Selbst-Kontrollverlust
Dean stellte das Wasser der Dusche ab, zog den Duschvorhang beiseite, trat aus der Duschwanne und blinzelte verwundert, als er Sam in der offenen Tür stehen sah.
„Kann ich was für dich tun?“
Er beobachtete verwirrt, wie Sam rückwärts zurückstolperte, die Tür hinter sich zuzog und hörte ihn perplex „Wird nicht wieder vorkommen!“ rufen.
Langsam aber sicher wurde ihm Sams merkwürdiges Verhalten der letzten Tage suspekt.
Es war ziemlich genau drei Tage her, dass sie Bobbys Gastfreundschaft in dem Glauben, einen neuen Job aufgetan zu haben, aufgegeben hatten, und vor ziemlich genau zwei Tagen war Dean mit einem Stapel Zeitungen in ihr Motelzimmer gekommen und hatte Sam hinter seinem Laptop vorgefunden.
An sich war das kein überraschender Anblick, aber huschig-wuschig reichte nicht aus, um zu beschreiben, wie Sam ihn angesehen, und mit welch verdächtiger Hast er den Computer zugeklappt hatte.
Hätte Dean es nicht besser gewusst, er hätte gesagt, dass Sam sich Pornos angesehen habe – aber sowas Verwerfliches tat der fromme Sam ja nicht.
Wenn man Sam ein paar Stunden allein im Motelzimmer zurückließ und einen trinken ging, guckte der eher einem Mann mit komischer Frisur beim Malen zu, wenn man schließlich zurück kam, als sich mit einem Porno bei Weitem sinnvoller zu beschäftigen.
Dean hatte Sammy am vergangenen Abend wie gebannt auf den Bildschirm des Fernsehers starrend vorgefunden, als er aus der Bar mit dem wunderbar schummrigen Licht zurückgekommen war, hatte sich schon ins Fäustchen gelacht und Sam gerade gratulieren wollen, dass der sein Glück endlich wieder selbst in die Hand nahm – und dann festgestellt, dass sich Sams Hände alle beide über der Bettdecke befanden.
„Was guckst du da?“, hatte er also neugierig gefragt und Sam hatte ihn nicht einmal angesehen und „Bob Ross“ genuschelt.
Da Dean keine Ahnung gehabt hatte, wer oder was Bob Ross war, hatte er sich zu Sam an die Bettkante gesetzt und mit wachsendem Unglauben beobachtet, wie ein älterer männlicher Weißer mit Afrokrause in beängstigender Geschwindigkeit eine Naturlandschaft auf einer handelsüblichen Leinwand entstehen ließ und dabei ohne Unterlass sinnloses Zeug vor sich hin erzählte.
„Faszinierend“, hatte sein abschließendes, vernichtendes Urteil gelautet, und Sam hatte begeistert irgendwas von „fröhlichen kleinen Büschen“ gebrabbelt.
Solch merkwürdiges Verhalten war sehr viel leichter zu ertragen, wenn Dean sich klar machte, dass er nicht mit Sam verwandt war.
Er hatte ihm also genüsslich 5 Punkte von der Männlichkeitsskala abgezogen und war ins Bett gegangen, um Sam seinem selbst gewählten Schicksal zu überlassen.
Das war, wie bereits erwähnt, am vergangenen Abend gewesen.
Zurück in der Gegenwart hatte Sam auf der anderen Seite der Badezimmertür derweil noch immer damit zu kämpfen, Dean nackt gesehen zu haben, obwohl das beileibe nicht das erste oder sogar das längste Mal gewesen war.
Sam stöhnte leise auf und warf sich auf sein Bett.
Was brachte es ihm bitte, im Internet nach homosexuellen Praktiken zu recherchieren – dabei hatte Dean ihn nämlich vor zwei Tagen erwischt – wenn er sowieso nie dazu kommen würde, sein detailliertes Wissen an Dean weiter zu geben?
Sein Kopf war immer noch voller Bilder, die da beileibe nicht reingehörten, schon gar nicht, wenn er mit Dean im Impala eingepfercht war und dessen Präsenz sich über ihn stülpte wie – nein was war das denn für ein Gedanke – wenn sie sich in ihn rammte wie – oh Gott, was hatte er nur getan?!
„Kannst du mir sagen, warum wir schon wieder hier sind?“
Dean warf Sam einen anklagenden Blick zu, und der tat, als habe er ihn nicht gehört und verschwand hinter einem Stapel antiker Stühle.
Dean schnaufte genervt und machte sich schleunigst an seine Verfolgung, weil er absolut keine Lust hatte, ihn zu verlieren und dann wieder stundenlang zwischen verstaubten Kommoden und angelaufenen Spiegeln nach ihm suchen zu müssen.
