Das Böse unter der Sonne
Da bin ich – und reichlich spät dran heute, ich weiß.
Tut mir auch leid, aber die Tine hatte gestern – Unsinn, hat HEUTE Geburtstag, und da haben wir reingefeiert.
Herzlichen Glückwunsch auch an dieser Stelle noch mal, meine Liebe!
Viel Spaß mit deiner Verwandtschaft!
Bin also ein wenig müde und weiß gar nicht so richtig, was ich euch heute erzählen soll – lasse also ausnahmsweise das Kapitel mal für sich sprechen und erzähle euch nächste Woche wieder was von meinem facettenreichen Dasein!
Tschööö!
moko-chan
Frank Webbers Haus stand zwei Meilen außerhalb der Stadt. Es war ein altes Farmhaus, von dem die Farbe in mehreren Schichten abblätterte, und knarrte im Schatten einer enormen Palmlilie leise vor sich hin.
Die weißen Blüten des Baumes verbreiteten einen durchdringenden Geruch, den ein lauer, kaum zu spürender Sommerwind zu ihnen hinüber trug, und Sam rümpfte unwillkürlich die Nase, während er mit der rechten Hand seine Augen vor der gleißenden Sonne abschirmte.
Neben ihm transpirierte Dean unter einem kobaltblauen Himmel still vor sich hin. Er konnte die Südstaaten nicht leiden.
In den wenigen Tagen, die sie in Arizona verbracht hatten, war die Anzahl seiner Sommersprossen aufs Doppelte gestiegen, und seine Nase sah aus, als habe jemand mit Sprühpistole und Pinsel abwechselnd Ketchup und Muskat darauf verteilt.
Wäre er durch die Brille nicht sowieso schon entstellt, hätte er sich ernsthaft benachteiligt gefühlt. So war er einfach nur genervt.
Es war still bis auf das Summen einiger Fliegen, die um ihre Köpfe herum kreisten, und Dean verscheuchte die aufdringlichen Insekten mit einem geistesabwesenden Schlenker seiner rechten Hand, während er darauf wartete, dass Sam sich endlich vom Kotflügel des Impalas wegbewegte, zum Haus ging und an die Tür klopfte.
Es war sicherlich vernünftig, einen gesunden Respekt vor einem Mann zu haben, der mehr über Dämonen wusste als Bobby, aber Dean sah nicht ein, warum er respektvoll in der prallen Sonne herumstehen sollte, wenn er das auch genau so gut im Innern eines möglicherweise klimatisierten Hauses tun konnte.
Sam blieb jedoch, wo er war, stand da wie eine leicht entartete Adonis-Statue und starrte auf Webbers Haustür, als sei sie das Tor zur Hölle – ein Tor zur Hölle.
Dean hatte keine Geduld für sowas. Wenn seine Nase anfing zu pellen, würde er Sam eine verpassen.
Fünf weitere Minuten verstrichen, ohne dass Sam sich von der Stelle bewegt hätte, und Dean hatte angefangen, die Lichtpunkte zu zählen, die vor seinen Augen tanzten – dann öffnete sich Frank Webbers Haustür, und das davor befindliche Fliegengitter wurde unter einem protestierenden Ächzen aufgeschoben.
Dean musste zugeben, dass er sich Frank Webber ein wenig anders vorgestellt hatte.
Der Mann im Türrahmen war deutlich unter sechzig, sah weder verrückt noch heruntergekommen aus, und das Hemd, das er trug, war so unglaublich weiß, dass es schon beinahe blendete.
„Wollt ihr da noch länger stehen bleiben und einen Hitzschlag riskieren, oder kommt ihr endlich rein?“, ertönte die gleichmäßige, ruhige Stimme eines gebildeten Mannes, und Dean tauschte einen überraschten Blick mit Sam, bevor er sich in Bewegung setzte und seinem Partner voran auf das Haus zuging.
Frank machte einen Schritt beiseite, um ihn hinein zu lassen, Dean fühlte kluge blaue Augen kurz über sich hinweg gleiten – und obwohl dieser Mann mit Bobby nicht das Geringste gemein zu haben schien, erinnerte er ihn doch an den alten Jäger, und Dean entspannte sich ein wenig, während er das in der Tat himmlisch kühle Haus betrat.
