eine fröhlich gestimmte Laune hatte.

Sein Engel hingegen drehte mit sich rötenden Wangen ihrem Vater den Rücken zu.

//War das die Folge unserer Vereinung? Wird das nun jedes Mal geschehen und wird Vater deswegen immer zu uns kommen? Ich verstehe das nicht. Mutter sagte, dass eine Ehe und die Vollziehung des Aktes mich zu einer vollständigen Frau machen. Ist das nun die Folge?//

Oscar war mehr als verwirrt, dazu kam ihre große Scham.

Ihr Vater strahlte jedoch übers ganze Gesicht. Er gab das Laken seiner Gemahlin zurück trat zu seinem Schwiegersohn. Kräftig schlug er ihm auf seinen Rücken, dabei bedachte er ihn mit einem anerkennenden Blick.

„Jetzt ist es Zeit für ein deftiges Frühstück, mein Sohn“, sprach er mit stolz geschwellter Brust.

Emilie trat zu ihrer Tochter und drückte sanft ihre Schulter.

„Schäme dich nicht, mein Kind. Es ist vollkommen normal. Du bist nun zur Frau geworden“, sprach sie leise auf sie ein.

"Das Blut ist das Zeichen deiner Jungfräulichkeit gewesen. Es zeigt deinem Vater, dass du vorher vollkommen unberührt gewesen bist und dass André wirklich mit dir eine Familie gründen will. Und sorge dich nicht, dies ist einmalig gewesen."

Oscar hob leicht ihren Kopf und sah sie an. Dabei konnte Madame de Jarjayes das harte Schlucken ihres Kindes nicht übersehen. So strich sie ihr sanft über die warmen Wangen.

„Mir erging es damals nicht anders. Glaube mir. Aber lass uns nun frühstücken. Vor allem du und André. Ihr müsst zu Kräften kommen. Gestern war ein sehr, sehr langer und anstrengender Tag.“

„Das ist wahr, aber er war auch wunderschön“, gab sie leise zu.

Das waren die einzigen Worte, die Oscar über ihre Lippen brachte. Mehr konnte sie nicht äußern. Auf einer Seite war sie entsetzt, dass ihr Vater ihr so etwas zugetraut hatte. Auf der Anderen hingegen, atmete sie auf, dass sie nun wirkliche eine Frau, Andrés Frau, war.

Emilie nickte, ohne die Gedanken ihrer Tochter zu erahnen, und gemeinsam frühstückten sie kurz darauf. Während anschließend die Frauen sich um den Abwasch kümmerten, besah der General das Haus und ließ sich Andrés Erklärungen dazu anhören. Etwas später folgten Oscar und Emilie ihnen und Madame de Jarjayes bot sich an, beim Gestalten zu helfen. Zudem wollte sie ein paar ihrer Rosenstöcke Oscar für den Garten geben, weil sie wusste, dass ihr Kind diese genauso liebte, wie sie selber. Darüber freute sich ihre Tochter sehr. So machte sie mit ihrer Mutter einen Abstecher in den ‚Garten’, um dort die Gestaltung zuplanen. Dabei stellte sich heraus, dass die Geschmäcker der beiden Frauen doch sehr ähnlich waren.

Oscar hatte niemals gedacht, so ein inniges Verhältnis zu ihrer Mutter aufzubauen und sie genoss es sehr.

Nach dem Mittagessen begann Oscar, mit der Hilfe ihrer Mutter, ihre Kleidung und die Andrés in den neuen Schränken zu verstauen.

Währenddessen holten General de Jarjayes und André die restlichen Hochzeitsgeschenke, die sich noch auf dem Anwesen befanden in das neue Haus. Dabei brachten sie auch Oscars und Andrés Pferde mit, die am Vortage ebenfalls zurück geblieben waren. Um diese zu holen, hätten sie zurück laufen müssen, da die Kutsche, nachdem sie sie abgesetzt hatte, zurück zum Anwesen gefahren war. Nun hatten sie alles da, was sie brauchten.

Am Abend, als Oscars Eltern abgereist waren, machten Oscar und André sich noch etwas ans Werk, so dass bald eine ganze Reihe an Mobiliar an ihrem Platz stand.

Später saßen sie in ihrem eigenen kleinen Salon. André hatte das Feuer im Kamin entfacht und nun saßen sie aneinander gekuschelt, bei einem Glas Rotwein, davor und genossen die Nähe des anderen.

„Was hältst du davon, wenn wir morgen nach Versailles reiten?“

„Du meinst, wegen der Königin?“

Oscar nickte bestätigend.

„Ja, sie wird gewiss alles erfahren wollen.“

„Das glaube ich auch. Dann sollten wir morgen früh direkt zu ihr. Am Nachmittag wollte ich hier am Haus weiterarbeiten.“

„Gut, ich werde dir dabei helfen.“

„Ich weiß, Liebste“, erwiderte André lächelnd

Oscar erwiderte sein Lächeln und anschließend küssten sie sich.

Da der Tag lang und anstrengend gewesen war, zogen sie sich früh zurück und schliefen dementsprechend auch sehr schnell ein.
 

~.~.~.~
 

Anmerkung: Der erkennbare Blutfleck auf dem Laken, war zur damaligen Zeit, dass Zeichen dafür, dass der Mann 'Willens' war, den 'Widerstand' der Frau zu brechen. Klingt merkwürdig, aber war leider so. Wäre kein Blut gefunden worden, wäre die Frau in Ungnade gefallen und ihr Ehemann hätte sie sogar 'zurückgeben' können. Das wäre zwar bei André gewiss nicht der Fall gewesen, aber dennoch habe ich es wegen der Richtigkeit drin gelassen. Daher gab es vorher keinen Akt zwischen André und ihr. Genauso, dass ihr Häutchen nicht zuvor eingerissen ist, auch wenn man es sich bei ihr durch ihren Dienst vorstellen kann.

Anstandsbesuch in Versailles

Am nächsten Morgen nach dem Frühstück machten Oscar und André sich auf dem Weg nach Versailles. Dabei merkte Oscar, dass dieser sich ein gutes Stück verlängert hatte. Aber stören tat es sie nicht, Hauptsache André war bei ihr. Lächelnd, wie die strahlende Sonne am Himmel, sah sie immer wieder zu ihm. Er spürte jeden ihrer Blicke und erwiderte somit ihr Lächeln. Da sie keine Eile hatten, verlief der Ritt in vollkommener Ruhe. Dabei unterhielten sie sich über vergangene Tage und Dinge die geschahen, als sie noch jünger waren.

„Erinnerst du dich noch daran, wie wir ausgerissen sind, um zu trainieren, obwohl ich es eigentlich nicht durfte?“

„Ja, ich entsinn mich. Es hat danach ziemliche Schelte deswegen gegeben.“

„Aber dennoch hat es uns nicht davon abgehalten“, erwiderte sie lachend.

„Das ist wahr“, kam es ebenfalls lachend von André.

So schwelgten sich Erinnerungen bis sie Versailles vor ihnen auftauchen sahen. Auf einer Anhöhe parierte Oscar und sah hinab auf das Bild, was sich ihnen bot. Neben ihr blieb André stehen.

„Was hast du?“

„Nichts. Ich erinnere mich gerade daran, wie es war, als wir das erste Mal hierher geritten sind. Und ich habe das Gefühl, als wäre ich seit Jahren fort gewesen.“

Leicht nickte André bei ihren Worten und ließ dabei den Anblick des Schlosses auf sich wirken.

„Es ist viel geschehen in den letzten Wochen und Tagen.“

„Ja, da stimme ich dir zu. Aber nichts davon bereue ich“, erwiderte Oscar und sah lächelnd zu ihm.

Er erwiderte ihr lächeln und beugte sich zu ihr, um sie zu küssen. Seine Liebste kam ihm entgegen und erwiderte den Kuss. Jedoch hielt sie ihn nicht lange an.

„Lass uns nun weiter. Desto schneller sind wir nachher auf dem Rückweg.“

„Du hast Recht.“

So ritten sie weiter auf das Schloss zu. Kurz bevor sie das erste Tor Versailles erreichten, bogen sie in Richtung der Stallungen ab. Man nahm ihnen dort ihre Pferde ab. Anschließend machten sie sich zu Fuß auf den weiteren Weg. So passierten sie die beiden Tore, ohne dass man sie aufhielt. Daher betraten sie kurze Zeit später den Palast und machten sich auf den Weg in Richtung Marie Antoinettes Salon, nachdem sie erfahren hatten, dass diese sich dort aufhielt. Man meldete sie bei der Königin an, die nun vollkommen erfreut auf sie wartete. So traten Oscar und André ein, gingen vor ihr auf die Knie und senkten dabei ihre Häupter.

„Oscar, André, meine Freunde“, begrüßte Marie Antoinette sie lächelnd.

„Bitte, erhebt Euch.“

„Ich danke Euch, Eure Majestät“, erwiderten die beiden und erfüllten dann den Wunsch der Königin, die dabei auf sie zu trat.

Kurz zögerte sie, doch dann Schloss sie die Freundin in die Arme.

„Ich beglückwünsche Euch, Oscar. Und auch Euch, André“, sprach sie lächelnd.

„Aber lasst uns setzen und einen Tee zu uns nehmen. Dann müsst Ihr mir berichten. Ich wäre so gern dabei gewesen. Aber leider hatte ich nicht die Möglichkeit, mir waren die Hände gebunden“, plapperte Marie Antoinette vor sich hin und ließ sich dabei an einem Tisch nieder.

Oscar und André folgten ihr und setzten sich zu ihr. Dann begannen sie von der Feier und der Zeremonie zu berichten. Dabei wurden sie immer wieder von der Königin unterbrochen, die alles ganz genau erfahren wollte.

„Ihr habt ein Kleid getragen, Oscar? Ich hätte es sehr gern gesehen. Bitte beschreibt es mir genau, ja?“

Ergeben nickte die junge Frau und erzählte ihr, wie das Kleid ausgesehen hatte. Dabei klatschte Marie Antoinette freudig in die Hände.

„Ihr müsst wie eine Prinzessin ausgesehen haben. Ist ein Gemälde von Euch angefertigt worden? Oder habt Ihr eines in Auftrag gegeben? Ich würde es gern einmal sehen.“

„Nein, Eure Majestät. Wir haben keines in Auftrag gegeben. Vielleicht meine Eltern.“

„Oh, schade“, kam es eine Spur trauriger.

„Es tut uns leid, Eure Majestät“, sprach André ruhig.

Kurz seufzte die Königin, dann aber änderte sich ihre Mine.

„Aber berichtet nun bitte weiter. Ich möchte einfach alles wissen.“

So schilderte Oscar und André in abwechselnder Reihefolge von den Feierlichkeiten. Als sie endeten reichte Oscar ihr ein Tuch mit Hochzeitsmandeln.

„Für Euch, auch wenn Ihr nicht anwesend sein konntet, Eure Majestät.“

Lächelnd nahm die Königin es entgegen.

„Oh, vielen Dank. Aber sagt, wo lebt Ihr nun? Was tut Ihr?“

André begann von dem Haus zu erzählen, wie er es für nur für seine Oscar herrichtete.

„Das muss ein Traum sein. Erzählt bitte weiter“, unterbrach Marie Antoinette ihn kurz.

Er nickte und begann weiter zu berichten. Jedoch war dies ein schwieriges Unterfangen, da er immer wieder von Ausrufen und Fragen der Königin gestört wurde. Innerlich hoffte er bald mit Oscar wieder nach Hause reiten zu können. Aber sein Wunsch sollte so schnell nicht erhört werden. Als er mit seinem Bericht endete, nickte die Königin leicht. Dann sprang sie auf einmal auf.

„Ich vergaß vollkommen, Euch Euer Hochzeitsgeschenk zu überreichen.“

„Aber das ist doch nicht nötig, Eure Majestät“, versuchte Oscar sofort einzulenken.

„Warum? Es möchte Euch nur eine Freude bereiten. Also nehmt es.“

Die Königin eilte durch ihren Salon und trat kurz darauf mit einer kleinen goldenen Schatulle zu ihnen zurück. Diese reichte sie Oscar, aber diese hob abwehrend ihre Hände, genauso wie André es kurz darauf tat.

„Wir sind Euch zu Dank verpflichtet, Eure Majestät und Eure Glückwünsche bedeuten uns viel mehr, als Gold oder Edelsteine.“

„Oh…“, kam es etwas überrascht von ihr.

„Ich wollte Euch nur eine Freude bereiten.“

„Das wissen wir, Eure Majestät.“

Marie Antoinette stellte die Schatulle auf dem Tisch ab und ließ sich wieder nieder.

„Aber wovon lebt Ihr nun? Ihr Oscar seit nicht mehr in der Garde und Ihr André?“

„Ich arbeite an einer Mühle. Die Arbeit ist hart, aber dafür bekomme ich sehr gutes Geld.“

Die Königin schien zu überlegen, als sei seine Worte vernahm. Dann hellte sich auf einmal ihre Miene auf.

„Ich habe eine famose Idee. Euch André werde ich zu einem Stallmeister ernennen. Ihr seid mit dem Umgang mit Pferden vertraut, dies habt Ihr schon früh bewiesen und ich bin mir sicher, dass diese Arbeit Euch zusagen wird. Was haltet Ihr davon?“

André sah zu Oscar, die seinen Blick erwiderte.

„Vielen Dank, für dieses Angebot, Eure Majestät. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich dieser Aufgabe gewachsen bin.“

„Was sagt Ihr da, André? Ihr seid sehr geschickt und ich bin mir sicher, dass Ihr die Aufgaben, die Euch bevorstehen, mit Sicherheit lösen könnt.“

Er konnte nicht unterdrücken für einen Moment auf seiner Unterlippe zu kauen.

„Diese Ehre, Eure Majestät, ist sehr, sehr großzügig“, bei diesen Worten sah er von Marie Antoinette zu Oscar herüber.

„Jedoch erbitte ich mir etwas Bedenkzeit.“

„Wie Ihr wünscht, André. Aber lasst mir in Bälde Eure Entscheidung zukommen.“

„Natürlich, Eure Majestät.“

Bei seinen Worten verneigte er sich leicht.

„Und was ist mit Euch, Oscar? Ihr werdet mich wieder häufiger besuchen, oder?“

„Wenn es meine Zeit mir erlaubt, werde ich dies sehr gern tun, meine Königin.“

„Ich würde mich sehr darüber freuen, meine Freundin.“

Kurz rieb Marie Antoinette sich ihr Kinn, dann lächelte sie Oscar an und ergriff dabei deren Hände.

„In letzter Zeit war es hier so ruhig. Bitte schlagt mir diesen einen Wunsch nicht ab. Lasst mich zu Eurer und Andrés Ehren einen Ball veranstalten. Einmal möchte auch ich Euch in einem Kleid betrachten dürfen, meine Freundin.“

Wieder tauschten Oscar und André ihre Blicke aus, dann nickten beide. Es war ihnen nicht Recht, aber sie wollten es der Königin nicht mitteilen.

„Sehr gern, Eure Majestät.“

Freudig klatschte diese sofort in die Hände.

„Ich werde alles vorbereiten. Es wird gewiss wunderschön werden.“

Nun erhob sich die Königin wieder und rief nach einer ihrer Dienstmädchen.

„In drei Tagen soll der Ball stattfinden“, sprach sie im Gehen in Oscar und Andrés Richtung.

Dann teilte sie dem Mädchen mit, dass alle Vorbereitungen getroffen werden sollten. Diese nickte, machte einen tiefen Knicks und verließ rasch den Salon, um ihren Anweisungen Folge zu leisten.

Marie Antoinette wand sich wieder zu ihren Gästen.

„Ich werde diesen Ball mit Freude erwarten. Aber nun muss ich mich leider entschuldigen, ich muss meinen Pflichten nachkommen.“

Das Ende ihres Satzes wurde mit einem Seufzer von ihr untermalt. Oscar und André taten, als hätten sie dies nicht vernommen. So erhoben sie sich und verbeugten sich anschließend.

„Wir danken Euch, Eure Majestät.“

„Ich habe zu danken.“

Lächelnd sah Marie Antoinette die beiden noch an, dann eilte sie davon. Als das Paar alleine war, atmeten sie auf. Jedoch bevor sie sich auf den Rückweg machten, baten sie noch um eine kurze Audienz beim König, um sich bei ihm zu bedanken. Dieser nahm sich kurz Zeit für die Beiden. Auch er gratulierte ihnen und wünschte ihnen alles Gute. Zudem bedankte er sich bei ihnen für die vielen Jahre ihrer Treue und Loyalität gegenüber dem Königshaus. Dann jedoch musste er sich entschuldigen. Oscar und André verbeugten sich vor ihm, anschließend verließen sie das Schloss und Versailles.

Schweigend verlief ihr Heimweg. Oscar bemerkte, dass André etwas bewegte. Jedoch versuchte sie ihm die Zeit zugeben, damit er selber aussprach, was er empfand. Und dies strapazierte etwas ihre Geduld, denn André begann erst wieder zu sprechen, als sie ihr Haus fast erreicht hatten.

„Was denkst, du über das Angebot der Königin?“

„Wegen dem Posten als Stallmeister?“

André nickte, jedoch sah er sie dabei nicht an.

„Es wäre kein schlechter Posten und ich weiß, dass du ihn mit Bravour meistern würdest“, antwortete sie ehrlich.

„Aber ich stehe zu jeder deiner Entscheidung, Liebster“, setzte sie noch hinzu.

Nun sah André in ihre Richtung.

„Ich danke dir. Im Moment bin ich mir einfach nicht sicher. Verstehe mich bitte nicht falsch, ich bin der Königin wirklich für ihr Angebot dankbar, jedoch verspüre ich zeitgleich ein ungutes Gefühl. Wenn ich diese Arbeit annehme, komme ich mir wie ein Günstling vor und das möchte ich nicht sein“, sprach er und senkte kurz darauf seinen Blick.

Oscar trieb ihren Schimmel etwas dichter an Andrés Braunen heran. Sanft legte sie ihre Hand auf seine Schulter.

„Wie du dich auch entscheidest, ich bin und bleibe auf ewig bei dir. Und ich weiß, dass du richtig und weise entscheiden wirst.“

Leicht drehte er seinen Kopf in ihre Richtung und küsste kurz darauf ihre Finger.

„Ich danke dir, Liebste.“

Nun lächelte Oscar ihn an und ihre Augen leuchteten dabei, wie zwei kristallklare Seen.

„Was hältst du davon, wenn wir auf dem letzten Stück ein kleines Wettreiten veranstalten, so wie früher?“

Bei ihren Worten begannen seine Augen ebenfalls zu erstrahlen.

„Wenn du eine Niederlage einstecken möchtest, können wir dies gerne tun“, erwiderte er mit einem Zwinkern.

„Das werden wir ja sehen. Auf drei.“

André nickte und auf Kommando galoppierten die beiden querfeldein auf ihr Haus zu. Oscar genoss den Wind dabei in ihren Haaren, es ließ sie so unsagbar frei fühlen und André spürte dies. Zudem kannte er seinen Engel und niemals würde er ihr diese Freiheit nur im Geringsten nehmen wollen. Jedoch schenkten sie sich bei diesem kleinen Rennen nicht einen Zentimeter. Kopf an Kopf erreichten sie den kleinen Stall der neben dem Haus stand.

„Entweder bist du besser geworden oder ich brauche etwas Training“, kam es halb lachend und halb jappend von Oscar.

Auch Andrés Atem ging stoßweise.

„Wer weiß, vielleicht ein bisschen von beiden“, erwiderte er dennoch grinsend.

„Wird du mir nicht frech", drohte Oscar ihm spielerisch.

„Was sonst? Ich bin doch dein Gemahl und diesem würdest du doch niemals etwas antun, oder?“

„Das werde ich mir überlegen.“, kam es ruhig, als sie sich vom Rücken ihres Schimmels schwang.

„Und das soll bedeuten?“, hakte André nach.

„Du hast Recht, dass du mein Gemahl bist, aber bedeutet dies auch gleichzeitig, dass ich alles tun muss, was du mir sagst?“

„Das habe ich doch gar nicht gesagt. Und du weißt doch, dass ich dich niemals zu etwas zwingen würde, was du nicht machen möchtest“, erwiderte er sofort.

Lachend trat Oscar zu ihm, legte dabei ihre Arme um ihn und schmiegte sich an seine Brust.

„Das weiß ich, Liebster. Dafür bin ich dir auch mehr als dankbar. Und ich würde nicht gegen dein Wort agieren. Das verspreche ich dir und das aus vollkommen freien Willen.“

André lächelte sie zärtlich an und küsste sie kurz darauf. Dabei hob er sie auf seine Arme und trug sie in das gemeinsame Haus, in dem sie noch einen ruhigen Abend miteinander verbrachten.

Ein unverhofftes Wiedersehen

In den Tagen, die bis zum Ball vergingen, waren Oscar und André damit beschäftigt, ihr Haus weiter herzurichten, so dass es immer wohnlicher wurde.

Ab und zu schaute auch Sophie bei ihnen rein, um ihnen zu helfen und natürlich um sich zu vergewissern, dass alles im Lot war und es den beiden gut ging.

So verflog die Zeit und bald war es soweit. Ihre Amme hatte ihr ein paar Kleider vorbei gebracht, die sie ihr vor Jahren genäht hatte, und eines dieser wollte sie heute Abend tragen. Sie waren einfach gearbeitet und daher hoffte Oscar mit diesen besser klar zukommen, als mit ihrem Hochzeitskleid. Ihre Wahl fiel auf ein schlichtes Kleid, mit einer einfachen Bordüre am Saum und an den Ärmeln. Die verschiedenen Blaunuancen, in denen das Kleid gefertigt war, passten wunderbar zu ihren blonden Haaren und fanden sich ebenfalls in der Farbe ihrer Augen wieder.

Auch wenn Oscar ziemlich viel Zeit zum Anziehen benötigte, bekam sie dadurch etwas. Übung. Sie wollte zwar nicht jeden Tag ein Kleid tragen, sondern nur bei besonderen Anlässen, aber dafür konnte sie sich nicht immer Hilfe bei ihrer Mutter oder bei Sophie suchen. Ihr war bewusst, dass sie irgendwann nicht mehr da sein würden und dann wäre sie auf sich allein gestellt.

Oscar seufzte und versuchte nun ihr blondes Haar zu bändigen. Jedoch klappte es nicht so, wie die junge Frau es sich vorgestellt hatte. Leise fluchend landete so ihre Haarbürste vor ihrem Frisierspiegel.

//Ich hätte bei Maman mehr aufpassend müssen!//, tadelte sie sich in Gedanken, wobei sie ihr Spiegelbild genau betrachtete.

//Hoffentlich geht der Abend schnell vorbei…//

Kurz seufzte sie abermals, dann ergriff sie erneut ihre Bürste und versuchte ihr Glück.

Als André eine knappe halbe Stunde später ins Zimmer trat, blieb er stehen und beobachtete Oscar, die mit dem Rücken zu ihm stand und sich ihre Kette umlegte. Um sie nicht zu erschrecken, räusperte er sich dezent, sodass sie sich zu ihm drehte und ihr Kleid dabei elegant mitschwang.

„Oh, André. Müssen wir nun aufbrechen?“

André hatte mit seinem Blick jede ihrer Bewegungen genau verfolgt.

„Ja, gleich. Ich wollte nur sehen, wie weit du bist.“

„Wie du sehen kannst, bin ich wohl fertig“, kam es wieder seufzend.

„Wohl? Wie darf ich das verstehen?“

„Sie mich doch an… Schau wie das Kleid sitzt… die Haare…“

Innerlich grinste André.

//Ich wusste gar nicht, dass Oscar so eitel sein kann.//

„Ich finde, dass du wunderschön aussiehst. Das Kleid passt sehr gut zu dir und deine Haare fallen auch sehr schön, soweit ich dies beurteilen kann, Liebste.“

Prompt schoss Oscar die Röte in die Wangen.

„Findest du wirklich?“, fragte sie leise nach.

„Aber ja. ich würde dich niemals belügen“, erwiderte André mit einem ehrlichen Blick, wobei er zu ihr trat, um ihr einen Kuss zugeben.

Oscar kam ihm entgegen und sie küssten sich kurz.

„Wir müssen nun los.“, sprach André, als er sich von ihr löste.

Seine Liebste nickte und seufze kurz.

„Ich hoffe, dass wir schnell wieder zurück kommen.“

„Mir geht es genauso.“

Gemeinsam verließen sie das Haus und bestiegen anschließend die wartende Kutsche, die ihnen Oscars Vater zur Verfügung gestellt hatte. Mit dieser machten sie sich auf den Weg in Richtung Versailles, wo man sie bereits auf das sehnlichste erwartete. Kaum das sie den Spiegelsaal betreten hatte, begann das Getuschel innerhalb der anwesenden Adeligen. Es waren nicht unbedingt negative Dinge, aber dennoch konnte Oscar, wie auch André dies nicht leiden. Zudem standen sie nicht gern im Mittelpunkt des Geschehens.

Kurz nach ihrem Eintreffen, wurde die Ankunft des Königspaares bekannt gegeben. Alle Anwesenden, Oscar und André eingeschlossen, bildeten eine Gasse und verbeugten sich höflich, als der König und die Königin entlang gingen. Bei Oscar stoppte Marie Antoinette sofort.

„Lady Oscar“, kam es erfreut.

„Eure Majestät“, erwiderte diese und hielt die Verbeugung.

„Bitte erhebt Euch“, sprach die Königin und musterte Oscar dabei genau.

„Ihr seht wunderschön in diesem Kleid aus. Ihr müsst mir unbedingt verraten, wo Ihr dieses habt anfertigen lassen“, plapperte sie weiter.

„Es ist wie ein Traum.“

„Vielen Dank, Eure Majestät“, antwortete Oscar.

Jedoch mehr sagen konnte sie nicht, da die Königin sie darum bat, ein paar Schritte mit ihr zu gehen. So folgte Oscar ihr, dabei seufzte sie innerlich. Immer wieder wurde sie mit Fragen von Marie Antoinette überschüttet und sie beantwortete sie so gut sie konnte und man ihr die Chance dazu gab.

André war auf seiner Position geblieben und sah von dort aus seiner Liebsten hinterher.

//Du tust mir leid, Oscar.//

Während er seinen Gedanken nachhing, trat ein Mann zu ihm. Dessen Blick folgte Andrés. Da aber die Königin und Oscar bereits ein gutes Stück gegangen waren, konnte man sie kaum noch erkennen.

„André, mein Freund. Wir haben uns eine ganze Weile nicht mehr gesehen.“

Sofort drehte sich der Angesprochene um und erkannte diesen.

„Graf von Fersen. Ja, das ist wahr. Oscar und ich waren lange nicht mehr in Versailles, abgesehen von ein paar kurzen Besuchen.“

„Das ist mir zu Ohren gekommen, dass Lady Oscar nicht mehr in der königlichen Garde dient.“

André nickte zur Antwort.

„Aber sagt mir, wo ist sie? Ich habe sie noch nicht entdecken können.“

„Die Königin hat sie gebeten mit ihr zu kommen, aber ich denke, dass sie bald wieder hier ist und Ihr sie begrüßen könnt.“

„Das hoffe ich doch sehr. Ich würde sie zumindest gerne begrüßen.“

„Die Chance werdet Ihr gewiss erhalten, Graf“, erwiderte André.

Von Fersen nickte und entschuldigte sich, um sich etwas zu trinken zu holen. André schenkte ihm keine wirkliche Beachtung mehr und ließ seinen Blick schweifen, um Oscar wieder zu finden.

Derweil wurde der Graf argwöhnisch von einigen Anwesenden begutachtet und das Getuschel wurde wieder lauter. Aber er ignorierte es, wie er es immer tat.

Mit einem Glas Rotwein trat er an die große Fensterfront, um sich umzusehen. Von dort hatte er im Moment den besten Überblick.

Die anwesende Kapelle begann aufzuspielen und die ersten Paare begannen zu tanzen. Von Fersen schaute diesem regen treiben gelassen zu, doch dann entdeckte er eine Dame. Er trank einen Schluck und beobachtete sie genau.

//Wer ist sie? In Versailles habe ich sie noch nie gesehen.//

Er leerte sein Glas mit einem weiteren Zug und stellte es dann auf einem Tablett, welches ein Diener vorbei trug, ab. Anschließen richtete er sich seine Jacke und ging auf die Dame zu.

„Entschuldigt, dass ich mich erdreiste und Euch direkt anspreche“, begann der Graf mit einer leichten Verbeugung.

„Aber ich glaube, ich habe Euch noch nie hier in Versailles gesehen.“

Da sie mit dem Rücken zu ihm stand, drehte sie sich nun und sah ihn direkt an.

„Graf von Fersen. Ihr seid es“, begrüßte Oscar ihn freundlich lächelnd.

Dieser erhob sich und sah sie direkt an.

„Ihr kennt mich?“

„Aber natürlich. Ich bin es. Oscar Francois.“

„Lady Oscar?“

Die Augen des Grafen weiteten sich, er hatte sie wirklich im ersten Moment nicht erkannt. Unbemerkt schluckte er und musterte sie dabei unauffällig.

„Verzeiht, mir war nicht bekannt, dass… dass Ihr …“, stammelte er leicht verlegen.

Dezent lachte Oscar hinter vorgehaltener Hand.

„Das Ihr mich nicht erkannt habt? Dies liegt gewiss an meiner Kleidung.“

„Ich bin wirklich überrascht“, mit diesen Worten gab er ihr einen Handkuss.

Oscar hielt dabei still, als er sie dann um einen Tanz bat, sagte sie ihm mit einem Nicken zu. So führte er sie auf die Tanzfläche und begann sich mit ihr zu bewegen. Kaum das die ersten Takte verklungen waren, machten immer mehr der Anwesenden Platz, um sie tuschelnd zu beobachten.

„Ihr seht wirklich wunderschön aus, Oscar“, sprach von Fersen zu ihr.

„Ich danke, Euch. Es ist noch etwas ungewohnt für mich.“

„Das glaube ich Euch gern. Werdet Ihr nun häufiger auf Bällen anwesend sein?“

„Nein, das ist heute nur eine Ausnahme.“

„Also hat sich Eure Einstellung nicht geändert“, erwiderte von Fersen mit einem Zwinkern.

Seine Worte ließen Oscar leicht auflachen.

„Ich würde sagen, dass Ihr es genau erfasst habt, Graf.“

Dieser lachte ebenfalls mit und bewegte sich dabei weiter mit ihr zur Musik.

„Jedoch find ich es äußerst schade, wenn Ihr Eure Schönheit uns entzieht“, erwiderte er charmant, dabei näherte er sich ihr.

Aber Oscar wich etwas zurück und hielt dabei ein höfliches Lächeln.

„Es ist meine Entscheidung, Graf.“

„Aber warum, Lady Oscar? Bitte erklärt es mir.“

Von Fersen gab nicht auf und folgte ihr weiter, dabei zeigte er ein sanftes Lächeln.

„Habt Ihr nicht erfahren, was geschehen ist?“, fragte Oscar nach.

„Nein, wovon sprecht Ihr?“

„Ich bin aus der königlichen Garde ausgeschieden, um zu heiraten.“

Kaum hatte Graf von Fersen ihre Worte vernommen, stoppte er sofort und sah sie mit großen Augen an. Oscar kicherte dezent bei dessen Gesichtsausdruck.

„Aber… Ihr?“, stammelte der Graf erneut.

Mir ihren Worten hatte er nicht gerechnet.

„Wer ist der Glückliche, den Ihr erwählt habt?“

Als hätte André gewusst, dass man nun nach ihm verlangte, trat er zur Tanzfläche und Oscar entdeckte ihn sofort.

„Ihr habt mich richtig verstanden, Graf. Seit geraumer Zeit bin ich vermählt. Und der Glückliche?“

Oscar drehte sich leicht, wobei ihr Kleid leicht mitschwang, was der Graf mit einem unmerklichen Schlucken reagieren ließ. André sah es und trat lächelnd zu ihr und ergriff dabei ihre Hand.

„An… André?“, brachte von Fersen.

Dieser nickte ihm zu und lächelte anschließend Oscar an, die sich sachte an ihn schmiegte. Das musste der Graf erst einmal verdauen, dann trat er zu André und reichte ihm seine Hand.

„Ich möchte Euch gratulieren. Eigentlich hätte ich es mir denken können. Ich gratuliere herzlich.“

André ergriff dessen Hand und schüttelte diese kurz. Dabei konnte er den Ring an seiner Hand sehen, genau wie er den bei Oscar nun sah.

„Vielen Dank, Graf. Wir sind glücklich. Vielleicht wollt Ihr uns einmal besuchen.“

„Sehr gern, mein Freund. Wenn ich es einrichten kann, werde ich diese Einladung sehr gern annehmen.“

Oscar und André nickten ihnen zu. Dann verließen sie zusammen die Tanzfläche, um sich etwas zu trinken zu holen. Dabei unterhielten sie sich über verschiedene Dinge. Das von Fersen Oscar immer wieder genau betrachtete konnte er nicht unterdrücken.

//Ich muss wirklich blind gegenüber ihrer Schönheit gewesen sein. Und sie nun in diesem Kleid bei André zu sehen…//

Dieser bemerkte den Blick des Grafen und drücke so Oscar etwas mehr an sich. Diese schien der Blick entgangen zu sein und genoss daher Andrés Nähe. Von Fersen merkte, dass er keine Chance hatte, so leerte er sein Glas und ließ seinen Blick wandern.

Doch auf einmal trat Unruhe ein. Ein Bote kam herein gestürzt. Man hielt ihn jedoch sofort am Eingang des Saales auf.

„Ihr könnt hier nicht weiter“, sprach einer der Wachen streng.

„Aber ich muss. Ich habe eine wichtige Meldung für Madame und Monsieur Grandier“, erwiderte der Bote und versuchte sich aus dem harten Griff zu lösen.

Oscar und André war der Tumult am Eingang nicht entgangen und als sie ihre Namen hörten, sahen sie sich kurz an und traten anschließend zügigen Schrittes zu dem Boten.

„Wir sind hier, um was geht es? Was für eine Meldung?“, begann Oscar sofort.

Man ließ den Boten los und dieser atmete kurz durch.

„Euer Vater, der General schickt mich. Es geht um Eure Mutter.“

„Bitte? Was ist mit ihr?“, erwiderte sie sofort und trat dabei einen Schritt auf ihn zu.

„Madame de Jarjayes ist zusammen gebrochen. Ein Arzt ist bereits auf dem Weg zu ihr. Aber der Wunsch Eurer Mutter war es, Euch zu sehen. Daher schickte man mich.“

Oscars Augen weiteten sich und besorgt sah sie André an. Dieser nickte nur kurz.

„Dann sollten wir sofort aufbrechen.“

Bei diesen Worten ergriff er Oscars Hand und erst mit zügigen und dann laufenden Schrittes verließen sie das Schloss. Auf die Kutsche zu warten, dauerte zu lange. Da der Bote ihnen gefolgt war, fuhr Oscar ihn an, dass er ihnen sein Pferd überlassen sollte. Wirklich eine Chance hatte der Bote nicht und deutete auf einen Fuchs, der von einem Diener gehalten wurde. Zu diesem liefen sie und André nahm die Zügel an sich. Anschließend half er Oscar auf den Rücken des Tieres und setzte sich sofort hinter sie. Dabei trieb er das Pferd bereits an, sodass es kurz stieg, dann sprengte es in wildem Galopp los.

Oscar hielt sich fest und sah kurz zu André.

„Was ist nur geschehen?“

„Ich weiß es nicht.“

„Mir geht es genauso. Als ich sie zuletzt vor ein paar Tagen sah, ging es ihr gut. Sie machte nicht den Eindruck auf mich, dass sie krank wäre.“

André nickte kurz und konzentrierte sich wieder auf den Weg. Oscar schwieg etwas, doch dann sah sie abermals zu ihm.

„Bitte beeile, dich.“

„Ich gebe mein bestes, Oscar. Aber das Pferd ist ziemlich erledigt und schneller kann es nicht mehr.“

Besorgt nickte Oscar und sah dann wieder nach vorne. Sie hoffte, bald ihr Elternhaus in der Ferne ausmachen zu können.
 

~.~.~.~
 

Anmerkung: Zeitlich spielt es vor von Fersens Abreise nach Amerika, also kennt er Oscar nicht im Kleid.

Eine Kerze in der Nacht

Die Zeit schien stehen geblieben zu sein für Oscar, obwohl die Landschaft an ihr vorbei flog. Sie machte sich große Sorgen um ihre Mutter. Was war ihr nur geschehen?

Endlich erreichten sie das Anwesen. Oscar sprang vom Pferd herunter. Dabei litt ihr Kleid etwas, da sie hängen blieb. Ein tiefer Riss was entstanden, aber das war in diesem Augenblick Oscar vollkommen egal. Kurz raffte sie ihr Kleid und rannte die Treppe empor, wo ein Bediensteter die Türe bereits für sie geöffnet hatte. Auf der Treppe zum oberen Stockwerk kam ihr Arzt Dr. Raçon entgegen. Sofort blieb sie stehen und sah ihn abwartend an.

„Dr. Raçon. Was ist mit meiner Mutter?“

„Lady Oscar“, erwiderte er, als er sein Gegenüber erkannte.

„Nun, Eure Mutter ist vor ein paar Stunden zusammen gebrochen.“

„Vor ein paar Stunden bereits? Warum hat man solange gezögert, mich darüber zu informieren?“, fuhr sie den Arzt direkt an.

„Was ist nun mir ihr?“

„Eure Mutter hat ein Kind unter ihrem Herzen getragen. Aber ihr Gesundheitszustand war schon sehr lange nicht mehr der Beste. Sie hat ein schwaches Herz.“

Oscars Augen weiteten sich, je mehr sie erfuhr.

„Und was ist geschehen?“

„Ihr Körper hat die Schwangerschaft nicht verkraftet, auch wenn diese sich erst im Anfangsstadium befand. Sie hat das Kind verloren.“

Die junge Frau spürte Tränen in sich aufsteigen, leicht schüttelte sie dabei ihren Kopf.

„Das kann doch nicht wahr sein, Dr. Raçon. Vor ein paar Tagen ging es ihr doch noch gut.“

„Dies ist gewiss möglich und ich streite es auch nicht ab, aber Eure Mutter hat von der Schwangerschaft scheinbar nichts gewusst.“

„Wie soll das möglich sein, Dr. Raçon? Sie hat bereits sechs Kinder.“

„Ich weiß, Lady Oscar. Die genaueren Umstände sind mir nicht bekannt. Ich kann Euch nur mitteilen, dass sie das Kind verloren hat. Und dies führte dazu, dass sie nun unter einem sehr starken Blutverlust leidet. Ich habe ihr einige Mittel zum Stabilisieren gegeben, jedoch hat sie bis jetzt noch nicht darauf reagiert. Sie steckt mitten in einer Krise und wenn sie diese nicht bis nächsten Morgen übersteht, sehe ich leider keine Chancen mehr für sie. Es tut mir leid.“

Als er endete, senkte er seinen Kopf und trat an ihr vorbei. André hatte den größten Teil des Gespräches verfolgen können. Nun trat er zu Oscar und nahm sie in den Arm.

„Sie wird bestimmt wieder gesund“, sprach er leise.

Kurz drückte Oscar sich dicht an ihn, doch dann löste sie sich von ihm und sah ihn mit schimmernden Augen an.

„Und wenn nicht? Hast du nicht gehört, was Dr. Raçon gesagt hat?“

„Ja, das habe ich. Aber ich hoffe und bete zu Gott, dem Allmächtigen, dass er seine schützende Hand über sie hält.“

Oscar nickte und sah die Treppe empor.

„Ich muss sofort zu ihr.“

„Tu das. Soll ich dich begeleiten oder möchtest du lieber alleine gehen?“

„Verzeih mir, aber ich möchte erst alleine bei ihr sein. Wenn etwas ist, rufe ich nach dir.“

„Natürlich, Liebste.“

Sanft gab er ihr einen Kuss auf die Stirn. Anschließend sah er ihr hinterher, wie sie die vielen Stufen empor eilte. Leise seufzte er und machte sich auf den Weg in die Küche.

Je näher Oscar dem Schlafgemach ihrer Eltern kam, desto unruhiger wurde sie. Zudem breitete sich eine tiefe Angst in ihr aus. Als sie die Tür erreichte, zögerte sie mit dem Anklopfen. Oscar atmete tief durch und ermahnte sich innerlich. Dann hob sie ihre Hand und klopfte leise. Jedoch ohne eine Reaktion. So wiederholte sie es. Aber auch dies blieb ohne Antwort. Daher begann sie leicht am Körper zu zittern und darüber hatte sie keine Kontrolle. Ganz vorsichtig glitt ihre Hand zur Türklinke, die sie sachte herunter drückte. Als sie dann die Tür langsam aufschob, verspürte sie einen leichten Windzug, der ihr wie ein schlechtes Omen vorkam. Ihr erster Blick fiel auf die Kerze, die die einzige Erleuchtung in dem abgedunkelten Raum war. Deutlich konnte sie sehen, wie die Flamme durch den Windzug hin und her tanzte und teils drohte zu erlöschen. Oscar wusste, was dies bedeutete. Man hatte ihre Mutter aufgegeben. Hart schluckte Oscar die Tränen herunter und betrat langsam das Zimmer.

Ihre Augen begannen sich dabei an das dämmrige Licht zu gewöhnen, so konnte sie eine Gestalt am Bett ausmachen, die vor diesem kniete. Es war ihr Vater, der zusammen gesunken dort saß und keine Regung von sich gab. Oscars Herz zog sich immer weiter zusammen. Erst recht, als sie neben ihm stand. Auch wenn die Kerze kein direktes Licht spendete, konnte sie das aschgraue Gesicht des Generals erkennen. Er wirkte stark gealtert. Seine Hände waren zu einem stummen Gebet gefaltet und Oscar sah Spuren von Tränen auf seinen Wangen.

Als sie aufsah, konnte sie direkt ihre Mutter erblicken. Nun zog sie ihr Herz noch mehr zusammen. Sie lag in ihrem Bett, ihre Wangen waren leicht eingefallen und ihre Haut war so bleich, wie die Bettwäsche. Irgendwie machte sie auf Oscar den Eindruck, als wäre sie bereits für immer eingeschlafen. Aber das schwere Heben und Senken ihres Brustkorbes zeigte ihr deutlich, dass ihre Mutter noch lebte.

Im Raum war es still und jeder Schritt Oscars der durch das leichte Rascheln ihres Kleides untermalt wurde, schien unendlich laut zu sein. Langsam trat sie um das Bett herum, um die Hand ihrer Mutter zu ergreifen. In dem Moment begann der General zu sprechen.

„Sie schläft jetzt. Sie braucht es“, kam es heiser.

Sofort sah Oscar auf. Deutlich hatte sie die Tränen in seiner Stimme gehört und es fiel ihr schwer, sich selber zurück zuhalten.

„War sie bereits wach?“, fragte sie leise nach, als sie den Klos ihm Hals herunter geschluckt hatte.

Der General schüttelte seinen Kopf, wobei Oscar ein leichtes Glitzern auf seinen Wangen sehen konnte.

„Sie befindet sich in diesem Zustand, seit vorhin.“

„Bitte sagt mir, was geschehen ist, Vater.“

„Emilie hat sich seit heute Morgen nicht wohl gefühlt. Sie war der Meinung sich den Magen verdorben zu haben. Und im Salon ist sie vor meinen Augen zusammen gebrochen.“

Oscar biss sich auf die Lippen, sodass jegliche Farbe aus diesen wich, als sie sah, wie ihr Vater zu schluchzen begann. Langsam ging sie wieder zurück zu ihm, dabei hatte sie das Gefühl kaum vorwärts zu kommen. Als sie neben ihm stehen blieb, legte sie ihre Hand auf seine Schulter, wodurch sein Schluchzen sich noch verstärkte. Dann drehte er seinen Oberkörper zu ihr und krallte sich in Oscars Kleid. Die junge Frau hatte mir so einer heftigen Reaktion ihres Vaters nicht gerechnet, aber sie schaffte es dennoch, nicht von ihm ungeworfen zu werden. Nun, wo er sich an ihr festhielt und ihre Stütze suchte, verspürte sie noch mehr sein Schluchzen und Zittern. So begann sie vorsichtig ihm über seinen Kopf zu streicheln, sowie ihre Mutter es bei ihr immer getan hatte.

„Ich will sie nicht verlieren“, kam es gedämpft von ihrem Vater.

Oscar schluckte hart, bei diesen Worten, aber unterbrach dabei ihre Handlung nicht.

„Wir müssen an sie glauben und zu Gott beten. Er wird sie uns nicht nehmen“, sprach sie leise.

Sie konnte ein leises Nicken ihres Vaters spüren. Dabei fiel ihr Blick zu ihrer Mutter.

//Bitte, verlasst uns nicht, Maman. Wir brauchen Euch. Vater braucht Euch!//

Nun entstand wieder Stille im Raum, die die Beiden drohte zu erdrücken.

Innerlich sprach jeder von ihnen ein Gebet, welches mit vielen Hoffnungen und Bitten verbunden war.

Als André eine Weile später leise das Zimmer betrat, hatte sich nichts verändert. Besorgt sah sie zu ihm, als sie auf einmal spürte, wie der Griff ihres Vaters sich lockerte und er zu Boden zu sinken drohte. Eiligen Schrittes war André sofort bei ihnen.

„Vater?“, sprach Oscar ihn direkt an, wobei sie seine Schultern rüttelte.

Jedoch erhielt sie keine Antwort von ihm. Besorgt sah sie zu André.

„Hol bitte Hilfe.“

Sofort nickte er und rief ein paar Diener herbei, die den General in ein Nachbarzimmer brachten. Ein weitere Bediensteter holte abermals Dr. Raçon.

Dies wurde auch für Oscar zuviel und sie fiel André schluchzend um den Hals.

„Sie dürfen nicht sterben.“

„Shht… der Arzt ist bald da und er wird sagen, was mit deinem Vater ist“, versuchte er sie zu beruhigen.

Dabei strich er ihr immer wieder über den Rücken. So warteten sie, bis der Arzt eintraf. Er ließ sich schildern, was vorgefallen war. Dann kümmerte er sich um den General. Dieser hatte einen Nervenzusammenbruch erlitten. Der sonst so starke Mann, hatte seine Grenzen erreicht. Dr. Raçon verordnete strickte Bettruhe und sobald sich etwas veränderte, sollte man ihn direkt Bescheid geben. Dann sah er nochmals nach Emilie, aber deren Zustand war unverändert. So konnte der Arzt sich nur noch verabschieden.

Oscar war hin und her gerissen.

„Geh du zu deiner Mutter, ich bleibe bei deinem Vater“, bot André ihr an.

Sie sah ihn an und nickte leicht.

„Das ist das Beste.“

Kurz gab sie ihm einen Kuss, dann betrat sie das Gemach ihrer Mutter. Dort zog sie sich ein Stuhl an das Bett und ließ sich dort nieder. Sanft ergriff sie ihre Hand und spürte, wie kalt diese bereits war. Dies ließ Oscar schlucken. Sie hatte wirkliche Angst. So stark hatte sie dieses Gefühl noch nie verspürt. Dabei fiel ihr André ein. Ihr wurde langsam bewusst, wie es ihm ergangen sein musste, als er seine Eltern verlor. So begann sie stumme Tränen zu weinen.

Die Zeit verging, ohne dass sich etwas änderte. Doch dann nahm auf einmal der Wind zu und eine kräftige Böe kam durch das leicht geöffnete Fenster herein. Dies ließ Oscar aufsehen. So entdeckte sie, wie die Flamme der Kerze stark zuckte und mit einem Mal verlosch. Oscars Augen weiteten sich und ihr Blick fiel auf ihre Mutter.

„Nein… bitte nicht…“, brachte sie leise hervor, wobei heiße Tränen über ihre Wangen liefen.

„Verlasst uns nicht…“
 

Im Nebenzimmer saß André am Bett des Generals, der ruhig dalag. Doch in dem Moment, als die Kerze erlosch, öffneten sich seine Augen und ruckartig setzte er sich auf.

„EMILIE!“, rief er und versuchte dann aufzustehen.

Jedoch hielt André ihn sanft aber bestimmt zurück.

„Nein, lass mich los, André. Ich muss zu ihr.“

„Oscar ist bei ihr. Sie wird uns mitteilen, falls etwas geschieht.“

„Ich will sofort zu ihr!“, versuchte Oscars Vater erneut.

Aber André hielt es für besser, den General daran zu hindern.
 

Oscar versuchte derweil den Puls ihrer Mutter mit zitternden Fingern zu ertasten. Jedoch war sie viel zu durcheinander, um ihn zu finden. Hinzu kam, dass ihre Tränen ihr den Blick immer mehr verschleierten. So strich sie sich harsch über die Augen, um wieder klarer zusehen.

„Bitte…“, brachte sie fast tonlos hervor.

Wieder und wieder versuchte sie den Puls zu finden, als die Zimmertüre sich öffnete. Im Türrahmen erschien Sophie, die nach dem Rechten sehen wollte. Ihre Augen weiteten sich und mit gerafften Kleidern, eilte sie an das Bett von Madame de Jarjayes. Sanft löste sie Oscars Finger von Emilies Hals, um selber den Puls zu ertasten. Dabei beobachtete Oscar sie genau.

„Bitte, Sophie. Sag nicht, dass… dass sie…“

Oscar konnte es einfach nicht aussprechen. Ihre Amme hatte gesehen, dass die Kerze erloschen war und ihr war bewusst, was dies bedeutete. Auch sie konnte im ersten Moment keinen Puls spüren. So schloss sie ihre Augen, um sich besser konzentrieren zu können. Jedoch änderte auch das die Situation nicht. Traurig blickte sie zu Oscar, die sofort weinend ihr Gesicht in ihrem Armen verbarg. Doch in dem Moment, als sie ihre Finger zurück ziehen wollte, spürte Sophie auf einmal etwas. Es war Puls da. Schwach, aber spürbar. Deutlich konnte sie sehen, wie es hinter den Augenlidern der Madame zu zucken begann. Sophie schluckte hart und war kaum fähig ein Wort zu sagen. So konnte sie nur mit ansehen, wie Emilies Hand sich in Richtung Oscar schob und ihr durch das Haar, welches sich immer weiter geöffnet hatte strich. Sofort sah Oscar mit geweiteten und geröteten Augen auf.

„Maman?“, fragte sie sofort nach und ergriff deren Hand, die bei dem ruckhaften Aufschrecken ins Rutschen geraten war.

„Maman?“, wiederholte sie.

Sophie liefen Tränen über die Wangen und sie hielt ihre Hände vor den Mund, um nicht laut zu schluchzen.

Jedoch bevor Oscar noch einmal das Wort an ihre Mutter richten konnte, flog die Zimmertür mit einem Knall auf. Es war der General, der seine letzten Energiereserven zusammen genommen hatte, sodass André ihn nicht mehr zurück halten hatte können.

„EMILIE…“

Wankend trat der General auf das Bett zu und André folgte ihm.

„Bitte Emilie…“, brachte Oscars Vater wieder und wieder hervor.

Kurz sah Oscar von André, über Sophie und ihren Vater zurück zu ihrer Mutter. So bemerkte sie, dass diese langsam ihre Augen aufschlug.

„Reynier…“, brachte sie matt hervor.

Sofort reagierte Oscars Vater und ergriff ihre Hand.

„Ich bin hier, Liebste. Direkt bei dir“, kam es von ihm mit hektisch verfärbten Wangen.

Dabei rannen Tränen über diese. Leicht drückte er Emilies Finger.

„Liebster… Bitte weine nicht.“

„Verzeih mir, Liebste. Verzeih mir…“, brachte dieser nur hervor und senkte sein Haupt, wobei er ihre Hand gegen seine Wangen presste.

„Ich habe dir nichts zu verzeihen, Liebster“, erwiderte Emilie und strich mit ihrer freien Hand über seinen Kopf.

„Bitte verlass mich nicht“, schluchzte dieser weiter.

„Shht…“, versuchte Emilie ihn zu beruhigen.

Gern hätte sie ihn in die Arme geschlossen, jedoch war sie dafür viel zu geschwächt.

Oscar beobachtete die Szene, wobei auch Tränen ihre Wangen nässten. Es fiel ihr schwer, aber sie hielt es für besser, ihre Eltern nun alleine zu lassen. Zusammen mit André brachten sie Sophie hinaus. Oscar und ein Dienstmädchen kümmerten sie sich um sie, während André nach Dr. Raçon rief.

Als dieser eintraf, untersuchte er Emilie genau. Anschließend auch noch einmal Oscars Vater und Sophie. Danach trat er zu Oscar, die sich dicht an ihren André schmiegte. Ihre Augen waren noch immer stark gerötete und eine Spur der Angst war darin zu sehen.

„Lady Oscar? Eure Mutter hat die Krise überstanden. Sie wird einige Tage noch das Bett hüten müssen, aber dann wird sie sich erholen.“

„Ich danke Euch, Dr. Raçon.“

„Dankt nicht mir. Eure Mutter hat gekämpft.“

Oscar nickte erleichtert und sah kurz zu André.

„Ja, sie wollte nicht gehen.“, sprach sie leise, was André lächeln ließ.

„Sie ist wie du, eine große Kämpfernatur“, dabei drückte er ihr einen Kuss auf ihr Haar.

Schmunzelnd beobachtete der Arzt dies.

„Es sollten sich nun alle ausruhen. Ich werde morgen wieder herkommen.“

Oscar und André nickten, dann geleiteten sie den Arzt zu dessen Kutsche. Dort verabschiedeten sie sich von ihm.

Eine ereignisreiche Nacht, war doch noch gut zu Ende gegangen.

Wie Menschen sich verändern können

André und Oscar blieben im Haus ihrer Eltern. Es war zu spät gewesen, um zurückzufahren. Zudem wollte sie in der Nähe ihrer Mutter sein und André verstand dies. Gemeinsam bezogen sie eines der vielen Gästezimmer. Lange fanden sie keinen Schlaf und so sprachen sie noch eine ganze Weile über das Geschehene. Dabei redeten sie auch über Andrés Eltern. Oscar wollte wissen, wie es ihm ergangen war. Gewiss war er damals noch ein kleiner Junge, aber auch ihn hatte es sehr getroffen und Oscar war heute nun endlich klar geworden, wie hart es ihn damals getroffen haben musste und sie selber hatte dies nicht bemerkt. Dafür schämte sie sich nun. Aber André schloss sie zärtlich in seine Arme.

„Wir waren beide damals Kinder, Liebste. Du hattest deine eigene kleine Welt, in der du so etwas nicht erlebt hast“, sprach er ruhig und ohne Vorwurf.

„Aber ewig werden sie nicht bei uns bleiben. Eines Tages muss ein jeder von uns gehen, ob wir das wollen oder nicht. Auch wenn es mir selber schwer fällt mit diesem Wissen zu leben, muss ich es akzeptieren, daher versuche ich, möglichst viel Zeit, die ich mit den Menschen, die mir am Herzen liegen, zu verbringen.“

Oscar hörte ihm zu und nickte traurig.

„Ja, du hast recht, Liebster. Ich werde versuchen, sooft wie möglich hier zu sein.“

„Das ist eine gute Idee, Liebste“, erwiderte er und gab ihr einen Kuss auf ihr Haupt.

„Aber lass uns nun versuchen zu schlafen. Es war ein sehr langer Tag.“

Wieder nickte Oscar und kuschelte sich dann dicht an ihren André. So schliefen die beiden kurz darauf ein.

Am nächsten Morgen erschien Dr. Raçon, um nach Oscars Eltern zusehen. Der Zustand der beiden hatte sich verbessert. Dem General teilte er unter vier Augen mit, dass er es für besser halten würde, nicht mehr mit seiner Gemahlin intim zu werden. Oscars Vater schluckte hart, dennoch versprach er dies. Nicht nur auf Anraten des Arztes, sondern weil er Angst hatte Emilie dann für immer zu verlieren.

Dr. Raçon empfahl ebenfalls, dass der General seine Frau in ein anderes Gefilde zu bringen, damit sie sich dort vollkommen erholen konnte.

„Wenn ich richtig weiß, hat Eure Tochter Oscar doch ein Haus in der Bretagne.“

„Ja, das ist wahr.“

„Dann fahrt dorthin. Hier ist es zu warm und die frische Luft am Meer, wird ihr gut tun.“

„Und für wie lange? Was könnt Ihr mir raten, Dr. Raçon?“

„Wir haben es jetzt Mitte August“, sprach er nachdenklich.

„Ich würde anraten bis zum kommenden Frühjahr dort zu bleiben.“

„Aber wird es an der Küste im Winter nicht zu kalt?“

„Nicht viel kälter als hier, General de Jarjayes. Aber die leichte Klimaveränderung wird ihr gewiss gut tun.“

„Dann werden wir in die Bretagne fahren. Ich danke Ihnen, Dr. Raçon.“

Der Angesprochene nickte und verabschiedete sich anschließend. Vor ihrer Abreise würde er nochmals vorbeischauen. Der General nickte und brachte ihn zur Tür. Anschließend teilte er den Rat des Arztes seiner Frau mit. Ruhig saß sie in ihrem Bett und sah ihn an.

„Aber was ist mit dir?“

„Was sollte mit mir sein? Ich werde dich natürlich begleiten.“

„Für so eine lange Zeit? Man wird dich gewiss hier brauchen.“

„Ich werde mit dem König reden und er wird bestimmt sein Einverständnis geben. Und wenn dies nicht eintreffen sollte, werde ich dennoch fahren. Ich möchte dich nicht alleine wissen, Liebste.“

Zärtlich lächelte sie ihn bei seinen Worten an.

„Ich danke dir, Liebster.“

Etwas später erfuhren auch Oscar und André von der bevorstehenden Reise. Kurz tauschten sie Blicke aus, dann beschlossen sie, Oscars Eltern zu begleiten. Und auch Sophie sollte mit dabei sein.

So war alles beschlossene Sache und man traf die ersten Vorbereitungen. Oscars Vater erklärte dem König was geschehen war und dieser willigte sofort ein. Sophie begann mit ein paar der Dienstmädchen zu packen. Auch Oscar und André taten dies, nachdem er mit dem Müller gesprochen hatte.

Zwei Wochen später brachen sie auf. Das Gepäck war auf zwei Kutschen verteilt und die Reise begann. Um Emilie möglichst zu schonen, legten sie öfter längere Pausen ein. So dauerte die Reise eine ganze Weile bis sie endlich ihr Ziel, das Meer erreicht hatten. In Ruhe begannen alle auszupacken. Da keine Dienstmädchen dabei waren, hatten Sophie und Oscar beschlossen, sich um das leibliche Wohl zu kümmern. Emilie sollte keinen Fingerzeig tun, sondern sich einfach nur erholen. Zu Beginn fiel ihr dies nicht leicht, aber mit der Zeit genoss sie es sehr, in Begleitung ihres Gemahls am Strand spazieren zugehen. Ihre Gesichtsfarbe verbesserte sich und sie erholte sich zusehends.

Über den Verlust des Kindes sprach niemand. Erst Recht Emilie nicht. Sie hatten es tief in sich verschlossen, als wäre nie etwas geschehen. Dies gefiel Oscar nicht, als sie dies bemerkte, sie machte sich sehr große Sorgen um sie. Sie musste mit ihr reden, nur musste dies noch warten, bis ihre Mutter vollends genesen war.

So verging der Sommer und der Herbst kehrte ein ins Land. Die Blätter der Bäume verfärbten sich und öfter war das Meer unruhig. Nur noch die letzten warmen Sonnenstrahlen, erinnerten an die vergangene Jahreszeit. Langsam wurden dann auch die Tage kürzer.

Der General unternahm häufiger kleinere Ausflüge mit seiner Gemahlin. Währenddessen blieben Oscar und André bei Sophie. Bei ihr hatte Oscar noch viel Neues lernen können und ihr gefiel die Zeit am Meer sehr. Auch sie machte häufiger Spaziergänge an dieses, wenn ihre Zeit es zuließ. Abends saßen sie dann immer alle zusammen und speisten. Dabei erzählte der General oft die eine oder andere Geschichte aus seiner Jugend. Oscar hatte ihren Vater noch nie so erlebt. Er wirkte gelöster und freundlicher den je. So entdeckte sie eine vollkommen andere Seite an ihm und es gefiel ihr. Alle schien die Zeit am Meer zu verändern. André verstand sich immer besser mit seinem Schwiegervater und so saßen die beiden oft zusammen, wenn Emilie sich ausruhte. Oscar hingegen war die meiste Zeit bei Sophie oder ihrer Mutter, so wie am heutigen Tag. Gemeinsam hatten sie Tee eingenommen.

„Morgen schaut der Arzt noch einmal herein, um nach Euch zusehen“, sprach Oscar und trank dabei ein Schluck von dem wärmenden Getränk.

Emilie nickte und sah dabei zu ihrer Tochter. Ihr waren auch Veränderungen an ihrem Kind nicht entgangen.

„Vielleicht sieht er dich ebenfalls einmal an.“

„Mich? Aber warum, Maman? Ich habe nichts. Mir geht es sehr gut“, erwiderte sie mit großen Augen.

„Ja, dich mein Kind. Mir ist aufgefallen, dass du dich in letzter Zeit stark verändert hast.“

Oscar verstand nicht, worauf ihre Mutter hinaus wollte.

„Aber was hat das mit dem Arzt zu tun?“

Emilie stellte ihre Tasse ab und seufzte leise.

„Ist dir nicht aufgefallen, dass du in den letzten Tag sehr viel zu dir genommen hast?“

„Viel? Nun, Ihr habt doch selber gesagt, dass die frische Seeluft hungrig macht und ich hatte diesen nun einmal.“

„Wirklich nur das? Morgens wirkst du häufiger blass, mein Kind.“

Prüfend wanderte eine von Oscars Brauen nach oben.

„Nicht das ich wüsste, Maman.“

„Du sollst mich nicht beschwindeln, Oscar“, erwiderte diese ruhig und goss sich dabei eine neue Tasse Tee ein.

„Ja, mir war in den letzten Tagen morgens etwas übel. Aber das war es auch. Dafür brauche ich keinen Arzt“, kam es nun von Oscar mit einem Seufzen.

Schweigend sah Emilie ihre Tochter für einen Moment an.

„Oscar?“

„Ja, Maman?“

„Wann hattest du zuletzt deine Blutungen?“, sprach ihre Mutter sie direkt an.

Oscars Wangen färbten sich leicht. Über dieses Thema hatte sie noch nie gern gesprochen, es war ihr unangenehm. Dennoch überlegte sie kurz.

„Ende August etwa. Aber warum fragt Ihr?“

„Wir haben es Mitte Oktober, mein Kind“, erwiderte ihre Mutter.

„Ja, dass ist mir bekannt, Maman. Aber Ihr wisst selber, dass ich Probleme mit meiner Blutung habe, weil sie unregelmäßig ist.“

„Ich weiß, Oscar. Aber bitte, lass dich von dem Arzt untersuchen.“

Seufzend stimmte Oscar zu. Was hatte sie schließlich zu verlieren?

Am nächsten Tag untersuchte der Arzt Emilie und teilte ihr mit, dass ihre Genesung besser voranschritt, als zuvor erwartet. Anschließend untersuchte er Oscar und stellte ihr dabei die eine oder andere Frage. Anschließend verschloss er seine Tasche, während Oscar ihre Kleidung richtete.

„Und nun, Doktor?“, fragte sie ihn.

„Fehlt mir etwas?“

„Aber nein“, erwiderte der Arzt und sah zu ihr.

„Sie sind kerngesund, jedoch habe ich ihnen etwas mitzuteilen.“

Oscar hatte kurz genickt und sah ihn nun abwartend an.

„Sie tragen ein Kind unter ihrem Herzen, Madame.“

Damit hatte Oscar nicht gerechnet und sie setzte sich daher erst einmal hin, um diese Nachricht zu verdauen.

Prüfend sah der Arzt sie an.

„Fühlt Ihr Euch nicht wohl?“, sprach er besorgt.

„Nein, mir geht es gut. Vielen Dank. Aber ich muss Eure Nachricht erst einmal verdauen.“

Der Arzt nickte und nahm seine Tasche zur Hand.

„Fall irgendwelche Beschwerden auftreten sollte, scheut nicht mich rufen zu lassen.“

„Ganz gewiss“, erwiderte Oscar, wobei sie vor sich hinstarrte.

Er nickte ihr kurz zu, verabschiedete sich anschließend von ihr und verließ dann das Haus.

Oscar blieb noch einige Minuten auf ihrem Zimmer und dachte nach. Erst dann ging sie hinunter in die gemütliche Küche, wo sich die anderen Aufhielten. Sie hatten von Emilie erfahren, dass diese Oscar zu dieser Untersuchung gebeten hatte, jedoch ohne ihnen den Grund mitzuteilen. So sahen sie nun abwartend zu der jungen Frau, als diese auf den Esstisch zuging. Keiner sagte ein Wort.

Kurz vor dem Esstisch blieb sie stehen.

„Ich… ich erwarte ein Kind…“, sprach sie leise.

Andrés Augen weiteten sich. Dann sprang er auf und trat zu ihr, um sie in seine Arme zuschließen.

„Ist das wirklich wahr, Liebste?“

Lächelnd sah er sie an und so bemerkte er, wie Oscar leicht nickte. Sofort schwang seine Freude in Besorgnis um, da Oscar nichts erwiderte.

Der General hatte sich ebenfalls erhoben, wobei er lächelte. Jedoch behielt er seine Gemahlin im Auge. Er wollte wissen, wie sie diese Nachricht aufnehmen würde. Aber das Gegenteil von dem, was er erwartete, trat ein. Lächelnd ging sie auf das Paar zu.

„Gib ihr die Zeit, um es zu verarbeiten, André“, sprach sie sanft.

Er nickte und ließ anschließend Oscar von ihrer Mutter umarmen. Sophie standen sofort Tränen in den Augen, als sie es hört und leise schluchzte sie. Sodass André zu ihr ging und beruhigend mit ihr sprach.

Oscar sprach an diesem Tag nicht mehr viel. Oft ruhten ihre Hände auf ihrem noch flachen Bauch. Sie konnte noch nicht wirklich fassen, dass sie schwanger war. Dies benötigte erst einmal ein paar Tage, um sich zusetzen. Wobei ihr die Ausmaße noch nicht einmal bewusst waren. André kümmerte sich liebevoll um sie und dabei fiel es ihm sehr schwer, sie nicht wie ein rohes Ei zu behandeln. Jedoch sorgte er sich zugleich. Nicht wegen Oscar, sondern wegen Madame de Jarjayes. Er hatte sich mit dem General zusammen gesetzt und somit hatten sie über Emilies Verhalten sich unterhalten. Sie, die vor ein paar Monaten erst ein Kind verloren hatte, schäumte gerade vor Muttergefühlen über. Beide Männer waren sich nicht sicher, wie sie damit umgehen sollten. Sie hofften, dass Emilie sich vollkommen erholt hatte, aber dennoch etwas tief in ihnen, ließ sie daran zweifeln. Beiden war nicht entgangen, dass Emilie das Vergangene verdrängt und ihnen wuchs die Angst, dass es wieder ausbrechen könnte, spätestens wenn das Baby geboren wurde. Sie überlegten hin und her und kamen zu keinem Schluss. André beschloss mit Oscar Anfang November zurück zureisen. Er hoffte, dass dadurch etwas Ruhe hineinkommen würde. Oscar war es gleich, sie war im Moment einfach noch zu durcheinander. Emilie war es nicht recht, dass ihr Kind nach Hause fuhr. Aber der General bestand darauf, dass sie und er noch an der Küste bleiben würden. Jedoch unter dem Versprechen, dass Oscar und André regelmäßig ihnen Briefe schreiben würden. Die jungen Leute stimmten zu und brachen schließend am Anfange des neuen Monats auf. Die Rückreise verlief um einiges schneller. Oscar zog es vor zu schweigen und André bedachte dies mit einem besorgten Blick. Er wartete bis sie zu Hause waren. Dort sprach er sie direkt darauf an. Oscar erklärte ihm mit Tränen in den Augen, was auch der General und er vermutet hatten. Das Emilie dies nicht verkraften würde. André schloss sie daraufhin zärtlich in seine Arme. Gemeinsam würden sie es schaffen und er würde ihr beistehen. Oscar war ihm mehr als dankbar dafür.

