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Mimiko no Miko

Mimiko die Priesterin
von

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Prolog

Es war ein kühler Frühlingsmorgen. Die Vögel begannen allmählich zu erwachen und leise ihr Morgenlied zu singen, während die ersten Sonnenstrahlen durch das dichte Laubdach des Waldes drangen und komplexe Schattenmuster auf der feuchten, moosbedeckten Erde erscheinen ließen, die sich im Rhythmus der leichten Windstöße, die das Laub zum Rascheln brachten, bewegten.

Schritte, so leise, dass nur die Bewohner des Erdbodens sie spüren konnten, wenn sie über ihnen auftrafen, bewegten sich langsam entlang des ungekennzeichneten Pfades zu einer der großen Siedlungen außerhalb des heiligen Waldes.

Hellblauer Stoff streichelte im Vorbeiwehen die kleinen Blumen und Sträucher, an denen die Verursacherin der Schritte vorüber kam, ohne auch nur einen Halm oder ein Blatt zu verletzen. Dort, wo ihre nackten Füße den Boden berührten, sprossen neue Keime aus dem Erdreich, erweckt durch die wundersame Macht der Gazara-Priesterin, deren Berührung die Lebenskraft aller Lebewesen zu verstärken vermochte.

Die rotblonde Priesterin blieb andächtig auf einer kleinen Lichtung stehen, als die Sonne langsam hinter den Bergen auftauchte und der Himmel sich in ihrem Umkreis hellorange färbte. Wie alle Schwestern des Gazara-Ordens ehrte sie den Moment vom Aufgang der Sonne, ohne deren Licht kein Leben bestehen konnte.

Um sie herum wurden die Geräusche von erwachten Tieren immer zahlreicher und lächelnd betrachtete sie eine Familie von Füchsen, deren Junge vorwitzig aus ihrem Bau herausschauten, um die seltsame blaugewandete Gestalt zu betrachten. Ihre Eltern hielten sie nicht zurück, da sie instinktiv wussten, dass die Priesterin keine Gefahr für sie darstellte. Die kleinen Füchse pirschten sich neugierig an die lächelnde Frau heran und beschnüffelten interessiert den blauen Stoff, der neben deren nackten Füßen herabhing. In Gedanken segnete sie die Jungen, als sie sich herabbeugte, um ihr samtiges Fell zu streicheln, damit sie gesund und kräftig heranwachsen würden. Dann setzte sie in schwebendem Gang ihren Weg fort.
 

Gegen Mittag erreichte die junge Frau endlich ihr Ziel: Die Stadt.

Es war ungewöhnlich für die Gazara-Priesterinnen den heiligen Wald zu verlassen, da sie schnell krank wurden, wenn sie nicht von genügend Leben umgeben waren. Denn soviel Leben sie schenkten, soviel Lebenskraft mussten sie aus der Natur wieder aufnehmen, um nicht selbst zu sterben. Es war ein ewiger Kreislauf, in dem die Ordensmitglieder dem Leben halfen sich zu verbreiten und bestehen zu bleiben, und dafür die Energie aus sterbenden Wesen absorbierten, um daraus Neues entstehen zu lassen.

Die Priesterin blieb in einiger Entfernung vor den Stadttoren stehen und zog sich aus Weidenzweigen geflochtene Schuhe an, da es sie schmerzte, wenn die Pflanzen, die sie passiv durch ihre Berührung beschwor, von den Menschen in der Stadt achtlos zertreten wurden. Das Gefühl der Schuhe an ihren Füßen war furchtbar beklemmend. Dennoch tauschte sie auch ihr seidiges blaues Kleid gegen eine kratzige graue Kutte mit Kapuze ein, um nicht zuviel Aufmerksamkeit unter den Stadtbewohnern zu erregen. Dann schritt sie, durch das einengende Gefühl der Schuhe an ihren Füßen etwas unbeholfen zu den zwei Stadtwachen, die dafür sorgten, dass kein normaler Bürger den heiligen Wald betrat, der nur den Priesterinnen vorbehalten war.

Als die zwei Männer die Gestalt näher kommen sahen, zückten sie ihre Schwerter und bauten sich möglichst bedrohlich auf, um der näherkommende Erscheinung zu demonstrieren, wie ernst es den Stadtbewohnern mit dem Schutz des Waldes war. Und auch, um sich selbst etwas Mut zu machen. Als die Frau bei den beiden Wachmännern angelangt war, blieb sie einen Meter vor ihnen stehen und verneigte sich leicht, zum Zeichen ihrer friedlichen Absichten. Dann folgte angespannte Stille. Die beiden Männer versuchten mit Blicken untereinander auszumachen, wer den Test über sich ergehen lassen musste, ob es sich bei der Frau um eine Gazanerin handelte. Einem der beiden stand vor Angst der Schweiß auf der Stirn, deshalb entschied sich die Priesterin für seinen Partner, um ihre Identität zu bestätigen. Als sie einen Schritt auf die ausgewählte Person zu machte, stellte diese sich kerzengerade vor ihr auf und biss die Zähne zusammen. Selbst von dem Abstand aus, der zwischen ihnen bestand, konnte die Frau seinen heftigen Herzschlag spüren. Sie bemühte sich, es rasch hinter sich zu bringen und schob den Ärmel ihrer weiten Kutte zurück um ihn mit der bloßen Hand an der Stirn zu berühren.

In dem Moment, als ihre Fingerspitzen auf die Haut des Mannes trafen, brach eine Flut von Empfindungen über ihn herein; Er fühlte die zarte Berührung von Grashalmen, kaltem Wasser, warmen Sonnenstrahlen, sanftem Wind, die trippelnden Schritte von Insekten auf seiner Haut, dazu den Geruch von Blumen, Erde, modrigem Holz, Tannennadeln und die Geräusche von Tieren, Blättern und prasselndem Regen, die einer Art summendem Herzschlag gleichkamen und sein Bewusstsein vollkommen überfluteten.

Nach zwei Sekunden zog die Priesterin ihre Hand wieder zurück und der Mann sackte überwältigt auf die Knie vor ihr. Da sie in Gegenwart der Priesterin nicht zu sprechen wagten, bedeutete die andere Wache ihr mit einer Handbewegung, dass sie passieren durfte und öffnete für sie das Tor. Die ehrfürchtigen Blicke der zwei Männer im Rücken, betrat die junge Frau nervös das dreckige Kopfsteinpflaster der Stadt.

Die Stadt

Der Gestank, der ihr augenblicklich entgegen schlug, betäubte sie für einen Moment schier und sie presste verzweifelt die weiten Ärmel ihrer Kutte vors Gesicht, um nicht daran zu ersticken.

Doch es half nicht viel, sie musste husten und keuchen und ihre Augen tränten, bis sie ein paar Lungen voll mit Abwasserdämpfen verseuchte Luft eingeatmet hatte und ihr Körper sich widerwillig anpasste. Mit vom Husten gerötetem Gesicht stolperte sie weiter über das Kopfsteinpflaster, dessen Härte und Regelmäßigkeit so ganz anders war, als der schwammige weiche Waldboden.

Darauf bedacht, nicht aus Versehen einen der Menschen um sie herum zu berühren, bahnte sie sich ihren Weg durch die lauten, übelriechenden Straßen zu dem Wirtshaus, das ihr Ziel war.

„Zum löchrigen Fass“ stand auf dem vom Wetter verblichenen Holzschild über dem Eingang und die Priesterin fühlte sich erleichtert, dass sie den Weg dorthin wiedergefunden hatte.

Es war das erste Mal seit zwei Jahren, dass sie wieder hier war, um ihre Freundin zu besuchen. Die unangenehme Umgebung vergessend, schritt sie voller Vorfreude in die düstere Schankstube, wo sie die Person, die sie suchte, sogleich erblickte.

Das Mädchen arbeitete als Kellnerin in dem Wirtshaus und eilte mit strahlendem Lächeln von Tisch zu Tisch und verteilte Getränke. Sie war ein gutes Stück gewachsen seit ihrer letzten Begegnung, doch ihr Gesicht mit den frechen Sommersprossen, das von hellblonden Locken umrahmt wurde, hatte sich kaum verändert. Die Priesterin stellte sich an den Tresen und nahm ihre Kapuze ab, damit das Mädchen sie erkennen konnte, wenn sie von ihrer Bedienungstour zurück kam.

Ihre Reaktion fiel heftiger aus, als die Gazanerin es erwartet hatte. Sobald die hellblauen Augen des Mädchens die Frau an der Theke entdeckten, ließ sie mit lautem Scheppern ihr mit leeren Bierkrügen beladenes Tablett fallen und stürmte mit einem Freudenschrei auf sie zu.

