Geheimnisse im Nagoya-Krankenhaus von abgemeldet (Chiaki Vs. Marron) ================================================================================ Kapitel 18: Marvin und Sina --------------------------- Marron war auf dem Weg ins Krankenhaus. Sie wollte heute ihren Dienst wieder antreten. Sie hatte sich lange genug in sich zurückgezogen und nach dem Kampf gestern wusste sie, dass sie nicht ganz alleine und vor allem nicht schwach war. Nein, sie war stark. Sie konnte auch ohne Fynn kämpfen. Sie war nicht einsam. Sie war nun mal schon immer alleine gewesen. Aber immer noch spukten in ihr Chiakis Worte, die er vor zwei Tagen zu ihr am Strand gesagt hatte. „Du darfst nichts Falsches von mir denken. Damals konnte ich mit Liebe und Vertrauen nicht viel anfangen. Aber seit ich dich besser kenne, hat sich in mir einiges verändert.“ Das hatte er gesagt. Ja, das hatte er zu ihr gesagt, aber sie wusste nicht, ob sie ihm trauen konnte. Es war so schwierig, so kompliziert. Und gestern hatte er ihr beim Kampf gezeigt, dass er auch weiterhin für sie da sein würde. Ihm war es egal, ob sie ihm vertraute oder nicht, er würde sie dennoch beschützen. Ob sie es nun zuließ oder nicht. Es war alles so kompliziert. Na und, dann war er gestern für sie da gewesen, aber das würde es immer noch nicht gut machen, dass er sie angelogen und zutiefst verletzt hatte. Diese Gedanken und Gefühle waren immer noch in ihr. „Am besten wird es sein, wenn ich einfach niemand mehr an mich heran lasse, niemand mehr vertraue. Dann kann man mich auch nicht verletzten und dann wird mein Schutzschild im Kampf auch nicht schwächer.“ So hatte sie sich entscheiden. Diese Entscheidung fand sie am besten. „Marron, das ist ja toll, dass du wieder da bist“, wurde Marron direkt von Tomoki begrüßt. Sie nickte ihm zu und ging an ihren Spint. „Ja, das ist echt eine super Ehre“, meinte Miyako seufzend. „Sei doch nicht so Miyako. Marron hat bestimmt einen Grund, warum sie die letzten zwei Tage nicht da war.“ Marron sagte nichts. Weder zu Miyako, noch zu Tomoki. Sie wusste eh nicht, was sie den beiden sagen sollte. „Was ist bloß los mit dir, in letzter Zeit Marron?“ Marron blickte Miyako fragend an. Doch auch dieses Mal wusste sie nicht was sie ihr sagen sollte. Doch Miyako blickte weiterhin starr auf Marron. Sie mochte Marron und das war sehr selten. Marron war das komplette Gegenteil von ihr. Sie war ruhiger und sanfter und emotionaler als sie selber. Aber sie mochte Marron irgendwie. „Warum guckst du so?“, fragte Marron mit sanfter Stimme und öffnete ihren Spint. „Marron, du wirkst seit Freitag sehr traurig auf mich.“ „Ja, das ist uns aufgefallen, Marron. Ist alles okay bei dir?“, fragte nun auch Tomoki. „Du wirkst irgendwie abwesend und mit Chiaki, ähm, Dr. Nagoya sprichst du seit Freitag auch nicht mehr“, meinte Miyako weiter. Marron hörte die Worte ihrer Freunde. Ja, sie waren ihr Freunde. Auch wenn es komisch war, dass sie in ihren Arbeitskollegen, die letztendlich Feinde für sie waren, wenn es um die Punkte als Praktikant ging, aber sie waren auch Freunde. Marron seufzte auf, setzte sich auf die Bank und zog sich ihre Schuhe aus. „Chiaki ist ein gemeiner Lügner.