Kaffee, Milch und Zucker
„Kaffee?“
William schwenkte die Kanne fragend in die Küche hinein, bekam ein Nicken von Dean und ein zustimmendes Brummen von Sam, der an Dean gelehnt auf der Küchenbank saß und aussah, als würde er gleich im Sitzen einschlafen.
Es war fünf Uhr morgens, Jane, Sean und Hannah lagen samt und sonders in ihren Betten und schliefen, aber William hatte sich bisher noch nicht dazu überwinden können, es ihnen gleich zu tun, und Dean hatte aus fehlgeleiteter Solidarität beschlossen, ebenfalls wach zu bleiben – Sam konnte ohnehin nicht richtig schlafen, wenn Dean nicht neben ihm lag, und war mit ihm in der Küche geblieben.
Dean hatte das japanische Messer unter der Küchenbank hervor geholt und in die Spüle gelegt, bevor er sich gesetzt hatte, und während William nun großzügig Kaffeepulver in den Filter löffelte, Wasser in die Maschine kippte und sie in Betrieb setzte, musste er sich große Mühe geben, es nicht immer wieder unbehaglich anzustarren.
Er drehte sich schließlich um und atmete bewusst tief durch, dann setzte er sich zu Sam und Dean an den Küchentisch, fuhr sich mit der Hand über seinen Drei-Tage-Bart, dass ein merkwürdig beruhigendes raues Geräusch ertönte, und lächelte ihnen mit den Augen zu.
„Jungs, ich muss euch wirklich noch mal sagen, wie -“
Dean hob ruckartig die Hand, um ihn zu bremsen, und schüttelte kurz den Kopf.
Er war zu müde, um sich das jetzt anzuhören.
„Ist schon gut, William – das ist unser Job.“
Sam brummte müde, um seine Zustimmung zu bekunden, war zu erschöpft, um William zu erzählen, dass Dean vor Sorge um Hannah beinahe wahnsinnig geworden wäre, und Dean warf ihm einen wissenden Blick aus dem Augenwinkel zu, bevor er seine Lederjacke auszog, sie zusammenrollte und auf den Tisch legte, Sam im Nacken packte und mit sanfter Gewalt nach vorn drückte.
„Schlaf!“
Sam blinzelte, war sogar zu erschöpft, um gegen diese raue Behandlung Widerspruch einzulegen, legte seine Arme um die Jacke herum auf den Tisch, zog sie dichter an sich heran, nutzte sie dankbar als Kopfkissen und schloss folgsam die Augen.
Die Jacke roch nach Dean, und Sam bemerkte nicht einmal, wie er zu lächeln begann, bevor er unaufhaltsam in den Schlaf glitt.
Dean machte ein zufriedenes Gesicht, ließ seine Hand in Sams Nacken liegen, kraulte ihn selbstvergessen, und William beobachtete die Beiden einen Moment lang mit einem angedeuteten Lächeln in den Mundwinkeln, bevor er sich leise räusperte, um Deans Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
„Woher habt ihr es gewusst?“
Dean tat gar nicht erst so, als verstehe er nicht, wovon William sprach, und deutete mit den Augen auf Sam.
„Er hat Visionen.“
Dean war überrascht, dass William es scheinbar so überhaupt nicht war und völlig ruhig blieb, und zog beide Augenbrauen in die Höhe, machte jedoch keine weitere Bemerkung darüber.
„Wie lange war Sean schon besessen?“ erkundigte er sich mit ehrlichem, ernsthaftem Interesse, und William machte ein betretenes Gesicht.
„Vor etwa vier Wochen hat er angefangen, komisch zu werden …“
Erneut machten Deans Augenbrauen nähere Bekanntschaft mit seinem Haaransatz, William räusperte sich unsicher, stand auf, um den durchgelaufenen Kaffee zu holen, und Dean seufzte leise.
„Geheimniskrämerei scheint in den besten Familien zum guten Ton zu gehören …“
William erwiderte nichts, stand mit dem Rücken zu ihm, starrte wieder kurz auf das Messer in der Spüle, bevor er den Kaffee in die dafür vorgesehene Kanne umschenkte, und Dean räusperte sich leise.