Oft schrieben sie ihren Eltern Briefe und erhielten ebenfalls genauso viele zurück.

André arbeitete wieder bei der Mühle. Ihm hätte die Arbeit bei Hofe zugesagt, aber er hatte sie dennoch abgelehnt. Er war einfach zu stolz.

Oscar bemerkte mit der Zeit, dass ihre geliebten Hosen immer enger wurden. So stand sie öfters vor ihrem Spiegel und betrachtete sich und ihren wachsenden Bauch. Dr. Raçon war ein paar Mal dagewesen und hatte nach ihr gesehen. Oscar war vollkommen gesund und das Kind in ihr entwickelte sich prächtig.

Als das Jahr sich zu Ende neigte, verspürte Oscar den ersten Tritt ihres ungeborenen Kindes. Es hatte sie vollkommen überrascht, als sie es bemerkte. Mitten in ihrer Arbeit hatte sie gestoppt und ihre Hände auf den Bauch gelegt. So hatte sie auch André vorgefunden. Aus Sorge rief er sofort nach Dr. Raçon, der ihn eine Weile später beruhigen konnte. Es war alles bester Ordnung.

Am Anfang des neuen Jahres kehrte Sophie zurück. Sie war der Ansicht ihren Schützling zu unterstützen zu müssen. Als die alte Dame sah, dass Oscar ein paar ihrer Hosen geändert hatte, um diese noch tragen zu können, konnte sie nur ihren Kopf schütteln. Mit Händen und Füßen versuchte sie ihr klar zu machen, dass ein Umstandskleid für sie um einiges bequemer wäre. Jedoch lehnte Oscar dies vehement ab. Genauso versuchte sie weiter ihren Verpflichtungen im Haushalt nachzukommen, jedoch merkte sie, mit voranschreitender Schwangerschaft, dass sie immer öfter außer Atem geriet und eine Pause benötigte. Daher nahm sie Sophies Hilfe immer mehr an.

Der kalte Winter verging und Anfang März war es bereits so mild, dass die ersten Blumen ihre Knospen zeigten. Oscar war mittlerweile im 7. Monat schwanger und ihr Bauch hatte einiges an Umfang zugenommen. Sie konnte sich dadurch immer schlechter bewegen. Öfter kam nun Dr. Raçon ins Haus, um nach ihr zu sehen. Er verordnete Ruhe und keine Überanstrengungen an, woran Oscar sich nur schwer halten konnte. Jedoch achtete André ganz genau darauf, dass sein geliebter Engel sich daran hielt.

Langsam wurden die Tage wärme und die Vögel kehrten aus dem Süden zurück. Zeitgleich mit diesen fuhr eine Kutsche bei Oscar und André vor.

Bewegende Gedanken

Oscar wollte gerade für ein paar Minuten hinausgehen, um die kühle frische Luft zu genießen, als sie die Kutsche vorfahren sah. Sofort erkannte sie das Wappen auf der Tür. Es war die Kutsche ihrer Eltern, die in diesem Moment ausstiegen. Leicht verengten sich ihre Augen und gleichzeitig zog sie ihr großes Dreieckstuch, welches sie sich um die Schultern gelegt hatte, enger.

„Maman? Vater?“, fragte sie leicht.

„Oscar! Mein Kind“, begrüßte Emilie sie freudig, als sie die Stimme ihrer Tochter hörte.

Sofort eilte sie zu ihr und schloss sie in die Arme. Jedoch nur für einen Moment, als sie Oscars Bauch spürte. Lächelnd trat sie einen Schritt zurück und legte ihre Hände die Wölbung.

„Es ist aber ganz schön gewachsen, mein Kind. Aber nun solltest du besser hinein gehen. Es ist hier draußen viel zu kalt für dich.“

Mit diesen Worten hakte sie sich bei ihrer Tochter unter und schob sie mit sanfter Gewalt in das Haus. Der General hatte Oscar kurz genickt. Dabei war ihr sein besorgter Gesichtsausdruck nicht entgangen. Jedoch konnte sie im Moment nichts sagen. Im Haus wurden Oscars Eltern von Sophie höflich begrüßt.

„Liebes? Es war eine lange Fahrt. Bitte ruhe dich jetzt etwas aus. Du kannst nachher noch mit Oscar reden“, sprach Oscars Vater sanft zu Emilie.

„Aber ich bin nicht müde, Liebster. Ich habe mein Tochter vermisst.“

„Ich weiß, aber ich bitte dich dennoch. Du weißt was der Arzt gesagt hat.“

„Ja, ich weiß. In Ordnung. Dann werde ich mich ausruhen gehen.“

„Sophie wird Euch ein Zimmer zeigen“, sprach Oscar.

„Ich danke dir, mein Kind“, erwiderte Emilie und folgte kurz darauf Sophie.

Der General und Oscar blieben so allein zurück. Sie reichte ihm eine Tasse Tee, für die er sich bedankte.

„Vater? Warum seid Ihr bereits wieder hier?“

„Deine Mutter wollte unbedingt zurück“, sprach er mit einem Seufzen.

„An sich geht es ihr wieder gut und das meint auch der Arzt. Jedoch mache ich mir Sorgen, was der Verlust angeht. Sie hat nicht einmal darüber gesprochen und seid sie weiß, dass du ein Kind unter dem Herzen trägst, spricht sie von nichts anderem mehr.“

„Ich verstehe. Darüber haben André und ich uns ebenfalls Gedanken gemacht, jedoch ohne wirklich einen Lösungsansatz zu finden“, sprach sie ruhig zu ihm.

„Vielleicht sollte ich mit ihr reden.“

„Hältst du das für das Richtige, mein Kind?“

„Ihr meint, dass sie einen Rückfall erleiden könnte?“

Stumm nickte ihr Vater. Oscar betrachtete ihn und legte anschließend ihre Hand auf die seine.

„Ich kann Eure Sorge verstehen, Vater. Aber was geschieht, wenn das Kind da ist?“

„Ach, Oscar… Ich habe nur Angst um sie. Aber wahrscheinlich ist es das Beste.“

„Ich gehe gleich zu ihr und wenn etwas ist, werde ich sofort bescheid geben.“

Damit erhob sie sich. Der General tat es ihr nach und umarmte sie kurz.

„Danke, mein Kind", sprach er leise.

„Nein, Vater. Kein Dank“, erwiderte sie und drückte ihn leicht.

Dabei spürte der General, wie das Kind sich in Oscar regte. Dies ließ ihn lächeln. Er löste sich von ihr und sah sie an.

„Darf ich?“

„Aber ja, Vater“, sprach Oscar ebenfalls lächelnd.

Sanft nahm sie seine Hand und legte sie an die Stelle, wo sie ihr Kind deutlich spüren konnte. Nun wurde das Lächeln breiter und zärtlich strich er über ihren Bauch.

„Es wird bestimmt ein kräftiger Junge“, kommentierte er mit stolz geschwellter Brust.

„Vater!“, kam es kopfschüttelnd von Oscar.

„Ja, ist schon gut“, erwiderte er zwinkernd.

Oscar schüttelte abermals ihren Kopf, dann verließ sie die Küche und ging hinauf in das obere Stockwerk, wo zwei der leerstehenden Zimmer zu Gästezimmern umgebaut worden waren. Leise klopfte sie dort an. Lange musste sie nicht warten, bis sie etwas vernahm.

„Ich bin es, Maman. Oscar.“

„Komm herein, mein Kind.“

Oscar nickte und betrat das Zimmer. Sorgfältig schloss sie Tür hinter sich und ging anschließend zu ihrer Mutter, die auf einem Stuhl am Fenster saß und hinaus sah.

„Was kann ich für dich tun, mein Kind?“

Oscar ließ sich langsam ihr gegenüber nieder.

„Ich wollte mich etwas mit Euch unterhalten.“

„Sehr gern und worüber möchtest du reden, Oscar?“

„Über Euch, Maman.“

„Aber warum dies, mein Kind?“

„Weil ich mir Sorgen mache.“

„Das ist nicht nötig. Mir geht es wieder gut, das hat auch der Arzt gesagt.“

„Körperlich vielleicht, aber was ist mit Eurem Herzen? Euren Gefühlen? Ihr habt niemals darüber gesprochen, wie Ihr es in Euch aussieht.“

Fragend sah Emilie ihre Tochter an.

„Meine Gefühle? Mir geht es wirklich gut. Auf was willst du hinaus?“

„Bitte verdrängt es nicht, Maman. Ich rede von meinem Geschwisterchen, welches… nicht das Licht der Welt erblicken durfte“, sprach Oscar leiser werdenden.

„Geschwisterchen? Wovon redest du nur, Oscar? Fühlst du dich nicht wohl?“

Kurz weiteten sich Oscars Augen, doch dann schüttelte sie ihren Kopf.

„Ihr tut mir weh, mit Euren Worten, Maman. Ja, ich kann es mit nichts vergleichen, da ich erst mein erstes Kind erwarte, aber dennoch schmerzt es, so etwas von Euch zu hören. Es macht mir Angst, wenn meinem Kind etwas geschieht. Versteht Ihr? Wir sind doch eine Familie. Und verbergt nicht Euren Schmerz und Eure Tränen. Ich stehe offen dazu, auch wenn es mir nicht leicht fällt. Ich habe geweint, um Euch und das Kind.“

Je weiter Oscar sprach, desto mehr veränderte sich Emilies Gesicht bis sie endlich es von Oscar vordrehte.

„Dir scheint es wirklich nicht gut zu gehen. Lege dich lieber hin und ruh dich aus. Du musst all deine Kräfte für dich und das Baby haben.“

Oscars Hände ballten sich zu Fäusten, nachdem sie sich erhoben hatte.

„Ihr habt mir immer gesagt, dass ich Euch und auch nicht mich selbst belügen darf. Warum belügt Ihr Euch nun selbst? Ich kann den Schmerz, den Ihr verspürt, nur erahnen, aber ich bin dennoch für Euch da und Vater ebenfalls.“

Bei ihren Worten rannen ein paar Tränen über ihre Wangen.

„Zieht Euch nicht in Euch zurück.“

Emilie begann zu zittern, aber sie schwieg. Oscar biss sich auf die Unterlippe, dann senkte sie ihren Kopf und drehte sich zum Gehen fort. Schweren Schrittes ging sie auf die Zimmertüre zu. Als sie ihre Hand nach der Türklinke ausstreckte, erklang auf einmal Emilies Stimme.

„Es tut mir leid, Oscar“, kam es fast tonlos.

Diese drehte sich zu ihr um und sah, wie ihre Mutter ihr Gesicht hinter ihren Händen verbarg. Langsam trat Oscar zu ihr und legte ihre Hand auf Emilies Schulter.

„Bitte sprecht weiter.“

„Ich habe gewusst, dass ich schwanger war. Tief in mir hoffte ich sehr, dass es endlich der gewünschte Sohn des Vaters sein würde. Jedoch habe ich dabei nicht auf meinen Körper geachtet und es damit verloren. Wegen mir ist es tot.“

Emilie begann immer stärker zu Schluchzen, so dass Oscar sie umarmte, so gut es mit ihrem Bauch ging.

„Nein, Ihr habt keine Schuld“, sprach sie leise auf sie ein.

„Das stimmt nicht, Oscar. Es ist meine Schuld. Meine ganz alleine.“

„Aber Maman. Sagt nicht so etwas. Ich bitte, Euch.“

„Es ist die Wahrheit und ich kann nichts mehr daran ändern. Genauso, dass ich deinem Vater nun keine Kinder mehr schenken kann. Man teilte mir mit, dass ich keine mehr bekommen kann. Das es schon an ein Wunder grenzte, dass ich schwanger wurde.“

Oscar wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Ihr blieb nichts anderes übrig, als ihre Mutter sanft weiter zustreicheln.

„Liebste“, erklang auf einmal eine Stimme.

Der General hatte unbemerkt das Zimmer betreten und somit alles hören können. Sofort sah Oscar auf und trat zur Seite, als er auf die beiden zuging.

„Emilie, ich habe lange mit den Ärzten gesprochen. Es hat zwei Gründe gegeben, warum du das Kind nicht behalten konntest. Einmal dein Herz und auch dein Alter. Aber gib dir bitte nicht die Schuld für meine Worte. Mir ist bewusst, wie sehr ich dich immer bedrängt habe. Aber schau, wir haben sechs wunderschöne Töchter und auf sie bin ich genauso stolz, wie auf dich.“

Der General hatte sich zu Emilie gekniet und ihr Gesicht zärtlich zu sich gedreht, sodass sie ihm in die Augen sehen musste, in der Ehrlichkeit zusehen war. Kurz hielt sie den Blickkontakt, dann warf sie sich an seinen Hals und weinte aus tiefstem Herzen. Zärtlich drückte er sie an sich und strich ihr über den Rücken. Dabei standen auch Tränen in seinen Augen.

„Ich lass einen Stein anfertigen für das Kind. So haben wir einen Ort, zudem wir können, um zutrauern.“

„Es tut mir unendlich leid. Ich habe das alles nicht gewollt. Ich wollte niemanden wehtun oder Schmerzen zufügen“, sprach Emilie unter Tränen.

„Das würdest du tun?“

„Shhht… Ich weiß, dass du es nicht mit Absicht getan hast und niemand ist der böse. In den letzten Wochen mit dir, habe ich gemerkt, wie sehr ich dich in den letzten Jahren vernachlässigt habe. Du hattest nur die Kinder bis Oscar alleine war und nun? All das habe ich nicht bemerkt. Ich verspreche dir, dass werde ich ändern. Nur für dich werde ich da sein und daher wünsche ich mir diesen Grabstein für unser Kind.“

Emilie hörte zu und wischte sich über die Augen, um ihn wieder genau betrachten zu können.

„Ich wusste doch, dass du viel zu tun hast. Das war mir immer klar und mir war bewusst, dass du das alles nur für deine Familie tust.“

Sie streckte sich etwas und gab ihm einen leichten Kuss. Oscar, die die ganze Zeit dabei gewesen war, hielt es nun für besser, die beiden alleine zulassen. Diese Szene hatte etwas in ihr ausgelöst. So zog sie sich in ihr Zimmer, wo sie sich auf ihrem Bett niederließ. Eine Hand wanderte zu ihrem Bauch.

//Maman ist so liebe- und aufopferungsvoll. Nicht nur für mich und meine Schwestern, sondern auch für Vater. Kann ich dies auch? Ich weiß es nicht. Irgendwie fühle ich mich überfordert. Zuerst die Gefühle, die ich für André entdeckte und nun ein Kind… Gern würde ich eine liebevolle Mutter für sie oder ihn sein, aber kann ich das wirklich? Ja, Sophie sagt immer, dass man alles lernen kann, wenn man es nur will. Aber ist das wirklich so einfach, wie sie es meint? Ich weiß es nicht. Was denkt André darüber? Sieht er es genauso?//

Oscar schüttelte ihren Kopf.

//Nein, ganz gewiss nicht. In seinen Augen steht soviel stolz. Er hat sich immer eine Familie gewünscht.//

Die junge Frau war unsicher. In ihr nagte der Zweifel, auch wenn sie versuchte dies nicht zu sehr zuzeigen. Dass es André ähnlich ging, ahnte sie nicht.

Dieser war nach der Arbeit noch einen Umweg geritten. Seitdem er mit Oscar über seine Eltern gesprochen hatte, waren sie ihm nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Zugern hätte er gewusste, wie sie seine Entscheidungen empfunden hätten. Die Hochzeit mit Oscar, das Haus, das Kind. Leise ließ es ihn seufzen.

Sein Weg führte ihn zu einem Ort, an dem er sehr lange nicht mehr gewesen war. Es war der Friedhof. Rasch fand er die Reihe, in der das Grab seiner Eltern sich befand. Dieser war stark zugewachsen, sodass er sich hinkniete und anfing den Stein zu säubern, so gut er es konnte. Daher dauerte es einen Moment, bis man die einfache Schrift lesen konnte.
 

„Hier ruhen Hélène und Armand Grandier,

liebevolle Eltern und treue Kinder.

Auf ewig seid Ihr in unseren Herzen.“
 

Liebevoll strich André über dieses und versuchte sich an seine Eltern zu erinnern. Jedoch war es solange her, dass er nur noch ein vages Bild vor Augen hatte. Jedoch an einige Dinge aus seiner Kindheit konnte er sich noch erinnern. Sein Vater hatte mit ihm oft gespielt, ihm aber auch nützliche Dinge beigebracht. Zudem hatte er immer zu seinem Wort gestanden und das hatte André immer an ihm bewundert.

//Ob ich auch so sein kann, wie er? So aufrichtig und stolz wie er?//

Leise seufzte er und sein Atem stieg wie weißer Nebel vor ihm empor.

//Ich hoffe und bete, dass ich meine Familie genauso wie Vater beschützen und versorgen kann. Ja, vielleicht sollte ich es mir doch noch einmal überlegen mit dem Angebot der Königin. Dort würde ich sehr gutes Geld bekommen und ich wäre sicher, dass es Oscar und dem Kind an nichts fehlen würde. Und das darf es nicht. Niemals sollen sie spüren, was es heißt Hunger verspüren zu müssen, dass schwöre ich.//

Mit diesem Gedanken stand er auf und verließ den Friedhof. Er hoffte, dass er keine falschen Entscheidungen treffen würde. Mit diesen Gedanken ritt er nach Hause. Als er das erreichte, war Oscar längst eingeschlafen.

Erklärende Worte

Am nächsten Tag kam der Winter noch einmal zum Vorschein. Über Nacht waren einige Zentimeter Neuschnee gefallen. André entdeckte dies, nachdem er am Morgen aufgestanden war. Während er sich daran machte, den Weg vom Haus in Richtung Stall zu räumen, kleidete Oscar sich an und ging anschließend in die Küche, wo sie Sophie antraf. Gemeinsam mit ihr begannen sie das Frühstück für die Familie anzurichten. Dabei achtete die alte Dame darauf, dass ihr Schützling sich nicht übernahm.

Nach einer Weile gesellten sich Oscars Eltern hinzu und deutlich konnte man Emilie ansehen, dass es ihr nun wirklich besser ging. Dies freute vor allem ihre Tochter sehr. Auch André entging die entspannte Situation nicht, als er etwas später in die Küche kam. Seine Wangen waren noch von der Kälte leicht rosa gefärbt und er rieb seine klammen Finger, um diese wieder warm zubekommen. Schwerfällig erhob Oscar sich, um ihm einen Tee zuholen, jedoch bat André sie mit einem sanften Kuss auf die Stirn sich wieder zusetzen. Zärtlich lächelte er sie an und holte sich anschließend das wärmende Getränk, mit dem er sich anschließend neben ihr nieder ließ.

„Ich glaub, dass es nachher noch einmal schneien wird“, begann er in die Runde zu reden.

„Meinst du wirklich?“, fragte Oscar nach.

„Ja, der Himmel ist voller schwerer Schneewolken.“

„Vielleicht sollten wir nach Hause fahren“, mischte sich Oscars Vater mit ein.

„Ich weiß nicht, ob Ihr bis dort hin durchkommen werdet. Der Schnee ist nicht fest genug, um mit Kutsche gefahrlos darüber hinweg zufahren.“

„Wir wollen euch nur nicht zur Last fallen, mein Junge.“

„Das tut Ihr nicht.“

„Genau, Vater. Macht Euch keine Gedanken“, stimmte Oscar André zu.

„Dann bleiben wir gern“, erwiderte Emilie lächelnd.

Alle nickten und frühstückten anschließend in Ruhe zu Ende. Etwas später ließen sich dann Emilie und Oscar im Salon nieder. Dabei beobachtete Madame de Jarjayes ihre Tochter genau.

„Wie fühlst du dich?“, fragte sie nach, als Oscar saß.

„Danke, mir geht es gut“, erwiderte diese und rutschte etwas, um es bequemer zu haben.

„Nur, ich bin immer sehr rasch erschöpft.“

„Das glaube ich dir gern. Aber das ist normal.“

Leicht nickte Oscar und legte anschließend ihre Hände auf ihren Bauch.

„Darf ich?“, fragte Emilie und sah in Richtung Oscars Bauch.

„Natürlich, Maman“, erwiderte ihre Tochter lächelnd.

So erhob sich Emilie und trat zu ihrem Kind. Ihr war nicht entgangen, dass die Schwangerschaft ihrem Kind gut tat. Sie war ruhiger und besonnener geworden und auch ihre Gesichtszüge waren weicher als zuvor. Vorsichtig legte sie ihre Hände auf Oscars Bauch und tastete ihn dabei leicht ab. Dabei hielt ihr Kind ruhig und sah abwartend zu ihrer Mutter.

„Sag, mein Kind. Ich habe den Eindruck, dass der Umfang deines Bauches doch etwas starke Ausmaße angenommen hat.“

„Findet Ihr, Maman?“, fragte Oscar nach und legte ihren Kopf leicht schief.

„Meiner Meinung ja. Vielleicht sollten wir Dr. Raçon konsultieren. Ich habe nämlich den Eindruck, dass es mehr als eins sein könnte.“

Nachdenklich sah Oscar ihre Mutter an, dann seufzte sie leise.

„Morgen wollte er nach mir sehen, dann werde ich ihn darauf ansprechen.“

Emilie nickte und spürte dann, wie das Ungeborene trat. Dies zauberte ein Lächeln auf ihre Lippen.

„Es ist wirklich schon sehr kräftig.“

Ihre Tochter nickte leicht bei Emilies Worten.

„Ja, dass ist wahr. Manche Nächte macht es mir zum Tag.

„Ist es sehr schlimm?“

„Es geht. Auf einer Seite spüre ich so, dass es ihm oder ihr gut geht, jedoch strengt der fehlende Schlaf auch sehr an.“

„Das glaube ich dir, mein Kind. Aber bald hast du es geschafft.“

„Darf ich Euch etwas fragen?“

„Gewiss, Oscar. Was möchtet du wissen?“, erwiderte Emilie und ließ sich auf ihrem Platz nieder.

„Nun… wie ist… die Geburt?“, kam es etwas zögerlich von Oscar.

„Du hast Angst, nicht wahr?“

„Frei kann ich mich davon nicht sprechen“, gab sie zu.

„Ganz ohne Schmerzen läuft es leider nicht ab. Gern würde ich es dir ersparen. Aber eines musst du mir glauben, du wirst jeglichen Schmerz vergessen, sobald du dein Kind in den Armen hältst.“

Schweigend nickte Oscar bei Emilies Worten.

„Du bist eine junge und starke Frau, mein Kind. Und ich bin mir sicher, dass du die Geburt gut überstehen wirst. Und ich werde bei dir sein.“

„Danke, Maman.“

„Kein Dank. Ich bin immer für dich da.“

Nun lächelte Oscar ihre Mutter kurz an.

„Und ich für Euch, Maman. Ich freue mich ehrlich, dass es Euch nun besser geht.“

„Ich gebe ehrlich zu, dass es nicht leicht für mich ist. Und ich werde gewiss noch einige Zeit benötigen, aber ich weiß, dass dein Vater und du für mich da seid.“

„Das sind wir und ich bin nicht weit von Euch entfernt. Wenn Ihr wollt, kann ich Euch regelmäßig besuchen.“

„Darüber würde ich mich sehr freuen, mein Kind. Aber vergiss nicht, du und André, ihr habt bald selber eine eigene kleine Familie.“

„Aber Ihr und auch Vater gehören zu dieser, genau wie Sophie.“

Emilie konnte nicht anders, als sich zu erheben und ihre Tochter leicht zu umarmen.

„Ich habe dich lieb, mein Kind“, sprach sie sanft und strich ihr dabei durch das blonde Haar.

„Und ich Euch, Maman“, erwiderte Oscar lächelnd.

Madame de Jarjayes löste sich von ihrer Tochter und lächelte weiter hin.

„Warte hier kurz, bitte. Ich bin gleich wieder da.“

Mit diesen Worten verließ Emilie den Salon und ließ nun eine leicht verwirrte Oscar zurück.

Es dauerte etwas bis Oscars Mutter mit einem Bündel im Arm wieder zurückkehrte. Ruhig trat sie zu ihrer Tochter, wobei ihre Wangen eine zarte Röte umspielte.

„Hier, das wollte ich dir geben“, sprach sie und reichte Oscar das Bündel.

„Für mich?“, fragte ihre Tochter nach.

Dann begann sie neugierig das Bündel auf ihrem Schoss zu öffnen. So kam ein weißes, mit Spitzen und Rüschen verziertes, Umstandskleid zu Tage. Oscars Augen weiteten sich und sie sah zu ihrer Mutter herüber.

„Aber, Maman…“, begann sie.

„Ich weiß, dass du ungern ein Kleid trägst. Aber es ist besser für dich und das Kind. Die Hose schnürt doch etwas ab. Bitte probiere es einmal kurz.“

Oscar seufzte und erhob sich.

„Dann begleitet mich bitte nach oben“, sprach sie ergeben.

Emilie nickte und folgte kurz darauf ihrer Tochter nach oben. Dort half sie ihrem Kind beim Umziehen. Als diese sich zu ihrer Mutter umdrehte, lächelte diese entzückt und hielt kurz ihre Hände vor ihren Mund.

„Es steht dir wunderbar, mein Kind.“

„Wirklich?“

Emilie nickte sofort, kaum dass sie die Frage vernommen hatte.

„Ja, das tut es, Oscar.“

Kurz sah sie noch zu ihrer Mutter, dann fiel ihr Blick in den Spiegel, vor dem sie sich leicht drehte.

„Es ist wirklich sehr… leicht. Aber woher habt Ihr es?“

„Das habe ich dir doch gesagt, mein Kind“, erwiderte Emilie lächelnd.

„Nun, es ist mein altes Umstandskleid. Das habe ich schon getragen, als ich dich unter meinem Herzen trug.“

Emilies Worte trugen dafür Sorge, dass in Oscars Augen sich tränen sammelten.

„Ihr habt es aufbewahrt?“

Madame de Jarjayes nickte lächelnd.

„Ja, vielleicht weil ich gehofft habe, dass ich es eines Tages an dir sehen würde.“

Auch wenn es Oscar ungern zugab, das Kleid war wahrlich bequemer, als ihre abgeänderten Hosen. Kurz seufzte sie innerlich. Dann trat sie zu ihrer Mutter und umarmte sie.

„Ich danke, Euch. Und ich werde es tragen.“

„Das freut mich zu hören, mein Kind“, erwiderte diese und drückte dabei ihre Tochter leicht.

„Vielleicht solltest du es einmal André zeigen.“

Oscar löste die Umarmung und nickte leicht.

„Das werde ich tun.“

Zustimmend nickte auch Emilie und sah ihrem Kind hinterher.

Oscar trat gerade die Treppe herunter, als André von draußen hereinkam. Sofort entdeckte er sie und seine Augen weiteten sich, als er sie in dem Kleid sah. Ihm waren die Diskussionen zwischen ihr und Sophie nicht entgangen und er hatte es somit für besser befunden, sich daraus zuhalten.

„Oscar?“, fragte er nun überrascht.

„Ja, Liebster?“, erwiderte sie und trat lächelnd zu ihm.

„Du… du siehst wunderschön aus“, sprach er lächelnd.

„Vielen Dank“, antwortete Oscar.

Langsam hatte sie sich an André Komplimente gewöhnt und so stieg ihr nicht mehr sofort die Röte ins Gesicht.

„Maman hat es mir geschenkt“, sprach sie weiter und erzählte ihm, was es damit auf sich hatte.

Dabei wartete sie, dass er seine Jacke auszog und mit ihr in die gemeinsame Bibliothek gingen, die sich in der Nähe der Eingangstür befand. Der Raum war, im Vergleich zu den anderen, klein und recht voll gestellt. Hier ließen sie sich nieder.

Oscar hatte nicht vergessen, dass sie mit André reden musste und es auch irgendwo wollte. Ihm ging es kaum anders, bloß suchte er noch den richtigen Einstieg.

„Liebster?“, begann so Oscar.

„Ja, Liebste?“

„In den letzten Tagen habe ich mir sehr viel Gedanke gemacht. Über uns… über das Kind… Ich verspüre Angst in mir.“

Andrés Augen weiteten sich, als er ihre Worte vernahm.

„Aber… aber warum?“

Oscar senkte ihren Blick und sah auf ihre Hände.

„Nachdem was Geschehen ist… Maman gibt so viel Liebe und Geborgenheit und ich habe Angst, dass ich das unserem Kind nicht bieten kann…“, gab sie leise zu.

Sofort kniete sich André zu ihr und ergriff dabei ihre Hände.

„Das ist nicht wahr. Du hast genauso viel Liebe, Wärme und Geborgenheit zu vergeben, wie deine Mutter, Liebste“, sprach er zärtlich.

„Findest du das wirklich?“

„Aber ja, Liebste. Ich habe dir einst gesagt, dass ich dich niemals belügen werden und dieses Versprechen werde ich nicht brechen.“

Oscars Augen begannen zuschimmern und sie zeigte ein sanftes Lächeln.

„Wenn du es meinst, werde ich es schaffen.“

André nickte und drückte dabei sanft Oscars Finger. Jedoch entdeckte sie etwas in Andrés Augen, was sie stutzen ließ.

„Aber was ist mir, Liebster. Ich sehe Sorge in deinen Augen.“

Nun war es an André seinen Blick zusenken. Sanft löste Oscar daraufhin ihre Hände und hob leicht sein Kinn an.

„Sehe mich bitte an und sprich mit mir. Was bewegt dich?“

Kurz war ein leises Seufzen zu hören, dann hob er seine Lider und sah sie direkt an.

„Weißt du, ich habe mir ebenfalls Gedanken gemacht. Zu einem, ob ich so ein guter Vater sein kann und ob ich dir und dem Kind wirklich alles bieten kann, was ihr verdient.“

Oscar bekam große Augen, als sie es hörte.

„Du wirst ein sehr guter Vater sein. Das spüre ich ganz genau. Zudem weiß ich, wie stolz du bist auf das Kind“, begann sie mit ehrlichem Blick.

„Und du bietest uns mehr, als wir benötigen, Liebster.“

„Denkst du das wirklich, Liebste? Ich möchte deinen Worten glauben schenken, aber dennoch zweifele ich. Wenn das Kind geboren ist, werden wir einige Dinge benötigen und soviel verdiene ich nicht an der Mühle. Vielleicht sollte ich das Angebot, welches die Königin mir gemacht habe annehmen.“

Sanft strich Oscar mit ihrer Hand über Andrés Wange.

„Ja, das denke ich. Und wegen dem Geld musst du dir keine Gedanken machen. Ich habe noch etwas Erspartes und Vater hat uns auch meine Mitgift gegeben. Daher musst du nicht nach Versailles, ich weiß doch, wie du darüber denkst.“

„Aber, Oscar. Dein Geld und die Mitgift wollten wir doch für schlechte Zeiten zurücklegen.“, erwiderte André direkt.

„Ja, es spricht gegen meine Prinzipien, jedoch wenn ich weiß, dass es dir und dem Kind dafür gut geht, nehme ich es in Kauf.“

„Das möchte ich aber nicht, André. Gemeinsam schaffen wir es. Bis zur Geburt ist noch genug Geld vorhanden und dann ist Frühling und wir suchen eine andere Arbeit für dich.“

Innerlich seufzte André bei ihren Worten.

„Vielleicht hast du recht, Oscar. Und ich werde mich jetzt schon umhören.“

„Tu dies, Liebster.“

Oscar fühlte sich wohler, nachdem sie alles ausgesprochen hatte. Auch wenn Andrés Worte sie nachdenklich machten, wusste sie, dass sie es zusammen schaffen konnten. André war ebenfalls etwas leichter um Herz. Ihm wurde wieder einmal mehr bewusst, wieso und warum er Oscar so sehr liebte. Er erhob sich und setzte sich neben sie. Zärtlich legte er seinen Arm um sie und strich mit der freien Hand über ihren Bauch. Oscar kuschelte sich an ihn und schloss ihre Augen. Vor ihrem inneren Augen malte sie sich die gemeinsame Zukunft mit ihrer Familie aus. Sie sah, wie André mit dem gemeinsamen Kind herum tobte und das Reiten beibrachte. Allein diese Vorstellung ließ Oscar lächeln. In ihr spürte sie ein tiefes Glück, dass sie einen so liebevollen Ehemann in André gefunden hatte. Sie mochte sich nicht vorstellen, jemals ohne ihn zu sein.
 

~.~.~.~
 

Anmerkung: Eine direkte Umstandsmode wie heute, hat es damals nicht gegeben. In Adelskreisen gab es eine spezielle Schwangerschaftskorsage. Diese wurde mit fortschreitender Zunahme des Bauches eingekürzt, sodass das Kind und auch die Frau keine Schäden nahm. Jedoch fand ich die Vorstellung in einem einfach Umstandskleid reizvoller, zudem ist sie es noch immer nicht gewohnt Korsagen zutragen.

Emotionen schäumen über

Am nächsten Tag war der Schnee etwas geschmolzen und der Arzt schaffte es so, seinen Termin bei der Familie Grandier wahrzunehmen.

Ruhig warteten alle im Salon bis Dr. Raçon zu ihnen trat, während Oscar sich in ihrem Schlafgemach ankleidete. Der Arzt schob seine Brille zu Recht und stellte kurz seine Tasche ab. Anschließend fiel sein Blick auf André.

„Eurer Gemahlin geht es sehr gut. Ebenso steht es um die ungeborenen Kinder.“

„Kinder?“

André sprang mit geweiteten Augen von seinem Sessel auf.

„Ja, Eure Gemahlin erwartet Zwilling“, erwiderte Dr. Raçon.

André musste sich nun erst einmal setzen, im diese Meldung etwas zu verdauen.

„Ich hatte es bereits vermutet, aber die Kinder haben sich erst jetzt so gedreht, dass man es eindeutig feststellen konnte, dass es sich um Zwillinge handelt.“

//Zwillinge…//

Mehr spukte in André Kopf nicht herum. Mit so einer Nachricht hatte er nicht gerechnet.

Während Emilie den Arzt wegen möglicher Risiken befragte, reichte der General André ein Glas Cherry, welches dieser hastig leerte.

Dr. Raçon beantwortete alle Fragen, die man ihm stellte, so gut er es konnte. Vor allem Emilie und Sophie machten sich Sorgen, um Oscar. Jedoch konnte sie der Arzt beruhigen.

„Lady Oscar ist eine junge, starke und gesunde Frau. Die Geburt wird nicht leicht sein, aber ich bin der Ansicht, dass sie es schaffen wird. Man sollte nur darauf achten, dass sie sich immer weiter schonen wird. Sie wird ihre Kraft brauchen.“

„Aber gewiss, Dr. Raçon. Darauf werden wir achten“, erwiderte Madame de Jarjayes.

Sophie nickte zustimmend. Eine von beiden Damen würde immer in Oscars Nähe blieben und sich um sie kümmern.

„Wenn etwas vorfallen sollte, sagt mir direkt bescheid“, sprach der Arzt und nahm seine Tasche.

Die Damen nickten und verabschiedeten ihn anschließend.

André bekam nicht wirklich etwas davon mit. Er wollte nun zu Oscar. Ihr musste es genauso gehen wie ihm.

Im gemeinsamen Schlafgemach fand er sie jedoch nicht. Auch nicht in den angrenzenden, leeren Zimmern war sie nicht aufzufinden. So blieben ihm nur noch zwei Möglichkeiten übrig. Der Stall und die Bibliothek. Kurz sah er durch das nächste Fenster hinaus. Aber im Schnee konnte er keine frischen Spuren ausmachen. So führte sein Weg in die Bibliothek. Und er hatte Glück. Oscar war dort und sah hinaus. André musste nichts sagen, denn sie hatte ihn direkt an seinen Schritten erkannt.

Langsam ging er auf seine Liebste zu, die ihre Hände sich in den Rücken gestemmt hatte.

„Möchtest du dich nicht lieber setzen, Oscar?“, fragte er sie sanft.

„Nein, ich bin froh, dass ich etwas umhergehen kann.“

„Wie du meinst. Ich mache mir nur Sorgen.“

„Das brauchst du nicht. Mir geht es gut.“

Oscar strich sich mit einer Hand über den Bauch, dann drehte sie sich leicht in seine Richtung.

„Hat Dr. Raçon alles gesagt?“, fragte sie vorsichtig nach.

André nickte und ließ sich auf einem Stuhl in der Nähe nieder.

„Ja. Zwillinge…“, brachte er hervor.

Oscar betrachtete ihn genau und ging anschließend langsam auf sie zu.

„Meine Mutter äußerte diesen Verdacht ebenfalls gestern und wenn ich ehrlich bin, hatte ich ebenfalls das Gefühl, dass es mehr als eins ist.“

Überrascht sah André auf und merkte, dass Oscar ihren Blick gesenkt hatte.

„Ist das wahr?“

„Ja, ich habe mich an die letzte Schwangerschaft von meiner Schwester Josephine erinnert. Wir sind ja ähnlich gebaut und sie war um einiges schlanker, als sie sich im siebten Monat befand.“

„Aber… aber warum hast du nichts gesagt?“

„Ich wusste nicht, wie ich es dir sagen sollte“, gab Oscar kleinlaut zu.

André erhob sich und trat zu ihr. Zärtlich hob er ihr Kinn an.

„Bitt sieh mich an, Liebste.“

Oscar folgte seinem Wunsch und hob ihre Lider an und sah ihm somit direkt in seine wunderschönen Augen. Deutlich konnte sie darin seine Gefühle für sie erkennen.

„Ich gebe zu, ich war mehr als überrascht, dies zu erfahren. Aber zugleich bin ich glücklich.“

Deutlich sah und hörte sie, dass er es mit seinen Worten ehrlich meinte. So lächelte sie ihn zärtlich an.

„Wenn du es bist, bin ich es ebenfalls, Liebster.“

André erwiderte ihr Lächeln und küsste sie zärtlich. Beide genossen die Nähe des anderen, sodass sie nicht mitbekamen, wie Emilie kurz durch die Tür herein sah. Lächelnd beobachtete sie die Szene, dann zog sie sich jedoch wieder zurück.

Sie hatte mit ihrem Mann zusammen beschlossen, auf das heimatliche Anwesen zurückzufahren. Sophie sollte bei den beiden blieben und sie würden regelmäßig vorbeischauen. So konnte Emilie sich noch vollends erholen, zudem wollte diese noch einige Dinge für Oscar zu Recht legen.

Diesen Entschluss teilten sie Oscar und André beim nachmittäglichen Tee mit. Die beide nickten zustimmend. Vor allem André war froh, dass seine Großmutter hier blieb. Sie konnte im schlimmsten Fall helfen. Zudem war Oscar nicht alleine, wenn er bei der Mühle war.

So brachten Oscars Eltern am Abend auf. Oscar zog sich nachdem gemeinsamen Essen zurück. Sie verspürte starke Rückenschmerzen und hielt es für besser sich etwas hinzulegen. André hatte sie besorgt angesehen, aber seine Großmutter hatte ihn beruhigen können.

So vergingen die Wochen. André arbeitete noch härter und machte viele Überstunden. Diese jedoch nicht immer nur in der Mühle. Er wollte Oscar überraschen. Und dies gelang ihm, als er Mitte April sie mit verbundenen Augen in das Nachbarzimmer ihres Schlafgemachs führte. Dort löste er die Augenbinde.

„Ich hoffe, es gefällt dir“, sprach er sanft lächelnd.

Oscar musste kurz blinzeln, dann entdeckte sie zwei wunderschön gearbeitete Wiegen. Ihre Augen begannen zu glänzen und ein paar Freudetränchen kullerten. In letzter Zeit hatten ihr die Schwangerschaftshormone doch immer wieder arge Streiche gespielt. Denn ihre Laune war wechselhaft, wie das Wetter im April. In einem Moment war sie fröhlich und voller Tatendrang und im nächsten Augenblick war sie entweder erzürnt, dass sie gegen jeden und alles wetterte, oder sie fing an grundlos zu weinen. Am schlimmsten traf dies André, jedoch hatte dieser es gelernt, damit umzugehen und sich nicht alles zu sehr zu Herzen zunehmen.

„Sie sind wunderschön“, sprach sie angetan.

„Hast du sie…“

„Ja, Liebste. Ich habe sie gebaut.“

Oscar wusste nichts darauf zu erwidern. Sie war glücklich und umarmte so ihren André, so gut es mit ihrem Bauch noch ging. Ein paar ihrer Tränen nässten sein Hemd. Beruhigend strich er ihr über den Rücken.

„Es freut mich, dass sie dir gefallen. Und Großmutter näht dir bereits die Decken und Kissen.“

Diese paar Worte lösten noch mehr Freudentränen bei Oscar aus und André fiel es immer schwerer sie zu beruhigen. So fand sie Sophie kurze Zeit später vor und das Gesicht der alten Dame zeigte deutlich das Unverständnis, da sie Oscars Tränen falsch deutete.

"Was hast du wieder mit Lady Oscar gemacht?"

"Großmutter?", überrascht sah André sie an.

"Du hast mich genau verstanden. Also was hast du getan?"

Sophie trat dichter auf die beiden zu, wobei ihre Augen funkelten.

"Ich habe nichts gemacht, Großmutter."

Kaum hatte er dies gesagt, bekam er von Sophie eine Kopfnuss.

"Au, Großmutter. Ich habe doch nichts getan, also wofür war das?"

"Lady Oscar weint. Also hast du irgendetwas angestellt."

Wieder holte sie aus, doch Oscar trat dazwischen und stellte sich so schützend vor ihren Liebsten.

"Es sind Freudentränen, Sophie. Er hat mir die Wiegen gezeigt und das du etwas dafür nähst.", sprach sie sanft, wobei ihre Augen immer noch leicht schimmerten.

Prüfend sah ihre Amme von ihr zu ihrem Enkel, dann seufzte sie innerlich und hielt es vorerst besser zu schweigen.

Der April verlief nicht nur Wechselhaft im Wetter, sondern auch mit Oscars Verhalten. Ihre Stimmung schwankte doch zwischenzeitlich sehr stark. Deutlich spürten alle, dass man Oscar wirklich mit Samthandschuhen anfassen musste. Aber als der April sich zu Ende neigte, wurde Oscar wieder ruhiger. Immer häufiger war sie rasch ermüdet, sodass sie viele Pausen einlegen musste. Zudem drückte das Gewicht ihrer Kinder auf Oscars Organe. Dr. Raçon wurde immer häufiger gerufen und betrachtete alles mit etwas Argwohn. Er teilte allen mit, dass es den Anschein hatte, als würden die Kinder früher das Licht der Welt erblicken, da sie sich bereits in Oscars Bauch etwas gesenkt hatten. Der eigentliche Geburtstermin lag Ende Mai, jedoch war Dr. Raçon der Meinung, dass sie spätestens Mitte des Monats niederkommen würde. Diese Nachricht ließ Unruhe im Hause entstehen. Während André seiner Arbeit nachgehen musste, waren Emilie und Sophie immer bei Oscar. Und nicht nur die beiden Damen waren ständig anwesend. Auch Oscars Schwestern waren angereist. Abends nächtigten sie in ihrem alten Elternhaus, aber über Tage waren sie bei ihrer kleinen Schwester.

"Also Oscar, ich kann dir nur sagen, wenn du die Haut am Bauch etwas herab hängt, solltest du ein Bad in Stutenmilch nehmen. Das ist sehr gut", begann Josephine.

"Aber was redest du da? Stutenmilch. Es gibt wunderbare Übungen dafür", mischte Catherine sich mit ein.

"Das ist alles Unsinn. Hör nicht auf die beiden, Oscar", versuchte Hortsene zu beschwichtigen.

"Was schlägst du den vor, Hortense? Nichts tun? Hättest du etwas dagegen unternommen, hättest du eine bessere Figur."

Kaum waren diese Worte ausgeprochen, ging es weiter zwischen den Schwestern und Oscar stand genau in der Mitte. Ihre Ohren hallten vor Ratschlägen und Gezeter. Dies ging soweit, bis es Oscar zuviel wurde und ihr altes Naturell zum Vorschein kam. Mehr als lautstark wies sie ihre Schwestern zurecht, die erschrocken auseinander gestoben waren. Emilie war ebenfalls anwesend und scheute sofort ihre Töchter aus dem Raum, um sich anschließend um die Schwangere zukümmern, deren Puls und Atmung extrem in die Höhe geschnellt waren.

„Oscar… Kind. Bitte beruhige dich.“, sprach sie sanft auf sie ein.

„Diese dummen Gänse…“, zischte Oscar wütend.

„Ich weiß, mein Kind. Aber sie haben es nur gut gemeint. Sie wollen für dich doch nur das Beste.“

„Dann müssen sie nicht gleich über mich herfallen, wie eine Meute junger Hunde. Sie sollen sich lieber um ihre Familien kümmern“, erwiderte Oscar mit bösem Blick.

„Verzeihe ihnen, Oscar“, sprach Emilie sanft weiter, wobei sie Oscar zu ihrem Bett führte.

„Ich werde mit ihnen reden, ja? Ruhe du dich bitte aus.“

Nur widerwillig ließ Oscar sich von ihrer Mutter sanft auf das Bett drücken, aber tief in sich, wusste sie, dass es das Beste war. Zudem verspürte sie ein starkes Ziehen in ihrem Bauch. Dies hatte sie bereits Tage zuvor gehabt, aber immer nur kurz, sodass sie es niemanden mitgeteilt hatte. Nicht einmal André.

Prüfend sah Emilie ihr jüngstes Kind an, dann verließ sie das Zimmer und ging hinunter in den Salon, wo ihre anderen Töchter sich versammelt und begonnen hatten, sich gegenseitig die Schuld zuzuschieben.

“Marie-Anne! Clautilde! Hortense! Catherine! Josephine!”, kam es streng von Emilie, als sie dem lauten Stimmenwirrwarr gewahr wurde.

Sofort kehrte Stille in den Raum und Emilie musterte jede einzelne ihrer Töchter.

„Was ist nur in euch gefahren? Ich weiß, dass ihr euch für Oscar freut. Aber ihr kennt sie, genauso wie ich es tue. Warum überfallt ihr sie geradezu?“

„Es tut uns leid, Maman“, sprach Marie-Anne, als älteste der Schwester.

„Wir haben es nur gut gemeint“, kam es nun von Josephine.

„Ich weiß, aber ihr habt nicht bemerkt, dass es einfach zuviel war“, antwortete Emilie.

„Vor allem darf Oscar sich nicht aufregen. Ich hätte von euch allen mehr Verstand erwartet. Ihr habt alle Kinder und müsstet wissen, wie Oscar sich nun fühlen muss“, sprach sie weiter, wobei eine Spur von Enttäuschung in ihrer Stimme mitschwang.

Beschämt senkten ihre Töchter ihre Köpfe. Es tat ihnen sichtlich leid. Emilie sah dies deutlich und sie lächelte nun wieder leicht.

„Ich werde zurück zu Oscar gehen und nach ihr sehen. Dann könnt ihr bestimmt wieder zu ihr. Aber…“

Emilie wurde unterbrochen, als die Tür aufflog und der General im Raum stand.

„Emilie? Schnell! Oscar ruft nach dir. Sophie habe ich bereits zu ihr geschickt!“

Sofort weiteten sich die Augen von Madame de Jarjayes und sie raffte, ohne noch ein Wort zu verlieren, ihre Kleider und huschte an ihrem Mann vorbei. Dieser sah kurz zu seinen Töchtern, doch dann folgte er seiner Gemahlin.

Oscars Schwestern sahen sich besorgt an. Wieder begann ein Stimmenwirrwarr, aber dieses Mal war es um einiges ruhiger und gesitteter. Sie beratschlagten was nun zu tun war. Marie-Anne teilte sie auf, sodass jede etwas zutun bekam.

Emilie konnte Oscar bereits auf der oberen Treppe hören. Im Türrahmen kam ihr Sophie entgegen.

„Die Fruchtblase ist geplatzt und sie hat starke Wehen“, sprach Andrés Großmutter mit besorgtem Blick.

„Bleib bei ihr, ich komme sofort“, sprach Emilie zu ihr.

Dann machte sie auf dem Absatz kehrt und lief fast in ihrem Gemahl hinein. Sofort griff sie nach seinen Händen.

„Es ist soweit. Bitte hole Dr. Raçon und verständige dann André.“

Oscars Vater verstand sofort und nickte. Anschließend löste er sich von ihr und machte sich zügigen Schrittes auf den Weg. Aus dem Stall holte er Oscars Schimmel und ritt, als ob der Teufel höchstpersönlich hinter ihm her wäre, vom Grundstück.

Oscar lag in ihren Kissen und einige ihrer Haarsträhnen klebten in ihrem Gesicht. Noch nie hatte sie solche Schmerzen verspürt, obwohl sie solche durchs Fechten kannte. Aber dieser neuartige Schmerz, erweckte in ihr den Eindruck, dass es sie innerlich zerreißen würde. Ihre Hände hatten sich längst in die Laken gekrallt und Sophie kümmerte sich liebevoll um sie.

„Bitte, Ihr dürft Euch nicht so verkrampfen, mein Kind. Ich weiß, es ist nicht leicht, aber Ihr macht es Euch nur schwerer.“

„Du hast leicht reden, Sophie“, presste Oscar hervor.

„Ja, ich weiß. Aber ich habe ein Kind zur Welt gebracht. Ich weiß, wie Ihr Euch fühlt. Glaubt mir, ich will Euch helfen. Jedoch wenn Ihr nicht das tut, was ich Euch sage, wird es nur schwerer für Euch.“

Langsam ebbte Oscars Wehe ab, aber ihre Atmung war dennoch schwer. So fand Emilie sie, als sie mit Marie-Anne das Zimmer betrat. Sie hatten Schüsseln mit Wasser und einige Tücher dabei. Emilies weitere Töchter hielten sich in der Küche bzw. in Oscars Nähe auf. Wenn man sie brauchen würde, wären sie sofort da.

In immer kürzer werdenden Abständen, konnten sie Oscar hören. Sie machten sich Sorgen um ihre kleine Schwester. Und diese wurden nicht geringer, als der General noch immer nicht mit Dr. Raçon und André auftauchte.

Eine schwere Geburt

Die Anspannung aller wuchs von Minute zu Minute. Oscars Wehen nahmen weiter zu. Dadurch war sie bereits sehr erschöpft. Emilie und Sophie versuchten ihr zu helfen, in dem sie ihr erklärten, wie wichtig es war, korrekt zu atmen, sobald sich eine neue Wehe ankündigte.

Oscar empfand dies zuerst als lächerlich, jedoch wurden die Schmerzen immer unerträglicher und so versuchte sie es doch. Sehr half es ihrer Meinung nach nicht, aber mit der Hilfe ihrer Mutter und der Amme brachte sie die nächsten Wehen hinter sich.

„Marie-Anne? Sehe bitte nach, ob dein Vater bereits eingetroffen ist.“

Oscars Schwester nickte und verließ rasch das Zimmer. Auf dem Flur davor traf sie auf Josephine und Hortense, sie sie fragend ansehen.

„Ist Vater wieder da?“

„Nein, leider noch nicht“, antwortete Josephine.

„Sagt uns bitte sofort Bescheid.“

„Natürlich. Benötigt ihr sonst noch etwas, Marie-Anne?“

„Und wie geht es Oscar?“, mischte sich Hortense mit ein.

„Bring mir bitte noch eine Schüssel mit Wasser, Josephine. Es geht ihr den Umständen entsprechend gut.“

Kaum das Marie-Anne dies geäußert hatte, war Oscars Stimme deutlich zu vernehmen.

„Macht, dass es endlich aufhört! Egal wie! Aber macht verdammt noch mal etwas!“

Die Schwestern zuckten automatisch zusammen.

„Sie hat sich nicht im Geringsten verändert“, kommentierte Josephine kopfschüttelnd.

„Was André nur an ihr findet?“

„Hört auf zu schnattern, ihr beiden!“, unterbrach Marie-Anne ihre Schwestern und klatschte dabei in die Hände.

Ihre Schwestern verstummten, nickten und machten sich dann an die Arbeit. Marie-Anne war zufrieden und kehrte zurück ins Oscars Zimmer. Dort wurde sie Zeuge, wie Sophie auf ihre kleine Schwester einsprach.

„Aber, Lady Oscar. Ihr müsst Euch zusammenreißen.“

„Du hast leicht reden, Sophie“, zischte Oscar.

„Sie hat Recht, mein Kind“, mischte sich Emilie nun mit ein.

„Du verkrampfst dich viel zu sehr und durch deine Flucherei wird es nicht besser oder schneller gehen. Es erschwert nur alles.“

Die Wehe ebbte ab und Oscar sank zurück in ihre Kissen. Sie wusste, die die beiden Frauen Recht hatten. Dies konnte sie deutlich spüren. Aber die Umsetzung fiel ihr mehr als schwer. Jedoch viel Zeit zum Nachdenken hatte Oscar nicht, da sich die nächste Wehe ankündigte.

Marie-Anne teilte ihrer Mutter mit, dass weder der General, noch der Arzt oder André eingetroffen waren. Emilies Gesichtszüge wurden härter und eine steile Sorgenfalte zeigte sich auf ihrer Stirn. Sie hoffte, dass alles gut gehen würde. Aber ihren Gedanken konnte sie nicht weiter nachhängen, da Sophie sie ansprach.

„Madame? Die ersten Presswehen haben eingesetzt.“

Oscars Mutter blinzelte kurz und trat dann an Oscars Bett.

„Wir müssen es zusammen schaffen, Sophie.“

Diese nickte und half anschließend Oscar.

Marie-Anne nahm ihrer Schwester Hortense die neue Schale mit Wasser ab und schob sie anschließend mit ihrer Hüfte wieder zur Zimmertür hinaus.

Wenn Oscar gedacht hatte, dass sie noch nichts Schlimmeres erlebt hatte, wurde sie nun eines besseren belehrt. Sie spürte etwas, was sie nicht kannte. Es schien, als würde der Druck in ihrem Bauch immer tiefer gleiten.

Sie wollte sich nun zurück in ihrer Kissen lehnen, aber Emilie hielt sie auf.

„Du musst pressen.“

„Aber es geht nicht.“

„Doch es geht. Wir sind bei dir und helfen.“

Oscar nickte kurz und versuchte den Anweisungen folge zu leisten, auch wenn ihr dies mehr als schwer fiel.

Vor der Tür versammelten sich Oscars Schwestern. Neugierig und nervös sahen sie auf die Tür. Keiner traute sich nur ein Wort zusagen.

Immer öfter konnten sie Oscar hören, wie sie schrie. Doch kehrte auch immer wieder Stille ein. In diesen Momenten konnte man Stecknadeln fallen hören. Die Abstände zwischen laut und leise wurden immer kürzer, bis sie dann nach einem lauten Aufschreis Oscars erstarben. Alle Anwesenden hielten die Luft an und tauschten kurze Blicke untereinander aus. Dann erklang ein Babyschreien. Sofort atmeten alle auf.

„Eins ist da“, kam es leise von der ruhigen Clautilde.

Die Anderen nickten. Ihre Blicke waren wieder auf die Zimmertür geheftet. Aber dort blieb es ruhig.

„Ob etwas geschehen ist?“, fragte Catherine besorgt.

„Oder dem Baby?“, setzte Josephine hinzu.

„Wo der Arzt nur bleibt“, murmelte Hortense.

Alle machten sich große Sorgen. Es war einfach zu still. Doch dann öffnete sich die Tür und Marie-Anne trat hervor.

„Wir brauchen neues Wasser. Schnell!“

Ihre Schwestern nickten und stolperten fast übereinander, als sie alle zusammen loslaufen wollten. Marie-Anne konnte nur ihren Kopf schütteln. Clautilde war dann diejenige, die das Wasser holte. Kaum das sie es ihrer älteren Schwester übergeben hatte, schloss sich die Tür vor ihnen. Sie hatten nicht einmal einen kurzen Blick in das Zimmer werfen können, dafür hatte Marie-Anne gesorgt. Jedoch hatte sie hatten nicht verhindern können, dass ihr Gesicht sehr ernst war. Dies ließ die Besorgnis aller ansteigen. Wieder starrten alle auf die Zimmertür, doch dann hörten sie auf einmal hastige Schritte auf der Treppe. Sie drehten ihre Köpfe und sahen Dr. Raçon auf sie zutreten. Sofort bildeten Oscars Schwester für diesen eine Gasse, um ihn nicht aufzuhalten. Rasch trat der Arzt in das Zimmer ein.

So schnell, wie die Gasse sich aufgetan hatte, schloss sie sich auch wieder. Besorgt wurden wieder Blicke ausgetauscht. Aber es herrschte weiter schweigen.

Diese jedoch wurde eine knappe halbe Stunde durch eilige Schritte auf der Treppe abermals unterbrochen. Alle drehten sich zurück und erkannten einen ziemlich abgehetzten André in dessen Schlepptau sich der General befand.

„Wie geht es Oscar? Ist der Arzt da? Sind die Kinder schon da?“, bombardierte er Oscars Schwestern schwer atmend.

„Ja, Dr. Raçon ist vor kurzem eingetroffen. Wie es Oscar geht, wissen wir nicht“, antwortete Hortense auf Andrés Fragen.

„Und ein Baby haben wir gehört. Aber seitdem herrscht Stille“, fügte Josephine hinzu.

„Was?“

André musterte eine Schwester nach der anderen. Dann drängte er sich an ihnen vorbei.

„Ich muss sofort zu Oscar, sie braucht mich.“

Jedoch wurde er an der Schulter gefasst. Sofort drehte André seinen Kopf und er konnte direkt in das Gesicht des Generals schauen.

„Du kannst nicht zu ihr, mein Junge. Das weißt du.“

„Aber ich muss…“

Oscars Vater schüttelte seinen Kopf.

„Nein, du musst nicht. Wir müssen uns gedulden. Aber ich bin mir sicher, dass du bald zu ihr kannst.“

André sah ihrem Vater nur in die Augen, dann senkte er ergeben seinen Kopf und ließ sich von ihm zurückführen.

Alle begannen sich nun immer mehr zu wundern, warum das zweite Babyschreien solange auf sich warten ließ. Die Schwestern tauschten wieder Blicke aus, jedoch sprachen sie nicht, denn André war schon nervös genug. Er lief den Flur auf und ab, wie ein Tiger.

Auf einmal wurde es hinter der Tür hektische. Schritte schienen von einem Punkt zum nächsten zu eilen. Marie-Anne erschien und lief nach unten, um einige Tücher und eine weitere Schale Wasser. Mit dieser kehrte sie flink zurück.

André war kurz davor sich sein Haar zu zerraufen. Er war sichtlich nervös und zugleich auch besorgt. Als dann auf einmal Oscars Stimme wieder erklang, sprang André fast zur Tür. Noch nie hatte er sie so schreien hören. Ihr Vater konnte ihn kaum festhalten.

„Ich muss zu ihr, bitte lasst mich los“, flehte er ihn an.

„Sie braucht mich doch.“

„Ich weiß, mein Junge. Aber es geht nicht“, redete der General auf ihn ein.

Auch Oscars Vater machte sich Sorgen. Von Clautilde hatte er erfahren, was bis dato geschehen war. So sprach er wieder und wieder auf seinen Schwiegersohn ein, bis auf einmal Oscar deutlich geschwächt aufschrie und kurz darauf das Weinen eines Säuglings zu vernehmen war. Sofort begannen Andrés Augen feucht zu schimmern. Leicht stützte er sich an dem General ab und seine Lippen formten Oscars Namen. Gebannt sah er nun zur Tür, wo eine ganze Weile später Sophie und Emilie erschienen. Jede von ihnen trug einen Säugling auf dem Arm. Strahlend traten sie mit ihnen auf André und Oscars Vater zu.

„Schau, André. Dies ist dein Sohn, der erstgeborene, und deiner Großmutter hält deine Tochter, eine kleine Prinzessin, auf ihrem Arm.“

André war wie erstarrt, als er auf die beiden Würmchen sah. Seine Augen begannen feucht zu glänzen. Als er zuerst seinem Sohn und dann seiner Tochter über die Wange strich. Er war so unsagbar glücklich. Langsam sah er von seinen wundervollen Kindern auf direkt in Emilies lächelndes Gesicht.

„Kann ich zu Oscar?“, fragte er mit flehendem Blick.

„Ja, gleich, mein Junge. Dr. Raçon ist noch bei ihr. Aber lange wirst du dich nicht mehr gedulden müssen“, sprach sie sanft.

André nickte bei ihren Worten und sah zurück zu den kleinen Wundern in den Armen der Frauen. Der General strahlte übers ganze Gesicht. Er trat zu seiner Gemahlin.

„Reich mir bitte meinen Enkel.“

Kaum das er das gesagt hatte, hatte er ihr das Kind bereits aus den Armen genommen. Sein ganzer Stolz war in seinen Augen und in seiner Haltung zu sehen. Leicht hob er den Säugling an.

„Bitte, Liebster. Sei vorsichtig.“

„Das bin ich schon. Mach dir keine Sorgen. Schließlich hat er das Blut der Jarjayes in sich“, kam es mit geschwellter Brust von ihm.

André nahm vorsichtig seine Tochter auf den Arm und betrachtete sie liebevoll. Oscars Schwestern traten näher. Jede wollte die kleinen mindestens einmal genauer betrachten. Am liebsten hätte jeder die Kinder mal auf die Arme genommen, aber sie hielten sich zurück. Die Chance würde sich gewiss noch für sie ergeben.

Der General hob seinen Enkel etwas weiter hoch und nahm ihn dann zurück. Jedoch begann dieser auf einmal bitterlich zu weinen.

„Ich habe es doch gewusst, du warst zu grob“, wies Emilie ihren Gatten zurecht und nahm ihren Enkel zurück zu sich.

„Zu grob?“

Eine Augenbraue des Generals wanderte dabei nach oben, dann schüttelte er seinen Kopf.

Beruhigend wiegte Emilie ihren kleinen Schatz sich er in ihren Armen. Jedoch beruhigte er sich nicht. Zu allem Unglück begann kurz darauf auch seine Schwester in Andrés Armen leise zu wimmern. Sofort wurden seine Augen groß. Jedoch bevor er etwas äußern konnte, öffnete sich die Zimmertür und Dr. Raçon trat zusammen mit Marie-Anne aus diesem.

„Ihr könnt nun zu Eurer Gemahlin. Aber bitte nicht alle auf einmal. Sie ist sehr geschwächt und braucht nun sehr viel Ruhe.“

Alle nickten und André trat gefolgt von Emilie Oscars Zimmer. Sophie trug Sorge, dass die Tür hinter ihnen geschlossen wurde und alle nun wieder zum Warten verdammt waren.

Ganz vorsichtig schritt André auf das große Bett zu, in dem Oscar lag. Langsam öffnete sie ihre Augen, als sie die Schritte und die Stimmen ihrer Kinder hörte.

„Liebster…“, sprach sie matt.

Lächelnd ließ André sich auf der Bettkante nieder.

„Schau, Liebste unsere beiden Engel. Unser Sohn und unsere Tochter.“

„Ein Sohn und eine Tochter?“

Oscars Augen begannen feucht zu schimmern, als sie es vernahm.

„Aber… warum weinen sie? Ist etwas mit ihnen?“, fragte sie besorgt, als vor allem das Weinen ihres Sohnes intensiver wurde.

Emilie sah ihre Tochter lächelnd an.

„Ihnen geht es gut. Sie haben Hunger und du musst sie stillen“, sprach ihre Mutter mit ruhiger Stimme.

Ihre Tochter schluckte hart und ihre Wangen begannen sich prompt rötlich zu verfärben. So nahm sie ihren Sohn entgegen und sah ihn an. Oscar fühlte sich nun etwas hilflos. Ihre Mutter merkte dies und umrundete das Bett. Sie half ihrer Tochter, damit sie richtig saß. Anschließend zog sie die Decke etwas zurück.

„Nun öffne deine Bluse und lege ihn an deine Brust“, sprach sie ruhig.

André beobachtete das ganze aus dem Augenwinkel, auch seine Wangen röteten sich, als er sah, wie Oscar ihren Sohn stillte. Sofort wendete er seinen Blick und sah zu seiner kleinen Tochter, die wieder ruhig geworden war.

Oscar hatte die Anweisungen ihrer Mutter befolgt und hatte geschluckt, als sie auf einmal den kräftigen Zug ihres Sohnes an ihrer Brust verspürte. Es war ihr nicht unangenehm, nur so unwahrscheinlich neu. Während er trank, strich Oscar ihm über die Wange.

Lächelnd beobachtete Emilie diese Szene.

„Wie sollen eure Kinder nun heißen?“

Oscar sah von ihrem Sohn auf. Er fiel ihr Blick auf ihre Mutter, doch dann wanderte er weiter zu André.

„Ich würde unseren Sohn gerne Armand nennen.“

Kaum hatte sie diesen Namen genannt, drehte André seinen Kopf zu ihr und sah so ihr sanftes Lächeln.

„Du möchtest ihn den Namen meines Vaters geben?“

„Ja, ich finde, er ist passend.“

André überlegte kurz und nickte.

„Ja, das ist er wirklich.“

„Und wie soll eure kleine Prinzessin heißen?“

„Ich wäre für Camille.“

Oscar begann nun zu lächeln und nickte dabei.

„Ja, sie soll den Namen meiner Großmutter tragen.“

„Ihr habt eine sehr gute Wahl getroffen. Also Armand und Camille“, erwiderte Emilie lächelnd.

Nachdem Oscar ihre Tochter versorgt hatte, legte ihre Mutter sie in ihre Betten, dann zog sie sich zurück, um die junge Familie etwas allein zu lassen. Zudem war Oscar sehr erschöpft. Die Geburt hatte sie sehr viel Kraft und auch Blut gekostet. André würde nun über sie und die beiden Kinder wachen.

Als Emilie hinaus trat, kamen alle auf sie zu und bestürmten sie mit Fragen.

„Lasst uns hinunter gehen. Oscar braucht nun Ruhe, genauso wie die Kinder. Das müsstet ihr eigentlich wissen.“

Ihre Töchter nickten sofort und gingen mit ihren Eltern und Sophie hinunter in den Salon. Dort hatte Marie-Anne bereits für die Teestunde eingedeckt. Dort fragten sogleich alle nach den Namen der Kinder und kaum hatte Emilie diese genannt, waren alle entzückt von diesen. Auch der General schien einverstanden zu sein. So verbrachten sie noch den Tag bis zum Abend zusammen. Später sah Emilie nach der kleinen Familie, um ihnen etwas zu Essen zubringen, dann zog auch sie sich zurück.
 

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Anmerkung: Die Geburten, wie auch die Hochzeitsnächte, liefen in den Adelskreisen fast immer identisch ab. Das bedeutet, dass die komplette Familie dabei war. Dies betrifft auch entfernte Verwandte des siebten und achten Grades, wenn nicht noch weiter. Aber hier hielt ich es für besser, dass die Familie draußen wartete, samt dem Ehemann. Auch dies war teils gang und gebe. Es kam immer auf die jeweiligen Familien an.