“ Tomoki setzte sich zu Marron auf die Bank. Er warf Miyako einen fragenden Blick zu. Tomoki fand die Beziehung, die Marron mit dem Oberarzt hatte, von Anfang an nicht toll, aber er wollte das nun nicht unbedingt sagen. „Mit so jemanden möchte ich mich auf gar keinen Fall abgeben“, erzählte Marron in ruhiger Stimme weiter. „Ein Lügner? Was für einen Quatsch erzählt er denn so?“, fragte Miyako und setzte sich nun auch neben Marron und blickte ihre Freundin besorgt an. Sie sah, dass es Marron schwer fiel, darüber zu reden. Marron biss sich auch auf ihre Unterlippe, ein Zeichen dafür, dass sie darüber wohl gar nicht reden wollte. Doch Marron antwortete ihr nicht. Sie konnte weder Miyako noch Tomoki sagen, was er erzählte. Was sollte sie ihnen denn nun sagen? Dass er ihr Geheimnis kannte, dass er sie nur ausgeführt hatte, damit er sie vom Stehlen abbringen konnte. Nein, das konnte sie ihnen schlecht sagen, denn dann würden ihre Freunde wissen, dass Marron Jeanne war und das Chiaki Sindbad war. „Hallo? Ich hab dich gerade eben was gefragt, Marron.“ Miyako seufzte auf und fuhr sich durch ihr lila-farbenes Haar. Nun stand sie wieder von der Bank auf. „Tja, wer nicht will, der hat schon. Also schweig ruhig weiter. Wenn es dir Spaß macht.“ „Aber Miyako...“, versuchte nun Tomoki Miyako ein wenig zu beschwichtigen. Er sah Marron ja auch an, dass sie darüber nicht reden wollte und Marron hatte bestimmt ihren Grund, warum sie darüber nicht reden wollte oder nicht reden konnte. Vielleicht sollten Miyako und er Marron nicht so sehr unter Druck setzten. „Manchmal verbergen Menschen etwas. Aber nur um die Gefühle anderer nicht zu verletzen“, meinte Tomoki sanft. „Es gibt doch so etwas wie Notlügen und die müssen meiner Meinung nach erlaubt sein, wenn man anderen nicht wehtun mag.“ Marron blickte auf den Boden. Sie saß immer noch auf der Bank und auch wenn sie ihre Schuhe schon ausgezogen hatte, rührte sie sich noch nicht, weiter. Sie hörte den Worten von Tomoki und Miyako schweigend zu. „Marron, wir wissen zwar nicht was los ist. Aber eines weiß ich bestimmt, du kannst Chiaki bestimmt vertrauen“, sprach Tomoki weiter. Er wusste gar nicht so recht, warum er das nun sagte. Chiaki war ein Frauenheld, zumindest war er das gewesen, bevor er Marron kennen gelernt hatte. Er hatte sich also für Marron verändert, also war er wohl gar nicht so schlimm. „Es wird sich bestimmt alles aufklären. Du musst ihm nur vertrauen.“ Miyako blickte Tomoki fragend und erstaunend an. Dieser junge Mann schaffte es doch so tolle Worte zu wählen. Sie blickte zu Marron runter. Auf ihrem Gesicht erkannte sie, dass es in Marron arbeitete. Vielleicht hatte sie einfach nur diese Worte gebraucht. „Wir gehen dann mal schon mal los“, sagte Tomoki und auch Miyako verschwand aus der Umkleide und ließen Marron zurück. Es geht doch immer um Grenzen. Und Marron hatte gerade ein paar überschritten. Allein schon mit ihrer Beziehung zu einem Oberarzt. Die Grenzen der eigenen Belastbarkeit. Die Grenzen des Anstands und des Konkurrenzkampfes. Und dann gab es ja da immer noch die wichtigste Grenze. Die Grenze, die einen von den Kollegen trennt. Es ist nicht gut, wenn man sich allzu nahe kommt. Schließlich