Fesseln der Liebe (?) von Animegirl_07 ================================================================================ Kapitel 13: Kapitel 13 ---------------------- Die Nacht lag über der Stadt. Es war noch immer Mittwoch und ging bereits auf zehn Uhr zu. Jackin saß im Wohnzimmer seiner eigenen Wohnung. Den Koffer, den er für Aya mitgebracht hatte, und auch Rias Koffer standen beide in einer Ecke. Die Busfahrt lag bereits hinter ihnen und Nora, seine Klassenkameradin, hatte ihm geholfen, die Koffer nach Hause zu bringen, da er Ria mit sich tragen musste. Das blonde Mädchen war erst vor etwa einer Stunde erwacht und saß nun neben ihm auf der Couch, eine Tasse Tee in der Hand. Sie hatte ich bereits umgezogen und ihre Haare gerichtet, dennoch sah sie schrecklich aus, denn ihre Augen zeigten noch immer Trauer und Angst. Von dem Schrecken, der ihr gestern Nacht widerfahren war, hatte sie sich eigentlich recht gut erholt und sie hatte fast eine ganze Nacht geschlafen. Aber noch immer steckten die Erinnerungen in ihren Knochen und Jackin konnte nicht vergessen, wie er sie vorgefunden hatte. Ria nippte erneut an ihrer Tasse, doch der Tee vermochte es nicht, sie zu wärmen. Sie sehnte sich nach Jackins Nähe, aber sie schämte sich für ihr Verhalten so sehr, dass sie es nicht wagte, ihn überhaupt anzusehen. „Ria, wann möchtest du mir endlich sagen, was mit dir los ist?“, bat Jackin. Das Einzige, dass sie seit ihres Erwachens gesagt hatte, war sein Name. Einmal und kurz bevor sie die Augen aufgeschlagen hatte. Seitdem schwieg sie ihn beharrlich an und starrte mit einem leeren Blick in weite Ferne. Er wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte. Was erwartete sie, dass er tun sollte? Ihm war nur eines klar, je länger sie ihn ignorierte, desto mehr schmerzte es in seiner Seele. Ria senkte ihre Tasse wieder und schüttelte nur den Kopf leicht, dann stellte sie die Tasse auf dem Tisch ab und stand auf. Jackin wusste, dass sie gehen wollte, in ein anderes Zimmer, aber wieso? Seit sie hier eingezogen war, suchte sie andauernd nach seiner Nähe und auf einmal wollte sie von ihm weg. Seinem Bauchgefühl folgend, ohne lange darüber nachzudenken, ergriff Jackin Rias Hand. Ihre Haut fühlte sich kalt an, obwohl es im Zimmer recht warm war. Er wusste nicht wieso, doch spürte er, dass Ria seine Nähe brauchte. Während Ria schweigend und mit gesenktem Blick stehen blieb, stand er ebenfalls auf und holte eine Wolldecke aus seinem Schlafzimmer. Den Arm um Rias Taille gelegt, zog er sie mit sich auf die Couch und gab ihr den Platz direkt auf seinem Schoß. Die Decke legte er um sie beide. Ria hätte nie geglaubt, dass Jackin einmal von selbst ihre Nähe suchen würde. Über die plötzliche Wärme dankbar, kuschelte sie sich an ihn und bettete ihren Kopf auf seine Schulter. „Jackin“, flüsterte sie seinen Namen. „Was war denn eigentlich los? Du sahst so verängstigt aus. Hast du Angst vor Gewitter?“, fragte Jackin mit einer sanften Stimme nach. Er machte ihr keine Vorwürfe, für ihr schlechtes Benehmen und Ria war ihm dankbar. Außer Shinri hatte sie nie jemanden gehabt, der es einfach hingenommen hatte. Der Mann, der sie aufgezogen hatte, hatte ihr versucht zu helfen, doch hatte jede Therapie nichts gebracht. Nur Shinris Nähe hatte ihre wunde Seele heilen können, denn auch er hatte das erlebt, was ihr so zu schaffen machte. „Was ist es, Ria. Möchtest du es mir erzählen?“, erklang erneut Jackins wohltuende Stimme. „Egal, was es ist, ich würde es gerne wissen.