Am Telefon mochte Frank Webber bärbeißig und unfreundlich sein – wenn man ihn direkt vor sich hatte, wirkte er richtiggehend harmlos.
Frank ließ auch Sam ins Haus, schloss Fliegengitter und Haustür hinter ihm und geleitete seine Gäste in ein peinlich sauberes Wohnzimmer. Dean unterdrückte den unwillkürlichen Impuls, ihn zu Bobby zu schicken, um auch dessen Haus in Schuss zu bringen.
„Samuel und Dean Winchester nehme ich an?“, erkundigte sich Frank, während er sie mit einer flüchtigen Geste zum Sitzen animierte, und Sam und Dean nickten synchron, während sie sich auf einem cremefarbenen Sofa niederließen. „Ja, Sir.“
Frank grinste und entblößte dabei eine Reihe sehr weißer Zähne, während Sam und Dean sich im Stillen wunderten, wo diese respektvolle Anrede so plötzlich hergekommen war. Sie hatten nie jemand anderes als ihren Vater so angesprochen.
„Robert hat euch mir ein wenig anders beschrieben“, murmelte Frank leise, und Dean brauchte geschlagene dreißig Sekunden, bevor ihm aufging, dass der Mann von Bobby sprach. Irritierend.
„Sie … Sie wissen, warum wir hier sind?“, platzte Sam plötzlich heraus, die großen Hände in seinem Schoß verkrampft, und Frank musterte ihn mehrere Augenblicke lang so intensiv, dass selbst Dean, der bloß daneben saß, auf merkwürdige Art kalt wurde.
„Kann ich euch Jungs eine Limonade anbieten?“, erkundigte Frank sich dann übergangslos, und Dean blinzelte perplex. „Limonade?“
„Lieber Wasser?“ Frank lächelte liebenswürdig – es war ein Lächeln, das allzu deutlich verkündete, dass in diesem Haus kein Alkohol an Männer ausgeschenkt werden würde, die mit dem Auto gekommen waren, und Dean zog in unbewusster Verlegenheit die Schultern in die Höhe. „Limonade wäre … großartig.“
Sam neben ihm hustete leise. „Wasser für mich, danke.“
Frank wandte sich wortlos ab und ging. Dean revidierte seine anfängliche Meinung. Dieser Mann war alles andere als harmlos.
Er tauschte einen kurzen Blick mit Sam, der ihn darüber in Kenntnis setzte, dass seine bessere Hälfte über die Maßen nervös war, und Dean legte ganz automatisch seine Hand auf Sams Oberschenkel und tätschelte ihn beruhigend. „Entspann dich, Sammy.“
„Das“, ertönte Franks Stimme von der Tür her, „hat Robert ebenfalls nicht erwähnt.“
Dean blickte hastig auf, entdeckte ihren Gastgeber mit einem Tablett im Türrahmen, und schluckte, nun ebenfalls nervös.
Frank wirkte, als könne er sich nicht entscheiden, wie er mit der Erkenntnis, dass er im Begriff war, ein homosexuelles Paar mit Wasser und Limonade zu bewirten, reagieren sollte, und falls diese Erkenntnis ihn davon abhalten würde, Sam zu helfen, würde Dean sich höchstpersönlich erschießen.
„Nun ja“, überlegte Frank laut, kam näher, stellte das Tablett auf dem Couchtisch ab und setzte sich in einen Sessel, der dem Sofa gegenüber stand. „Ich nehme an, er hielt diese Information für nebensächlich. Wahrscheinlich ist sie das auch.“
Dean seufzte vor Erleichterung und beobachtete Frank dabei, wie er Sam und ihm mit völlig ausdrucksloser Miene aus zwei kristallenen Karaffen jeweils Wasser und Limonade einschenkte.
Ein paar Sekunden lang wirkte Franks Gesicht wie aus Marmor gemeißelt, dann blickte er auf und reichte Dean seine Limonade.
Pleasantville, dachte Dean plötzlich. Feuer! Katze?
Er schüttelte den unwillkommenen Gedankengang ab.