war Maron immer allein. Wenn sie sich jetzt an Freunde gewöhnen würde, dann würde sie irgendwann wirklich einsam werden. Man braucht eine Grenze, zwischen sich und dem Rest der Welt. Und Marron brauchte die Grenze vor allem. Andere Leute sind viel zu kompliziert und man selber ist auch zu kompliziert für andere. Bei Marron ging es schon immer um Grenzen. Sie hatte sie in ihrer Vergangenheit immer abgesteckt. Und nun brach ihr Raster nach und nach ein. Und sie wusste nicht, ob da so gut war. „Toudaji, Bailey und Kusakabe. Sofort in die Notaufnahme. Dr. Nagoya braucht Sie“, sagte die Schwester den Dreien, als sie am Center vorbei kamen. Das Center war die Station, wo die Akten der Patienten gelagert wurden und wo man als Praktikant eingeteilt wird. Und nun sollten die Drei in die Notaufnahme. „Aber hat Dr. Nagoya nicht eine OP?“, fragte Bailey. „Die macht jemand anders für ihn“, erklärte die Schwester weiter. Marron seufzte. Warum musste sie von Dr. Nagoya gerufen werden? Die Drei gingen in raschen Schritten in die Notaufnahme. Als sie das Zimmer des Patienten betraten, staunten sie mit offenen Mündern. „Das sind ja...“, fing Marron an. „Nägel“, erklärte Chiaki weiter und blickte die drei Praktikanten an. Chiaki saß am Kopf des Patienten, hielt diesen in einer Schiene und säuberte soweit es ging den Kopf mit Tüchern. Im Kopf des Patienten waren Nägel. Große Nägel. Auf dem Röntgenbild konnte man die Länge der Nägel genau erkennen. Es waren sieben Stück und sie gingen direkt bis ins Gehirn. Marron seufzte innerlich. Wie konnte so etwas nur passieren? Mit großen Augen schaute sie den Patienten an. Sie atmete leicht hektisch ein und aus und versuchte sich aber wieder zu beruhigen. Nun hielt der Patient seine Hände vor sein Gesicht. „Ich sehe meine Hände nicht mehr.“ „Er ist bei Bewusstsein?“, fragte Alex überrascht. „Durchatmen, dann kippt ihr nicht um“, meinte Miyako schnell und zog sich sofort Handschuhe an. „4 Milligramm Morphin auf 10 Milliliter Oxin Und wenn es sein muss...“, meinte Chiaki zu den Schwestern. „Hören Sie, ich kann nichts sehen“, redete der Patient vor sich hin. Marron ergriff die eine Hand von ihm, streichelte ihn behutsam. „Schon gut. Sie dürfen sich nur nicht bewegen, Mister...“, sprach sie mit sanfter Stimme. „Cruz“, sagte eine der Schwestern schnell Marron nickte und sah, wie Chiaki nach seiner kleinen Taschenlampe griff und die Pupillen und deren Reaktion des Mannes überprüfte. „Cruz, Marvin Cruz. Er ist mit einer Nadelpistole in der Hand ein Treppe herunter gefallen“, erzählte die Schwester weiter. „Und hat es geschafft, kein größeres Blutgefäß zu schaffen. Nicht übel“, sagte Chiaki. „Beeinträchtigung des Sehnervs“, stellte er fest. Chiaki griff nach einer Zange und streichelte über den rechten Oberarm des Mannes. „Spüren Sie das?“ Doch er bekam keine Antwort. „Taubheitsgefühl rechtseitig.“ Er legte die Zange wieder auf den Besteckteller. „Was ist unsere größere Sorge?“, fragte Chiaki nun die Praktikanten. „Infektion“, antwortete Marron schnell. Marron hatte gar keine Zeit, darüber nachzudenken, wie es war mit Chiaki hier in diesem Raum zu stehen. Das einzige, was momentan galt, war der Patient. „Genau. Ich will in der nächsten halben Stunde die Nägel rausziehen. Ich brauche ein CT.