wicked von kaprikorn (der dunkle Pfad zur Unsterblichkeit) ================================================================================ Kapitel 6: Zwischen Träumen und Wachen -------------------------------------- Die Nacht war länger gewesen als zu Anfang geplant. Manchmal schoss man wohl über das Ziel hinaus. Wobei jene Möglichkeit bei Tom schon als Zustand hätte gelten können, denn Riddle kannte den Begriff „Zeit" einfach nicht. Sie war nur eine dieser Richtlinien, die den Tag von der Nacht trennte; beziehungsweise den Mond von der Sonne. So konnte ein Tag seiner Ansicht nach durchaus die vierundzwanzig Stunden, die eine Uhr innerhalb eines Tagesablaufes anzuzeigen pflegte, überschreiten. Es war ihm egal. Wichtig war nur, dass seine Ergebnisse erreicht wurden, oder er zu gewissen Fragen eindringliche und befriedigende Antworten fand. Schlaf kam dabei außen vor und war nichts weiter als eine geduldete Notwendigkeit. Nachdem er sich mühsam die Treppen zu seinen Räumlichkeiten empor gekämpft hatte und beinahe auf ein silbernes Tablett mit einer Schüssel erkalteter Suppe gestiegen wäre, wollte er sich beherrschen, dem Drängen nach einer Pause nachzugeben; verlor diesen Kampf aber. So war der hoch Gewachsene bäuchlings über dem ungemachten Bett zusammengebrochen, das unter seinem Dachbalken in dem gesamten Zimmer unheimlich vergessen wirkte. Er sank in einen traumlosen und tiefen Schlaf, den in jenem Augenblick niemand zu stören im Stande gewesen wäre. Ein leichtes Röcheln drang aus seinen geöffneten Mundwinkel; das atmen fiel ihm hinsichtlich seines verwunschenen Experiments und der fehlenden Nase schwer. Der Jahreszeit genehm ließ sich die Sonne bei ihrem Aufgang nicht stören. Nur spärlich drangen ihre Strahlen durch die geschlossenen Fensterläden und würde ohnehin niemals einen vollkommenen Einblick in den Raum dahinter erhalten; schließlich war sie auch bewusst daraus ausgesperrt worden. Trotz allem hatte das schwache Licht die Kraft, den rieslenden Staub in der Luft sichtbar zu machen und die Gerätschaften, die sich in dem Zimmer türmten, als schemenhafte Figuren sichtbar werden zu lassen. Und die Beschreibung „Unordnung" war in diesem Fall tatsächlich ein wenig untertrieben. Zwar gehörte Voldemort nicht zu jenen, die man mit etwas Aufräumen überfordern konnte. Trotzdem machte der Schwarzmagier keinen Hehl daraus, nicht die nötige Überwindung zu besitzen, sich dieser Arbeit hinzugeben. Außerdem hätte es sowieso nichts genützt, waren alle Habseligkeiten stets im Gebrauch und besaßen damit keinen Anspruch auf einen festen Platz. Nagini beobachtete ihren Herren aufmerksam während er schlief, um dabei festzustellen, dass er sich in seinem Ruhezustand kaum bewegte. Sie allein wusste, was hinter dieser hohen und nun mehr gänzlich kahlköpfigen Stirn für ein Geist lauerte; nicht nur, weil sie immer an seiner Seite war. Auch deshalb, weil Riddle mit ihr sprach. Sie galt als seine Begleiterin, seine Freundin. Eine Schlange, die von Menschenhand aufgezogen und gefüttert worden war. Sie liebte ihn und ihre Liebe ging soweit, dass sie bereit war alles für ihn zu tun. Sogar auf seine Experimente ließ sie sich ein. Von den Befehlen, andere zu töten ganz zu schweigen. Diese schrecklichen Dinge, die er tat. Die er sich selbst antat, ohne sie zuvor an jemandem getestet, gar gesehen zu haben. Es gab Nächte, wo er sich vor Schmerzen schreiend auf dem Boden wand, wie ein sterbendes Stück Vieh. Oder solche, an denen seltsame Pusteln und Knorpel aus seiner Haut traten, die Feuer verspritzten, wenn sie platzten. Dabei hatte er meistens Fieber, schwitzte und halluzinierte. Dann sagte er zu ihr in einer ihr ungewöhnlich fremden Stimme: „Wir werden es schaffen. Irgendwann werden wir unsterblich sein." Dabei verstand Nagini nicht einmal die Hälfte von dem, was er sagte, was er in seinen Büchern laß und in sein Tagebuch schrieb – nicht nur des Umstands wegen, weil sie nicht lesen konnte. Er erklärte ihr nur soviel, wie sie seiner Meinung nach auch wirklich wissen durfte und das beunruhigte die Boa. Ihr Leib wälzte sich nun unruhig auf dem schweren Holzboden hin und her und ihre Zunge trat aufgeregt zwischen ihrem lippenlosen Mund hervor. Tom sah friedlich aus, wenn er die Augen geschlossen hielt und ruhte. Es war ihr ein Rätsel, weshalb er von diesen menschlichen Hirngespinsten so ausnahmslos besessen war und ging eindeutig über ihren einfachen Verstand hinaus. Einmal hatte sie ihm vorgeschlagen, er solle sich in eine Schlange verwandeln – darauf hin erwiderte