„Du hast Dämonenblut in dir?“, erkundigte Frank sich beiläufig, während er Sam sein Glas reichte, und Dean, der eben dabei gewesen war, einen Schluck Limonade zu trinken, verschluckte sich prompt. Sowas konnte der doch nicht einfach so fragen – und dann noch in so einem Tonfall!
Dieser Mann war ja gemeingefährlich!
Sam wirkte jedoch, so stellte Dean fest, nachdem er wieder zu Luft gekommen war, erstaunlich ruhig. „Ja“, antwortete er beherrscht. „Habe ich.“
Frank nickte langsam. „Wie viel?“
Dean hoffte, die Antwort auf diese Frage würde Frank endlich in eine weniger ausgewogene Stimmung versetzten. Bärbeißig wäre ihm unter diesen Umständen eindeutig lieber. Dean wollte seinen Bobby.
„Nicht viel“, antwortete Sam unsicher. „Wenige Tropfen. … Wieso? Spielt die Menge eine Rolle?“
Frank lachte tonlos, wurde jedoch sofort wieder ernst. „Ja, Samuel, die Menge spielt eine Rolle. Wenn ein Dämon einen menschlichen Körper in Besitz nimmt, dann ist er ein Fremdkörper, ein Parasit, der den Körper kontrolliert, ohne jemals mit ihm verschmelzen zu können. Er steuert ihn wie eine Puppe – eine widerstrebende Puppe mit viel zu groben Fäden, die brennen und ihm in die Hände schneiden. Der Dämon bleibt in dem menschlichen Körper, weil er ihn braucht, um mehr als irritierender schwarzer Rauch zu sein – und weil die einzige Alternative die Rückkehr in die Hölle wäre. Wohl fühlt er sich dort trotzdem nicht.“
Frank machte eine kurze Pause, trank einen Schluck Wasser und stellte sein Glas auf einen hölzernen Untersetzer.
„Dein Körper, Samuel, trägt, wie du sagst, Dämonenblut in sich. Genau genommen, existiert so etwas wie Dämonenblut allerdings überhaupt nicht. Es ist immer noch Menschenblut, angereichert mit chemischen Elementen, die es pervertieren und krank machen, solange der Dämon den Menschen besitzt. Verlässt der Dämon den menschlichen Körper, geht die Verunreinigung nach kurzer Zeit zurück. In einem unbesessenen menschlichen Körper hat so eine Vergiftung – aus Mangel an einem treffenderen Vergleich – unterschiedliche mögliche Auswirkungen. Stimmungsschwankungen und verstärkter Sexualtrieb sind die Regel, und, je nach Dämon, von dem das Blut stammt, vielleicht sogar übernatürliche Fähigkeiten. Wird ein Mensch mit derartig verunreinigtem Blut von einem Dämon besessen, dann ist die Verbindung stärker, die Puppe lässt sich leichter lenken, weil das Blut wie ein Katalysator wirkt. Und was vielleicht das Schlimmste von allem ist: Der Dämon fühlt sich wohl.“
Frank trank einen weiteren Schluck Wasser, und die Stille in seinem Wohnzimmer dehnte sich bis ins Unendliche aus.
„Kann man die Vergiftung rückgängig machen?“, hörte Dean sich irgendwann selber sagen, und Frank löste seinen stechend-blauen Blick von Sam und heftete ihn stattdessen auf den anderen Jäger. „Seit wann trägt er das Blut in sich?“
„Er war sechs Monate alt“, antwortete Dean mit belegter Stimme, und Frank deutete ein minimales Kopfschütteln an. „Nein. Nach so langer Zeit ist es völlig unmöglich, die Verbindung aufzuheben. Der Virus ist in jeder Zelle seines Körpers.“
Sam ließ den Kopf hängen, und Dean legte ihm die Hand auf die Schulter und drückte sie sanft. Er hatte nicht wirklich damit gerechnet, dass es so einfach sein würde.
„Was können wir stattdessen tun?“, fragte er, ein wenig heiser, aber mit bewundernswert kontrollierter Stimme, und Frank lehnte sich in seinem Sessel ein wenig zurück.