„Ich hab neulich eine Woche lang im Koma gelegen.“
Er sah William in seinen Bewegungen erstarren, sah, wie er ein wenig Kaffee auf die hölzerne Arbeitsfläche verschüttete, wünschte sich, er hätte das anders formuliert und rutschte unruhig auf der Küchenbank hin und her, dann gab Sam neben ihm ein leises Schnaufen von sich und durchbrach die angespannte Stille.
William wischte den verschütteten Kaffee auf, drehte sich zu ihm um, brachte Kaffeetassen und die Kanne mit an den Tisch und setzte sich auf den Stuhl ihm gegenüber.
„Wir müssen dringend an unserer familieninternen Kommunikation arbeiten.“
Dean nickte stumm, schenkte sich und William Kaffee ein, legte den Arm um Sam, um ihn zu wärmen und sah gelassen dabei zu, wie William dank einer plötzlichen Eingebung wieder aufstand und das komplette japanische Messerset samt des verwunschenen Exemplars in der Spüle in den Mülleimer entsorgte.
Sam blinzelte verschlafen, blickte an eine weiße Zimmerdecke, streckte sich, während er darauf wartete, dass ihm wieder einfiel, wo er und Dean gerade waren, dann hörte er Stimmen im Flur vor der Tür, identifizierte Jane und William und erinnerte sich.
Er drehte den Kopf, erblickte Dean neben sich, der noch den Schlaf der Gerechten schlief, und setzte sich vorsichtig auf, rutschte aus dem Bett, zog die Decke höher über Deans nackte Schultern, was ihm mit einem zufriedenen Schnobern vergolten wurde, dann verschwand er so leise wie möglich ins Bad.
Dean hatte ihn innerhalb der letzten Stunden offensichtlich irgendwann zu Bett gebracht, und Sam ahnte, dass sein für gewöhnlich unermüdlicher Begleiter Schlaf momentan nötiger hatte als alles Andere.
Er sprang kurz unter die Dusche, um seine Lebensgeister auf den neuesten Stand zu bringen, zog sich an und ging in die Küche hinunter, wo die Frühstücksvorbereitungen schon in vollem Gange waren.
Jane hatte bereits Kaffee gekocht, Sam wurde von ihr mit einer enormen Tasse davon versorgt und auf die Küchenbank abkommandiert, sah zu, wie sie selbst gemachte Brötchen aus dem Ofen holte, in ein Weidenkörbchen legte und auf den Tisch stellte, und musste einmal tief durchatmen, weil er sich plötzlich so unglaublich zu Hause fühlte.
„Dean schläft noch?“ erkundigte sie sich leise bei ihm, erwiderte sein Nicken mit einem Lächeln, und entschuldigte sich bei ihm, als sie sah, dass er seinen Kaffee noch nicht angerührt hatte.
Ein Kännchen Milch fand in ihren Händen seinen Weg auf den Tisch, Jane blieb neben ihm stehen, während er etwas davon in seinen Kaffee gab, und fuhr ihm schließlich mit der Hand durchs Haar.
„William hat gesagt, du hast es in einer Vision vorhergesehen.“
Sie klang dankbar und ein wenig unglücklich, und Sam blickte unsicher zu ihr auf, sah, wie sie ein paar Tränen wegblinzelte und sich dann hastig wegdrehte, und wusste nicht, was er tun sollte, er wusste ja nicht einmal, was eigentlich los war.
„Jane?“ begann er vorsichtig und wollte eben aufstehen, als die Küchentür aufschwang, und Sean herein kam, der mit einem einzigen flüchtigen Blick erfasste, was mit seiner Mutter los war, und sie ohne zu zögern umarmte.
Sie ließ ihn gewähren und hielt sich an ihm fest, während er über ihre Schulter hinweg Sam ansah und ihm zunickte.
„Komm schon, Mom … es ist doch alles wieder in Ordnung“, meinte er schließlich leise in gespielt vorwurfsvollem Ton, klopfte ihr auf den Rücken und erntete einen Knuff gegen seine Schulter.
Er grinste Sam zu, nachdem seine Mutter ihn liebevoll als Hallodri bezeichnet hatte, setzte sich zu ihm an den Tisch und schenkte sich etwas umständlich mit der linken Hand Kaffee ein.
Sam schluckte unbehaglich, als er es sah, fixierte den Gips an Seans rechter Hand und erntete nun seinerseits einen Knuff.