“ „Es gibt kein CT“, sagte die Schwester schnell. „Was?“, fragte Chiaki geschockt. „Der Computer ist gestern abgestürzt. Es wird noch bis 13:00 Uhr dauern.“ „Typisch. Andere Optionen?“ „Ein MRT“, antwortete Tomoki, der nun auch hinzugekommen war. „Super Idee, Tomoki. Der Mann hat Nägel im Kopf, stecken wir ihn also in einen riesigen Magneten“, meinte Alex schnell. „Röntgenaufnahmen des Schädels auf drei Ebenen und ein Ziehbogen bei der OP.“ „Sehr gut. Ihr zwei versucht rauszufinden ob es so einen Fall schon mal gegeben hat.“, beauftragte Chiaki Miyako und Alex. „Wo ist meine Frau?“, fragte der Mann nun völlig zerstört. „Sie ist auf den Weg. Marvin, sie ist auf den Weg“, erklärte Marron ihm wieder. Chiaki zog seine Handschuhe aus und ging um das Bett herum. „Er muss sich ruhig verhalten. Auf Veränderungen achten“, sagte er nun direkt zu Marron und verließ das Zimmer. „Gab es gesundheitliche Probleme in letzter Zeit?“, fragte Marron den Patienten. Sie fragte ihn nicht unbedingt, um die Akte für ihn zu füllen. Sie fragte ihn vor allem, damit der Patient, Marvin Cruz, jemanden zum reden hatte und er etwas erzählen konnte, das würde ihn beruhigen. „Kopfschmerzen hatte ich“, fing er an zu erzählen und starrte starr an die Decke. „Aber nie so starke wie jetzt“ Er schmunzelte bei der Antwort. „Sina, das ist meine Frau. Sina wird sagen, „man nennt diese Dinger nicht ohne Grund Pistolen“.“ Marron blickte gebannt auf den Mann. Er war wirklich sehr nett. Und so bekam sie auch gar nicht mit, wie Chiaki plötzlich im Türrahmen stand und sie musterte. Er konnte einfach nicht länger wegbleiben. Er musste sie wieder sehen. „Sie hasst diese verdammten Geräte.“ „Da hat sie doch auch Recht“, antwortete Marron lächelnd. Der Mann nickte nur. Chiaki drehte sich um und sah die junge Frau an, die nun ins Zimmer trat. „Baby?“ Marron blickte zur Tür und sah nun auch Chiaki, der sie auch anschaute. Doch Marrons Blick ging weiter zur Frau, die eintrat. „Sina.“ Sina, die Frau von Marvin, umklammerte ihre Tasche und trat nur langsamen Schrittes an das Bett ihres Mannes. „Ich bin richtig böse auf dich.“ Doch man hörte an ihrer Stimme, dass das ganz und gar nicht stimmte. Sie war traurig, stand kurz vor den Tränen und war besorgt. Chiaki verließ das Zimmer. „Ich bin wirklich böse auf dich, Marvin.“ Er griff nach ihr und streichelte ihr durchs Haar. „Du trägst ja die Haarspange, die ich dir geschenkt habe.“ Er lächelte. „Hat er Ihnen erzählt, dass er fotografiert?“, fragte Sina Marron. Marron wollte nun auch die Frau von Marvin ein paar Fragen stellen. „Wunderschöne Fotos. Es ist sein größtes Hobby. Er hört gar nicht mehr auf. Ich hab ihm vor kurzem eine Digitalkamera geschenkt und die hat er nun immer dabei. Überall. Und er macht immer Fotos von mir.“ „Marvin hat mir von seinen Kopfschmerzen erzählt. Wissen Sie davon?“, fragte Marron in ruhiger Stimme. Die Frau blickte Marron fragend an. „Kommt das in letzter Zeit häufiger vor?“ „Ich weiß nicht... vielleicht in den letzten 1-2 Monaten.“ „Haben Sie bemerkt, ob er sich manchmal schwindelig fühlt oder desorientiert?