“ Seine Bitte war etwas schönes, denn damit zeigte er ihr, dass sie ihm nicht unwichtig war, dennoch wäre es besser, wenn sie es ihm nicht sagen würde. Das Erlebnis war etwas, dass ihr Leben bestimmt hatte. Es machte ihr immer noch Angst, nur darüber zu sprechen. Damals wäre sie am liebsten auch gestorben. Doch Shinri hatte sie gerettet. „Ein andermal, Jack. Lass mich bitte nur hier liegen. Mehr nicht“, bat sie ihn und kuschelte sich enger an ihn. Sie atmete seinen Duft tief in sich ein und schloss die Augen. Sie war nicht müde. Jedes Mal, wenn sie so etwas durchmachte, schlief sie lange. Aber sie wollte diesen wundervollen Moment nicht zerstören, nur genießen. Zur selben Zeit erreichten Shinri und Aya ihr Ziel. Noch immer befanden sie sich in Mitte des Waldes, umringt von Bäumen verschiedenster Art. Direkt vor ihnen stand ein großes Haus. Es sah alt aus und musste gewiss schon lange hier stehen, doch war es noch immer im besten Zustand. In der Dunkelheit wirkte es düster und bedrohlich. Es kam einem Geisterhaus gleich. Alle Vorhänge waren zugezogen und es schien kein Licht zu brennen, ganz als wäre niemand Zuhause. Es konnte aber auch gut möglich sein, dass die Bewohner bereits schliefen, schließlich wusste Aya nicht, wie viel Uhr es war. „Hier sind wir also … Dann lass und klingeln“, bestimmte sie und ihr Herz klopfte nervös. Sie war schon sehr darauf gespannt, wie der Arzt wohl war. Shinri mochte ihn nicht, also schien er keinen guten Charakter zu haben. Aya hatte schon ihre eigene Vorstellung von ihm. Einen älteren Herrn mit grauen Haaren und einem strengen Blick. Shinri trug sie wortlos zur Tür, damit sie die Klingel drücken konnte. Ein schriller Ton hallte durch das große Haus. Sollten die Bewohner wirklich schon geschlafen haben, so würde es jetzt nicht mehr so sein, dachte sich Aya und wartete gespannt auf den Hausherrn. Sie mussten kaum eine Minute warten, als die Tür nach innen ausglitt. Vor ihnen zeigte sich das Innere des Hauses nur in einem schwarzen Nichts. Wie gebannt starrte Aya in das Düstere. Erwartungsvoll musterte sie dann den Mann, der hervortrat und sich somit den beiden zeigte. Er war gekleidet in einer schwarzen Stoffhose und einem weißen Hemd. Seine dunkelroten Haare, die einen interessanten Kontrast zu den grünschwarzen Augen bildeten, fielen über seine straffen Schultern und immer weiter hinab. Aya blieb das Wort im Halse stecken, als sie in das freundliche Gesicht blickte. Sollte das der Arzt sein? Er sah so jung aus mit seinem freudigen Lächeln. Aber in seinen grünen Augen zeigte sich, dass er mehr Erfahrung hatte, als Aya vermutete, genauso wie sie daraus etwas ähnliches wie Trauer herauslesen konnte. Der fremde Mann musterte Aya kurz, bevor er Shinri ansah. Seine Augen weiteten sich erstaunt. “Shinri! Lange nicht gesehen, mein süßer Cousin! Ich hatte mir schon Sorgen gemacht, du hättest vergessen, wo ich wohne!”, lachte er vergnügt, was nicht so ganz zu der Trauer passte, die sie in seinen Augen erhascht hatte. Vielleicht hatte sie sich auch nur getäuscht. Viel mehr interessierte sie die Tatsache, dass die beiden Verwandt waren. Kalt wie Eis zischte Shinri: “Nerv mich nicht!” Nach Shinris Laune zu urteilen musste der Mann ihnen Gegenüber der Arzt sein. All ihre Vermutungen gingen den Bach herunter. Weder sah er streng aus, noch alt. Er war ganz das Gegenteil von dem, was Aya sich unter dem Arzt vorgestellt hatte. Dabei konnte sie nicht einmal glauben, dass er wirklich mit Shinri verwandt