„Seina! Was machst du denn hier?!“ Unbedacht fiel sie der Priesterin um den Hals und wurde von den über sie hereinbrechenden Visionen niedergestreckt, als ihre Arme den nackten Hals der Frau berührten. Seina fing sie mit ihren stoffumhüllten Armen auf, ehe sie sich wehtun konnte, doch das Mädchen kam rasch wieder zu sich, noch ehe die Priesterin sie auf einen Stuhl befördert hatte. Alle Blicke hatten sich ihnen zugewandt, durch den Lärm, den die Jüngere veranstaltet hatte und Stille legte sich über den Raum, als die Leute realisierten, weshalb das Mädchen zusammengebrochen war.

„Lass uns hochgehen, in mein Zimmer.“ Sagte das Mädchen rasch und zog die Priesterin am Ärmel hinter sich her, die Treppe hinauf. Oben angekommen präsentierte sie der anderen stolz ihr eigenes Zimmer, das der Wirt ihr zur Verfügung gestellt hatte, seit sie für ihn arbeitete. Sie bat der Gazanerin ihr Bett als Sitzplatz an und begann fröhlich ihr alles zu erzählen, was sie erlebt hatte, seit sie die Priesterin zuletzt gesehen hatte. Seina lächelte, als sie spürte, wie glücklich die Kleine hier war und stellte beruhigt fest, dass sie ihr Vertrauen in den richtigen Mann gesetzt hatte, als sie dem Wirt die Aufgabe gab, sich an ihrer Stelle um das damals vierzehnjährige Mädchen zu kümmern, das als Sklavin geboren, aus Angst vor ihrem gewalttätigen Herrn in den heiligen Wald geflüchtet war. Leider würde sie hier nicht bleiben können...

Das Lächeln verschwand von Seinas Lippen, als sie sich an den Grund ihres Besuches erinnerte und sie verlieh ihrem Gesicht die undurchschaubare Maske der Priesterin, um sich nicht sofort anmerken zu lassen, wie besorgt sie um das Mädchen war.

„Mimiko, ich muss mit dir sprechen.“

Die sanfte Stimme der Priesterin unterbrach Mimikos sturzbachartige Berichte über die letzten zwei Jahre abrupt und ließen das aufgeregte Mädchen überrascht verstummen.

Einen Moment lang erwartete Mimiko, dass sie gleich aufwachen würde, jetzt wo sich ein Fehler in ihren wunderschönen Traum eingeschlichen hatte.

Die Gazara-Priesterin durfte nicht mit ihr sprechen, hatte es nie getan, in all der Zeit, als sie noch bei ihr gelebt hatte. Doch Seina blieb unverändert auf ihrem Bett sitzen ohne zu verschwinden oder sich in einen Alptraum zu verwandeln. Nur ihr seltsamer Gesichtsausdruck stimmte nicht mit dem der liebevollen Seina überein, die Mimiko in Erinnerung hatte.

„Ich dachte, du darfst in der Gegenwart von Menschen nicht sprechen?!“ fragte Mimiko ängstlich, da sie befürchtete, ihre Freundin könnte bestraft werden, falls dies kein Traum war, da sie damit die Regeln des Ordens brach.

„Das stimmt.“ Bestätigte Seina geduldig.

„Aber...warum tust du es dann? Ich will nicht, dass du wegen mir Ärger bekommst...“

Es war das erste mal, dass Mimiko Seina sprechen hörte und es machte ihr Angst, als sie sah, wie ernst der Gesichtsausdruck ihrer sonst immer lächelnden Freundin war. Nervös setzte sie sich neben sie und blickte besorgt zu ihr hoch.

„Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, es ist mir erlaubt mit dir zu sprechen. Ich wurde sogar zu diesem Zweck hierher geschickt.“

Seina fiel es schwer der Kleinen die Wahrheit zu sagen. Lieber wäre sie nur zu Besuch hierher gekommen, doch ein Auftrag des Ordens hatte sie zu Mimiko geführt.

„Sie haben dich hergeschickt?“ Mimiko verstand nicht. Wie konnte sie auch? Dachte Seina verbittert, sie hatte keine Ahnung von den Regeln des Ordens, keine Ahnung, was sie wegen dem Verletzen dieser Regeln erwartete.

„Du erinnerst dich, wo wir uns kennen gelernt haben?“ fragte Seina das Mädchen.

„Natürlich tue ich das! Es war unter einer wunderschönen Weide, die an dem eiskalten Fluss steht, der durch den Wald fließt. Du hast dort gebadet. Hab ich recht?“ Mimiko strahlte sie an, in der Hoffnung den Test der Priesterin bestanden zu haben. Doch Seina lächelte nicht zurück, sondern nickte nur traurig.

„Richtig, am Fluss im heiligen Wald.“ Allmählich dämmerte Mimiko, worauf die Priesterin hinauswollte und auch ihr Lächeln erstarb.

„Es ist, weil ich im Wald war, obwohl es verboten ist, stimmst’s?“ fragte das Mädchen ängstlich und Seina nickte wieder und blickte dann zu ihr auf.

„Es tut mir Leid, aber du wirst mit mir kommen müssen.“

Mimiko wurde blass. Sie zögerte kurz dann stand sie auf und griff sie nach ihrem Umhang, der an einem Haken an ihrer Tür hing.

„Ich bin bereit für meine Fehler gerade zu stehen.“ Sagte sie tapfer, doch ihr Blick ruhte ängstlich auf der Gazanerin, als würde sie hoffen, dass die Freundin ihr sagte, dass sie nur eine harmlose Strafpredigt zu erwarten hatte. Doch dem war sicherlich nicht so, denn sonst hätten die Bewohner der Stadt bestimmt nicht so große Angst vor den Gazana-Priesterinnen und der Strafe, die sie erwartete, wenn sie den Wald betraten und dann würde Seina nicht so traurig aussehen.

„Was wird mit mir geschehen?“ Fragte Mimiko.

„Das darf ich dir nicht sagen, ehe wir im Wald sind.“ Antwortete die Priesterin.

„Pack deine Sachen und verabschiede dich von allen. Du wirst vermutlich nicht zurückkehren.“

Seinas Worte, die durch ihre sonderbare Stimme süß wie Honig klangen, legten sich wie ein schwerer Stein in Mimikos Magen. Stumm räumte sie ihre wenigen Habseligkeiten in einen Beutel und warf ihn sich zusammen mit dem Umhang über. Dann folgte sie der Priesterin, die ihre Kapuze wieder aufsetzte, als sie die Treppe heruntergingen in die Schankstube, wo sie dem Wirt alles erklärte und sich verabschiedete. Anschließend begleitete sie die Priesterin zurück zum Wald. Auf dem Weg wurde Seina mehrmals von Schwächeanfällen heimgesucht, da sie zu lange von der Natur getrennt war und die für ihre feinen Sinne beißenden Gerüche und Geräusche setzten ihr noch zusätzlich zu. Mimiko stützte sie besorgt und musste sie schon halb tragen, als sie endlich die Stadttore erreichten. Die zartgebaute, aber dennoch um einiges größere Priesterin hing schwer an Mimikos Schultern und das Mädchen musste die ganze Zeit aufpassen, dass sie nicht mit der Haut der Frau in Berührung kam. Zumindest hielt sie das davon ab, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, welche Strafe sie wohl erwartete.

Als sie endlich bei den Stadttoren ankamen, tat sich nun das Problem auf, dass die Wachen Mimiko nicht in den Wald lassen wollten und Seina nicht sprechen durfte, um ihnen zu bestätigen, dass sie die Erlaubnis des Gazara-Ordens hatte.

Mit letzter Kraft richtete Seina sich auf und zerrte Mimiko demonstrativ mit sich durch das Tor, während sie drohend die Hand nach den Wachen ausstreckte. Die Wachen wichen ängstlich vor der Priesterin zurück. Sie wagten nicht, sie aufzuhalten.

Der Wald

Nachdem sie außer Sichtweite der Stadtwachen waren, fiel Seina auf die Knie und riss sich hastig die beengenden Kleider und Schuhe vom Leib. Dann streckte sie sich nackt auf dem Boden aus und genoss erleichtert die Kraft der Erde, die wieder durch ihren Körper strömte. Mimiko hatte anstandshalber den Blick abgewandt und betrachtete nun voller Nostalgie die herrlichen Riesenbäume des heiligen Waldes, in dem sie fast ein Jahr lang an Seinas Seite gelebt hatte, als sie vierzehn war. Noch immer wusste sie nicht, weshalb die Priesterin damals plötzlich beschlossen hatte, sie zurück zu den Menschen zu bringen, bei denen Mimiko vorher nur Leid erfahren hatte, da sie als Sklavin aufgewachsen und täglich von ihrem Herrn misshandelt worden war. Zuerst hatte sie sich furchtbar verlassen gefühlt, als Seina sie allein in dieser fremden Stadt bei dem Wirt zurück ließ und hatte mehrmals versucht, zu ihr zurück in den Wald zu gehen, doch die Ausgänge waren zu gut bewacht und man hatte sie jedes mal erwischt, bevor sie Zeit hatte, nach Seina zu suchen. Nach ein paar Monaten hatte sie es dann aufgegeben und versucht sich wieder an die Menschen zu gewöhnen. Es war ihr gelungen und sie war sogar recht glücklich gewesen, doch in dem Moment, als sie Seina wiedersah, wollte sie nichts anderes, als mit ihr zurück in den Wald zu gehen. Deshalb war es ihr mehr als recht, dass die Priesterin sie mit sich genommen hatte, ganz egal, welche Strafe sie erwartete, sie würde es durchstehen, solange sie hinterher nur die Möglichkeit hatte, bei Seina zu bleiben.