Familie Grandier

Seit der Geburt der Zwillinge waren einige Tage vergangen. Oscar, noch immer von dem Blutverlust stark geschwächt, war bereits, gegen die Anweisungen von Sophie, aufgestanden. Jedoch hatte sie rasch gemerkt, dass es doch besser war, auf ihre alte Amme zu hören. Ihre Beine wollten noch nicht ganz ihren Dienst aufnehmen. So verbrachte sie die meiste Zeit im Bett. André nahm sich soviel Zeit, wie er nur konnte, um für sie dazu sein. Seine Großmutter blieb im Haus, um Oscar zu helfen. Für diese war es nicht einfach, auch wenn ihr Sophie sehr viel abnahm. Mit André war sie sich von Anfang an einig gewesen, dass sie ihre Kinder stillt und dass dafür keine extra Amme ins Haus musste.

An dieses neue Gefühl, wenn eines ihrer Kinder an ihrer Brust trank, hatte sie sich langsam gewöhnt. Dennoch betrachtete sie ihre Zwillinge immer ganz genau, wenn sie sie fütterte.

Die ersten Nächte waren anstrengend gewesen, wenn Armand oder Camille sich gegenseitig weckten, weil sie Hunger hatten. Oscar hatte die ersten Male gemurrt, wenn sie vom Weinen ihrer Kleinen aus ihrer Nachtruhe geweckt wurde. Oscar war so rasch bewusst geworden, dass ein Kind zu haben, nicht einfach war. Und das bei Zwillingen auch die doppelte Arbeit anfiel. Aber André war auch eine große Stütze für sie. Er stand nachts auf, um ihr die Kinder zu reichen. Oscar war ihm mehr als dankbar dafür, jedoch entging ihr nicht, dass sich bei ihm der Schlafmangel immer deutlicher zeigte. Sie konnte hingegen immer wieder eine Weile schlafen. So hoffte Oscar, dass sie bald stark genug war, um wieder aufzustehen und die Kinder zu versorgen, ohne auf André Hilfe angewiesen zu sein.

Was ihr immer wieder auffiel, war der Stolz in Andrés Augen, wenn er seine Kinder sah. Oscar konnte sich gut vorstellen, wie es in ein paar Jahren sein würde, wenn die Zwillinge laufen konnten. Gewiss würde er mit ihnen durch den Garten toben. Allein dieser Gedankte ließ die junge Mutter immer wieder Lächeln.

Ihre Schwestern waren nach und nach zu Besuch gekommen und sie konnten sich jedes Mal kaum von der Kindern lösen, obwohl sie alle bereits selber welche hatten. Am schlimmsten war ihre älteste und zugleich vernünftigste Schwester Marie-Anne, deren jüngstes Kind bereits 4 Jahre alt war. Sie verhätschelte Armand und Camille geradezu. Nur beim Ansatz eines Weines stand sie an den Wiegen, um sie zu trösten oder zu wickeln. Oscar konnte darüber nur amüsiert lächeln. Ihr war nicht entgangen welche Auswirkung ihre Zwillinge auf alle hatten. Ihr Vater kam extra zu ihr, nur um seine Enkel zusehen. Auch wenn dies nicht seine ersten waren. Innerlich musste Oscar seufzen, wenn er von Armand als seinen zukünftigen Nachfolger und somit als Soldat sprach. Sie wollte ihre Kinder in keine Rollen quetschen. Sie sollten eine glückliche Kindheit haben. Nicht das sie sie nicht gehabt hätte, jedoch war Oscar sich mittlerweile bewusst, dass es auch hätte anders sein können.

Madame de Jarjayes kam ebenfalls oft zu Besuch, aber meistens war sie alleine. Sie hatte immer noch an dem Verlust ihres Kindes zu knabbern, was Oscar merkte, wenn sie ihre Mutter stumm an den Wiegen stehen sah. Das Herz schmerzte dabei sehr, aber Oscar konnte ihr nicht helfen. Sie konnte ihr nur beistehen und ein offenes Ohr haben.

Sophie hingegen, kümmerte sich liebevoll um ihre Urenkel. Auch in ihren Augen konnte Oscar den Stolz sehen, den sie von André kannte.

An einem Morgen, als Sophie die Kinder gewickelt hatte, sprach sie etwas aus, was auch Oscar nicht entgangen war.

„Der kleine Armand ist Euer Ebenbild, auch wenn er dunklere Augen hat, Lady Oscar. Und unsere kleine Prinzessin, scheint nach André zu kommen.“

„Das glaube ich auch, Sophie. Nur Camilles Augen sind heller“, erwiderte Oscar mit einem sanften Lächeln auf ihren Lippen.

„Ja, das hat sie wirklich. Es sind zwei wunderschöne Kinder.“

Diesen Satz hörte Oscar regelmäßig von ihrer Amme.

„Sophie?“

„Ja, Lady Oscar?“

„Ich habe eine Bitte an dich.“

„Aber gewiss. Benötigt Ihr etwas? Kann ich Euch etwas bringen?“

Oscar schüttelte kurz ihren Kopf und sah dann wieder zu ihr.

„Nein, Sophie. Vielen dank, aber ich habe alles, was ich benötige.“

„Was ist es dann, Lady Oscar?“

„Bitte, Sophie. Wir sind doch nun eine Familie und Armand und Camille sind deine Urenkel. Sag also bitte nicht mehr ‚Lady’ zu mir.“

„Aber das geht doch nicht, Lady Oscar“, kam es leicht entrüstet von der alten Dame.

„Wieso? Es ist doch nichts mehr dabei. Zudem bin gehöre ich nun doch auch zu deiner Familie. Oder etwa nicht? Ich bin keine de Jarjayes mehr“, sprach Oscar sanft zu ihr.

„Das ist wahr, aber…“

Sophie stoppte und seufzte.

„Kein aber, Sophie. Du weißt, ich habe dich immer sehr gern gehabt und ich bin mir sicher, André würde es auch gefallen. Zudem was für Armand und Camille sagen, wenn sie später mitbekommen, dass du immer so höflich zu mir bist.“

Andrés Großmutter wusste, dass Oscar recht hatte. Aber es fiel ihr nicht leicht. Zu sehr, was sie in ihren alten Verhaltensmustern gefangen. Oscar ahnte dies und breitete, im Bett aufrecht sitzend, ihre Arme aus.

„Komm bitte zu mir, Sophie.“

Die alte Amme sah auf und trat langsam zu ihrem Schützling herüber. Oscar beobachtete dabei jeden Schritt von ihr. Jedoch als die alte Dame zu zögern begann, erhob sich die junge Mutter und schloss sie in ihre Arme. Deutlich spürte sie, wie Sophie sich zuerst versteifte, sich dennoch kurz darauf entspannte und Oscar an sich drückte. Lächelnd strich diese ihr über den Rücken.

„Ich bin glücklich.“, sprach Oscar leise.

„Das bin ich ebenfalls, L… Verzeih, Oscar“, kam es mit leicht beschämten Blick von Sophie.

Für diese Worte drückte die junge Mutter sie noch etwas mehr an sich.

„Nun sind wir eine Familie, Großmutter.“

Das letzte Wort sprach sie leise, aber jedoch klar aus und Sophie stiegen dabei die Tränen in die Augen. Sie hob ihren Kopf und strich mit leicht zitternden Fingern, über Oscars Wange.

„Ja, mein Kind, dass sind wir nun.“

Sanft wischte Oscar ihrer Amme die Tränen von deren Wangen. Doch sie sah auf, als sie eines der Babys weinen hörte.

„Gibst du mir bitte Armand? Nicht das er seine Schwester mit weckt.“

„Aber natürlich. Einen Moment.“

Sophie löste sich nun gänzlich von Oscar und trat zur Wiege, um ihren Urenkel herauszunehmen. Bevor sie ihn zu seiner Mutter brachte, sah sie noch in Camilles Wiege, jedoch schlief die Kleine noch tief und fest. Unter ihrem Häubchen blitzen ein paar dunkle Haarspitzen hervor. Sophie konnte sich kaum an ihr satt sehen, aber Armand holte sie, durch sein Weinen, zurück in die Realität. Daher sah die alte Dame auf ihre Urenkel und wiegte ihn lächelnd. So trat sie zu Oscar, die sich im Bett zu Recht gesetzt und begonnen hatte, ihre Bluse ein Stück zuöffnen. Ihre Scheu hatte Oscar bei ihren Angehörigen verloren, wenn sie ihre Kinder stillte. Jedoch entging ihr der eine oder andere Blick Andrés nicht, wenn sie es tat. Ihr war klar, dass er sich selber zurückstellte und diese Erkenntnis war teils erfreulich für Oscar, aber auch traurig. So lange hatte er sich nach ihr gesehnt und nun musste er erneut warten. Diese Sachlage vor Augen, hatte Oscar veranlasst, ihrem André ihre ruhigen, freien Minuten mit all ihrer Liebe zuschenken. Auch wenn sie sich körperlich noch nicht wieder so nah sein konnte, wie lang vor der Geburt der Zwillinge. Jedoch verschaffte sie ihm einige Momente der lüsternen Leidenschaft, in dem sie ihn verwöhnte und somit seinen Druck etwas abbaute. Zuerst war dies André sehr peinlich gewesen, aber dann hatte er es mehr als genossen. Oscar war es nicht leicht gefallen, diesen Schritt zu tun, aber sie fand dennoch auf einmal gefallen daran. Nicht nur, weil es André zusagte, sondern auch weil sie etwas Persönliches mit ihm teilen konnte.

Während nun Oscar ihren Sohn stillte, ging Sophie hinunter, um einen Tee für die junge Mutter zukochen. Mit diesem trat sie später zu ihr zurück. Als Oscar sich dann um Camille, die kurz darauf erwacht war, kümmerte, unterhielten sich die beiden Frauen.

„Sophie? Erzählst du mir etwas von Andrés Eltern? Wenn es dir nichts ausmacht, natürlich.“

Ihr altes Kindermädchen seufzte leise und nahm sich die Brille von der Nase, um sie kurz zu reinigen.

„Du sollst von ihnen erfahren. Armand, Andrés Vater, war ein einfacher aber ehrbarer Mann. Er war Tischler. Meine Tochter Hélène lernte ihn durch einen Zufall kennen, als mein verstorbener Gemahl einen Auftrag über einen neuen Tisch an den Tischler gab, wo Armand arbeitete. Er brachte ihn zu uns und es schien Liebe auf den ersten Blick gewesen zu sein. Meine Tochter hatte seit jeher ein ruhiges Wesen besessen. Aber durch Armand blühte sie geradezu auf. Sie verlobten sich nach einer ganzen Weile und heirateten kurz darauf. Lange blieben sie Kinderlos, doch dann geschah ein kleines Wunder und André wurde meiner Hélène in den Schoss gelegt. Armand und sie waren so glücklich, als sie erfuhren, dass bald ein Kind da sein sollte. Sie teilten es jedem mit, den sie kannten und sie feierten es mit allen Freunden und Verwandten. Ich erinnere mich heute noch daran, als wäre es gestern gewesen. Es war eine schöne Zeit, auch wenn ich sie kaum sehen konnte, da ich ja im Hause deiner Eltern angestellt war. Aber dennoch schrieb Hélène mir sehr viele Briefe, in denen sie mir von André erzählte. Ihr Glück schien perfekt zu sein. Aber dann kam der Tag, an dem dies für immer zu Ende sein sollte. Es war Armands und Hélènes Hochzeitstag. André hatten sie bei einer Nachbarin untergebracht, da mein Schwiegersohn Hélène eine Überraschung bereiten wollte. So brachen sie in einer Kutsche auf, um an den Ort zufahren, wo sie sich verlobt hatten. Es war ein kleines Wäldchen, nördlich von Paris. Aber leider trafen sie dort niemals ein.“

Sophie stoppte, weil Tränen in ihr empor stiegen. Oscar hätte sie gern in den Arm genommen, aber wegen ihrem Kind konnte sie es nicht. So strich sie ihr nur über die Hand.

„Du musst nicht weiter erzählen, Sophie. Es lag nicht in meiner Absicht, dir wehzutun.“

„Ich weiß, mein Kind. Aber es sind Erinnerungen und ich werde sie nie vergessen.“

Mit verweinten Augen sah Sophie zu Oscar.

„Ihre Kutsche verunglückte. Der Boden war aufgeweicht, da es die Tage zuvor geregnet hatte. Die Kutsche geriet ins Schleudern und der Kutscher verlor die Kontrolle, so dass sich die Pferde und der Wagen sich überschlugen. Niemand hat es überlebt.“

Ihre Stimme war leiser geworden. Dann vergrub Sophie ihr Gesicht in ihrer Schürze. Oscar zog es das Herz zusammen. Auch ihre Augen schimmerten feucht. Vorsichtig legte sie Camille neben sich und schloss anschließend ihre Amme in die Arme. Leicht begann sie die alte Dame zu wiegen.

„Niemals sollten die Eltern ihre eigenen Kinder überleben“, schluchzte Sophie leise.

Oscar versuchte passende Worte zu finden, um sie zu trösten. Aber nichts schien nur im Geringsten angemessen zu sein.

„Shht… ich weiß.“, kam es daher nur leise von ihr.

„Und André verstand damals nicht, was geschehen war. Er war gerade einmal fünf Jahre alt. Tag ein, Tag aus wartete er auf seine Eltern. Es fiel mir so unsagbar schwer, ihm mitzuteilen, dass er nicht mehr auf sie warten brauchte. Dass sie niemals wiederkehren würden. André wollte es nicht verstehen. Erst als Armand und Hélène zu Grabe getragen wurden, begann er bitterlich zu weinen. Er rief immer wieder nach ihnen. Es war einfach nur schrecklich. Nun hatte er nur noch mich. Als dies geschah, habe ich einige freie Tage genommen, um mich um ihn zu kümmern. Oft lief er mir fort, aber immer wusste ich wo er war. Sein Weg führte ihn zu dem Grab seiner Eltern. Dort fand ich ihn. Er brachte frische Blumen und bete lange. Das ist nun fast zwanzig Jahre her. Wie gern hätte ich ihm dies alles erspart.“

„Ich weiß, Sophie. Aber du hast dein Bestes gegeben. Du warst ihm eine gute Großmutter und zugleich eine Mutter.“, sprach Oscar leise und streichelte sie dabei beruhigend weiter.

„Du hast ihn zu dem Mann gemacht, der er heute ist, und glaube mir, er liebt dich über alles.“

Langsam hob Sophie ihren Kopf und sah Oscar in die schimmernden Augen.

„Ich bin auch sehr stolz auf ihn.“

„Das weiß er und setzt alles daran, dass sich dies nicht ändert.“

Ihre Amme nickte kurz und wischte sich dann über die Augen.

„In ihm sehe ich seine Eltern und ich bin froh, dass er nun sein Glück gefunden hat.“

Oscar stimmte nickend zu. Dann reichte sie ihr ein Tuch, um sich schnäuzen zu können. Anschließend nahm Oscar Camille auf den Arm, um sie zu wiegen. Sophie beobachtete sie dabei und lächelte.

Eine ganze Weile saßen die beiden Frauen noch zusammen, dann ging die alte Dame hinab in die Küche, um das Abendessen vorzubereiten. Währenddessen kehrte André zurück. Er war sehr gut gelaunt und begrüßte zuerst seine Großmutter mit einem Kuss auf die Stirn. Jedoch ließ er ihr keine Chance, um ihn zu fragen, was geschehen war. Denn er lächelte sie an und ging hinauf zu Oscar. Diese bemerkte ebenfalls die gute Laune ihres Liebsten. Und es freute sie sehr, ihn so zusehen, wie er erst zu seinen Kindern an die Wiegen trat und dann zu ihr ging, um ihr einen besonders zärtlichen Kuss zugeben. Anschließend ließ er sich neben Oscar auf der Bettkante nieder.

„Ich muss dir etwas erzählen, Liebste“, begann er strahlend.

„Und was? Hat es etwas mit deiner guten Laune zu tun?“

„Ja, das hat es. Nun, ich hatte heute ein interessantes Gespräch.“

André grinste und zögerte seinen nächsten Worte weiter heraus, um Oscar auf die Folter zuspannen. Diese merkte es und schüttelte ihren Kopf.

„Nun, sag schon. Was ist Geschehen?“

„Willst du es wirklich wissen?“, neckte er sie.

„Natürlich und jetzt sag es schon.“

„Wie du willst. Ich habe meine Stellung bei der Mühle gekündigt.“

Kaum hatte er dies gesagt, fiel das Lächeln aus Oscars Gesicht.

„Aber warum hast du das getan?“

Sie konnte nicht verstehen, warum er so eine Mittelung lächelnd überbrachte. Ihr war bewusst, dass sie das Geld benötigten, zwar nicht sehr dringend, aber als Polster war es schon gedacht.

„In den letzten Tagen habe ich mich nach einer neuen Anstellung umgesehen und wie du weißt, war alles ohne Erfolg. Aber heute hatte ich Glück. Nicht weit von hier, befindet sich ein kleines Gut. Sie züchten Pferde und ich habe mit dem Besitzer gesprochen. Er ist ein Verwandter des Müllers. Nächste Woche kann ich bei ihm anfangen.“

Nun weiteten sich Oscars Augen, als sie seine Worte vernahm.

„Ist das wirklich wahr? Als Stallbursche?“

„Nein, ich versorge die Tiere mit. Aber meine Hauptaufgabe liegt darin, dass ich die Pferde ausbilden soll.“

„Das ist ja wunderbar. Das hast du dir doch gewünscht“, erwiderte Oscar und umarmte ihn stürmisch.

Sofort bemerkte sie, dass sie sich zu rasch bewegt hatte und verzog daher etwas ihr Gesicht. Kurz hatte André die Umarmung erwidert, jedoch entging ihm der schmerzverzerrte Gesichtsausdruck seiner Liebsten nicht. Daher gab er ihr einen Kuss und bettete sie anschließend zurück in ihre Kissen.

„Ruh dich etwas aus. Ich sehe nach, ob Großmutter mit dem Essen fertig ist, dann bringe ich es dir.“

Mit diesen Worten erhob er sich, jedoch ergriff Oscar seine Hand und stoppte ihn somit.

„Liebster?“

„Ja, Liebste?“

„Ich hätte eine Bitte an dich.“

„Aber gewiss. Was möchtest du?“

„Ich würde gern mit dir und den Kindern zum Grab deiner Eltern“, sprach Oscar leise.

André sah sie mehr als überrascht an.

„Aber… warum?“, konnte er nur erwidern.

„Vorhin habe ich mich mit Sophie über sie unterhalten. Ich würde es gern sehen und ich glaube, dass sie bestimmt ihre Enkel sehen wollen.“

„Möchtest du das wirklich?“

„Ja, sie sind auch nun ein Teil von mir. Sie sind, durch unsere Hochzeit, meine Eltern geworden, so wie die meinen, die deinen wurden.“

André nickte bei ihren Worten, beugte sich zu ihr und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.

„Dann werden wir sie zusammen besuchen. Sie wären bestimmt stolz auf.“

„Und auch dich und unsere Kinder.“

Jetzt lächelte er sie zärtlich an.

„Du hast recht, das wären sie gewiss.“

Die Zeit vergeht

Oscar und André führten noch viele weitere Gespräche. Oft handelte es sich über Erinnerungen aus ihrer Kindheit, aber immer öfter kamen auch Worte über die jetzige Zeit. André hatte seine neue Arbeit angetreten und er erzählte Oscar jeden Tag davon. Sie freute sich sehr für ihn, allein wegen Andrés strahlenden Augen. Er hatte seine Aufgabe gefunden, die ihm Spaß machte. Oscar hingegen hatte sich nach einigen Wochen vollends von der schweren Geburt erholt, auch hatte sie sich daran gewöhnt ihre Kinder um sich zu haben. Die Ruhe, die bereits während der Schwangerschaft bei ihr eingekehrt war, setzte sich nun fort. Gewiss gab es auch Momente, wo sie kurz davor war, aus der Haut zufahren, wenn sie zum Beispiel nicht ein und die selbe Meinung, wie Sophie vertrat, was der Umgang mit den Kindern war, jedoch besann sie sich jedes Mal aufs Neue. Manchmal konnte Oscar ein Grinsen nicht unterdrücken, wenn sie an solche Momente erinnerte. Die junge Mutter wusste, dass Sophie es gut meinte, aber Oscar hatte längst bemerkt, dass sie es selber lernen musste.

Allein was das Wickeln anging, war sie zu Beginn, nachdem sie endlich aufstehen durfte, sehr ungeduldig gewesen. Erst schimpfte sie leise, dann wurde es immer lauter, bis ihre Kinder weinten und sich fast nicht mehr beruhigen ließen. Oscar war wütend, aber nicht auf die Kinder, sondern auf sich selber. Jedoch fühlte sie sich zugleich hilflos, weil sie ihre Kinder nicht beruhigen konnte. Sophie kam zu dieser Situation und wollte ihr Armand abnehmen, jedoch Oscar fuhr sie nicht gerade leise an.

„Das ist meine Aufgabe, Sophie!“, kam es mit fast militärischem Ton von ihr.

Sophie zuckte nur kurz mit einer Augenbraue und schüttelte dann ihren Kopf.

„Wenn du nicht ruhiger wirst, werden deine Kinder niemals ruhig werden.“

„Ich weiß, was ich tue.“

„Das sehe ich“, kam es ruhig von ihr wobei sie versuchte Oscar abermals den weinenden Jungen abzunehmen.

„Spreche ruhig mit ihnen. Dann wirkt es sich auch auf sie aus.“

Oscar grummelte etwas vor sich hin und überließ Sophie ihren Sohn. Kaum das die alte Dame ihren Urenkel auf dem Arm hatte und sanft mit ihm sprach, waren seine Tränen versiegt. Das hatte die junge Mutter zu denken gegeben. Und dies war nicht nur in dieser Situation so. Auch bei anderen Dingen passierten ähnliche Dinge. Zudem machte Oscar immer wieder neue Erfahrungen im Umgang mit ihren Kindern. Und diese hatten sie sehr geprägt. Dies war auch André nicht entgangen. Liebevoll lächelte er, wenn er sah, wie Oscar mit den Zwillingen umging und dabei immer weiter in die Rolle aus Mutter hineinwuchs.

So vergingen die Tage. Aus Tagen wurden Wochen. Aus Wochen Monate.

Oscar erfuhr durch Girodel, der es sich nicht hatte nehmen lassen, nachdem er erfahren hatte, dass Oscar Mutter geworden war, sie, André und die Zwillinge zu besuchen. In einer Ecke seines Herzens versetzte es ihn noch einen kleinen Stich, aber ihm war klar geworden, dass er zu keiner Zeit ihr dies hätte bieten können. Und die Freundschaft, die zwischen Oscar und ihm bestand, wollte er nicht gefährden. So war der Schmerz immer kleiner geworden. Herzlich beglückwünschte er die beiden zu ihren Kindern.

Oscar und André hatten nicht lange überlegen müssen, als sie ihm mitteilten, dass er der Pate der beiden werden sollte. Überrascht hatte Victor sie angesehen und dann freudig zugestimmt. So stand er neben Oscars Schwester Marie-Anne, bei der Taufe an der Seite von Oscar und André, und hielt den kleinen Armand, der, wie seine Schwester, ein Taufkleid trug, sicher im Arm. Würde den beiden jemals etwas geschehen, würde er sich um die Kinder kümmern.
 

Über ein halbes Jahr später, am 19. Dezember 1778, gebar Königin Marie Antoinette ihre Tochter Marie Thérèse. Oscar freute sich für sie und statte ihr vor Jahreswechsel einen kurzen Besuch ab. So lernte die Königin ebenfalls Oscars Kinder kennen. Es war kein langer Besuch, da Marie Antoinette noch sehr geschwächt war, aber man merkte dennoch der Königin an, dass sie sich freute.

Jedoch schüttelte Oscar, nachdem das neue Jahr einige Tage alt war, über Marie Antoinette ihren Kopf. Sie hatte erfahren, dass sie ihr Kind an die Ammen übergeben hatte und wieder zu ihren Bällen ging. Dies konnte Oscar nicht verstehen. Erst recht nicht, da sie selber Mutter war. Allein der Gedanke ihre Kinder allein zulassen, um dem eigenen Vergnügen zufrönen, ließ ihr einen eiskalten Schauer über den Rücken laufen. Zuerst hatte Oscar natürlich nicht glauben können, als sie davon erfuhr, aber diese Gerüchte vermehrten sich, sodass sie zur Königin fuhr und sie antraf, als sie zur Oper aufbrechen wollte.

Nachdem Marie Antoinette Oscar gebeten hatte sich zu erheben, sprach sie die Königin an.

„Eure Majestät. Verzeiht mir meine Worte, aber warum seit Ihr nicht bei Eurer Tochter. Sie wird Euch gewiss brauchen.“

„Aber, Lady Oscar. Marie Thérèse geht es ausgezeichnet. Ihr fehlt es an nichts und sie wird liebevoll umsorgt“, erklärte die Königin ihr und wedelte dabei leicht mit ihrem Fächer hin und her.

„Ich bin ebenfalls Mutter, Eure Majestät und ich muss gestehen, dass ich es nicht verstehen kann.“

„Ihr macht Euch Sorgen, die nicht gerechtfertigt sind. Ich bin jung und möchte mein Leben so führen, wie ich es für richtig halte und allen geht es gut. Aber nun möchte ich mich verabschieden. Ich hoffe, dass wir uns bald wiedersehen.“

Der Blick, den Marie Antoinette Oscar entgegen warf, war mehr als eindeutig, dass Oscar nicht mehr weiterreden und die Entscheidung der Königin akzeptieren sollte. So sah die junge Frau der Kutsche der Königin hinterher.

Am Abend berichtete Oscar André von dieser Situation und er konnte ebenfalls nur seinen Kopf schütteln. Er konnte es ebenfalls nicht verstehen, wie eine Mutter so handeln konnte.

Nachdem was geschehen war, war der Entschluss immer für ihre Kinder dazu sein, in Oscar auf ewig gefestigt. Sie wollte eine gute Mutter sein und tat dafür alles. Armand und Camille wurden fast von ihr verhätschelt, aber zusammen mit André, fand Oscar einen gesunden Mittelweg. So entwickelten sich die Zwillinge prächtig. Camille war zwar noch immer recht zierlich, aber dies machte sie mit ihrer Flinkheit wieder wett. Beide Kinder konnte bereits krabbeln und Oscar hatte ihre liebe müh, ihnen zu folgen. Die Zwillingen machten es scheinbar einen riesen Spaß ihre Mutter unter Tische und Stühle zulocken oder sich an unmöglichen Orten zu verstecken. Meist geschah dies, während Oscar eines der Kinder verfolgte, dass das Geschwisterchen hinter eine offenstehende Tür krabbelte und dort einschlief. Die ersten Male, als Oscar ihr Kind nicht fand, geriet sie fast in Panik. Aber mit der Zeit, wusste sie, wo ihre Kinder waren und sie behielt den Überblick über ihre Rasselbande. Auch hier hatte Sophie sie am Anfang unterstützt, doch eines Tages hatte Oscar sie gebeten zu ihren Eltern zurück zukehren. Nicht das sie für die Hilfe nicht dankbar war, jedoch wollte und musste Oscar es alleine bewältigen. Die alte Dame hatte diesem Wunsch schweren Herzens entsprochen. Jedoch besuchte sie sie regelmäßig, um die Fortschritte zu begutachten. Auch Emilie war sehr oft bei der kleinen Familie. Sie war auch die jenige gewesen, die Oscar davon überzeugt hatte, ihre blonden Locken mit einem Band zusammen zubinden, nachdem ihre Tochter immer am schimpfen war, wenn vor allem Armand immer wieder an ihren Haaren zog. Seitdem fasste Oscar ihre Haare im Nacken zusammen, wenn sie ihre Kinder stillte oder mit ihnen spielte.

Emilie freute sich für ihre Tochter, dass sie nun eine liebevolle Mutter war und sie zusammen mit ihren Kindern, die Welt neu für sich entdeckte. Und dies tat Oscar wirklich. Für sie waren viele Dinge, wie Regen, Schnee, etc. normal und in gewisser Weise alltäglich geworden. Aber ihre Kinder entdeckten es für sich und Oscar beobachtete sie dabei genau, wie sie ihre erste Bekanntschaft mit Schnee machten.

An einem Morgen war die junge Mutter unachtsam gewesen und die Zwillinge waren durch eine offenstehende Tür hinaus ins freie gekrabbelt. Oscar und André bemerkten dies erst, als sie ein freudiges Quietschen vernahmen. Sofort folgten sie diesem und wurden Zeuge, wie Armand seine Schwester in den Schnee drückte und dabei versuchte mit der Zunge Schneeflocken zu fangen. Es war ein lustiger Anblick ihren Sohn so stolz im Schnee sitzen zusehen, jedoch waren die Eltern pflichtbewusst genug, um sie sofort auf die Arme zunehmen und mit ihnen ins Haus zugehen, um sie dort vom Schnee zu befreien, abzutrocknen und neu anzuziehen. Oscar hoffte, dass ihre Kinder nicht krank wurden, aber zum Glück waren beide so robust, dass sie nicht mal einen kleinen Schnupfen davon trugen.

Zum ersten Geburtstag der Zwillinge beschlossen Oscar und André mit ihnen auszureiten. Jeder nahm ein Kind vor sich und hielt sie dabei sicher fest. Den Zwillingen schien das gleichmäßige Schaukeln auf den großen Tieren sehr zu gefallen. Nur André machte sich Sorgen um sie. Er hatte Angst, dass ihnen etwas geschehen würde. Jedoch bewahrheitete sich diese Furcht nicht. Ihr kleiner Ausflug endete an einem See, wo die Kinder über die grüne Wiese krabbelten und so einem Schmetterling folgten. Jedoch konnten sie ihn nicht fangen, was Armand und Camille mit einem empörten Weinen kommentierten. André holte die beiden zu sich, um sie wieder zu beruhigen.

„Was hältst du davon, wenn wir mit den beiden Schwimmen gehen?“, schlug Oscar auf einmal vor.

„Meinst du? Ist das Wasser nicht noch etwas zu kalt?“, erwiderte André besorgt.

„Seit April scheint die Sonne und das Wasser ist angenehm war. Ich habe vorhin mal gefühlt.“

„Aber wenn den beiden etwas passiert?“

„Was sollten den geschehen? Du nimmst Armand auf den Arm und ich Camille.“

André war nicht wohl bei dem Gedanken und das sah man ihm deutlich an. Daher beugte Oscar sich zu ihm und strich ihm dabei sanft über die Wange.

„Wenn du es nicht willst, lassen wir es.“

André sah Oscar direkt in die Augen und schwieg.

„Vielleicht ein anderes Mal“, erwiderte er vorsichtig.

Oscar nickte lächelnd und gab ihm einen Kuss auf die Wange.

„Natürlich. Der See läuft uns nicht fort.“

Sie wollte ihm noch einen weitere Kuss geben, doch spürte Oscar auf einmal ein ziehen an ihrer Bluse. Es war Armand der direkt zwischen seinem Vater und ihr war. Als sie ihn ansah, tatschte er auf ihrer Brust herum. Oscar schüttelte grinsend ihren Kopf und hob anschließend ihren Sohn zu sich.

„Der kleine Nimmersatt hat schon wieder Hunger. Ganz wie der Vater.“

„Aber, Oscar!“, kam es leicht entrüstet von André, als er ihre Worte vernahm.

„Es ist doch die Wahrheit, Liebster. Oder muss ich dich daran erinnern, als du mal probieren wolltest und beinah nicht genug bekamst?“, neckte sie ihn, als sie ihre Bluse öffnete und ihren Sohn an ihre Brust legte.

Sofort leuchtete André geradezu.

„Also… also… das ist nicht wahr!“, versuchte er sich zuwehren.

Oscar kicherte leicht und sah von ihrem Sohn zu ihm.

„Warum sollte ich so etwas den Erfinden?“

„Ich weiß nicht. Vielleicht… weil du mich ärgern willst.“

„Das tue ich eigentlich nicht. Denn.. aua!“, brach Oscar auf einmal ab.

Vorsichtig löste sie ihren Sohn von ihrer Brust, der leicht schmatzte.

„Was ist, Oscar?“, kam es sofort von André, wobei er Oscars Neckereien von zuvor sofort vergaß.

„Armands Zähnchen durfte ich gerade zu spüren bekommen.“

„Aber wieso das?“

André sah zu seinem Sohn, dann zu Oscar zurück. Diese wischte gerade ihrem Sohn den Mund sauber.

„Das hat er schon häufiger getan. Daher habe ich mit Sophie gesprochen und sie ist der Meinung, dass beide Kinder mehr Milch benötigen, als ich ihnen geben kann. Ich werde sie wohl bald abstillen müssen.“

„Und was dann? Sie brauchen die Milch doch. Vielleicht sollten wir doch…“

„Eine Amme?“, unterbrach Oscar Andrés Worte.

Dieser nickte zur Antwort.

„Nein, es wird keine Amme ins Haus kommen. Natürlich brauchen sie Milch, aber sie werden nun eine Nuckelflasche und zusätzlich Mehlbrei und Brotsuppe bekommen. Sophie ist der Meinung, dass er für den Anfang, in Verbindung mit Obst und Gemüse, dass Beste für sie ist. Und ich glaube und vertraue ihrer Meinung.“

André wusste nicht wirklich, was er davon halten sollte. Aber auch er vertraute seiner Großmutter, denn sie hatte die meiste Erfahrung. So nickte er zustimmend.

Am nächsten Tag fuhr Oscar mit den Kindern zu Sophie, um mit ihr und ihrer Mutter darüber zu reden. Und mit Hilfe der beiden Frauen, stillte Oscar ihre Kinder ab und gewöhnte sie an die Flasche und an die erste Nebenkost.
 

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Anmerkung:

1. Marie Antoinette hat wirklich kurze Zeit nach ihrer Geburt, das Interesse an ihrem Kind verloren und ging wieder ihrer Leidenschaft den Bällen nach.

2. Zum Thema Babyflaschen habe ich eine Weile recherchiert, eine gute deutsche Seite habe ich nicht gefunden. Dafür eine gute englische und eine gute französische Seite. Zurzeit von Lady Oscar wurden entweder Kuhhörner als Trinkflaschen benutzt (http://www.babybottle-museum.co.uk/horn.jpg), was ich aber eher in den Bereich des dritten Standes legen würde. Sonst wurden auch Flaschen aus Ton, Porzellan und Glas verwendet (http://ludogrid.free.fr/biberons/Antiquite/BibAntique08.jpg). Richtige Sauger hat es nur aus Baumwollstoff gegeben.

3. Zu der Zeit war es üblich, dass die Taufkleider der Kinder aus dem Brautkleid gefertigt wurden.

Frischer Apfelkuchen

Armand und Camille wuchsen behütet auf, auch wenn Oscar immer mit ihrem Vater zu kämpfen hatte, der aus ihrem Sohn einen Soldaten machen wollte. Auch wenn er noch sehr klein war, sah der General bereits jetzt schon großes Potential in ihm. Aber noch hatte Oscar die Oberhand und sie hoffte, dass dies noch eine ganze Weile andauern würde.

Wenn Oscar zu Beginn dachte, dass ihr die Zeit als Hausfrau, Gemahlin und Mutter langweilig werden würde, musste sie nun ihre Meinung revidieren. Ihre Kinder hielten sie ganz schön auf Trab. Vor allem als sie im Laufe des Jahres anfingen zu laufen. Es war einfacher ein Sack Flöhe zu hüten, dass die Rasselbande zusammen zuhalten. So war Oscar froh, wenn André abends heimkehrte und mit den beiden im Garten, der mittlerweile in voller Blüte stand, fangen spielte und mit ihnen herum balgte. Sophie sah das ganze mit Argwohn, vor allem da ihre Prinzessin teils schlimmer als ihr Bruder war. So viel es Oscar schwer, sich ein Grinsen zu verkneifen, wenn ihre alte Amme am Zetern war.

„Camille ist ein Mädchen und so sollte sie auch erzogen werden.“

„Ich weiß, Sophie. Aber sie ist noch so klein und sie hat viel Zeit.“

„Aber man sollte nicht zulange warten. Jetzt ist sie bereits alt genug zum Lernen. Allein das sie still bei Tisch sitzt und nicht mit ihrem Bruder zusammen um diesen herum läuft.“

„Ich bitte dich, Sophie. Es sind Kinder.“

„Das ist mir bewusst, aber dennoch zeugt es von keinem guten Benehmen.“

„Ja, das mag sein, aber es sind immer noch meine Kinder.“

Sophie konnte ein Seufzen nicht unterdrücken.

„Es tut mir leid, aber ich sehe es nun einmal so.“

Oscar schmunzelte und drückte ihr ehemaliges Kindermädchen sanft an sich.

„Ich weiß, Sophie. Du meinst es nur gut. Aber glaube mir bitte, wenn etwas ist, wende ich mich direkt an dich.“

Die alte Dame sah Oscar lange einfach nur an, bevor sie zustimmend nickte. Dann beobachteten die beiden Frauen, wie die Kinder im Laub herum tobten.

Es war später Herbst und der Winter entsandte bereits seine ersten Boten. Der erste Bodenfrost war bereits im Land eingekehrt. Oscar lernte durch Sophie, wie sie Obst einkochen konnte und auch weitere nützliche Tipps im Umgang mit Vorräten für den Winter. Und kaum das die Vorratskammer gefüllt war, fiel der erste Schnee.

Während Oscar in der Küche einen Kuchen buk, konnte sie aus dem Fenster André mit den Kindern sehen. Es machte den Anschein, als würden drei Kinder durch den Schnee tollen. Armand war ein Stück gewachsen und auch seine Schwester stand ihm mit nichts nach. Sie war zwar noch immer sehr zierlich, aber sie bewies jetzt schon, dass sie mehr Köpfchen besaß. Während ihr Bruder einfach darauf los stürmte, schien sie zuerst zu überlegen, wie sie am ehesten an ihr Ziel kommen würde. Deutlich hatte Oscar bereits gemerkt, dass ihre Kinder deutliche Züge von ihr hatten, aber auch genug von André. Armand war ähnlich wie Oscar in ihrer Kindheit und Camille war die ruhigere und besonnenere. Jedoch was die Sturheit anging, betraf sie oft ihren Bruder. Teils lag es bei ihr an ihrem Charakterzug, der sich immer mehr ausprägte, teils aber auch an der Verhätschelung der Erwachsenen, die alle in ihr eine kleine Prinzessin sahen. Oscar fiel es auch des Öfteren immer schwerer, ihrer Tochter genauso wie ihren Sohn zu rügen. Aber zum Glück stand André immer zu ihren Entscheidungen, genau wie sie es bei ihm tat.

Auch wenn sie durch die Zwillinge wenig Zeit für einander hatten, außer in den Abendstunden, genossen sie sie sehr. Es waren Momente der Ruhe und der Liebe, in der nur die beiden bestanden, in der sie alles um sich herum vergaßen. Es war nicht nur so, dass sie sich der körperlichen Liebe hingaben, oft saßen sie nur zusammen bei einem Glas Rotwein und schauten in das Kaminfeuer. Dabei fiel kein Wort, denn sie benötigten keine. Rein ihre Blicke und Gesten zählten. Manchmal hatte André auch seinen Kopf auf Oscars Schoss gelegt und war dort, nach einem harten Arbeitstag, einfach eingeschlummert. Oscar beobachtete ihn immer lächelnd dabei und streichelte ihm zärtlich durch das Haar. Es waren Momente, in denen die junge Frau sehr viel nachdachte. André tat so viel, nicht nur auf seiner Arbeit, sondern auch hier zu Hause. Daher versuchte Oscar ihn etwas mehr zu entlasten.

Oft dachte sie auch an Marie Antoinette. Seit ihrem letzten Besuch hatte sie sie nicht mehr gesehen. Ab und zu erfuhr Oscar durch Girodel, was bei Hofe geschah. Und ihre Hoffnung, die Königin würde sich endlich mehr um ihre Tochter kümmern, wurde zu Nichte gemacht. Sie selber war eine liebende Mutter und konnte einfach das Verhalten der Königin nicht verstehen. Daher schrieb sie ein paar Briefe an Marie Antoinette, jedoch erhielt sie darauf keine Antwort. Das Gräfin de Polignac alle die Schreiben abfing, sie las und anschließend ins Feuer warf, um sie zu vernichten.

Leider hatte Oscar nicht die Zeit, um der Königin einen Besuch abzustatten, um mit ihr persönlich zu reden. Aber vergessen, tat Oscar sie nicht.

Das neue Jahr begann und die Zwillinge erkrankten. Sie hatten sich eine Erkältung zugezogen und Oscar hatte alle Hände voll zu tun. Sie machte ihnen Wadenwickel, verabreichte ihnen die Medizin, die ihr Arzt da gelassen hatte, und kümmerte sich liebevoll um sie. Abwechselnd mit André erzählte sie ihnen Geschichten oder sang ihnen etwas vor. Zuerst hatte Oscar davor ziemliche Scheu gehabt, jedoch ihren Kindern gefiel es und so war es für die junge Mutter Normalität geworden.

Als es den Kindern endlich besser ging, stürzte André unglücklich, wobei er sich ein Bein brach. Es war kein komplizierter Bruch, jedoch würde er Wochen nicht arbeiten können. Oscar erkannte, dass nun eine harte Zeit auf sie zukommen würde, wo bald das Geld knapp wurde. So überlegte sie lange und kam dann zu einem Entschluss. Diesen teilte sie André mit, als sie ihm etwas zu Essen brachte.

„Was hältst du davon, wenn ich, solange dein Bein nicht verheilt ist, auf dem Gut für dich arbeite.“

André hatte gerade seinen ersten Bissen genommen und verschluckte sich nun beinahe an diesem. Dies sollte nicht abwertend sein, eher seine Überraschung zeigen. Kurz hustete er und Oscar klopfte leicht seinen Rücken, wobei sie ihn weiterhin beobachtete.

„Aber warum, Oscar? Du hast hier doch genug zu tun.“

„Ich weiß, aber ich habe darüber nachgedacht. Wir benötigen das Geld und Sophie kümmert sich gern um Armand und Camille.“

„Das tut sie wirklich, aber sie ist auch nicht mehr die Jüngste.“

„Ich weiß, dass du dich um sie sorgst. Aber du müsstest sie eigentlich am Besten kennen, dass sie sich das Zepter ungern aus der Hand nehmen lässt.“

André seufzte und nickte anschließend.

„Das ist leider wahr. Aber bist du wirklich sicher, dass du das machen willst? Nicht, dass ich es nicht zu trauen würde, jedoch ist es schwere Arbeit.“

Zärtlich strich Oscar ihm lächelnd über die Wange.

„Du müsstest mich kennen, Liebster. Ich bin mir für harte Arbeit nicht zu schade und es macht mir nichts aus. Mir ist nur wichtig, dass es dir und den Kindern gut geht. Dafür nehme ich alles auf mich.“

Nun lächelte André sie sanft an und zog sie dabei zu sich, um ihr einen zärtlichen Kuss zugeben. Oscar erwiderte diesen glücklich.

So waren sich beide einig. Am nächsten Tag ritt Oscar zu dem Gut, auf dem André arbeitete. Dort führte sie ein langes Gespräch mit dem Gutsbesitzer. Dieser hatte von Oscar gehört und wusste auch durch André, was Oscar konnte. Dennoch war er zuerst nicht sicher. Nicht, dass sie ihm unsympathisch war, sondern wie die anderen reagieren würden. So überlegte er hin und her und entschloss es mit ihr auf Probe zu versuchen.

Zu Beginn war es nicht leicht für Oscar, da sie doch ziemlich aus der Übung war, aber durch ihren eisernen Willen, ihre Disziplin und ihr Durchhaltevermögen überzeugte sie alle.

Die ersten Abende war sie sehr erschöpft, wenn sie heim kam. Sie schaffte kaum etwas zu essen, meist fiel sie einfach in ihr Bett und schlief. André und Sophie beäugten das ganze besorgt, aber sie in der Not würden sie eingreifen. Jedoch mit der Zeit stellte sich heraus, dass ihre Sorge fehl am Platze war. Oscar hatte sich rasch eingefunden und sich daran gewöhnt.

Daher vergingen die Monate wie im Fluge bis Andrés Bein vollkommen ausgeheilt war und er wieder seine Arbeit antreten konnte. Auf einer Seite vermisste es Oscar nun, auf der anderen waren sie froh, wie vollkommen für ihre Kinder da zu sein. Die Zwillinge freuten sich ebenfalls, dass ihre Mutter nun wieder vollkommen für sie da war. Oft bettelten die beiden, dass sie mit ihr Ausreiten durften. Aber Oscar war der Meinung, dass André dabei sein sollte. Nicht, dass sie es sich nicht zu trauen würde. Jedoch beide Kinder auf ihrem nervösen Schimmel mitzunehmen, schien ihr als zu gefährlich. Natürlich wussten ihre Sprösslinge dies, so dass sie darauf bestanden, ihre Ponys zunehmen, die sie von ihrem Großvater zu ihrem Geburtstag bekommen hatten. Aber auch dafür hielt Oscar sie noch für zu jung. Die beiden Kleinen konnten sich zwar schon auf den Tieren halten, dennoch war die Gefahr eines Sturzes noch viel zu groß und das wollte Oscar verhindern. Die Zwillinge mussten sich so in Geduld üben, was jedoch nicht wirklich immer so funktionierte. Oft stellten sie Dummheiten an, um ihre Langeweile zu überbrücken. Sie versteckten Gegenstände, so dass die Erwachsenen danach suchen mussten oder sie stibitzten den Kuchen von der Fensterbank, den Oscar dort zum Abkühlen hingestellt hatte. Zuerst bemerkte die junge Frau dies nicht, doch als es auf einmal verdächtig ruhig im Haus war, sah sie sich um und bemerkte das Fehlen des Kuchens. Sie schüttelte und rief nach ihren Kindern, jedoch erhielt sie keine Antwort. So machte sie sich auf die Suche und fand erst nach einer ganzen Weile ihre Kinder, wie sie mit voll gefutterten Bäuchen an einem der großen Obstbäume im Garten saßen. Der Kuchen sah nicht mehr wirklich danach aus, überall fehlten kleine oder größere Stücke und die Zwillinge klagten über Bauchschmerzen und Übelkeit. Oscar konnte nur ihren Kopf schütteln. Dann nahm sie ihre Kindern und die Überreste des Kuchens mit ins Haus. Anschließend bekamen die Zwillinge erst einmal Tee und sie mussten sich hinlegen. Seufzend hatte sie ihre Kinder beobachtete, die nun ohne zu Murren ihren Anweisungen folgten. André erfuhr am Abend von dem ganzen und ein Lachen konnte er nicht unterdrücken. Prüfend sah Oscar ihn als, er sich seinen Bauch hielt.

„Was ist daran komisch?“

„Ach, komm schon, Oscar. Erinnerst du dich nicht?“

Ihre Braue wanderte nach oben und sah ihn fragend an.

„Woran soll ich mich erinnern?“

„Nun, wir waren zwar etwas älter, als Armand und Camille heute, aber so eine Situation hat es dennoch gegeben. Großmutter hatte gebacken und du konntest und wolltest nicht warten. Daher sind wir in die Küche geschlichen und haben ihn uns geholt.“

Langsam erinnerte Oscar sich wieder und grinste.

„Ja, das stimmt und wir haben dafür ziemlichen Ärger von Sophie bekommen. Wir durften einige Tage nicht in die Küche kommen, nur wenn wir sie fragten und sie dabei war. Aber dennoch hat der Kuchen geschmeckt.“, endete sie und kicherte dabei leicht.

„Daran erinnerst du dich noch? Wie er geschmeckt hat?“

„Natürlich, es war schließlich mein Lieblingskuchen.“

„Ach, war er das?“, hakte André grinsend nach.

„Ja, nur Sophie kann diesen wunderbaren Apfelkuchen backen“, erwiderte Oscar zwinkernd.

„Och, deinen mag ich sehr gern“, kommentierte er daraufhin.

„Ist auch nach ihrem Rezept gebacken.“

„Ich verstehe und was willst du nun tun?“

„Ich? Der Kuchen, besser gesagt, seine Überreste, sind nicht mehr zu gebrauchen. Ihre Strafe haben sie selber, durch die Bauchschmerzen und ich glaube, sie werden es nicht noch einmal tun und mich lieber vorher fragen.“

André nickte zustimmend bei ihren Worten.

„Es ist wirklich nichts mehr von dem Kuchen zu retten gewesen?“, kam es dann mit einem passenden Augenaufschlag, der noch von seinem knurrenden Magen unterstrichen wurde.

Oscar konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als sie es sah und hörte.

„Ein wenig ist für dich übrig geblieben. Den kannst du zum Nachtisch bekommen.“

Andrés Augen begannen zu strahlen, als er ihre Worte vernahm. Er stand von seinem Sessel auf, trat zu Oscar, hob sie hoch und drehte sich lächelnd mit ihr.

„Ich kann Gott, dem Allmächtigen, nur immer wieder danken, was er mir für einen Engel geschickt hat“, sprach er dabei.

Oscar hatte sich sofort an seinen Schultern festgehalten und nun färbten sich ihre Wangen leicht. Auch wenn sie mittlerweile gut mit seinen Komplimenten umgehen konnte, gab es immer noch die eine oder andere Situation, wo sie ihre Röte nicht unterdrücken konnte.

„Du übertreibst, André“, versuchte sie sich erfolglos zu wehren.

„Gewiss nicht. Ich habe dir schon mehrfach gesagt, dass ich dich niemals belügen würde und wenn ich es so sehe, dass du ein Engel bist, dann ist es für mich so.“, erwiderte er zwinkernd.

Oscar konnte nur daraufhin seufzen. Aber André ließ sich davon nicht stören.

Erst nach einer Weile ließ er sie runter, als sein Magen sich lauter meldete. So gingen sie gemeinsam in die Küche, um etwas zu essen. Als Oscar ihm anschließend den Rest des Kuchens gab, nahm er ihn dankend entgegen und sah sie auf einmal anders an.

„Ich habe eine Idee.“

„Und die wäre?“

„Nun, die Kinder sind im Bett…“, begann er lächelnd und hielt ihr dabei ein Stück des Kuchens vor die Nase.

Oscar sah erst ihn und dann André an. Jedoch wanderte ihr Blick zurück und sie versuchte etwas abzubeißen. Aber ihr Liebster zog rasch das Stück fort und zwinkerte ihr zu.

„Ich würde meinen Nachtisch auf eine etwas andere Weise genießen wollen.“

„Aber man spielt nicht mit dem Essen“, versuchte Oscar ihm streng klar zu machen.

Jedoch André störte sich nicht daran. Er zog selenruhig ein Stück Apfel aus dem Kuchen und strich ihn über Oscars Lippen, sodass ein leichter Glanz auf diesen zurückblieb. Anschließend küsste er sie zärtlich und Oscar konnte bzw. wollte ihm nicht widersprechen. Seine aufsteigende Leidenschaft hatte sie gepackt und mit sich gerissen. Daher löschten sie das Licht und gingen hinauf in ihr gemeinsames Schlafgemach.

Am nächsten Morgen erinnerte nur noch ein leichte Apfelduft und ein leere Teller an das Geschehen der vergangenen Nacht.

Nachricht aus Österreich

Die Monate vergingen bis Oscar durch Girodel erfuhr, dass die Königin zusammen gebrochen war. Sofort war Oscar in großer Sorge um sie. Was war nur geschehen? Die junge Mutter brachte ihre Kinder zu ihren Eltern. Anschließend ritt sie auf direktem Weg nach Versailles. Kaum das sie ihr Pferd einem Burschen übergeben hatte, ging sie direkt zu den Gemächern der Königin. Jedoch teilte dort eine Zofe ihr mit, dass Marie Antoinette das Château verlassen und sich ins Petit Trianon zurückgezogen hatte. Oscar bedankte sich bei der Frau und verließ anschließend das große Gebäude. Draußen zog sie ihren Mantel enger um ihren Körper, da es sehr kühl war. Die Parkanlagen waren aufgrund der Witterung ziemlich verlassen. Oscar schenkte dem Ganzen keine wirkliche Beachtung und bahnte sich nur ihren Weg. Am Trianon wurde sie aufgehalten. Man wollte sie nicht zur Königin durchlassen. Jedoch Oscar konnte sich durchsetzen, sodass man sie vorließ. Lange musste sie nicht nach Marie Antoinette suchen. Sie fand die Königin zusammengekauert auf einem Stuhl vor.

„Eure Majestät?“, sprach Oscar besorgt und eilte raschen Schrittes zu ihr.

Vorsichtig ergriff sie Marie Antoinettes Hände und ging dabei auf die Knie.

„Eure Majestät? Was ist geschehen?“

Langsam hob die Königin ihren Kopf und Oscar stellte dabei erschrocken fest, dass die Augen Marie Antoinettes Blut unterlaufen waren. Jedoch konnte sie sich nicht weiter äußern, dass sie Oscar schluchzend um den Hals fiel. Kurz wankte sie, aber Oscar konnte sich noch fangen. Somit verhinderte sie, dass beide Frauen stürzten.

„Oh, Oscar…“, hörte die junge Frau die Königin schluchzen.

Vorsichtig strich sie ihr über den Rücken.

„Was ist geschehen, Eure Majestät?“, sprach Oscar sanft zu ihr.

„Ich… ich habe einen Brief erhalten… aus… aus Österreich…“, kam es abgehakt von der Königin.

„In diesem wurde… mir mitgeteilt, dass… dass…“

Marie Antoinette stoppte mit ihren Worten und schluchzte stärker auf. Oscar wartete ab und streichelte sie nur beruhigend weiter, bis die Königin wieder anfing zu sprechen.

„Man teilte mir darin mit, dass meine Mutter, die Kaiserin Maria Theresia, am 29. November verstorben ist“, sprach Marie Antoinette schluchzend weiter.

Oscars Augen weiteten sich, als sie die Worte der Königin vernahm. Ihre Bewegung wurde für einen Moment automatisch.

„Ich… ich habe sie nicht einmal mehr sehen können…“, kam es gepresst von der Königin.

„Mein Beileid, Eure Majestät. Bitte glaubt mir, ich teile Euren Kummer und Euren Schmerz.“

Etwas anderes wusste Oscar nicht zu erwidern. Solche Situationen mochte sie nicht. Sie wusste nie, wie sie dann reagieren bzw. was sie sagen sollte. So strich sie nun der Königin weiter beruhigend über den Rücken. Dabei drückte sie sie etwas mehr an sich.

Jedoch war die Marie Antoinette nicht zu beruhigen. Oscar war die Einzige, die zu ihr durchkam. Nicht einmal Madame de Polignac gelang dies, was sie mehr als wütend machte. Aber im Moment konnte sie nichts unternehmen, als abzuwarten.

Oscar blieb den ganzen Tag bei der Königin, aber gegen Abend musste sie nach Hause. Jedoch konnte Marie Antoinette dies nicht akzeptieren.

„Bitte, Oscar. Bleibt bei mir. Ihr seid doch die Einzige, die mich versteht.“

„Aber, Eure Majestät. Ich muss leider aufbrechen. Meine Kinder und André warten auf mich“, erwiderte Oscar ruhig.

„Sie brauchen mich.“

„Aber ich brauche Euch ebenfalls, Oscar. André wird sich gewiss um die Kinder kümmern, oder eine Amme. Aber bitte verlasst mich nicht“, versuchte Marie Antoinette sie zu überreden.

„Ja, André wird sich um Armand und Camille kümmern, aber ich vermisse sie. Sie sind meine Familie“, erwiderte Oscar auf die Worte der Königin.

Diese ließ nun traurig ihren Kopf hängen.

„Dann kommt bitte morgen, in aller Frühe, wieder zu mir. Ich bitte Euch. Und bringt Eure Kinder mit, wenn dies Euer Wunsch ist. Es wird ihnen hier an nichts mangeln. Man wird sich um sie kümmern. Ich werde dafür Sorge tragen, dass ein Zofe über sie wacht.“

„Ich schätze Euer Angebot sehr, Eure Majestät. Aber ich möchte mich selber um meine Kinder kümmern. Es ist meine Aufgabe als Mutter. Ich liebe sie von Herzen und ich könnte sie niemanden überlassen.“

Leicht nickte die Königin bei Oscars Worten auch wenn sie diese Entscheidung nicht wirklich verstehen konnte. Oscar ahnte dies, aber schwieg dazu. Dann verabschiedete sie sich von ihr.

Als Oscar später zu Hause war, nachdem sie ihre Kinder abgeholt hatte, erzählte sie André von dem geschehenen. Sie wollte seine Meinung dazu erfahren.

„Wenn du es für richtig hältst, bleib bei ihr, Liebste.“

„Ich glaube, dass wäre das Beste. Aber nur für eine gewisse Zeit, bis die Königin sich wieder gefangen hat. Im Moment schmerzt sie der Verlust sehr und ich kann es gut verstehen. Ich möchte ihr gern helfen.“

„Das glaube ich dir, Liebste. Du hast ein gutes Herz. Bleib ruhig mit den Kinder ein paar Tage bei ihr.“

„danke, Liebster. Aber was ist mit dir?“

„Mit mir? Macht dir keine Sorgen um mich. Ich werde versuchen abends nach Versailles zu kommen, damit ich euch sehen kann.“

Oscar überlegte kurz dann nickte sie dazu. Anschließend gab sie ihm einen zärtlichen Kuss,

„Ich bin froh, dich an meiner Seite zu wissen.“

„Mir geht es ebenfalls so, Liebste.“

Lächelnd kuschelte sie sich an ihn und genoss dabei einfach nur seine Nähe. Für eine geraume Zeit würden sie darauf verzichten müssen.

Am nächsten Tag brach die kleine Familie zeitig nach Versailles auf. Die Fahrt verlief schweigend und Oscar fiel es schwer, André bald ziehen zu lassen. Auch wenn sie ihn ja bald wieder sehen würde, war ihr Herz schwer. Der Abschied war nicht leicht und Oscar sah ihm noch eine Weile hinterher, bis sie ihn nicht mehr sehen konnte. Erst dann richtete sie ihre Schritte zum Petit Trianon. Dabei hatte sie ihre Kinder sicher auf dem Arm. Beide waren noch müde und waren während der Fahrt wieder eingeschlafen. Auch jetzt waren sie noch am Schlummern und ihre Köpfchen ruhten an Oscars Schultern.

Als sie das Trianon erreichten, erwartete Marie Antoinette sie bereits. Ihre Augen waren noch immer stark gerötet, aber es waren keine Spuren der Tränen mehr zu sehen. Als die Königin nun die Kinder sah, zeigte sich ein leichtes Lächeln auf ihren Lippen. Dabei näherte sie sich der kleinen Gruppe.

„Eure Kinder sind ja herzallerliebst“, sprach sie und strich dabei Camille leicht über ihre Wange.

„Ich danke Euch, Eure Majestät“, erwiderte Oscar und sah lächelnd zu ihr.

Ihre Tochter und ihr Sohn öffneten, verschlafend blinzelnd, ihre Augen und sahen so direkt die Königin an.

„Mama?“, kam es leise von Armand.

Er hatte ein paar Tage vor seiner Schwester angefangen zu sprechen, zudem war er auch der Verwegenere und war Fremden gegenüber etwas aufgeschlossener.

„Oh, er spricht bereits“, kam es erfreut von Marie Antoinette.

„Ja, beide haben vor ein paar Monaten angefangen und sie lernen stetig dazu“, erwiderte Oscar mit einem gewissen Stolz in ihrer Stimme.

Nun strich die Königin Armand über die Wange. Er beobachtete es und griff dann nach ihrem Finger.

„Warum Tante traurig?“, fragte er direkt.

„Armand…“, kam es erschrocken von Oscar.

„Bitte verzeiht mir, Eure Majestät“, sprach sie entschuldigend weiter.

„Schon gut, Lady Oscar“, erwiderte diese.

„Darf ich ihn einmal nehmen?“

„Aber gewiss, Eure Majestät.“

Armand ließ sich anstandslos von der Königin auf den Arm nehmen. Mit großen Augen betrachtete er sie. Dann lächelte er und tatschte ihr leicht im Gesicht umher.

Camille hingegen krallte sich an Oscar fest und beobachtete das Ganze mit einem leicht verängstigten Blick.

„Darf ich fragen, wo Eure Tochter ist, Eure Majestät? Befindet sie sich im Château?“

Marie Antoinette sah von Armand zu Oscar.

„Nein, sie ist hier. Gestern, nachdem Ihr fort wart, war mein Gemahl, der König hier. Er brachte sie mit und ich bat ihn darum, sie bei mir zu lassen.“

„Das freut mich zu hören. Vielleicht mögen die Kinder miteinander spielen.“

„Meint Ihr, Oscar?“

„Bestimmt, Eure Majestät. Ich sehe es, wie meine Kinder immer miteinander spielen. Wir sollten es einmal versuchen.“

Die Königin nickte zustimmend.

„Dann begleitet mich bitte. Wir bringen sie zu ihr. Ein Kindermädchen wird auf sie achten.“

„Warum holen wir sie nicht hier hin? Es wird Euch gewiss auf andere Gedanken bringen.“

„Ob dies wirklich so gut ist?“, zweifelte die Königin leicht.

„Glaubt mir. Es ist wirklich schön zu sehen, wie die Kinder spielen. Lasst es uns versuchen.“

„Gut, wie Ihr meint“, erwiderte Marie Antoinette.

Dann schickte diese ein Mädchen zu ihrer Tochter und ließ sie von dem Kindermädchen bringen. Oscar sah die kleine Prinzessin lächelnd an.

„Eure Tochter ist ein gutes Stück gewachsen, seid ich sie das letzte Mal sah. Spricht sie bereits?“

„Ja, sie wird bereits bald ein Jahr alt. Und nun, etwas ja.“

„Und was war ihr erstes Wort?“

Oscar musste auf eine Antwort warten. Als sie dann zu der Königin sah, bemerkte sie, wie diese ihren Kopf gesenkt hatte.

„Was habt Ihr, Eure Majestät?“, fragte sie besorgt nach.

„Marie Thérèse erstes Wort war Papa“, erwiderte Marie Antoinette leise.

Oscar verstand nun, was die Königin bedrückte.

„Sie wird gewiss auch bald Maman sagen.“

„Ich hoffe es, Oscar.“

„Nutzt die Zeit mit ihr, dann wird sie es gewiss bald tun.“

Die Königin seufzte nickend, dann wurde die Prinzessin herein getragen. Das kleine Mädchen sah sich mit wachen Augen um. Das Kindermädchen ging auf die Königin zu und machte einen Knicks.

„Eure Tochter, Eure Majestät“, sprach diese.

Marie Antoinette nickte dankend und nahm ihr Kind entgegen. Armand betrachtete sich sein neues Gegenüber. Dann streckte er seine Hand aus und griff in die kleinen blonden Locken. Marie Thérèses Augen weiteten sich und prompt begann sie zu weinen. Die Königin war in dem Moment vollkommen überfordert, sodass Oscar sofort eingriff. Sie setzte Camille auf den Boden, löste dann Armands Finger aus den Haaren der Prinzessin und nahm ihn anschließend zu sich.

„Du sollst doch nicht an Haaren ziehen, Armand“, tadelte sie ihn.

Die Prinzessin weinte noch immer und Marie Antoinette stand hilflos mit ihr auf dem Arm da. Oscar sah zu ihr, nachdem sie ihren Sohn zu seiner Schwester gesetzt hatte.

„Sprecht mir ihr. Versucht sie zu beruhigen.“

„Aber wie soll ich das tun?“, kam es hilflos von Marie Antoinette.

„Wiegt sie und tröstet sie mit sanften Worten.“

„Was soll ich den sagen?“

„Das der Schmerz bald vorbei ist und sie nicht mehr weinen braucht. Es ist nicht so wichtig, was Ihr sagt, sondern wie Ihr es sprecht. Eine sanfte Stimme beruhigt sie. Glaubt mir.“

Etwas überfordert sah sie von Oscar zu ihrer Tochter, dann versuchte sie den Vorschlag der Freundin umzusetzen. Es dauerte etwas, doch dann gelang es ihr, ihr Kind zu beruhigen. Sanft herzte sie ihre Tochter, dann ließ sie sie zu Oscars Kindern auf den Boden, die die neue Spielgefährtin bereits genau betrachtet hatten, so gut, wie sie es von ihrer Position aus konnten. Als die Prinzessin zu ihnen gesetzt wurde, sah sie die beiden scheu an. Sie kannte keine anderen Kinder. Camille hatte leicht ihren Kopf schief gelegt, doch dann lächelte sie und krabbelte auf sie zu. Marie Thérèse wich etwas nach hinten aus, aber scheinbar war die Neugier viel zu groß, sodass sie sitzen blieb und die beiden Mädchen sich begutachteten.

Oscar beobachtete das lächelnd. Dabei ging sie in die Hocke.

„Spielt schön mit der Prinzessin.“

„Pinzessin“, versuchte ihre Tochter ihr nachzusprechen.

„Ja, Camille. Prinzessin. Ihr Name lautet Marie Thérèse.“

„Marie Thèrse.“, versuchte nun Armand zu wiederholen.

Diese nachplappern, entlockte ein weiteres Lächeln Marie Antoinettes.

„Versuch es noch mal, Armand. Marie Thérèse.“

„Marie Thérse“, sprach er erneut.

„Sie werden noch etwas brauchen, aber dann schaffen sie es bestimmt“, meinte Oscar.

„Ich glaube auch, Oscar“, erwiderte Marie Antoinette.

„Aber lasst uns nun einen Tee zu uns nehmen.“

Oscar stimmte zu und erhob sich. An einem Tisch in der Nähe ließen sie sich nieder. Dort servierte man ihnen den gewünschten Tee und so konnte sie die drei beobachten. Armand hatte sich auf seine Füße gerappelt und stand kurz leicht wankend da, dann versuchte er die Prinzessin auf ihre Füßchen zu ziehen. Dabei streckte er seitlich etwas die Zunge heraus. Es war ein niedliches Bild, die drei Kleinen zusammen zusehen. Alle trugen schlichte Kleidchen, in denen sie genug Spielraum hatten.

Oscar sah immer wieder zur Königin und bemerkte, wie diese scheinbar etwas fröhlicher wurde. So hoffte die junge Mutter, dass Marie Antoinette nun endlich ein besseres Verhältnis zu ihrer Tochter bekommen würde.

Die Anwesenheit der Kinder tat allen gut. Sie lockerten die Situation ein wenig auf und die Trauer der Königin wurde langsam geringer.

An dem Tag, als Oscar beschloss nach Hause zugehen, saß sie wieder mit der Königin beim Tee.

„Sagt mir bitte, Oscar, habt Ihr etwas von Graf von Fersen gehört? Es ist bereits über ein Jahr her, seit er fort ist.“

„Die Meldungen, die uns aus Amerika erreichen sind nur sehr gering. Ich selber habe nichts von ihm gehört. Es tut mir leid.“

„Ich verstehe. Aber dennoch danke“, erwiderte Marie Antoinette seufzend.

„Aber denkt an Euren Gemahl.“

„An ihn? Aber warum? Er interessiert sich mehr für seine Schlösser, seine Karte, seine Uhren und die Jagd als für mich.“

„Das ist nicht wahr, Eure Majestät. Geht zu ihm und sprecht mit ihm“, bat sie sie.

Oscar hatte den König anders kennen gelernt. Allein wenn sie sich an die Jagden erinnerte. Er war mehr als schüchtern und wusste nicht, wie er sich seiner Gemahlin nähern sollte. Gewiss hatte er es mehrfach versucht, aber seine Brüder Graf de Provence und Graf d’Artois hatten den Blick der leichtgläubigen Königin mit ihren Worten verschleiert. Sie war von ihnen beeinflusst worden.