“ Marron wusste, dass diese Fragen schmerzvoll waren für die Frau und nicht leicht zu beantworten. Aber es musste sein. Sina überlegte. „Ja...“, sagte sie langsam. „Ja, das hab ich.“ Marron nickte. „Okay.“ Marron wusste, dass sie Chiaki von ihrer Erkenntnis und von dem Gespräch mit Sina erzählen musste. Es war vermutlich sehr wichtig für die weitere Behandlung von dem Patienten. „Schwindelgefühle oder Benommenheit?“ Chiaki wusch sich gerade im Vorraum des Operationssaals die Hände und Unterarme. Marron stand neben ihm, ebenso mit Mundschutz wie er selber. „Benommenheit. Er musste sich abstützen, um aus dem Bett zu kommen.“ „Das könnte alles mögliche sein“, antworte Chiaki sachgemäß. Es fiel ihm schwer, Marron in die Augen zu schauen, doch er sah ihr an, dass es ihr auch nicht sehr leicht viel. Also wollte er wenigstens ein wenig stärker sein und ihr nichts von seiner Last zeigen. „Stasi-Syndrom.“ Marron rollte mit den Augen. „Was denn?“, fragte Chiaki mit leicht heiterer Stimme. Aber er wusste selber, dass das hier nicht zu lachen war. „Wieso ist er denn dann bitte die Treppe herunter gefallen?“ „Er hat gesagt, er ist gestolpert. Wenn du Hufschlag hörst, muss es nicht gleich ein Zebra sein.“ Er verließ den Vorraum und ging in den Operationssaal. Marron folgte ihm. „Aus irgendeinem Grund hat er das Bewusstsein verloren und ist die Treppe herunter gefallen. Er könnte einen Tumor haben.“, versuchte sie es weiter. „Ich weiß noch nicht mal, warum dieser Mann noch am Leben ist. Geschweige denn, sich bewegen oder sprechen zu können.“ Er blickte Marron sorgend an. Er wollte ihr so vieles anderes sagen. Aber hier konnte er es nicht. Hier stand ein Leben auf dem Spiel. „Ist mir alles ein Rätsel. Erledigen wir doch erst mal das hier“, damit schaute er auf den Patienten. „Bevor wir nach etwas anderem suchen.“ Er ließ sich den OP-Kittel anziehen. „Miyako und Alex haben raus gefunden, dass es nichts Konkretes bei der Behandlung gab. Nägel rausziehen und die Blutungen in Auge behalten. Kürzere OP-Zeiten sind von Vorteil“, sagte Marron nun. Chiaki nickte. „Gut.“ „Hallo Marvin“, sagte Marron lächelnd und griff nach seiner Hand, damit er wusste, wo er war. „Erzählen Sie mir etwas. „Als wir uns kennen lernten, war alles rot. Rotes Auto, rote Kleider, rote Hüte. Ich persönlich fand rot grässlich. Zu Ordinär. Aber vor ein paar Jahren, da war ich mit ihr in den Bergen. Sie hatte ein rotes Kleid an. Da war so ein Feld mit roten Mohnblumen. Sie ist aus dem Auto gesprungen und auf das Feld gelaufen und hat zu lachen angefangen. Nur weil alles so rot war.“ Chiaki, der nun in voller Montur und bereit für die Operation an Marvins Kopfende stand, hörte ihm kurz zu. Sein Blick lag dabei auf Marron und ihm fiel wieder der Moment ein, wo sie den Tanzball im Krankenhaus hatten. Sie sah wunderschön und anmutig in ihrem Kleid aus. Marron erwiderte den Blick von Chiaki, seufzend. Sie sah Schmerz und Mitgefühl in seinen Augen. War es Mitgefühl für den Mann oder für sich selber? „Die Nägel müssen in exakt dem gleichen Winkel entfernt werden, wie sie eingetreten sind. Der kleinste Wackler und wir richten eventuell mehr Schaden an, als beim Eintreten der Nägel“, erklärte Chiaki