Besagte war wieder halbwegs bei Kräften und stand auf, um ihr Kleid zu holen.

An der Stelle, wo sie gelegen hatte, war das Gras so dicht und saftig, dass es wie ein großes Stück Teppich in Menschenform wirkte. Mimiko folgte Seina wortlos, die sich völlig ungeniert, so unbekleidet durch den Wald bewegte. Sie fanden schnell die Stelle, wo die Priesterin ihr blaues Kleid deponiert hatte. Der zarte Stoff des Priestergewandes war beinahe durchsichtig und diente scheinbar nur dem Zweck, die Frau als Gazanerin zu kennzeichnen, mehr als das er wärmte, oder ihre Blöße bedeckte.

Mimiko war an diesen Anblick gewöhnt und wie schon früher, fragte sie sich, weshalb Seina, obwohl sie nur so dünn bekleidet war, niemals fror. Die Frau ließ gerade mit einer Handbewegung ihre langen rotblonden Haare aus dem Ausschnitt ihres Kleides gleiten, nachdem sie sich dieses über den Kopf gezogen hatte und drehte sich dann zu Mimiko um, die sie ohne es zu merken, die ganze Zeit angestarrt hatte. Verlegen senkte das Mädchen den Blick und errötete. Seina lächelte leicht und tat, als ob sie es nicht bemerkt hätte, indem sie ihre Hand auf die Schulter des Mädchens legte und leise mit ihr zu sprechen begann.

„Ich nehme an, du möchtest jetzt wissen, warum ich dich hergeholt habe?“ fragte sie sanft und Mimiko nickte.

„Der Orden hat beschlossen, dass du zuviel Zeit im heiligen Wald verbracht hast, zu viele Geheimnisse erfahren hast, um weiter bei den Menschen zu leben. Der Orden verlangt, dass du eine von uns wirst.“

Mimikos Augen weiteten sich bei dieser Offenbarung vor Erstaunen. Sie hatte mit etwas furchtbarem gerechnet, doch dies war die Erfüllung ihres sehnlichsten Wunsches!

„Ich darf eine Priesterin werden? Und hier im Wald leben, für immer? Mit dir?“

Seina nickte.

„Ja, so ist es. Aber es ist ein langwieriger und schmerzvoller Prozess eine Gazanerin zu werden. Ich werde dir so gut ich kann beistehen, aber die Kraft, alle Prüfungen, die zur Verschmelzung mit dem Leben selbst führen, zu bestehen, musst du alleine aufbringen.“

„Ich werde mein Bestes geben! Das verspreche ich dir!“ Die Priesterin sah sie besorgt an. Seina hätte alles dafür gegeben, der kleinen ein Leben als Priesterin zu ersparen. So schön der Gedanke auch war, sie für immer bei sich behalten zu können, war der Preis doch bei weitem zu hoch. Es schmerzte sie zu sehen, wie bereitwillig Mimiko dieses Schicksal auf sich nahm, als wäre es eine Belohnung.

„Bist du sicher, das du das willst? Es wird nicht leicht werden. Dein Leben wird sich grundlegend verändern, nicht nur das; dein Körper, deine Seele, du wirst nie mehr zu den Menschen zurückkehren können und für immer an diesen Wald gebunden sein.“

„Das ist mir egal! Ich werde es schon durchstehen, ich habe keine Angst vor den Prüfungen! Ich würde alles tun, damit ich hier bei dir bleiben kann.“

Seinas Herz krampfte sich bei dem Gedanken zusammen, dass das Mädchen wegen ihr bleiben wollte. Und doch konnte sie nicht leugnen, dass sie sich genau das gewünscht hatte. Sie hatte das Mädchen schon einmal in Gefahr gebracht, nur um ihrer eigenen Einsamkeit für einige Zeit zu entfliehen. Doch diesmal würde sie das Leben der Kleinen rücksichtslos zerstören, wenn sie nicht stark genug war, sie wegzuschicken.

„Heute Abend treffen wir uns mit dem Rest des Ordens, damit du als Priesterin aufgenommen werden kannst. Das Treffen findet am Fuß des Grauen Berges statt, wo du deine erste Prüfung ablegen musst. Es sei denn, du entscheidest dich dafür zu fliehen. Ich würde dafür sorgen, dass niemand dich aufhält.“

Seina wusste, dass sie Mimiko auf diese Weise mit Sicherheit nicht überzeugen würde, sie zu verlassen, aber zumindest konnte sie ihrem Gewissen erwidern, dass sie es zumindest versucht hatte.

„Ich werde nicht fliehen! Ich hab keine Angst vor irgendwelchen Prüfungen! Ich will hier bei dir bleiben.“

Mimikos Entscheidung stand fest. Und Seina gab es auf, sie umstimmen zu wollen.

„Gut. Dann sollten wir aufbrechen. Bis es dunkel wird, müssen wir den Grauen Berg erreichen.“

„Na dann los!“ Mimiko marschierte sofort los und Seina folgte dem Mädchen mit einem leisen Seufzen. Während sie gingen redeten sie nicht viel und Mimiko fand ständig neue interessante Baumformationen und seltsame Tiere, die sie bestaunte und je näher sie dem unheimlichen dunklen Schatten des grauen Berges kamen, desto aufgeregter wurde die angehende Priesterin. Gerade gingen sie am Eisigen Bach entlang, der seine Quelle am Grauen Berg hatte, da stieß Mimiko plötzlich einen Schrei aus. Seina, die keine bedrohliche Lebensform in der Nähe spüren konnte, drehte sich verwundert zu ihr um und stellte beruhigt fest, das die blonde nur einen Goriban entdeckt hatte. Das kleine, affenähnliche Tier saß auf einem dünnen Ast über dem Fluss und versuchte mit seinen nackten kurzen Fingerchen die Blätter einer bestimmten Wasserpflanze zu angeln. Mimiko hockte sich neben es ans Ufer und hob einen kleinen Stock auf, um dem Tier zu helfen, indem sie die Pflanze damit näher zu ihm heranschob. Verwundert blickte der Goriban sie mit seinen großen, runden Augen an, die so schwarz waren wie Kohle.

Fasziniert lächelte Mimiko ihm zu und hob die Wasserpflanze ein Stück weiter nach oben aus dem Wasser, wo der Goriban danach greifen konnte. Entzückt schnappe er danach und schob sich die nassen Blätter ins Mäulchen. Dann wuselte er mit einem leisen Quieken davon.

„Komm jetzt, wir müssen weiter.“ Drängte Seina, die Mühe hatte, ihre schlechte Laune noch länger zu verbergen. Mimiko gehorchte und lief ihr hinterher, während die Priesterin sich mit wehendem Haar umdrehte und weiter dem Flusslauf folgte.

„Warum wollt ihr nicht, dass ich Priesterin werde?“ Fragte Mimiko sie nach einiger Zeit, als sich der Wald zunehmend lichtete und die ersten Felsen in der Landschaft auftauchten.

Seina blieb stehen als sie Mimikos besorgte Stimme hörte.

„Weil ich mich um dich sorge.“ Antwortete sie leise.

„Das Leben als Priesterin ist nicht so schön, wie du vielleicht glaubst. Es gibt vieles, worüber du nichts weißt, was ich vor dir geheim halten musste, wirklich grausame Dinge. Mehr darf ich dir nicht sagen. Ich rate dir nur umzukehren, ehe es zu spät ist.“

Mimiko wirkte entsetzt und blickte Seina ängstlich an.

„Ist es wirklich so schlimm? Ich will dich nicht verlassen...“

„Priesterin Seina! Ich glaube Ihr seid gerade dabei, Euren Eid zu brechen!“

Drei blaugewandete Gestalten waren plötzlich aus dem nichts aufgetaucht und Seina kniete hastig nieder.