„Das wird nichts bringen“, erwiderte Marie Antoinette mit einem Anflug von Hochmut, was Oscar nur innerlich seufzen ließ.

Also sie sich später mit ihren Kindern verabschiedete, hoffte Oscar inständig, dass wenigstens das Verhalten der Königin gegenüber ihrer Tochter nun so positiv bleiben würde.

Jedoch bewahrheitete sich der Wunsch Oscar nicht, wie sie Wochen später erfuhr. Die Königin war zwar zurück ins Château gekommen, aber ihre Tochter wurde wieder von den Kindermädchen und Ammen versorgt. Oscar seufzte, sie konnte das Handeln der Königin einfach nicht verstehen.
 

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Anmerkung:Alle adeligen Kinder, auch die des Königspaares, trugen bis zur Vollendung des fünften Lebensjahres, egal welchen Geschlechtes, immer Mädchenkleider.

Das Jahr des Ruhmes und des Prunks

Oscar hatte gehofft, dass sie die Königin beeinflussen konnte, jedoch war es fehlgeschlagen. Es war nur kurze Zeit gut gegangen, aber dann verlief alles seine ‚gewohnten’ Bahnen. Die junge Frau konnte nur ihren Kopf schütteln. Dafür kümmerte sie sich selber noch mehr um ihre Kinder.

Jedoch keimte neue Hoffnung, als im Sommer bekannt wurde, dass Marie Antoinette erneut schwanger war. Dennoch wurde diese freudige Meldung, durch die Mitteilung über die Entlassung Neckers, nach seinem Rechenschaftsbericht der Finanzen, von seinem Posten als Generaldirektor der Finanzen, überschattet. Aber es nahm keinen Abbruch an der Sorge, die in diesem Sommer in Versailles herrschte. Man versuchte der Königin Verstreuung durch Theaterstücke, kleiner Gesellschaften etc. zu verschaffen.

Der König war so erfreut über die Meldung der Schwangerschaft seiner Gemahlin, dass er sogar, was er zuvor niemals getan hatte, Madame de Polignac in Paris besuchte, die ebenfalls ein Kind erwartete.

Alle hofften, dass nun der lang ersehnte Thronfolger geboren werden würde und die Hoffnung der Menschen erfüllte sich. Am 22. Oktober des Jahres 1781, bekam Marie Antoinette um 1.45 Uhr die ersten Wehen. Sofort teilte man dies dem König mit, der daraufhin sofort zu ihr eilte. Um den Tumult und die Unruhe, die bei der Geburt seiner Tochter 1778 entstanden waren, zu unterbinden, ließ er die Türen zu dem Raum, in dem die Königin in den Wehen lag, schließen, damit keine der Anwesenden die Königin stören konnten.

So wurde Louis Joseph geboren. Ludwig XVI. trat zu seiner Gemahlin und sprach sie an, womit er die entstandene Stille unterbrach.

„Madame, Sie haben meine Wünsche und die Frankreichs erfüllt, Sie sind die Mutter des Dauphins.“

Kurz nach der Geburt erfuhren alle von der freudigen Nachricht, dass ein Thronfolger das Licht der Welt erblick hatte. Sie traten auf den König zu, um ihn zu beglückwünschen, als dieser den Raum mit seinem Sohn auf den Arm verließ. Er schüttelte viele Hände und Tränen standen in seinen Augen.

Dabei stammelte er: „Ja, hier mein Sohn. Sehen Sie sich den Dauphin an.“

Sein Glück kommt in seinem ganzen Wesen zum Ausdruck; er ist ein neuer Mensch, voll Fröhlichkeit, Freundlichkeit und lustigen Äußerungen.

Marie Antoinette war derweil gesäubert und in ihr Bett gebracht worden. Dort verlangte sie kurz nach ihrem Sohn. Anschließend wurde der Dauphin in seine Wiege gelegt, an der alle Adeligen vorbei gingen, um ihn zu betrachten. Währenddessen begannen die Glocken im Schloss und auf den Kirchen von Versailles zu läuten. Dabei schossen die Kanonen Salutschüsse ab.

Am 23. und 24. Oktober wurden morgens um 6 Uhr, mittags und abends um 6 Uhr abermals Salutschüsse getätigt. Die Glocken läuteten dabei in Versailles und am Rathaus durchgängig.

An jedem Abend, über zwei Monate lag, gab es Konzerte, Theateraufführungen, Opern und weitere Veranstaltungen in ganz Paris. Das Volk freute sich und mit ihnen Oscar und André. Sie hielten sich in den Armen und beobachteten, wie dem Volk Lebensmittel und Getränke verteilt wurden.

Was jedoch in Versailles geschah, erfuhren die beiden erst später. Handwerker, aus den verschiedensten Zünften, waren nach Versailles gereist, um dort auf dem Marmorhof eine Art Parade vorzuführen, bei der sie dem Dauphin selbstgefertigte Schuhe, Uniformen und unterschiedlichste Gaben überreichten. Dabei war der König zu Tränen gerührt. Bei seiner Geburt war nichts dergleichen getan worden, aber jetzt hatte er einen Sohn. Sein Leben hatte einen neueren, freundlicheren und tieferen Sinn bekommen. Er freute sich so sehr, dass er Gott, den Allmächtigen fragte, ob er nun endlich hoffen konnte, die so schwere Aufgabe, die sein Vater und sein Großvater hinterlassen hatten, vollständig zu erfüllen, eine Aufgabe, die ihm oft so erdrückend und maßlos erschien.

Alle waren erfreut, das Frankreich nun endlich ein Dauphin erhalten hatte. Versailles hatte in den letzten fünf Jahren immer oft leer gewirkt, aber nun kehrte das Leben wieder zurück, da sich alle durch die Geburt des Dauphins einen sofortigen oder späteren Nutzen erhofften.

Der einzige, der das ganze hämisch lächelnd betrachtete, war Graf de Provence, der Bruder des Königs. Durch die Geburt Louis Joseph, war er nun nicht mehr Thronfolger.

Vierzehn Tage nach der Geburt des Dauphins, war dieser bereits 13 Pfund schwer und 24 Zoll lang. Jedoch bekam auch er eine Amme, genau wie seine Schwester. Zudem wurde Madame de Polignac seine Gouvernante.

Immer wieder waren die Worte: „Es lebe der König, es lebe die Königin und es lebe der Monsieur Dauphin.“, zu vernehmen.

Aus allen Teilen der Welt trafen Glückwünsche ein. Jeder schien sich mit Ludwig XVI. zu freuen. Aber es gab auch noch weitere Meldungen.

Lauzun, Zweibrücken und die Nachricht von dem Sieg von Yorktown trafen nach 14 Tagen von der Geburt des Dauphins ein; die Freude des Königs verband sich mit der, daran zudenken, das er Frankreich wieder in den Zustand versetzt hatte, den Ludwig XIV. hinterlassen hatte.

Zum ersten Mal seit langer Zeit hatten die Bourbonen England unter dem Beifall Europas geschlagen und ein wirksames Mittel gefunden, seine Macht zu begrenzen und sein Ansehen herabzusetzen.

Am Montag, den 21. Januar, am Dienstag, den 22. Januar und am Mittwoch, den 23. Januar 1782 wurde ein großes Fest in Paris gefeiert, wobei darauf geachtet wurde, dass es zu keinen Unfällen kam. Es galt das Losungswort: «Keine Toten für eine Geburt»

Das Königspaar wohnte diesem prächtigen Fest bei und speiste hier in aller Öffentlichkeit. Zudem wurden sie Zeugen eines prachtvollen Feuerwerkes und eines großen Balles. Auch wenn es kalt war, war das Wetter klar und herrlich. Die Bevölkerung war begeistert. Der König war beinah erdrückt worden. Er hatte viel Gefallen an dem Fest und an der warmen Anteilnahme, die das Volk ihm zeigte, gefunden. Ludwig XVI. war von ihm entzückt und dies zeigte er ihnen. Den ganzen Tag war er sehr huldvoll. Die Königin, die wenig beachtet wurde, blieb ernst, obwohl sie diejenige gewesen war, die auf diese Festivitäten bestanden hatte.

Einige Tage später gab die königliche Leibgarde ein Fest. Es bestand aus einem Ball im Galaanzug zum Abend mit 3.000 geladenen Gästen und einen Maskenball in der Nacht mit 6.000 geladenen Gästen.

Zu diesen Bällen waren auch Oscar und André, ebenso wie ihre Eltern geladen. Sophie hatte sich erboten auf die Zwillinge zu achten. Zuerst hatte Oscar überlegt, jedoch entschied sie sich für den Ball. Sie hatte noch nicht die Möglichkeit gehabt, Marie Antoinette und Ludwig XVI. direkt zu der Geburt des Dauphins zu gratulieren. Auch André hatte ihr zugestimmt. Nur die Wahl der Kleidung war Oscar nicht leicht gefallen. Zwar besaß sie noch ihre alte Uniform, jedoch war sie nicht mehr Kommandantin. Zudem hatte sie ihren Adelstitel mit ihrer Hochzeit abgelegt und somit war es ihr nicht gestattet, ihre frühere Kleidung zutragen. So hatte sie sich schweren Herzens dazu entschlossen ein Kleid anzuziehen. Dieses hatte Sophie ihr extra geschneidert. Es war nicht so schlicht, wie die anderen, wenigen Kleider, die Oscar besaß. Ihre alte Amme hatte darauf bestanden, dass es prächtiger, für den Anlass passend, gearbeitet war. So bestand es aus mehreren Lagen blauer Stoffe, die mit silbernen und weißen Stickereien verziert waren. Dazu hatte Oscar ihre Haare hochgesteckt.

An Andrés Seite betrat sie am Abend des Balles den Saal. Dabei sah sie sich um. Viele vertraute Gesichter entdeckte sie dabei. Es waren viele ihrer ehemaligen Untergebenen anwesend, die sie freundlich und höflich begrüßten. Daher wurden Oscar und André immer wieder aufgehalten, womit die Zeit wie im Fluge verging. Dass das Königspaar bereits eingetroffen war, hatten die beiden bemerkt. Jedoch war die Chance zu ihnen zu treten, noch nicht eingetroffen. Erst als Oscar ihre Eltern entdeckte, wand sich das Blatt. Denn bei dem General stand der König. So traten sie ruhig auf sie zu.

„Oscar, mein Kind“, wurde sie freudig von ihrem Vater begrüßt, sodass Ludwig sich umdrehte und die beiden ansah.

André und seine Gemahlin nickten ihm zu, dann verbeugten sie sich höflich vor dem König. Dieser lächelte sie an und bat sie darum, sich zu erheben.

„Lady Oscar, André. Es freut mich, Euch hier zusehen.“

„Dies trifft ebenfalls auf Euch zu, Eure Majestät“, erwiderte Oscar höflich.

Kurz sah sie zu André, der ihr lächelnd zunickte. Anschließend fiel ihr Blick zurück auf Ludwig.

„Ich möchte Euch und Eurer Gemahlin zur Geburt Eures Sohnes, dem Dauphin Louis Joseph, gratulieren.“

„Dies gilt auch für mich, Eure Majestät“, setzte André mit hinzu.

„Vielen dank. Die Königin und ich sind sehr glücklich, über unser Kind.“

„Verzeiht, dass wir unsere Glückwünsche erst so spät Euch persönlich mitteilen konnten, jedoch hatten wir zuvor nicht die Möglichkeit uns direkt an Euch zuwenden.“

„Ihr braucht Euch nicht entschuldigen, Lady Oscar. Ich kann es verstehen.“

„Vielen Dank, Eure Majestät“, erwiderte André.

Ludwig nickte bei seinen Worten und lächelte. Deutlich waren der Stolz und die Freude über seinen Sohn in seinen Augen zu erkennen.

„Ich hoffe, Euren Kindern geht es gut.“

„Ja, unsere Kinder entwickeln sich prächtig.“

„Dies freut mich zuhören, Lady Oscar.“

„Wie geht es Eurer Tochter, der Prinzessin?“

„Ihr geht es sehr gut. Sie ist ein gutes Stück gewachsen und sie freut sich mit uns, über ihren Bruder. Kommt mit Euren Kindern uns besuchen, Marie Thérèse wird sich gewiss freuen.“

„Dieser Einladung werden wir gerne Folge leisten, Eure Majestät“, erwiderte Oscar lächelnd.

Dann entdeckte sie die Königin und entschuldigte sich somit bei Ludwig. Dieser nickte ihr zu und setzte das Gespräch mit ihrem Vater fort. So trat Oscar langsam auf Marie Antoinette zu, die sich in einem Gespräch mit ein paar Damen befand. Da die junge Frau die Königin nicht direkt ansprechen durfte, da sie nun einmal die ranghöchste Frau im gesamten Staate war, verhielt sie sich ruhig und wartete im Hintergrund, bis Marie Antoinette sie bemerkte. Zum Glück musste Oscar nicht lange verharren, bis die Königin die Anwesenheit der jungen Frau bemerkte. So sah sie lächelnd zu ihr.

„Oscar, welche Freude Euch hier zu sehen.“

Die ehemalige Kommandantin der königlichen Garde erwiderte das Lächeln Marie Antoinettes und verbeugte sich dabei.

„Dies kann ich Euch nur wiedergeben, Eure Majestät.“

„Bitte erhebt Euch, Oscar. Sagt mir, wie geht es Euch und den Kindern.“

„Vielen Dank, Eure Majestät. Den Kindern, André und mir geht es sehr gut.“

„Das freut mich zu hören.“

„Ich möchte Euch, auch in dem Namen Andrés, zu der Geburt Eures Sohnes herzlichst gratulieren.“

Marie Antoinette lächelte freundlich und höflich, als sie Oscars Worte vernahm.

„Vielen Dank, Oscar. Ich bin ebenfalls froh, dass er bei uns ist. Werdet Ihr uns besuchen, um Euch den Dauphin anzusehen?“

„Aber gewiss, Eure Majestät. Euer Gemahl, der König, lud uns bereits ein und dieser Einladung folgen wir gern.“

Freudig klatsche Marie Antoinette in die Hände, als sie diese Antwort erhielt.

„Das ist wunderbar“, erwiderte sie.

Oscar lächelte und unterhielt sich noch etwas mit der Königin, bis diese zu ein paar anderen Damen ging.

Die Musik hatte schon längst aufgespielt und viele Paare tanzten dazu. Auch Oscar und André bewegten sich zu den sanften Klängen der Geigen.

Der König selber tanzte an diesem Abend nicht, er unterhielt sich lieber mit den Anwesenden. Er war von dem ganzen äußerst angetan.

Der Abend verlief prunkvoll und es wurde bis spät in die Nacht gefeiert. Oscar und André kehrten erst sehr spät zurück. Beide waren guter Laune, nicht nur wegen des Dauphins, sondern auch wegen dem König. Noch nie hatten sie ihn so glücklich und stolz gesehen, wie an diesem Abend. Innerlich hoffte Oscar, dass sich nun alles in der königlichen Familie zum Besten wenden würde.
 

Die Wochen und Monate vergingen in denen weiter der Dauphin gefeiert wurde. Zwar nicht mehr so intensiv, wie zu Beginn, aber es war das „Jahr des Ruhmes und des Prunks“, wie Ludwig XVI. es nannte. Man hätte es auch als „Jahr des Dauphins“ beschreiben können.

Und obwohl gewisse Festivitäten anhielten, vergaß der König sein Amt nicht. Es traf eher das Gegenteil zu. Er arbeitete mehr als zuvor und ging nur ab und zu zur Jagd. Und die wenige freie Zeit, die er hatte, verbrachte er mit seinen Kindern. Im Gegenzug zu Marie Antoinette, die an ihrem Sohn, wie zuvor bei ihrer Tochter, rasch ihr Interesse verloren hatte.

Als Oscar mit ihrer Familie sie besuchte, entging ihr dies nicht. So konnte sie abermals ihren Kopf nur schütteln. Wieder hatte sie versucht auf die Königin einzureden, jedoch war dies ohne Erfolg. Oscar taten die Kinder unsagbar leid. Zwar hatten sie einen äußerst liebevollen, sanften und aufopferungsvollen Vater, aber dennoch war Oscar der festen Überzeugung, dass Kinder auch eine führsorgliche Mutter benötigten und dies sah nicht nur sie so. Auch André konnte es nicht verstehen.
 

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Anmerkung: Die Sätze, die kursiv geschrieben sind, sind wörtliche Auszüge aus Bernard Fays Buch „Sturz der französischen Monarchie, Kapitel 12, Teil 2 „Der siegreiche König“, ab Seite 226. Dieses Kapitel habe ich mit Hilfe von Clarice geschrieben, die mir per Telefon wichtige Dinge aus der Zeit Ludwigs XVI. nannte. Leider bekommt man nur wenig, bzw. nur ungenügende Informationen aus dem Internet und da sie die fachliche Lektüre ihr Eigen nennt, war sie meine erste Ansprechpartnerin. Danke dafür, Püppi.

Lauzun ist ein französischer Kanton im Süden Frankreichs.

Arras

Wenn es ihre Zeit zuließ, besuchte Oscar die Königin, nicht um ihr die Kinder weiterhin schmackhaft zu machen, sondern wegen des Dauphins und der Prinzessin. Sie gediehen genauso gut, wie ihre eigenen Kinder.

Diese tobten zuhause oft durch den Garten und spielen fangen. Auch wenn Sophie und Emilie immer versuchten aus dem zierlichen Mädchen eine Prinzessin zu machen, stand das kleine Mädchen ihrem Bruder in nichts nach. Sie war ein kleiner Raufbold, jedoch konnte niemand auf sie lange böse sein, wenn sie etwas angestellt hatte. Allein der Augenaufschlag Camilles konnte Herzen zum Schmelzen bringen, sodass alles rasch vergessen zu sein schien. Nur Oscar schaffte es hin und wieder ihrer Tochter stand zu halten und auch sie zu schelten, genauso wie ihren Bruder. Oscar war einfach der Ansicht, dass ihre Kinder zwar einen gewissen Freiraum haben, jedoch niemanden auf der Nase herum tanzen sollten. Diese Meinung teilte auch André. Er war sehr stolz auf seine Kinder, aber auch auf seine Ehefrau, die scheinbar alles spielend meisterte. Ins geheim vermisste André manchmal schon seine ‚alte’ Oscar, wenn sie ihren Dickkopf versuchte durchzusetzen oder sich das eine oder andere Mal über Anweisungen hinweg setzte. Nicht, dass er sie nun nicht mehr liebte, aber er hatte niemals gewollt, dass sie sich so anpassend sollte. Oscar war immer ein Kind der Freiheit gewesen, die es genossen hatte, den Wind in ihren Haaren zu spüren. Aber was war sie nun? Eine brave Hausfrau und Mutter. Gewiss war er mehr als stolz, aber dennoch machte es ihm auch Sorgen. Was wäre, wenn Oscar dies eines Tages bereuen würde? Was würde dann geschehen? André mochte sich dies nicht ausmalen. Erst schwieg er, doch die Zeit hatte ihn gelehrt, mit Oscar darüber zu reden. Dies würde er nun ebenfalls tun.

An einem Abend, als die Kinder längst im Bett lagen, saßen Oscar und André zusammen bei einem Glas Wein. Zwischen ihnen herrschte Stille, jedoch war sie nicht unerträglich. Normalerweise benötigten sie nicht viele Worte, um Gefühle etc. auszudrücken.

André nippte an seinem Wein und sah zu seiner Geliebten.

„Oscar? Ich würde gern mit dir über etwas reden“, begann er und unterbrach so die Stille.

„Ja, André? Was gibt es den?“, fragte Oscar, als sie ihr Glas absetzte und neugierig zu ihm herüber sah.

„Ich habe mir in letzter Zeit viele Gedanken gemacht“, begann André.

„Und worüber? Ist etwas geschehen?“, fragte Oscar nach und drehte sich dabei in seine Richtung.

„Nein, es ist alles in Ordnung“, antwortete er ihr ruhig und schaute dabei in sein Glas.

„Aber was ist dann? Ich sehe, dass dich etwas bedrückt, Liebster.“

„Wenn ich ehrlich bin, ist das auch so.“

Langsam löste André seinen Blick von dem rötlichen Getränk, um zu seiner Gemahlin zu blicken. Abwartend sah diese ihn nun an.

„Ich bin wirklich stolz auf dich, Oscar. Allein wie du mit den Kindern umgehst. Es wirkt so leicht und so selbstverständlich bei dir.“

„Vielen dank, Liebster. Aber das ist nicht alles, oder?“

„Nein, dass ist es nicht. Ich frage mich nur manchmal, ob du nicht irgendwann alles bereust.“

Nun weiteten sich Oscars Augen bei seinen Worten.

„Aber wie kommst du nur darauf? Ich bin glücklich mit dir und ich bereue bestimmt nichts.“

„Ich glaube dir, Liebste. Jedoch habe ich ein ungutes Gefühl im Bauch. Früher warst du frei, konntest fast alles tun und lassen, wie du es wolltest und nun bist du wie eingesperrt. Deine Aufgaben erledigst du zur vollsten Zufriedenheit aller, aber was ist mit dir? Mit dir selber? Vermisst du nichts?“

Oscar hörte ihm ruhig zu, dann rutschte sie näher an ihn heran.

„Darüber hast du dir Gedanken gemacht?“

André nickte bei ihren Worten und sah dabei zu ihr.

„Wie soll ich sagen? Zu Beginn, als Armand und Camille noch klein waren, da hatte ich manchmal das Gefühl etwas zu vermissen. Aber dem war nicht so. Sie und auch du, ihr seid meine neue Lebensaufgabe geworden. Mit euch lerne ich. Und dies Tag für Tag. So kann mir nichts fehlen, Liebster. Und ich kann daher auch nichts bereuen.“

„Bist du dir da wirklich sicher? Das soll nicht bedeuten, dass ich deinen Worten keinen Glauben schenke, aber ich kenne dich, Oscar“, unterbrach André sie.

„Ja, du kennst mich wie kein zweiter. Aber ich fühle mich nicht eingeengt oder gar eingesperrt. Noch nie war ich so glücklich wie jetzt. Gewiss gibt oder gab es Augenblicke, wo ich mein altes Leben zurück wünschte, aber diese sind schon lange her. Solange ich dich an meiner Seite weiß, werde ich niemals etwas vermissen. Du bist mein Leben, André.“

„Und du das meine, Liebste. Aber bitte sage mir sofort, wenn dich etwas bedrückt.“

„Das werde ich tun, Liebster. Das verspreche ich dir.“

André war froh, dass er mit Oscar darüber gesprochen hatte. Es ließ seine Sorgen geringer werden.

„Was hältst du davon, wenn wir beide mal wieder zusammen ausreiten?“

„Das ist eine gute Idee. Wohin möchtest du den?“

„Wie wäre es mit Arras? Dort sind wir lange nicht mehr gewesen.“

„Das ist war, aber was ist mit Armand und Camille?“

„Vielleicht passt deine Mutter ein paar Tage auf sie auf, sodass nur wir beide dorthin können. Nicht, dass ich sie nicht dabei haben möchte, aber wir haben lange nichts mehr zusammen unternommen.“

„Ich würde die beiden schon sehr vermissen, aber vielleicht hast du recht. Und Maman wird sich gern um die beiden kümmern. Du weißt doch, wie sehr sie die beiden verwöhnt.“

André nickte leicht grinsend.

„Ja, das tut sie. Genauso wie Großmutter. Aber es ist ihnen nicht übel zu nehmen.“

„Nein, dass ist es wirklich nicht.“

Oscar leerte nun ihr Glas und stellte es ab.

„Morgen wollte ich sowieso zu meinen Eltern fahren, dann werde ich sie gleich fragen.“

„Tu das ruhig und grüß sie von mir.“

„Ich werde es ausrichten. Aber lass uns nun zu Bett, es ist spät geworden.“

André nickte abermals und gähnte dabei herzhaft.

Am nächsten Tag regelte Oscar alles mit ihrer Eltern. Sie waren sofort einverstanden, sich um ihre Enkel zu kümmern. So konnten Oscar und André ihre kleine Reise planen.

Ein paar Tage, nach dem Geburtstag der Zwillinge, brachen sie auf. Es waren schöne warme Maitage. Beide genossen das Zusammensein und auch die Landschaft, die sich vor ihnen erstreckte. Da sie keine Eile verspürten, ließen sie sich viel Zeit. Somit erreichten sie Arras, an der Grenze zu Belgien, erst nach ein paar Tagen. Ihr Quartier sollte das Landgut der Familie de Jarjayes sein. Jedoch machten sie zuvor im Gasthaus von Allas eine Rast. Der alte Wirt erkannte sofort seine Gäste und begrüßte sie freudig.

„Lady Oscar, André. Ich habe Euch lange hier nicht mehr gesehen. Es muss eine Ewigkeit her sein, mindestens fünf Jahre müssten vergangen sein.“

„Ja, wir sind es, Allas. Es sind sogar acht Jahre her“, erwiderte Oscar lächelnd.

„Wie die Zeit vergangen ist. Aber Ihr seid noch hübscher geworden, seit ich Euch das letzte Mal sah, Lady Oscar. Aber ist es wirklich wahr, was ich hörte? Ihr seid nicht mehr im königlichen Garderegiment?“

„Vielen Dank, Allas. Ihr habt richtig gehört. Ich habe die Garde vor fast fünf Jahren verlassen.“

„Aber wie hat Euer Vater darauf reagiert, Lady Oscar? Wird er nicht arg erzürnt gewesen sein?“

„Zuerst war er nicht angetan davon, aber er, wie auch meine Mutter, stehen schon lange hinter meiner Entscheidung, die ich damals traf.“

Lächelnd sah Oscar nun zu ihrem André, der dies sanft erwiderte und dann seinen Arm um sie legte. Allas sah von Oscar zu André und wieder zurück.

„Also heißt das…“

„Ja, Allas. André und ich habe vor fast fünf Jahren geheiratet.“

„Das freut mich zu hören. Meinen aller herzlichsten Glückwunsch.“

„Vielen Dank, Allas. Hör zu Wirt. Wir sind bereits einige Tage unterwegs. Bringt uns bitte Euren besten Speisen. Wir bezahlen auch gut“, erwiderte André, wobei er Oscar sanft an sich drückte.

„Ich werde selbst für Euch kochen und mein Bestes geben. Es soll Euch an nichts fehlen, meine Freunde.“

Erfreut sahen Oscar und André sich an. Während Allas in die Küche verschwand, um das Essen vorzubereiten, sahen sie sich im Wirtsraum um. An einem Tisch in einer Ecke, sahen sie einen Jungen sitzen. Oscar hatte gleich das Gefühl ihn zu kennen. So trat sie langsam, gefolgt von André auf ihn zu.

„Wir kennen uns, nicht wahr?“, sprach sie den fremden Jungen an.

„Ja, das tun wir. Ich bin Gilbert.“, erwiderte dieser und erhob sich.

Auf Oscars Lippen zeichnete sich ein Lächeln ab.

„Wir haben uns lange nicht mehr gesehen, Gilbert. Beim letzten Mal warst du fünf.“

Der Angesprochene nickte und deutete den beiden an, Platz zunehmen.

„Ja, das ist wahr. Heute bin ich dreizehn.“

„Du bist ganz schön gewachsen. Sag, wie geht es deinem Vater?“

„Er ist nicht mehr der Jüngste, aber es geht ihm dennoch gut.“

„Das freut mich zu hören. Richte ihm bitte unsere besten Wünsche und Grüße aus.“

„Natürlich, das werde ich tun.“

Oscar nickte dankend, dann wurde ihnen das Essen von Allas serviert. Zu diesem luden sie Gilbert ein. Diese lehnte jedoch höflich ab. Er erhob sich und verabschiedete sich von dem Paar. Anschließend verließ er das Gasthaus. Oscar sah ihm dabei hinterher.

„Was hat er nur?“, fragte sie mehr zu sich, als das sie ihre Frage einen jemanden direkt richtete.

„Er arbeitet hat, wie auch der Rest seiner Familie. Aber es bleibt ihm kaum etwas zum Leben.“

Oscar sah zu Allas, als er sprach.

„Ist das wahr? Ich habe sosehr gehofft, dass es sich gebessert hat.“

„Leider nein, Lady Oscar. Die Steuern sind einfach zu hoch.“

„Ich verstehe“, erwiderte Oscar und begann in ihrem Essen herum zustochern.

Allas hielt es vorerst für besser das Paar allein zu lassen.

„Was hast du, Oscar?“

„Ich ärgere mich über mich. Wie konnte ich nur denken, dass es dem Volk besser geht? Es ist acht Jahre her, dass wir hier waren und da haben sie schon schlecht über das Königspaar gesprochen.“

Sanft legte André seine Hand auf die ihre und strich zärtlich darüber.

„Du konntest es nicht ändern. Es ist nicht dein Verschulden. Die Königin scheint dies nicht sehen zu wollen. Du hast es mehr als einmal versucht mit ihr zu reden.“

„Ich weiß, André“, erwiderte Oscar seufzend.

„Jedoch kann ich nicht verstehen, warum sie es einfach nicht sehen will.“

„Sie steht unter dem Einfluss von so vielen Menschen und daher scheint sie nicht die Wahrheit sehen zu wollen.“

Abermals seufzte Oscar und führte anschließend ihre Gabel zu Mund. Jedoch war ihr Appetit wie verflogen.

„Wenn wir zurück kehren, muss ich mit Marie Antoinette reden. Sie muss endlich verstehen, was geschehen ist. Das Volk darf nicht leiden.“

„Das sehe ich ebenfalls so. Nur ob sie es wirklich tun wird?“

„Ich hoffe und ich bete darum.“, erwiderte Oscar leicht niedergeschlagen.

Eine ganze Weile später brachen Oscar und André auf. Der Ritt verlief schweigend. Beide hingen ihren Gedanken nach. André war allein durch seine Arbeit nicht entgangen, wie die Entwicklung des Volkes in den letzten Jahren verlaufen war. Oscar hatte er davon nur am Rande erzählt. Er wollte sie nicht unnötig aufregen. Und nun merkte er es, welches Feuer doch noch in ihr loderte. André wurde somit immer mehr bewusst, dass wenn sich nichts ändern würde, es übel enden konnte. Und ihm war klar, dass er Oscar und seine Kinder keiner Gefahr aussetzen wollte. Dies würde er mit jedem Mittel verhindern, egal was es ihn auch kosten würde. Wie es in Oscar aussah, konnte er nur erahnen. Sie ärgerte sich noch immer vor sich selber, dass sie ihre Augen seit damals wieder verschlossen hatte. Es gab keinen anderen Weg, sie musste bei ihrer Rückkehr mit der Königin reden und ihr das erlebte schildern.

So in den eigenen Gedanken versunken, erreichten sie spät das Gutshaus der Familie de Jarjayes. Dort sah noch immer alles so aus, wie sie es kannten. In den Jahren hatte sich hier nichts verändert.

Gemeinsam verbrachten Oscar und André ein paar ruhige Tage hier, in denen sie zusammen ausritten, Spaziergänge unternahmen oder sich lange unterhielten. Diese kleine Abwechslung tat beiden gut, auch wenn sie gedanklich oft in ihrem zuhause waren.

Nach einer knappen Woche brachen sie auf. Wieder verlief der Ritt schweigsam. Jedoch bummelten sie diesmal nicht. Oscar schlug ein zügiges Tempo an, sodass sie weniger als die Hälfte der Zeit benötigten. Gemeinsam holten sie ihre Kinder. Am nächsten Tag ritt Oscar direkt zur Königin, um mit ihr zu reden. Die junge Frau gab ihr Bestes, aber sie kam mit keinem Wort an die Königin heran. Dies schürte die Wut in Oscar. Aber auch dies schien Marie Antoinette nicht zu bemerken. Ihrer Ansicht nach, fühlten sich alle so, wie sie es tat. Also waren sie so gesehen glücklich. Darüber konnte Oscar nur ihren Kopf schütteln. Ihr Bild von der Königin hatte sich längst gewandelt. Gewiss war Marie Antoinette die Königin Frankreichs, nur würde dies zu einem schlimmen Ende kommen, wenn nichts geschehen würde. Dies war Oscar nun vollkommen bewusst.

Folgenschwere Zeit

Oscar und André wurden schnell von ihrem Leben zu Hause wieder eingeholt. Ihre Kinder freuten sich sehr ihre Eltern wieder zuhaben. Ihnen hatte es an nichts gefehlt, aber dennoch hatten sie sie sehr vermisst. Oscar und André konnten die beiden kaum beruhigen und sie mussten erst alles erzählen, bevor sie die Zwillinge in ihre Betten bringen konnten. Die darauf folgenden Tage wichen die beiden kaum von der Seite ihren Eltern. Es ging am Anfang sogar soweit, dass sie laut weinten, wenn André morgens zu seiner Arbeit aufbrach. Zum Glück für die Erwachsenen legte sich dies nach einigen Tagen. So lebte die kleine Familie glücklich zusammen.

Die Zeit verlief ohne größere Vorfälle. Im darauf folgenden Jahr bekam Oscar eine schwere Erkältung, aber sie wurde wieder gesund, allein durch die liebevolle Pflege Andrés.

Am 3. September des Jahres 1783 wurde in Versailles das formale Ende des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges unterzeichnet. Nach und nach kehrten immer mehr Soldaten zurück. Jedoch waren auch viele Tote zu beklagen.

Oscar erinnerte sich dabei an Graf von Fersen. Er war auch mit den letzten Soldaten nicht zurück gekehrt. Sie war verwundert, da keine Meldung von seinem Fallen erschienen war. Aber weitere Gedanken machte sie sich nicht. Sie hatte genug eigene Sorgen. Ihre Zwillinge hielten sie genug auf Trab und ließen somit wenig Zeit zu anderen Dingen. Armand und Camille waren im Zahnwechsel und benötigten Oscar volle Aufmerksamkeit. Zum Glück war diese Zeit nicht so schlimm, wie die Momente, als die Zwillinge ihre ersten Zähnchen bekommen hatten. Aber sonst entwickelten sich die beiden, mittlerweile fünf jährigen Kinder, sehr gut.

Ab und zu besuchte Oscar die Königin und die Kinder. Jedoch waren es seltene Besuche. Manchmal kam Oscar nicht einmal bis zu Marie Antoinette durch und geriet an Madame de Polignac. Schon früh hatte Oscar die Gouvernante der Königskinder nicht leiden können und auch nun änderte sich ihre Meinung nicht. Sie verglich die angebliche Freundin der Königin mit einer Schlange, sie traute ihr nicht über den Weg. Zudem merkte sie immer mehr, welchen schlechten Einfluss Madame de Polignac auf die Königin hatte. Innerlich konnte Oscar nur seufzen. Ihr war bewusst, dass sie keine Chance hatte, irgendeinen Einfluss geltend zu machen.

Weitere Jahre vergingen. Abermals wurde die Königin schwanger. Am Anfang des Jahres 1785 bemerkte die Königin, dass sie beunruhigt und verstört war. Zwar nahm ihre Schwangerschaft normale Fortschritte, aber sie wurde so ungeheuer dick, dass es sie behinderte und beunruhigte. Sie wurde ängstlich. Sie, die sonst kaum Priester aufsuchte, wollte zwei – drei Mal beichten. Man begriff nichts davon. In Wahrheit ermaß Marie Antoinette durch ihren Zustand in ihren Gewohnheiten gestört, die schwere ihres Verrats am König. Darauf entstand eine Art Skandal.

Als Marie Antoinette am Morgen des Sonntags, des 25. März, kleinere Wehen verspürte, wusste sie, dass sie die baldige Niederkunft ankündigten. Gegen 6 Uhr wurden alle Symptome bemerkbar, und nach Wehen von etwa einer Stunde gebar sie einen wohlgestalteten und sehr kräftigen Prinzen.

Nachdem man die Königin gewaschen hatte, verlangte sie ihr Kind zusehen, welches zwei Stunden später auf den Namen Louis Charles getauft wurde.

Ludwig XVI. war sehr glücklich über die Geburt seines zweiten Sohnes. Er gab in Auftrag, dass alle ausländischen Höfe Meldung über dieses freudige Ereignis erhalten sollten.

Anfang Juni konnte die königliche Familie ihren Einzug in Paris halten. Jedoch war der König nicht dabei, da er viel zu tun hatte. So fuhr Marie Antoinette ohne seine Begleitung, in die Landeshauptstadt, um in Notre Dame Gott, dem Allmächtigen, ihre Danksagungen für das gesunde Kind, zu überbringen. Als die Kutsche der Königin durch die Straßen Paris fuhr, erhielt sie keine Beifallskundgebungen. Die Menschen blieben still.

Am selben Abend, nach der Danksagung, zog sie es somit vor in der Oper Zerstreuung zu suchen. Das Volk war darüber sehr aufgebracht, sodass kurz darauf die ersten Schmachschriften entstanden. Diese, wie auch das Verhalten des Volkes, konnte Marie Antoinette nicht verstehen.

Oscar hatte einige Tage später Versailles besucht, um ihre Glückwünsche auszurichten. Dabei schnappte sie das Getuschel einiger Diener auf.

„Habt Ihr es mitbekommen? Die Königin war davon sehr betroffen und suchte, wie immer in solchen Fällen, beim König Trost.“

„Wirklich? Und wie hat er darauf reagiert?“

Ich weiß nicht, wie Sie es mache.“, erwiderte ihr erlauchter Gatte, „Jedes Mal wenn ich nach Paris komme, schreien sie, dass ich fast betäubt bin.

„Das ist nicht wahr.“

„Oh doch, ich habe es selber gehört. Er hat diesen Scherz gemacht. Aber dennoch hat er anschließend der Königin geholfen.“

„Unser König ist ein guter Mann.“

Der andere Bedienstete nickte, dann bemerkten sie Oscar. Kurz verneigten sie sich und verschwanden daraufhin rasch. Die ehemalige Kommandantin schüttelte nur kurz ihren Kopf, dann setzte sie ihren Weg fort. Von der Königin erfuhr sie etwas später, dass Graf von Fersen nach Frankreich zurück gekehrt war. Oscar konnte deutlich die Freude in den Augen der Königin sehen. Aber die junge Frau hatte es aufgegeben, Marie Antoinette ins Gewissen zu reden.

Die Königin fühlte sich Schwermütig, Empfindsam und hatte Sehnsucht nach Einsamkeit und Wäldchen… Sie weigerte sich auffallende Kleidung zu tragen und befahl Madame Bertin, Blumen, Federn, große Halskragen, Überröcke, polnische, türkische, zirkassische Kleider usw. zu verbannen. Sie wollte ernsthaft, fast würdig erscheinen.

Auch der König zog im Moment die Ruhe vor. Er ging selten zur Jagd, dafür widmete er sich mehr den je seinen Aufgaben.

Was zuvor im März des Vorjahres geschehen war, erahnte im Moment noch niemand. Kardinal de Rohan machte die Bekanntschaft einer gewissen Jeanne de Valois. Er selber beschrieb sie später als Frau niederer Herkunft. Diese Hochstaplerin gewann bald größten Einfluss auf den Kardinal, mit dem sie eine intime Beziehung einging. Sie überzeugte ihn, dass sie eine Freundin der Königin sei und ihre Gunst genieße. Rohan beschloss, sie zu benutzen, um das Wohlwollen der Königin wiederzuerlangen. Die Comtesse de La Motte, wie sie mittlerweile hieß, versicherte dem Kardinal, sich für ihn bei der Königin einzusetzen. Sie war eine Art Vermittlerin und überbrachte Schreiben des Kardinals aber auch der Königin, die sich später als Fälschungen herausstellten. Zudem bat Comtesse de La Motte öfter, im angeblichen Auftrag der Königin, um höhere Geldsummen. Rohan ließ sie von ihr blenden und tat alles, was man ihm sagte. Im Januar des Jahres 1785 bat die Comtesse den Cardinal den Kauf für das Diamantcollier der Pariser Juweliere Böhmer und Bassenge für die Königin abzuwickeln. Er stimmte dieser Bitte zu und erwarb das Collier, welches einen Gesamtwert von 1,6 Million Livres betraf, wofür er eine Ratenzahlung vereinbart hatte. Rohan behauptete, eine Vollmacht der Königin zu besitzen und zeigte den Juwelieren eine Bestätigung der Kaufbedingungen, die anscheinend von der Königin Marie Antoinette selbst unterschrieben war. Rohan brachte das Collier in das Haus der Comtesse, wo es ein Mann in Empfang nahm, den er für einen Kammerdiener der Königin hielt. Jedoch gelangte die Kette niemals zur Königin. Auch als der Juwelier Böhmer sich bei Marie Antoinette beschwerte, stritt sie dem Kauf des ganzen ab.

Comte de La Motte war mit dem Schmuck bereits nach England aufgebrochen, um dort die Diamanten zu verkaufen.

Da Marie Antoinette, seid kurz nach Louis Charles Geburt, sich in das Petit Trianon zurück gezogen hatte, wurde dort der 15. August, der Tag Maria Himmelfahrt, begangen. Zu diesem traf auch Kardinal de Rohan ein. Ludwig XVI. bat ihn dort zu einer Unterredung. Er wollte erfahren, was angeblich geschehen war. Dem Kardinal war es kaum möglich ein klares Wort zu fassen, so gab man ihm die Möglichkeit im königlichen Kabinett seine Worte nieder zuschreiben. In diesem Bekenntnis, welches er verfasste, schrieb er alles nieder was er mit der Comtesse erlebt hatte. Er merkte selber, dass er zum Opfer geworden war und auch zum Verbrecher. Ludwig XVI. hatte nicht die Chance anders zu reagieren, als den Kardinal verhaften und in die Bastille abführen zu lassen.

Während dessen versuchte man die Comtesse, deren Gemahl und weitere Komplizen zu erhaschen. Die Jeanne fassten sie drei Tage später, am 18. August, jedoch hatte sie zuvor jegliche Aufzeichnungen vernichten können. Ihr Gemahl befand sich in England, wo durch den Skandal immer mehr Schmachschriften und Flugblätter, die Frankreich und die Königin verunglimpften, überschwemmten das Land.

Von diesen Dingen erfuhr Oscar mit etwas Verzögerung und sie nahm es mit einem unguten Gefühl in der Magengegend auf. Auch entging ihr die Unruhe des Volkes nicht, welches sich immer weiter gegen die Königin sich stellte. Immer öfter wurde Marie Antoinette nur noch ‚die Österreicherin’ genannt.

Am Mai 1786 wurde Kardinal de Rohan der Prozesse gemacht. Als Richter wurde das Pariser Parlament berufen. Dieses sprach ihn mit 26 zu 22 Stimmen frei, was einem vollständigen Freispruch gleichkam. Jedoch musste er nach diesem einmal zurück in die Bastille.

Das Urteil für die Comtesse de La Motte fiel in der Richtung aus, dass man sie mit einem V für Voleuse brandmarkte und sie lebenslänglich in einem Arbeitshaus eingesperrt sein sollte. Jedoch gelang ihr später die Flucht. Von der sie aus später ihrer Memoiren veröffentlichte, in denen sie gegen die Königin wetterte. Ihr Gemahl erhielt, trotz seiner Abwesenheit, eine lebenslange Galeerenstrafe.

Die Königin konnte nicht fassen, dass der Kardinal frei gesprochen worden war. Das Volk hingegen jubelte. Es beharrte hingegen auf der Überzeugung, dass die Königin die Comtesse als Werkzeug benutzt habe, um ihren Hass auf den Kardinal de Rohan zu befriedigen. Diese Meinung war nicht nur durch den vergangenen Prozess entstanden, sondern auch durch die Schriften der Comtesse. Zudem war das Volk immer erzürnter durch die immensen Ausgaben der Königin und deren Lebensweise, so dass ein kleines Feuer in den Herzen aller Menschen zu lodern begann und es immer öfter Unruhen gab.

Bei einem Besuch Marie Antoinettes in einem Theater buhte man sie aus. Diese Reaktion des Volkes schien etwas ihre Augen zu öffnen. Dies führte dazu, dass sie versuchte ihren Lebensstil zu ändern. Sie zog sich in den Kreis ihrer Familie zurück, wo sie sich um ihre Kinder kümmerte und versuchte ein neues Leben zu beginnen. Vor allem sorgte sie sich, um ihren ältesten Sohn Louis Joseph. Er trug die Krankheit Rachitis in sich, die im Jahre 1786 ausbrach. Jedoch war Marie Antoinettes Wandel zu spät. Das jedoch merkte, zu diesem Zeitpunkt, niemand. Auch Oscar nicht, die das ganze Geschehen misstrauisch beobachtete. Auf einer Seite freute sie sich, dass die Königin scheinbar endlich gefallen an ihrer Familie gefunden hatte, jedoch war auch ein ungutes Gefühl über die Unruhen dabei.

Auch André entgingen diese nicht. Er begann sich große Sorgen zu machen. Darüber sprach er auch an einem Abend mit Oscar. Sie saßen gemeinsam bei einem Glas Rotwein vor dem Kamin.

„Oscar?“

„Ja, André?“

„Ich mache mir Sorgen. In Paris nehmen die Unruhen stetig zu.“

„Das ist mir nicht entgangen, aber das Volk wird sich bestimmt wieder beruhigen.“

„Ja, vielleicht. Aber was ist, wenn nicht?“

„Ich weiß es nicht.“

Nachdenklich sah André über sein Weinglas hinüber zu Oscar.

„Ich habe lange nachgedacht, in den letzten Tagen und ich bin zu einem Entschluss gekommen.“

Überrascht sah Oscar ihn an, jedoch unterbrach sie ihn nicht und wartete somit ab.

„Wenn es zum Extremsten kommen sollte, sind wir hier nicht sicher. Und ich möchte dich und unsere Kinder nicht in Gefahr wissen.“

„Ich kann dies verstehen, André. Aber was möchtest du mir damit sagen?“

„Nun, ich möchte mit dir und den Zwillingen fortziehen. Irgendwohin, wo es friedlich ist. Vielleicht zu deiner Schwester Marie-Anne nach England.“

Oscars Augen weiteten sich bei den Worten ihres Gemahls.

„Wir können, wenn es wirklich so schlimm werden sollte, nicht einfach das Land verlassen. Ich dachte, du bist ein stolzer Bürger Frankreichs. Und was ist mit der Königin und ihrer Familie?“

„Ja, ich bin stolzer Bürger Frankreichs, aber du und die Kinder, ihr seid meine Familie und ihr bedeutet mir alles. Und was die Königin angeht, was hat sie für dich je getan? Bitte sei einmal ganz ehrlich zu dir selber. Sie hat dich befördert, aber sonst? Du warst stets bei ihr und hast auf sie geachtet, jedoch bekamst du etwas dafür? Ich weiß, du würdest niemals etwas verlangen, aber sagte Marie Antoinette nicht einmal, dass ihr Freunde seid? Verhalten sich so Freunde? Und vergiss bitte nicht, dass du nun eine Familie hast. Du wirst dich entscheiden müssen“, sprach er in erstem Tonfall.

Seine Worte stimmten Oscar nachdenklich. Ihr war bewusst, dass André Recht hatte mit seinen Worten. Aber sie fühlte sich im Moment zwischen den Stühlen. Sie war hin und her gerissen.

„Ja, ich habe eine Familie und ich möchte auch nicht, dass es ihnen schlecht geht oder sie in Gefahr geraten. Aber ich schwor der Königin einst die Treue. Mir ist bewusst, dass du Recht hast. Jedoch lass mir etwas Zeit zum Nachdenken, bevor ich entscheide.“

André nickte zustimmend. Er kannte seine Oscar und erahnte, wie es ihr gehen musste. Inständig hoffte er nur, dass sie die richtige Entscheidung treffen würde. Eine gewisse Zeit räumte er ihr ein, jedoch war ihm klar, dass sie nicht zu lange warten durften.
 

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Anmerkung: Die Sätze, die kursiv geschrieben sind, sind wörtliche Auszüge aus Bernard Fays Buch „Stur der französischen Monarchie, Kapitel 1, Tyrann oder Märtyrer, Untertitel: Größe und Elend des Königsreiches Frankreiches, Teil 3. Auch dieses Kapitel habe ich mit der Hilfe von Clarice geschrieben, abermals per Telefon. Vielen Dank für deine Hilfe, Püppi.

Eine wichtige Entscheidung

Oscar fiel es schwer eine Entscheidung zu fällen. Auf der einen Seite stand ihre Familie, auf der Andere ihre Treue und Loyalität gegenüber der Königin und des gesamten Königshauses. Sie wusste, dass sie sich entscheiden musste.

Um etwas nachzudenken, ritt sie m nächsten Tag aus. Sie wollte sich etwas frische Luft um die Nase wehen lassen. Dabei passierte sie eine Reihe von Feldern, auf denen einige Bauern arbeiteten. Alle trugen abgerissene und zerschlissene Kleidung. Scheinbar vollkommen zufällig, suchte Oscar mit ihnen das Gespräch. Jedoch was sie erfuhr, war so gut wie immer dasselbe. Das Volk verabscheute seine Königin. Die Hoffnungen, die sie in sie gesetzt hatten, waren zerstört. Auch die Menschen in Paris dachten nicht anders, als Oscar später dort eintraf. Kein einziges positives Wort war zu hören. Oscar traf dies sehr. So ritt sie am frühen Nachmittag nachdenklich nach Hause. Dort jedoch konnte sie nicht weiter ihren Gedanken nachhängen, da ihre Kinder unbedingt mit ihr spielen wollten. Dann klopfte es noch an der Tür. So scheuchte sie die Zwillinge hinaus in den Garten, um anschließend nachzusehen, wer dort war. Ruhig öffnete sie die Eingangspforte und als sie erkannte, wer dort vor ihr stand, weiteten sich ihre Augen.

„Von Fersen?!?“, brachte sie überrascht heraus.

„Ja, Oscar. Ich bin es“, erwiderte dieser freundlich lächelnd.

„Was führt Euch zu mir? Aber bitte, trete doch bitte ein“, sprach Oscar und ließ ihn hereinkommen.

„Vielen Dank“, antwortete er und folgte Oscar weiter ins Haus.

Sie führte ihn in Richtung Salon, wobei der Graf sich aufmerksam umsah.

„Ihr habt es Euch hier wirklich sehr schön eingerichtet.“

„Vielen Dank. Aber bitte geht schon einmal vor. Dort vorn ist der Salon. Dort steht die Terrassentür offen. Macht es Euch dort bequem. Ich werde Euch gleich folgen.“

Von Fersen nickte und folgte anschließend dem ihm genannten Weg.

Auf der sonnenüberfluteten Terrasse stand ein schlichter weißer Tisch, umrahmt von einigen dazugehörigen Stühlen. Auf einem von diesen ließ er sich nieder. Dabei schweifte sein Blick über das kleine Anwesen. Er hatte noch nicht alles ganz erfasst, als Kinderstimmern an sein Ohr drangen und kurz darauf erschienen die Zwillinge in seinem Blickfeld. Ein blonder Junge mit Degen, der von einem dunkelhaarigen Mädchen, ebenfalls mit einem Degen bewaffnet, lachend vorher lief.

„Du bist gemein, Armand. Wir wollten doch trainieren“, rief das Mädchen.

„Ja, schon, aber du stellst dich viel zu doof dazu an“, war die prompte Antwort.

„Das ist nicht wahr, du bist nur unfair!“

Die beiden Kinder schienen den Grafen nicht bemerkt zu haben, der sie aufmerksam und teils belustigt beobachtete.

„ARMAND UND CAMILLE GRANDIER!“, kam es auf einmal aus Richtung der Terrassentür.

„Was habe ich euch gesagt? Die Degen sind kein Spielzeug!“

Oscar hielt ein Tablett in Händen und ihr Blick war ernst. Zudem hatte ihre Stimme ihren üblichen militärischen Unterton.

„Aber, Mama…“, versuchten die Zwillinge nun einzuwenden.

„Kein aber. Ihr gebt mir jetzt die Degen und dann begrüßt ihr bitte höflich unseren Gast.“

„Gast?“, kam es überrascht von Camille.

Dann entdeckten die Zwillinge den Grafen. Sie gaben ihrer Mutter, nachdem diese das Tablett abgestellt hatte, ihre Degen, dann gingen sie auf den Besuch zu.

„Darf ich Euch vorstellen? Mein Sohn Armand und seine Zwillingsschwester Camille“, sprach sie zu ihm.

„Und dies ist Graf von Fersen.“

„Guten Tag ihr beiden“, sprach er die Zwilling an.

Armand deutete eine Verbeugung an, seine Schwester jedoch schien kurz zu überlegen, dann verbeugte sie sich auch leicht.

„Guten Tag, Graf.“

Oscar brachte derweil die Degen in Sicherheit. Als sie zurückkehrte, saßen ihre Kinder artig am Tisch und Oscar ließ sich bei ihnen nieder. Dabei goss sie jedem einen Tee ein.

„Eure Kinder sind wirklich sehr reizend.“

„Vielen Dank, Graf. Aber immer wieder haben sie nur Unfug im Sinn.“

„Das ist nicht wahr, Mama“, protestierte Armand mit vollem Mund, da er gerade einen Keks aß.

„Ja, Mama. Er hat Recht. Wir sind doch ganz lieb“, stimmte Camille ihrem Bruder zu.

„Das sehe ich. Bitte esst anständig. Was soll unser Besuch denn von euch denken?“

„Lasst die beiden, sie sind noch Kinder, Oscar.“

Innerlich seufzte die junge Frau bei den Worten den Grafen. Erst recht, als ihre Kinder freudig zustimmten. Jedoch scheuchte Oscar die beiden wieder zum Spielen. Als sie lachend auf die Wiese liefen, sah sie zu ihm.

„Gibt es einen Grund für Euren Besuch?“

„Nun, seid ich wieder in Frankreich bin, habe ich Euch nicht meine Aufwartung machen können. Es ist viele Jahre her, dass wir uns sahen.“

„Das ist wahr. Es ist einiges geschehen.“

Von Fersen nickte zustimmend.

„Ja, aber nicht nur Positives“, sprach er und rieb sich dabei sein Kinn.

„Wie meint Ihr dies?“, fragte Oscar nach.

„Das Volk ist unruhig.“

„Dies ist mir nicht entgangen.“

„Ich habe versucht mit der Königin darüber zureden, aber sie scheint nicht wirklich auf mich zu hören.“

„Wollt Ihr damit äußern, dass ich mit ihr reden soll?“

„Wenn Ihr dies tun würdet?“

„Verzeiht, Graf. Ich habe es mehr als einmal getan, aber sie schenkt mir nicht wirklich Gehör. Ich dachte, Ihr wärt der Einzige, dem sie noch zu hört und Glauben schenkt.“

Nachdenklich rieb von Fersen sein Kinn.

„Also könnt Ihr mir nicht helfen?“

„Tut mir leid. Wie Ihr seht, habe ich meine eigene Familie und ich habe es mehrfach vergeblich versucht. Bitte versteht mich.“

„Das tue ich.“

Der Graf erhob sich, nachdem er seine Tasse geleert hatte.

„Ich danke Euch für den Tee, Oscar. Vielleicht sehen wir uns ja bald wieder.“

Die Angesprochene erhob sich ebenfalls und begleitete ihn zur Haustür. Kurz wank von Fersen ihr noch zu, dann ritt er von dannen. Oscar war klar, dass sie sich nun entschieden hatte. Dies musste sie André am Abend mitteilen.

Dieser hatte heute seine Arbeit früher als sonst erledigt und war daher nach Paris aufgebrochen, um noch einige Dinge zu erledigen.

Da er nach einer Weile Durst und etwas Hunger verspürte, kehrte er in das Gasthaus ‚La Bonne Table’ ein. Dort waren kaum Gäste. André ließ sich am Tresen beim Wirt nieder. Von dort aus, konnte er eine Gruppe Soldaten sehen, die zusammen tranken und sangen.

„… wir sind bald alle Brüder, die da reißen alles nieder. Das soll unsere Freude sein. Das soll unsere Freude sein.“, kam es in leicht angetrunkenem Singsang von ihnen.

André kannte solche Lieder bereits, er wusste, was sie zu bedeuten hatten.

Während er trank, sah er kurz zu ihnen. Dies schien der Gruppenführer zu bemerken. Er grinste, sprang vom Tisch und gesellte sich zu ihm.

„Hey, junger Freund. Ich bin Alain von der Söldnertruppe. Hast du nicht Lust, dich zu uns rüber zusetzten und mit uns mitzusingen?“

Überrascht sah André den Fremden an. Dann sprach auch noch ein weiterer der Söldner.

„Na los, komm her, Kumpel. Wir können jede Stimme gebrauchen.“

Kurz überlegte André.

„Warum nicht. In Ordnung. Aber nicht zu lange.“

Gemeinsam saßen sie kurz darauf zusammen, sangen und tanzten. Etwas später ließen Alain und André sich wieder am Tresen nieder.

„Heute war Zahltag, deshalb sind wir hier und amüsieren uns. Französische Söldnertruppe klingt sehr eindrucksvoll, aber in Wirklichkeit sind wir alle nur Söhne von Bauern und einfachen Handwerkern. Wir sind etwas anderes, als z.B. die Soldaten des königlichen Garderegiments. Die sind alle von adeliger Herkunft. Aber was erzähl ich dir? Was ist mir dir?“

Abwartend sah Alain André an.

„Wie du siehst, Alain, bin ich weder von Adel noch gehöre ich der Armee an.“

„Das sehe ich und was treibt dich nach Paris?“

„Ich habe einige Besorgungen zu erledigen gehabt und ich muss auch bald aufbrechen. Meine Familie wird gewiss auf mich warten.“

„Oh, du bist verheiratet, mein Freund? Mein Glückwunsch. Sie ist bestimmt ein ganz bezauberndes Wesen.“

„Ich danke dir, Alain. Nun, für mich ist sie es“, erwiderte André lächelnd.

„Du kannst uns ja einmal besuchen kommen, wenn du Zeit hast.“

„Das Angebot nehme ich gern an. Warum nicht?“, erwiderte Alain grinsend.

André nickte und erhob sich.

„Ich wünsche dir noch einen schönen Abend. Wir sehen uns bestimmt.“

Alain nickte ebenfalls und wünschte ihm einen schönen Abend. André erwiderte dies und verließ anschließend das Gasthaus. Kurz darauf konnte er hören, wie dort eine Schlägerei begann. Grinsend schüttelte er seinen Kopf und stieg dabei auf sein Pferd. Ruhig machte er sich auf den Heimweg.

Oscar erwartete ihn bereits mit dem Abendessen. Gemeinsam mit den Kindern aßen sie und als diese später friedlich in ihren Betten lagen, saß das Paar gemeinsam im Salon. Dort berichtete Oscar von dem Besuch von dem schwedischen Grafen. André hörte ihr zu und trank dabei einen Tee.

„Ich glaube, ich habe mich entschieden, André“, beendete Oscar ihre Erzählung.

Überrascht und zugleich abwartend sah er seine Geliebte an. Diese stellte ihre Tasse ab, faltete ihre Hände und sah auf diese. Dies veranlasste André seine Tasse ebenfalls abzustellen und sich zu ihr zu drehen.

„Auch wenn es mir schwer fällt… ich muss an meine Familie denken. Und diese soll in Sicherheit leben“, sprach sie leiser werdend.

André ergriff ihre Hände und drückte diese sanft.

„Ich bin froh, über deine Entscheidung. Mir fällt es auch nicht leicht, aber zusammen werden wir es meistern. Da bin ich mir sicher.“

Oscar hob langsam ihren Blick und sah ihn an.

„Und wohin wollen wir gehen?“

„Ich bin mir noch nicht ganz sicher. Das möchte ich mit dir entscheiden. Entweder in Richtung Süden oder nach England. Du hast doch vor ein paar Wochen erzählt, dass deine Schwester Marie-Anne nun dort lebt.“

„Ja, ihr Mann ist Diplomat. Vielleicht wäre es das Beste, wenn wir dorthin reisen.“

„Das glaube ich auch. Schreibe ihr und frag sie.“

„Gut, das werde ich tun.“

Sanft nahm André seine Oscar in den Arm. Diese schmiegte sich an ihn und schloss dabei ihre Augen. Beide wussten, dass diese Entscheidung ein schwerer Schritt für sie bedeutete.

„Was wird aus Sophie und meinen Eltern?“, sprach sie erst nach einer ganzen Weile.

„Ich werde Großmutter fragen. Und du vielleicht deine Mutter.“

Kurz seufzte Oscar und nickte dann.

„Ich möchte nicht, dass sie hier bleiben, wenn es wirklich schlimm wird.“

„Mir geht es nicht anders. Aber du weißt, dass wir sie nicht zwingen können.“

„Leider ja“, kam es mit einem abermaligen Seufzen Oscars.

Mit gemischten Gefühlen legten sie sich später ins Bett. Beide schliefen nicht sehr gut und am nächsten Tag machten sie sich auf den Weg zum Anwesen de Jarjayes. Oscars Vater, der General war nicht anwesend. So trennten sich im Gebäude Oscars und Andrés Weg. Er ging zu seiner Großmutter in die Küche, während Oscar zu ihrer Mutter in den Salon ging. Beide Frauen waren überrascht sie zu sehen.

„André? Was hast du? Du wirkst so nachdenklich?“, sprach Sophie, als sie ihm eine Tasse Tee reichte.

„Nun, das bin ich auch.“

Besorgt sah sie ihn an und ließ sich anschließend neben ihm nieder.

„Es geht um die zunehmenden Unruhen in Paris. Ich habe Angst das Oscar oder den Kindern etwas geschehen wird. Daher möchte ich mit ihnen fort gehen.“

„Ich verstehe. Aber ist es denn so schlimm?“

„Es ist ein Feuer, was in den Herzen der Menschen brennt. Und ich glaube, dass es zum Extremsten kommen kann.“

„Bist du deswegen hier?“

„Ja, aber keine Sorge, wir brechen heute noch nicht auf. Es müssen einige Vorbereitungen getroffen werden.“

„Aber wo wollt ihr hin?“

„Wir werden nach England zu Marie-Anne gehen. Oscar hat vorhin einen Boten geschickt. Aber weswegen ich hier bin… Oscar und ich sind uns einig. Ihr, wie auch ihre Eltern, sollt uns begleiten. Wir möchten Euch nicht hier wissen, wenn das Schlimmste geschieht.“

Gerührt und zugleich traurig sah Sophie ihren Enkel an.

„Ich verstehe, André. Aber ich glaube nicht, dass der General gehen wird und somit bleibt auch seine Gemahlin hier. Sie brauchen mich. Bitte verstehe dies.“

„Aber, Großmutter“, kam es leicht erschüttert.

„Nein, André. Ich habe mein Leben gelebt. Ich bin zu alt, um woanders neu zu beginnen.“

Sophie standen Tränen in den Augen. Sanft nahm sie seine Hände in die ihren und strich darüber.

„Sieh mich nicht so an. Mach dich um mich alte Frau keine Sorgen. Kümmere du dich um deine Familie.“

„Aber Ihr seid ein Teil dieser Familie.“

Nun konnte sie nicht anders und lächelte ihn an. Dabei strich sie ihm über die Wange.

„Ich bin immer stolz auf dich gewesen, André und deine Eltern wären es bestimmt ebenfalls. Aber ich werde hier bleiben. Und bis zu eurer Abreise, werde ich helfen, so gut ich kann.“

Niedergeschlagen senkte er seinen Kopf.

„Ich respektiere Euren Wunsch, Großmutter. Auch wenn mir dieser schwer fällt.“

Sophie nickte und gab ihm einen Kuss auf seine Stirn.

Oscar erging es kaum anders, als André. Auch Emilie konnte und wollte ihren Mann nicht zurücklassen. Es schien der jungen Frau das Herz zu zerreißen. Tapfer kämpfte sie gegen die Tränen an, auch als Emilie sie sanft in den Arm nahm.

„Aber wir werden uns schreiben?“

„Gewiss, mein Kind. Und ich werde mit deinem Vater reden, ob wir euch folgen werden.“

„Ich danke Euch, Maman.“

„Kein dank, Oscar.“

André, wie auch seine Gemahlin hatten ihr Bestes gegeben, aber die Entscheidung ihrer Verwandten war unumstößlich. Traurig machten sie sich auf den Heimweg.

Dort wurde es in den nächsten Tagen und Wochen unruhiger. Marie-Anne führte nun rege Korrespondenz mit Oscar. Bei ihr war soweit alles geklärt. Die kleine Familie konnte bei ihnen unterkommen. So begann das Packen. Alles konnten sie nicht mitnehmen, das war ihnen bewusst und so viel die Auswahl sehr schwer.

Andrés neuer Freund Alain, war ein paar Mal zu Besuch gewesen. Oscar Namen kannte er durch Erzählungen, aber sie war anders, als man sie ihm beschrieben hatte. Er wurde zu einem treuen Freund der Familie Grandier.
 

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Anmerkung: Der Auszug des Söldnerliedes habe ich aus der Serie entnommen. Alain trifft in meinem Kapitel eigentlich zu früh auf André und auch Oscar. Eigentlich wäre es erst im Jahre 1789 gewesen, jedoch weiß ich, dass es einige Alain Fans gibt und ich den Chara ebenfalls mag, habe ich ihn nun mit einfließen lassen. Zudem gab es die Garde Francaise ja wirklich.

Eine unsichere Zukunft

Die Zeit bis zur Abreise schien dahin zufliegen. Emilie und Sophie halfen dem Paar, so gut sie es konnten. Es kam immer wieder zu Unruhen und Oscars Sorgen stiegen. Hatte sie sich wirklich richtig entschieden?

Als das Jahr 1787 begann, setzte die Familie Grandier von Calais mit einem Schiff nach Dover über. Die Reise war für alle anstrengend. In England wurden sie bereits von Marie-Anne erwartet. Sie hatte eine extra Droschke für das Gepäck mitgebracht. Die Begrüßung verlief rasch. Schnell waren alle Sachen verstaut und sie machten sich auf den Weg nach London. Im Süden der englischen Hauptstadt besaß Marie-Annes Gatte ein stattliches Haus. Oscar hatte ihre schlafende Tochter auf dem Schoss, genau wie André seinen Sohn sicher festhielt. Ihr Blick war nach draußen gerichtet. Seit sie die englische Küste hatten sehen können, hatte es geregnet. Und dies hatte sich bis jetzt nicht verändert. Ein grauer Regenschleier hing über dem Land.

//Hier soll ich also leben?//, dachte Oscar sich, wobei sie innerlich seufzte.

André sah zu ihr und legte seine Hand sanft auf die ihre. Sein Blick, den er ihr schenkte war aufmunternd. Marie-Anne entging das ganze nicht.

„Ich sehe schon, dass England bis jetzt noch nicht den besten Eindruck auf euch gemacht hat. Aber keine Sorge. Das Land ist wirklich schön und es regnet immer soviel, wie alle erzählen. Glaube mir.“

Oscar hatte André angesehen, als jedoch ihre Schwester sprach, sah sie zu ihr.

„Ich hoffe es. Bloß, wenn ich ehrlich bin, vermisse ich Frankreich.“

„Das glaube ich dir, Oscar. Mir ging es am Anfang nicht anders. Aber du wirst dich eingewöhnen. Es ist nur schade, dass unsere Eltern nicht mitgekommen sind.“

„Sophie und Maman haben ihr bestes versucht. Aber du kennst den Starsinn unseres Vaters. Er hat nur gewettert und getobt, als sie ihm den Vorschlag unterbreitet haben“, kam es seufzend von Oscar.

Marie-Anne kicherte leicht.

„Ja, dass kann ich mir gut vorstellen. Du kannst aber genau wie er fluchen, wenn es sein muss.“

„Aber, Marie-Anne!“, kam es leicht entrüstet von Oscar.