war. “Ach, wir können ja auch noch später reden! Kommt doch erst einmal hinein. Ich heiße euch in meinem bescheidenen Heim willkommen.” Er zeigte mit der Hand in das Hausinnere, in dem sich ein langer Flur erstreckte, nur vom Mondlicht erhellt. Er überließ dem einzigen Mädchen den Vortritt. Wie ein Gentleman. Aya war mehr als angenehm überrascht von seinem Auftreten. Sie war regelrecht begeistert. Er war ihr sofort sympathisch, im Gegensatz zu Shinri, den sie vom ersten Augenblick am liebsten in den Hintern gebissen hätte. Aya betrat das neue Reich als erstes. Shinri ließ sie herunter, blieb aber dicht an ihrer Seite, um sie zu stützen. Ihr Fuß schmerzte noch immer fürchterlich und sie wagte es kaum, ihn zu bewegen. Ein dunkler Flur erwartete sie. Der Grund für diese Dämmerigkeit, waren die zugezogenen Vorhänge und geschlossenen Türen, wie sie Anfangs bereits festgestellt hatte. Der Cousin von Shinri schaltete das Licht an, welches über ihren Köpfen nur schwach aufflammte. Mit einem Lächeln betrachtete Aya das Hausinnere. Ein gemütliches Haus, fand sie. Zwei Stockwerke. Ein langer, hölzerner Flur. In mitten diesem stand eine Treppe, die in den oberen Stock führte. Auf beiden Seiten des Korridors gingen einige Türen ab. Und an den Wänden hingen viele Porträts von Personen, die Aya noch nie in ihrem Leben gesehen hatte, aber jeder von ihnen wirkte düster und geheimnisvoll. Ihre dunklen Augen erinnerten an Shinris und die der anderen Zomas. Das Mädchen schüttelte leicht den Kopf. Sie würde sich hier einsam fühlen, ganz alleine ohne Anschluss zu den anderen. Sie empfand es schon als einsam, wenn sie nur alleine in ihrer Wohnung saß. Was … was dachte sie da? Sie unterbrach ihren Gedankengang und versuchte es sich selber zu erklären. Seit wann war sie in ihrer Wohnung einsam? Sie hatte so etwas doch noch nie gefühlt. Bestimmt lag es wieder an Shinri! Der Hausherr ging zielstrebig auf eine Tür zu und öffnete diese. Er geleitete seine Gäste hinein in die warme Stube und schaltete sofort das Licht an. Während er mit den Vorhängen des Fensters beschäftigt war, begutachtete Aya den Raum, in dem sie sich befand. Es schien eine Art Wohnzimmer zu sein. An einer Wand fand ein großer Kamin seinen Platz, in dessen einige Holzscheiteln lagen, aber die Glut war bereits erloschen. Ein schwarzer Holztisch stand in Mitten des Raumes und um ihn herum waren ein Sessel und eine Couch platziert. Aya machte es sich auf der Couch gemütlich. In diesem Raum gefiel es ihr. “Oh! Ich bin wirklich unhöflich! Verzeiht mir!”, entkam es plötzlich vom Hausbesitzer, der sich die flache Hand gegen die Stirn schlug, als fiele ihm etwas Wichtiges ein. Er lächelte Aya an und erzählte ihr: “Ich sollte mich vielleicht doch einmal vorstellen. Mein Name ist Lucio Zoma. Ich wohne hier ganz allein, wie du siehst, und freue mich riesig dich als meinen Gast zu empfangen. Und, mit wem habe ich das Vergnügen?” Lucio, wie er sich nannte, lächelte freundlich und zwinkerte Aya zu. Das Mädchen antwortete ihm bedenkungslos, denn er war wirklich aufmerksam und höflich, weswegen sie ihm ebenso entgegnen wollte. Von ihm konnte sich Shinri wirklich eine Scheibe abschneiden. Der rothaarige Mann ließ sich den Namen auf der Zunge zergehen. “Was für ein wundervoller Name”, schwärmte er. “Lass-!” Shinri versuchte seinen Cousin zu unterbrechen, doch gelang es ihm nicht wirklich, denn schon sprach dieser weiter: “Verzeih mir, dass ich so ein schrecklicher Gastgeber bin. Du musst doch