„Nein, Herrin! So ist es nicht! Ich habe kein Wort über die Prüfung gesagt, das schwöre ich!“

„Darüber werden wir sprechen, wenn wir am Versammlungsort eintreffen. Wir sind gekommen, um Euch sicher dorthin zu geleiten,“ die älteste der drei warf Seina einen bösen Blick zu, „was wohl offensichtlich auch nötig ist.“

Die vier Priesterinnen und Mimiko gingen den Rest des Weges ohne miteinander zu sprechen und Mimiko, die in größerem Abstand von Seina gehen musste, als ihr lieb war, da die zwei jüngeren Priesterinnen sich zwischen sie gedrängt hatten, bekam allmählich Angst.

Der Schritt der anderen Priesterinnen war erheblich schneller, als der von Seina es gewesen war und sie gingen ohne jegliches Anzeichen von Erschöpfung über den unebenen felsigen Untergrund, während Mimiko schwitzte und stolperte und vor Seitenstichen kaum noch laufen konnte.

„Wir sollten eine Pause machen.“ Schaltete Seina sich schließlich ein, als sie es nicht länger mit ansehen konnte.

„Die Kleine ist es nicht gewohnt, den ganzen Tag zu laufen.“

Die beiden jüngeren Priesterinnen blieben zögernd stehen und blickten von der Ältesten zu Mimiko, die mit zitternden Knien flehend zu ihnen aufsah.

Die Älteste warf einen scharfen Blick zu Seina, die es gewagt hatte, sie ohne Erlaubnis anzusprechen, nachdem sie schon in Ungnade gefallen war, doch dann nickte sie und erlaubte dem erschöpften Mädchen sich ein wenig auszuruhen.

Seina machte keine Anstalten, sich neben Mimiko zu setzen, obwohl sie ihr von weitem immer wieder besorgte Blicke zuwarf, doch sie blieb an der Seite der Ältesten, die ihren Blick unerbittlich auf Mimiko gerichtet hielt, als würde sie versuchen durch ihren Kopf zu sehen.

Die beiden jüngeren Priesterinnen ließen sich ein Stück entfernt von Mimiko auf einem Felsen nieder und warteten wie die anderen, dass das Mädchen wieder zu Kräften kam.

Die Spannung die durch die ungeduldigen Blicke der Gazanerinnen auf Mimiko lastete, machte sie fast noch mehr fertig, als der Marsch zuvor. Sie starrte konzentriert auf den Boden vor sich und verfolgte mit den Augen die schmalen, mit Dreck gefüllten Rillen, die im Gestein verliefen und kleine Landkarten bildeten. Trotzdem spürte sie weiterhin die unerträglichen Blicke, die sich in ihren Kopf zu bohren schienen und sprang nach ein paar Minuten Rast schon wieder auf, um endlich den Versammlungsort zu erreichen, da sie dort ihre unangenehmen Begleiter hoffentlich verlieren würden.

Als es Abend wurde, erreichten sie gerade eine kleine Hügelkuppe, die zu den Ausläufern des Grauen Berges gehörte. Als die Sonne unterging und den Himmel rot leuchten ließ, suchten sich die Priesterinnen einen geschützten Platz hinter einem Felsen und kauerten sich dort zusammen, bis es vorüber war. Mimiko fragte sich zwar, was dieses seltsame Ritual zu bedeuten hatte, doch sie war zu müde, um zu sprechen und setzte sich einfach zu ihnen, dankbar, dass ihre blasenübersäten Füße einen Moment zum Ausruhen hatten. Als die Sonne hinter dem Gebirge weiter im Westen verschwand, erhoben sich die Priesterinnen erleichtert und Mimiko blickte ein wenig besorgt zu Seina, die sie jedoch mit einem sanften Lächeln beruhigen konnte.

Dann schoben sich wieder die anderen Priesterinnen zwischen sie und der Weg zum Versammlungsplatz wurde im Dunkeln fortgesetzt.

Jetzt hatte Mimiko noch mehr Mühe mit den vier Frauen Schritt zu halten, da sie im Dunkeln ständig über Steine und Wurzeln stolperte. Nach einem weiteren Stück Weg konnte Mimiko jedoch endlich das Licht eines großen Feuers in der Ferne erkennen.

Als wären sie Motten, wurden sie von dem Licht angelockt und eilten vorwärts über die dunkle, kalte Ebene, um so schnell wie möglich in den Genuss von dessen Schutz und Wärme zu kommen.

Als sie näher kamen, sah Mimiko, dass um das Feuer viele Gestalten standen und sich wärmten, alle in das blaue Gewand der Priesterinnen gekleidet. Als die Gazanerinnen sie entdeckten, ging aufgeregtes Raunen durch die Menge und einige sprangen auf, um besser sehen zu können. Eingeschüchtert versteckte Mimiko sich unauffällig hinter den zwei jungen Priesterinnen, die vor ihr gingen und beobachtete über deren Schultern hinweg die riesige Gruppe überirdisch schöner Frauen, die ihnen neugierig entgegenströmte.

Waren sie alle nur wegen ihr gekommen? Plötzlich trennten sich ihre zwei schützenden Begleiterinnen und gaben den anderen so den Blick auf sie frei. Mimiko wurde knallrot, als sich die gespannten Blicke der Priesterinnen auf sie hefteten und sie spürte genau, wie sie von oben bis unten taxiert wurde.

Von hinten schoben zwei zarte Hände sie weiter vorwärts und vor Mimiko trennte sich die Masse der Gazanerinnen, um sie durchzulassen. Als das eingeschüchterte Mädchen in die Gesichter der Frauen sah, erkannte sie darin sowohl Neugier als auch Mitleid, sowie sie es bei Seina gesehen hatte und die Angst davor, was sie nun unmittelbar erwatete, steigerte sich fast zu einer Art Panik. Ihre Augen suchten nach Seina, der einzigen Person hier, der sie vertraute und sie erblickte sie meterweit entfernt, wo sie von drei Priesterinnen energisch weggeführt wurde.

„Seina!“ Rief Mimiko und wollte zu ihr rennen, aber die Priesterinnen versperrten ihr den Weg. Mimiko vergaß ihre anfängliche Scheu und schubste die Gazanerinnen grob aus dem Weg, um zu ihrer Freundin vorzudringen. Die zwei, die sie geführt hatten, griffen sie an den Armen und Mimiko zappelte und trat nach ihnen, wollte nur noch weg von diesen Monstern, die ihr und Seina böses antun wollten. Aber aus dem eisernen Griff der Frauen konnte sie sich nicht befreien. Von Verzweiflung überwältigt begann sie zu weinen und krallte sich in einer letzten Anstrengung sich zu befreien in das Gesicht von einer der Priesterinnen, die sie am Arm gepackt hatte.

Doch das war ein Fehler. Zu spät fiel ihr ein, dass sie die Haut der Frauen nicht berühren durfte, doch die Halluzinationen brachen schon über sie herein und betäubten ihre Sinne mit ungekannten Schmerzen und Wahrnehmungen, bis sie ohnmächtig wurde.

Das letzte Abendmahl

Mimiko erwachte langsam aus einem grausamen Albtraum, nur um festzustellen, dass sie sich dafür in einem anderen befand.

Sie saß auf einem Stuhl vor einer langen Festtafel mit köstlichen Speisen, jedoch standen um sie herum tausende Priesterinnen, die sie anstarrten und aufgeregt zu tuscheln begannen, als sie sich regte und die Augen aufschlug.

Mimiko starrte wütend und ängstlich zurück und es traf sie wie ein Schock, als sie sah, wer neben ihr saß. Seina lächelte müde. Sie war furchtbar blass und ihre Haare waren für ihre Verhältnisse ungewohnt zerzaust, aber immerhin schien es ihr körperlich gut zu gehen.

„Wie geht es dir?“ Fragte sie leise und legte vorsichtig ihre mit Stoff umhüllte Hand auf Mimikos.

„Es geht.“ Murmelte Mimiko dankbar für die Nähe der Freundin.

„Was passiert jetzt?“ Fragte Mimiko und umschloss Seinas Hand um sich Mut zu machen.

„Du musst dein letztes Mahl einnehmen.“

„Mein letztes?“

„Priesterinnen essen nichts. Heute ist offiziell der letzte Abend, den du als Mensch verbringst, also versuch möglichst es zu genießen.“

„Verstehe.“ Mimiko betrachtete noch einmal ihre Zuschauer und tat sich dann schweren Herzens ihre erste und letzte Portion Apfelstrudel auf. Es war schwer, unter diesen Umständen besonderen Appetit aufzubringen, aber sie bemühte sich dennoch jeden Bissen so sehr wie möglich zu genießen und sich den Geschmack des Essens genau einzuprägen. Seina sah ihr dabei nur wortlos zu und seufzte manchmal kaum merklich, wenn Mimiko eine ihrer Lieblingsspeisen wählte, die Seina schon seit zwanzig Jahren nicht mehr hatte schmecken können.