„Schon gut. Ich will keinen Streit. Vielleicht überlegen sie es sich noch. Oder es wird wieder ruhig und ihr könnt zurück kehren.“

„Ich hoffe, dass das letztere eintreten wird.“

„Das glaube ich dir gern. Aber versuch etwas deine Zeit hier zu genießen.“

Oscar sah ihre Schwester schweigend an, doch dann nickte sie seufzend.

„Ich versuche es. Aber leicht wird es nicht werden, zumal wir der Sprache nicht so mächtig sind.“

„Mach dir da keine Sorgen, Oscar. Ihr werdet es rasch lernen und eure Kinder erst recht. Ich habe es bei den meinen gesehen.“

„Ja, vielleicht. Aber was gedenkst du, sollen wir hier tun?“

„Zuerst lebt ihr euch bei uns etwas ein. Wir haben genug Platz und wenn ihr euch sicherer fühlt, sehen wir uns für euch nach einer Wohnung um.“

„In Ordnung, aber was ist mit Arbeit, Marie-Anne?“, antwortete André.

„Wie ich euch in meinem letzten Brief mitteilte, habe ich vielleicht etwas in Aussicht für dich. Aber etwas wirst du dich gedulden müssen und solang kannst du ja bei uns im Haus helfen, wenn du magst.“

„Das wäre mir ganz Recht. Ich bin gewohnt mit anzufassen. Und Oscar geht es nicht anders.“

„Ich weiß, André. Aber es wird noch genug geschehen, dass ihr abgelenkt seid“, erwiderte Marie-Anne und zwinkerte ihnen zu.

Die Fahrt über die holprigen Straßen zog sich in die Länge und förderte nicht gerade den positiven Eindruck. Kurz vor London hörte der Regen auf und die Abendsonne schickte ihre letzten Strahlen auf die Erde. Jedoch bekam Oscar davon nichts mehr mit. Sie war durch das ganze Geschunkel eingeschlafen. Als sie das Haus Marie-Annes erreichten, kamen die Diener und öffneten die Türen. Auch ihr Gatte war bereits eingetroffen, der sie aus geschäftlichen Gründen nicht hatte begleiten können. Er half Marie-Anne aus der Kutsche und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Dann begrüßte er André und klopfte ihm freundlich auf die Schulter.

„Es freut mich, dass ihr Gast in meinem Haus seid.“

„Wir haben uns zu bedanken, dass ihr uns aufnehmt.“

„Das ist doch selbstverständlich. Wir sind doch eine Familie. Aber sag, wo ist Oscar?“

„Sie schläft. Wir sollten die Kinder hineinbringen, dann hole ich sie.“

„Wir nehmen die Kinder und du nimmst sich gleich mit hinein“, bot Marie-Anne ihm an.

André überlegte und nickte dann zustimmend. Seinen Sohn übergab er seinem Schwanger, dann löste er vorsichtig Camille aus Oscars Armen und reichte sie an einen der Diener, der herbei geeilt war. Anschließend hob André seine Geliebte auf seine starken Arme, ohne sie zu wecken. Vorsichtig trug er sie ins Haus und folgte Marie-Anne, die ihm den Weg wies. Das Zimmer, welches sie ihm zeigte, wer sehr groß. André bettete Oscar auf dem Bett. Nachdem Marie-Anne ihm mitgeteilt hatte, dass die Kinder im Nebenzimmer lägen und sie durch die Verbindungstür erreichbar seien, ließ sie die beiden alleine. André bedankte sich bei ihr und begann Oscar die Winterstiefel auszuziehen. Auch der dicke Mantel war nun nicht mehr von Nöten. Bei ihrer Abreise hatte es geschneit, aber hier in England hatte er nichts davon gesehen. Es war zwar kalt, aber nicht so sehr, wie er es von zu Hause aus kannte.

Sorgsam legte er Oscar sahen zur Seite und deckte sie zu. Er wusste, wie erschöpft sie war nach der langen Reise und ihm ging es kaum anders. Jedoch konnte und wollte er sich noch nicht schlafen legen. So schweifte sein Blick durch den Raum, was auch in ihm etwas Heimweh hervor rief. Es war alles so fremd für ihn. Aber er war sich sicher, dass dies die beste Entscheidung gewesen war, wenn sie alle in Sicherheit leben wollten.

Kurz sah er nach seinen Kindern, die friedlich in ihren neuen Betten schliefen. Dann verließ er die Räumlichkeiten und sah sich im Haus um.

In der oberen Etage, wo ihre Zimmer lagen, schienen auch die Schlafgemächer Marie-Annes und ihrer Familie sich zu befinden. So beschloss André erst einmal hinunter zugehen. In der Eingangshalle sah er sich um. Ein paar Bilder und Einrichtungsgegenstände waren aus Frankreich, dass konnte er deutlich erkennen.

Während er sich umsah, trat ein Dienstmädchen zu ihm und machte einen höflichen Knicks. Als sie ihm den Weg zum Salon zeigte, wo Marie-Anne und ihr Gemahl sich aufhielten, hörte er deutlich, dass die Sprache des Mädchens mit einem starken englischen Akzent durchwirkt war. Er bedankte sich bei ihr, nachdem sie ihn in den Raum geführt hatte.

„André? Bist du nicht müde, nach der langen Reise?“

„Ja, ein wenig. Jedoch wollte ich mich zuerst etwas umsehen.“

„Ich kann dich verstehen. Aber trink erst einmal mit uns einen Tee. Dann werde ich dir alles zeigen, wenn du möchtest“, bot Marie-Annes Ehemann Olivier an.

„Das wäre wirklich sehr nett“, erwiderte André und ließ sich auf dem ihm dargebotenen Stuhl nieder.

Während sie den Tee zu sich nahmen, erzählte André von den letzten Tagen in Frankreich und wie die Überfahrt verlaufen war. Marie-Anne und ihr Gemahl hörten aufmerksam zu.

„Durch meine Position erfahre ich immer wieder, wenn etwas in Frankreich geschieht. So kann ich dir und Oscar immer bescheid geben.“

„Das wäre sehr freundlich von dir. Vor allem für Oscar wäre dies sehr wichtig.“

„So war sie schon immer. Niemals hätte ich geglaubt, dass sie ihre Heimat verlassen würde.“, warf Marie-Anne ein.

„Ich habe es mir auch nicht träumen lassen. Aber mein Beweggrund waren und sind die Kinder. Genau wie Oscar, liebe ich Frankreich, aber meine Familie ist mir nun wichtiger, auch wenn es mir schwer fällt.“

„Du hast dich richtig entschieden, André. Und Frankreich ist auch nicht zu weit fort, dass ihr nicht relativ rasch dorthin gelangen könnt.“

Zustimmend nickte André und lehrte dabei seine Tasse. Olivier und Marie-Anne taten es ihm gleich, dann machten sie mit ihm eine kurze Hausführung, wobei sie merkten, dass Oscars Gemahl doch müder war, als er zugegeben hatte. So lieferten sie ihm an seinem Zimmer ab und wünschten ihm eine ruhige Nacht. André bedankte sich und trat ein. Kaum das sein Kopf die weichen Federkissen berührte, war er eingeschlafen.

Er und Oscar schliefen die Nacht durch. Am nächsten Morgen wurden sie von ihren Kindern geweckt, die scheinbar im Nachbarzimmer herumtobten. Im ersten Moment waren André und Oscar etwas desorientiert, bis ihnen wieder einfiel, wo sie sich befanden. So standen sie auf, kleideten sich rasch an und gingen zu ihren Kindern. Mit diesen gingen sie kurz darauf hinunter und trafen auf Oscars Schwester.

„Guten Morgen. Ich hoffe, ihr habt gut geschlafen“, begrüßte sie sie freundlich lächelnd.

„Ja, danke. Das haben wir. Aber sag, wie spät ist es eigentlich?“

„Bald 10 Uhr.“

„Was? So spät? Aber…“, kam es von Oscar mit großen Augen.

„Warum ich euch nicht geweckt habe? Ihr ward von der langen Reise viel zu erschöpft, daher wollte ich, dass ihr etwas ausschlafen könnt. Ich habe mit dem Frühstück auf euch gewartet. Olivier ist leider schon bereits außer Haus.“

„Ich verstehe und wo sind meine Nichten und Neffen?“, fragte Oscar nach.

„Sie werdet unterrichtet. Ich habe eine englische Gouvernante für sie. Ihr Mann ist Franzose und somit spricht sie auch sehr gut unsere Sprache. Ich denke, sie wird sich gut um Armand und Camille kümmern. Aber nun kommt. Ihr habt gewiss Hunger.“

Alle nickte und folgten dabei Oscars Schwester. Aufmerksam sah sich Oscar dabei um. Ihre Kinder liefen artig neben ihnen. Teils waren sie ebenfalls neugierig und sahen alles als großes Abenteuer, teils auch etwas ängstlich, sodass sie nicht von der Seite ihrer Eltern wichen.

Gemeinsam frühstückten sie erst einmal ausgiebig. Dann zeigte Marie-Anne allen in Ruhe das ganze Haus. Die Besichtigung endetet im Studierzimmer ihrer vier Kinder. Die Gouvernante, eine Frau Ende zwanzig, mit streng nach hinten gekämmte Haaren, begrüßte ihre Herrschaft höflich.

„Darf ich euch Mrs. Brightmore, meine Gouvernante.“, stellte Marie-Anne sie vor.

„Und die ist meine Schwester Oscar und ihr Gatte André Grandier. Und diese bezaubernden Wesen bei ihnen sind ihre Zwillinge Armand und Camille.“

„Es freut mich sehr, Eure Bekanntschaft zumachen, Monsieur und Madame Grandier“, begrüßte Mrs. Brightmore die beiden in fast akzentfreiem französisch.

Oscar und André erwiderten die Begrüßung und nickte ihr dabei zu. Marie-Anne sah zu ihren beiden Neffen und hielt ihnen ihre Hände hin.

„Kommt ihr beiden, ich möchte euch meine Kinder vorstellen. Ihr werdet mit ihnen spielen und mit ihnen lernen.“

Camille und Armand sahen fragend zu ihren Eltern, diese nickten ihnen aufmunternd zu, sodass die Zwillinge die Hände ihrer Tante ergriffen und sich von ihr zu den beiden Tischen führen ließen. Vor diesem ging Marie-Anne in die Hocke.

„Dies hier ist meine Tochter Caroline. Sie ist vor kurzem sieben Jahre alt. Neben ihr, dass ist mein Sohn Dion und er ist zehn Jahre alt. An dem anderen Tisch sitzt links Edmond, er ist elf Jahre und rechts ist Henri. Er ist mit vierzehn mein ältester Sohn.“

Lächelnd sah sie zu ihren Kindern, die die Neuankömmlinge neugierig betrachteten.

„Und dies sind Camille und Armand. Ich hoffe, ihr werdet euch gut mit ihnen verstehen.“

„Bestimmt, Maman“, erwiderten die vier im Chor.

Marie-Anne lächelte zufrieden und erhob sich. Dann sah sie zu ihrer Gouvernante.

„Mrs. Brightmore, ich überlasse unsere Schützlinge in ihre Hände. Kümmern sie sich um sie.“

„Das werde ich tun“, erwiderte diese und nickte.

Anschließend verließen Oscar, André und ihre Schwester das Zimmer.

„Sie werden sich bestimmt gut verstehen. Vor allem Caroline. Sie ist als Mädchen doch oft recht einsam.“

„Ich hoffe es, Marie-Anne“, erwiderte Oscar.

„Mach dir keine Sorgen. Mrs. Brightmore ist eine sehr gute Gouvernante. Aber was haltet ihr davon, wenn wir etwas ausfahren, damit ihr euch die Gegend ansehen könnt. Die Kinder sind hier bestens aufgehoben.“

Fragend sah Oscar André an. Dieser überlegte und nickte dann zustimmend.

„Das wäre eine gute Idee.“

„Einverstanden. Ich werde die Droschke einspannen lassen“, erwiderte Oscars Schwester und teilte kurz darauf einem Diener ihren Wunsch mit.

Während dann die Erwachsenen außer Haus waren, besahen sich die Kinder sich. An Unterricht war nicht mehr zudenken. Caroline freute sich wirklich, endlich eine Spielgefährtin zu haben. Sie rutschte auf ihrer Bank etwas zur Seite und klopfte neben sich.

„Komm, Camille. Setzt dich zu mir, ja?“, fragte sie freundlich lächelnd.

Das dunkelhaarige Mädchen sah kurz ihrem Bruder, der sich gerade zu den anderen Jungs gesellte, dann nickte sie und ließ sich auf dem ihr angebotenen Platz nieder.

„Und was macht ihr hier den ganzen Tag, Caroline?“

„Nun, Mrs. Brightmore unterrichtet uns in der englischen Sprache. Aber auch in der Etikette. Ich sag dir, dass ist tot langweilig.“

„Den ganzen Tag?“

„Nein, wir haben verschiedene Stunden und das meist nur vormittags. Wir dürfen auch malen und basteln. Mrs. Brightmore ist wirklich sehr nett. Und wenn wir alles zu ihrer Zufriedenheit erledigt haben, gehen wir mit ihr nach dem Mittagsschlaf in den Park. Da ist es sehr schön. Da kann man ganz toll spielen.“

„Wirklich? Das wäre toll. Aber was ist, wenn es regnet?“

„Dann bleiben wir hier. Wir haben ja alle unsere Zimmer, da können wir dann spielen. Ich hoffe, wir werden Freunde, ja?“

„Das hoffe ich auch. Ich kenn hier doch nur Maman, Papa und Armand“, gab Camille kleinlaut zu.

„Und nun kennst du mich", erwiderte Caroline lächelnd.

„Du glaubst gar nicht, wie nervig meine Brüder immer sein können. Sie ärgern mich immer.“

„So schlimm? Armand und ich streiten uns auch mal, aber sonst spielen wir immer zusammen.“

„Du hast es gut. Aber nun hat er meine Brüder und ich dich, ja?“

Camille nickte lächelnd. Sie mochte die kleine Caroline auf Anhieb.

Mrs. Brightmore ließ den Kindern Zeit sich besser kennen zulernen. So ließ sie den Unterricht ausfallen, was die Kinder erfreute. Caroline ging mit Camille in ihr Zimmer, während Armand mit den drei Jungs in Edmonds Zimmer verschwanden, um dort zu spielen.

Für die Kinder war der Start in dem fremdem Land und eine, wohlmöglich unsichere, Zukunft leicht gefallen, so wie Marie-Anne es sich gedacht hatte. Nur Oscar und André fiel es nicht so leicht.

Dies spürten sie auch deutlich noch in den nächsten Tagen und Wochen, in denen sie noch viel zu lernen hatten.

Die Ruhe ist vorbei

Oscar und André taten es sich schwerer, als die Kinder. Marie-Anne und auch Olivier halfen ihnen mit der neuen, fremden Sprache. Vor allem für Oscar schien sich die Zeit hinzuziehen. Oft lief sie ungeduldig in ihrem Zimmer auf und ab. In regelmäßigen Abständen erhielt sie Briefe von ihrer Mutter, die ihr von der aktuellen Lage berichtete. Oscar beantwortete fast immer sofort auf diese und schilderte Emilie dabei, wie es den Kindern ging und wie sie sich entwickelten. Genauso wie es André und ihr es ging. Ihre Mutter ahnte, wie es ihrem Kind gehen musste. So sprach sie ihr immer wieder in ihren Briefen gut zu. Meistens war es unterschwellig und Oscar spürte es dennoch deutlich. Auch wenn es nur einfache Briefe waren, glichen sie jedes Mal aufs Neue ein Stück Heimat.

Die Wochen und Monate zogen sich ins Land, in denen Oscar von dem Gesundheitszustand des Dauphins erfuhr. Im Laufe des Jahres waren die ersten Folgeerscheinungen seiner Erkrankung, die er mütterlicherseits vererbt bekommen hatte, aufgetreten. Seine Wirbelsäule verkrümmte und in seinen Gliedmaßen waren Wachstumsstörungen aufgetreten. Oscar traf diese Meldung sehr, sodass sie oft für den jungen Dauphin betete. Er war immer ein so lebensfrohes Kind gewesen und warum wurde er nun mit so einer schlimmen Krankheit bestraft? Dass der Dauphin auf seinem Krankenbett immer wieder nach seinem Vater verlangte und später sogar seine eigene Mutter und die Gouvernante Madame de Polignac des Zimmers verwies, erfuhr Oscar nicht. Genauso wenig erhielt sie Kunde darüber, dass der Dauphin sich, mit fortschreitender Krankheit, gebeugt durch die Gänge Versailles quälte.

Oscar selber machte sich Gedanken um die eigene Zukunft. Nach über einem halben Jahr war sie, ebenso wie André, soweit der englischen Sprache mächtig, dass sie auch ohne Marie-Anne oder ihrem Gemahl, sich in London frei bewegen konnten. Beide machten sich auf die Suche nach Arbeit, welches sich als schwieriges Unterfangen herausstellte. Beide waren Ausländer was ein Problem für viele war. André schaffte es dennoch, nach ein paar erfolglosen Anlaufversuchen, auf einem Bau Arbeit zu finden. Er war sich für keine Arbeit zu schade und ihm machte dies nichts aus. Für Oscar wurde es dafür umso schwerer. Ihr wurde bewusst, was ihre eigene Ausbildung ihr nun brachte. Nichts. In England war es nicht möglich als Frau Männerarbeit zumachen. Sie hatte zwar immer noch ihre schlanke Statur, jedoch waren ihre Züge, seid sie ihre Kinder hatte, weiblicher geworden und dies konnte sie nicht vollkommen verbergen. Auch zur englischen Armee konnte sie nicht gehen, aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit, zudem konnte sie es auch wegen der Kinder nicht. Daher blieben ihr nichts anderes übrig, als lange Spaziergänge zu machen, bei denen sie nachdenken konnte. Die Folge davon war, dass sie viele Stadteile kennenlernte und sie sich somit immer besser in London auskannte. Deutlich prägten die Spuren der ersten industriellen Revolution das Stadtbild. Und eher durch Zufall, fand Oscar auf einmal eine Arbeit. Sie bekam eine Anstellung in einem kleinen Laden, der verschiedene Stoffe verkaufte. Es war eine Umstellung für Oscar, jedoch gewöhnte sie sich mit der Zeit daran. So konnte sie ebenfalls etwas Geld sparen und mit ihrem Ersparten, wie auch mit dem von André, konnte sie sich bald eine Wohnung in der Nähe von ihrer Schwester im West End Viertel mieten. Sie war bescheiden eingerichtet, aber hier waren sie unabhängig. Morgens brachten die beiden ihre Kinder zu Marie-Anne, damit sie bei der Gouvernante unterrichtet wurden, dann gingen sie ihrer Arbeit nach. Durch diese, bekamen alle einen normalen Tagesrhythmus. Es unterdrückte etwas das Heimweh. Aber vergessen taten sie Frankreich niemals, genauso wenig wie ihre Muttersprache. So sprachen sie auch mit ihren Kindern französisch. Auch wenn sie nun in England lebten, waren sie dennoch stolz auf ihre eigene Nationalität.

Die Hoffnung, dass sich in Frankreich etwas verändern würde, war tief in ihnen verankert. Aber leider war dies nicht der Fall. Oscar sprach oft mit Marie-Anne darüber, vor allem über die Dinge, die sie selber erlebt hatte. Ihre Schwester konnte darüber nur den Kopf schütteln. Sie verstand das Verhalten der Königin ebenfalls nicht verstehen.

„Ich kann Andrés Entscheidung immer mehr verstehen, genauso wie die deine, Oscar“, sprach sie darauf.

„Es ist nicht leicht, aber unsere Familie geht vor. Auch wenn mein Herz sich dennoch nach Frankreich sehnt“, erwiderte ihre Schwester.

„Ich glaube dir. Auch wenn ich hier in England mittlerweile sehr gern lebe, vermisse ich meine alte Heimat ebenfalls. Vielleicht können wir eines Tages wieder dorthin zurückkehren.“

„Das hoffe ich auch, Marie-Anne. Sehr sogar.“

Diese nickte und schweigend tranken sie ihren fünf Uhr Tee.

Weitere Zeit verstrich und Oscar fühlte sich nicht mehr ganz so fremd. Durch ihre Arbeit, aber auch durch ihre Schwester hatte sie eine ganze Reihe Menschen kennen gelernt, die sie nett aufnahmen, sodass sie sich nicht mehr fremd vorkam. Daher wurde auch ihr Verhalten wieder sicherer und sie war somit fast wieder die Alte.

Doch dann begann das Jahr des Schicksals, 1789.

Am 5. Mai reten die französischen Generalstände erstmals seit 1614 in Versailles zusammen. Zudem wurde der Gesundheitszustand des Dauphins immer schlechter. Es ging soweit, dass bei ihm auf einmal die ersten Anzeichen einer Tuberkulose zeigten. An dieser verstarb er dann am 3. Juni. Oscar erfuhr von diesem traurigen und tragischen Unglück, erst Tage später. Olivier, Marie-Annes Gemahl, hatte dies beim abendlichen Besuch Oscars und Andrés ihnen erzählt. Alle waren geschockt und zutiefst bestützt. Den Damen standen Tränen in den Augen. Oscar versuchte tapfer dagegen anzukämpfen, aber leicht viel es ihr nicht.

Kurz darauf kam es am 20. Juni zum Ballhaus-Schwur des dritten Standes.

Als Oscar und die anderen diese Meldungen erhalten hatten, befand Paris sich in größtem Aufruhr. Es war der Vorabend vor der Erstürmung der Bastille. Davon ahnte Oscar nichts.

Als der Sturm am nächsten Tag begann, war Oscar auf ihrer Arbeit. Es war gerade ruhig und sie konnte durch das Schaufenster hinaus auf den wenig bevölkerten Vorplatz schauen, von wo sich auf einmal ein Schwarm Tauben erhoben, ohne das man diese aufgescheucht hatte. Der Erstürmung hatte begonnen.

Abermals verstrichen Tage, bevor Oscar ein Schreiben von ihrer Mutter erhielt. Er traf zeitgleich mit der Meldung über die Erstürmung der Bastille ein. Von dieser hatte ihre Mutter nicht berichtet, da der Brief vor dem 14. Juli abgeschickt worden war. Sofort machte sich Sorgen und Angst um ihre Eltern und auch um Sophie in Oscar breit. Und so ergingen es auch André und der Rest der Familie. Ohne weiter nachzudenken, setzte Oscar einen Brief an ihre Mutter auf. Mit einem Eilboten übersandt sie diesen und begann auf eine Antwort zu warten. Tage verstrichen und es kam keine Rückmeldung Emilies. Die Sorge stieg langsam ins unermessliche. Am liebsten wäre Oscar sofort nach Frankreich aufgebrochen, aber André hielt sie zurück.

„Bitte, André. Vielleicht ist ihnen etwas geschehen!“, zeterte Oscar.

„Es ist viel in Paris geschehen. Dort ist es zu gefährlich. Ich nehme an, dass Boten nun länger benötigen, um etwas zu zustellen“, versuchte er sie zu beruhigen.

„Glaubst du wirklich, dass es so ist? Aber wenn nicht? Wenn meinen Eltern oder Sophie etwas geschehen ist… Ich mag gar nicht darüber nachdenken.“

„Meinst du, mir fällt es leicht? Ich habe auch Angst um sie“, wies er sie zurecht.

Auch sein Nervenkostüm war angekratzt. Aber Oscar war zu aufgewühlt, als dass sie dies bemerkte.

„Es scheint doch der Fall zu sein, André, dass du nicht so denkst wie ich. Sonst würdest du hier nicht so ruhig sitzen, sondern wir wären direkt auf dem Rückweg!“, fuhr sie ihn an.

„Wie bitte? Was denkst du von mir?“, kam es entsetzt von ihm.

Damit hatte er nicht gerechnet und ihre Anschuldigung traf ihn.

„Meinst du, dass deine Eltern und meine Großmutter mir vollkommen gleichgültig sind? Denkst du etwa, dass ich herzlos bin? Ich dachte, du kennst mich.“

Mit diesen Worten stand er auf und verließ das Zimmer. Damit hatte Oscar nicht gerechnet. Mit geweiteten Augen und offenstehendem Mund, sah sie ihm hinterher und hörte kurz darauf, wie die Wohnungstür hart ins Schloss fiel. Oscar war nicht fähig, in diesem Moment, nur ein Wort zu sagen oder sich gar zu bewegen. Sie war geschockt.

Erst nach einigen Momenten fand sie ihre Sprache wieder.

„André…“, kam es flüsternd von ihr.

Langsam sank sie auf einen nahen Sessel und stützte ihren Kopf auf ihre Hände.

//Was habe ich nur getan? Es tut mir leid, ich wollte dich nicht verletzten…//

Tapfer kämpfte sie gegen ihre aufsteifenden Tränen an. Wieder und wieder schüttelte sie ihren Kopf. Dann erhob sie sich rasch, wobei der Sessel leicht wackelte. Sie musste etwas unternehmen. Noch waren ihre Kinder bei Mrs. Brightmore, so konnte Oscar sofort aufbrechen. Sie wusste nicht, wo sie André in dieser großen Stadt finden sollte, aber dennoch musste sie ihn finden. Oscar trat aus dem Haus. Ihr Blick wanderte zuerst nach links und dann nach rechts, jedoch konnte sie André nicht ausmachen. Kurz verließ ein Seufzen ihre Lippen. Auf ihr Herz bauend, folgte sie dem rechten Weg. Dieser führte am Rande West Ends entlang und endete an der Themse. Hier war sie öfter mit André spazieren gewesen. Auch wenn dieser Fluss nicht mit der Seine zu vergleichen war, wie Oscar fand, ging sie gerne an diesem entlang. Innerlich hoffte sie André dort vorzufinden.

Als sie die Themse erreichte, folgte sie dem Fluss in Richtung der Westminster Bridge, jedoch ohne ihren Geliebten zu finden. Ihre Sorge um ihre Eltern wurde nun um die Andrés überschattet.

//Wo kann er nur sein?//

In Gedanken lief sie weiter und sah sich dabei um. Zweimal glaubte sie ihn dann zu sehen, doch jedes Mal stellte es sich als Irrtum heraus. Es waren andere Männer, nur nicht ihr André.

Bald war sie soweit gelaufen, dass sie an einem Teil der Themse sich wiederfand, wo sie zuvor noch nie gewesen war. Hier befanden sich nur wenige Menschen. Oscar fühlte sich hier nicht wohl, sodass sie beschloss kehrt zu machen. Ihr Weg führte sie zurück zur Westminster Bridge. Über diese ging sie, ohne vorbeifahrenden kleinen Schiffen nur eines Blickes zu würdigen. Oscar sah nur geradeaus, ohne auf etwas zu achten. So geschah es, dass sie einer Person zusammenstieß. Die junge Frau konnte sich gerade noch auf ihren Beinen halten. Als sie aufsah und somit dem Fremden direkt ins Gesicht blickte, schlug ihr eine starke Alkohohlfahne entgegen. Angewidert rümpfte sie automatisch ihre Nase, murmelte rasch eine Entschuldigung und trat an ihm vorbei. Kaum hatte sie seine Schulter passiert, spürte sie auf einmal wie man sie packte und herum drehte.

„Schönes Kind…“, nuschelte der Fremde zu ihr, wobei Oscar mühe hatte ihn zu verstehen.

„Lasst mich bitte los!“, forderte sie ihn ruhig aber bestimmt auf.

„So schön und dennoch kratzbürstig“, war die Antwort.

„Ich möchte Euch nicht noch einmal darum bitten!“

„Ach was, zier dich nicht so. Sei etwas lieb zu mir altem Mann.“

Oscar wurde wütend, zugleich war ihr von dem Alkoholgeruch übel. Hart fasste sie nach seinen Handgelenken, um diese von ihrem Körper zu lösen.

„Dies werde ich ganz gewiss nicht! Niemals!“

„Na, du hast mich gerade über den Haufen gelaufen. Also kann ich etwas Zuneigung von dir erwarten. Du hättest mich ernsthaft verletzen können.“

„Dafür habe ich mich entschuldigt. Aber nun lasst mich nun los!“

Da aber der Fremde nicht auf ihre Worte einging, versuchte Oscar sich abermals von ihm lösen. Sie schallt sich in Gedanken, dass sie ihren Degen nicht mitgenommen hatte. Oscar war einfach zu durcheinander gewesen, um daran zu denken.

Deutlich spürte sie, wie der Griff es Mannes immer fester wurde. In ihr begann Panik aufzusteigen, aber gegen diese kämpfte sie tapfer an.

//Reiß dich zusammen, Oscar. Du warst Kommandantin des königlichen Garderegimentes und hast dich niemals unterkriegen lassen! Also zeige nun, was du kannst!//

Sie war lange nicht mehr im Training, was Oscar nun deutlich zu spüren bekam. Die Bewegungsabläufe saßen, jedoch die Kraft und den Schwung hatte sie nicht mehr. Dennoch versuchte sie den Fremden immer wieder abzuwimmeln. Ab und zu gelang ihr ein sicherer Schlag, jedoch schien der Mann ziemliche Kräfte zu haben, auch wenn er hin und wieder leicht wankte. Als er Oscar versuchte an sich zu drücken, befand sie sich in so einer günstigen Lage, dass sie ihr Knie kräftig anzog und der Fremde sie, mit schmerzverzerrtem Gesichtsausdruck, von ihr abließ und zu Boden ging. Oscars Atmung ging schwer. Ohne den Blick von ihm zu lösen, trat sie einige Schritte zurück. Dabei lief sie abermals gegen eine Gestalt. Sofort fuhr Oscar herum.

„Oscar?“

„André? ...“, flüsterte sie, kaum glaubend, dass er es wirklich war.

„Ja, ich bin es. Aber was machst du hier?“

„Ich habe dich gesucht. Ich… ich wollte mich entschuldigen“, brachte sie hervor, während André sie sanft an sich drückte.

So sah und hörte er den Fremden fluchen, der sich langsam am Sicherheitsgeländer hochzog. Es waren englische Schimpfwörter, die beide kaum verstanden, jedoch ahnte André, dass sie Oscar galten.

„Lass uns nach Hause. Dann erzählst du mir, was geschehen ist.“

So ließ er kurz von ihr ab, legte anschließend seinen Arm um ihre Schultern und ging mit ihr in Richtung ihrer Wohnung. Zum Glück folgte ihnen der Betrunkene nicht.

Auf dem Weg berichtete Oscar André was vorgefallen war.

„Tut mir leid, ich hätte nicht einfach verschwinden dürfen.“

„Nein, Liebster. Ich hätte nachdenken und dich nicht beschuldigen dürfen, für Dinge, für die du nichts kannst“, erwiderte Oscar mit gesenktem Blick.

Sanft drückte André sie an sich.

„Wir haben beide Fehler gemacht. Und ich gebe ehrlich zu, dass deine Worte mich sehr getroffen haben, aber dennoch hätte ich nicht so heftig reagieren dürfen.“

Oscar lauschte seinen Worten und sah dann zu ihm hoch.

„Was wäre nur, wenn ich dich nicht hätte, André?“

„Ich weiß es nicht. Aber wir sollten glücklich sein, dass wir uns haben.“

Er blieb an einer Straßenecke stehen, drehte Oscar gänzlich zu sich und küsste sie anschließend zärtlich. Diesen Kuss erwiderte seine Gemahlin nur zu gern.

„Lass uns noch einige Tage abwarten, ob wir von deiner Mutter Antwort erhalten. Wenn dann nichts geschieht, werde ich nach Paris zurückreisen.“

„Wir werden dann zusammen zurückreisen“, korrigierte Oscar ihn.

Jedoch schüttelte André seinen Kopf.

„Ich möchte mich nicht mit dir streiten, Liebste. Aber ich möchte dich und die Kinder hier in Sicherheit wissen. Wenn uns beiden etwas geschehen würde, wäre Armand und Camille ihre Eltern verloren. Möchtest du dies?“

Betroffen senkte sie abermals ihren Kopf.

„Nein, sie sollen nicht ohne uns aufwachsen. Aber meinst du, dass ich dich einfach ziehen lassen könnte, mit der Gewissheit, dass du vielleicht niemals wiederkehrst?“

Sanft gab André ihr einen Kuss auf ihr Haupt.

„Ich weiß, Liebste. Aber lass uns erst einmal hoffen und beten, dass wir eine Meldung erhalten. Dann sehen wir weiter.“

Oscar nickte auf seine Worte. Dann holten sie ihre Kinder ab und gingen mit diesen nach Hause.
 

~.~.~.~.~.~.~
 

Anmerkung: West End war zu der Zeit ein aufstrebendes Viertel, wo viele Adelige lebten. Da Oscars Schwester und deren Mann zur oberen Schicht gehören, war es für sie selbstverständlich dort zu leben. Für Oscar und André sollte die Nähe zur Familie irgendwo wichtig, sodass sie in diesem Stadtviertel sich eine Wohnung suchten.

Ich habe mich noch zu bedanken für den Kommi von BaalHammon. Er hat mich auf einen Fehler hingewiesen. Ich hatte falsche Informationen, was die Tower Bridge betraf. Sie gab es noch gar nicht, somit habe ich es in die Westminster Bridge geändert, die es seit 1750 gibt.

Durcheinander der Gefühle

Oscar konnte nicht aus ihrer Haut. Die Sorge in ihr stieg von Tag zu Tag und der Wunsch zurückzukehren, wuchs stetig. Es fiel ihr somit schwer, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Immer wieder holte ihr Chef, Mr. Darwin, sie in die Realität zurück. Normalerweise hätte er sie längst entlassen, aber Oscar hatte ein Geschick dafür entwickelt, die Stoffe gut an die verschiedenen Kunden zu verkaufen und sie auch zu beraten. Daher wäre es unklug gewesen, wenn Mr. Darwin sie hätte ziehen lassen. So rügte er sie nur, wenn sie scheinbar am Träumen war. Oscar wusste, wie wichtig ihre Arbeit und vor allem das Geld für ihre Familie war, daher riss sie sich zusammen. Auch wenn es dann auf ihrer Arbeit wieder besser wurde, war der Zustand zu Hause dennoch angespannt. Es war immer noch keine Nachricht eingetroffen.

Seit dem Streit war beinah die Woche, die sie sich gesetzt hatten, verstrichen. Oscar wurde zunehmend nervöser, nur André strahlte weiterhin die Ruhe selbst aus und dies konnte seine Angetraute einfach nicht verstehen. Genau wie an diesem Abend, als er im Salon saß und eine Tasse Tee trank.

„Morgen ist es soweit“, unterbrach Oscar die anhaltende Stille.

„Hm?“, kam es nur von André.

„Die Woche ist morgen vorbei. Hast du dies vergessen?“

„Das meinst du. Natürlich habe ich es nicht vergessen“, erwiderte er ruhig.

„Und wie kannst du dann hier so herumsitzen?“

„Was sollte ich denn deiner Meinung nach tun?“, sprach er und sah von seiner Tasse auf.

„Irgendetwas. Egal was. Nur du machst einen wahnsinnig mit deiner Ruhe.“

Oscar raufte sich ihre blonden Locken und André erhob sich, wobei er zuvor seine Tasse abstellte. Dann trat er auf sie zu.

„Ich weiß, dass du nervös bist, aber verhältst du auch besonnener. Mir ist bewusst, wie sehr dich das ganze mitnimmt, aber Nervosität ist das falsche Mittel dagegen.“

„Ach, André. Ich weiß es, aber ich kann nicht anders. Es kommt mir vor, als würde mich die Hilflosigkeit bald zerdrücken. Du kennst mich und weißt, dass ich nicht einfach so tatenlos herumsitzen kann“, erwiderte sie seufzend.

Sanft schloss André sie fest in seine Arme, wobei sie ihren Kopf gegen seine Schulter lehnte. Zärtlich strich er mit seiner Hand über ihren Rücken.

„Ja, ich weiß, Oscar. Es ist im Moment nicht leicht. Aber ich habe vorhin mit Olivier gesprochen. Er hat neue Meldungen aus Paris.“

Sofort sah Oscar zu ihm hoch und versuchte in seinen Augen zu lesen.

„Und was hat er gesagt? Bitte, sag es mir doch.“

„Die Bastille ist vollständig zerstört. Die Unruhen nehmen zu. Aber es hat noch keine weiteren Überfälle oder ähnliches gegeben.“

„Hat er etwas über meine Eltern gehört? Oder Sophie?“

„Leider nein. Aber er versucht über seine Kontakte mehr in Erfahrung zu bringen.“

„Ihnen ist doch hoffentlich nichts geschehen…“

„Das hoffe ich doch auch. Ich…“

Oscar wurde von einem Klopfen an der Haustür unterbrochen.

„Ich mache auf. Warte bitte kurz“, sprach André und verschwand dann aus dem Salon.

Seine Gemahlin sah ihm kurz hinterher, dann ließ sie sich vorerst auf einem der Sessel nieder. Dort fand sie André ein paar Minuten später wieder. Er hatte einen Umschlag bei sich, den er ihr reichte.

„Es war ein Bote. Hier bitte.“

Sofort nahm Oscar ihn entgegen, öffnete ihn unwirsch und entfaltete den Inhalt. Ihre Augen rasten scheinbar über die Zeilen, wobei André sie beobachtete. Es schienen Minuten zu vergehen, bis Oscar etwas sagte.

„Es ist ein Brief von meiner Mutter.“

„Und was schreibt sie? Bitte, lies es vor.“

Oscar nickte und begann zu lesen.
 

„Meine liebe Oscar,
 

ich hoffe, dass es dir und deiner Familie in England gut geht. Da ich nicht weiß, wie viel ihr bereits wisst, was hier vorgefallen ist, fasse ich es kurz zusammen. Die Bastille ist gefallen. Paris ist zu einem Unruheherd geworden. Niemand betritt noch freiwillig die Hauptstadt. Zum Glück haben wir genug Vorräte. Sophie ist ziemlich aufgeregt, aber es geht ihr soweit gut. Sie bestellt euch ihre Grüße. Uns ist nichts geschehen. Wir sind vorsichtig und verlassen kaum noch das Haus. Dein Vater ist kaum noch zu Hause. Beim Ausbruch der Unruhen hat man ihn nach Versailles berufen. Von ihm habe ich seit Tagen nichts mehr gehört. Ich hoffe, dass es ihm gut geht.

Wie es sich hier weiter entwickeln wird, weiß ich leider nicht. Aber mache dir keine Sorgen, uns geht es gut.

Grüße bitte Marie-Anne, ihren Gemahl und die Kinder von uns.
 

In Liebe deine Mutter
 

Oscar ließ den Brief sinken und seufzte.

„Das war nicht gerade das, was ich erhofft habe zu hören.“

„Ich weiß, Liebste. Aber versuche es so zusehen: Ihnen ist nichts passiert. Es geht ihnen gut. Ist das nicht das wichtigste?“, sprach er sanft zu ihr.

„Ja, schon. Aber dennoch bleiben meine Sorgen. Ich kann sie nicht einfach abstellen.“

„Glaube mir, ich kann dich verstehen. Aber was willst du unternehmen?“

„Sie zu uns holen. Hier sind sie in Sicherheit.“

„Aber, Oscar. Du weißt, wie sie sich entschieden haben“, versuchte er sie zu beruhigen.

„Das weiß ich, aber meinst du, dass ich dies einfach so akzeptieren kann?“

„Dies erwartet niemand von dir, Oscar. Jedoch sind deine Eltern erwachsen, sie wissen was sie tun. Wir können dagegen nichts tun.“

André hatte sie in seinen Arm genommen, doch nun löste Oscar sich ruppig daraus und erhob sich.

„Ja, sie sind Erwachsen, aber sind sie so blind?“, fuhr sie ihn an.

„Du kennst deine Eltern und vor allem deinen Vater. Er ist der Krone treu und das bis zum Ende. Zudem weißt du, wie er sich aufgeregt hat, als er erfuhr, dass wir hier hingehen.“

Oscar raufte sich ihre Haare, sodass sie wild von ihrem Kopf abstanden.

„Ich weiß, wie er ist. Aber man muss ihn doch überzeugen können.“

„Das stellst du dir viel zu einfach vor, Oscar. In dem Punkt seid ihr beide äußerst stur.“

„Stur? Er vielleicht, aber ich bin es gewiss nicht!“

„Und warum solltest du es nicht sein?“

„Weil…“

Oscar stoppte und sah ihn mit böse funkelnden, jedoch auch feucht schimmernden, Augen an.

„Ach… du verstehst das nicht.“

Sie drehte ihm den Rücken zu und verschränkte ihre Arme dabei vor ihrer Brust. André seufzte innerlich und erhob sich. Langsam trat er zu ihr und legte dabei seine Hände auf ihre schmalen Schultern. Jedoch entwand Oscar sich diesen.

„Lass mich bitte!“, kam es bestimmt.

André erfüllte ihr den Wunsch, blieb aber dennoch bei ihr stehen. Ihm waren die Tränen in ihrer Stimme nicht entgangen. Ihm ging es nicht anders als ihr, auch er machte sich Sorgen. Er fragte sich nur, warum sie dies bei ihm nicht zu sehen schien. Jedoch kreisten seine Gedanken auch um seine eigene Familie und vor allem um Oscar.

„Ich lasse dich in Frieden. Aber vergiss bitte niemals, dass du nicht alleine bist und dass es Menschen gibt, die dich lieben und dich brauchen“, sprach er und trat damit an ihr vorbei.

„Ich werde mich nun zur Ruhe begeben. Gute Nacht.“

Kaum hatte er das gesagt, hatte er das Zimmer verlassen, ohne sie dabei noch einmal anzusehen. Für einen Moment war Oscar geschockt, doch dann schürzte sie erbost ihre Lippen. Sie hatte das Gefühl, dass André sie nicht verstand. Wütend tigerte sie in dem Zimmer auf und ab. Aber wirklich beruhigen, tat sich Oscar nicht. Daher öffnete sie eine Flasche Rotwein. Sie füllte ein Glas nach dem anderen mit dem rötlichen Getränk und leerte es jedes Mal mit wenigen Schlucken. Ihre Wut stieg mit dem ansteigenden Alkoholpegel. Als die Flasche geleert war, verließ sie das Zimmer. In einem Abstellraum, stand eine große Reisetruhe. In dieser befand sich ein Teil ihrer alten Kleidung. Seid sie in London war, hatte sie kaum noch ihre Hosen getragen, auch wenn ihr dies zu Beginn nicht leicht gefallen war. Rasch griff sie nach ihren Sachen und zog sich diese an. Anschließend holte sie ihren Degen und ihren Mantel. Kaum das sie fertig war, führte ihr Weg sie zur Haustür. Dort jedoch wurde sie von André aufgehalten. Er hatte nicht geschlafen und hatte alles gehört.

„Oscar!“

Mit funkelnden Augen sah sie zu ihm.

„Du spionierst mir nach?“

„Nein, aber du warst nicht wirklich leise“, kommentierte er ruhig.

„Dann zieh dich zurück. Ich habe noch etwas zu erledigen.“

„Das sehe ich, daher trägst du auch deine alten Sachen und deine Waffe wieder.“

„Und?“, keifte Oscar ihn beinah an.

„Ich kenne dich, Oscar. Du scheinst eine Entscheidung getroffen zu haben und glaube mir, ich werde dich nicht aufhalten. Du willst zurück nach Paris und alles auf deine Weise regeln. Aber eins sei dir gesagt, du verhältst dich egoistisch und dumm.“

Mit diesen Worten machte er auf dem Absatz kehrt. Oscars Wut stieg ins unermessliche.

„Egoistisch und dumm? Weil ich den Menschen helfen will, die ich liebe? Aber gut zu wissen, wie du von mir denkst!“, schrie sie ihn fast an.

André stoppte seinen Gang nicht, als er ihre Worte vernahm.

„Ja, das bist du. Egoistisch, weil du nur an dich und nicht an deine eigene Familie denkst. Dumm, weil du blindlings davon stürmst, ohne einmal wirklich nachzudenken. Dein Verstand scheint vom Alkohol vollkommen vernebelt zu sein.“

Oscars Hände ballten sich zu Fäusten.

„Wie bitte? Wie kannst du es wagen?“, knurrte sie böse.

„Wie? Willst du dies wirklich wissen? Ich dachte, dass du die Antwort weißt!“, erwiderte er mehr als eindeutig.

„Aber ich kann gern dein Gedächtnis auffrischen. Weil ich dich liebe. Aber scheinbar ist dir dies vollkommen egal geworden zu sein!“

Als sie seine Worte vernahm, bis sie sich auf die Unterlippe, was jegliche Farbe aus diesen weichen ließ. Ihre Fäuste begannen zu zittern.

„Das nennst du Liebe? Du stellst dich gegen meine Entscheidung!“

„Hast du dich mal gefragt, warum ich mich so verhalte? Meinst du, ich empfinde Dinge anders? Ganz bestimmt nicht. Auch ich mache mir große Sorgen, aber nicht nur die zurück gebliebenen, sondern auch um eine Familie und zu dieser zählst auch du. Jedoch scheint es dir egal zu sein. Genauso wie deine eigenen Kinder!“

„Halte Armand und Camille daraus!“, fauchte sie ihn an.

„Maman?“, kam es leise von der Seite.

Dort lagen die Zimmer der Zwillinge und da Oscar nicht gerade leise gesprochen hatte, waren sie von dem Streit erwacht. Camille hatte Tränen in den Augen und drückte dabei ihre Lieblingsdecke an sich. Armand war zu seinem Vater gelaufen und klammerte sich an dessen Bein. Von dort aus, sah er zu seiner Mutter.

„Hast du uns nicht mehr lieb, Maman?“, sprach ihre Tochter schniefend weiter.

„Waren wir böse? Haben wir etwas angestellt?“

Oscar zornige Miene veränderte sich. Das hatte sie nicht gewollt. Sofort ging sie auf die Knie.

„Aber nein, Prinzessin. Du und dein Bruder haben doch nichts angestellt. Aber geht bitte wieder schlafen.“

„Was ist den dann? Du trägst eine Waffe und Papa und du habt euch so laut gestritten…“, mischte sich nun Armand mit ein.

André hielt es für besser zu schweigen. Er war der Ansicht, dass Oscar es den Kindern erklären sollte.

„Aber es hat nichts mit euch zu tun.“

„Wir haben unsere Namen gehört.“

„Ja, Camille, dass stimmt. Jedoch ging es dennoch nicht um dich und deinen Bruder.“

„Wo willst du so spät in der Nacht hin?“, hakte das kleine Mädchen nach.

„Verlässt du uns?“, setzte ihr Bruder hinterher.

Sofort weiteten sich ihre Augen, erst recht, als sie ihre Tochter schluchzen hörte.

„Du hast uns doch nicht mehr lieb“, sprach sie und verschwand in ihr Zimmer, wobei sie die Tür laut ins Schloss warf.

„Das ist doch nicht wahr. Ich belüge euch doch nicht“, versuchte sie leicht verzweifelt zu erklären.

„Dann sag uns was passiert ist und wo du hin willst, Maman.“

„Das… das kann ich nicht sagen. Aber ich verspreche dir, dass ich wiederkomme.“

Nun standen auch Armand die Tränen in den Augen. Zeitgleich donnerte es draußen laut. Ein Gewitter war aufgezogen. Die Blitze ließen alles für Momente taghell erscheinen.

„Nimm uns doch mit, Maman.“, bettelte er, wobei die ersten Tränen über seine Wangen liefen.

„Es tut mir leid, dass kann ich nicht, Armand.“

Deutlich konnte sie sehen, wie die Unterlippe ihres Sohnes zu zittern begann. Genauso wie er dann in sein Zimmer stürmte.

„Ich hasse dich!“, rief er und warf, wie zuvor seine Schwester, seine Zimmertür hart zu.

André hatte das Ganze scheinbar ruhig betrachtet.

„Du hast es wirklich geschafft, Oscar. Ich hoffe, dass du stolz darauf bist. Vielleicht verstehen die beiden dich irgendwann, aber im Moment kannst du es von ihnen nicht erwarten!“

Er drehte sich von ihr fort, sodass sie seine Augen nicht sehen konnten, in denen sich ebenfalls Tränen angesammelt hatten. So konnte er deutlich ihren Blick im Rücken spüren. André zwang sich dazu weiter zugehen, auch wenn er sie lieber in den Arm geschlossen hätte, um zu verhindern, dass sie verschwand.

Oscar starrte ihn einfach nur an, nicht fähig noch etwas zu sagen. Sie machte kehrt und verließ die Wohnung und das Haus. Daher konnte sie nicht sehen, wie heiße Tränen über Andrés Wangen liefen. Wahrscheinlich wäre ihr Herz dadurch nur noch schwerer geworden. Tief in sich hatte Oscar sich gewünscht, dass er sie aufgehalten hätte. Aber nun saß sie in einer Droschke in Richtung Dover, dabei kreisten ihre Gedanken um seine Worte und um die ihrer Kinder. Oscars behandschuhte Finger zitterten immer stärker.

Ihre Fahrt war holprig, zudem kam, dass der Kutscher Probleme mit seinen Pferden hatte, die immer wieder vor dem Donner und den Blitzen scheuten.

Oscar schob den Vorgang des Fensters etwas zur Seite und sah hinaus. Durch die Blitze konnte sie noch die groben Umrisse Londons erkennen und die unzähligen Lichter. Oscar wagte es nicht blinzeln, was ihre Augen mit einem leichten tränen quittierten. Ihr Herz brannte mit jeder Meile, die sie zwischen André, den Kinder und sie brachte, immer mehr. An der Weggabelung, wo die Straße nach Dover abzweigte, wies sie den Kutscher an kehrt zumachen und schnellstmöglich zurück noch London zufahren.

Die Landschaft raste geradezu an Oscars Augen vorbei und dennoch hatte sie das Gefühl, als würde sie kaum vorwärts kommen. Sie hielt beinah die Luft an, erst als sie die Straße erreichte, in der sie wohnte, atmete sie laut aus. Sofort sah sie ihr Wohnhaus, wo jedoch keine Licht mehr an war. Als die Droschke hielt, sprang sie aus dieser, bezahlte den Kutscher großzügig und sah kurz der abfahrenden Kutsche hinterher. Anschließend blickte sie auf die große Eingangstür. Sie schluckte hart, dann zog sie ihre Schlüssel hervor und öffnete somit mit zitternden Fingern die Tür. Langsam trat sie in das spärlich beleuchtete Treppenhaus. Vorsichtig ging sie anschließend die Stufen hinauf, bis sie vor ihrer Wohnungstür stehen blieb. Auch wenn es nicht ihre Art war, lauschte sie kurz an dieser. Aber außer ihrer schnellen Atmung und dem Rauschen des Blutes in ihren Ohren, konnte sie nichts vernehmen.

Noch immer zitterte ihre Hand, als sie versuchte die Tür aufzuschließen. So benötigte es einige Momente, bis diese aufsprang und Oscar eintreten konnte. Der Flur lag im Dunkeln. Ihr Blick schweifte. Die Zimmertüren der Zwillinge standen offen. Oscar trat an diese, jedoch waren die Räume verwaist. Als sie sich weiter umsah, bemerkte sie, dass unter der Tür, die zu ihrem Schlafzimmer führte, Licht hervor schien. Langsam setzte sie einen Fuß vor den anderen bis sie das Zimmer erreichte. Vorsichtig öffnete sie die Tür und schaute herein. Was sie sah, ließ ihr Herz zusammen ziehen. Auf dem gemeinsamen Ehebett lag André. An ihn lagen Armand und Camille, dicht an ihn gekuschelt. Deutlich war im Schein des Feuer die Tränenspuren in den Gesichtern zu sehen.

//Das habe ich nicht gewollt… Niemals!//

Oscar musste hart schlucken, um nicht zu Schluchzen. Es fiel ihr schwer nicht auf sie zu zustürmen. Ihr Gang war unsicher und leicht wackelig. Als sie das Bett erreichte, ließ sie sich vorsichtig nieder. Kurz zögerte sie, dann strich sie ihren Kindern die Tränen fort. Als ihre Finger zu Andrés Gesicht wanderten, stoppte sie kurz.

„Oscar…“, sprach er leise.

Sofort weiteten sich ihre Augen und sie schluckte hart. Jedoch kam nichts mehr von André. Er schlief tief und fest. Kurz wartete Oscar, dann strich sie ihm zärtlich über die Wange. Anschließend beugte sie sich über ihn und gab ihm einen zärtlichen Kuss.

„Bitte verzeihe mir, Liebster. Ich habe dir nicht weh tun wollen“, flüsterte sie.

Vorsichtig kuschelte sie sich kurz darauf an die kleine Gruppe, nachdem sie den Degen und ihren Mantel zur Seite gelegt hatte. Kurz darauf war sie eingeschlafen.

Veränderungen

Am nächsten Morgen, draußen ging gerade die Sonne auf, erwachte André. Er hatte das Gefühl, dass er seine Beine kaum bewegen konnte. So öffnete er seine Augen und blinzelte kurz. Armand und Camille lagen noch dicht an ihn gekuschelt da, wie m Vorabend. Also hob André etwas seinen Kopf und entdeckte einen blonden, ihm bekannten, Haarschopf.

//Oscar… du bist doch zurückgekommen. Ich habe gewusst, dass du ein gutes Herz hast. Glaube mir, ich habe dir bestimmt nicht wehtun wollen, aber du musst an deine Familie denken. Zudem habe ich Angst um dich, wenn du nach Frankreich reisen würdest. Es ist dort zu gefährlich geworden. Ich will dich doch nicht verlieren!//

Liebevoll sah er sie an. Gern hätte er sie in den Arm genommen, jedoch war er im Moment nicht in der Lage sich zu bewegen.

Nach einer Weile spürte André eine Bewegung. Oscar erwachte langsam. Sie erhob sich und rieb sich die Augen, dann sah sie sich orientierend um.

„Guten Morgen“, hörte sie und sah André in die Augen, der wieder leicht seinen Kopf angehoben hatte.

„Guten Morgen. Soll ich dir helfen?“

„Ja, bitte“, erwiderte André nickend.

Vorsichtig erhob Oscar sich und löste ihre Tochter von ihm. Sanft nahm sie ihn auf den Arm und sah zu, wie er Armand sich auf den Schoß zog und mit ihm aufstand. Gemeinsam brachten sie ihre Kinder in ihre Schlafzimmer. Anschließend gingen sie in die Küche, wo Oscar ihnen einen Tee zubereitete. André ließ sich am Tisch nieder und sah zu ihr.

„Es freut mich, dass du es dir anders überlegt hast“, begann dieser eine Unterhaltung.

„Hatte ich denn wirklich eine andere Wahl?“, erwiderte Oscar, jedoch war ihre genaue Gefühlslage, anhand ihrer Stimme, für ihren Gemahl nicht ganz erkennbar.

André hob eine Augenbraue bei ihren Worten.

„Wie meinst du das, Oscar?“

„Ich habe über deine Worte nachgedacht. Die Kinder brauchen mich, genauso wie sie dich. Und ich weiß nicht, ob hätte kämpfen können, wenn ich weiß, dass sie hier sind.“

Ruhig hörte André ihr zu.

„Vielleicht sollten wir zusammen zurück reisen. Es muss ja nicht direkt nach Paris gehen, aber in die Nähe.“

„Ich kann dich verstehen, dass du nicht so untätig herumsitzen kannst, aber diese Idee halte ich für nicht durchführbar. Es wäre einfach viel zu gefährlich, verstehst du? Niemals würde ich dich allein in den Kampf ziehen lassen und was soll dann mit Camille und Armand geschehen? Hier sind sie sicher und sie haben sich doch gut mit Marie-Annes Kindern angefreundet. Sie sind glücklich hier.“

„Vielleicht sollten sie dann solange hier bleiben und wir reisen zusammen nach Frankreich“, schlug Oscar vor.

„Wie bitte?“

André konnte nicht glauben, was er gerade gehört hatte.

„Das ist doch nicht dein ernst, Oscar.“

„Warum? Du sagtest selber, dass sie hier in Sicherheit wären und es wäre doch eine Möglichkeit.“, erwiderte sie und stellte André eine Tasse Tee hin.

„Ja, das sind sie. Aber dennoch bin ich dagegen. Was ist, wenn wir nicht wiederkehren? Hast du darüber schon einmal nachgedacht?“

Es fiel André schwer ruhig zu bleiben, aber es war besser, dass wusste er.

„Natürlich, jedoch würde es ihnen bei meiner Schwester an nichts fehlen“, erwiderte Oscar in einem leicht bestimmenden Tonfall.

„Willst du es dir nun so einfach machen? Oscar, wir sind jetzt zwölf Jahre miteinander verheiratet, die Zwillinge sind vor einigen Monaten zehn geworden. Meinst du, dass sie nichts mitbekommen, nur weil sie Kinder sind? Ist dir gestern entgangen, wie sie sich verhalten haben? Was sie für uns empfinden?“

André Stimme blieb ruhig, aber dennoch war sie sehr bestimmt. Dies ließ Oscar ihren Kopf senken, welchen sie kurz darauf schüttelte.

„Natürlich ist es mir nicht entgangen, André. Aber versuch mich bitte zu verstehen.“

„Das tue ich, Oscar. Du hast lange im Dienste der Krone gestanden und warst dieser immer treu und loyal ergeben. Und somit kannst du nicht einfach mit zusehen, was alles in unserer Heimat geschieht. Habe ich Recht?“

Oscar hatte ihm ruhig zugehört und nickte nun zustimmend. Wieder wurde ihr bewusst, dass André sie sehr gut kannte. Es brachte sie erneut zum Grübeln.

„Ja, das hast du, André“, erwiderte sie und trank ihren Tee.

„Und verstehst du auch, warum ich so denke? Auch wenn ich ein stolzer Bürger Frankreichs bin?“

„Du standest, genauso wie ich, auf dem Weg der Entscheidung. Das Land, deine Heimat oder deine Familie und du hast dich für das letztere entschieden“, sprach Oscar.

„Das ist wahr. Und glaubst du mir, dass mir meine Entscheidung leicht gefallen ist? Vielleicht hat es den Eindruck auf dich gemacht, aber das war es wirklich nicht. Ich habe sehr viel darüber nachgedacht, bis ich mich endgültig entschieden habe. Und es wäre eine Lüge, wenn ich dir sagen würde, dass ich niemals an unsere Heimat und an unsere zurück Gebliebenen denken würde. Jede Meldung, die wir erhalten, bringt mich zum Nachdenken. Allein die Letzte, die Olivier uns vor ein paar Tagen mitteilte. Erinnerst du dich? Am 4.August hat die Nationalversammlung beschlossen, die Feudalordnung aufzuheben und die Frondienste und Standesprivilegien abzuschaffen. Das ist eine große Wandlung für das Volk“, erwiderte André darauf.

„Ja, ich erinnere mich. Aber bist du sicher, dass alles, was zuvor geschehen ist, das sinnlose Blutvergießen, hätte sein müssen?“, merkte seine Gemahlin an.

„Ich bin nicht dafür gewesen, jedoch das Volk hat sich erhoben und ich habe den Eindruck, dass es sich nicht mehr so schnell beruhigen wird. Es wird Veränderungen geben, die nicht mehr aufzuhalten sind. Ich weiß nicht, was noch alles geschehen wird und daher möchte ich dich und die Kinder hier in Sicherheit wissen.“

„Ich kann es verstehen, André. Aber dennoch wütet ein Kampf tief in mir.“

„Das glaube ich dir, Oscar. Jedoch wirst du dich entscheiden müssen. Ich weiß, wie schwer es ist und ich kann dir deine Entscheidung nicht abnehmen. Aber ich stehe an deiner Seite, so gut ich es kann und ich hoffe, dass du dich richtig entscheiden wirst.“

André hatte die ganze Zeit vollkommen ruhig gesprochen, auch wenn er zwischendurch kurz vor dem Aufbrausen war. Jedoch war ihm bewusst, dass dies nichts bringen würde. Zudem hätte es Oscar noch mehr gepuscht. Und es war gut so, auch Oscar war ruhig in der Stimme geblieben. Ihre Gedanken rasten. Sie wusste einfach nicht, was sie tun sollte.

„Ich werde mich frisch machen und dann das Frühstück zubereiten“, sprach Oscar und erhob sich.

„In Ordnung. Tu das“, erwiderte André.

Sie nickte und verließ die Küche. Ihre Gedanken hörten nicht auf zu kreisen. Rasch kleidete sie sich um und machte anschließend etwas zu essen. Dann weckte sie die Kinder. Armand und Camille waren mehr als überrascht ihre Mutter zu sehen. Jedoch waren sie auch verschreckt. Dies traf Oscar sehr, dass hatte sie ihnen nicht antun wollen. Ihre Kinder waren verstört, das Vertrauen zu in ihre Mutter war ins Wanken geraten. Oscar war bewusst, dass es nicht leicht werden würde. Ihre Kinder waren alt genug, um zu verstehen. Zudem wollte sie ihre Zwillinge nicht belügen. So erzählte sie ihren Kindern, in abgeschwächter Form, was ihre Beweggründe gewesen waren. Deutlich sah man den Kindern an, dass sie nicht alles gleich verstanden, sodass sie Oscar immer wieder Fragen stellten, die sie ihnen erstaunlich geduldig beantwortete. Das war sie ihnen schuldig.

Etwas später aßen sie zusammen, dann brachten Oscar und André die Zwillinge zu Marie-Anne. Anschließend verabschiedeten sie sich voneinander und gingen zu ihren Arbeitsstellen.

Das Verhalten zwischen den Erwachsenen blieb angespannt, da Oscar mit sich am ringen war. André setzte sie nicht unter Druck, auch wenn es ihm manchmal nicht leicht fiel.

Der August neigte sich zu Ende, als eine erneute Meldung aus Frankreich eintraf. Am 26. August war es zur Erklärung der Menschenrechte gekommen. Oscar wurde bewusst, dass André Recht behalten hatte, neue Änderungen waren in Kraft getreten. Vom Königshaus hörte sie jedoch kaum etwas. Die Briefe von ihrer Mutter waren selten und Oscars Sorge nahm nicht ab. Jedoch hatte Oscar noch etwas anderes, was sie bewegte. Sie hatte sich nicht wohl gefühlt und hatte, nach einem kurzen Gespräch mit ihrer Schwester, einen Arzt aufgesucht, den Marie-Anne empfohlen hatte. Nach der Untersuchung hatte er Oscars Vermutung bestätigt. Sie war schwanger. André hatte sie es noch nicht mitgeteilt, weil sie sich selber darüber hatte nicht freuen können. Aber ihr war klar, dass sie nun nichts mehr unternehmen konnte. Nicht nur, weil André es mit Sicherheit verhindern würde, sondern auch weil sie es selber wusste. Sie wollte das Ungeborene nicht gefährden. Es fiel Oscar nicht leicht, aber sie musste es ihm sagen. So saßen sie an einem September Abend zusammen.

„André?“

„Ja, Oscar? Was gibt es?“

„Ich muss dir etwas sagen.“

André sah von seinem Weinglas auf. Sein Blick war abwartend.

„Ich bin beim Arzt gewesen.“

Nun weiteten sich seine Augen und er trat zu ihr.

„Was hast du, Oscar? Geht es dir nicht gut?“, sprach er besorgt auf sie ein.

„Mir geht es gut. Du musst dir keine Sorgen machen.“

Da Oscar seinem Blick auswich und sie ihn somit nicht direkt ansah, hob er sanft ihr Kinn an.

„Bitte, schau mich an.“

Kurz zögerte sie, doch dann folgte Oscar seine Bitte und hob ihre Lider.

„Mir geht es wirklich gut. Das musst du mir glauben!“, sprach sie mit ehrlichem Blick.

„Aber dann muss man doch nicht zum Arzt gehen“, erwiderte André.

„Das ist wahr, jedoch ist etwas geschehen, weshalb ich ihn konsultieren musste.“

André war nun verwirrt. Oscar bemerkte dies und wollte ihn nicht weiter in Unwissenheit lassen.

„Um es kurz zu machen, ich erwarte ein Kind.“

Nun weiteten sich die Augen ihres Geliebten.

„Ist… ist das wirklich wahr?“, stammelte er.

Oscar nickte bestätigend, wobei sie innerlich seufzte.

„Ja, ich trage ein Kind unser unterem Herzen.“

„Verzeih, wenn ich jetzt Frage, aber wie fühlst du dich?“

„Ich bin mir, ehrlich gesagt, nicht sicher. Das soll nicht heißen, dass ich mich nicht freue… aber ich weiß nicht, ob der Moment einfach der Ideale für ein Kind ist.“

Sanft nahm André Oscars Hände in die seinen.

„Ich weiß, Liebste. Aber nun ist es leider zu spät oder? Nicht das du...“

„Ja, das ist es und nein, ich werde keine unüberlegten Sachen unternehmen. Aber was nun?“

„Du bist schon einmal Mutter geworden und wirst es bestimmt wieder schaffen.“

„Danke für deinen Zuspruch und du hast Recht. Ändern lässt es sich nicht. Ich würde es auch nicht wollen. Es ist ein unschuldiges Leben, was in mir entstanden ist. Jedoch bezog ich es auf meine Eltern und Sophie…“

André nickte verstehend und drückte dabei sanft ihre Finger.

„Du weißt, was ich dir versprochen habe?“

„Meinst du, dass du…?“

Abermals nickte André.

„Ja, genau. Das habe ich gemeint.“

„Aber wann, André?“

„Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Zudem müssen für diese Reise Vorbereitungen getroffen werden.“

„Dabei werde ich dir helfen… wenn du es willst.“

„Sehr gern, Liebste.“

André beugte sich zu ihr und küsste sie zärtlich. Oscar erwiderte diesen sanft und schmiegte sich dabei an ihn. Langsam akzeptierte sie ihre Schwangerschaft und begann sich auch darauf zu freuen, auch wenn noch immer Angst und Sorge da waren. Aber diese versuchte sie nach hinten zudrängen.

Für beide war klar, dass sich nun einiges in ihrem Leben ändern würde. Und solang einige Dinge nicht geklärt waren, würde André nicht aufbrechen.

Einen Tag später ging André alleine zu Marie-Anne und Olivier. Ihnen teilte er Oscars Schwangerschaft mit, aber auch seinen Plan. Sie hörten ihm ruhig zu und ihre Gefühle waren gemischt. Natürlich freuten sie sich wegen dem Kind, jedoch machten sie sich auch Sorgen. Aber Oscars Schwester und ihr Gemahl versprachen André auf Oscar und die Zwillinge zu achten, während er nicht da war. Er wusste, dass er auf sie Vertrauen konnte und es nahm ihm etwas die Sorgen. Jedoch wäre es ihm schon leichter gefallen, wenn Oscar nicht guter Hoffnung wäre. Aber sie nun zu überzeugen, dass er lieber ihre Schwangerschaft abwarten würde bis zur Geburt, wäre ein absolut sinnloses Unterfangen gewesen.

Ende September war es dann soweit und André brach auf. Es fiel allen nicht leicht Abschied zunehmen. Oscars Schwangerschaftshormone führten dazu, dass auch sie einige Tränen vergoss. André konnte ihr nicht versprechen innerhalb der nächsten Wochen wieder zurückzukehren. Aber er hoffte doch, pünktlich zur Geburt, die in knapp fünf Monaten sein sollte, wieder zurückkommen würde.

Nach der schweren Verabschiedung begleiteten Olivier ihn nach Dover, wo André das Schiff bestieg. Lange sah er noch in Richtung des Hafens, nachdem das Schiff abgelegt hatte. Sein Herz blieb in England zurück.

Die Einreise in Frankreich war nicht leicht. Seit der Erstürmung der Bastille war das Land im Aufruhr und es war nicht ungefährlich. André hatte sich aus Sicherheitsgründen, seine schlichte Kleidung angezogen. Die Reise in Richtung des Jarjayes Anwesens war nicht einfach. Er musste sehr aufpassen. So dauerte es bis er dort eintraf, fast einen halben Monat. Als er das Elternhaus Oscar fand, war dieses bis auf die Grundmauern abgebrannt. André konnte nicht glauben, was er dort sah.