Er schlängelte sich an hässlichen Lampen mit verblassten rosa Schirmchen vorbei und war erleichtert, Sam am anderen Ende des Raumes ins Gespräch mit der Besitzerin vertieft zu sehen.
Dean blieb sofort stehen, wo er war, und tat, als binde er sich die Schuhe neu, weil er nun wirklich keine Lust hatte, von besagter Verkäuferin wieder für einen Antikliebhaber gehalten und endlos zugetextet zu werden.
Er und Sam waren vor zwei Tagen schon einmal in diesem angestaubten Ramschladen gewesen, weil ein Zeitungsartikel sie Glauben gemacht hatte, der Besitzer sei an etwas Übernatürlichem zu Tode gekommen – wie sich herausgestellt hatte, war es ein äußerst profaner Herzinfarkt gewesen – und hatten sich dann stundenlang mit der neuen Besitzerin, seiner Tochter, die über Vierzig und noch dazu ein kleinwenig überkommunikativ war, herumschlagen müssen.
Sam, der enervierende Einfallspinsel, war allerdings noch immer überzeugt, etwas an diesem Laden sei nicht ganz koscher, und hatte darauf bestanden, erstens in der Stadt zu bleiben und zweitens den Laden so lange unter Beobachtung zu behalten, bis er sich das merkwürdige Gefühl erklären konnte, das er ihm verursachte.
Da Dean die Erfahrung gemacht hatte, dass Sams merkwürdige Gefühle für gewöhnlich Hand und Fuß hatten – Hand und Fuß eines Poltergeistes zum Beispiel – hatte er sich breit schlagen lassen, Sam allerdings schon aus Prinzip 5 Punkte von der Männlichkeitsskala abgezogen.
Dean ließ seinen Blick durch die endlose Anhäufung von Ziertischen und sonstigem überflüssigem Schnickschnack schweifen, an dem höchstens zu Tode gelangweilte Oberklassedamen Gefallen finden konnten, bis er an einer afrikanischen Holzfigur hängen blieb, die in diesem überkandidelten Umfeld seltsam fehlplaziert wirkte.
Weil ihm erstens langweilig war und er zweitens nichts Besseres zu tun hatte, beschloss er, sich das Ding genauer anzusehen, umkreiste vorsichtig eine Sammlung von Kristallkerzenleuchtern, die er schon bei ihrem letzten Besuch beinahe sämtlichst zerlegt hätte, und kam schließlich vor dem Tisch zum Stehen, wo zwischen einer Herde Elefanten aus echtem Elfenbein – wenn Jesiah Martin das sehen könnte – besagte Holzfigur stand.
Dean grinste über das ganze Gesicht, als er erkannte, dass es sich um eine Fruchtbarkeitsstatue handelte – deutlich an ihren überproportional großen Geschlechtsmerkmalen zu identifizieren – nahm sie in die Hand und rief Sam zu, dass er das perfekte Weihnachtsgeschenk für Sean gefunden habe, was nicht nur Sam sondern auch die blöde Besitzerin auf den Plan rief, die ihn unglaublich eloquent bat, die Figur zurück zu stellen.
Dean tat grummelnd, wie ihm geheißen, musste einen anklagenden Blick von Sam und einen endlosen Vortrag von der nervtötenden Verkäuferin ertragen, und dann zerrte Sammy ihn aus dem Geschäft.
Sam kam mit einem Handtuch um die Hüften aus dem Badezimmer und stutzte, als er Dean nicht wie erwartet vorm Fernseher sondern am Fenster stehend vorfand, wo er ungewöhnlich verträumt in den strömenden Regen starrte.
Es war gut möglich, dass er sich das nur einbildete, aber irgendwie war Dean komisch, seit sie das Antiquitätengeschäft verlassen hatten.
Nicht nur hatte er ihn fast die ganze Autofahrt lang immer wieder angesehen, als sie wieder in ihrem Motelzimmer angekommen waren, hatte er ihm außerdem aus der Jacke geholfen und ihm dann auch noch kurz den Rücken getätschelt.
Sam wollte ja nun wirklich nicht kleinlich sein, aber das war irgendwie so gar nicht Dean.
Als er nun die Badezimmertür hinter sich schloss, fuhr Dean leicht zusammen, drehte sich zu ihm um, und der Blick, den er ihm zuwarf, verursachte Sam beinahe eine Gänsehaut.
Dean gab seinen Platz am Fenster auf, kam durch das Zimmer auf ihn zu, und irgendwie hatte Sam mit einem Mal ein absolut unerklärliches Kribbeln im Bauch.
Dean musterte ihn von oben bis unten, seine Augen nahmen einen seltsamen Ausdruck an, dann hob er die Hand und zog mit dem Zeigefinger eine feuchte Spur nach, die über Sams Brust und seinen Bauch hinab lief, und schließlich in seinem Handtuch verschwand.