Plötzlich schlug etwas hart auf die Tischplatte, sodass die Teller klirrend einen Hüpfer taten und die Suppe aus den Schüsseln schwappe. Seina und Mimiko fuhren überrascht auf und sahen, dass eine alte Priesterin die Ursache für das kleine Erdbeben war. Sie hatte sich vor dem Tisch aufgebaut und hielt eine Kelle in der Hand, mit der sie Seina mit bösartigem Funkeln in den Augen einen Teller Suppe auftat und ihn ihr vor die Nase knallte, so dass die Flüssigkeit über den Rand schwappte. Seina schien völlig irritiert und Mimiko hätte die alte Schachtel am liebsten für ihr unverschämtes Benehmen getreten.

„Meine Anweisungen waren, dass Ihr als Strafe das GANZE Ritual zur Einweihung wiederholen müsst, um Euch an die Grundsätze der Priesterschaft zu erinnern!“

„Aber Herrin, ich kann doch nicht...“

„Esst, oder ich zwinge Euch dazu.“

Seina blickte wie ein trotziges Kind auf die Suppenschüssel und nahm dann widerwillig den Löffel zur Hand. Wie in Zeitlupe schien sich das glänzende Silberbesteck in die Schüssel zu senken, als Seina missmutig eine kleine gekochte Möhre herausfischte und sie dann langsam zum Mund führte. Mimiko betrachtete die Szene beunruhigt und schrie auf, als Seina nach dem Verschlucken der Nahrung augenblicklich zusammenbrach.

„Keine Sorge, sie ist nicht tot.“ Sagte die gehässige alte Priesterin, die Seina „Herrin“ genannt hatte und lies die bewusstlose Priesterin und Mimiko in ein Zelt bringen, in dem sie die Nacht verbringen durften. Seina wurde auf den bloßen Boden gelegt, während man Mimiko eine Decke und ein Kopfkissen gab. Dann verließ man sie und Mimiko kroch verängstigt unter ihre Decke. Wo war sie hier bloß reingeraten? Warum behandelte man Seina so grausam und was würde mit ihr geschehen, wenn sie auch Priesterin wurde? Sie würde zumindest nicht mehr essen dürfen. Dass hatte sie nun eindeutig mitbekommen. Und da man Seina als Strafe das Einweihungsritual wiederholen ließ, würde dies sicher nicht sehr angenehm ausfallen.

Mimiko betrachtete Seina besorgt, die friedlich neben ihr zu schlafen schien, aber noch immer einen gequälten Ausdruck im Gesicht hatte. Sanft deckte Mimiko die Priesterin ein Stückchen mit zu und streichelte ihr tröstend das Haar. Was auch immer ihnen bevorstand, sie würden es gemeinsam durchstehen...

Die erste Prüfung

Mimiko hatte gar nicht gemerkt, dass sie eingeschlafen war. Sie schlug erschrocken die Augen auf und stellte fest, dass es hell war. Das Zweite was ihr auffiel war, dass Seina verschwunden war. An ihrer Stelle leistete ihr der Goriban, den sie am Vortag im Wald getroffen hatte, Gesellschaft.

Neben ihrem Bett stand der Beutel mit ihren Sachen, den wohl die Priesterinnen dorthin gestellt hatten. Der haarige kleine Kerl wühlte neugierig darin herum.

„Hey, lass meine Sachen in Ruhe!“ rief Mimiko schlecht gelaunt und tat, als würde sie nach ihm schlagen wollen. Das affenähnliche Wesen hüpfte beleidigt kreischend zur Seite und rannte dann aus dem Zelt.

„Dummes Vieh!“ grummelte das Mädchen und kroch unter ihrer Decke hervor. Es war kalt geworden über Nacht und es fiel ihr schwer, das Bedürfnis zu unterdrücken, sich schnell zurück unter die Decke zu kuscheln. Sie griff rasch nach ihren Sachen und suchte darin nach frischer Wäsche, wobei sie feststellte, dass ihre Kleidung verschwunden war.

Da der Goriban nichts derartig großes mitgenommen haben konnte, nahm sie an, dass die Gazanerinnen sie ihr weggenommen haben mussten. Also behielt sie ihre alten Klamotten an, die voller Staub-, Matsch- und Grasflecken waren und verlies schlecht gelaunt das Zelt, um nach Seina zu suchen. Sie schlug die vordere Zeltwand zur Seite und kletterte ungeschickt durch den kleinen Ausgang. Das Sonnenlicht blendete sie für ein paar Sekunden, sodass sie die über sie gebeugte Priesterin, die ihr beim Aufstehen helfen wollte, erst bemerkte, als sie mit ihr zusammen stieß. Diese war scheinbar noch viel überraschter als Mimiko selbst, als das Mädchen ungewollt ihr Gesicht gegen die Brüste der Priesterin presste und sie fast zu Boden warf. Die Frau stieß einen erschrockenen Schrei aus und stolperte rückwärts.

Sie wäre sicher gefallen, hätte Mimiko nicht reflexartig ihre Hand gegriffen und sie zurück gezogen. In dem Moment, als die Haut der Priesterin mit der ihren in Berührung kam, machte Mimiko sich schon auf den üblichen Schock gefasst, doch zu ihrer Erleichterung passierte nichts. Obwohl ihre Hände sich ungeschützt berührten, spürte sie nicht mehr als ein unangenehmes Prickeln. Die erschrockene Priesterin errötete heftig und zog schüchtern ihre Hand fort. Dann trat sie ein paar Schritte zurück, damit Mimiko Platz hatte, um vollständig aus dem Zelt zu kommen.

„Entschuldigung, ich hab dich nicht gesehen.“ Sagte Mimiko und lächelte die schüchterne Priesterin entschuldigend an. Diese errötete noch mehr und schüttelte als Antwort nur den Kopf, was wohl bedeuten sollte, dass es nicht Mimikos Schuld war. Dann wurde Mimiko sanft von ihr am Ärmel gegriffen und wortlos durch das Lager der Priesterinnen gezogen, bis sie das Ufer eines riesigen Sees erreichten.

Dort verlies die Priesterin sie ohne irgendwelche Erklärungen und verschwand mit lautlosen Schritten im morgendlichen Nebel.

Die kaltfeuchte Luft durchdrang Mimikos Kleidung schnell und frierend blickte sie sich nach anderen Gazanerinnen um, die ihr womöglich Anweisungen für eine bevorstehende Prüfung hier geben konnten. Doch keine der blaugewandeten Frauen schien sich in der Nähe zu befinden. Verwirrt wanderte das Mädchen ein Stück am Ufer entlang und überlegte zitternd, ob sie einfach zurück zum Zelt gehen, oder hier warten sollte. Fürs erste entschloss sie sich zu warten, da sie am letzten Abend an Seinas Beispiel gelernt hatte, dass Ungehorsam hier nicht auf die leichte Schulter genommen wurde. Ein wenig entmutigt setzte sie sich auf den feuchten, leicht sandigen Boden unter einen Baum und blickte auf den See, der im Dunst und im Dämmerlicht geradezu gespenstisch wirkte. Im Gegensatz zu der Landschaft, die sie am Tag zuvor durchquert hatten, wirkte die Vegetation in der Nähe des Sees recht üppig. Hinter den Nebelschwaden konnte sie die Silhouetten von Wurzeln und Baumkronen ausmachen und das Wasser war wundervoll klar. Wäre es nicht so kalt gewesen, hätte sie gerne hier gebadet. Aber im Moment plagten sie andere Sorgen. Sie begann sich zu fragen, ob es wirklich eine gute Idee gewesen war, mit Seina zu gehen. Die Verhältnisse hier erinnerten sie ein wenig an die Jahre, die sie als Sklavin verbracht hatte. Beim Wirt hätten sie keine Prüfungen oder Strafen erwartet. Aber hätte sie denn eine Wahl gehabt? Es gab keinen Ort den sie kannte, wo die Gazara-Priesterinnen keinen Einfluss hatten, wo sie sich vor ihnen hätte verstecken können. Außerdem wäre Seina sicher noch härter Bestraft worden, wäre sie ohne Mimiko zurückgekommen.

Ein Plätschern neben ihr ließ sie aufschrecken. Überrascht blickte sie hoch und sah Seina vor sich ins Wasser waten. Die Priesterin hatte ihr Gewand abgelegt und ihre blonden Haare hingen ihr bis zum Po über den Rücken. Obwohl Mimiko diesen Anblick bereits kannte, raubte ihr Seinas perfekte Schönheit jedes Mal wieder den Atem. Als sie bis zur Hüfte im Wasser stand, drehte sich Seina zu ihr um und winkte Mimiko zu sich ins Wasser. Das Mädchen zögerte. Sollte sie sich bei dieser Kälte tatsächlich ausziehen und baden? Seina schien zu vergessen, dass Mimiko noch immer ein Mensch mit funktionierendem Kälteempfinden war.