Fast zeitgleich klopfte es an Oscars Wohnungstür. Diese war überrascht, denn sie hatte keinen Besuch erwartet. Als sie die Tür öffnete, weiteten sich ihre Augen.

„Sophie!“

Das war das einzige, was sie hervorbrachte.

Sophie

Oscar konnte nicht glauben, wer vor der Tür stand. Sie war wie erstarrt. Doch dann schüttelte Oscar ihren Kopf.

„Aber komm doch herein.“

Mit diesen Worten trat sie zur Seite und ließ Sophie eintreten. Kaum das die Tür zu war, umarmten sich die Frauen erst einmal.

„Oscar. Ich bin froh, dass ich endlich hier bin.“

„Ich bin auch erfreut, dich hier zu sehen. Aber sage mir bitte, bist du alleine hier? Was ist mit meinen Eltern?“, löcherte sie sofort ihr ehemaliges Kindermädchen.

Aber diese hatte keine Chance zu antworten, da ein paar Kinderstimmen sich zu Wort meldeten.

„Urgroßmutter“, kam es im Chor.

Sophie hörte die Stimmen und sah die Zwillinge auf sie zustürmen.

„Armand! Camille!“, rief sie erfreut und ging dabei in die Knie, um die beiden zu umarmen.

Die Kinder waren fast zu stürmisch und Sophie konnte sie gerade noch halten.

„Seid ihr beiden gewachsen.“

Die alte Dame hatte Tränen in den Augen und jedes Kind wurde von ihr geherzt. Die Zwillinge ließen es sich gefallen und kuschelten sich an sie.

„Es ist schön, dass du hier bist. Aber wo sind Großmutter und Großvater?“, überschütteten sie sie nun mit ihren Fragen.

Oscar hatte Sophies Sachen zur Seite gestellt und half ihrer Amme auf.

„Lasst eure Urgroßmutter erst einmal zu Atem kommen. Sie ist gerade erst eingetroffen.“

„Es ist schon gut, Oscar“, erwiderte diese.

„Nein, ich bringen deine Sachen in dein Zimmer. Dann mache ich uns einen Tee. Die Kinder müssen werden auch gleich von Mrs. Brightmore abgeholt. Sie bringt sie zu Marie-Anne.“

„Mrs. Brightmore ist die Gouvernante, von der du geschrieben hast, oder?“

„Ja, das ist sie. Sie ist sehr nett und sehr zuvorkommend.“

Während die beiden Erwachsenen sprachen, brachten Armand und Camille Sophies Sachen in das kleine Gästezimmer. Anschließend hatten sie jedoch keine Zeit mehr, da die Gouvernante eintraf. Oscar stellte sie kurz vor, doch dann mussten sie schon los. Sie gab ihren Kindern noch einen Kuss und verabschiedete sie darauf.

Etwas später saß sie mit Sophie im Salon und trank mit ihr dort einen Tee. Oscar war nicht entgangen, dass ihr ehemaliges Kindermädchen stark gealtert zu sein schien. Zudem waren die Sorgenfalten tiefer geworden.

„Aber Sophie, wie bist du her gekommen und dann noch allein?“

„Es war der Wunsch deiner Eltern. Eigentlich wollte ich bei ihnen bleiben, aber sie haben sehr darauf bestanden, dass ich gefahren bin.“

„Ich verstehe, aber wo sind meine Eltern? Wie geht es ihnen?“

„Sie haben das Palais verlassen und haben ein kleines Quartier im Norden von Paris bezogen. Als ich fort ging, ging es ihnen gut. Ich soll Grüße bestellen. Schreiben werden sie weiterhin und dir auch mitteilen, wo sie nun genau sind.“

Oscar hatte ihr mit sich weitenden Augen zugehört.

„Ist es so schlimm geworden?“

„Ja, seid die Bastille erstürmt wurde, nehmen die Unruhen stetig zu. Es ist äußerst gefährlich geworden. Daher haben wir auch das Palais verlassen. Ob es noch steht, weiß ich nicht.“

„Was ist sonst noch geschehen? Wie geht es der königlichen Familie? Wir erhalten hier nur sporadische Meldungen und auch nur stark verzögert.“

Sophie hatte einen Schluck getrunken und sah nun nachdenklich in ihre Tasse.

„Am 5. Oktober sind hunderte von Marktfrauen nach Versailles gezogen. Was vor Ort genau geschehen ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich weiß nur, dass am darauf folgenden Tag das Königspaar dazu gezwungen wurde Versailles zu verlassen.“

„Wie bitte? Das kann doch nicht sein. Wo hat man sie hingebracht?“

„Leider ist es so geschehen. Man brachte sie in den alten Tuilerien Palast.“

„In das alte Stadtschloss? Aber dort hat seid Jahren niemand mehr gelebt.“

„Das ist wahr. Niemand konnte es verhindern. Viele Gardisten sind auf die Seite des Volkes gewechselt. Aber sage mir bitte, wo ist André?“

Nun war es an Oscar ihren Blick zusenken.

„Er ist nach Frankreich aufgebrochen…“, gab sie leise zu.

„Wie bitte? Aber warum?“, erwiderte Sophie etwas lauter, als gewollt.

„André tat es für mich. Ich wollte selber zurück, um meine Eltern und dich zuholen. Meine Angst und die Sorge um euch war einfach zu groß, nach all den Schreckensmeldungen.“

„Das ist fast Selbstmord. Man kommt weder nach Paris herein, geschweige den noch heraus, Oscar.“

Die junge Frau wurde auf ihrem Platz immer kleiner, nachdem sie ihre Tasse abgestellt hatte. Sophie entging dies nicht. Daher stellte sie ihren Tee zur Seite und setzte sich zu ihrem ehemaligen Schützling. Sanft nahm sie sie in den Arm.

„Ich meinte es nicht böse und ich kann dich verstehen“, sprach sie beruhigend auf sie ein.

Oscar zögerte kurz, doch sie schmiegte sich kurz darauf an ihre Amme.

„Wenn ich das alles nur früher gewusst hätte…“

„Shhht… mein Kind. André wird bestimmt bald deine Eltern gefunden haben und sich melden. Da bin ich mir sicher. Zudem kennst du ihn. Er war immer zuverlässig.“

Oscar nickte bei Sophies Worten.

„Ich hoffe und bete für ihn.“

„Das werde ich ebenfalls tun“, erwiderte Sophie mit ehrlichem Blick.

Innerlich hoffte sie, dass ihr Enkel rasch gesund und munter zurückkehren würde.

Sanft hielt die Amme sie noch etwas fest, doch sie löste die Umarmung und sah Oscar direkt an.

„Dein Vater gab mir einen Brief für dich mit.“

Überrascht sah Oscar sie nun an.

„Gibst du ihn mir bitte?“

Die alte Dame nickte und erhob sich. Aus ihrer Jacke holte sie ein versiegeltes Schreiben, welches sie Oscar überreichte. Dankend nahm diese es entgegen. Sofort hatte sie das Siegel erkannt. Zaghaft strich sie über dieses, bevor sie es brach und den Brief begann zu lesen.
 

Oscar, mein geliebtes Kind,
 

wenn du diesen Brief liest, wird Sophie gesund und munter bei dir eingetroffen sein. Mach dir keine Sorgen um deine Mutter und mich. Uns geht es gut. Eigentlich habe ich deine Mutter ebenfalls mitschicken wollen, jedoch war sie der festen Ansicht bei mir bleiben zu müssen. Du kennst sie ja. Daher habe ich Sophie etwas Geld gegeben, damit sie zu dir und deiner Familie fahren kann. Bitte kümmere dich gut um sie. Mit ihrer Gesundheit ist es nicht mehr bestens bestellt. Seid Wochen machen deine Mutter und ich uns Sorgen um sie. Die Geschehnisse sind vor allem an ihr nicht spurlos vorbei gegangen. Ich bin mir sicher, dass sie sich bei dir gut erholen wird. Mache dir keine Sorgen um uns.

Deine Mutter wird dir gewiss weiterhin schreiben und dir berichten, was geschehen ist.

Wir werden uns gewiss bald alle wieder sehen.
 

In Liebe

Dein Vater
 

Oscar hatte schon zu Beginn die schwungvolle Schrift ihres Vaters erkannt. Sie schluckte hart, als sie die wenigen Zeilen las. Aber sie musste versuchen ruhig zu bleiben, daher atmete Oscar tief durch. Sophie beobachtete sie dabei genau.

„Was hat er geschrieben?“

Diese wenigen Worte holten Oscar zurück in die Realität.

„Nur das er dich hergeschickt hat, das ich mir keine Sorgen machen soll…“

„Ich verstehe. Aber dich bewegt doch etwas anderes, nicht wahr, mein Kind?“

Ein kurzes Seufzen war von der blonden Frau zu vernehmen, bevor sie Sophies Hände ergriff.

„André ist für mich gefahren, damit ich mich beruhige. Weil…“

Kurz zögerte Oscar, doch dann hob sie ihren Blick und sah ihrer ehemaligen Amme direkt in die Augen.

„weil ich ein Kind erwarte“, vervollständigte sie ihren Satz.

In Sophies Augen war eine Mischung aus Überraschung, Freude aber auch Trauer und Besorgnis zu sehen. Jedoch zögerte sie nicht lange und nahm ihren Schützling in den Arm.

„Das freut mich, mein Kind. Dies wird André bestimmt anspornen, rasch wieder zurückzukehren. Hat ein Arzt dir bereits sagen können, wann es soweit sein wird?“

„Ich hoffe es, Sophie. Sehr sogar. Gegenwärtig wird das Kind im Februar erwartet.“

Leicht nickte die alte Frau, als sie Oscar zuhörte.

„Du wirst dich nun hoffentlich schonen.“

„Das werde ich, mach dir keine Sorgen.“

Dabei erhob sie sich.

„Leider muss ich nun aufbrechen. Ich habe eine Arbeit und ich darf nicht zu spät kommen.“

Sophie stand ebenfalls auf und sah sie nun groß an.

„Aber, Kind. Du solltest jetzt nicht mehr arbeiten.“

„Nein, Sophie. Das geht nicht. Wir benötigen das Geld. Aber ich werde es klären, dass ich weniger Stunden arbeiten kann.“

„Am besten wäre es, wenn du sie ganz aufgibst. Zudem bin ich ja nun hier und kann dir helfen.“

„Dafür bin ich dir dankbar, Sophie. Aber ich weiß was ich tue.“

Bittend sah Oscar sie an und ihre ehemalige Amme nickte kurz darauf ergeben.

„Ruhe dich nun etwas aus. Ich werde bald mit den Kindern wieder hier sein.“

„Wie du wünscht.“

„Es ist kein Wunsch, nur eine Bitte, Sophie.“

Seufzend nickte sie und begleitete Oscar noch zur Tür. Dort zog Oscar sich ihren Mantel an und verließ kurz darauf die Wohnung.

Sophie versuchte sich kurz darauf etwas auszuruhen, aber so wirklich konnte sie es nicht. Daher fing sie an, in der Wohnung herumzupuzzeln. Erst am Nachmittag schlief sie erschöpft, von allem, auf dem Sofa ein. Dort fand Oscar und Marie-Anne sie später vor. Oscar hatte ihre Schwester aufgesucht, nachdem sie verfrüht Feierabend gemacht hatte. Der Ladenbesitzer hatte von ihrer Schwangerschaft erfahren und er hatte freundlich reagiert. Sie sollte demnächst nur noch halbe Tage bei ihm arbeiten. Mit dieser Meldung war sie bei Marie-Anne eingetroffen. Diese war überrascht, auch von der Information, dass Sophie nun in England war. Daher hatte sie ihre Schwester begleitet, da sie ebenfalls ihr altes Kindermädchen begrüßen wollte. Anschließend wollten sie wieder zusammen zurückgehen. Jedoch wo sie Sophie nun schlafend vorfanden, wollten sie sie nicht wecken. Daher zogen sie sich in die Küche zurück.

„Wie ich sehe, war Sophie gleich wieder fleißig“, äußerte Marie-Anne, als sie sich umsah.

„Das glaube ich auch. Sie kann auch nicht aus ihrer Haut. Ich frage mich, was sie alles erleben musste.“

Ihre Schwester nickte zustimmend, als sie sich niederließ.

„Was denkst du nun von meinem Vorschlag, dass ihr mit zu uns kommt, Oscar? Dort hättet ihr viel mehr Platz und es wäre auch für dich einfacher.“

„Ich weiß dein Angebot zuschätzen, Marie-Anne. Glaube mir bitte. Aber ich weiß nicht. Was ist, wenn André zurückkehrt und ich nicht hier bin?“

„Aber das sind nur Ausflüchte, Oscar und das weißt du. André ist doch nicht dumm. Und wenn er dich hier nicht findet, dann wird er wissen, dass du bei uns bist.“

Oscar seufzte nachdenklich, dann nickte sie anschließend.

„Ja, du hast Recht. Vielleicht wäre es wirklich das Beste. Vor allem für Sophie und die Kinder.“

„Und auch für dich. Auch wenn du es nicht zugeben magst, ich sehe dir dennoch deine Sorge deutlich an. Du musst etwas unter Menschen und bei uns ist immer etwas los. Das weißt du doch.“

Marie-Anne hatte ihre Schwester besser kennen gelernt, seid sie bei ihr in England war. Noch nie waren die beiden Schwestern sich so nahe gewesen, was allein schon an Oscars Erziehung gelegen hatte. Manchmal vermisste sie schon die ungestüme Art der jüngeren Schwester, aber es zeigte ihr deutlich, wie sehr Oscar sich verändert hatte. Auch wenn Marie-Anne die Älteste und auch vernünftigste der sechs de Jarjayes Kinder, konnte sie ebenfalls stur und in gewissen Punkten auch Hitzköpfig sein. Daher konnte sie sich auch durchsetzen, wenn es sein musste. Dies gelang ihr mittlerweile sogar bei ihrer kleinen Schwester. Jedoch hatte Marie-Anne bemerkt, dass Oscar eher hitzigen Diskussionen aus dem Weg ging, als wirklich darauf einzugehen. Nun schloss sie ihre Schwester in den Arm.

„Komm, ich helfe dir beim Packen. Dann rufe ich gleich eine Droschke und wir bringen euer Gepäck zu mir. In der Zeit wächst du Sophie.“

Oscar sah ihre Schwester nachdenklich an, bevor sie zustimmend nickte.

Dementsprechend begannen sie etwas später alles Nötige zusammen zusuchen und zu verstauen. Als alles soweit fertig war, weckte Oscar Sophie. Diese war noch vollkommen benebelt, sodass sie einige Minuten benötigte, um wieder vollkommen klar zu werden. Oscar erzählte ihr, dass sie zu Marie-Anne gehen würden, die kurz darauf bei den beiden erschien. Herzlich begrüßte sie ihr ehemaliges Kindermädchen, dann brachen sie zusammen auf. Ihr Mann war ebenfalls in seinem Haus angekommen und konnte somit Sophie ebenfalls willkommen heißen. Anschließend lernte Sophie auch Marie-Annes und Oliviers Kinder kennen. Sie freute sich, so viele Kinder um sich zuhaben. Es war, als hätte sie eine neue Aufgabe erhalten, auch wenn Mrs. Brightmore die Kinder betreute. Jedoch wusste Sophie, dass sie nicht mehr die Jüngste war und sie sich somit nur in einem gewissen Rahmen sich um die Kinder kümmern konnte. Jedoch dies genügte ihr. Sie fühlte sie daher nicht vollkommen unnütz.

Rasch lebte Sophie sich in London ein, auch wenn sie sich mit der Sprache nicht leicht anfreunden konnte. Mit Hilfe von Oscar, Marie-Anne und der Kinder erholte sie sich vollständig und blühte geradezu auf. Dies freute alle, nur Oscar zog sich oft zurück. Sie fragte sich, wie es André gehen würde. Seid seiner Abreise hatte sie noch nichts von ihm gehört.

Ein Freund in der Not

Während Sophie sich in England langsam einlebte, schlug André sich durch die Vororte von Paris. Vieles hatte sich in dem Jahr, seid sie abgereist waren, verändert. Nicht nur, dass das Elternhaus Oscar vollkommen zerstört war, auch sein eigenes Haus war kaum wiederzuerkennen. Irgendwo war André froh, dass seine Geliebte dies nicht mit ansehen musste. Es hätte ihr gewiss, das Herz zerrissen. Aber auch ihn traf es hart. Es stand kaum noch ein Stein auf dem anderem. Beim Anwesen de Jarjayes hatte er noch Ausschau gehalten, ob er etwas Brauchbares finden konnte, jedoch war es entweder zerstört oder gestohlen worden. Es war ein Bild des Jammers. André war ebenfalls das Schicksal des Königspaares nicht entgangen. Er hatte die Massen gesehen und es für sicherer empfunden, einen großen Bogen um sie herum zumachen. Er war froh, schlichte Kleidung zu tragen, sodass er nicht auffiel. Um Geld zusparen, übernachtete er selten in Gasthäusern. Eine zeitlang schlief er daher in dem halb verfallenen Stall des Jarjayes Anwesens. Tagsüber suchte er dann seine Schwiegereltern. Aber die Suche gestaltete sich nicht gerade einfach für ihn. Paris war nicht gerade klein und die dazugehörigen Vororte ebenfalls nicht. Wo sollte er daher nur anfangen?

Oft dachte er an Oscar, wenn er Orte passierte, die mit Erinnerungen verbunden waren. Er machte sich große Sorgen. Nicht nur um den General und dessen Gemahlin, sondern auch um seine Großmutter und auch Oscar. Jeden Abend betete er darum, dass es allen gut ging.

Je mehr Tage verstrichen, desto deutlicher wurde es für ihn, dass er alleine keine Chance hatte die Vermissten zu finden. Er benötigte dringend Hilfe. Und die erste Person, die ihm sofort ins Gedächtnis kam, war Alain. Innerlich hoffte André, dass er noch lebte. Allein bei dem Sturm auf die Bastille, waren viele Menschen umgekommen. Jedoch um herauszufinden, ob Alain noch lebte, musste André direkt nach Paris.

Ihm war nicht entgangen, dass es kaum noch möglich war, in die französische Hauptstadt zugelangen und nur mit viel Müh und Not gelang es ihm. Er konnte nie lange einer Straße folgen. Immer wieder bog er in Seitengassen ab und nahm somit viele Umwege in Kauf, jedoch ging es nicht anders. So dauerte es mehrere Stunden bis er in der Nähe des Stadtkerns war.

Die Stadt hatte sich stark verändert, seid er das letzte Mal da gewesen war. Nicht nur der Ort an sich, sondern auch die Menschen. Sie schienen noch hungriger und auch verzweifelter zu sein. Zudem stank es sehr stark nach verwesendem Fleisch. André konnte froh sein, das es bereits Oktober und somit nicht mehr so warm war. Wäre nun Sommer gewesen, hätte man den Gestank nicht aushalten können.

Während André durch die Straßen zog und dabei immer wieder Menschenansammlungen auswich, überlegte er, wo er Alain nur finden konnte. Dessen Anschrift war ihm nicht bekannt, also konnte er danach nicht suchen. Jedoch fiel ihm ein, wo die Garde Francaise ihr Hauptquartier hatte. Jedoch als er dieses erreichte, sah er keines der bekannten Gesichter.

In dem Moment, als er den Kasernenhof verlassen wollte, trat ein Mann auf ihn zu.

„Ah, ein neuer Rekrut. Wie lautet Euer Name?“

André sah sein Gegenüber mehr als überrascht an.

„Verzeiht, aber Ihr müsst Euch täuschen. Ich bin kein neuer Rekrut.“

„Und warum seid Ihr dann hier?“

Der Fremde musterte André mehr als genau. Es machte den Eindruck, als würde er sich ein genaues Bild von ihm verschaffen.

„Nun, ich suche jemanden.“

„Und wen?“, hakte der Fremde nach.

„Alain Soisson“, erwiderte André.

Kaum hatte er diesen Namen ausgesprochen, verengten sich die Augen seines Gegenübers.

„Was wollt Ihr von ihm?“

„Ich suche ihn, denn ich benötige seine Hilfe.“

André hatte mittlerweile ein mehr als ungutes Gefühl in der Magengegend. Warum sah ihn dieser Mann so feindselig an?

Ohne es zu bemerken, waren eine handvoll Soldaten erschienen, die langsam André einzukreisen schienen.

„Seine Hilfe? Wozu? Um weitere Anschläge zuplanen? Wir haben in Erfahrung bringen können, dass der Soldat Alain Soisson einer der Rädelsführer gewesen ist, der für den Sturm auf die Bastille verantwortlich ist.“

„Wie bitte? Was soll er getan haben?“

André konnte nicht glauben, was er gerade gehört hatte.

„Ihr habt mich richtig verstanden. Wahrscheinlich gehört Ihr ebenfalls zu ihm.“

„Ich? Ganz gewiss nicht. Das müsst Ihr mir glauben, Monsieur…“

„Ich bin Oberst de Villefort und bevor Ihr mir nicht das Gegenteil beweisen könnt, seid Ihr inhaftiert! Nehmt Ihn gefangen!“

Sofort weiteten Andrés Augen sich. Sein Blick wanderte rasch hin und her und bemerkte nun die anwesenden Soldaten. Diese packten ihn und da er sich in der absoluten Minderheit befand, hatte er keine Chance, so sehr er sich auch wehrte.

„Ich habe damit nichts zu tun, Oberst!“, rief er, als man ihn abführte.

„Das sagen sie alle“, tönte es von ihm, dann trat er in eines der nahen Gebäude an.

André schleifte man derweil in eine der Arrestzellen, die sich auf dem Kasernengelände befanden.

„Bitte, lasst mich frei! Ich habe nichts getan“, flehte André die Soldaten an.

Jedoch beachteten diese ihn nicht, als sie die Arrestzelle verließen. André hämmerte mit seinen Fäusten gegen das Gitter, aber seine Stimme verhalte ungehört. Er schlug solange dagegen, bis er keinen Schmerz mehr spürte. Seine Fäuste waren mittlerweile voller Blut, jedoch bemerkte er nicht einmal, wie ihm dieses die Hände hinunter lief, als er an einer Wand zu Boden rutschte. Er vergrub seinen Kopf und Tränen der Wut liefen heiß über seine Wangen. Wie sollte er nun Oscars Eltern und seine Großmutter finden? Er musste hier heraus. Nur wie? André kannte keinen der Soldaten, die ihn abgeführt hatten.

//Gut, dass Oscar dies alles nicht miterleben muss…//, kam es ihm immer wieder in den Sinn.

Seine Gedanken kreiste nur um sie, so bemerkte er nicht, dass die Sonne schwand und es Abend wurde. Erst als er den Kopf hob und durch das vergitterte Fenster hinaus sah, konnte er einzelne Sterne am Firmament sehen. Für einen Moment hatte er das Gefühl, dort das liebliche Antlitz seiner geliebten Oscar zusehen. Seufzend erhob er sich und sah hinaus.

„Ach, Oscar…“, sprach er leise.

André blieb in dieser Haltung und so fanden ihn kurz darauf zwei Soldaten ihn.

„Mitkommen!“, befahl der eine und richtete sein Gewehr auf ihn.

Langsam drehte er sich um und sah sie an. Deutlich konnte André sehen, dass sie nicht scherzten und daher beugte er sich und ließ sich von ihnen abführen.

Sein Weg führte über den Kasernenhof zu einem kaum erleuchteten Nebengebäude. Immer wieder wurde er mit dem Gewehrkolben geschubst, damit er schneller ging.

Im dem Haus brachte man ihn in einen Raum. Dort band man ihn an einen Stuhl und wieder musste er ausharren, bis eine Tür sich öffnete und der Oberst eintrat.

„Habt Ihr es euch nun überlegt? Wollt Ihr reden?“

„Ich habe nichts zu berichten. Wie ich Euch vorhin mitteilte, bin ich auf der Suche.“

Der Oberst hatte eine Reitpeitsche in der Hand und diese sauste bei Andrés Worten knallend gegen seinen Stiefel.

„Das ist mir bekannt. Ihr seid hier, um alles hier auszuspionieren!“

„Das ist nicht wahr!“, erwiderte André.

Kaum hatte er dies ausgesprochen, bekam er eine Ohrfeige, sodass sein Kopf zur Seite flog und er kurz darauf Blut schmeckte.

„Lügt nicht! Los sprecht!“, polterte der Oberst weiter.

„Es ist so, wie ich es Euch sagte!“

Wieder verhalten seine Worte im Klang einer Ohrfeige.

Deutlich erkennbar röteten sich Andrés Wangen von den Schlägen. Etwas Blut rann aus seinem Mundwinkel.

„Ich kann Euch nichts sagen, wovon ich nichts weiß!“

Der Oberst umkreiste ihn, dann befahl er seinen Soldaten, André auf dem Stuhl zu drehen, sodass die Lehne gegen seine Brust drückte.

„Wer seid Ihr?“

„Mein Name lautet André Grandier.“

Es blieb still und André versuchte aus dem Augenwinkel in Richtung des Obersts zusehen.

„Grandier? Grandier?“, sprach er für sich und rieb sich sein Kinn.

De Villefort überlegte, wo er diesen Namen einmal gehört hatte und so tigerte er hinter André auf und ab. Dieser war froh, dass man ihn vorerst in Frieden ließ. Jedoch war dies ein Trugschluss. Mit einem Wink des Obersts, wurde Andrés Hemd rückseitig aufgerissen.

„Namen sind Schall und Rauch. Wie lautet Eure Mission?“

„Was wollt Ihr hören, Oberst de Villefort? Ich habe Euch alles gesagt, was ich weiß.“

Nun kassierte André keine Ohrfeige. Dafür hörte er die Reitpeitsche durch die Luft surren und kurz darauf verspürte er einen brennenden Schmerz auf seinem Rücken, wo sich sofort ein blutiger Striemen bildete. Sofort schrie André laut auf.

„Wollt Ihr nun reden? Oder muss ich Euch weiter dazu überreden?“, beharrte der Oberst weiter.

Aber André konnte nicht mehr sagen, als er es bereits zuvor gesagt hatte. So schlug der Oberst immer wieder hart auf ihn ein, bis André über der Stuhllehne zusammenbrach.

„Holt einen Eimer eiskaltes Wasser und weckt ihn!“, befahl er den anwesenden Soldaten.

Diese salutierten und ließen ihren Vorgesetzten und den Gefangenen zurück. Jedoch weit kamen sie nicht. Kaum hatten sie das Gebäude verlassen, wurden sie hinterrücks überwältigt. Die Schatten von vier Männern huschten am Gebäude entlang und zwei von ihnen drangen kurz darauf in dieses ein. Dann verlief alles sehr schnell. Einer der beiden kehrte mit André auf seinem Rücken hinaus, gefolgt von dem Zweiten. Die beiden Anderen, die die Umgebung gesichert hatten, schlossen sich ihnen an. Rasch hatten sie die Kaserne verlassen. Kaum das sie die Mauern passiert hatten, hörten sie auf einmal laute Alarmrufe. Daher beeilte sich die kleine Gruppe. Sie rannten durch viele Gassen. André bemerkte davon nichts, er war noch immer vollkommen weggetreten. Daher entging ihm auch, wie man ihn, nach einem schier endlosen Zickzacklauf, in ein Haus brachte. Erst als er spürte, dass jemand seine Wunden mit warmem Wasser auswusch, erwachte er stöhnend. Sein Blick war noch leicht verschleiert, sodass er zuerst niemand erkannte. Da André annahm, noch immer in den Fängen dieses Oberst zu sein, versuchte er sich gegen die helfenden Hände zuwehren und sich aufzurichten.

„Bleib liegen, André“, hörte er eine tiefe Stimme.

Jedoch erkannte er sie nicht und begann nun um sich zuschlagen. Aber ein paar kräftige Hände drückten ihn sanft, aber auch bestimmt, wieder auf das Bett, auf dem er lag. Erst jetzt registrierte André dies. In seiner Zelle war nur ein Haufen schimmligen Strohs gewesen. Also beruhigte er sich nun, was zur Folge hatte, dass die Hände sich von ihm lösten. Vorsichtig hob er seinen Kopf an und drehte ihn zur Seite. Er konnte einen Schatten ausmachen, sodass André ein paar Mal blinzeln musste. Dabei näherte sich ihm die Gestalt.

„Wie geht es dir? Alles wieder in Ordnung?“

Andrés Schädel brummte, als er versuchte die Stimme einem Gesicht und einem Namen zuzuordnen.

„Außer meinem brennenden Rücken und den Kopfschmerzen geht es mir gut. Aber wo bin ich?“

„Dein Rücken wird etwas Zeit benötigen, um zu verheilen. Und du bist Sicherheit.“

„Das wäre wo?“, hakte André nach, wobei er sich wieder versuchte aufzurichten.

Jedoch stoppte ihn diesmal niemanden. Als er richtig saß, wanderte sein Blick umher und er sah eine Gruppe von etwa zehn Mann. Deutlich erkannte er die Uniformen, auch wenn sie teils arg verschlissen waren. Nun realisierte André wo er sich befand und wer mit ihm gesprochen hatte.

„Alain!“

Dieser nickte grinsend. Beinah hätte er ihm freundschaftlich auf den Rücken geklopft, doch er konnte sich gerade noch zurückhalten.

„Ja, Bruder André. Aber sag, was treibt dich nach Paris? Ich dachte, du wärst mit deiner Familie fort.“

„Das ist auch wahr, aber ich bin vor ein paar Wochen zurückgekehrt, da ich die Eltern meiner Gemahlin und meine Großmutter suche. Jedoch wie habt ihr mich gefunden?“

Nachdenklich hatte Alain ihm zugehört.

„Ich verstehe, nur ob das eine so kluge Entscheidung gewesen ist? Paris hat sich stark verändert.“

„Das habe ich gesehen. Wir haben zwar Meldungen bekommen, aber das es so schlimm ist, habe ich nicht gedacht.“

„Leider ist es so“, kam es seufzend von Alain.

„Aber was hast du in der Kaserne gesucht?“

„Dich. Ich wollte dich bitten, mir zu helfen.“, erwiderte André.

„Kannst du mir eigentlich sagen, wie ich von dort fort gekommen bin?“

„Natürlich. Ich weiß nicht, was man dir sagte, aber einige der Soldaten, haben sich auf die Seite des Volkes geschlagen. Dazu zähle auch ich. Nun kreidet man uns natürlich alles an und wir sind so etwas wie Abtrünnige. Aber sie scheinen uns für nicht wirklich intelligent zu halten. Einige meiner Männer sind in der Kaserne. Sie haben dich erkannt und mir Meldung gemacht. Daraufhin haben wir dich daraus geholt. Leider mussten wir die Dunkelheit abwarten. Die Kaserne ist zwar nur mit wenigen Männern noch besetzt, aber im Dunkeln fühlen wir uns sicher. Zudem kennen wir uns dort blind aus.“

„Ich verstehe und ich danke euch allen, für meine Befreiung.“

André sah dankend in die Runde. Die Anwesenden nickten zur Antwort.

„Aber nun solltest du dich ausruhen, mein Freund. Wenn du dann etwas geschlafen und gegessen hast, erzählst du mir alles in Ruhe“, sprach Alain und erhob sich.

„In Ordnung, Alain“, erwiderte André und streckte sich vorsichtig auf dem Bett aus.

Es dauerte nicht lange und er war tief und fest eingeschlafen. Alain blieb mit ein paar Männern bei ihnen. Die anderen gingen auf Patrouille. Sobald etwas geschehen würde, machten sie bei Alain Meldung.

Eine positive Meldung

André benötigte einige Tage, bis er soweit genesen war, dass er nur noch ein Ziehen auf seinem Rücken verspürte. Von Alain hatte er ein neues Hemd erhalten, es war ziemlich verschlissen, aber es erfüllte seinen Zweck und dies war das Wichtigste.

Zugleich wurde es immer kälter. Der Winter hielt weiter Einzug.

Als André sich sicher genug fühlte, verließ er öfter für einige Stunden das Versteck, um sich umzusehen. Wenn es ihre Zeit zuließ, begleitete Alain oder einige seiner Kameraden ihn. Gemeinsam versuchten sie herauszufinden, wo Oscars Eltern und Andrés Großmutter sich aufhielten. Jedoch war keine Spur von ihnen zu finden. André versuchte seine Hoffnung nicht aufzugeben, aber dies war nicht leicht, da sie immer weiter schwand. Damit sich seine Oscar keine Sorgen machen musste, schrieb er ihr einen Brief. In diesem schilderte er ihr, dass er Alain gefunden und bei ihm untergekommen war. Leider musste er ihr auch mitteilen, dass er noch keinen Erfolg mit seiner Suche gehabt hatte. Seine Verletzung verschwieg er ihr jedoch. Er wollte nicht, dass Oscar sich aufregte. Es war schon schlimm genug, dass sie sich weiter Sorgen machen würde. So berichtete er ihr lieber, dass es ihm gut ging und er nicht wusste, ob er eine Antwort von ihr erhalten konnte, da es schon schwer war, eine Nachricht überhaupt aus der französischen Hauptstadt herauszubekommen. Wie sollte dann erst eine hinein kommen? André seufzte innerlich. Ihm war noch mehr bewusst geworden, dass es sehr schwer werden würde, Paris zu verlassen. Einer einzelnen Person sollte dies bestimmt gelingen, aber einer kleinen Gruppe? André dachte darüber nach, auch wenn er noch nicht einmal die gesuchten Personen gefunden hatte. Schließlich musste alles wohl durchdacht sein. Dies sah Alain ebenso. Auch für ihn, der viele Kontakte hatte, war es nicht leicht Auskünfte über einige Adelige zu erhalten. Sie waren bei den einfachen Menschen unbeliebt, auch wenn einige sich auf ihre Seite geschlagen hatten und dies erschwerte die ganze Situation. Alain versuchte sein Bestes, aber es blieb ohne Erfolg. Dies teilte er André auch mit und dieser war seinem Freund dankbar, dass er ihm überhaupt half. Vor allem, nachdem er erfahren hatte, dass Alain geplant hatte Paris für immer den Rücken zu kehren, um den Wunsch seiner Mutter zu erfüllen und Bauer zu werden. Wenn sie Oscars Eltern und seine Großmutter gefunden und in Sicherheit gebracht hatten, wollte er Alain unterstützen. Ihm war zwar noch nicht klar, wie dies von statten gehen sollte, aber wenn es an der Zeit war, würde er ihm helfen. André hoffte, dass sie sich schnell Erfolg einstellte, sodass er bald zurückkehren konnte. Das Oscar schwanger war, führte ihn dazu, dass er sich noch mehr beeilte. Nicht nur, weil er bei der Geburt an ihrer Seite sein wollte, sondern er wollte sie ebenfalls unterstützen, damit es keine Komplikationen gab. Dies war seine größte Angst. Die Sorge um mögliche Probleme. Diese breiteten sich soweit in ihm aus, dass er sogar nachts davon träumte und jedes Mal schweißgebadet hochschreckte. Alain entging nicht, wie sein Freund litt. Zudem dieser von Oscars Schwangerschaft berichtet hatte. Dies veranlasste ihn, sich noch viel mehr anzustrengen, um die Vermissten zu finden. Auch wenn ihm persönlich nichts an Adeligen lag, wollte er dennoch seinem Freund helfen. Er tat es für ihn und nicht für die anderen. Dies machte er André auch klar, als dieser ihn, Wochen später, mitteilte, dass er nicht weiter helfen sollte.

„Es hat keinen Sinn mehr, Alain. Sie sind verschollen.“

„Du gibst auf einmal auf, André?“

„Was soll ich den bitte tun? Ich bin seit zwei Monaten hier und wir haben rein gar nichts in Erfahrung bringen können. Wir wissen nicht, ob sie geflüchtet oder tot sind. Zudem hast du selber in gesagt, dass sich ihre Spuren im Sande verlaufen haben“, sprach André und fuhr sich mit seinen Händen durchs Haar.

Sein Freund trat zu ihm und legte seine Hand auf dessen Schulter.

„Ich habe dir versprochen zu helfen und das tue ich. Du darfst nicht aufgeben. Verstehst du? Nicht, dass du es nachher bereust“, erwiderte Alain in ruhigem Tonfall.

„Ja, dass weiß ich, Alain und ich bin dir mehr als dankbar dafür, aber verstehe auch mich. Ich mache mir Sorgen um Oscar. Es gibt keine Informationen. Nichts…“, kam es niedergeschlagen von André

„Dies wird sich wohl nicht ändern, leider. Aber du bist mit einer Aufgabe nach Paris gekommen und dir war doch bewusst, dass es nicht leicht werden würde. Meinst du, dass Oscar es gern sehen würde, dass du nun aufgibst?“

André starrte auf seine Hände, während er Alain zuhörte. Seufzend schüttelte er seinen Kopf.

„Nein, sie würde kämpfen. Sie würde niemals aufgeben.“

„Siehst du, mein Freund. Und du bist auch eine Kämpfernatur. Also gib nicht auf. Für deine Familie.“

Langsam hob André sein Haupt und sah zu Alain. Doch etwas erwidern konnte er nicht, da auf einmal die Tür aufsprang. Einer der Söldner trat abgehetzt herein.

„Alain… André…“, keuchte er.

Sofort waren die beiden Angesprochenen aufgesprungen und zu ihm geeilt.

„Was ist geschehen, Jacques?“, erwiderte Alain und rüttelte dabei seinen Kameraden.

Dieser war ziemlich außer Atem und japste daher nach Luft.

„Es kann sein, dass wir eine Spur gefunden haben.“

„Wie bitte? Wo? Was habt ihr in Erfahrung bringen können, Jacques?“, bedrängte André ihn nun mit Fragen.

„Durch Zufall. Wir sind einer Patrouille auswichen, dabei haben wir einige Wortfetzen auffangen können.“

„Und die wären? Los! Nun sprich!“, unterbrach ihn André unwirsch.

„Lass ihn erst einmal zu Luft kommen, mein Freund. Wenn du ihn weiter bedrängst, geht es auch nicht schneller.“

Mit diesen Worten versuchte Alain ihn etwas zu beruhigen. Anschließend sah er zurück zu seinem Kameraden.

„Berichte bitte weiter, Jacques.“

Dieser nickte, nachdem er einen Schluck Wasser getrunken hatte.

„Sie unterhalten sich über das Königspaare. Dabei ging es auch um Menschen, die noch immer treu ergeben wären. Da fiel auch der Name de Jarjayes.“

Nochmals trank er einen Schluck, bevor er weiter berichtete.

„Er soll dort vor ein paar Tagen gewesen sein. Was er dort genau getan hat, konnten wir leider nicht Erfahrung bringen.“

„Und weiter?“, sprach Alain aus, was André in dem Moment dachte.

„Wir sind ihnen gefolgt, so weit wir konnten. Jedoch konnten wir nichts mehr verstehen“, erwiderte Jacques nun entschuldigend.

„Aber wir nehmen an, dass wenn er vor kurzem dort war, dass er wiederkehren wird. Zudem ist es ein Lebenszeichen, daher bin ich hergekommen.“

„Du hast richtig gehandelt.“

„Ja, Jacques. Ich stimme Alain zu und ich danke dir, dass du uns sofort berichtet hast“, sprach André und reichte ihm dabei seine Hand.

Er nahm sie und kurz schüttelten sie sie. Anschließend verabschiedete er sich.

„Siehst du, André? Man sollte nie zu schnell seine Hoffnung aufgeben.“

„Ja, Alain. Du hattest Recht“, erwiderte Oscar Ehemann.

Auch wenn es nicht viel gewesen war, was sie nun erfahren hatten, baute es André dennoch auf. Er schöpfte neuen Mut aus den wenigen Worten Jacques.

„Ich werde die nächsten Tage mich in der Nähe der Tuilerien aufhalten“, sprach er zu seinem Freund.

„Ob das wirklich so klug ist? Wenn man dich erkennt?“

„Ich werde vorsichtig sein. Aber ich muss es versuchen, verstehst du, Alain? Du sagtest selber, dass ich nicht aufgeben soll und wenn ich es nicht tu, werde ich es bereuen.“

Alain hörte ihm ruhig zu und nickte dann leicht lächelnd.

„Ja, das tue ich, mein Freund. Jedoch lasse ich dich nicht alleine gehen. Ich werde dich begleiten.“

„Danke, Alain. Du bist ein wahrer Freund“, erwiderte André, ebenfalls lächelnd.

Gemeinsam beratschlagten sie, wie sie vorgehen sollten.

Am nächsten Tag machten sie sich auf den Weg. Es war nicht leicht zu den Tuilerien zugelangen. Sie musste einige Umwege in Kauf nehmen, bis sie ihr Ziel am frühen Abend endlich erreichten. Genau sahen sie sich dort um, aber konnten nichts finden. Als die Nacht sich über die französische Hauptstadt senkte, waren die beiden Männer kurz davor aufzubrechen, als sie auf einmal etwas hörten. Es war das Klappern von Pferdehufen. Etwas zogen sich André und Alain zurück, um nicht gleich entdeckt zu werden, als das Tier sie passierte. Es war erkennbar, dass ein Mann auf dem Pferd saß. Jedoch André hatte das eindeutige Gefühl, diesen Mann zu kennen. So verließ er seine Deckung und trat direkt auf die Straße, um den Weg des Pferdes zu stoppen. Da es bewölkt war und der Mond nur ab und zu seine silbrigen Strahlen zur Erde schicken konnte, konnte man ihn kaum erkennen.

„Haltet an!“, wand André das Wort an den Mann.

„Wer wagt es, sich in meinen Weg zustellen“, erklang die Stimme des Fremden, die André jedoch sofort erkannte.

„Graf de Girodel“, erwiderte er nun mit freundlicher Stimme.

Der Angesprochene schien es zu mustern, was ihm jedoch kaum gelang. Aber der Himmel schien Erbarmen mit ihnen zuhaben. Die Wolkendecke riss auf und der Mond sandte sein Licht zu den Beiden. Nun konnte er sein Gegenüber erkennen.

„André?“, fragte er vorsichtig.

„Ja, ich bin es.“

Victor sah sich um, jedoch schienen sie allein zu sein.

„Wo ist Oscar? Ich dachte, ihr seid außer Landes gegangen?“

„Das sind wir auch. Jedoch bin ich auf ihre Bitte zurückgekehrt. Ich bin auf der Suche nach General de Jarjayes, seiner Gemahlin und meiner Großmutter.“

„Ich verstehe. Nun der General weilt nicht in Paris, aber ich weiß wo er ist.“

Bei Girodels ersten Worten hatte André etwas enttäuscht seinen Kopf gesenkt, doch dann schnellte dieser sofort in die Höhe.

„Wo ist er? Bringt mich zu ihm, bitte.“

„Natürlich. Ich bring dich zu ihm.“

André nickte und wank in Alains Richtung, der das ganze Geschehen aus dem Hintergrund beobachtet hatte. Er kannte Victor nicht und blieb skeptisch. Da kannte auch André nichts gegen tun.

„Alain? Darf ich dir Graf de Girodel vorstellen? Er ist ein Freund der Familie“, sprach er zu ihm.

Dann wand er sich abermals zu Victor und deutete dabei auf seinen Freund.

„Darf ich vorstellen? Alain Soisson.“

Beide Männer nickten sich kurz zu, jedoch viel Zeit zum Reden hatten sie nicht. Victor wollte weiter. So folgten André und Alain ihm durch eine Reihe von Straßen und Gassen bis er an einer Weggabelung stoppte.

„Hier müssen sich unsere Wege trennen. Dort vorn ist ein bewachter Durchgang. Man kann diese nur mit einer Genehmigung passieren. Leider kann ich euch damit nicht dienen. Aber ihr müsst dieser Straße folgen. Auf ihr gelangt ihr nach Pontoise, dort hält sich der General auf.“

„Vielen Dank für die Hilfe. Wir werden es bestimmt schaffen“, erwiderte André und verabschiedete sich anschließend mit Alain von ihm.

Graf de Girodel nickte ihn zu.

„Ich wünsche euch viel Erfolg.“

Dann wank er ihnen zu und ritt von dannen. Kurz sahen ihn die beiden Männer hinterher, anschließend schauten sie sich die nähere Umgebung an. Es dauerte etwas, bis sie die Lage sondiert und sie einen Weg gefunden hatten. Ihr Weg führte sie durch kaum zugängliche Gassen und unzählige Hinterhöfe, wobei sie die Angst im Nacken hatten, entdeckt zu werden. Aber es gelang ihn Paris zu verlassen. Alain und André folgten dem Weg, den ihnen der Graf genannt hatte. Da sie zu Fuß unterwegs waren, hatten sie einen guten Marsch vor sich, der sich durch die halbe Nacht erstreckte. Im Morgengrauen erreichten sie endlich die Gemeinde Pontoise.

Während sie Victor durch Paris geführt hatte, nannte er die Straße, an der der General nun wohnte. An diese Adresse erinnerten sich nun André und Alain. Suchend folgten sie der Hauptstraße, jedoch fanden sie die genannte Straße nicht. Aber so rasch gaben sie nicht auf. Nun folgten sie der ersten Querstraße, die auf einen kleinen Marktplatz führte. Dieser lag jedoch verwaist da. Sich genau umsehend, passierten die Männer diesen, als sie auf einen Mann trafen. Diesen fragte Alain nach der Adresse. Der Fremde war ihnen freundlich gesonnen und wies ihnen den Weg. André und Alain bedankten sich bei ihm und folgten der Beschreibung des Mannes. Sie durchquerten ein paar Seitenstraßen, bis sie endlich ihr Ziel erreichten. Mittlerweile war die Sonne am Horizont erschienen. André hoffte inständig, dass er hier endlich die Vermissten fand. Zudem sehnte er sich nach einem warmen Plätzchen. Der Dezember war schneidend kalt. Im Moment lag zwar kein Schnee, aber der scharfe Wind, trieb einem die Tränen aus den Augen. Alain, wie André, hatten die Kragen ihrer Mäntel hochgeschlagen. Ihr Atem war deutlich in kleinen Nebelschwaden vor ihren Mündern sichtbar. Ihre Hände und Füßen waren bereits klamm und durchgefroren.

„Hoffentlich sind wir hier richtig“, sprach Alain, als sie vor einem Haus stehen blieben.

André, der gerade seinen Atem gegen seine Finger blies, nickte.

„Das hoffe ich, Alain.“

Vor der Tür blieben sie stehen. André zögerte der kurz, doch dann streckte er seine Hand aus und klopfte. Anschließend hieß es für beide warten. Jedoch schien sich nichts zu rühren. Abermals klopfte André, diesmal aber kräftiger. Als sich wieder nichts tat, sah er zu Alain, der sich in der nahen Umgebung umsah. André wollte auf ihn zugehen und wand somit der Tür seinen Rücken zu, als er auf einmal hörte, wie diese sich öffnete.

„Ja, bitte?“

Sofort drehte er sich auf seinem Absatz und erkannte Madame de Jarjayes, eingehüllt in ein großes Dreieckstuch, im Eingang stehen.

„Wer seid Ihr?“, sprach sie weiter, als sie keine Antwort erhielt.

Da Alain die Stimme ebenfalls gehört hatte, trat er nun zu André.

„Madame? Ich bin es. André!“

Sofort weiteten sich ihre Augen.

„André?“, kam es überrascht.

„Was tust du hier?“

„Ich bin gekommen, um Euch und Euren Gemahl zu suchen.“

Ein kalter Windstoß ließ Emilie erschauern, wobei sie ihr Tuch enger um sich zog.

„Komm erst einmal herein. Dies gilt auch für deinen Begleiter.“

Mit diesen Worten trat sie zur Seite und ließ die beiden Männer eintreten. Kaum das sie sich im Haus befanden, schlug ihnen eine angenehme Wärme entgegen. Emilie führte sie in die nahe Küche, um ihren Gästen einen Tee zu zubereiten. Nachdem sie ihnen die Tassen gereicht hatte, ließ sie sich bei ihnen nieder.

„Nun erzähle mir bitte, André, wie du hier hergekommen bist. Und wie geht es Oscar und den Kindern? Ist sie auch hier?“

„Ich bin hier auf Oscars Wunsch. Sie ist mit den Kindern noch immer in London bei Marie-Anne. Es geht allen gut. Oscar macht sich große Sorgen um Euch. Sie wollte, dass ich Euch und Euren Gemahl nach England bringe. Genauso wie meine Großmutter. Darf ich fragen wo sie ist?“

Emilie hatte ihrem Schwiegersohn ruhig zugehört.

„Ich kann Oscars Wunsch verstehen und ich nehme an, dass es auch der deine war.“

André nickte zustimmend und ließ sie weiter reden.

„Jedoch muss ich dich enttäuschen. Mein Gemahl und ich werden hier bleiben. Wir sind hier sicher und du musst dir keine Sorgen machen. Reise lieber zurück zu Oscar.“

„Sicher? Nachdem was ich mit Ansehen musste, ist muss ich Eure Worte anzweifeln, Madame.“

„Glaube mir bitte, mein Junge. Ich bleibe an der Seite meines Gatten. Und was Sophie betrifft, um sie musst du dir keine Sorgen machen. Wir haben sie nach England geschickt.“

„Wie bitte?“, kam es sofort von André.

Dabei weiteten sich seine Augen. So sah er, wie Emilie nickte.

„Ja, ihr ging es schon lange nicht mehr gut. Es war nicht leicht, aber wir haben sie überzeugt, dass es besser ist, nach England zugehen.“

André starrte in seine Tasse, er musste dies alles erst einmal verdauen.
 

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Anmerkung: Pontoise ist eine Gemeinde nordwestlich der französischen Hauptstadt Paris und befindet sich keine 30 km vom Stadtkern entfernt.

Im letzten Moment

Während Emilie ihren Tee trank sah sie zwischen André und Alain hin und her bis dies ihr Schwiegersohn bemerkte und rasch seinen Freund vorstellte. Es war ihm entfallen, aber darüber war Oscars Mutter nicht böse. Als der Tee geleert war, erhob sie sich.

„Wir haben ein paar kleinere Gästezimmer hier. Ihr seht beide sehr müde aus. Am besten zieht ihr euch nun etwas zurück und holt Schlaf nach. Wir können dann weiter reden.“

„Aber, Madame…“, kam es von André.

Jedoch mischte Alain, der sich die ganze Zeit zurückgehalten hatte, mit ein.

„Sie hat recht, André. Wir sind noch ziemlich durch gefroren und es bringt nichts, wenn wir auf Druck hier sitzen bleiben.“

Sein Freund sah zu ihm und seufzte.

„In Ordnung, Alain.“

Madame de Jarjayes nickte zufrieden und brachte die beiden Männer ins obere Stockwerk, wo sie jedem ein kleines Zimmer zuwies. Beide bedankten sich, bevor sie darin verschwanden und kaum, dass ihre Häupter die Kissen wirklich berührt hatten, waren sie auch tief und fest eingeschlafen.

André erwachte erst am frühen Nachmittag. Seit er aus England fort war, hatte er nicht mehr so gut und ausgiebig geschlafen. Deutlich merkte er, dass es ihm gut getan hatte. Nachdem er sich frisch gemacht hatte, verließ er den Raum und ging hinunter. Sein Weg führte ihn zur Küche, wo er Emilie und Alain vorfand, die sich angeregt unterhielten. Diese Unterhaltung stoppte, als sie André bemerkten.

„André. Ich hoffe, du hast gut geschlafen?“

„Ja, Madame. Sehr gut sogar.“

„Das freut mich zu hören. Aber nun setz dich bitte, damit du etwas essen kannst.“

André nickte und folgte Emilies Wunsch und ließ sich bei Alain nieder.

„Darf ich fragen, wo der General ist, Madame?“

„Er ist außer Haus, aber ich erwarte ihn heute noch zurück. Du willst mit ihm sprechen, nicht wahr?“

Während André zu essen begonnen hatte, nickte er zustimmend.

„Du brauchst nicht versuchen ihn zu überreden, mein Junge. Du weißt, was er für einen Dickkopf haben kann.“

„Das ist mir bewusst, Madame. Aber dennoch würde ich es gern versuchen.“

„Ich verstehe dich und wünsche dir Glück.“

„Wozu wünscht du wem Glück, Liebste?“, hörten sie auf einmal aus Richtung des Flures.

Allen schien entgangen zu sein, dass die Haustüre sich geöffnet und wieder geschlossen hatte.

„Emilie?“, kam noch einmal die Stimme.

„Ich bin hier in der Küche“, war Madame de Jarjayes Antwort.

André und Alain sahen gebannt in Richtung der Küchentür, die sich langsam öffnete. Dort erschien General de Jarjayes. Dieser war überrascht Gäste zusehen.

„André, mein Junge“, sprach er, nachdem ihm bewusst wurde, dass sich alles geradezu anstarten.

Freudig lächelnd ging er auf ihn zu und klopfte ihm seine Schulter. André hatte sich zuvor erhoben.

„General“, erwiderte er und nickte ihm dabei zu.

„Was führt dich zu uns? Wo ist Oscar? Wie geht es meinen Enkeln? Und wer hat dich begleitet?“, wurde er gleich mit Fragen überschüttet.

„Aber Liebster. Lass André doch einmal zu Ende essen. Dann setzten wir uns in denn Salon und wir können uns zusammen unterhalten.“

„Du hast Recht, Emilie. Entschuldigt, ich bin nur wirklich überrascht.“

„Natürlich, General. Ich habe auch etwas zu berichten.“

Oscars Vater nickte, dann zog er es vor, schon einmal in den Salon zu gehen. Ihm folgten die drei etwas später. Dort machten sie es sich auf den Sesseln bequem und abwartend sah der General zu den beiden Männern.

„Erst einmal, Oscar ist noch immer in England. Auch wenn es ihr nicht leicht fiel. Aber in ihrem momentanen Zustand, ist es für sie das Beste.“

„Ihren momentanen Zustand?“, echote der General.

„Ja, Oscar trägt ein Kind unter ihrem Herzen“, bestätigte André nickend.

„Das freut mich zu hören. Mein Glückwunsch.“

„Vielen dank, General.“

Emilie ließ es sich nehmen, André herzlich zu unarmen und ihn dabei ebenfalls zu beglückwünschen. Als alle wieder saßen, begann er weiter zu sprechen.

„Ich bin auf ihrem Wunsch hier. Oscar geht es gut, nur sie lebt in sehr großer Sorge um Euch. Seit der Erstürmung der Bastille und der ganzen Meldungen, die wir erhalten haben, wurde sie sehr unruhig. Ich hatte ihr einst versprochen, Euch und auch meine Großmutter zu uns zuholen und nun musste ich es ihr erfüllen. Allein die Angst, dass ihr oder dem Kind etwas geschehen könnte.“

„Ich kann dich verstehen, mein Junge“, erwiderte der General.

„Aber meine Gemahlin und ich können nicht von hier fort. Viele Adelige sind bereits außer Landes und ich kann den König und die Königin nicht einfach zurücklassen. Ich habe ihnen meine Treue geschworen und daher werden wir nicht gehen. Aber was deine Großmutter betrifft, sie dürfte seit zwei Monaten bereits in England sein.“

„Ja, General. Eure Gemahlin erzählte mir dies bereits. Aber dennoch ist es auch für Euch hier zu gefährlich. Die Unruhen nehmen stetig zu. Dies kann Euch auch mein Freund hier, Alain Soisson, bestätigen.“

Bei dem Namen verengten sich sofort die Augen des Generals.

„IHR seit Alain Soisson?“, fragte er schon fast knurrend nach.

Während er sprach, wanderte seine Hand bereits zum Degen. Alain entging dies nicht, als er nickte und sich dabei erhob.

„Ja, General. Das ist mein Name. Alain Soisson.“

Nun stand auch Oscars Vater auf. Ihm folgten Emilie, die den Oberarm ihres Gemahls erfasst, und André.

„Bitte, Liebster. Setz dich wieder hin.“

„Nein! Er ist einer der Anführer, der für den Sturz der Bastille verantwortlich ist. Zudem hat er seine Truppe verraten!“

„Verantwortlich bin ich gewiss nicht, General de Jarjayes. Und meine Truppe habe ich nicht verraten. Nur ich bin ein einfacher Bürger und kein Adeliger. Ihr müsst nicht sehen, wie Ihr Eure Familie ernährt. Aber wie kann ich schon erwarten, dass Ihr, ein Lakai des Königshauses, dies auch nur versteht!“

„Alain! Bitte!“, sprach André besorgt auf seinen Freund ein.

Er kannte Oscars Vater und wusste, zu welchen Wutanfällen dieser fähig war.

„Nein, André! Ich muss mich nicht beleidigen lassen.“

„Als Beleidigung sieht er es? Das ist eine Unverschämtheit. Wisst Ihr eigentlich was wirklich in der Bastille vorgefallen ist? Der Kommandant war angewiesen worden, die weiße Fahne zuhissen, und Ihr wisst, was dies bedeutet. Aber durch Euch und Eure Gefolgsleute, sind die wenigen Soldaten, die anwesend waren, in Panik geraten, dass sie das Feuer eröffnen mussten. Sie hatten Angst um ihr eigenes Leben!“

„Das mag sein, aber dennoch, dass Volk hatte keine Waffen.“

„Die habt Ihr ihnen doch geliefert!“, unterbrach ihn der General wirsch.

„Ja, das haben wir. Es sind unsere Brüder und Schwestern. Sollten wir etwa mit ansehen, wie sie gnadenlos niedergemetzelt werden? Ganz gewiss nicht! Ihr würdet Ihr zusehen wollen, wie man Eure Familie umbringt?“

Der General grummelte etwas in seinen nicht vorhandenen Bart. Wobei sich seine Haltung aber etwas entspannte.

„Und was gedenkt Ihr nun zu tun?“

Auch Alain entspannte sich sichtlich, ließ den General jedoch nicht aus den Augen, als er sich niederließ.

„André hat mich gebeten ihm zu helfen, Euch und Eure Gemahlin zu finden. Nicht mehr und nicht weniger.“

„Alain spricht die Wahrheit, General. Zudem hat er mir geholfen!“

„Geholfen? Wie meinst du das, André?“

Als alle nun wieder saßen, berichtete er von seiner Reise nach Frankreich und wie es ihm ergangen war. Das man ihn in der Kaserne festgenommen und ihn dort auch ausgepeitscht hatte. Der General hörte ihm zu und rieb sich das Kinn.

„Mir war etwas Ähnliches zu Ohren gekommen. Jedoch war mir kein Name genannt worden, sonst hätte ich eingegriffen. Dann muss ich Euch wohl dankbar sein, Monsieur Soisson, das Ihr meinem Schwiegersohn geholfen habt.“

„Das braucht Ihr nicht, General. André und ich sind befreundet und daher war es für mich eine Selbstverständlichkeit ihm zu helfen.“

„Wahre Freunde sind heutzutage selten geworden“, erwiderte Oscars Vater und lehnte sich nun entspannt zurück.

„Was gedenkt Ihr nun zu tun?“

„Da wir Euch und Eure Gemahlin gefunden haben, werde ich bald zurückkehren. Jedoch nicht für lange. Es war auch nur Glück, dass ich von Andrés Anwesenheit erfuhr. Eigentlich wollte ich Paris längst verlassen haben. Mich hält hier nichts mehr. Seit dem Tod meiner Schwester Diane und meiner Mutter hält mich hier nichts mehr.“

„Ich verstehe. Mein Beileid“, sprach der General mit ehrlichem Blick aus.

„Vielen Dank“, erwiderte Alain.

„Macht Euch keine Sorgen. Ich werde niemandem berichten, dass Ihr hier bei mir ward.“

Über diese Worte war Alain nun überrascht, damit hatte er wirklich nicht gerechnet und dies äußerte er ihm auch. Auch André und Emilie waren sichtlich verwundert. Aber Madame de Jarjayes kannte ihren Gemahl. Er war zwar hart, aber gerecht. Zudem besaß er einen weichen Kern, auch wenn er diesen sehr selten zeigte.

Der General bemerkte den Blick seiner Gemahlin auf sich.

„Fahre du mit André nach England. Unsere Tochter wird dich brauchen.“

Mit diesen Worten ergriff er ihre Hand und küsste diese.

„Nein, ich bleibe hier bei dir.“

„Ich bitte dich, Emilie. Alain und André haben recht, es ist zu gefährlich hier und ich möchte nicht stetig Angst um dich haben.“

„Die möchte ich auch nicht um dich haben, Liebster“, erwiderte Emilie sanft.

Nachdenklich sah Oscars Vater ihr tief in die Augen. Dabei schwieg er. André und Alain hielten es ebenfalls für besser sich nicht zu äußern. Es war eine Angelegenheit zwischen den beiden.

Seufzend küsste der General abermals Emilies Hände. Dann sah er zu seinem Schwiegersohn.

„Wie du siehst, werden wir beide dich nicht begleiten. Aber bleibt noch ein paar Tage hier. Das Wetter soll sich noch etwas verschlechtern und sobald es besser wird, brecht ihr auf.“

„Vielen Dank, General“, erwiderten die Männer.

Ihnen war nicht entgangen, dass es angefangen hatte zu schneien. Dicke Schneeflocken flogen an den Fenstern vorbei. Und dies änderte sich auch nicht in den nächsten Tagen.

So saßen sie oft zusammen und unterhielten sich über die Ereignisse in Paris. Allein das der Club der Jakobiner ständig Zuwachs hatte und sich im ganzen Land sich immer mehr solcher Gruppen bildeten, war eines der Themen. Allen war nicht entgangen, wie sehr das Feuer in den Menschen nun nicht mehr schwelte, sondern bereits flackerte. Aber die vier waren sich einig, es durfte einfach nicht noch zu mehr Blutvergießen kommen. Jedoch ob diese Hoffnung sich erfüllen würde, wusste niemand von ihnen und es konnte auch niemand vorhersagen.

Kurz nach Neujahr brachte André zusammen mit Alain auf. Es war ein warmer und herzlicher Abschied. Alle wünschten sich, dass sie sich bald gesund und munter wiedersehen würden. Von Oscars Eltern erhielt André zwei Briefe für ihr Kind.

Alain begleitete André ein gutes Stück, bis ihre Wege sich trennen mussten.

„Ich wünsche dir viel Glück mit deinem neuem Leben“, begann André, als sie an einer Weggabelung stehen blieben.

„Das wünsche ich dir ebenfalls, mein Freund. Wir werden uns bestimmt eines Tages wiedersehen.“

„Das hoffe ich sehr, Alain.“

Dieser nickte, dann umarmten sie sich freundschaftlich und klopften sich auf die Schulter. Dann folgte jeder der seinem Weg.

André hatte sein Versprechen, was er sich selber abgenommen hatte, nicht vergessen. Er würde Alain helfen, sobald er es konnte. Jedoch musste er zuerst zurück nach England.

Während André auf seinem Weg nach Calais war, dachte er viel nach. Er hoffte, dass es Oscar gut gehen würde. Da das Wetter zu schlecht gewesen war, hatte er ihr keinen Boten schicken können und nun lohnte es sich nicht mehr.

Sein Weg zog sich aufgrund der Witterung dahin.

Erst Ende Januar erreichte er England. Von Dover aus, nahm er sich die erste Droschke direkt nach London. Während der ganzen Fahrt hoffte er, dass ihn hier keine Hiobsbotschaft erhalten würde.

Es war spät, als er die englische Hauptstadt erreichte. Vor seiner Wohnung bezahlte er den Kutscher mit dem letzten Geld, welches er noch bei sich hatte. Dann betrat er rasch das Haus. Jedoch war die Wohnung, zu seiner Überraschung, vollkommen verwaist. Sofort begannen Andrés Gedanken zu rotieren, als er durch die einzelnen Räume ging. In der Küche fand er dann eine Zettel mit einer einfachen Notiz.
 

Mein geliebter André,
 

bin mit den Kindern bei Marie-Anne und Olivier. Komm bitte dorthin.
 

In Liebe

Deine Oscar
 

Nun fiel ihm ein Stein vom Herzen. Eigentlich hätte er es sich denken können, wenn nicht sogar müssen, aber in ihm war noch soviel Sorge, dass er darüber nicht mehr nachgedacht hatte. Er wollte sofort zu ihr aufbrechen, jedoch zögerte er. Sein Blick glitt an ihm herunter. Seine Kleidung war zerschlissen und er benötigte dringend eine Rasur. So wollte er Oscar nicht unter die Augen treten. Daher ging er rasch in das gemeinsame Schlafzimmer. Zum Glück hatte Oscar scheinbar etwas seiner Kleidung dort gelassen. Er suchte sich ein neues Hemd und eine Hose heraus. Dann wusch er sich ausgiebig und rasierte sich.

Etwas später machte er sich dann auf den Weg zu Marie-Anne. Normalerweise dauerte dieser knappe zehn Minuten, jedoch der Schnee, der ihm bis zu den Knöcheln reichte, verlangsamte seinen Gang.

Als er das Haus erreichte, sah er zu seiner Erleichterung, dass noch Lichter brannten. Vor der Haustür schlug er sich den Schnee von seiner Kleidung und den Schuhen, bevor er anklopfte. André musste etwas warten, bis das Hausmädchen die Tür öffnete. Es brauchte einen Moment, bis sie ihn erkannte und herein bat.

„Wer ist den da, Elisabeth?“, kam es von Olivier, der gerade die Stufen hin abschritt.

Jedoch ließ der Gast, dass Mädchen nicht zu Wort kommen.

„Ich bin es. André“, sprach er und trat in den Lichtschein der Eingangshalle.

„André? Gott muss unsere Gebete erhört haben.“

„Wie meinst du das? Wie geht es Oscar? Und den Kindern?“, erwiderte André etwas verwirrt, als er seinen Mantel ablegte.

„Bei Oscar haben vor einigen Stunden starke Wehen angefangen. Nun komm, ich bringe dich zu ihr.“

Sofort weiteren sich Andrés Augen und mit ein paar Sprüngen, war er bei seinem Schwager.

„Bitte? Ja, bring mich sofort zu ihr. Wie geht es ihr?“

„Den Umständen entsprechend. Der Arzt und die Amme ist bei ihr.“

André nickte, während sie die Stufen zügig hinaufgingen.

„Sie liegt in eurem alten Zimmer“, sprach Olivier.

Doch kaum waren seine Worte verhalt, konnte man deutlich Oscars Aufschrei hören, was den Anwesenden durch Mark und Bein ging. Sofort nahm André seine Beine unter die Arme und rannte los. Als er das Zimmer erreichte, vernahm er auf einmal das Weinen eines Babys.

In seinen Augen bildeten sich Tränen, als er auf die Tür starte. André war im Moment nicht in der Lage nur noch einen Schritt zutun. Erst als die Tür sich öffnete und Marie-Anne in dieser erschien, reagierte er wieder.

„André?“, kam es überrascht von ihr.

Dieser nickte nur und sah an ihr vorbei in den Raum. Er konnte das Bett sehen, in dem Oscar lag. Jedoch sie selber konnte er nicht ausmachen, da der Arzt und eine ältere Dame seinen Blick verstellten. Jedoch letztere drehte sich langsam. Sofort sah André, wie sie ein Kind in den Armen hielt.

„Großmutter…“, sprach er fast tonlos.

Jedoch hörte Sophie ihn deutlich und sah lächelnd auf.

„Komm herein, André“, erwiderte sie sanft.

Langsam ging er in den Raum auf seine Großmutter hinzu. Dabei behielt er das Bündel in ihren Armen genau im Auge.

„Schau, dein Sohn“, sprach Sophie, als ihr Enkel nichts sagte.

„Mein Sohn…“, kam es darauf nur.