bestimmt an Schmerzen leiden. Folge mir doch bitte in meine kleine Praxis, dann kann ich dich besser behandeln.” Obwohl Aya noch kein Wort über ihr schmerzendes Bein verloren hatte, schien es ihm bereits aufgefallen zu sein. Dankbar stütze Aya sich an Lucios Arm ab, doch verließen sie nicht sofort den Raum. Eine düstere Aura ging von Shinri ab. Sogar Aya konnte seine Wut spüren. “Was wird das jetzt?!”, schimpfte er sie, als würden sie etwas unrechtes tun. Zwei unschuldige Augenpaare sahen ihn unverwandt an. “Ich möchte Aya verarzten, dafür hast du mich doch gewiss aufgesucht. Und in meiner Praxis kann ich dich nicht reinlassen. Berufsgeheimnis.” Nun wand sich Lucio um und schritt durch das Wohnzimmer auf die Tür zu. Aya lief direkt neben ihm, während sie sich auf seinen Arm stützte. Ihr Bein schmerzte noch immer fürchterlich und sie wusste, Lucio konnte ihr helfen. Schweigend sah er zu, wie beide hinter der nächsten Ecke verschwanden, bis er nur noch auf einen düsteren Flur starrte. Er biss sich auf die Lippe und hätte am liebsten kurz danach irgend einen Gegenstand zerschmettert, um seine Wut etwas herunter zu kurbeln. “Was mache ich nur falsch?”, stellte er die Frage in den Raum, wusste aber, dass er keine Antwort darauf bekommen würde. Aya nahm auf einem weißen Bett Platz. Sie befand sich nun in der kleinen “Praxis“, wie Lucio diesen Raum nannte. Ihr Blick wandere umher. Das Arbeitszimmer war ein großer, heller Raum, in dem zwei große, weiße Schränke, das Bett und ein hellbrauner Schreibtisch mit einem dazupassenden Drehstuhl standen. Lucio zog einen großen Koffer hervor, in dem sich Unmengen Utensilien befanden, die er wahrscheinlich für seine Hausbesuche benötigte. “Dein Fuß schmerzt also. Was ist damit passiert?”, wollte er wissen, während er einen seiner großen Schränke durchsuchte. Schon bald zog er einen Verband hervor und irgendwelche seltsamen Fläschchen, die Aya das erste Mal in ihrem ganzen Leben zu Gesicht bekam. “Ich hab mich unter einem Baum eingeklemmt. Es war ein Unwetter und es gab einen Erdrutsch”, erzählte Aya etwas verlegen. Auch wenn Lucio sehr freundlich war, so war er dennoch älter als sie und gewiss erwachsener. Kein Erwachsener könnte es verstehen, wenn er hörte, dass sie bei einem derartigen Wetter im Wald war. “Und Shinri hat dich gerettet, nehme ich an. Ich hätte nie gedacht, dass er jemals seinem Schicksal folgen würde. Na ja. Er hatte eigentlich ja keine Wahl”, meinte er, wobei es mehr klang, als würde er mit sich selbst sprechen. Verwirrt sah Aya ihn an, schwieg aber. Schicksal? Shinri sprach oft von eine Schicksal und über dieses Zeichen. Dennoch konnte sie sich keinen Reim daraus machen. Lucio schien ihre Verwirrung zu bemerken und erklärte: “Vergiss einfach, was ich gesagt habe. Es ist nicht so wichtig. Ich rede öfters mit mir selber, aber mir bleibt ja auch keine andere Wahl, so alleine in diesem großen Haus.” Wieder lachte er und steckte Aya mit seiner guten Laune an. Sie sah ihm zu, wie er Flüssigkeiten zusammenmischte und schwieg die Zeit über. Kurz darauf trat er damit und mit einem Verband auf sie zu. “Gut. Dann zeig mir die Verletzung.” Es war für Aya seltsam, dass Lucio nicht zuerst ihr Bein begutachtet hatte, aber sie stellte sein Handeln nicht in Frage. Vorsichtig schob sie ihre Jeans hinauf, zuckte aber zusammen, als der Schmerz durch sie hindurch fuhr. Es war auch für sie das erste Mal, dass sie ihr Bein begutachtete. Eigenartiger Weise hatte sie keine offene Wunde davon