„Das ist die erste Prüfung.“ hörte Mimiko eine zitternde Stimme hinter sich.

Es war die Priesterin von vorher.

„Du musst solange im Wasser bleiben, bis deine Seele von den menschlichen Schwächen reingewaschen ist. Du kannst deine Kleider bei mir lassen. Wenn du fertig bist, bekommst du dein vorläufiges Priesterinnengewand.“

Mimiko nickte und begann nervös sich ihr Hemd aufzuknöpfen.

„Wie lange dauert es, bis ich von meinen Schwächen ,reingewaschen’ bin?“

„Das hängt ganz von dir ab, denke ich... Bei mir waren es zwei Tage.“ Mimiko hielt in ihrer Bewegung inne und starrte sie entgeistert an.

„Zwei Tage?! Wie hast du das überlebt? Das Wasser ist doch bestimmt eiskalt?“

Die junge Priesterin scharrte verlegen mit dem Fuß in der Erde.

„Also...als ich meine Prüfungen begonnen habe war Sommer, deshalb...“ Ein knacken im Gebüsch hinter ihr unterbrach sie.

„Wieso ist das Mädchen noch nicht im Wasser?“

„Oh, verzeiht mir Herrin, ich habe ihr noch den Ablauf der Prüfung erklärt.“

„Was gibt’s denn da zu erklären? Sie muss doch nur ins Wasser! Außerdem ist es dir verboten mit ihr zu sprechen, sie ist immer noch ein Mensch!“

Die junge Priesterin schwieg unterwürfig und Mimiko beeilte sich, aus ihren Kleidern zu kommen, ehe die Alte ihre schlechte Laune auch an ihr auslassen konnte. Dann lief sie Seina hinterher ins Wasser, dass noch viel kälter war, als sie erwartet hatte.

Die Kälte schien ihr förmlich in die Haut zu beißen und ihre Füße wurden sofort taub vor Schmerz. Mimiko keuchte und schaffte es nur bis ins zur Brust ins Wasser zu waten, so dass ihre Schultern und Haare noch trocken blieben.

Es fühlte sich an, als würde das Wasser ihr sämtliches Leben aus dem Körper ziehen und ihr Herz hämmerte bei dem erfolglosen Versuch wieder Wärme in Mimikos Gliedmaßen zu pumpen.

„Weiter rein, du bist ja noch halb trocken!“ befahl die alte Gazara-Priesterin vom Ufer aus.

Mimiko hasste sie. Aber ihr blieb keine Wahl als zu gehorchen. Neben ihr tauchte Seina auf, und begleitete sie langsam ins tiefere Wasser. Als Mimiko nicht mehr mit den Füßen zum Grund reichen konnte ergriff sie langsam Panik. Unter ihr fiel das Ufer plötzlich steil ab in einen dunklen Unterwassergraben, aus dem Wasserpflanzen mit haarigen Blättern wuchsen. Seina, die wusste, dass Mimiko nicht schwimmen konnte, zeigte ihr unauffällig einen unter Wasser liegenden Felsen, auf den sie sich stellen konnte, so dass es so aussah, als würde sie aus eigener Kraft über Wasser bleiben.

Das Wasser, dass sie umgab, war pechschwarz und Mimiko wollte nicht wissen, welche Arten von Fischen in einem solchen Gewässer wohl lebten. Ein paar Mal bildete sie sich ein, dass etwas ihre Beine streifte, aber wenn sie herabsah war kein Fisch in der Nähe und sie redete sich ein, dass es nur die Pflanzen waren. Verängstigt und gepeinigt von der Kälte stand sie zitternd auf ihrem Felsen und ruderte mit den Armen, um warm zu bleiben, während Seina um sie herum ihre Bahnen zog.

In ihrer Angst erschien sie dem Mädchen wie ein Haifisch, der seine Beute umkreist.

„Wann dürfen wir wieder raus?“ Fragte Mimiko sie mit klappernden Zähnen.

„Sicherlich nicht vor heute Abend.“

„Was? Aber ich halte das keine zehn Minuten mehr aus! Wenn ich bis abends hier drin bleibe sterbe ich!“

Seina blickte sie mitleidig an.

„Dir wird nichts anderes übrig bleiben, als es auszuhalten. Der Sinn dieser Prüfung besteht darin, dich von deinem körperlichen Bewusstsein zu lösen. Nutze deine Willenskraft um die Kälte zu vergessen. Die Kälte und das Wasser sind nur ein Teil deiner Umwelt, genau wie dein Körper. Was lebt, ist nur deine Seele.“

Mimiko konnte und wollte Seinas Worte nicht verstehen. Wie konnte man sich von seinem Körper trennen ohne zu sterben?

Obwohl ihr im Moment ein Leben ohne Körper weit weniger Schmerzen bereiten würde...

Sie beschloss versuchsweise auf Seinas Rat einzugehen und konzentrierte sich nur auf ihr Inneres, versuchte ihren Körper zu vergessen. Es war leichter, als sie gedacht hatte. Durch die Kälte waren ihre Nerven ganz taub geworden und ihre Arme und Beine waren schnell vergessen. Nur der Teil mit den Organen, wie Herz und Lunge ließ sich nicht so leicht abschalten. Sie versuchte ihre Gedanken aus ihrem Körper heraus zu lenken, ihre Seele ins Wasser um sie herum fließen zu lassen...und es funktionierte. In ihrem Kopf breitete sich die Kälte des Wassers aus und umfloss ihn vollständig. Es schien ihr, als würde sie Wasser atmen und plötzlich war dieses flüssige Eis nicht mehr ihr Feind, sondern ein angenehm erfrischender Teil von ihr. Mimiko atmete tief ein und ein stechender Schmerz in ihrer Brust holte sie in die Wirklichkeit zurück. Sie schlug erschrocken die Augen auf und bekam einen Schock: Sie befand sich unter Wasser!

Der Fels, auf dem sie gestanden hatte, war verschwunden und überall um sie herum war nur Dunkelheit. Sie erinnerte sich wieder daran, dass sie einen Körper hatte, der Luft zum Atmen brauchte und bekam plötzlich Angst zu ersticken.

In Panik suchte sie nach der Oberfläche und drehte sich um sich selbst, aber von nirgends schien Licht zu kommen. Der Druck auf ihren Lungen wurde zu stark und sie atmete aus. Doch nichts schlimmes passierte. Sie hatte erwartet jetzt von dem Wasser, das in ihre Lungen drang getötet zu werden, aber sie konnte normal weiteratmen. Dann wurde ihr plötzlich klar, dass sie das Wasser schon längst in ihrem Körper hatte ;sie hatte es eingeatmet, als sie noch glaubte körperlos zu sein.

Zwar verstand sie nicht, weshalb es ihr nicht schadete, doch jetzt wo sie merkte, dass sie hier nicht ertrinken konnte, verlor sie ihre Angst ein wenig. Mit nun klarem Verstand schwamm sie in die Richtung, von der sie glaubte, dass sie zur Oberfläche führte. Die Dunkelheit machte sie noch etwas nervös, doch vor ihr wurde es bereits heller und sie schwamm dem schwachen Leuchten rasch entgegen. Als sie näher kam, merkte sie, dass das Leuchten nicht von der Oberfläche, sondern vom Grund des Sees kam, dessen Boden mit strahlend weißem Sand bedeckt war. Obwohl von oben kein Lichtstrahl durchkam, glitzerte der Boden als wären Diamanten darauf verstreut.

Von Neugier getrieben schwamm das Mädchen näher heran, bis sie ihre Füße auf dem Grund absetzen konnte.

Alles kam ihr vor wie ein Traum. Die Sandkörner waren von nahem viel größer als es von oben den Anschein hatte. Mimiko hob eines auf und betrachtete es in ihrer Handfläche. Es war eine Perle. Sie behielt sie in der Hand und schritt andächtig über den perlmutternen Teppich der sich vor ihr erstreckte. Sie fand es seltsam, dass sie nicht nach oben trieb, sondern völlig ohne Kraftaufwand normal über den Grund gehen konnte, doch sie vermutete, dass es daran lag, dass sie keine Luft mehr in den Lungen hatte.

Weiter weg nahm sie eine Silhouette wahr, die sich auf sie zu bewegte.

Angst umklammerte Mimikos Eingeweide wie eine kalte Hand. Was für ein Wesen würde sie hier antreffen? Einen riesigen Fisch? Einen Wassermann? Vor Angst war sie wie gelähmt und blieb starr auf der Stelle stehen. Der Schatten schien größer zu werden als er näher kam, bis Mimiko schließlich die Formen eines menschlichen Körpers erkannte. Seina? Dachte das Mädchen hoffnungsvoll.

Der Schatten schwamm nun nicht mehr, sondern setzte ebenfalls seine Füße auf dem Grund ab, um zu gehen. Mimiko stand noch immer still da und wartete angespannt. Es war eindeutig eine Frau mit Seinas Figur. Ja, das musste sie sein!