Vorsichtig strich er ihm über die Wange. Dann hörte er auf einmal Oscars geschwächte Stimme.

„André? Bist… bist du es wirklich?“

Sofort sah er auf und trat an seiner Großmutter vorbei. An Oscars Bett kniete er sich nieder und nahm ihre Hand in die seinen.

„Ja, ich bin es“, erwiderte er und küsste ihre Finger.

„Ich habe nicht geglaubt, dass du rechtzeitig wieder hier sein wirst.“

„Mir ging es genauso, aber ich habe es geschafft. Nun haben wir einen wunderschönen Sohn. Ich danke dir dafür.“

André beugte sich über sie und küsste sie dafür zärtlich. Oscar erwiderte diesen kurz. Dann aber riet ihnen der Arzt, sie nun schlafen zu lassen. Es war eine anstrengende Geburt gewesen. Zudem hatte das Kind zu früh das Licht der Welt erblickt. Jedoch schien es stark und ausdauernd zu sein, was er nach einer Untersuchung feststellte. Der Junge war kerngesund.

André hatte Angst bekommen, als er die Worte des Arztes hörte, aber als er ihm versicherte, dass beide bei guter Gesundheit waren, war er erleichtert.

Erst als der Arzt gegangen war, begrüßte André Sophie. Sanft drückte er sie an sich. Deutlich konnte sie spüren, wie glücklich er war und ihr ging es nicht anders.

„Nun geh zu Oscar. Ich pass auf unseren Neuankömmling auf.“

„Ich danke Euch, Großmutter. Aber sagt, was ist mit Camilles und Armand?“

„Den beiden geht es gut. Sie schlafen im anderen Flügel. Gönn ihnen den Schlaf. Du kannst sie morgen noch begrüßen.“

André nickte, gab er ihnen Kuss auf die Stirn, strich seinem Sohn über die Wange und ging dann zurück zu Oscar. Diese lag friedlich schlafend in ihrem Bett. André zog sich einen Stuhl heran und ergriff ihre Hand. Lächelnd betrachtete er sie noch eine ganze Weile, bis er vor Erschöpfung einschlief.

Bericht aus der alten Heimat

Sophie sah hin und wieder nach den Beiden. Ein Lächeln konnte sie dabei nicht unterdrücken. Das änderte sich auch nicht, als sie ihrem Enkel eine Decke um die Schultern legte.

Am nächsten Morgen erwachte Oscar. Deutlich konnte sie noch die Schwäche ihres Körpers spüren, auch ein Ziehen in der Bauchgegend entging ihr nicht. Genau wie ihren leicht tauben linken Arm. Dies veranlasste sie, dass sie ihren Kopf drehte. So entdeckte sie André, der in seinem Schlaf nach vorne auf ihren Arm gesunken war. Zuerst hielt sie ihn für einen Traum. Doch dann kehrte langsam die Erinnerung zurück. Ihr André war zu ihr zurückgekehrt. Lächelnd, wenn auch noch immer erschöpft, strich sie ihm mit ihrer freien Hand durch sein braunes Haar. Dies ließ ihn langsam wach werden. André blinzelte leicht und erhob seinen Kopf. Dabei merkte er, wie etwas aus seinen Haaren glitt. So wanderte sein Blick und er entdeckte Oscar, die ihn sanft anlächelte.

„Guten Morgen“, sprach sie zu ihm.

„Guten Morgen, Oscar“, erwiderte er ebenfalls lächelnd.

Dabei bemerkte er, dass er noch auf ihrem Arm ruhte.

„Oh, verzeih“, sagte er rasch und erhob sich.

„Schon gut. Du hast mir ja nicht wehgetan“, erwiderte sie.

Dann rieb sie sich doch leicht den Arm, um die Durchblutung etwas anzuregen.

„Er ist etwas eingeschlafen“, sprach sie dabei zu André.

Verlegen blickte er sie an und fasste sich dabei an seinen Hinterkopf.

„Aber sag, wie fühlst du dich, Oscar?“

„Mir geht es gut. Ich fühle mich nur noch etwas erschöpft.“

„Das glaube ich dir.“

Oscar nickte leicht und wollte zum Reden ansetzen, als es auf einmal an der Zimmertüre klopfte.

„Ja, bitte?“

„Ich bin es. Sophie.“

„Oh, Sophie. Komm doch herein.“

Die Tür öffnete sich und André Großmutter betrat den Raum.

„Guten Morgen, ihr beiden“, begrüßte sie sie freundlich.

Langsam schritt sie auf sie zu, wobei Oscar und André ein Bündel auf ihrem Arm erkennen konnten, von dem ein leises Wimmern ausging.

„Ich bringe euch, euren Sonnenschein. Er verlangt schon sehnsüchtig nach dir, mein Kind.“

Sophie blieb neben Oscar stehen und legte ihr das Kind in den Arm.

„Wie soll er eigentlich heißen?“

Oscar hatte ihr Nachthemd etwas geöffnet und legte dann ihren Sohn an. Als er begann zu trinken, erinnerte sie sich für einen Moment, wie es war, als ihre Zwillinge noch klein waren. Als Sophie sie fragte, sah Oscar kurz zu André.

„Was hältst du von dem Namen Philippe?“

„Ein schöner Name. Er gefällt mir“, erwiderte er lächelnd.

„Dann soll er so heißen.“

André nickte zustimmt. Auch Sophie sagte dieser Name zu.

„Großmutter? Wo sind Camille und Armand?“

„Sie haben gerade gefrühstückt und warten ganz gebannt auf dich und ihr Geschwisterchen.“

„Dann soll ihnen dieser Wunsch auch erfüllt werden. Oder was denkst du, Oscar?“

„Eine gute Idee. Holst du sie bitte, Sophie?“

„Aber gewiss.“, erwiderte die alte Dame und verließ dabei das Zimmer.

Kurz sah André ihr hinterher, dann fiel sein Blick zurück auf Oscar, die ihren Sohn weiter versorgte.

Lange mussten sie nicht warten, bis sie auf dem Flur Kinderstimmen hören konnten, die sich näherten. Es war ein reines Stimmenwirrwarr, derer Sophie nicht Herr wurde.

„Beruhigt euch, Kinder! Sonst dürft ihr nicht hinein!“, sprach sie tadelnd zu den Kindern.

„Aber, Urgroßmutter. Wir sind doch ganz lieb“, sprach Armand und sah sie dabei mit einem eindeutigen Blick an, den Sophie von ihrem Enkel kannte, als der in Armands Alter gewesen war.

„Genau. Wir sind artig, Urgroßmutter. Bitte, wir wollen sie sehen“, fügte Camille hinzu.

Auch ihr Blick war kaum anders, als der ihres Bruders, sodass Sophie nur Schmunzeln konnte.

„Das will ich auch hoffen ihr beiden.“

Eifrig nickten die Zwillinge und folgten ihr bis zu der Zimmertür.

Philippe hatte seinen Hunger gestillt und war friedlich in Oscars Armen eingeschlafen.

Langsam öffnete sich die Tür und Sophie trat ein. Hinter ihr erschienen die Zwillinge. Beide waren, seit Andrés Abreise, wieder ein gutes Stück gewachsen. Vor allem traf dies auf Armand zu, der bereits seine Schwester um eine Länger überragte. Beide hatten ihre Haare hinten gebunden. Camille trug ein schlichtes blaues Kleid und ihr Bruder war mit einer dunklen Hose und einem weißen Hemd bekleidet.

Beide waren ruhig, jedoch als sie ihre Mutter und vor allem ihren Vater sahen, waren sie nicht mehr zu halten.

„PAPA!“, riefen sie und rannten an Sophie vorbei.

André ging lächelnd in die Hocke, um die beiden wilden Hummeln aufzufangen. Jedoch waren die Zwillinge zu schnell und warfen ihn somit ungewollt um. Aber es störte keinen der drei. Lachend lagen sie nun am Boden und André drückte seine Kinder an sich. Es war ein schönes Bild, jedoch einem schien die Lautstärke zu missfallen. Philippe war aus seinem Schlaf erwacht und weinte nun bittere Tränen. Oscar wiegte ihn sofort beruhigend.

„Es freut mich, dass ihr glücklich seid, euren Vater wieder zuhaben, aber geht dies nicht etwas leiser? Ihr habt euren Bruder erschreckt“, sprach sie zu ihnen.

Sofort kehrte Ruhe ein und Armand und Camille sahen beschämt auf ihre Hände.

„Verzeihung. Das wollten wir nicht“, kam es von ihnen im Chor.

Dies ließ Oscar lächeln.

„Ich weiß ihr beiden. Aber wollt ihr euch euren Bruder ansehen?“

Sofort sahen die Zwillinge auf und nickte. Rasch traten sie zu ihrer Mutter, die ihr Baby so auf den Arm genommen hatte, die Armand und seine Schwester ihn genau sehen konnten.

„Och, ist der süß“, sprach Camille ganz entzückt.

Sie streckte ihre Finger nach ihm aus und strich ihrem kleinen Bruder über die Wange.

„Wie heißt er den, Mama?“

„Sein Name ist Philippe.“

„Ich werde auf ihn aufpassen und ihm später alles zeigen.“, tat Armand mit stolz geschwelter Brust kund.

André nahm dies grinsend auf, als er sich aufrappelte und zu seiner kleinen Familie ging. Dort fuhr er seinem älteren Sohn durch sein Haar.

„Das wirst du bestimmt, Armand. Du bist schließlich sein großer Bruder.“

Sophie beobachtete das ganze aus leichter Entfernung. Ihre Augen schimmerten feucht und ihr Herz klopfte stark.

//Sie haben ihr Glück gefunden. Beide waren sich über so viele Jahre nahe und haben sich spät gefunden. Niemals hätte ich zu träumen gewagt, dass sie eines Tages eine Familie sein würden.//

Ohne dass die anderen es bemerkten, fuhr sie sich über ihre Augen und schluckte dabei leicht. Dann räusperte sie sich dezent.

„Armand? Camille? Mrs. Brightmore wartet. Eure Eltern und Philippe sind ja hier.“

„Sophie hat Recht. Ihr werdet genug Zeit haben.“

Die Zwillinge murrten, aber folgten jedoch der Bitte der beiden Frauen.

Kaum das sie das Zimmer verlassen, trat Marie-Anne zu ihnen. Sie hatte am gestrigen Abend nicht mehr mit André gesprochen. Nun begrüßte sie ihn erst einmal herzlich und beglückwünschte ihn zu seinem Sohn. Dann erfuhr auch sie, wie der Nachwuchs nun hieß. Sophie nahm Philippe Oscar ab und legte ihn seine Wiege, die von zwei Bediensteten herein gebracht worden war. Marie-Anne half derweil Oscar, damit sie sich besser in ihrem Bett hinsetzen konnte.

„André? Erzählst du uns nun was in Frankreich geschehen ist?“

Dies hatte Oscar ihn bereits fragen wollen, als Sophie das erste Mal im Zimmer erschienen war. Sie ahnte, dass er keine positive Meldung hatte, da ihre Eltern nicht anwesend zu sein schienen. Zudem wollte sie nicht, dass die Kinder dieses Gespräch mitbekommen sollten.

Ihr Gemahl hatte bereits damit gerechnet, zudem war es ihr Recht zu erfahren, was geschehen war.

„Zuerst soll ich allen Grüße ausrichten. Es geht ihnen gut.“

Alle nickten leicht und sahen André abwartend an.

„Aber warum haben sie dich nicht begleitet? Bitte sprich, André!“

Deutlich konnte man die Anspannung und Ungeduld in Oscars Stimme hören. Dies ließ André seinen Kopf senken. Dabei seufzte er leicht.

„Beginn von Anfang an André“, kam es von Marie-Anne.

Er sah sie an und nickte. Dann atmete er tief durch.

„Frankreich hat sich sehr verändert. Das Anwesen deiner Eltern und auch unser Haus sind dem Erdboden gleichgemacht worden.“

Diese Worte holten die Bilder in seiner Erinnerung und er schluckte hart.

„Was? Das kann nicht sein.“

Oscars Augen hatten sich geweitet. Auch wenn dieser Verlust nur materiell war, hatte sie an beidem gehangen. Zudem wusste sie, wie viel Herzblut in ihrem eigenen Zuhause war. So griff sie Andrés Hand und drückte sie leicht.

„Als ich dort war, stand kein Stein mehr auf dem anderen. Ich muss ehrlich zugeben, dass im ersten Moment wirklich Angst bekam, da ich keine Anzeichen fand, was mit deinen Eltern oder mit Großmutter geschehen war. Jedoch mein Glaube trieb mich weiter. Doch meine Sucher ergab nichts. Paris und seine Vororte sind für eine Person einfach zu groß.“

Schweigend nickten die anderen und lauschten weitern Andrés Ausführungen.

„Daher fiel mir nur eine Person ein, die mir vielleicht helfen konnte und zwar Alain. Ich hoffte, dass er noch lebte und so machte ich mich auf den Weg in die Stadt. Es war ein reiner Spießrutenlauf. Überall standen wachen oder Trümmer versperrtem einen den Weg. Jedoch habe ich es irgendwie geschafft. Nur wo sollte ich Alain nun finden? Ich wusste ja nicht, wo er wohnte. Aber da er zur Garde Francaise gehörte, wollte ich ihn in der Kaserne suchen. Jedoch musste ich dort feststellen, dass man ihn suchte. Man nahm mich gefangen.“

André ließ mit Absicht die Details darüber außen vor. Oscar würde es gewiss bald erfahren, aber im Moment musste sie sich erst einmal vollkommen erholen.

„Aber wieso? Alain ist doch ein rechtschaffener Mann“, warf Oscar ein.

„Ja, der Meinung bin ich auch. Jedoch gibt man ihm die Mitschuld an der Erstürmung der Bastille, da er, mit ein paar seiner Soldaten, zum Volk übergelaufen ist.“

„Das ist nicht dein ernst, André?“

„Leider ja. Jedenfalls hielt man mich ebenfalls für einen seiner Anhänger und setzte mich somit fest. Aber Alain erfuhr von meiner Anwesenheit und befreite mich. Sie brachten mich in ihr Versteck. Dort unterhielten wir uns lange und ich schilderte ihm meine Beweggründe, warum ich zurückgekehrt war. Er verstand und bot sich mir an, mich bei meiner Suche zu unterstützen, genauso wie seine Männer. Jedoch verlief alles ohne Ergebnis. Zudem kam, dass der Winter deutlich in Paris einzuggekehrt hatte. Gern hätte ich eine Botschaft geschickt, aber man hätte nichts in die Stadt hinein- oder herausbringen können. Dann war uns Mitte Dezember das Glück hold. Durch Zufall belauschten ein paar von Alains Männern einige Wachmänner. Sie erwähnten, dass der General vor geraumer Zeit beim König in den Tuilerien gewesen war. So begaben Alain und ich uns dorthin. Wir verharrten dort den ganzen Tag, ohne das wir ihn sahen und nur etwas von ihm hörten. Kurz bevor wir am späten Abend aufbrechen konnten, passierte uns ein Reiter. Ich erkannte ihn sofort. Es was Graf de Girodel. Er konnte nicht glauben, mich in Paris zusehen. Rasch schilderte ich ihm die Situation und er konnte uns helfen. Er brachte uns auf den richtigen Weg und beschrieb uns, wo deine Eltern sich aufhielten. Dann verabschiedete er sich von uns. Mit viel Glück gelang es Alain und mir die Stadt zu verlassen. Wir liefen die ganze Nacht hindurch, bis wir im Morgengrauen Pontoise erreichten. Dort sollten sich deine Eltern aufhalten und wir fanden sie. Natürlich waren sie überrascht uns zusehen. Sofort erkundigten sie sich nach dir und den Kindern. Aber wir waren ziemlich durchgefroren und ermüdet, dass deine Mutter uns ein paar Betten zur Verfügung stellte und wir uns ausruhen konnten. Später schilderte ich ihnen meinen Anwesenheitsgrund. Dabei erfuhr ich, dass meine Großmutter bereits hier bei dir sein sollte. Ich versuchte deine Eltern zu überzeugen, jedoch dein Vater, wie auch deine Mutter, wollten nicht. Vor allem dein Vater beharrte darauf in der Nähe der königlichen Familie zubleiben und bat deine Mutter mit mir zugehen, aber sie lehnte dies ab. Wir sollen uns keine Sorgen machen. Sie versprachen mir, als wir aufbrachen, dass sie, wenn es schlimmer werden würde, zu uns zukommen. Mehr habe ich leider nicht erreichen können. Es tut mir leid.“

Bei seinen letzten Worten senkte Oscar seinen Kopf. Schweigend hatten alle zugehört. Sophie kämpfte tapfer gegen ihre Tränen an, seit ihr klar geworden war, in welcher großen Gefahr er gestanden hatte. Marie-Anne war dies nicht entgangen und somit hatte sie ihre alte Amme in den Arm genommen. In Oscar herrschte Chaos. Auf einer Seite war sie überglücklich, dass André wieder bei ihr war, auf der Anderen jedoch blieb die Sorge um ihre Eltern. Ihr war nun wieder bewusst geworden, dass sie es hätte wissen müssen. Ihr Vater war sein Leben lang königstreu gewesen und dies würde er gewiss bis in den Tod sein. Oscar mochte und wollte nicht daran denken, dass sie ihre Eltern vielleicht niemals wieder sehen würde. Für einen Moment hatte sie das Gefühl in ein bodenloses Loch zustürzen, daher kuschelte sie sich an André und verbarg ihr Gesicht an seiner Schulter. Er hob etwas sein Haupt und sah sie von oben an. Deutlich spürte er ihre Anspannung und ein leichtes Zittern ihrerseits. Er ahnte, wie es in ihr aussehen musste, so schloss er sie zärtlich in seine starken Arme und strich ihr dabei beruhigend über den Rücken. Er hoffte, dass sie eines Tages nach Paris zurückkehren konnten. Nicht nur, um dort ein neues Leben zu beginnen, sondern auch ihre Eltern wieder im Kreise der Familie einschließen konnten. Aber dies würde gewiss noch dauern. Das wusste André, nach den Dingen, die er gesehen, erlebt und erfahren hatte. Jedoch behielt er dies für sich. Er wollte keine Angst und Sorge in den anderen schüren.

Vertrauen

André schaffte es für eine ganze Weile, dass Oscar seine Narben nicht bemerkte. Nicht, dass sie nicht ihr Bett miteinander teilten, jedoch André wollte Oscar, nach der Geburt körperlich nicht zu Nahe kommen und bedrängen. Er hatte schon früh gelernt, seinen Trieb zu zügeln, zudem stand ihn ihm Moment auch nicht der Sinn danach. Seine Gedanken waren viel seiner Familie. Hin und wieder trafen Boten mit Schreiben von Oscars Eltern ein. Es war selten viele Zeilen. Meist schrieben sie nur, dass es ihnen gut ging und niemand sich sorgen musste. Was hätten sie auch anders schreiben sollen.

Durch Olivier erfuhren sie, dass am 20. Februar 1790 Kaiser Joseph II. von Österreich an Tuberkulose verstorben war. Jedoch ahnte niemand, was daraufhin noch geschehen würde. Sein Nachfolger wurde sein jüngerer Bruder Leopold II., Großherzog der Toskana.

Alle nahmen diese Meldung normal auf. Ihr Augenmerk lag gänzlich auf ihrer Heimat Frankreich. Dort blieb es unruhig, aber es gab keine größeren Übergriffe.

Anfang März ging André wieder seiner Arbeit nach. Hier konnte er etwas abschalten. Oscar hingegen blieb noch bis Mitte des nächsten Monates zu Hause. Erst dann arbeitete auch sie weiter. Um noch für ihren Sohn dazu sein, war sie nur am Morgen bei ihrer Stelle. Auch sie war noch großer Sorge um ihre Eltern. Jedoch entging ihr dabei nicht, dass André sich stark verändert hatte seit seiner Rückkehr. Er war noch ruhiger und verschlossener. Zudem sprach er öfter im Schlaf. Jedoch war dies zu undeutlich, sodass Oscar es nie verstand. Ihr blieb nichts anderes übrig, als abzuwarten, dass ihr Geliebter sich ihr öffnen würde. Dies ließ Tage und Wochen verstreichen, ohne dass sich etwas dergleichen abzeichnete. Oscar wurde wieder einmal bewusst, dass sie mit André reden musste, wenn sie etwas erfahren wollte. Daher bat sie ihre Schwester auf ihre Kinder acht zugeben. Sie würde über Nacht fortbleiben. Marie-Anne erfüllte ihr diesen Wunsch, ohne nachzufragen. Oscar war ihr dankbar und so führte sie André in die gemeinsame Wohnung. Dort hatte sie es zuvor einiges vorbereitet. An der Wohnungstür verband sie ihrem liebsten die Augen.

„Warum tust du das, Oscar?“, fragte er, als sie dies tat.

„Du vertraust mir?“, erwiderte sie, ohne seine Frage zu beantworten.

„Natürlich tue ich das. Aber nun sage mir bitte, warum darf ich nichts sehen? Ist etwas mit unserer Wohnung?“

„Nein, es ist alles in Ordnung. Vertraue mir einfach.“

Oscar ergriff seine Hand und drückte sie zärtlich. Dann öffnete sie die Tür und trat mit ihm ein. Langsam führte sie ihm zum Salon. Dort prasselte ein kleines Feuer im Kamin. Zusätzlich erhellten einige, dezent platzierte Kerzen den Raum. Auf dem Boden vor dem Kamin war ein gemütliches Lager aus Decken und Kissen errichtete worden. Oscar geleitete ihn dorthin und drückte ihn anschließend zärtlich hinunter. Dort kniete sie sich hinter ihn und löste seine Augenbinde. André musste ein paar Mal blinzeln, bis sein Blick sich klärte. Kurz ließ er diesen Schweifen, bis er an Oscars lieblichem Antlitz hängen blieb.

„Ist heute etwas Besonderes?“

Während er sprach, rasten seine Gedanken, ob er wohlmöglich etwas vergessen hatte. Jedoch sah er, wie Oscar ihren Kopf schüttelte.

„Aber warum dann?“, fragte er und versuchte sich zu Oscar zu drehen, die noch immer hinter ihm kniete.

Jedoch stoppte sie ihn und hielt ihn sanft, aber bestimmt, an seinen Schultern fest.

„Du bist so verspannt, seid du wieder hier bist. Ich möchte dir nur etwas Gutes tun.“, sprach sie und begann Andrés breiten Schultern zu massieren.

Kurz verspannte sich dieser, jedoch war Oscar so zärtlich, dass er sich immer weiter begann sich zu entspannen. Dabei schloss er seine Augen und ließ seinen Kopf langsam nach vorne sinken. Oscar beobachtete ihn dabei. Ihre Lippen zierte ein Lächeln.

„Komm, zieh dein Hemd aus“, sprach sie leise direkt in sein Ohr.

André genoss ihre Massage so sehr, dass er nicht an seine Narben dachte und Oscars Wunsch erfüllte, indem er sein Hemd rasch über seinen Kopf zog. Oscar nahm es ihm ab und legte es beiseite. Dann begann sie wieder seine Schultern zu massieren. Jedoch stoppte sie kurz, um seinen Haarschopf nach vorne zu streichen. Anschließend setzte sie ihre Massage fort. Aber diesmal blieb sie nicht nur bei seinen Schultern, sondern sie ließ ihre Hände über sein breites Kreuz gleiten. Was sie dann verspürte, ließ ihre Augen sich weiten. Ihre Finger wurden langsamer und ihr Blick folgte diesen, wie sie über einige vernarbte Streifen glitt.

André bemerkte, dass sich etwas geändert haben musste. Daher hob er sein Haupt und drehte sich leicht zu seiner Geliebten. Dabei bemerkte er ihren eindeutigen Blick. André musste nicht lange nachdenken, um zu erkennen, was dies ausgelöst haben musste. Er löste sich kurz von ihr, um sich gänzlich zu ihr zu drehen. Anschließend ergriff er ihre Hände und streichelte diese zärtlich. So sah Oscar auf und ihm direkt in die Augen.

„Was ist mit deinem Rücken geschehen? Wer hat dir das angetan?“, flüsterte sie beinah.

Jedoch hatte Oscar das Gefühl, als würde sie fast schreien. André senkte kurz seinen Blick und schluckte.

„Verzeih, dass ich geschwiegen habe. Aber ich wollte dir nicht noch mehr Sorgen bereiten“, sprach er leise.

„Aber wann hättest du es mir sagen wollen? Oder hättest du dich mir gänzlich entziehen wollen?“

Oscar versuchte ihre Stimme keinen Klang von Enttäuschung und Vorwurf anklingen zulassen, jedoch gelang ihr dies nicht ganz. Zudem kannte André sie und er verstand sie auch. Er selber hatte sich darüber immer wieder den Kopf zerbrochen.

„Ich weiß es nicht“, gab er daher ehrlich zu.

„Nur glaube mir eins. Ich wollte dich nicht mit meiner Handlung verletzen.“

Oscar löste ihre Hände und erhob sich. Langsam ging sie auf das nächste Fenster und sah hinaus in das nächtliche London.

„Ich weiß, dass du dies niemals tun würdest. Aber dennoch schmerzt es mich zusehen, dass du mir scheinbar nicht vertraust.“

André erhob sich und ging ein paar Schritte auf sie zu. Jedoch zögerte er, sie in seine Arme zuschließen. Traurig senkte er nur seinen Kopf.

„Bitte verzeihe mir. Ich kann dich verstehen und das du nun dein Vertrauen in mich verloren hast. Dies habe ich niemals gewollt.“

Da André sie nicht ansah, konnte er die Reflektierung ihres Gesichts in der Fensterscheibe nicht sehen, in der deutlich erkennbar war, dass Oscars Augen Tränen verließen.

André kam sich mehr als schäbig vor. Er hatte sein Versprechen, welches er einst an sich selber richtete, gebrochen. Niemals hatte er Oscar verletzten wollen. Weder körperlich noch seelisch. Jedoch hatte er es nun getan.

„Du fragtest, wer es mir angetan hat? Ich will es dir sagen. Als ich in der Kaserne war, hat man mich verhört. Jedoch habe ich nicht die Informationen liefern können, so versuchten sie es mit Gewalt. Aber was hätte ich ihnen sagen sollen? Ich habe nichts gewusst. Der Kommandant, oder was immer er war, hieß Villefort.“

Oscar schwieg die ganze Zeit. Doch als sie den Namen hörte, weiteten sich für einen Moment ihre Augen. Anschließend verengten sie sich. Weiterhin sagte sie kein Wort, bis sie sich sicher war, dass ihre Stimme normal klang.

„Villefort? Persönlich habe ich ihn niemals kennen gelernt, aber es wurde gemunkelt, dass er einst zu den Menschen gehörte, die sich um den Herzog d’Orléans scharten. Er soll in geheimen Machenschaften verstrickt gewesen sein, jedoch konnte man ihm nie etwas nachweisen.“

Rasch wischte sie sich über die Augen, bevor sie sich zu ihm drehte. Kurz schluckte sie, als sie André halb unterwürfig vor sich stehen sah.

„Was hast du ihm gesagt, André?“

„Nichts. Wirklich.“

„Das kann nicht sein. Bitte denke darüber genau nach.“

„Ich habe ihm gesagt, warum ich in die Kaserne gekommen bin.“

„Und weiter?“, bedrängte Oscar ihn.

„Nichts. Ich habe ihm meinen Namen genannt.“

Oscar sah ihn musternd an.

„Vielleicht ist es das gewesen. Ihm dürfte nicht entgangen sein. Durch meine Arbeit in der Garde, habe ich ihm gewiss einige Male ins Handwerk gepfuscht. Du weißt, dass ich einigen Menschen ein Dorn im Auge gewesen bin.“

André hörte ihren Ausführungen zu und nickte.

„Und du meinst?“

„Ja, ich kann mir gut vorstellen, dass er dies als eine Art verspäteten Racheakt sah.“

Langsam trat sie auf ihn zu.

„Zugern hätte ich dir dies erspart“, sprach sie und strich ihm über die Wange.

„Ich weiß, aber ich habe es überstanden und glaube mir, für dich würde ich jeden Schmerz, jegliches Leid ertragen.“

Seine Worte rührten Oscar und ihre Augen schimmerten feucht.

„Ich danke dir, Liebster“, sprach sie nun zärtlich zu ihm.

„Bitte verzeihe mir, dass ich dich so angefahren habe.“

„Dir habe ich nichts zu verzeihen, Oscar. Ich habe dich verletzt.“

„Dies will ich nicht ganz abstreiten, da bin ich ehrlich zu dir. Aber irgendwie trage ich die Schuld daran. Hätte ich dich nicht bedrängt nach Paris zu reisen, wäre dies niemals geschehen. Ich…“

André stoppte ihre Worte, in dem er seine Finger auf ihre Lippen legte.

„Sag bitte nicht so etwas, Liebste“, sprach er nun.

Deutlich sah er, wie sie etwas erwidern wollte, jedoch schüttelte André seinen Kopf.

„Ich weiß, was du nun sagen willst, Liebste. Wir beide haben etwas damit zu tun. Aber lass uns nicht mehr daran denken. Ja?“

Oscar sah ihm direkt in die Augen, bevor sie nickte. Dann küsste sie zärtlich seine Finger. Dies löste einen wohligen Schauer in ihm aus, sodass er Oscar dicht an sich zog und sie zärtlich, mit einer zusätzlichen Leidenschaft, küsste.

Beide verbrachten einen romantischen und auch erotischen Abend miteinander.

Dieser Abend wirkte sich auf die gesamte Familie aus. André war entspannter und schlief die Nächte wieder durch. Dies nahm Oscar wohlwollend und lächelnd auf. Sie war froh, dass sie sich ausgesprochen hatten. Der Vertrauensbruch nagte noch etwas an ihr, aber nun, da sie wusste, was genau geschehen war, konnte sie es besser verarbeiten.
 

Philippe wuchs und gedieh prächtig, genauso wie es seine Geschwister taten. Vor allem Camille unterstützte sehr ihre Mutter. Sie schien einen große Freude daran zuhaben, ihn zu versorgen. Oscar nahm dies jedes Mal mit einem Schmunzeln auf. Auch wenn ihre Tochter ihr in vielen Dingen ähnlich war, zeigte sie auch eine Seite an sich, die Oscar von sich selber nicht oder nur kaum kannte. Aber sie ließ ihr Kind gewähren. Niemals würde sie Camille, Armand oder später Philippe einengen und in eine Etikette drängen wollen. Sie sollten es leichter haben, als sie und André. Und dies sah er ebenfalls so.

Weitere Wochen und Monate vergingen. Im Frühsommer erhielten sie die Meldung, dass die Nationalversammlung am 19. Juni den erblichen Adel abgeschafft hatte. Oscar und André konnten nur erahnen, wie die Adeligen diese Mitteilung aufnahmen. Genauso wie die Abgesandten der Kirche einen Monat später reagierten, als am 12. Juli die Zivilverfassung des Klerus beschlossen wurde, die französische Kirche zu verstaatlichen. Mehr als die Hälfte der französischen Geistlichkeit lehnte den Eid auf diese Verfassung, die noch nicht einmal verabschiedet war, ab.

Deutlich merkten Oscar und André nun, dass die Reden und die damit versprochen Veränderungen, die von Robespierre und seinen Anhängern, keine heiße Luft war. Der dritte Stand zeigte, wer deutlich, wer die Mehrheit im gesamten Staat war. Dies ließ erneute starke Sorge um Oscars Eltern steigen. Jedoch kamen, als hätten sie es geahnt, mehrer Briefe ihrer Mutter bei ihnen an. Sie bestätigte die Informationen, die sie erhalten hatten und das es ihnen gut ging. Zudem schilderte sie, dass viele der Adeligen die Tuilerien verlassen hatten. Das Königspaar wurde nur noch von wenigen treuen Menschen begleitet.

Diese Nachricht ließ Oscar erinnern. Sie hatte eine geraume Weile nicht mehr an das Königspaar und die Königskinder gedacht. Die Sorge um ihre eigene Familie war zu groß gewesen. Jedoch verspürte sie nun Scharm, dass sie die Frau, die Oscar einst Freundin nannte, vergessen hatte. Inständig hoffte Oscar nun, dass es dem Königspaar gut ginge und dass sich bald alles zum Besten wenden würde. Vor allem sorgte Oscar sich um die Königskinder. Wie mochte es ihnen nur ergangen sein?

André entging nicht, wie die letzten Briefe von Madame de Jarjayes von seiner Liebsten aufgenommen worden waren. Sanft nahm er sie in den Arm, was sie mit einem Ankuscheln an seine Brust quittierte. Zärtlich strich er ihr über den Rücken.

„Wir dürfen unseren Glauben und unsere Hoffnung nicht aufgeben“, sprach er leise zu ihr.

Oscar hielt sich an seinem Hemd fest und nickte zaghaft.

„Ich glaube du hast recht. Aber dennoch verspüre ich tief in mir ein ungutes Gefühl“, erwiderte sie kaum hörbar.

„Ich weiß, Oscar. Ich weiß.“
 

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Anmerkung: Der Name Villefort ist von mir erdacht und es gab keinen, mir bekannten, Zusammenhang mit dem Herzog d’Orléans.

Immer mehr Ereignisse überschlagen sich

Das Augenmerk aller lag auf dem revolutionieren Frankreich. Hin und wieder trafen Meldungen von Änderungen ein. Jedoch waren diese oft nur Bruchstückhaft. Auch von Oscars Eltern erfuhren sie diesbezüglich nichts. Teils beruhigte es sie, teils aber auch nicht. So verstrich das Jahr 1790, in welchem die Familie Grandier noch bei Marie-Anne wohnte. Jedoch zog es sie im darauffolgenden Jahr zurück in ihre Wohnung. Oscar hatte sich zwar an das Leben mit ihrer Schwester gewöhnt, jedoch wollte sie ihr nicht weiter zur Last fallen. Die älteste der Jarjayes Kinder sah dies zwar nicht so, konnte aber dennoch die Entscheidung der Jüngeren verstehen. Sophie hatte freie Wahl und rasch hatte die alte Dame diese getroffen. Sie wollte Oscar und ihre Familie unterstützen. Alle waren damit einverstanden und so kehrte die nun sechsköpfige Gruppe wieder in die Wohnung ein. Sophie erhielt dort ein kleines, aber gemütliches Zimmer. Die anderen bezogen ihre normalen Räume. Nur Philippe kam mit seiner Wiege in das gemeinsame Schlafzimmer von Oscar und André. Ihr Sohn war noch zu klein und Oscar wollte ihn in ihrer Nähe wissen. Diese Entscheidung war verstärkt worden, als Philippe eine schwere Erkältung bekam und der Arzt fast täglich nach ihm sehen musste. Alle machten sich große Sorgen um ihn. Erst als die Zwillinge Geburtstag hatten, war er vollends genesen. Jedoch wurde die entspannte Stimmung je gestört, als sie die Meldung erhielten, dass das Königspaar am 20. Juni, zusammen mit ihren Kindern, Madame Elisabeth, der Gouvernante der Königskinder und drei Leibgardisten aus Paris geflohen und in Varennes Tage später festgesetzt worden waren. Was genau Geschehen und wie es zu dieser Entscheidung zur Flucht entstanden war, erfuhren Oscar und André nicht. Sie erfuhren nur, dass man die Flucht kurz darauf als Entführungsversuch auslegte, da General de Bouillé, der die Verantwortung für das ganze übernahm, geflohen war. Oscar kannte ihn noch aus ihrer Zeit in der königlichen Garde und durch ihren Vater. Sie konnte nur erahnen, was die wahren Beweggründe gewesen sein konnte. Nun hoffte Oscar Tag für Tag auf Meldungen von ihren Eltern. Jedoch dauerte es eine ganze Weile bis Emilie de Jarjayes ihr schrieb. Von ihr Erfuhren sie nur, dass das Königspaar sich wieder in den Tuilerien aufhielt und die Stimmen in der französischen Hauptstadt weiter zunahmen, die die Absetzung des Königs forderten. Genauso erhielten sie die Information über das Massaker auf dem Marsfeld am 17. Juli bei dem Hunderte Pariser den Tod fanden.

Oscar und André konnten es kaum glauben, als sie davon hörten. Dass es solche Ausmaße annehmen würde, damit hatten sie nicht gerechnet.

Das König Friedrich Wilhelm II. von Preußen und Kaiser Leopold II. des Heiligen Römischen Reiches in der Pillnitzer Deklaration am 27. August beschließen, die französische Monarchie zu stützen, erfahren Oscar und André erst viel später.

Dafür erhielten sie die Meldung, dass die französische Verfassung am 3. September in Kraft getreten war und das Ludwig XVI. den Eid am 14. September darauf geschworen hatte, sehr schnell. Durch die Verfassung änderte sich das revolutionäre Frankreich von einer absolutistischen zu einer konstitutionellen Monarchie änderte.

Dies nahmen alle mit gemischten Gefühlen auf. Weiterhin blieb der Blick besorgt auf Frankreich gerichtet.

Oscar stand daher oft abends am Fenster und schaute hinaus. Ihre Gedanken waren jedes Mal weit fort. André fand sie oft mit verschränkten Armen vor. Ihm ging es kaum anders als ihr. Meist schloss er sie einfach stumm in seine Arme. Sophie beobachtete sie dabei. Auch an der alten Dame ging die Wandlung ihrer einstigen Heimat nicht spurlos vorbei. Sie litt am meisten unter der gesamten Situation, auch wenn sie es nicht offen zeigte. Sophie fühlte sich in England zwar wohl, aber sie hatte sehr oft Heimweh. Sie war nun einmal in Frankreich geboren und ihr Herz war dort geblieben. Mit der Abreise nach England hatte sie gehofft, rasch wieder zurückzukehren. Aber nun befand sie sich seit über einem Jahr in London und die Situation in ihrer Heimat hatte sich nur verschlimmert. Auch wenn das ehemalige Kindermädchen Oscars es versuchte zu verbergen, wie sie sich fühlte, entging es den anderen nicht. Sophie war sichtlich gealtert und nicht nur dies. Viele, früher normale Handgriffe und Tätigkeiten, wurden für sie immer schwerer. Vor allem André entging das Ganze nicht. Er verspürte eine große Angst, dass er seine Großmutter vielleicht für immer verlieren konnte. Diese verstärkte sich, als Sophie sich eines Tages nicht wohl fühlte und im Bett liegen blieb. Sofort verständigte Oscar einen Arzt. Dieser blieb eine ganze Weile bei der alten Dame, bevor er Oscar und André seine Diagnose mitteilte.

„Was hat sie?“, fragte Oscar ihn sogleich, als er zu ihnen trat.

„Körperlich ist sie für ihr Alter vollkommen gesund, jedoch macht mir ihr seelischer Zustand Sorgen. Sie leidet an schweren Depressionen. Ich werde ihr einige Mittel dalassen. Falls sich der Zustand der Patientin verändern sollte, schickt mir einen Boten.“

Geschockt hatten Oscar und André ihm zugehört.

„Das werden wir tun“, sprach sie, dann ihr Geliebter nichts hervorbrachte.

Der Arzt nickte und verabschiedete sich kurz darauf von den Beiden. Oscar geleitete ihn noch zur Tür. Als sie wieder zurückkehrte, stand André, von ihr abgewandt, am Fenster. Langsam trat seine Gemahlin zu ihm und strich ihm zärtlich über den Rücken, als sie an ihm vorbei trat. So entging ihr nicht, wie er rasch seine Augen schloss und seine Muskulatur sich anspannte. Oscar ahnte, wie es in ihm aussehen musste. So zögerte sie nicht und schloss ihn sicher in ihre Arme. Weiterhin blieb André angespannt, doch langsam löste sich dies und er sank an ihr herab auf seine Knie. Er krallte sich in ihre Kleidung und vergrub seinen Kopf an ihrem Bauch. Sein Schluchzen und Zittern konnte sie deutlich spüren. Auch in ihren Augen standen Tränen, während sie ihn versuchte zu beruhigen. Ihr Herz schmerzte ihn so leiden zusehen. Gern hätte sie ihm den Schmerz genommen, aber sie wusste, dass sie es nicht konnte. Ihre einzige Möglichkeit, die sie ohne zuzögern annahm, war ihm mit all ihrer Kraft und ihren Gefühlen ihm beizustehen. Es fiel ihr nicht leicht, aber sie würde immer zu ihm stehen und ihn jederzeit unterstützen.

„Ich will sie nicht verlieren“, sprach er nach einer Weile kaum verständlich.

„Das werden wir auch nicht, Liebster“, erwiderte Oscar, nach dem sie ihre Tränen hinunter geschluckt hatte.

„Was macht dich so sicher? Du weißt, dass Großmutter nicht mehr die Jüngste ist.“

„Das ist wahr, aber sie ist unglaublich zäh. Wir müssen an sie glauben.“

„Ob es wirklich so einfach ist? Wie sollen wir sie aus ihren Depressionen heraushelfen?“

„Ich weiß es nicht. Da bin ich vollkommen ehrlich zu dir. Aber ich werde alles versuchen, damit es ihr bald besser geht.“

Als Oscar sprach, hob er langsam seinen Kopf und sah zu ihr hoch. So konnte sie seine geröteten Augen und seine nassen Wangen sehen. Dies veranlasste sie nun ebenfalls auf die Knie zugehen und sein Gesicht in ihre Hände zunehmen.

„Ich glaube fest an sie, dass sie den Willen hat zu Leben. Wir müssen ihr nur helfen, damit sie wieder Vertrauen zu sich selber fassen kann.“

Während Oscar sprach, strich sie ihm die Tränen fort.

„Verlier niemals den Glauben in sie“, führte sie weiterhin fort.

André schwieg und schluckte kurz. Dann nickte er kaum merklich.

„Auch wenn es mir nicht leicht fällt, glaube ich, dass du Recht hast.“

Vorsichtig löste er ihre Hände, die er darauf kurz mit seinen Küssen bedeckte. Anschließend versiegelte er ihre Lippen mit den seinen und drückte sie dabei dicht an sich. Er war äußerst zärtlich und Oscar genoss es sehr. Dabei konnte sie all seine Gefühle, seine Liebe zu ihr und den Kindern, aber auch die Angst und die Verzweifelung um seine Großmutter, deutlich spüren. Gegenseitig gaben sie sich, nur durch ihre gegenseitige Nähe, die Kraft, die sie brauchten, um die bevorstehende Zeit durchzustehen.

Gemeinsam bemühten sie sich in den darauffolgenden Tagen und Monaten sehr um die alte Dame. Dabei achteten sie darauf, dies nicht zu auffällig zu gestalten, damit Sophie sich durch die zusätzliche Hilfe, nutzlos fühlte. Es war kein leichtes Unterfangen für die beiden. Zumal sie Sophie gut genug kann und somit sich den Konsequenzen bewusst waren, was geschehen würde, wenn die alte Dame ihre Unterstützung bemerkte. Unbewusst wurden sie auch von Camille und Armand unterstützt, die sich mit Fragen etc. oft an Sophie wandten. Sie hatten schon früh gemerkt, dass ihre Urgroßmutter viel Zeit und Geduld sich nahm, um ihnen etwas zu erklären. Und seid Sophie wieder bei ihnen war, hielten sie sich oft bei ihr auf.

Es dauerte, aber die beiden schafften es, dass die alte Dame sich erholte. Oscar und André freuten sich sehr darüber. So konnten sie ihre Aufmerksamkeit wieder anderen Dingen widmen. Allein ihre Stellen nahmen sie stark ein. Zudem zeigte sich der Wandel Londons immer stärker. Die industrielle Revolution machte langsam seine ersten Schritte.

Philippe, der sich nach seiner Krankheit nun sehr gut entwickelte, begann er zu krabbeln. Damit hielt er jeden im Haushalt auf Trab. Daher gab es nie Ruhe im Haus. Es war immer jemand in Philippes Nähe, damit ihm nichts geschah. Dies passierte auch nicht, jedoch traf es jemanden anders. Oscar wollte ihn unter dem Küchentisch hervor holen, als sie auf einmal einen starken Schmerz in ihrem Rücken. Schwer atmend und mit schmerzverzerrtem Gesicht stützte sie sich auf dem Tisch ab. Sophie hatte Oscars Aufschrei, der kurz zuvor verhalt war, gehört und war daher in die Küche geeilt. Dort fand sie Oscar so vor.

„Was hast du mein Kind? Ist etwas passiert?“

„Ich wollte Philippe hochheben, dann verspürte ich einen stechenden Schmerz in meinem Rücken“, presste sie hervor.

Vorsichtig legte Sophie ihre Hand auf die Stelle, die ihr ehemaliger Schützling ihr zeigte.

„Es sieht ganz danach aus, als hättest du einen Hexenschuss.“

„Bin ich dafür nicht zu jung, Sophie?“, war die leicht empörte Antwort Oscars.

„Erstens bist du bereits 36 Jahre alt. Zudem arbeitest du sehr viel und einen Schuss kann man rasch bekommen.“

Oscar knurrte etwas unverständliches, was Sophie lächeln ließ.

„Ich bringe dich in dein Schlafzimmer und mache dir dann einige warme Umschläge. Die werden dir gut tun. Du wirst dich nur einige Tage schonen müssen.“

Vorsichtig stützte die alte Dame sie und brachte sie, wie angekündigt, in das Schlafzimmer. Dort half sie Oscar sich lang zumachen. Anschließend holte sie die Tücher, um ihr diese auf Oscars Rücken zulegen. Diese verzog ihr Gesicht.

„AU, das tut weh, Sophie! Und das ist viel zu heiß! Willst du mich verbrühen?“, nörgelte Oscar sofort lautstark.

Jedoch kannte die ehemalige Amme sie gut genug, dass sie nicht einmal mit der Wimper zuckte.

„Übertreibe nicht. Jetzt mag es sich unangenehm anfühlen, aber es wird dir helfen. Ich kann aber die Tücher auch entfernen, dann wird dein Rückenleiden viel länger dauern“, erwiderte sie trocken.

Abermals knurrte Oscar etwas Unverständliches. Jedoch bemerkte sie, dass die Wärme ihr scheinbar gut tat und sie sich etwas entspannen konnte. Dies ließ ihr Grummeln weniger werden.

„Danke, Sophie“, gab sie leicht zerknirscht zu.

Die alte Dame lächelte sie milde an.

„Ich habe es gern getan. Nun ruhe dich aus, ich kümmere mich um Philippe.“

Kaum hatte sie den Namen genannt, schreckte Oscar hoch. Jedoch wurde diese ruckartige Bewegung sofort mit einem starken, stechendem Schmerz und einem Aufschrei ihrerseits quittiert.

„Philippe! AUA!“

Sophie erschrak kurz und fasste sich an ihre Brust. Dann aber drückte sie geistesgegenwärtig ihren ehemaligen Schützling bestimmt zurück in die Kissen.

„Er ist allein, Sophie… in der Küche…“, presste sie zwischen zusammen gebissnen Zähnen hervor.

„Ich sehe sofort nach ihm, aber du bleib bitte liegen.“

„Aber…“

„Kein aber! Du bleibst liegen!“, kam es eine Spur härter.

Oscar senkte leicht demütig ihr Haupt. Ihr Rücken schmerzte viel zu sehr, als das sie etwas unternehmen hätte können. Sophie nahm dies mit einem Nicken auf und begab sich anschließend in die Küche.

„Philippe?“, rief sie sanft nach ihm, jedoch blieb das freudige Glucksen ihres Urenkels aus.

Ihr Blick wanderte durch die Küche, dann sah sie unter den Tisch und die Stühle. Jedoch konnte sie ihn nirgends ausmachen. Abermals rief sie nach ihm. Dabei bemerkte sie, dass die Tür zur Vorratskammer offenstand. Auf diese Schritt sie zu und öffnete die Türe weiter. Ihr Blick huschte durch den schmalen Raum, jedoch entdeckte sie nichts. In dem Moment, als sie wieder hinaustreten wollte, machte sie eine Entdeckung. Unter den Regalen mit den Lebensmitteln und Töpfen stand ein Weidenkorb mit ein paar Äpfeln. Auf bzw. zwischen ihnen lag ihr Urenkel, den Daumen im Mund und schlief. Sophie konnte ein Grinsen und ein Kopfschütteln nicht unterdrücken. Dann hob sie ihn hoch, legte ihn sicher in ihren Arm und ging mit ihm zu Oscar, die schon abwartend zur Schlafzimmertür starrte. Als sie ihr ehemaliges Kindermädchen sah, wollte sie sich aus Reflex erheben. Doch sofort merkte sie, dass dies keine gute Idee war. So blieb sie liegen und sah Sophie entgegen.

„Wo war er?“, fragte sie ihn, dabei entging ihr Sophies belustigter Gesichtsausdruck nicht.

„Was hast du? Sprich bitte“, forderte sie sie auf.

„Er ist in den Vorratsraum gekrabbelt. Dort muss er im Apfelkorb eingeschlafen sein.“

Oscar kicherte, als sie dies hörte.

„Seine liebe zu den Äpfeln scheint er von seinem Vater geerbt zu haben“, sprach sie leicht lachend.

„Das glaube ich auch“, erwiderte Sophie leicht glucksend.

Dann legte sie ihren Urenkel in seine Wiege und deckte ihn zu.

„Nun lasse ich euch etwas ausruhen. Wenn etwas ist, ruf nach mir.“

„In Ordnung. Und Sophie?“

Die alte Dame war auf die Zimmertür zugegangen. Nun blieb sie dort stehen und sah zu Oscar.

„Ja, mein Kind?“

„Danke“, erwiderte diese lächelnd.

„Kein Dank, ich habe es gern getan.“

Sophie lächelte ebenfalls und zog sich dann zurück. Oscar sah ihr kurz hinterher. Dann fiel ihr Blick auf die Wiege. Jedoch wurde sie bald vom Schlaf übermannt.

Wie die Mutter, so die Tochter

Oscars Genesung zog sich hin und dies ließ ihre Stimmung, die seit Beginn der Schmerzen schon auf dem Tiefpunkt war, nicht ansteigen. Je länger es dauerte, desto unausstehlicher wurde sie. Ihre Stimme hatte längst ihren alten militärischen Ton wiedererlangt und dies bekam jedes Familienmitglied mehr als deutlich zu spüren und zu hören.

Auch vor ihren Kindern konnte Oscar sich kaum noch zusammen reißen. Es war einfach nicht ihre Art untätig ihre Hände einfach in den Schoß zulegen. Oft registrierte sie dann ihre Wutausbrüche, wenn es zu spät war. André hielt es oft für besser, sie allein zu lassen, um nicht immer den Sündenbock zuspielen. Ihm war bewusst, dass dies Verhalten seinerseits nicht korrekt war, jedoch konnte er es auch nicht immer ertragen. Daher kam es ab und zu vor, dass er später von seiner Arbeit zurückkehrte und blieb dann auch nicht die ganze Zeit bei seiner Gemahlin. André zog es lieber vor, seiner Großmutter in der Küche Gesellschaft zuleisten. Seine Kinder hatten diese Möglichkeit nicht, wenn sie zuhause waren. Armand zog sich meist in sein Zimmer zurück und behielt seine Meinung für sich. Camille hingegen, brach die ersten Male oft in Tränen aus, auch wenn man deutlich in ihren Augen sah, dass sie es eigentlich nicht wollte. Meist war es nur der Schreck, der ihre Augen feucht werden ließ. Oscar tat es jedes Mal mehr als leid, wenn sie ihre Kinder so sah. Daher kam sie oft, aus dem Entschuldigen kaum heraus. Aber sie konnte einfach aus ihrer Haut nicht hinaus.

Sophie beobachtete das Ganze mit gemischten Gefühlen. Als sie Oscars ersten Wutausbruch gehört hatte, suchte sie sofort die Schuld bei ihrem Enkel, wie sie es schon früher getan hatte. So hatte er ihr Nudelholz zuspüren bekommen. Jedoch merkte Sophie rasch, dass sie im Unrecht gewesen war. Es fiel ihr nicht leicht, dies einzugestehen, aber sie entschuldigte sich bei André, worüber dieser sehr überrascht war. Dies Ganze hatte zur Folge, dass die beiden einige Abende zusammen saßen und er ihr berichtete, was ihn bewegte. Mit Oscar waren solche Gespräche im Moment einfach nicht möglich. André traf dies sehr, sodass er angefangen hatte, sich in sich zurückzuziehen. Sophie bemerkte dies sehr deutlich und daher versuchte sie an Oscar heranzukommen. Jedoch war dies ein ziemliches Unterfangen. Meist endete eine ruhig begonnene Unterhaltung in einem Streit, sodass die alte Dame doch teils ziemlich eingeschnappt war. Daher fiel Sophies Hemmschwelle immer rascher, wenn sie hörte, dass Oscar ihre Wut an den Kindern, ihren Urenkeln, ausließ.

An einem Abend eskalierte eine Situation gänzlich. Eigentlich hatten die Zwillinge ihrer Mutter nur berichten wollen, was sie heute mit ihren Cousins und der Cousine gemacht und erlebt hatten, jedoch erwischten sie Oscar auf dem falschen Fuß. Sie hatte Aufstehen wollen, nicht auf ihre Bewegungen geachtet und somit starke Schmerzen bekommen hatte. Es war ihr eigener Fehler und das wusste Oscar, jedoch wurden ihre Kinder beinah ungewollt zu den Verursachern abgestempelt.

Armand legte die Arme um seine Schwester, als in deren Augen wieder die Tränen schimmerten, jedoch stieß sie ihn unsanft zur Seite.

„Lass mich!“, fuhr sie ihn grob an.

„Aber Camille…“, versuchte er sie zu beruhigen.

„Kein aber!“, erwiderte seine Schwester lautstark.

Camille sah ihre Mutter vorwurfsvoll an, dabei funkelten ihre Augen böse.

„Immer werden wir zum Südenbock gemacht! Oder Papa und Uroma müssen leiden! Nur weil du schlechte Laune hast! Das ist nicht fair! Du hörst uns gar nicht mehr zu! Ich mag überhaupt nicht mehr nach Hause kommen! Du denkst nur an dich! Dir sind alle anderen und deren Gefühle vollkommen egal! Du siehst nur dich, dich, dich! Und nichts anderes! Da bleibe ich lieber bei Tante Marie-Anne und Onkel Olivier! Die haben ihre Kinder lieb und nicht wie du…“, schrie sie Oscar fast an.

Diese war mehr als erschrocken. Nicht nur, weil so ein respektloses Verhalten ihrer Tochter ihr gegenüber nicht kannte, zudem hätte Oscar sich so etwas als Kind niemals gewagt, geschweige denn erlauben dürfen, sondern auch, weil Camille ihren Gefühlen freien Lauf ließ und diese deutlich beim Namen nannte.

Oscar schluckte mehr als hart und war nicht im Stande, nur ein Wort darauf zu erwidern. Auch nicht, als Camille mit verschränkten Armen den Raum verließ. Kurz darauf war nur das Knallen ihrer Zimmertür zu vernehmen.

Armand stand, bildlich gesehen, zwischen den beiden. Sein Blick war seiner Schwester gefolgt, bevor er seine Mutter direkt ansah.

„Camille hat recht, Maman. Ich gebe es nur ungern zu, jedoch entspricht es der Tatsache“, kommentierte er das Verhalten seiner Schwester.

Dann ging auch er in sein Zimmer.

Oscar hatte weiterhin geschwiegen. Sie fand einfach keine Worte. Mit geweiteten Augen und leicht offen stehendem Mund blickte sie auf ihre Zimmertür.

//Was habe ich nur getan? Wie konnte ich das meinen Kindern nur antun?//

Sophie hatte Camille schreien hören. Sofort hatte sie ihre Hände in ihrer Schürze abgetrocknet und verließ mit ärgerlicher Miene die Küche. Ihr zügiger Schritt führte sie zu dem Ort, woher der Lärm gekommen war. Dort sah sie, wie Camille in ihr Zimmer lief und Armand, der kurz darauf in das seine ging. An dem Raum, welches ihrer Urenkelin gehörte, stoppte sie und klopfte an.

„Ich will niemanden sehen!“, kam es dumpf.

„Aber Camille. Ich bin es“, erwiderte Sophie sanft.

Kurz blieb es still, bevor ihre Urenkeln antwortete: „Komm rein.“

Sophie hatte bereits ihre Hand auf die Türklinke gelegt, als sie Camilles Stimme vernahm. Ruhig betrat die alte Dame das Zimmer. Nachdem sie die Tür geschlossen hatte, schritt sie auf Camilles Bett zu, auf der das Mädchen bäuchlings lag. Neben ließ sie sich nieder und strich ihrer Urenkeln sanft über den Rücken. Dabei schwieg sie. Sophie wusste, wie ähnlich Camille doch ihrer Mutter war und man sie daher auch nicht bedrängen sollte. Wenn, musste das Mädchen von sich aus reden wollen.

Allein die Nähe ihrer Urgroßmutter öffneten nun sämtliche Schleusen bei Camille. So schnell wie sie sich halb erhob und ihr Gesicht im Kleid Sophies vergrub und dies mit bitteren Tränen nässte, konnte die alte Dame nicht mehr reagieren.

„Shhht…, mein Kind. Ich bin doch bei dir“, sprach sie beruhigen auf sie ein, als sie ihr zärtlich durch das lange Haar strich.

„Es ist nicht fair… einfach nicht fair…“, kam es schluchzend von Camille.

„Ich weiß, mein Kind“, erwiderte Sophie, ohne ihre Handlung zu unterbrechen.

„Sag, hat Maman uns nicht mehr lieb?“

Langsam hob Camille ihren Kopf und ihre geröteten Augen kamen zum Vorschein.

Sophie schluckte hart, nicht nur wegen dem Anblick, sondern auch wegen den Worten ihrer Urenkelin. Um kurz sich etwas sammeln zu können, strich sie Camille die Tränen fort.

„Das darfst du nicht denken. Natürlich liebt deine Mutter dich, genauso wie deinen Bruder. Und ich bin mir sicher, dass sie es nicht böse gemeint hat.“

„Glaubst du das wirklich? Sie sagt immer, dass es ihr leid tut, aber es bessert sich nicht! Ich habe eher das Gefühl, dass es nur schlimmer wird“, sprach Camille schniefend weiter.

Sophie seufzte bei ihren Worten, vor allem weil sie wusste, dass das Mädchen recht hatte.

Zärtlich strich sie ihr eine lose Haarsträhne nach hinten.

„Weißt du, ich kenn deine Mama schon als Baby. Sie hat kein leichtes Leben gehabt.“

„Meinst du, wie Opa sie erzogen hat?“

Sophie nickte zustimmend.

„Ganz genau.“

„Wie war es früher? Papa hat mal etwas erwähnt, aber wie war es den wirklich? War Opa wirklich so streng? Er ist doch immer so lieb gewesen.“

Sophie konnte ein kurzes Grinsen nicht unterdrücken. Dann nickte sie leicht.

„Er war immer sehr streng, aber auch gerecht. Ich war zwar absolut gegen seine Entscheidung, aber er war der Herr im Haus und hatte somit das Recht dazu.“

Sanft strich sie ihrer Urenkelin über die Wange.

„Weißt du, du bist deiner Mutter sehr, sehr ähnlich.“

„Wirklich?“

Nun sah Camille ihre Urgroßmutter interessiert an. Sophie nickte zustimmend und begann ihr von Oscar Kindheit zu erzählen. Camille konnte kaum fassen, was sie erfuhr.

„Also daher hat Mama auch immer Hosen getragen.“

„Ja, das ist wahr. Aber diese Zeit hat sie sehr geprägt. Auch wenn sie seit ihrer Hochzeit sich stark verändert hat, hat sie noch einen Teil tief in sich bewart. Und sie war nie jemand, der geduldig gewartet hat. Sie musste immer etwas tun, wenn sie sich mit deinem Vater duelliert hat“, erzählte Sophie.

„Weißt du, mein Kind, ich kann dich und deinen Bruder verstehen. Aber war es dennoch nicht etwas respektlos, wie du dich ihr gegenüber verhalten hast? Mir ist bewusst, dass Oscar bei Armands und dir darauf bestanden hat, dass ihr nicht unter einer strengen Erziehung leiden sollt, aber soll dies irgendwo der dank sein? Verstehe mich bitte nicht falsch Camille. Ich nehme deine Mutter nicht in Schutz nehmen für ihre Handlung, jedoch möchte ich, dass du es verstehst.“

Camille hörte ihr ruhig zu und senkte dann ihren Kopf.

„Ich habe es so auch nicht gemeint. Nur ich hatte das Gefühl, dass ich platzen würde, wenn ich es nicht sage. Ich musste einfach alles hinauslassen.“

„Ja, Camille, ich verstehe dich“, erwiderte Sophie und sah sie dabei sanft an.

„Bitte glaube mir, ich habe sie wirklich lieb“, sprach Camille nun leise weiter, wobei eine Spur Tränen in ihrem Ton zu vernehmen war.

Sophie drückte ihre Urenkelin dicht an sich.

„Ich weiß. Beruhige dich ein wenig. In der Zeit bringe ich dir eine heiße Schokolade und später gehst du zu ihr und redest mit ihr. Vielleicht musste dies alles sein, auch wenn ich einen Streit nicht für gut heiße, deine Mutter wird bestimmt auch darüber nachgedacht haben.“

Camille sah ihre Urgroßmutter an und nickte nach einem kurzen Zögern.

Was beide nicht bemerkt hatte, war Armand der im Türrahmen stand. Er war, nach mehrmaligem Anklopfen, leise eingetreten und hatte daher Sophies Erzählungen mit anhören können. Erst als Sophie von Camille abließ und sich erhob, wurde er bemerkt. Kurz nickte er und ging wieder zurück in sein Zimmer.

Sophie nahm dies wohlwollend auf und verließ ebenfalls das Zimmer in Richtung Küche. Nachdem sie etwas später ihrer Urenkelin und auch ihrem Urenkel die heiße Schokolade gebracht hatte, ging sie zu Oscar. Dies hatte ihre Haltung kaum verändert. Ihr Mund war geschlossen und ihr Blick ruhte abwesend auf ihren Händen. Dass die Tür sich öffnete, bemerkte sie nicht. Genauso wenig spürte sie, dass Sophie sie ansah.

„Es tut weh, nicht wahr?“, unterbrach die ehemalige Amme die Stille.

Dies ließ Oscar aus ihrer Apartheid aufsehen. Ohne etwas zu erwidern, blickte sie sie an, bevor sie kaum merklich nickte. Dann senkte sie abermals ihr Haupt und starrte abermals wieder auf ihre Hände.

„Ich habe es wirklich nicht gewollt, Sophie. Das musst du mir glauben. André und meine Kinder sind doch mein ein und alles. Ich liebe sie aus tiefstem Herzen! Niemals hätte ich sie verletzen wollen.“

Langsam hob sie ihren Kopf, um wieder zu ihrem ehemaligen Kindermädchen zusehen.

„Bin ich wirklich so egoistisch? Bitte sei ehrlich.“

Sophie ließ sich seufzen auf einem Stuhl an dem Bett Oscars nieder.

„Ja und nein. Du weißt, ich kann es nicht für gut heißen, wie du mit Camille und Armand umgesprungen bist. Sie tragen keine Schuld an deinen Schmerzen. Dennoch kenne ich dich, mein Kind. Einfach hier liegen und nichts tun, hat dir noch nie gelege“, erwiderte Sophie ruhig.

„Ich hätte es dennoch nicht soweit kommen lassen dürfen.“

Oscar fuhr sich mit einer Hand durch ihre blonden Haare. Sophie sah sie an, jedoch als sie etwas erwidern wollte, bemerkte sie eine Bewegung in ihrem Augenwinkel. Es war Camille, gefolgt von Armand. Dies ließ Sophie erheben. Da der Stuhl leicht knarrte und eine Antwort ausblieb, sah Oscar auf und bemerkte, wie ihr ehemaliges Kindermädchen auf die Tür zuging. Darüber war sie überrascht, damit hatte sie nicht gerechnet. Sophies Kleid und die Dunkelheit des Flures versperrten Oscar die Sicht. Erst als ihr ehemaliges Kindermädchen zur Seite trat, entdeckte Oscar ihre Kinder. Armand wirkte ruhig und leicht verschlossen. Camille hingegen nestelte an dem Saum ihres Kleides. Dies ließ ihre Mutter hart schlucken. Zudem traute sie sich nicht wirklich das Wort an ihre Zwillinge zurichten. Diesen schien es kaum anderes zu ergehen. Die Situation war mehr als angespannt, was jeder deutlich spürte. Sophie sah zwischen allen hin und her. Gern hätte sie etwas gesagt, jedoch war ihr bewusst, dass es eine Sache zwischen den dreien war. Daher hielt sie sich zurück. Das einzige was sie tat war, dass sie Camille ihre Hand auf die Schulter legt und ihr aufmunternd zunickte. Anschließend verließ sie das Zimmer.

„Ver… Verzeihung, ich wollte vorhin nicht so respektlos erscheinen.“, haspelte Camille schnell.

„Du, nein ihr habt mir zu verzeihen. Ich hätte euch nicht anfahren dürfen. Camille, du hast recht mit deinen Worten gehabt. Ich habe immer nur an mich gedacht…“

„Und ich hätte nicht so reden dürfen“, unterbrach ihre Tochter die Worte Oscars.

„Ich habe dich doch lieb“, setzte sie sofort noch hinzu.

Oscar schluckte und richtete sich etwas auf, wobei sie kurz ihr Gesicht vor Schmerz verzog. Dies entging ihren Kindern nicht.

„Bitte bleib liegen, Maman“, kam es von Armand, als er dies sah.

Darauf folgte, dass die Unterlippe seiner Schwester zu erzittern begann und in ihren Augen sammelten sich Tränen. Rasch raffte sie ihre Kleider und rannte auf das Bett ihrer Mutter zu.

„Du musst wieder gesund werden. Hör doch bitte. Wir brauchen dich doch.“

Camille konnte sich kaum zurückhalten, um ihrer Mutter nicht um den Hals zufallen. Jedoch verdrängte Oscar ihren Schmerz und schloss ihre Tochter fest in den Arm. Dabei sah sie, mit einem verständlichen Blick, zu ihrem Sohn und hielt dabei ihren anderen Arm auf. Armand verstand und trat zu ihr. Dann kuschelte er sich leicht an sie.

Oscars Schmerz wurde weniger, so strich sie ihren Kindern erst über den Rücken und dann durch ihre Haare.

„Ich hab euch auch lieb. Ihr, euer Bruder und euer Vater seid mein ein und alles. Ich brauche nichts mehr, nur euch.“, sprach sie zärtlich mit ein paar Tränen in die Augen.

Ihre Kinder drückten sich etwas mehr an sie.

So fand sie kurz darauf André. Als er eingetroffen war, hatte er seine Großmutter gesehen und er hatte von ihr eine kurze Zusammenfassung erhalten. Rasch war er zum gemeinsamen Schlafzimmer gegangen. Dort hatte er Oscars letzte Worte gehört.

„Uns geht es doch nicht anders, Liebste. Wir brauchen auch nur dich.“

Als Oscar, die ihr vertraute Stimme hörte, sah sie sofort auf, wobei sie ihre Kinder nicht losließ.

„Liebster“, sprach sie sanft.

Dieser nickte und trat zu ihr. Als er sie erreichte, hauchte er ihr einen Kuss auf die Stirn und lächelte sie an. Kurz hielt Oscar still und erwiderte sein Lächeln.

„Wir sind eine Familie“, sprach er und erntete ein Nicken aller Anwesender.