seinen Kollegen im Operationsraum. Es mussten alle wissen, wie wichtig das hier war. Hier musste Ruhe und Vertrauen herrschen. Dann fing er an. Es wurde ruhig im Operationsraum. Links von ihm stand Marron, als helfende Hand. Aber die Nägel würde er ganz alleine rausziehen. Er war der Oberarzt, er war Neurologe. Das hier war seine Aufgabe. Seine Hände mussten ruhig sein, kein einziges Zittern, kein Zweifeln. Er blickte zu Marron. Ja, hier ging es um Vertrauen. Dann fing er an, den ersten Nagel aus dem Kopf des Mannes zu ziehen, vorsichtig und langsam. Den Nagel legte er in eine Schale, die eine Schwester ihm an seiner rechten Seite hinhielt. Alle Nägel hatten nun den Kopf des Patienten verlassen. „Blutung?“ „Alles sauber“, antwortete Marron ihm nickend. Jetzt, wo sie so neben ihm stand, war es gar nicht so schwer. Ja, vielleicht sollte sie den Worten von Tomoki glauben. Vielleicht sollte sie ihm einfach nur Vertrauen. Sie blickte ihn an. Vielleicht sollte sie Chiaki Nagoya vertrauen. „Ich glaube nicht, dass wir etwas verschlimmert haben. Die große Frage ist der Sehnerv, das werden wir dann morgen sehen.“, erklärte Chiaki. „Soll ich das MRT anordnen?“, fragte Marron Chiaki. „Er muss stabil werden. Am besten erst Morgen.“ Für Marron war das mehr als nur ein anstrengender Tag. Sie war froh, als sie langsamen Schrittes nach Hause gehen konnte. Sie atmete die leichte Abendluft ein. „Dr. Kusakabe.“ Marron drehte sich um und erblickte die Schwester von Marvin. Sie hatte vorhin neben Sina im Wartezimmer gesessen, beide hatten einander tröstend an den Hände gehalten. Sie gaben sich gegenseitig Trost und Halt. „Miss Cruz, was kann ich denn für Sie tun?“ „Haben Sie Sina gesehen?“ „Nein, tut mir Leid.“ „Als sie gegangen waren, fing sie plötzlich an, sich merkwürdig zu benehmen. So habe ich sie noch nie erlebt. Schließlich ist sie weg gerannt. Ich weiß nicht, was auf einmal in sie gefahren ist.“ „Es wird sich bestimmt aufklären“, versuchte Marron es mit ruhiger Stimme. Aber sie wusste selber nicht, warum Sina sich so benahm. Sie war so eine ruhige und sanfte Frau, so hatte sie Marron zumindest kennen gelernt, gehabt. „Ich werde sie weiter suchen.“ „Ich suche mit Ihnen.“ „Nein, das müssen Sie nicht. Sie haben ja keinen Dienst mehr und es ist nicht Ihre Aufgabe.“ „Das macht nichts. Ich helfe Ihnen. Ich suche in der anderen Richtung. Wir finden sie schon.“ „Danke sehr, Dr. Kusakabe. Danke sehr.“ Marron nickte und die Wege der jungen Frauen trennten sich. Die Lichter der Straßenlaternen gingen schon an, als Marron immer noch durch die Straßen lief. Dann fing ihre Brosche an zu piepsen. Sollte etwa ein Dämon dahinter stecken? Marron blieb stehen und schaute in die dunkle Gasse. Das Piepsen wurde präsenter. Sollte vielleicht ein Dämon an Sinas Verhalten zu tun haben? So wie bei dem alten Mann gestern? Marron entdeckte die Gestalt von Sina auf einen der Dächer, diese verschwand plötzlich wieder. Marron eilte eine Treppe nach oben auf das Dach. „Sollte es vielleicht diese Haarspange sein?“ Doch als Marron auf dem Dach angekommen war, war da keine Sina mehr. Sollte sie sich etwa geirrt haben? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)