Mimiko stieß sich vom Grund ab und schwamm auf die Silhouette zu. Während sie näher kam, erkannte sie, dass es tatsächlich die Priesterin war. Sie stand wartend am Grund des Sees und lächelte Mimiko zu.

Seinas lange Haare tanzten im Wasser und stiegen wie Schlangen um ihren Kopf herum auf. Auf ihnen spiegelte sich der Glanz der Perlen. Mimiko kam es vor, als betrachtete sie ein Wesen aus einer anderen Welt. Als sie bei Seina ankam, deutete diese auf den perlenbedeckten Boden unter ihnen. Mimiko nickte zum Zeichen, dass sie es schon bemerkt hatte und öffnete ihre Hand, um Seina die Perle zu zeigen, die sie mitgenommen hatte.

Die schimmernde Kugel lag fast schwerelos auf ihrer Handfläche, so dass das Mädchen die Hand schnell wieder schließen musste, damit sie nicht davon trieb. Seina nickte zufrieden und gab ihr mit der Hand ein Zeichen, dass sie die Perle behalten sollte. Dann deutete sie nach oben.

Zusammen schwammen die beiden zurück in Richtung Oberfläche. Doch Mimiko hatte Schwierigkeiten mit dem Tempo der Priesterin mitzuhalten, weil sie mit der um die Perle geschlossenen Faust schlechter schwimmen konnte. Also hielt sie kurz an und steckte sich die Perle in den Mund, um sie besser transportieren zu können. Seina wartete bis Mimiko nachkam und dann tauchten sie gemeinsam weiter aufwärts durch die Dunkelheit. Hätte Mimiko nicht Seina als ihre Führerin gehabt, sie hätte vermutlich wieder die Orientierung verloren. Es war so schwarz um sie herum, dass sie nur schwer Seinas Figur ausmachen konnte, obwohl diese dicht neben ihr schwamm. Als endlich das Licht der Oberfläche in Sicht kam, gab Seina Mimiko wieder ein Zeichen, damit sie nicht sofort auftauchte. Die Priesterin bedeutete der Jüngeren ihr zu folgen und schwamm voraus, bis sie ins seichtere Wasser nahe des Ufers kamen. Als der Boden nah genug war, um nicht mehr schwimmen zu müssen, richtete Seina sich auf und steckte den Kopf aus dem Wasser. Mimiko tat es ihr nach. Im ersten Moment sah sie noch wie Seina hustend vorwärts taumelte und von zwei Priesterinnen, die scheinbar schon auf sie gewartet hatten, ans Ufer befördert wurde. Dann spürte auch Mimiko, was Seina so zu schaffen machte:

Sie musste atmen!

Doch ihre Lunge war immer noch voll vom Wasser des Sees und der plötzliche Temperaturunterschied zwischen der warmen Luft draußen und dem Eiswasser, in dem sie so lange geschwommen waren, löste eine Art Schock bei ihr aus. Verzweifelt begann ihr Körper seine Lebensfunktionen wieder aufzunehmen und brachte sie dazu, das geschluckte Wasser wieder heraus zu husten. Wasserspeiend und von Krämpfen geschüttelt, musste Mimiko von den anderen Priesterinnen an Land geschleppt werden. Warme Decken schlangen sich um ihre Schultern, während sie noch immer das Gefühl hatte, gleichzeitig zu ersticken und zu erfrieren. Sie hustete weiter, bis sie sich übergab und dachte, sie müsse gleich ohnmächtig werden, doch eine kräftige Hand klopfte ihr auf den Rücken, so dass sie schließlich genug Wasser ausspucken konnte, um zumindest zwischendurch kleine Atemzüge zu nehmen, bis der nächste Hustenkrampf kam.

Völlig am Ende wurde Mimiko von einer jungen Priesterin in die Arme genommen. Sie tröstete sie und stand ihr bei, bis das Husten langsam aufhörte und Mimiko erschöpft und heftig zitternd in sich zusammensank. Die Frau wickelte sie in weitere Decken ein und brachte sie mit der Hilfe von zwei anderen Gazanerinnen in ein Zelt, wo sie sich ausruhen konnte. Nachdem die Schmerzen in ihrer Lunge langsam abgeklungen waren, schlief Mimiko vor Erschöpfung sofort ein.
 

Als sie erwachte war es schon Abend. Die Sonne war untergegangen, doch durch die Zeltwände konnte sie den flackernden Schein eines Feuers erkennen. Ihre Lunge schmerzte noch immer bei jedem Atemzug den sie tat und leicht benommen fragte sie sich, wie sie so lange unter Wasser hatte überleben können. Das Mädchen sah sich nach Seina um, welche sie nackt auf dem bloßen Boden liegend neben sich erblickte. Besorgt deckte Mimiko sie mit ihrer Decke zu, damit sie sich nicht erkältete. Auch sie selbst zog sich rasch ein paar warme Klamotten an, die man ihr zurecht gelegt hatte, denn die Kälte des Sees saß ihr noch immer in den Knochen. Während sie in die warm gefütterte Kleidung schlüpfte, bekam sie plötzlich ein ungutes Gefühl im Magen. Hatte die Priesterin ihr nicht gesagt, dass sie nach bestehen der Prüfung ihr erstes Priesterinnengewand erhalten würde? Doch stattdessen hatte sie Wollbekleidung bekommen. Bedeutete das etwa, dass sie die Prüfung nicht bestanden hatte? Auch Seina hatte kein Gewand erhalten, und nicht mal ihr altes hatte man ihr gelassen. Waren sie nicht lang genug im Wasser geblieben? Verzweifelt kniete Mimiko sich neben die Gazanerin und versuchte sie durch leichtes Schütteln zu wecken. Seina hatte die Prüfung doch schon zum zweiten Mal absolviert! Wie war es da möglich, dass sie einen Fehler gemacht hatte?

Was würde nun mit ihnen geschehen? Würden sie für ihr Versagen bestraft werden?

Panisch schüttelte Mimiko Seina, bis diese endlich die Augen aufschlug.

Sie musste jetzt eine Antwort haben!

„Seina! Wach auf! Ich glaube, wir haben die Prüfung nicht bestanden!“

Benommen setzte Seina sich auf und die Decke rutschte ihr von den Schultern.

„Ist es schon Morgen?“ murmelte sie mit halb geschlossenen Augen.

„Nein, aber wir haben kein Gewand bekommen! Heißt das, wir haben die Prüfung nicht bestanden!?“

Seina gähnte und schüttelte den Kopf.

„Keine Angst, die Prüfung ist noch nicht beendet, deshalb hast du noch kein Gewand.“

„Noch nicht beendet? Aber was müssen wir denn noch machen?“

Neugierig kroch Mimiko zu Seina herüber und blickte sie erwartungsvoll an. Seina drapierte die Decke bequemer um sich und räusperte sich.

„Hast du noch die Perle vom Grund des Sees?“

Mimiko schüttelte den Kopf.

„Was!?“ Plötzlich war Seina wieder hellwach.

„Warum nicht? Was hast du damit gemacht? Du brauchst sie um die Prüfung zu beenden!“

Vor Schreck weiteten sich Mimikos Augen und sie schlug sich die Hand vor den Mund.

„Warum hast du mir das nicht früher gesagt!?“, jammerte Mimiko.

„Ich dachte, das wäre klar, nachdem ich dir gezeigt habe, dass du sie mitnehmen musst. Verflixt...“

„Es tut mir so leid! Ich hatte sie mir in den Mund gesteckt, um besser schwimmen zu können. Beim Auftauchen muss ich sie dann mit rausgehustet haben...Was sollen wir jetzt tun?“

Seina seufzte angespannt und strich sich die Haare aus der Stirn.

„Wir haben noch Zeit bis zum Morgengrauen. Dann kommen sie uns abholen. Ich werde mich rausschleichen und noch mal runter tauchen und eine neue holen. Du suchst solange das Ufer ab, falls ich es nicht rechtzeitig zurück schaffe. Vielleicht findest du die Perle wieder.“

„O.K....Es tut mir so Leid!“

„Keine Sorge, Kleine, wir schaffen das schon. Komm schon, wir müssen uns beeilen.“



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Kommentare zu dieser Fanfic (12)
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Von:  Teilchenzoo
2009-05-05T12:10:52+00:00 05.05.2009 14:10
so, jetzt hab ich es auch endlich geschafft.

Zu fluchen passt so ganz und gar nicht zu Seina. Und das "Kleine, wir packen das schon" ... hm.

Auch, dass Mimiko erst meint, dass der See klar ist, dann wieder tiefschwarz, das verwirrt im ersten Moment. Natürlich ist ein klarer See an tiefen Stellen auch dunkel, aber das ist eben anfangs etwas verwirrend.