„Meditieren. Entspannungsübungen. Eine möglichst hohe Kontrolle über Körper und Geist anstreben.“
Dean blinzelte ihn ungläubig an. „Das ist alles?“
Frank machte Anstalten, mit den Schultern zu zucken. „Samuel ist nicht besessen. Er trägt keinen Dämon in sich – da ist nichts, was man exorzieren könnte, nichts, was ein Ritual tilgen würde. Er ist ein Mensch mit einem genetischen Defekt, der sich auf seine Persönlichkeit auswirkt und den es einzudämmen gilt.“
„Es ist mehr als nur das“, mischte Sam sich aufgebracht ein. „Ich habe Fähigkeiten. Fähigkeiten, die ich nicht immer kontrollieren kann, und ich bezweifle, dass Meditation daran etwas ändern wird.“
Dean wusste, dass Franks letzte Worte Sam mehr getroffen hatten als alles andere. Dass das Dämonenblut sich auf seine Persönlichkeit auswirkte, war Sams persönlicher Alptraum. Kein Wortspiel beabsichtigt.
Frank musterte Sam einen Moment lang mit leicht schief gelegtem Kopf. „Meditation ist genau das, was in diesem Fall helfen wird. Ich spreche hier nicht von einer Art der Meditation, die dir bekannt sein dürfte. Der „Geist“, den du kontrollieren willst, ist schließlich nicht von Natur aus dein eigener, also wird er sich zur Wehr setzen, was mit einer beträchtlichen Menge an Schmerz verbunden ist – in der Tat einem derartig unerträglichen Schmerz, dass du vielleicht damit Vorlieb nehmen wirst, ab und zu die Kontrolle zu verlieren, anstatt dich diesem Schmerz wiederholt auszusetzen.“
Sam schüttelte stur den Kopf. „Wenn es eine Möglichkeit gibt, das unter Kontrolle zu bekommen, dann will ich es versuchen. Schlimmer als die Visionen kann es gar nicht sein.“
Frank faltete die Hände in seinem Schoß. „Du würdest dich wundern.“
Dean unterdrückte den Impuls, eine der schicken Kristallkaraffen nach dem Mann zu werfen. Etwas weniger ehrlich hätte auch gereicht.
„Darf ich fragen“, begann er also mit einer beträchtlichen Menge an Vorwurf in der dunklen Stimme, „woher Sie so ausgezeichnet über dieses Thema Bescheid wissen? Selbst Bobby konnte uns in dieser Angelegenheit nicht weiter helfen.“
Dean stellte an dieser Stelle fest, dass er es Frank persönlich übel nahm, mehr über etwas zu wissen als Bobby. Das war einfach falsch.
„Ich weiß besser über dieses Thema Bescheid als Robert“, erwiderte Frank gelassen und alles andere als beleidigt, „weil ich mich seit über fünfzig Jahren damit auseinander setze.“
Dean blinzelte verwirrt. Das war unmöglich. Frank war keine fünfzig Jahre alt.
Man musste ihm ansehen, wie verwirrt er war, denn Frank setzte sich auf und schenkte ihm Limonade und Sam Wasser nach.
„Mir scheint, dass ich nicht der Einzige bin, dem Robert gewisse Informationen vorenthalten hat“, stellte er dabei mehr zu sich selbst fest. „Ich hätte damit rechnen sollen. Er war schon immer in gewisser Weise … geheimniskrämerisch.“
Eine Aussage, der Dean nicht widersprechen konnte.
Eine Erklärung dafür, wie Frank bei mindestens siebzig Lenzen so beneidenswert frisch aussehen konnte, war sie trotzdem nicht.
Frank lehnte sich wieder zurück, und Dean befand das Blau seiner Augen mit einem Mal als zu intensiv. Sein Hemd als zu weiß. Und es war viel zu kalt im Haus.
Wo zum Teufel hatte Bobby sie hingeschickt?
„Es gibt überhaupt keinen Grund, mich so feindselig anzustarren“, sagte Frank, und Dean blickte hastig auf seine Hände hinab, die das Glas mit der selbst gemachten – !!! – Limonade ein wenig zu fest umklammert hielten.
Es war Sam, der die nächsten Worte sprach. „Sie sind besessen.“
Frank lächelte sein blendendes Lächeln. „Das bin ich.“