Die Hoffnung schwindet

Bis Oscars Hexenschuss vollkommen ausgeheilt war, verging abermals Zeit. Ihr Verhalten veränderte sich. Sie achtete sehr darauf, dass es nicht noch einmal zu so einer Auseinandersetzung kam, wie sie geschehen war. Daher wurde auch das Verhältnis innerhalb der Familie wieder besser. Jedoch hatte Oscars Leiden auch negative Folgen. Der Besitzer des Ladens, in dem Oscar arbeitete, musste ihr mitteilen, dass er nicht mehr auf ihre vollständige Genesung warten konnte. Es war viel Arbeit angefallen, die er alleine nicht mehr bewältigen konnte und sich daher nach einer neuen Arbeitskraft umgesehen hatte. So verlor Oscar dort ihre Anstellung. Diese Meldung traf sie sehr, aber sie konnte die Entscheidung ihres mittlerweile Ex-Arbeitgebers verstehen. Ihre Laune sank dennoch, aber sie hatte gelernt und ließ diese an niemandem aus. Oscar redete dafür am Abend lange mit André. Dies tat ihr sehr gut, dass bemerkte sie immer mehr.

„Du wirst bestimmt rasch etwas Neues finden, Oscar“, versuchte André sie auf andere Gedanken zubringen.

„Ich hoffe es, André. Aber leicht wird es nicht werden. Du weißt, wie lange ich für diese Stelle schon benötigt habe.“

„Ja, ich weiß. Jedoch bin ich mir sicher, dass es dir rasch gelingen wird.“

Oscar lächelte ihn an und strich über seine Hand, die neben ihr auf der Bettdecke ruhte.

„Wenn du möchtest, kann ich mich umhören. Vielleicht könnte ich es finden.“, schlug er ihr vor.

„Ich danke dir, Liebster. Ja, höre dich ruhig um. Aber ich werde dies ebenfalls tun“, erwiderte sie daraufhin.

Früher hätte sie einfach keine Hilfe angenommen, jedoch hatte sich dies bei ihr geändert. Leicht fiel ihr es nicht immer. Aber Oscar wusste, dass dies die beste Lösung war. Zudem brauchten sie das Geld, was sie zuvor verdient hatte. Im Moment reichte ihr Erspartes noch, aber auf ewig würde dies nicht vorhalten.

„Dann werde ich mich morgen gleich umhören“, kommentierte André ihre Worte.

Oscar nickte zustimmend und versuchte sich leicht zu erheben. Sofort sprang André auf und drückte sie sanft aber bestimmt zurück in die Kissen.

„Liebste, bitte bleib liegen. Wenn du etwas benötigst, sage es mir ruhig.“

Kurz seufzte die Blondine und nickte dann ergeben.

„Mein Kissen drückt. Könntest du es etwas aufschütteln?“

„Natürlich, mein Engel“, erwiderte André und half ihr sich aufzurichten.

Anschließend richtete er Oscars Kissen und ließ sie daraufhin wieder zurücksinken.

„Gut so?“, fragte er nach.

„Ja, ich danke dir“, erwiderte sie lächelnd.

André freute sich jedes Mal über dies. Er liebte Oscar noch immer so, wie am ersten Tag und das würde sich niemals ändern. Darüber war André sich mehr als sicher.

Oscar dachte ähnlich wie ihr Gemahl. Noch nie war sie so glücklich gewesen, wie mit ihm. Auch wenn es einige Tiefen gegeben hatte, waren die Erinnerungen an die Höhepunkte ihres gemeinsamen Lebens als Ehepaar überwiegend. Auch sie wollte André niemals verlieren und auf ewig würde sie für ihn da sein und um ihn kämpfen, wenn es sein müsste.

Gemeinsam in verschiedenen Gesprächen vertieft, verlief der Abend.

Kurz vor dem Jahreswechsel war Oscar wieder vollständig hergestellt. Sofort machte sie sich auf die Suche nach einer neuen Arbeit. André hatte zuvor nichts Positives in dieser Richtung in Erfahrung bringen können. Jedoch suchte Oscar vergebens. Um nicht untätig herumzusitzen, war sie oft bei Marie-Anne. Hier verfolgte sie des Öfteren die Entwicklung ihrer Zwillinge. Auch Philippe gedieh prächtig. Von den vorigen Problem hatte er nichts mitbekommen, dafür hatte Sophie Sorge getragen. Mittlerweile hatte er bereits seine ersten Zähnchen und zeigte dies oft, denn er war ein sehr fröhliches und aufgewecktes Kind. Zudem war er nie allein. Wenn Oscar gerade keine Zeit hatte, kümmerte sich entweder Camille mit ihrer Cousine sich um ihn oder Sophie. Es fehlte dem jüngsten Familienspross an nichts.

Oscar beobachtete dies immer mit einem sanften Lächeln. Jedoch in ihr sah es oft anders aus. Die Erinnerung an das vergangene Jahr, als André fort war, hing noch in ihren Gedanken. Nicht nur was ihm geschehen war, sondern auch die Erinnerung an ihre Eltern. Zwar bekam sie fast regelmäßig Briefe von ihrer Mutter, aber in den letzten Wochen waren sie weniger geworden. Oscar schob es auf die schlechte Witterung, da es seit Tagen nicht mehr aufgehört hatte zu schneien.

Nachdenklich stand sie oft an den Fenstern des Salons und sah hinaus in das Schneetreiben. André entging dies wie sooft nicht, aber er konnte nichts tun. Dies schmerzte ihn sehr. Er konnte einfach nur für sie da sein und ihr beistehen. Oscar tat seine Nähe gut, die sie in solchen Moment, wo sie innerlich in ein scheinbar bodenloses Loch fiel, von ihm erhielt. Vor allem war es auch der Halt, der er ihr bot, wenn sie den Eindruck hatte schwach zu sein.

Dies Gefühl wurde schwächer, als das Wetter sich nach weiteren Wochen im neuen Jahr endlich besserte. Sie erhielt einige Schreiben von ihrer Mutter, die schilderte wie es ihr und dem General ging. Kurz nach diesen fand Oscar endlich wieder eine Anstellung. Jedoch war diese nicht so nach ihren Vorstellungen, wie ihre letzte Arbeit. Nun ging sie Tag für Tag in eine der vielen Fabriken. Es war eine einfache Arbeit und forderte nicht viel Verstand, jedoch wurde gut bezahlt. Das war einer der Gründe gewesen, warum Oscar die Stelle angetreten hatte. Ihre Kinder blieben weiter bei ihrer Schwester und dort in der Obhut von Mrs. Brightmore. Dies war immer wieder eine Erleichterung für Oscar, die in den ersten Wochen oft sehr erschöpft nach Hause zurückkehrte.

Mit den verstreichenden Wochen stellten André und sie fest, dass sie sich bald eine andere Wohnung suchen mussten. Noch war Philippe klein, jedoch wuchs er und würde bald sein eigenes Zimmer benötigen. Dies war jedoch im Moment nicht gegeben.

Wenn sie es zeitlich einrichten konnten, sahen sie sich zusammen neue Räumlichkeiten an. Aber es zog sich hin, da die Wohnungen oft entweder zu groß oder zu klein waren, oder sie konnten sie sich nicht leisten. Jedoch hatten sie ja noch Zeit bis ihre bevorstehende Raumnot akut werden würde.

Am 20. April 1792 erhielten sie die Meldung, dass Frankreich Österreich den Krieg erklärt hatte. Sofort breitete sich Angst um ihren Vater, den General, in Oscar aus. Inständig hoffte sie, dass er nicht in den Krieg ziehen musste.

Von ihrer Mutter erfuhr sie Tage später, dass ihr Vater nicht eingesetzt worden war. Er hatte andere Aufgaben, die er zu erfüllen hatte.

Die Kriegserklärung war der Beginn vom Unglück. Über die nächsten Wochen und Monate hin, kamen immer schrecklichere Nachrichten aus Frankreich.

Am 20. Juni wurden die Tuilerien gestürmt. Dies wiederholte sich am 10. August. An diesem Tag wurde der König und dessen Familie in den Temple überführt. Oscar war geschockt als sie dies erfuhr. Genauso erging es dem Rest der Familie. Der Schock nahm auch nicht ab, als sie von den blutigen Septembermassakern auf dem Marsfeld erfuhren.

Seit die Königsfamilie sich im Temple befand, hatte Oscar nichts von ihren Eltern gehört. War ihnen etwas geschehen? Oscar konnte sich diesem Gedanken sich nicht verwehren und es bereitete ihr Angst. Ihre Arbeit schaffte ihr etwas Ablenkung, jedoch abends kehrte die Furcht zurück. André stand ihr bei, auch wenn er keine passenden Worte mehr fand, um sie nur im Geringsten aufzuheitern.

Kurz der nach der Ausrufung der Republik am 22. September, erhielt Oscar endlich einen Brief von ihrer Mutter. In diesem teilte Emilie de Jarjayes ihr mit, dass es ihr gut ging und sie nun in Paris sich aufhalten würde. Die ehemalige Königin Marie Antoinette hatte darum gebeten, dass Emilie ihre Hofdame im Temple sein würde und diese hatte zugestimmt. Oscar konnte nicht wirklich verstehen, warum ihre Mutter sich so entschieden hatte. Natürlich konnte sie die bitte Marie Antoinettes verstehen, dass sie jemanden um sich hatte, den sie kannte, jedoch war die Besorgnis Oscars um ihre eigene Mutter viel größer.

So nachdenklich fand André Oscar am Abend in der mittlerweile neuen Wohnung, die nur ein paar Straßen von der Alten entfernt lag und in die sie vor ein paar Monaten gezogen waren, vor.

„Was hast du, Oscar?“, fragte er sie, als er ihr seine Hand auf die Schulter legte.

Langsam drehte sie ihren Kopf in seine Richtung und blickte ihn an.

„Es geht um meine Eltern.“

Schon während sie zu sprechen begonnen hatte, war André bereits klar geworden, was sie bewegte. Innerlich seufzte er, bevor er antwortete.

„Hast du etwas von ihnen gehört, seit dem letzten Brief?“

„Nein, das nicht. Aber ich kann einfach nicht verstehen, warum sie sich so entschieden hat.“

„Ach, Oscar. Du weißt doch, dass deine Familie immer königstreu gewesen ist. Und deine Mutter ist erwachsen, sie wird wissen, was sie tut.“

Er meinte seine Worte nicht böse und das wusste Oscar, aber dennoch half es ihr nicht. Ihr Herz war und blieb schwer. Daher seufzte sie bei seiner Antwort und schaute dabei wieder hinaus.

„Ich lasse dich in Ruhe und werde nach den Kindern sehen.“

Oscar nickte einfach und sah weiterhin hinaus. André sah noch kurz zu ihr. Dann ging er hinaus. Philippe schlief längst tief und fest, so ging André zu Armands Zimmer. Dort klopfte er an und trat nach dem „Herein“ ein. Im Zimmer entdeckte er, dass sein Sohn nicht allein war.

„Camille? Warum bist du nicht in deinem Zimmer?“, fragte er sie mit sanfter Stimme.

Seine Tochter saß neben ihrem Bruder auf dem Bett und sah nun ihren Vater an.

„Wir haben uns noch etwas unterhalten“, erwiderte sie.

André bemerkte einen merkwürdigen Unterton in der Stimme seiner Tochter. Dies veranlasste ihn, sich zu seinen Kindern zu setzen.

„Was bewegt euch? Ihr wirkt so ernst.“

„Es geht um, Mutter“, erwiderte Armand mit ruhiger Stimme.

„Sie verhält sich merkwürdig“, sprach er weiter.

„Ist es wegen Großvater und Großmutter?“, mischte sich seine Zwillingsschwester mit ein.

André von seinem Sohn zu seiner Tochter bevor er bestätigend nickte.

„Ja, ihr habt Recht. Sie macht sich große Sorgen um sie. Ihr habt ja mitbekommen, was in den letzten Wochen geschehen ist“, berichtete ihnen ihr Vater.

„Hat sie große Angst?“, fragte Camille ihn mit leiser Stimme.

André strich ihr durchs Haar und sah sie ruhig an.

„Leider ja“, sprach er seufzend.

„Können wir ihr nicht helfen?“, mischte sich Armand mit ein.

„Ja, genau. Wir wollen nicht das Maman Angst hat.“

„Ich weiß, ihr beiden. Mir geht es genauso. Aber ich bin mir nicht sicher, wie wir ihr helfen können.“, gestand André nicht nur seinen Kindern, sondern auch sich selber ein.

Camille entging die Niedergeschlagenheit ihres Vaters nicht. So rückte sie zu ihm und kuschelte sich an ihn. Auch Armand bemerkte es und kniete sich auf die andere Seite seines Vaters. Diese bemerkte es und lächelte seine Kinder an, anschließend drückte er sie an sich.

„Ich bin stolz auf euch beide. Und eure Mutter ist es auch. Aber im Moment können wir ihr nur helfen, wenn wir bei ihr sind.“

„Meinst du, dass es reicht?“, fragte Camille nach.

„Viel ist es nicht, dass weiß ich. Aber ich weiß kein anderen Weg im Moment.“

Die Kinder schwiegen bevor sie einstimmig nickten.

„Wir werden immer für Mutter da sein“, sprach Armand.

André war sichtlich froh, zwei so wohlgeratene Kinder zuhaben. Stolz drückte er sie an sich.

„Zusammen schaffen wir es. Aber nun geht ihr beiden schlafen.“

„Ja, das werden wir“, erwiderte Camille und gab ihrem Vater einem Kuss auf die Wange.

„Schlaf gut, Papa“, sprach sie weiter und verließ, nachdem sie ihrem Bruder noch eine gute Nacht gewünscht hatte, den Raum.

Anschließend verabschiedete sich André sich bei Armand und verließ dessen Zimmer. Sein Weg führte ihn daraufhin zum Salon, jedoch war Oscar nicht mehr dort. Daher beschloss er zu Bett zugehen. Im Schlafzimmer fand er seine Geliebte. Sie hatte sich zu Bett begeben. Da sie mit dem Rücken zu ihm lag, wusste er nicht, ob sie bereits schlief. Daher zog er sich rasch um, wobei er darauf achtete leise zu sein. Anschließend legte er sich zu seiner Gemahlin und deckte sich zu. In dem Moment, wo er die Augen schließen wollte, hörte er Oscars Stimme.

„Du hattest Recht, André. Ich bin wirklich stolz auf meine Kinder, aber auch auf dich.“

Sofort waren Andrés Augen weit geöffnet.

„Du bist wach?“, fragte er, statt auf ihre Worte zu reagieren.

Oscar drehte sich zu ihm und sah ihn direkt an.

„Ja. Ich habe eigentlich kurz nach dir, zu den Kindern gehen wollen. Als ich Camille nicht in ihrem Zimmer fand, wollte ich bei Armand eintreten. Vor der Tür habe ich eure Stimmen gehört. Ich weiß, man soll nicht lauschen, aber ich konnte nicht anders.“

Beschämt senkte Oscar ihre Lider. André hörte ihr ruhig zu und hob dann sanft ihr Kinn an.

„Ich weiß, dass du es nicht mit Absicht getan hast.“

Oscar folgte seiner Bitte und sah ihn wieder an.

„Warum mache ich nur alles falsch, Liebster?“, fragte sie ihn leise.

„Falsch? Wie kommst du nur auf diesen Gedanken?“

„Schau, was in den vergangen Wochen und Monaten geschehen ist. Allein, dass ich die Kinder beschuldigt habe, etwas getan zu haben, was nicht ihre Schuld war. Nun machen sie sich wieder Sorgen“, erklärte Oscar ihm.

„Das ist auch ihr natürliches Recht, genauso wie das meine. Denn wir lieben und brauchen dich. Ist es dann nicht normal, wenn man sich sorgt?“, erwiderte André sanft.

Nachdenklich hörte Oscar ihm zu.

„Vielleicht ja. Aber ich möchte nicht, dass sich immer alles um mich dreht. Verstehst du?“

„Natürlich verstehe ich dich. Das musst du glauben. Aber bitte, gebe niemals deine Hoffnung auf. Es wird andere Zeiten geben.“

„Ich versuche es wirklich. Aber die Meldungen aus Frankreich… sie fördern es nicht wirklich.“

André nahm seine Oscar in den Arm.

„Das kann ich verstehen und es ist mehr als beunruhigend, aber vergiss nicht, wir sind hier und auch wenn wir vor Ort wären, könnten wir nichts verändern.“

Oscar kuschelte sich dicht an ihren Geliebten.

„Ich weiß“, nuschelte sie in sein Hemd.

Zärtlich strich er ihr über den Rücken. Mehr konnte er nicht tun. Es lag nicht in seiner Macht etwas zu ändern.

Unter seinen Streicheleinheiten schlief Oscar ein.

Gefühle der Trauer und der Verzweifelung

André versuchte Oscar seine ganze Kraft zugeben. Erst recht, als die Meldung eintraf, dass der König zum Tode verurteilt worden war. Dies traf alle. Niemand hatte damit gerechnet. Oscar war zuerst der festen Überzeugung, dass man ihm helfen musste. Jedoch diese zerbrach sich den Kopf vergebens. Als die Information, dass Ludwig XVI. am 21. Januar 1793 sein Leben unter der Guillotine lassen musste, eintraf, verfiel Oscar in ein stummes Gebet. Auch wenn sie ein gläubiger Mensch war, ging sie jedoch selten zu Gottesdiensten. Aber diese momentane Situation forderte sie dazu auf, wo sie dann in ein stummes Gebet verfiel. Oscar musste dies einfach tun. Hinter ihren Lidern brannte Tränen und in ihr tobte ein Kampf. Sie konnte einfach nicht verstehen, dass der, in ihren Augen gütige und verständnisvolle, König sein Leben auf so eine grausame Art und Weise lassen musste. Dies verstand nicht nur Oscar nicht. André, Sophie und die anderen konnten es ebenfalls nicht glauben.

Sie bemühten sich mehr Informationen über die Verurteilung Ludwigs, die sich später als fingiert und abgesprochen herausstellte, zu erfahren. Jedoch waren es nur Bruchstücke, die sie erhielten. Von Oscars Eltern trafen keine Briefe mehr ein.

Da die Unruhen in Frankreich stetig zunahmen, vermutete man, dass keine Boten mehr durchkamen. Dies verstärkte sich, da Oscar ihre Brief ungeöffnet zurückerhielt.

Dies förderte Oscars Gesundheit nicht. Sie war kurz davor in schwere Depressionen zu verfallen, nur ihre eigene kleine Familie hielt sie indirekt davon ab. Sie stürzte sich geradezu in ihre Arbeit und versuchte jegliche Meldung, die aus ihrer ehemaligen Heimat eintraf, vollständig zu ignorieren.

Niemand entging die starke Veränderung Oscars, nur ihr jüngster Spross Philippe bemerkte nichts. Er war einfach noch zu klein, um dies zu verstehen. Die anderen machten sich große Sorgen um sie und versuchten ihr unterschwellig zu helfen.

Jedoch schien Oscar nicht die Einzige zu sein, die Probleme zuhaben schien. Ihre Tochter Camille war immer stiller geworden. Sie litt darunter, dass ihre Mutter sich verschlossen hatte. Mehrfach hatte sie versucht an Oscar heranzukommen und in ihrer Nähe zu sein, jedoch bemerkte dies es nicht. Dies hatte zur Folge, dass das mittlerweile sechzehnjährige Mädchen sich immer mehr in sich zurückzog. Zuerst schien dies niemand zu bemerken Jedoch ihr Zwillingsbruder Armand war es nicht entgangen. Es war ein scheinbar unsichtbares Band, welches die beiden miteinander vereinte und spüren ließen, wenn es dem anderen schlecht ging. Jedoch Armand kam an seine Schwester nicht heran, egal was er tat. Es schmerzte ihn zu sehen, wie sie stumm litt und sich immer mehr veränderte. Nicht nur, dass ihre gesamten Züge fraulicher geworden waren, sondern auch ihr Verhalten. Seitdem sie an ihre Mutter nicht heran gekommen war, suchte sie immer öfter die Einsamkeit. Einige Male war Armand ihr auf ihre langen Spaziergänge gefolgt. Nicht um sie auszuspionieren, sondern weil er sich immer größere Sorgen um Camille machte. Diese bemerkte seine Schwester in jedes Mal und machte ihm eine Szene, sodass er sich zurückziehen musste.

Es dauerte eine Weile bis Armand sich seinem Vater öffnete und ihm berichtete, was in ihm vorging. Sein Vater lauschte ihm mit gemischten Gefühlen. Er hatte darum gebetet, dass seine Kinder nicht leiden würden und hatte sich daher vollkommen Oscar gewidmet. Er schämte sich, dass er Camilles Veränderung nicht bemerkt hatte. Vor allem, da er immer ein gutes Verhältnis zu ihr und auch den anderen Kindern gehabt hatte. Jedoch sah und spürte André deutlich, dass sein kleines Mädchen mittlerweile eine junge Frau geworden war, die mit ihm nicht mehr über alles reden konnte. Er ahnte, dass Camille weiblichen Zuspruch benötigte. Etwas zögerte er, bevor er zu Sophie ging und sie darum bat, sich mit Camille zu unterhalten.

Die alte Damme hatte längst bemerkt, dass ihre Urenkelin mit ihrer Mutter sprechen wollte. Zudem war ihr nicht entgangen, dass Camille nur noch sehr wenig zu sich nahm. Da Sophie wusste, das Camille unter direktem Druck niemals aus sicher herausgehen würde, setzte sie sich zu ihr und sprach mit ihr über belanglose Dinge, bis zwischen ihnen ein Schweigen entstand.

„Wir Mama irgendwann wieder so, wie sie einmal war?“, unterbracht Camille nach einer ganzen Weile die Stille.

„Ich würde es dir gern bejahen, aber dies ist mir leider nicht möglich, Camille.“, erwiderte Sophie entschuldigend.

„Aber was ist mit dir, mein Kind? Ich habe den Eindruck, dass dich etwas bedrückt.“

Für einen Moment sah Camille ihre Urgroßmutter mit großen Augen an, bevor sie dann zur Seite blickte und wieder in Schweigen verfiel.

„Du musst nichts sagen, Camille“, begann Sophie mit mütterlicher Stimme.

„Ich möchte nur, dass du weist, dass du jederzeit mit mir reden kannst.“

Die alte Dame erhob sich und strich ihr durch das dunkle Haar. Anschließend machte sie sich auf den Weg, um das Zimmer zu verlassen.

Als Sophie ihre Hand nach der Türklinke ausstreckte, erklang Camilles Stimme.

„Ich bin so durcheinander…“, sprach sie leise.

Sophie drehte sich zu ihrer Urenkelin und sah sie an. Dabei schwieg sie, damit Camille weiter reden konnte.

„Ich weiß nicht, was mit mir ist.“

Hilfesuchend sah sie zu ihrer Urgroßmutter, die auf sie zuschritt und sich neben ihr niederließ.

„Vor ein paar Wochen war ich nachmittags im nahen Park spazieren. Ohne dass ich es bemerkte, habe ich das Armband, welches Maman mir zu meinem letzten Geburtstag geschenkt hat, verloren. Mich sprach auf einmal ein junger Mann an, der gesehen hatte, wie es mir von meinem Handgelenk glitt. Gewiss war ich über seine höfliche Atz und seine Zuvorkommenheit überrascht, jedoch schien auch etwas anders zu sein. Ich bedankte mich, nahm es entgegen und ging anschließend meines Weges. Aber seit dem kann ich ihn nicht mehr vergessen…“

Sophie strich ihrer Urenkelin zärtlich über den Rücken.

„Und wer ist her? Kennst du seinen Namen?“

Traurig schüttelte Camille ihren Kopf.

„Er hat sich nicht vorgestellt“, sprach sie leise.

„Aber warum? Er hat dir doch das Schmuckstück wiedergebracht und du sagtest selber, er wäre höflich gewesen.“

„Ja, das hat und war er. Aber…“

Camille verstummte plötzlich und senkte ihre Haupt.

„Aber?“, forschte Sophie sanft nach.

„Ich weiß es nicht. Es war nur kurz, aber als ich ihn ansah, bekam ich einfach kein Wort mehr heraus…und er geht mir nun nicht mehr aus dem Kopf“, gab sie noch leiser werdend zu.

Da Camille den Kopf och immer gesenkt hielt, sah sie nicht, wie Sophie sie mit einem gewissen Lächeln betrachtete.

„Hast du ihn noch einmal gesehen?“

„Nein.“, kam es mit einem Kopfschütteln.

„Und nun vermisste du ihn, nicht wahr?“

„Ja! Ich war mehrfach an dem Ort, wo ich ihn angetroffen habe, leider habe ich ihn niemals wiedergesehen.“

Camille schluchzte nun leise und es verstummte nicht, als Sophie ihr weiter über den Rücken strich.

„Und dies schmerzt dich?“, fragte sie, obwohl sie sich ihre Antwort schon erahnen konnte.

„Ja…“, erwiderte Camille leise.

„Und darüber wolltest du mit deiner Mutter reden, oder=“

Ihre Urenkelin nickte leicht und sah zu ihr herüber.

„Ich habe gehofft, dass sie mir vielleicht helfen kann.“

„Das kann ich verstehen, mein Kind. Glaube mir“, erwiderte Sophie sanft.

„Aber lass ihr etwas Zeit, auch wenn es dir im Moment schwer fällt. Vergiss niemals, sie liebt dich.“

Camille sah ihre Urgroßmutter lange ruhig an, dann nickte sie leicht.

„Auch wenn es nicht einfach ist, werde ich es versuch zuwarten.“

Sanft lächelte Sophie sie an und gab ihr anschließend einen Kuss auf die Stirn.

„Ich bring dir gleich einen Tee und etwas Gebäck.“

„Dein Selbstgebackenes?“

Sophie nickte bestätigend und Camilles blaue Augen blitzten erfreut auf.

„Natürlich. Ich habe vorhin erst gebacken“, erwiderte sie lächelnd.

„Dann sehr gern.“

Abermals nickte die alte Dame und verließ das Zimmer.

Camille seufzte, als sie wieder allein war. Dies konnte sie einfach nicht unterdrücken. Sie hatte ihre Urgroßmutter wirklich gern, aber wie sollte sie ihr etwas erklären, was sie selber nicht kannte? Camille wusste nicht, warum ihr Herz auf einmal so schwer war und allein ihre Erinnerung an den fremden jungen Mann sie träumen ließen. Aber dies konnte sie ihrer Urgroßmutter nicht mitteilen.

Der Gedanke, sich ihrer eigenen Mutter zu öffnen, war Camille nicht leicht gefallen, aber sie hatte sich dazu entschlossen. Sie hoffte, dass sie bald das Gespräch mit ihrer Mutter würde führen können.

Oscar schämte sich, als sie von André und von Sophie indirekt darauf aufmerksam gemacht wurde, dass ihre Tochter sie in diesem Moment brauchen würde. Sie hatte nicht bemerkte, was vorgefallen war. Rasch ging sie zu ihrer Tochter und betrat nach einem „Herein“ ihr Zimmer.

Camille saß an ihrem Schreibtisch, auf dem ein aufgeschlagenes Buch lag.

„Mama? Kann ich etwas für dich tun?“

Während sie sprach, legte sie ihre Schreibfeder beiseite.

Oscar ließ sich neben ihr nieder und sah, wie ihre Tochter rasch das Buch, welches ihr Tagebuch war, schloss.

„Nun, dies wollte ich dich fragen, mein Kind. Ich weiß, in den letzten Tagen und Wochen, war ich kaum für dich und die anderen da. Daher habe ich auch nicht bemerkt, dass du mit mir reden wolltest. Bitte verzeih mir.“

Etwas überrascht sah Camille ihre Mutter an. Dann blickte sie auf ihr Tagebuch und legte zeitgleich ihrer Hand darauf.

„Das ist wahr und ich bin froh, dass wir nun reden können. Glaube mir, ich bin dir nicht böse und ich verzeihe dir.“

Sanft lächelte Oscar ihr Kind an, als diese sprach.

„Gewiss, Camille.“

Diese sah sie kurz an und überlegte derweil, wie sie beginnen sollte. Oscar bemerkte dies und ließ ihr die Zeit, die sie benötigte. Sie kannte von sich selber, wie es war, wenn man nicht wusste, wie man etwas aussprechen sollte.

Nach kurzem Zögern erzählte ihr Camille von der Begegnung mit dem Fremden. Ihre Mutter hörte ihr zu und sah dabei zu ihr. Das leuchten von Camilles Augen entging ihr nicht, als sie den jungen Mann, der etwas so groß wie André war, blonde Haare und scheinbar die schönsten braunen Augen besaß, die Camille je gesehen hatte.

//Mir ist gar nicht aufgefallen, wie erwachsen Camille bereits geworden ist. Sie ist eine richtige junge Dame//, kam es Oscar in Gedanken.

„Hast du etwas?“, fragte Camille sie und holte sie somit zurück aus ihren Gedanken.

„Bitte?“, fragte Oscar daher leicht irritiert.

„Hast du mir nicht zugehört? Du wirktest abwesend.“

Deutlich war Enttäuschung in Camilles Stimme zuhören.

„Bitte verzeihe mir. Ich wollte nicht unhöflich erscheinen“, kam es entschuldigend von Oscar.

Prüfend sah Camille dabei ihre Mutter an.

„Hast du ihn noch einmal gesehen?“

„Leider nein.“

Traurig senkte Oscars Tochter ihren Kopf. Dies führte dazu, dass ihre Mutter sie in ihre Arme schloss und sie sanft an sich drückte.

„Wir finden ihn bestimmt“, sprach sie dabei zu ihr.

„Wir?“

Überrascht sah Camille ihre Mutter an.

„Ja. Oder möchtest du lieber alleine weitersuchen?“

„Irgendwo ja… Aber ich weiß nicht, wo ich ihn finden soll“, gab Camille leise zu.

Oscar strich ihr über die Schulter.

„Er scheint dir viel zu bedeuten, nicht wahr?“

Zur Antwort bekam Oscar nur ein stummes Nicken.

„Wenn du es wirklich möchtest, werde ich dir gern helfen.“

„Ich danke dir, Maman.“

„Kein dank. Ich tue es gern. Du bist doch meine Tochter. Aber sag mir bitte, ist dir vielleicht noch etwas an ihm aufgefallen? Ich meine, du hast ihn gut beschrieben, aber sprach er z.B. mit Akzent?“

Darüber hatte Camille gar nicht nachgedacht. Sie selber sprach Englisch beinah so flüssig, wie ihre eigene Muttersprache. So ließ sie in ihren Gedanken die Szene Revue passieren, wobei sie versuchte sich auf seine Worte und nicht auf seine haselnussbraunen Augen ihres Gegenüber zukonzentrieren.

Ruhig sah Oscar dabei ihre Tochter an, wobei ihr das leichte Lächeln und die zarte Röte auf Camilles Wangen nicht entging.

Ohne groß zu überlegen, strich sie ihrem Kind darüber und spürte somit deren Wärme, die diese ausstrahlten. Durch diese Geste holte sie ihre Tochter aus ihren Träumen zurück. Leicht blinzelte Camille ihre Mutter an, bevor sie ihre Sprache wiederfand.

„Er sprach Akzentfrei…“

Kurz hörte Camille abermals in sich hinein, bevor sie leicht beschämt hinzusetzte: „… glaube ich…“

Ein Lächeln konnte Oscar nicht unterdrücken.

„Dein Herz schlägt schneller, wenn du an ihn denkst, nicht wahr? Du glaubst, es würde dir in deiner Brust zerspringen.“

Camilles Wangen röteten sich mehr, als sie auf die Worte ihrer Mutter bestätigend nickte. Kein Laut verließ dabei ihre Kehle. Sie hatte den Eindruck, als wäre diese plötzlich vollkommen ausgetrocknet. So schluckte Camille hart, auch wenn dies nicht wirklich half.

„Das kenne ich. Ähnlich ging es mir mit deinem Vater. Glaube mir, auch ich habe heute immer wieder das Gefühl von hundert Schmetterlingen in meinem Bauch, wenn er mich ansieht.“

Bei diesen Worten sah Camille sie lächelnd an.

„Wie war es eigentlich bei Papa und dir?“

„Wir kennen uns seit unserer Kindheit. Wie ich heute weiß, hat er mich schon sehr früh geliebt und ich schäme mich noch heute, dass ich es erst so spät bemerkt habe. Ich habe mich damals in ihn verliebt, ohne zu wissen, dass er dies erwidert. Aber nachdem wir wussten, was wir für einander empfinden, wuchs unsere Liebe auf beiden Seiten stetig.“

Aufmerksam hörte Camille Oscar zu. Von der Kindheit und der Erziehung ihrer Mutter wusste sie von Sophie, die es ihr einmal erzählt hatte.

„Wie hast du bemerkt, dass du Papa… liebst?“

Oscar dachte an die vergangene Zeit und begann zu lächeln.

„Es mag in deinen Augen vielleicht lächerlich klingen, aber ich habe es in einem Traum erkannt.“

„Einen Traum?“, fragte Camille sie überrascht.

„Ja, du hast mich richtig verstanden.“

Oscar erzählte ihr, was sie in dem Traum erlebt und wie sie somit ihre Gefühle für André entdeckt hatte. Ihre Tochter lauschte ihr lächelnd dabei.

„Und was fühlst du?“, fragte Oscar, als sie endete.

Verlegen begann Camille an dem Saumes ihres Kleides zuspielen.

„Nun… also... ich…“, stammelte sie.

Abwartend und sanft lächelnd sah Oscar ihre Tochter an.

„Ich habe in seine wunderschönen Augen gesehen und ich hätte in ihnen versinken können. Und seine Stimme… sie war so sanft und geschmeidig… Mein Herz hat auf einmal ganz schnell geschlagen und ich konnte kein Wort mehr herausbringen…“

Oscar nickte leicht, als sie die Worte ihrer Tochter hörte.

„Wir werden ihn bestimmt finden.“

Aufmunternd strich sie ihrer Tochter durch das offene Haar. Diese hielt still und sah sie an. Dann umarmte sie sie stürmisch.

„Danke. Mama. Ich habe dich lieb!“

Sanft drückte Oscar ihr Kind an sich und strich ihr dabei über den Rücken.

„Ich habe dich auch lieb, Camille“, erwiderte sie dabei.

Oscar freute sich, dass ihre Tochter so offen mit ihr gesprochen hatte. Daher nahm sie sich vor, sich noch mehr Zeit für Camille zunehmen.

Etwas später verließ Oscar das Zimmer und ging zu André hinüber, der schon gebannt auf sie wartete. Sie berichtete ihm in groben Zügen von dem, was Camille ihr erzählt hatte. André hörte ihre Ausführungen mit gemischten Gefühlen zu.

„Also hat sie sich verliebt?“, fragte er nach.

„Ich würde sagen ja.“

„Aber sie ist doch noch ein Kind. Mein kleines Mädchen… meine Prinzessin.“

„Das wird sie auch immer sein, Liebster. Aber vergiss nicht, sie ist bereits sechzehn. Und auch wenn es dir und mir schwer fällt, eines Tages werden wir sie gehen lassen müssen.“

André seufzte bei ihren Worten. Ihm war klar, dass ihm dies unsagbar schwer fallen würde.

„Manchmal wünschte ich mir, dass sie noch klein wäre…“

„Das geht mir genauso und langsam kann ich meine Mutter verstehen, wie es ihr ergangen sein und wie sie sich gefühlt haben muss, als ein Kind nach dem an deren das Haus verlassen hat.“

André drehte seinen Kopf, um Oscar, die neben ihm saß, besser betrachten zu können.

„Da müssen alle Eltern durch, nicht wahr?“

„Ich glaube ja. Aber wir wollen ihr Bestes und sie sollen glücklich sein.“

Er nickte zustimmend und legte seinen Arm um ihre schmalen Schultern. Oscar lehnte ihren Kopf leicht an ihn und strich ihm dabei über den leichten Bauchansatz, den er in den letzten Jahren bekommen hatte.

„Weißt du noch, wie es bei uns war?“, fragte Oscar ihn.

André nickte und gemeinsam schwelgten sie in ihrer Erinnerungen.

Alles wird gut

Oscar versuchte ihre Tochter zu helfen, um den Unbekannten zu finden, der ihrer Tochter oft schlaflose Nächte bereitete. Ein wenig Eigennützigkeit war jedoch von ihrer Seite dabei. Sie wurde von den weiteren Meldungen, die sie aus Frankreich erreichten, abgelenkt. Der Verlust des Königs hatte sie bereits getroffen, als dann der Dauphin Louis Charles erkrankte, es traf sie noch mehr. Genauso wie die Meldung, dass Marie Antoinette in das Conciergerie Gefängnis überstellt und dort auch von ihrer Tochter Marie Thérèse getrennt worden war. Was Oscar jedoch nicht erfahren hatte war, dass ihr eigener Vater, zusammen mit Toulan und Lepitre, versucht hatte, zuerst die ehemalige Königin mit den Kindern und anschließend, als die Helfer des Generals Angst bekamen, nur Marie Antoinette zur Flucht zu verhelfen. Jedoch wollte diese nicht ohne ihre Kinder davonlaufen. Daher hatte Oscars Vater den Auftrag erhalten, das königliche Siegel dem Grafen de Provence, den Bruder des higenrichteten Königs, zu kommen zulassen, der sich zurzeit in Koblenz aufhielt. Zu dem sollte Oscars Vater den gravierten Ring, den Marie Antoinette beim letzten Besuchs von Graf von Fersen erhalten hatte, diesem zu übersenden, da die ehemalige Königin es für zu gefährlich gehalten hatte, ihm einen Brief zu kommen zulassen.

Emilie de Jarjayes war kurz bevor Marie Antoinette gezwungen worden war den Temple zu verlassen, von dieser aus ihrem Dienst als deren Hofdame entlassen, so wie die ehemalige Königin dem General versprochen hatte. Zudem hatte Emilie einige Informationen ihm zuteil werden lassen, von denen der General gehofft hatte, einen Fluchtplan entwickeln zu können. Nun jedoch waren ihn die Hände gebunden. Er konnte nichts anderes tun, als Paris schweren Herzens zu verlassen. Oscars Vater war der festen Überzeugung, dass er seine Aufgabe nicht erfüllt hatte.

Seine jüngste Tochter sah und hörte derweil, wenn ihre Arbeit es zuließ, sich weiter nach dem Fremden um. Camille war oft am Verzweifeln und kurz davor ihre Hoffnung zu verlieren. Ihrer Mutter fiel es immer schwerer, ihr Mut und Zuversicht zu zusprechen. Darüber sprach sie auch mit André. Dieser merkte immer stärker, wie seine Tochter litt. Armand war dann derjenige, der vorschlug, einen Ausflug aufs Land zumachen, um allen etwas Ablenkung zu verschaffen.

Zuerst überlegten Oscar und André, doch dann stimmten sie zu. Oscar plante zusammen mit Sophie, was sie alles benötigen würden. Anschließend gingen beide zum Mark, um einzukaufen.

Ein paar Tage später, brach die gesamte Familie Grandier, zusammen mit Sophie, zu ihrem Ausflug auf. Die Fahrt in der Droschke verlief ruhig. Philippe schlief seelenruhig auf Oscars Schoss. Camille sah aus dem Fenster und hing scheinbar ihren Tagträumen nach, wobei ein Hauch von Melancholie in ihren Augen zu sehen war. André und Armand unterhielten sich über relativ belangslose Dinger und Sophie döste teils vor sich hin.

Am späten Vormittag erreichten sie ihr Ziel. Es handelte sich um ein verschlafenes Dörfchen südlich von London. Weit bis zur Küste war es von dort aus nicht mehr. Daher war es auch kein Wunder, dass sie hin und wieder das Geschrei einzelner Möwen vernehmen konnten.

Camille half ihrer Mutter und Urgroßmutter das geplante Picknick auf einer Wiese anzurichten. Philippe war bei ihnen und versuchte krabbelnd, nachdem es mit dem Hinterherlaufen noch nicht so geklappt hatte, einen Schmetterling zu fangen. Oscar behielt ihn dabei sorgsam im Auge.

Während sie etwas später alles zusammen saßen und aßen, war das jüngste Familienmitglied sicher auf Andrés Schoss aufgehoben, wo er sich immer wieder von seinem Vater füttern ließ. Camille hingegen hin gegen aß fast gar nichts.

Als sie die Nachspeise erreichten, wurden sie durch das Rattern einer Droschke gestört. Ihre Blicke richteten sich zu dem Weg, der unweit der Wies, auf der sie sich niedergelassen hatten, entlang führte. Neugierig besahen sie sich die Droschke, die nun hielt und dessen Verschlag sich öffnete. Ihr Blick wurde überrascht, als sie die Person erkannten, die aus der Kutsche stieg.

„Marie-Anne?“, fragte Oscar und erhob sich dabei.

„Wie du siehst, bin ich es“, erwiderte die Angesprochene und lächelte dabei geheimnisvoll.

„Ich dachte, du hättest keine Zeit, um uns zu begleiten?“

„Eigentlich war dies auch so, jedoch zwangen mich ungewöhnliche Umstände dazu meine Tagesplanung ein wenig zu ändern.“

Deutlich konnte Marie-Anne sehen, dass Oscar und die anderen ihre Worte nicht verstanden, worauf sie lächelte und einen Schritt zur Seite machte und somit den Blick auf die Droschkentür freiwerden ließ. In dieser erschien auf einmal ein weiteres vertrautes Gesicht. Oscar, die auf ihre Schwester zugehen wollte, erstarrte. Mit sich weitenden Augen und leicht geöffneten Lippen beobachtete sie, wie ein älterer Herr aus der Droschke stieg und anschließend einer Frau beim Aussteigen half.

Oscar war nicht wirklich im Stande etwas zusagen. Von Sophie war nur ein unterdrücktes Schluchzen zuhören, da sie ihr Gesicht hinter ihren Händen verbarg.

Der Besuch betrachtete die schweigsame Familie. Armand war der Erste, der seine Sprache wieder fand.

„Großmutter! Großvater!“

Mit diesen Worten lief er auf sie zu und umarte zuerst Oscars Mutter. Dann blieb er vor dem General stehen. Hier zögerte er mit der Umarmung. Dieser jedoch lächelte ihn an und drückte anschließend seinen Enkel, den er seit über fünf Jahren nicht mehr gesehen hatte, an sich und klopfte ihm dabei auf die Schulter.

Nach und nach erhoben sich die Anderen. André half seiner Großmutter auf, während Emilie auf ihr jüngstes Kind zuging und vor ihr stehen blieb.

„Oscar...“, sprach sie sanft und strich ihr die stummen Tränen fort, die längst über Oscars Wangen liefen.

Anschließen schloss sie sie in ihre Arme und spürte dabei deutlich das Zittern Oscars. Sanft und beruhigend strich sie ihr über den Rücken. Derweil begrüßte auch Camille ihren Großvater, der sie genau wie ihren Bruder wohlwollend musterte. Anschließend begrüßte er Sophie und André, der Philippe auf dem Arm hatte.

„Darf ich euch unseren Sohn und Euren Enkel Philippe vorstellen?“

Andrés Jüngster sah den General mit großen Augen und einem Finger im Mund an. Oscars Vater lächelte und strich dem Jungen, der André bereits durch seine Augen- und Haarfarbe ähnelte, über den Kopf.

„Mich freut es zusehen, dass ihr noch ein Kind bekommen habt.“

André nickte lächelnd.

„Wir sind auch froh, ihn bei uns zu haben.“

Während die beiden sprachen, wurden die Zwillinge von Emilie begrüßt und dann geherzt. Anschließend hielt André sie herzlich willkommen. Lächelnd besah Oscars Mutter den jüngsten Familienzuwachs.

Nachdem die Begrüßung vorbei war, ging die gewachsene Gruppe zurück zum Picknick. Camille war an letzter Stelle gegangen. Nicht dass sie sich nicht freute endlich wieder ihre Großeltern zusehen, aber ihr Herz war schwer. Innerlich seufzend ließ sie sich neben ihrer Mutter nieder, der dies nicht entgangen war. Auch Emilie bemerkte, dass etwas mit ihrer Enkelin nicht zustimmen schien. Daher tauschte sie mit ihrer Tochter einige Blicke aus. Diese deutete mit den ihren an, dass im Moment der falsche Augenblick war, um darüber zureden, was Emilie verstand. Daher unterhielten sie sich über die vergangene Zeit und wie es ihnen ergangen war. Dadurch bemerkte niemand, wie die Zeit verging. Die Droschke, die André bestellt hatte, da sie keine eigene besaßen, kam angefahren. Rasch packten die Damen alles zusammen.

Während der General seiner Gemahlin, Sophie und Marie-Anne in deren Kutsche half, ging der Rest auf die wartende Droschke zu. André half Oscar beim Einsteigen. Dabei trat der Kutscher zu ihm und fragte ihn, ob er ihm helfen könne. Camille hörte seine Stimme und erstarrte. Ihr Blick bohrte sich beinah in den Rücken des Droschkenlenkers. Dieser schien es zu spüren und drehte sich daher zu ihr um. Sofort erkannte er sie und lächelte Camille erfreut an. Ihr stieg eine zarte Röte in die Wangen, erst Recht, als es ihr bewusst wurde, dass sie ihn noch immer anstarrte. André bemerkte die Blicke der beiden und wies Armand an, einzusteigen. Dann räusperte er sich dezent. Camille blinzelte kurz und löste ihren Blick, um ihren Vater anzusehen, der in Richtung Droschkeninneres nickte. Camille verstand und ließ sich beim Einsteigen helfen. Kurz darauf fuhr die Kutsche ab und folgte der anderen, die kurz zuvor gestartet war. Das Ziel war das Anwesen von Marie-Anne und Olivier, der sie bereits erwartete. Dort stiegen sie aus. Marie-Anne ging mit ihren Eltern und Sophie voraus.

Oscar hatte den Augenblick vor der Abfahrt gesehen und hakte sich bei André ein, um ihn in Richtung des Hauses zulenken. Auch Armand wurde mit einem eindeutigen Blick bedacht, damit er ihnen folgte, was dieser tat, auch wenn es ungern war. So blieb Camille allein mit dem Droschkenkutscher allen zurück. Sie sah ihrer Familie nach, als er sie ansprach.

„Ich hätte niemals gedacht, euch wieder zusehen, Miss.“

Etwas überrascht drehte Camille sich zu ihm und konnte ihm somit direkt in die Augen blicken, von denen sie seit ihrer Begegnung träumte.

„Ihr ward damals so schnell verschwunden, dass ich mich nicht einmal vorstellen konnte“, sprach er weiter, ohne seinen Blick von ihr zulösen.

„Dies würde ich nun gern tun. Mein Name lautet Richard Heyworth.“

Dabei verbeugte er sich leicht und gab Camille einen Handkuss. Sofort färbten sich ihre Wangen leicht.

„Ich hoffe, ihr verzeiht mir, dass ich Euch damals nicht die Chance bot, Mister Heyworth.“

Richard hatte sich wieder aufgerichtet und sah sie charmant lächelnd an.

„Dies tue ich bei Euch sehr gern, Miss…“

Camille bemerkte, dass nun sie unhöflich gewesen war, da sie sich nicht vorgestellt hatte.

„Camille Grandier. Dies ist mein Name…“, brachte sie schüchtern und etwas stockend hervor.

„Freut mich, Miss Grandier“, erwiderte ihr Gegenüber und gab ihr abermals einen Handkuss, wobei er zu ihr hoch sah und lächelte.

Camilles Herz begann prompt Purzelbäume hinter ihrer Brust zuschlagen.

„Und Ihr seid also ein Droschkenlenker?“, fragte sie, um ihre Schamesröte zu überspielen.

„Ich?“

Kurz sah Richard Camille überrascht und leicht verdattert an. Er sah einfach niedlich aus, sodass sie ihn sanft an lächelte.

„Ja, Ihr. Oder seid Ihr dies nicht?“

„Ihr meint wegen der Droschke?“

Verlegen rieb Richard sich den Hinterkopf, ähnlich wie Camilles Vater es ab und zu tat.

„Nein, ich bin für meinen Onkel eingesprungen. Ihm gehört die Droschke.“

„Ich verstehe“, erwiderte Camille daraufhin.

„Normalerweise studiere ich Medizin. Aber im Moment habe ich einige freie Tage und verbringe sie hier in London bei meinem Onkel und meiner Tante.“

Camille sah ihn bei seinen ersten Worten anerkennend an.

„Dies ist ein gewiss sehr anspruchsvolles Studium, Mister Heyworth.“

„Das ist es wirklich, Miss Grandier.“

Zu gern hätte Camille sich noch stundenlang mit ihm unterhalten, jedoch wusste sie, dass sie nun ins Haus musste, wenn sie nicht wollte, dass man sie direkt abholte. So senkte sie nun leicht ihr Haupt.

„Ich muss mich leider von Euch verabschieden, Mister Heyworth.“

„Dies bedauere ich sehr, Miss Grandier. Aber es liegt nicht in meiner Absicht, dass Ihr wohlmöglich Schellte erhaltet. Daher wünsche ich Euch eine gute Nacht.“

Mit diesen Worten verbeugte er sich wieder leicht und gab ihr dabei einen Handkuss.

„Ich hoffe, dass wir uns wieder sehen werden, Miss Grandier.“

„Darüber würde ich mich sehr freuen“, erwiderte Camille nun lächelnd.

„Vielleicht auf einen Tee?“

„Ja, sehr gern.“

„Wäre es Euch morgen Recht? Dann könnte ich Euch hier abholen.“

„Morgen wäre ein passender Tag. Und dies ist das Haus meiner Tante und meines Onkels. Vielleicht sollten wir uns im Park treffen.“

„Ich verstehe. Sehr gern.“

Nachdem sie eine Uhrzeit ausgemacht hatten, verabschiedete Camille sich schweren Herzens. Jedoch war auch Vorfreude auf den morgigen Tag in diesem.

Beschwingt betrat sie daher das Haus, wo sie im oberen Stockwerk auf ihre Mutter traf. Lächelnd umarmte sie sie. Sanft drückte Oscar ihr Kind an sich. Dabei lauschte sie den Worten ihrer Tochter.

„Ich bin so glücklich, Maman.“

„Das sehe ich, Camille. Du strahlst geradezu.“

„Ob er mich mag? Und ob ich ihm gefalle?“, überschüttete sie ihre Mutter mit Fragen.

„Bestimmt, mein Kind. Schau doch in den Spiegel. Du bist eine wunderhübsche junge Dame.“

Während sie sprach, strich sie Camilles dunkles Haar nach hinten, welches sie, wie früher ihre Mutter, offen trug.

„Findest du?“, hackte ihre Tochter nach.

„Natürlich. Ich sage dir nur was ich sehe. Aber gehe nun bitte zu Bett. Es ist spät.“

Camille nickte und unterdrückte dabei ein Gähnen.

„Das werde ich. Schlaf gut.“

„Du ebenfalls, mein Kind.“

Oscar bekam von ihrer Tochter einen Kuss, dann eilte diese geschwind in ihr Zimmer, welches sie noch bei ihrer Tante hatte. Lächelnd sah ihre Mutter ihr hinterher. Anschließend ging sie zu André, der sie bereits erwartete. Er wollte natürlich sofort wissen, was geschehen war. Oscar zog sich in aller Ruhe um und ließ sich dann neben ihm nieder. Deutlich konnte sie die Neugier und auch die Sorge in den Augen ihres Liebsten sehen.

„Sein Name lautet Richard Heyworth. Er ist Medizinstudent und unsere Tochter scheint schwer verliebt zu sein. Du hättest sie sehen sollen. Sie strahle, wie schon lange nicht mehr.“

„Das freut mich zu hören, aber dennoch habe ich meine Bedenken.“

„Und warum?“

„Was ist, wenn er nicht der Richtige ist und ihr das Herz bricht?“

„Ich kann dich verstehen, aber vergiss nicht, sie kennen sich fast gar nicht. Niemand kann sagen, wie es sich entwickeln wird.“

„Du hast Rech, mein Engel“, sprach André lächelnd und zog Oscar zärtlich an sich.

Sie schmuste sich an ihn und nickte dabei leicht.

//Ich hoffe, dass Camille ihr Glück in ihm finden wird//, dachte sich Oscar, als sie André küsste.

Dabei hielt es sie es für besser, diesen Gedanken nicht laut auszusprechen. Sie wusste, dass er sich nicht gegen das Glück seiner Kinder stellen würde, jedoch ahnte sie, wie schwer es ihm fallen würde, seine Kinder ziehen zulassen. Es bedurfte Zeit für alle Parteien.

Aber Oscar war nun glücklich. Endlich waren ihre Eltern in London und somit in Sicherheit. Die Meldung, dass die ehemalige Königin Marie Antoinette am 16. Oktober ihr Leben, wie zuvor der ehemalige König, unter der Guillotine hatte lassen müssen, traf alle. Aber nach den Berichten ihres Vaters, war damit zurechnen gewesen, sodass alle diese Informationen schon beinah gefasst aufnahmen.
 

Im Dezember bat Richard André um Camilles Hand und im Frühjahr des folgenden Jahres wurde Hochzeit gehalten. Armand, der sich mit Richard rasch angefreundet hatte, begann nach der Hochzeit mit einem Jurastudium.

Oscars Vater war nicht ganz mit Camilles Wahl zufrieden, aber Emilie wies ihn dezent daraufhin, dass die beiden sich liebten und es eine Entscheidung Andrés war, der Vermählung zu zustimmen. Der General nickte, seine Gemahlin hatte Recht. So genossen sie die Feierlichkeiten, für die auch Oscars andere Schwestern angereist waren, die Teils ebenfalls in England mit ihren Familien lebten.

Obwohl die Terrorherrschaft in Frankreich längst regierte, waren die Familien wieder vereint und keine Verluste hatten betrauert werden müssen. Das Glück, die Liebe und die Hoffnung hatte mit Gottes Hilfe über ihnen gestanden und wird sie niemals mehr trennen.
 

~*~*~ENDE~*~*~

Das etwas andere Nachwort

Dieser Epilog dient mir hier, als ein danke schön an alle Leser und Kommi-Schreiber meiner FF. Nur durch euch ist meine FF zu dem geworden, was sie nun ist! Vielen Dank!
 

Ursprünglich war meine FF als OS – One Shot gedacht, aber durch liebe Anfragen angespornt, habe ich mich an das Schreiben der weiteren Kapitel gewagt. Und dass meine FF so einen großen Anklang bei euch gefunden hat, damit habe ich wirklich nicht gerechnet, daher widme ich sie so gesehen euch allen.
 

Aber zurück zu meiner Danksagung:
 

Ein ganz großer Dank geht an mein Clärchen, hier auch bekannt als Clarice. Sie half mir mit zusätzlichen Informationen bezüglich Ludwig XVI. und einigen Dingen und Gepflogenheiten am Hofe von Versailles. – Danke, Süße für die Zeit, die du dir genommen hast, um mir die Fakten, Zitate etc. direkt in die Tastatur zu diktieren! –
 

Des Weiteren geht ein sehr großer Dank an meine lieben und sehr fleißigen Kommi-Schreiber (in alphabetischer Reihenfolge):

Clarice, -Elisabeth-. Butterfly81, Erzi, KathyColin, Keysuke, Natalie-Nicol, Natasha, Scarlett_Rose, stefanie22, weisserose, Xx_Flower_of_Ice_xX und Yvaine.
 

Ihr habt mit den Charas gelebt, geliebt, gefreut und auch gelitten. Und dies bis zum Ende.

Ich danke euch für euren Zuspruch, eure Vorschläge, Anmerkungen und Hinweise auf Fehler, die ich versucht habe, umzusetzen bzw. auszubessern.

Mir fehlen immer noch die Worte. Vielen Dank!
 

Abschließend möchte ich noch ein paar Anmerkungen zu meiner FF machen.
 

Weisserose sprach mit darauf an, dass ich einen Fehler mit der Altersangabe bei André gemacht habe, als er seine Eltern verlor. Im Manga war er fünf Jahre und bei mir ist er acht. Dies ergab sich bei mir so: Einmal habe ich mich eher auf den Anime, als auf den Manga konzentriert. Außerdem war Oscar niemals bei dem Grab seiner Eltern und ich wollte es als einen kleinen ’Höhepunkt’ sehen, dass nach exakt zwanzig Jahren Oscar und André gemeinsam dorthin gehen. Ich hoffe, ihr seht es mir nach, dass ich es nicht geändert habe.
 

Ein weiterer Punkt ist das ‚Verhältnis’ zwischen Graf Hans Axel von Fersen und Oscar. Zu Beginn meiner FF war ich mir nicht im Klaren, in welchem Jahr es spielt. Aber als ich mir die Folgen ansah und genauer darüber nachdachte, fiel mir auf, dass in der Zeit vor 1778 Oscar ihn zwar kennt und ihn auch sympathisch findet, es aber keine Liebe von ihrer Seite ausgibt. Daher bin ich in diesem Punkt nicht auf Oscars Gefühle, die es in diesem Fall auch nicht gab, eingegangen.
 

Der nächste Punkt betrifft die Altersangaben von Oscars Eltern. Hier musste ich ein wenig tricksen. Dass es die beiden damals wirklich gegeben hat, dürfte mittlerweile bekannt sein, jedoch hätten sie niemals Oscars Eltern sein können, da der General 1745 und Emile 1760 geboren wurden. Daher habe ich rückwärts gerechnet, sodass Emilie bei mir im Jahre1732 das Licht der Welt erblickt hat. Ihr Gemahl war fünfzehn Jahre älter als sie, jedoch da ich mir vorgenommen hatte, die Charas so alt werden zulassen, wie sie es in Wirklichkeit geworden sind (er: 76 und sie: 77), hätte er das Ende nicht mehr miterlebt, so habe ich ihn im Jahre 1727 angesiedelt. Ich hoffe, ihr versteht mein Handeln. Dies trifft auch auf Sophie zu. Ich nehme stark an, dass sie eigentlich längst tot wäre, aber da ich dies nicht zum Abschluss einbauen wollte, habe auch ich sie zeitlich auf 1726 eingesetzt.
 

Eine Frage die an mich gestellt wurde, war folgende: Warum ist Rosalie nicht dabei? Ganz einfach, für mich war sie ein unwichtiger Chara und ihr ständiges Weinen gefällt mir nicht.
 

Warum habe ich einige geschichtliche Ereignisse, z.B. die Halsbandaffaire, nur am Rande erwähnt oder gar weggelassen? Ganz einfach. Diese FF geht um Oscar und André. Da sie zudem Zeitpunkt, wo die meisten Vorfälle geschahen, sich in England aufhielten und Oscar zudem auch nicht mehr Kommandant der Garde war, hatten sie keine Möglichkeit genauere Informationen zu erhalten, wie es ursprünglich in der Serie war. Zudem trafen sie auch immer mit Verspätung ein, was bei der damaligen Zeit durch berittene Boten etc. kein Wunder war.
 

Die Erziehung von Armand und Camille. Es ist bestimmt aufgefallen, dass die beiden zu Oscar Mama und nicht Maman sagen, wie es in Adelskreisen so üblich war. Jedoch hat Oscar darauf nicht bestanden, weil sie durch die Hochzeit ihren Titel ablegte. Nur in der späteren Zeit sagen sie öfter auch Maman. Die Kinder duzen auch Sophie, nur ihren Tanten, Onkel und Oscars Eltern sprechen sie höflich mit ‚Euch’ und ‚Ihr’ an, weil sie dies so erfahren und erlebt haben beim Umgang der anderen.
 

Ein weiterer Punkt ist der Bereich Out of Character (OoC). Manche mögen gewiss denken, dass vor allem Oscar in diesen Bereich hin und wieder hinein gerutscht ist. Vielleicht mag es stimmen, jedoch denke ich mir, dass Oscar eine starke Entwicklung durchlaufen hat in den ganzen Jahren. Sie hat zwar noch immer einen starken Gerechtigkeitssinn, etc. aber die Hochzeit mit André, die Geburt ihrer Kinder etc. haben sie doch in den etwas über fünfzehn Jahren geprägt. Ich hoffe, ihr versteht es und seid mir nicht böse.
 

Warum ist meine FF nun zu Ende? Auch diese Frage ist leicht. Ich habe eine FF mit Happy End versprochen. Ok, eigentlich ist es das zweite Happy End. Das erste war ja ihre Hochzeit so gesehen.

Zudem hatte ich mir einen Zeitrahmen gesetzt, der vom Jahr 1777 bis 1793/94 geht. Außerdem kann niemand alles ‚Unglück’ so anziehen, dass sie keinen ruhigen Tag haben. Auch Oscar und André haben viele ‚normale’ Tage verlebt. Und durch die Vermählung von Camille nun zum Schluss, beginnt ein neuer Abschnitt. Dies betrifft aber nicht mehr Oscar und André direkt, daher habe ich meine FF hier auslaufen lassen.
 

Aber keine Sorge. Zu meiner FF wird ein drei oder vier OS geben, die teils während der einzelnen Kapitel einfügbar sind, bzw. zeitlich nach der eigentlichen Story liegen. Also dürft ihr gespannt sein. Jedoch merke ich schon vor ab an, dass diese OS nicht innerhalb der nächsten paar Tage stehen wird. Diese FF an sich, war bis jetzt mein größtes Projekt und war doch in ganzen sehr anstrengend, also gönnt mir ein wenig die Zeit zum Verschnaufen, damit ich in alter frische mich wieder ans Schreiben setzen kann.
 

Lange Rede, kurzer Sinn. Ich danke euch allen sehr, für eure Treue und alles was damit zusammenhängt. *keine Worte mehr hat, daher sich verbeug*
 

Eure She



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Von:  Yvaine
2008-09-10T20:10:11+00:00 10.09.2008 22:10
Ich hab schon gestaunt das Camille überhaupt so offen mit Sophie und Oscar über ihre Gefühle zu dem jungen Mann gesprochen hat, das zeigt wie stark die Bindung innerhalb der Familie ist. Normalerweise sind Teenies in dem Alter ziemlich aufmüpfig oder zeitweise auch in sich gekehrt. In der Hinsicht haben André und Oscar bei der Erziehung ihrer Kinder großartige Arbeit geleistet.
Dennoch könnten sie sich doch mal nen kleinen Fehltritt erlauben, gehört einfach zum Erwachsen werden dazu.

Interessant könnte es werden wenn Oscar und André wieder in die alte Heimat zurück kehren und Camille beschließt in England zu bleiben wenn es mit dem jungen Mann klappt. Mal sehen ob ich mit meiner Vermutung richtig liege ich lass mich einfach überraschen.

André sollte mal etwas diäten, wenn er für seine Frau noch ne Weile attraktiv bleiben will.
LG

Von: abgemeldet
2008-09-10T17:05:36+00:00 10.09.2008 19:05
wie schön ... Camille ist verliebt :) toller einfall. Auch schön war die Szene von Oscar und camille. schön das Oscar sich auch mehr versucht um ihre Tochter zu kümmern. Man kann aber auch Oscar gut verstehen klar das das nicht alles so an ihr vorbeizieht. André ist auch süß mit "seiner kleinen prinzessin"
Naja mal schaun was noch kommt:)
Von:  _Lucrezia_
2008-09-10T13:22:33+00:00 10.09.2008 15:22
Hi^^

ich find das kapitelmauch toll !

Ich hoffe für Camille das sie ihren "Prinzen" auch findet, es wäre sonst schade...
Ich kann Oscar irgendwie verstehen das sie so abwesend ist, schließlich verändert sic ihr Heimatland gerade radikal und die orte ihrer Kindheit und glücklichen (Ehe)jahre sind zerstört und die Menschen die sie kennt und liebt sind entweder bereits grauenvoll ermordet wurden oder sind verschwunden bzw. sie erhält von denen keinerlei nachricht.

aber ich hoffe und denke das sich alles zum guten wendet für ihre Familie und das ihre Eltern gesund wiederkommen.
Von:  Natasha
2008-09-10T09:14:08+00:00 10.09.2008 11:14
Süß... Camille ist verliebt!!! Warum hat sie von Sophie "nur" Tee bekommen und keine heiße Schokolade?! Das ist doch schon wie ein Naturgesetz! ^^ Zwinker ^^
Ich bin froh, dass Oscar noch die Kurve gekriegt hat. Mir ist schon klar, dass sie sich große Sorgen um ihre Eltern macht, aber dass sie kaum noch am Familienleben teilnimmt, ist wirklich traurig. Ihre Kinder sind fast erwachsen und werden die Familie bald verlassen und sie bekommt es kaum mit. Aber so war Oscar ja schon immer... Du verstehst mit Sicherheit, was ich meine ;)

André wird also langsam fett!!! Haha, das musste ja so kommen! Wird auch langsam alt, der Herr.... Aber süß, wie er den Papa raushängen lässt und sein kleines Mädchen beschützen will.
Etwas Kritik habe ich aber trotzdem und zwar fand ich den Übergang zu dem Gespräch zwischen Oscar und Camille nicht wirklich gelungen.
Ich bin mal gespannt, ob sie den Jungen finden und hoffe, dass du im nächsten Kapi etwas zu Armand schreibst. Vielleicht, was er beruflich machen will oder so.
Bis dann

Von:  stefanie22
2008-09-09T20:22:48+00:00 09.09.2008 22:22
also ich kann nur sagen dieses kapitell ist sehr sehr schön ich finde es süß das camille sich verliebt hat und es mit ihre mutter besprochen hat und ich finde es klasse das oscar ihrer tochter versprochen hat mit ihr denn mann zu finden ich hoffe das die beiden denn mann auch finden werden also ich freue mich jetzt schon auf nachste kapittel
Von: abgemeldet
2008-09-09T18:20:07+00:00 09.09.2008 20:20
ach wie schön. camille ist verliebt^^ die erste liebe. und sie kann das mit ihrer mutter teilen. bin froh dass sich oscar zusammen gerissen hat. sie muss das auch-schließlich hat sie selbst familie.

Von: abgemeldet
2008-09-09T07:00:59+00:00 09.09.2008 09:00
Das war echt heiss! XDD
Man echt sehr Romantik hat mit gefallen wie du alles so schön beschrieben hast. (und wenns von mir kommt solls was heissen, ich stehe naemlich so garnicht auf Romantik! ^\\\^)
Und Leider muss ich auch wieder Off ... T.T
Na ja, aber ich habs dennoch geschafft drei Kappis zu lesen! ^^
Und heute Abend lese ich garantiert weiter! =p
Dein Treuer Fan Keysuke
Von: abgemeldet
2008-09-09T06:45:32+00:00 09.09.2008 08:45
Hi! ^^
Da bin ich wieder.
Das war voll gut geschrieben! (wie immer eigentlich) ^^
Hey, sorry wenn meine Kommis immer so kurz sind ... aber ich finde deine FF so cool das ich einfach nur weiter lesen will! ^-^
Kommis schreiben tue ich aber gerne, eben nur kurze!
So kann ich auch gleich weiter lesen =p
Dein Treuer Fan Keysuke
Von: abgemeldet
2008-09-09T06:27:56+00:00 09.09.2008 08:27
Hallo! ^^
Also, nochmals viellen Dank das du die FF meines Freundes gelesen hast!^
Und ich kann nur sagen: Toll wie immer dein Kappi! ^^
Mehr kann ich garnicht sagen ... alles was ich sagen wollte haben ja schon deine anderen Kommi-schreiber geschrieben XD
Ich will auch gleich lesen ... habe mal wieder Zeit! ^^
Keysuke
Von:  Natasha
2008-09-07T14:04:35+00:00 07.09.2008 16:04
Hi, mir gefiel die Stelle, als Oscar André gesteht, dass sie gelauscht hat und schön, dass sie auch einsieht, dass sie mit ihren Verhalten mal wieder im Mittelpunkt steht. Klar, dass sie sich Sorgen um ihre Eltern macht, aber sie darf ihre eigene nicht Familie vergessen. Die Kinder und André sind wieder mal total süß!
Ich wäre auch für einen netten Familienausflug! LG


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