Bis auf einige wenige Tippfehler habe ich sonst nichts weiter auszusetzen.

Schöne Idee mit der Prüfung. Hoffen wir, dass sie die Perle bald finden. Auch interessant, zu sehen, wie unterschiedlich die Priesterinnen sind. auch, wenn die alte frau knurrig ist, die kräftige Hand, die Mimiko auf den Rücken schlägt, um sie zum Atmen zu bringen, könnte ihre sein (bei meiner Fantasie ...). Sie wäre also nicht nur knurrig ;). Und auch, wenn das eine andere Priesterin war, so zeigt es doch auch Sorge um den Prüfling. Sie wollen eben prüfen, nicht so sehr strafen. So jedenfalls wirkt es auf mich.

bis bald =^.^= neko
Von: abgemeldet
2009-04-26T06:57:37+00:00 26.04.2009 08:57
Erstmal danke für die Benarichtigung.
Ich hoffe sie finden die Perle noch bevor die Prüfung weitergeht.
Freue mich schon auf das nächste Kapitel.
Von: abgemeldet
2009-04-08T14:16:48+00:00 08.04.2009 16:16
*räusper*
Also ich denke, dass Bettie sehr gut umrissen hat, was mir auch durch den Kopf gegangen ist, als ich deine Geschichte gelesen habe.
Erst einmal Glückwunsch zu deiner guten Rechtschreibung, findet man eher selten (sieht bei mir auch nicht anders aus ;))

Du umschreibst deine Hauptperson wirklich sehr dezent und einladend. Alles nimmt innerlich Gestalt an.
Die langen Sätze waren zwar manchmal ein Hinderniss, doch du hast sie sehr schön gestaltet, sodass sie doch gut, aber nicht immer einfach zu lesen waren.
Dein Stil ist sehr ansprechend und ausgereift. Man erkennt, dass du mit Leidenschaft schreibst, dass dich das Schreiben interressiert.

Leider bin ich gerade ein wenig anderweitig beschäftigt und muss deswegen hier schon abbrechen, aber ich werde die nächsten Kapitel gewiss lesen und kommentieren.

glg
Cranier
Von:  Teilchenzoo
2009-03-02T14:53:46+00:00 02.03.2009 15:53
Bei der letzten Szene waren die längeren Sätze etwas verwirrend.

Diese Prüfung klingt schwer. Es ziehen also erste Wolken auf, und es ist nicht alles eitel Sonnenschein.
Anscheinend sind die anderen Priesterinnen nicht unbedingt so sanftmütig wie Seina. Auch, wenn sie jetzt bedrohlich wirken, so bin ich doch gespannt, sie näher kennenzulernen.

Lg neko

Von:  Teilchenzoo
2009-03-02T14:31:25+00:00 02.03.2009 15:31
Als Erstes: ich stimme Bettie zu und habe dem nichts hinzuzufügen.

Du hast einen wunderbaren, fließenden Schreibstil (fließend wie der eiskalte Fluss *kicher*), durch den man problemlos durch die Geschichte geführt wird.

Welche Strafe erwartet das Mädchen wohl? Ich glaube ja fast, dass sie nun selbst eine Priesterin wird ^^ ... jedenfalls würde ich mir das erhoffen. Eine ernste Strafe wäre mir gar nicht lieb. Mimiko scheint so ein unschuldiges, fröhliches Wesen zu sein, dem man nichts übel nehmen kann. Sehr einnehmend.

Ich möchte allerdings sagen, dass ich es ganz schön krass finde, dass Siena nach diesem kurzen Aufenthalt schon derartig geschwächt ist. Ein bisschen weniger fände ich realistischer, ohne dass es der Aussagekraft geschadet hätte.

Lg neko
Von:  Teilchenzoo
2009-03-02T14:17:54+00:00 02.03.2009 15:17
Ein Anfang, der zum Weiterlesen einläd.

Mir gefällt deine Art, dich auszudrücken. Man erhält dadurch neben der dirketen Beschreibung einen sehr guten Eindruck von dem Wesen der Priesterin und dem Wald an sich.
Was nun Betties Meinung betrifft: in einer Szene wie der im Wald finde ich eine so poetische Sprache sehr geeignet. Sie drückt die Ruhe und das Einssein mit der Natur wunderbar aus. Allerdings solltest du sie im Getümmel der Stadt, mit den ruppigen Menschen und all ihren Sorgen und Lärmen, vielleicht variieren (ich weiß, du hast bereits andere Kapitel veröffentlicht, und ich weiß nicht, wie du da geschrieben hast. Es ist nur als allgemeiner Tipp gemeint, vielleicht zu voreilig).

Ich bin wirklich gespannt, wie es weitergeht.

Lg neko
Von: abgemeldet
2008-04-19T07:31:39+00:00 19.04.2008 09:31
Das Kapitel hat mir gefallen.
Wie wird es wohl weitergehen?
Von: abgemeldet
2008-01-27T07:32:53+00:00 27.01.2008 08:32
Der Weg wird nicht einfach für Mimiko.
Was wird mit Seina passieren, bekommt sie eine Strafe, weil sie angeblich die Regeln verletzte?
Freue mich auf das nächste Kapitel.
Von:  Lady_Lockenlicht
2008-01-25T14:26:59+00:00 25.01.2008 15:26
[Gegenkommentar]
Und weiter geht's =)

Ein krasser Gegensatz, die lebendige, natürliche Heimat der Priesterin und die abstoßende Stadt. Sehr schön gezeichnet.
Das ist ja ein hartes Schicksal, das die unbeschwerte Mimiko so plötzlich ereilt. Was sie wohl erwarten wird?

Du hast eine bildhafte Sprache, aber versuche, Deine Motive und Vergleiche realistisch bzw. flüssig zu halten: manches liest sich komisch, wie "paar Lungen voll", aber das ist natürlich Dein Stilmittel und kein wirklicher Fehler.
Auch ein paar Adjektive weniger würden dem ganzen an erdrückender Dichte nehmen, sonst kommt es leicht zum overkill: "die lauten, übelriechenden Straßen zu dem kleinen, ärmlichen Wirtshaus", das sind vier Adjektive und das war nicht mal der ganze Satz ;) Ich weiß, dass man als Autor, der seine Geschichte richtig vor den inneren Augen abspielen lässt, leicht dazu neigt. Mir passiert das leider auch gerne mal. Aber glaube mir, mit weniger Adjektiven wirkt es trotzdem noch lebendig!
Rechtschreib- und Tippfehler mal wieder kaum vorhanden, nur z.B. "das sie wieder hier war": DASS, "lies sie mit lautem Scheppern": ließ... Da hast Du also keine Probleme!

Viele Grüße
Madame Blandfort
Von:  Lady_Lockenlicht
2008-01-25T14:16:46+00:00 25.01.2008 15:16
[Gegenkommentar]
Zumindest einen Kommentar schaffe ich noch diese Woche =)

Ein guter Einstieg in die Geschichte; der Schauplatz wird umrissen, eine der Hauptpersonen (zumindest denke ich das) skizziert und scheinbar wichtige Elemente in Deiner Geschichte dem Leser nahegelegt. Das Motiv der Priesterin, in einem Matriarchat organisiert, gefällt mir, da hat mir das Lesen natürlich noch mehr Spaß gemacht.

Du besitzt eine sehr bildhafte und poetische Sprache. Das passt einerseits sehr gut zum Thema der Geschichte, ist aber andererseits etwas gefährlich in der Hinsicht, dass es schnell ins Kitschige abdriften kann. Vielleicht wird dieser Eindruck noch verstärkt durch die langen Sätze: ich persönlich mag sowas ja, aber sie sollten trotzdem mit Bedacht und nicht inflationär eingestreut sein. Lies sie Dir am Besten mehrmals durch und frage Dich, ob Du sie als Leser verstehen würdest? Noch besser wäre natürlich, Freunde oder einen Beta zu fragen, die Dich höflich auf so etwas hinweisen würden. Ich meine z.B. einen solchen Satz mit ein paar zuvielen Einschüben:"Die Person im blauen Gewand atmete tief den Duft des Waldes ein, als wäre sie das Bouquet eines edlen Weines, denn nur um diese Tageszeit hatte die Luft diesen besonders intensiven Geschmack, in dem alle Gerüche, die der Wald zu bieten hatte, vereint waren." Daraus ließen sich auch gut 2-3 Sätze machen. Lange Sätze können gut wirken, aber sie bedürfen einer gewissen schriftstellerischen Erfahrung.

Rechtschreib- oder/und Tippfehler sind Dir kaum bis gar nicht unterlaufen, mir sind sie nur sehr marginal aufgefallen, wie "im vorbeiwehen": im Vorbeiwehen.

Ich lese gerne mal in die nächsten Kapitel rein =)



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