„Guck nicht so, Sam – es ist nur ein gebrochenes Handgelenk.“
Sean betrachtete kurz seine defekte Hand, zuckte mit den Schultern und grinste.
„Wenn es dich tröstet, kannst du mir gerne was draufmalen, das würde mich unglaublich aufbauen.“
Sam schnaubte, Jane wies ihren Sohn an, sich zu benehmen – bevor er wieder ein Opfer von Deans übertriebenem Beschützerinstinkt würde – Sam wurde ein wenig rot, und Sean grinste noch ein wenig breiter, bevor sein Gesicht sich plötzlich verdunkelte.
„Was ist los?“ fragte Sam ohne einen Funken seiner gewohnten Zurückhaltung, und Sean seufzte aus voller Seele, bevor er sich zu einer Antwort durchringen konnte.
„Danny.“
Einer extrem nichts sagenden Antwort.
„Was ist mit ihm?!“
Sam, der Danny trotz ihrer vergleichsweise kurzen Bekanntschaft sehr schätzen gelernt hatte, hatte sich sehr gerade hingesetzt, und Sean beruhigte ihn mit einem hastigen Wedeln seiner gesunden Hand.
„Ich hab ihm nichts getan, keine Angst … ich … hab mich in den letzten Wochen lediglich wie ein Idiot aufgeführt …“
Sam konnte sich in etwa vorstellen, was das bedeutete – er hatte lange genug Seite an Seite mit Dean gelebt, der sich auch ohne einen Dämon in sich oft genug wie ein Idiot aufgeführt hatte – verdrehte die Augen und trank einen Schluck Kaffee, um nichts dazu sagen zu müssen.
Sean seufzte in stillem Einverständnis mit ihm, tat es ihm gleich und blinzelte verwundert, als Jane sich zu ihnen an den Tisch setzte und ihm dabei mit der Hand durchs Hand fuhr, als sei er wieder fünf Jahre alt.
„Wenn du ihn wiederhaben willst, dann geh zu ihm und erklär ihm, was los war. Danny ist doch ein vernünftiger Junge – er wird dich zurücknehmen, wenn er versteht, dass es nicht deine Schuld war.“
„Mom …“, Sean klang ein kleinwenig erschöpft, „Ich kann doch wohl kaum zu ihm hingehen, mich vor ihn hinstellen und versuchen, ihm weis zu machen, dass ich besessen war!“
Jane blickte ihn groß an.
„Warum das denn nicht? Er weiß doch von Großvater Jack und von dem Poltergeist – warum sollte er dir also nicht glauben?“
„Das kann doch nicht dein Ernst sein?!“
Dean, gerade eben erst von den Toten auferstanden – oder vielmehr den Schlafenden – ließ sich postwendend wieder rückwärts in die Kissen fallen, rollte sich schnaufend auf den Bauch und strafte seinen Cousin mit hartnäckiger Nichtachtung.
Sean schickte einen hilfesuchenden Blick in Richtung Sam, der sich mit vor der Brust verschränkten Armen in der Ecke neben der Tür zum Bad verschanzt hatte, und Sam stöhnte genervt auf, setzte sich in Bewegung und zu Dean ans Bett.
„Komm schon – du mochtest doch Danny …“
Er legte Dean die Hand auf die Schulter, und Dean gab ein Grunzen von sich und rührte sich nicht.
Sicher, er hatte Danny gemocht, aber Danny war es schließlich auch gewesen, der ihn zu öffentlichem Singen gezwungen hatte – in der Bar, in der Matt ihm wortwörtlich den Kopf verdreht hatte.
„Dean …“
Sam verstand selbst nicht ganz, warum er sich für Sean einsetzte, und Dean schien es ähnlich zu gehen, denn er hob den Kopf, drehte ihn in Sams Richtung und musterte ihn misstrauisch.
„Warum ist dir das so wichtig?“
Sam biss sich auf die Unterlippe, um ein Grinsen zu unterdrücken, als er Deans unordentliche Erscheinung samt Kopfkissenabdruck im Gesicht von Nahem sah, der Ausdruck in seinen Augen wurde entschieden anzüglich, und Dean stützte sich auf die Hände, drückte seinen Oberkörper in die Höhe und stand auf.
„Na fein, ich mach mit.“
Er verschwand ins Bad, schloss die Tür hinter sich, und Sean blickte Sam verwirrt an.