getragen, dafür hatte sich die Haut violettschwarz gefärbt und war angeschwollen. “Das kann jetzt etwas weh tun”, erklärte Lucio und öffnete Ayas Schuh. Sanft zog er ihn aus und bereitete Aya eine riesige Qual. Sie biss sich hart auf die Zähne, doch konnte sie ein Klagelaut nicht unterdrücken. Der Schmerz blieb auch weiterhin bestehen, als Lucio ihren Schuh bereits ausgezogen hatte. Der Arzt wartete keine Sekunde, bevor er die Flüssigkeit auf Ayas Haut auftrug. “Shinri wäre gewiss nicht sehr angetan davon, was ich hier tue”, lachte Lucio, um Aya den Schmerz erträglicher zu machen und um sie abzulenken. “Der soll sich nicht so anstellen”, zischte Aya, während Lucio bereits begann, ihren Fuß zu verbinden. “Der findet doch immer irgendetwas, um sich aufzuregen.” Lucio lächelte leicht, als er zu ihr aufsah. Seine Arbeit hatte er bereits erledigt und seltsamer Weise hatte der Schmerz etwas nachgelassen. “Ja, aber vielleicht regt er sich auf, weil er sich Sorgen um dich macht”, kam es von Lucio und Aya merkte, wie sie nervöser wurde. Wenn dem so war, dann hieß es, sie bedeutete ihm etwas. Verlegen suchte sie ein anderes Gesprächsthema. “Lebst du eigentlich wirklich ganz alleine hier? Also ganz alleine?”, fragte sie ihn kurzerhand, da ihr nichts besseres einfiel. Der Zoma nickte zustimmend. “Aber, wenn du möchtest, könntest du jeder Zeit bei mir einziehen. Ich würde mich über solch eine freundliche, hübsche und überaus interessante Mitbewohnerin freuen.” Das Mädchen stockte. Sie hatte gerade drei Komplimente auf einmal bekommen. Eigentlich wollte sie nicht mehr an Shinri denken, doch überlegte sie, was er jemals schönes zu ihr gesagt hatte. Sofort fiel ihr wieder Berry ein und sie lief tomatenrot an. “Sollen wir uns wieder auf den Weg zu Shinri machen?”, fragte Lucio nach und bot Aya wieder seinen Arm an. Aya wich seinem Blick aus, um zu verbergen, wie rot sie geworden war. Auch nahm sie das Angebot nicht an, da sie noch etwas wissen wollte. Egal, wie sehr sie sich selbst davon zu überzeugen versuchte, dass sie Shinri nicht mochte, so war sie doch sehr neugierig. “Lucio … Könntest du mir etwas über Shinri erzählen? Du kennst ihn länger, als ich.” Sie besah sich den Verband um ihren Fuß, nur um nicht in Lucios dunkelgrüne Augen sehen zu müssen. Es war ihr peinlich, überhaupt nach Shinri zu fragen. Lucio lächelte sanft, dass konnte sie an seiner Stimme vernehmen. “Auch wenn du es vielleicht nicht verstehen magst, aber du kennst ihn besser, als jeder andere.” Verwirrt blickte Aya auf und blinzelte den älteren an. Ja, sie verstand den Satz nicht. Wie sollte sie Shinri kennen, wenn sie überhaupt nichts über ihn wusste? Doch Lucio sah nicht danach aus, als wolle er dieses Thema näher vertiefen. Er lächelte und wies erneut darauf hin, dass es vielleicht besser wäre, wieder zu Shinri zu gehen. “Gewiss macht er sich bereits Sorgen um dich”, scherzte er. “Ja, er ist gewiss krank vor Sorge”, grummelte Aya sarkastisch. Lucio lachte und half Aya auf, welche sich sogleich auf seinen Arm stützte. Ja, Lucio war um einiges freundlicher und liebenswürdiger als Shinri, dennoch ließ ihr Herz sich nicht umstimmen. Es schlug nur für Shinri. Nur für diesen verdammten, sturen Shinri! Egal was sie auch tat, sie konnte ihn nicht vergessen, doch verstehen würde sie ihn wohl dennoch nicht so schnell - trotz Lucios Worte. “Na gut. Wenn es sein muss, dann gehen wir eben wieder zurück”, murrte Aya, sich an Lucios Arm abstützend. Er wartete nur darauf, dass sie