„Du wirst dich noch erkälten, Sammy.“
Sam, der sich gerade noch hatte beherrschen können, nicht aufzustöhnen, starrte ihn aus großen Augen sprachlos an, und Deans Mundwinkel verzogen sich zu einem unanständigen Grinsen.
„Und dann ist dieses Handtuch auch noch so schamlos kurz …“
Sam erstarrte, als er Dean nach dem Zipfel seines Handtuchs langen sah, hielt es in letzter Sekunde fest und versuchte, seine rasenden Gedanken zu ordnen.
„Christo!“, war das Erste, das ihm einfiel, Dean lachte amüsiert auf und packte sein Handtuch fester.
Da Deans Präsenz so intensiv war, dass sie ihn schon beinahe benebelte, schloss Sam Gestaltwandler und ähnliche Verkleidungskünstler großzügig aus, und geriet ein wenig in Panik, weil er sich Deans absonderliches Verhalten beim besten Willen nicht erklären konnte.
„Wir sollten dich wirklich abtrocknen, Sammy “, schnurrte Dean nun, entriss ihm doch noch das Handtuch und fing damit an, ihn ein wenig zu sanft trocken zu rubbeln.
Sam spürte, wie ihm das Blut literweise in die Wangen stieg und hoffte, dass es dort bleiben, und nicht etwa gen Süden streben würde, wenn Dean damit anfing, ihn unterhalb des Bauchnabels trocken zu legen.
Er registrierte kaum, wie Dean das Handtuch irgendwann fallen ließ, war sich dessen Händen an seinen nackten Hüften dafür mehr als bewusst, als er ihn sanft aber bestimmt zum Bett hinüber schob.
„Dean?“, war alles, was er heraus brachte, und der Angesprochene sah ihn mit einem Blick an, der Platin hätte schmelzen können.
„Ja, Sammy?“
Sam schluckte trocken, versuchte zu verdrängen, dass er vollkommen nackt war, und sich stattdessen auf Deans Augen zu konzentrieren.
Das war allerdings auch keine besonders intelligente Idee, weil das Einzige, was er momentan aus Deans Augen herauszulesen glaubte, das Verlangen nach intimen Aktivitäten mit ihm war, und das half ihm nicht wirklich, ruhig zu bleiben.
„Du … ich … was hast du vor?“, stammelte er atemlos, Dean versetzte ihm einen Schubs, er fiel rückwärts aufs Bett und grabschte hastig nach der Bettdecke, um seine Blößen zu bedecken.
Dean zog sich derweil seelenruhig sein Shirt über den Kopf, pfefferte es in eine entlegene Ecke des Zimmers und öffnete dann seinen Gürtel.
„Was werde ich wohl vorhaben?“, fragte er schnurrend, und Sam bekam eine meterdicke Gänsehaut.
„Ja, aber … du …“
Sam verstummte, als Dean seine Jeans aufknöpfte und den Reißverschluss aufzog, und hatte in der nächsten Sekunde vergessen, was er hatte sagen wollen.
„Du dachtest doch nicht wirklich, ich hätte das bei Sean nicht mitbekommen, oder?“
Sam starrte noch immer auf die schwarzen Boxershorts, die unter Deans Jeans zum Vorschein gekommen waren, und biss sich auf die Unterlippe, als Dean sich die Hose mit einem sexy Lächeln unter seinen Hintern zog.
„Ich gebe zu, dass ich nicht sofort verstanden habe, was Sean mit ‚Ich seh ihm ähnlich’ und ‚Ich könnte dir alles beibringen’ gemeint hat … aber diese Dateien … also wirklich, Sammy …“
Dean hatte die Jeans während dieser Äußerung zu Boden geschoben und ausgezogen, und jetzt flatterte Sams Blick unsicher zu seinen Augen hoch und blieb gefangen an ihnen haften.
„… Wenn du nicht erwischt werden willst, solltest du das zwielichtige Material auf deinem Computer besser verstecken.“
Sams Kopf rauschte nach links, er sah seinen Laptop aufgeklappt auf dem Nachttischchen stehen und schluckte trocken.
Entweder träumte er schon wieder, oder er hatte ein relativ ernsthaftes Problem.
Dann war Dean plötzlich über ihm, saugte sich an seinem Hals fest, und Sam stöhnte, kniff einen Moment die Augen zu und zog in Erwägung, einem Dschinn aufgesessen zu sein, der sich in den Kopf gesetzt hatte, zunächst seine niederen Bedürfnisse zu befriedigen, bevor er ihm ein Friede-Freude-Eierkuchen Dasein mit Dean vorgaukelte, um ihm in aller Ruhe den Lebenssaft aussaugen zu können.
Die Frage war nur, ob ein Dschinn dazu in der Lage war, Deans Präsenz so erschreckend naturgetreu nachzuahmen.
Sam bezweifelte es stark.