„Was hast du gemacht?“
Sam zuckte mit den Schultern, stand vom Bett auf und grinste ihn an.
„Ich bin mir selbst nicht ganz sicher – aber es scheint funktioniert zu haben …“
Sie zogen sich in die Küche zurück, um dort auf Dean zu warten, und trafen auf William, der nach einigen Stunden dringend notwendigen Schlafes gerade erst aufgestanden war, und sich soeben ein spätes Frühstück genehmigte.
Jane und Hannah leisteten ihm dabei Gesellschaft, und sobald Sam und Sean sich zu den Dreien an den Tisch gesetzt hatten, kletterte Hannah auf den Schoß ihres großen Bruders und blieb dort still sitzen.
Sie lehnte sich an ihn, aß in friedlicher Stille eines der selbstgebackenen Brötchen ihrer Mutter, trank eine Tasse warmen Kakaos, und Sam begriff zum ersten Mal, dass Sean für sie war, was Dean früher – sehr viel früher – für ihn gewesen war.
Er lächelte, ließ sich von Jane überreden, noch ein Brötchen zu essen, und verschluckte sich beinahe daran, als Hannah ihre großen grünen Augen auf ihn richtete und fragte: „Tut eine Vision weh?“
Sam schaffte es, den Bissen, den er gerade im Mund gehabt hatte, seiner Speise- statt seiner Luftröhre zuzuführen, und blickte aus großen braunen Augen zurück.
„Wie kommst du auf sowas?“
„Naja …“, Hannah legte leicht den Kopf schief, „Ich habe Mama gefragt, warum du uns nicht schon vorher erzählt hast, dass du sowas kannst, und Mama meinte, dass du wahrscheinlich nicht wolltest, dass wir uns Sorgen um dich machen … und mir fällt nicht ein, warum wir uns deswegen Sorgen um dich machen sollten, wenn es nicht weh tut.“
Sam brauchte einen Moment, um darüber hinweg zu kommen, wie unglaublich schnell dieses Kind bisweilen kombinieren konnte, und nickte schließlich zögerlich.
„Ja, es tut ein wenig weh – aber nicht so sehr, dass ich damit nicht fertig werden könnte.“
Sam sah Hannah nicht in die Augen, während er das sagte, und William klopfte ihm prompt auf die Schulter und nötigte ihm ein weiteres Brötchen auf, Jane schenkte ihm Kaffee nach, und Sean sah ihn einfach nur an, sein Blick eine Mischung aus Dankbarkeit, Mitgefühl und Bewunderung für die Selbstverständlichkeit, mit der Sam die Lüge ausgesprochen hatte.
Ohohoho, mir ist grad was Fabelhaftes aufgefallen!
Die Stelle, an der Dean im ersten Abschnitt sagt „Ist schon gut, William – das ist unser Job.“ – das erinnert mich an, das ERINNERT mich an …
SIE: „Wie kann ich dir nur danken, du gutaussehender, geheimnisvoller, dunkler
Prinz der Nacht?“
ER: „Schon gut, kleine Lady, deine Tränen der Erleichterung reichen mir völlig.
Hör zu: Ich war einst der böseste Vampir. Aber die Liebe – und so’n blöder Fluch – haben mich gezähmt, und jetzt bin ich nur noch ein schwuchteliger Schmusevampir mit stumpfen Zähnen. – Nein! Fass mir bloß nicht in die Haare!“
SIE: „Aber, gibt es denn keine Möglichkeit, dir zu zeigen, wie dankbar ich bin?“
ER: „Nein. Menschen in Not zu retten ist mein Job – und wenn ich mich dann
hüftschwingenderweise, wie so ’ne Fummeltrine verabschieden kann, ist das der schönste Lohn für mich.“
SIE: „Verstehe, ich hab einen schwulen Neffen, mit dem -“
ER: „Kein Wort mehr, das Böse ist überall – und jetzt hab ich fast nichts mehr
von diesem wundervollen Schwuchtelhaargel, das ich so sehr mag …
Komm schnell, zum Angel-Mobil – weg hier!“
Es ist doch immer wieder schön …
Obwohl mich das Gefühl nicht loslassen will, dass ich ein wenig falsch zitiert habe, aber egal – is’ lange her und ich bin ’ne alte Frau …