bereits war, zurück zu gehen. Gemeinsam erreichten sie die Tür der Praxis, doch öffneten sie noch nicht die Tür. Anscheinend schien Lucios auch noch etwas auf der Seele zu liegen. Sein Lächeln war schwächer geworden und seine dunkelgrünen Augen musterten Aya ernst. “Aya, ich weiß, du bist schlecht auf meinen Cousin zu sprechen. Wahrscheinlich ist er nicht gerade vorsichtig mit dir umgesprungen, als ihr euch getroffen habt. Dennoch … wenn du wirklich die Wahl hättest, ob er nun da bliebe oder nicht. Wie würdest du dann entscheiden? Ich möchte, dass du gut darüber nachdenkst. Mein Cousin ist mir sehr wichtig, auch wenn er mich vielleicht nicht so sehr leiden kann.” Mit diesen Worten verließ Lucio die Praxis und schwieg sich aus. Er erwartete keine Antwort von Aya, denn er hatte bereits das erreicht, was er wollte. Aya schien sich wirklich Gedanken darüber zu machen. “Wo wart ihr so lange?”, fragte Shinri nach, als Lucio und Aya endlich wieder ins Wohnzimmer traten. In seiner Stimme schwang ein zorniger Unterton mit und er musterte seinen Verwandten misstrauisch. “Wie geht es eigentlich Ria? Eigentlich hatte ich gehofft, sie ebenfalls wieder zu sehen”, wechselte Lucio plötzlich das Thema, um Shinris Frage auszuweichen. Er setzte sich auf den Sessel, während Aya neben Shinri auf der Couch Platz nahm. “Wieso denn? Was hat sie?”, wollte Aya wissen, denn sie ahnte, dass es mit der Situation im Wald zusammen hing. Zu gerne hätte sie mehr darüber erfahren. Sie machte sich noch immer Sorgen um Rias Gesundheit. Der letzte Anblick war ihr noch immer im Gedächtnis eingebrannt. Lucio sah Aya abschätzend an, als er dann meinte: “Ich kann es dir leider nicht sagen, auch wenn ich wollen würde. Das darf nur Ria. Es geht schließlich um sie. Tut mir leid, Süße.” Ein entschuldigendes Lächeln folgte. Aya verstand das Problem und den Grund für das Schweigen. Shinri hatte ihr genauso geantwortet und wieder ging sie nicht weiter darauf ein. Aya warf nur einen kurzen Blick zu ihrem Nachbarn und merkte, dass seine eigentlich sehr dunklen Augen, noch schwärzer wurden und er seinen Cousin mit einem finsteren, Angst einjagenden Blick musterte. Sie wusste, wäre er ein Hund gewesen und kein Mensch, hätte er jetzt mit größter Sicherheit geknurrt, denn seine Wut war nicht zu übersehen. Doch wieso war er so wütend? Das letzte mal, als er zornig gewesen war, hatte er mit kalten Worten reagiert. Aya fühlte sich zwischen den beiden Zomas unbehaglich. Sie wusste nichts zu sagen und die beiden Männer übten sich im Schweigen, was sie auch sehr gut beherrschten. Die Stille wurde immer unerträglicher und drückte auf die Stimmung aller. Schon bald hielt sie es nicht mehr aus. Sie wand sich an Lucio und erzählte ihn kurz, sie sei müde. Es stimmte sogar. Die lange Reise hier her hatte sie zunehmend ermüdet. Am liebsten hätte sie jetzt einfach die Augen geschlossen und wäre eingeschlafen. Lucio stand auf. “Okay, ich bringe dich auf dein Zimmer. Shinri, du war-“ Bevor er Shinri zum Warten verdonnern konnte, stand dieser bereits auf. “Ich gehe mit!”, entgegnete er ihm bestimmend. Seine Augen fest auf die des anderen gerichtet. Ja, dieser Zoma wusste, was er wollte. Er duldete keine Widerworte. Zu dritt gingen sie die Treppen hinauf. Aya ging dieses mal ohne Hilfe der anderen. Es war schwer, aber sie schaffte es. Das Holz knarrte leise unter ihren Füßen. Als sie im ersten Stock ankamen, erstreckte sich ein weiterer langer Gang vor ihnen, ebenfalls aus Holz. Einige Türen