er ihr ein kaltes und hohes Lachen und nannte sie „lächerlich". Nagini hatte den restlichen Tag kein Wort mehr mit ihm gewechselt, was er mit einem Sack voll Mäuse wieder versuchte gut zu machen. Tom wusste, wenn er wollte, wie man sich entschuldigte. Genauso wie er wusste, wie man andere bei Laune hielt – vor allem Feinde. ... „Er ist unausstehlich..." „Wenn du ihn erst einmal besser kennst, denkst du anders über ihn." „Oh nein, ganz sicher nicht, Vater. Er hat nicht einmal eine Nase. Ich meine – er sieht scheußlich aus; er hat mir auf gewisse Weise Angst gemacht." „Lass dich nicht von seinem Aussehen täuschen, Mädchen. Es geht dich nichts an, was er mit sich anstellt. Und wir alle wissen, dass der Dunkle Lord sehr experimentierfreudig ist. Das ist seine Leidenschaft." Bellatrix seufzte. Ihre Hände zitterten noch immer, wenn sie an den vergangenen Abend dachte. Voldemort war ihr sogar im Traum erschienen. Mit seiner Fratze, die sie höhnisch angrinste – und keine Nase besaß. Allein der Gedanke daran war grotesk – wie konnte man seine Nase verlieren? Jedenfalls war er nicht normal. (soweit man als Zauberer überhaupt Anspruch auf eine „Normalität" besaß). Er musste wahnsinnig sein, besessen von Ideotie. Andererseits konnte die älteste der Black-Schwestern nicht verhehlen, eine gewisse Neugierde ihm gegenüber zu empfinden. So abstoßend er auf den ersten Moment auch war; seine Ausstrahlung war zweifellos von einem Genie geprägt, an das man so schnell nicht herankommen konnte. Die Schwarzhaarige rührte nachdenklich in ihrer Teetasse und weil sie ihr Vater nach wie vor beobachtete, scheute sie sich aufzusehen. Diesem Blick stand zu halten war gar nicht so einfach. Bei anderen konnte man trotzig sein, aber nicht bei Cygnus Black. Er verströmte eine Erhabenheit, der man einfach nicht trotzen konnte, selbst, wenn man es versuchte. Und obgleich sehr streng, wusste er immer was für seine Töchter am Wichtigsten war. Von der Wahl ihrer Ehemänner ganz zu schweigen. Sie waren mit Sorgfalt ausgesucht. Und jetzt, da seine kleine „Madame" endlich ein vernünftiges Alter erreicht hatte, wollte er sie unter einer weiteren sicheren Hand wissen – und diese Hand über ihrem Haupt sollte letztlich Lord Voldemort selbst darstellen. Er war die Zukunft, eine für Magier mit Hoffnung geprägte Zukunft. Bella wusste um diesen Aufwand, den er hinter sich hatte, damit Voldemort sie überhaupt empfing und war sich deswegen sicher, dass ihr Vater diese Arbeit nicht umsonst geleistet haben wollte. Sie seufzte ein weiteres Mal. Hin und hergerissen. Dann gab sie nach. „In Ordnung... ich werde diese Ausbildung annehmen." „Du wirst es nicht bereuen, Bella", bestätigte Black mit einer deutlichen Spur Stolz in seiner Stimme. Er erhob sich grazil von seinem Platz. „Enttäusch mich nicht." „Nein, ganz gewiss nicht, Vater." „Das ist mein Mädchen..." ... Ein leises Stöhnen drang über Riddles Lippen, als er die Augenlider hob und geistesabwesend den Raum sondierte. Nur langsam und gemächlich traten Erinnerungen in sein Gedächtnis. Er hustete. Und noch einmal blinzelnd, beugte sich Nagini ein wenig vor, aber er beachtete sie nicht, sondern rappelte sich in eine sitzende Position und ließ die Füße von der Bettkante gleiten. Es war noch etwas Wichtiges zu erledigen; der Hautfetzen wartete dort, wo er ihn zurück gelassen hatte. Nach wie vor mühsam und ein wenig unsicher auf den Beinen, lenkte sich Voldemort zielsicher in Richtung Spiegel, würdigte seine Reflektion nicht einmal annähernd eines Blickes und ergriff das Hautstück, das er sich am Tage zuvor magisch von seiner Bauchdecke entfernt hatte. Den Kopf in den Nacken neigend, legte er es über das klaffende Loch in seinem Gesicht, angelte nach seinem Zauberstab und begann mit Hilfe eines passenden Zaubers, das Nasenbein zu schließen. Er konnte nicht verhehlen, dass es weh tat und sehr unangenehm war; schließlich war das Gewebe und das Fleisch um das Loch herum nach wie vor intakt. So traten Tränen in seine Augenwinkel. Doch er war geduldig und setzte seine Arbeit fort, bis sie getan war. Eine Art Nebel bildete dabei sich um sein Haupt und der Geruch von verbranntem Fleisch hang in der stickigen Luft des Zimmers. Als er glaubte, fertig zu sein, zog er die Hand zurück und betrachtete sein Spiegelbild. „Du bist nach wie vor hässlich", kommentierte Tom müde, tonlos und konnte ein kehliges Seufzen kaum unterdrücken. Er schritt zur Tür und öffnete sie: „Abraxas..! Bring mir eine Tasse Tee..." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)