gingen ab und der Hausherr öffnete eine dieser, die sich gleich neben der Treppe befanden. “Dies ist ab heute dein Zimmer, Aya”, verkündete er, während er die Tür aufschwang. Aya betrat den Raum, immer darauf bedacht, sich nicht zu sehr auf ihr Bein zu stützen. Ihr Blick wanderte neugierig umher. Es wirkte einladend, mit dem weichen Bett, dem großen Fenster, dem Schrank aus hellem Holz und einer weiteren, kleineren Kommode. Doch bei dem Gedanken hier alleine zu sein, kroch ihr die Angst den Rücken hinauf. Sie schlief ungern alleine in einer ungewohnten Umgebung. Wie sollte sie dies aber umgehen? Nein, sie wollte nicht bei Shinri sein! Sie hatte keine Angst! Eigentlich … Das redete sie sich alles ein, obwohl sie sich insgeheim wünschte jemanden an ihrer Seite zu wissen, auch wenn es Shinri sein sollte. Hauptsache, sie war nicht alleine. Lucio und Shinri verließen den Raum wieder. Aya blieb an der Tür stehen. “Also, wir gehen noch etwas runter, wenn du etwas brauchen solltest. Bis morgen und eine gute Nacht. Ach! Übrigens, das Bad ist gleich daneben, falls du für keine Mädchen musst. Also, eine geruhsame Nacht, meine Hübsche”, kam es von Lucio. Er lächelte sein liebevolles Lächeln, an das sie sich schon langsam gewöhnte, und zwinkerte ihr zu. Auf einmal kam er ihr etwas näher. Aya stockte der Atem, als er ihr ungefragt einen Kuss auf die Wange hauchte. Bevor sie etwas sagen konnte, wendete er sich bereits wieder ab und schritt die Treppen hinab. Shinri stand weiterhin bei ihr. Sein Blick folgte seinem Cousin, finster und zornig. “Halte dich von ihm fern, verstanden?”, befahl der Zoma barsch. Aya blickte auf. Sie verstand nicht, weshalb er so zornig war. Schließlich war doch nichts schlimmes geschehen. “Wieso sollte ich? Er ist doch echt freundlich zu mir. Du solltest dir viel lieber ein Beispiel an ihm nehmen, Shinri”, erklärte sie ihm ruhig, dann wand sie sich um, denn sie wollte in ihr Zimmer und sich dann dort ausruhen. Hätte man sie nicht aufgehalten, wäre ihr dies auch gelungen, aber die Hand des Zoma umschlang ihr Handgelenk und hielt sie somit auf. Unsanft zog er sie in seine Arme. Verwirrt sah sie hinauf in seine finsteren Augen. Was hatte er denn jetzt schon wieder?!, fragte sie sich, bis sich seine Lippen plötzlich auf ihre eigenen legten und ihre Grübeleien damit ebenfalls versiegten. Der unsanfte, forsche Kuss war schmerzlich und ihr Herz stach. Erst, als dieser dann das Leidenschaftliche und Liebevolle entdeckte gefiel es ihr. Verblüfft stand sie in seiner Umarmung und insgeheim genoss sie dieses Gefühl, dass sie überkam. Wieso konnte er nur so gut küssen und schmeckte so köstlich? Kurz darauf ließ er sie wieder los. “Schlaf gut”, meinte er und ging zur Treppe. Perplex starrte Aya ihm hinterher, als er die Stufen hinab schritt und schon bald aus ihrer Sicht verschwand. Was war nur mit ihm los? Wieso war er plötzlich so eigenartig? Sie schüttelte schnell den Kopf, denn sie wollte nicht daran denken. Shinri musste ihr egal bleiben! Sie musste Shinri endlich vergessen! Sie betrat ihr Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Sanft lehnte sie sich mit dem Rücken gegen das Holz. Ihre Hand wanderte geistesabwesend hinauf und strich sanft über ihre Lippen. War er etwa eifersüchtig? Das konnte doch nicht der Fall sein, schließlich liebte er sie nicht, sie gehörte ihm eigentlich nur, mehr nicht. Sie konnte nichts dagegen tun, Sie dachte schon wieder an ihn. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)