Summerjam von LeS ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Der Strand von Mineralstadt wurde von sanften Wellen geglättet. Seit Tagen überragten diese kaum die 1-Meter-Marke. Es war also eine perfekte Zeit zum Angeln, weswegen auch Jack heute am Pier saß und versuchte, sich eine Forelle zum Abendessen zu fangen. Wenn er nicht schon seit drei Stunden dort gesessen hätte, so hätte er noch immer behauptet, dass Angeln sein liebstes Hobby war. Da diese drei Stunden aber inzwischen verstrichen waren, und er nebst einem löchrigen Stiefel nur schmale Holzstöcke gefangen hatte – davon dann allerdings auch reichlich – war er dessen nicht mehr überzeugt. Seufzend lehnte er sich zurück. Er blinzelte; wie war es möglich, dass er sich anlehnen konnte, wenn doch hinter ihm nichts war? „Hey, Farmerboy!“, begrüßte ihn der braungebrannte Imbissbudenkerl. „Hallo Kai“, sagte Jack. Jetzt spürte er auch, dass er sich an Kais Bein gelehnt hatte. Für einen Holzpflock war die Lehne auch viel zu warm gewesen. „Was machst du denn hier?“ „Ich wohne hier?“ Grinsend ließ er sich neben Jack nieder. Die Schuhe hielt er in der Hand, während er mit dem großen Zeh die Temperatur des Meers testete. „Ziemlich warm.“ Seine Füße steckte er nun ganz ins Wasser. Jack hatte Stiefel an, daher hatte auch er die Füße im Wasser, kam allerdings wesentlich trockener weg. „Natürlich wohnst du hier. Aber ich meinte auch eher, dass der Imbiss doch eigentlich noch aufhaben müsste? Ich bin um elf Uhr hergekommen. Oder hast du deine Mittagspause verlegt?“ Kai zuckte die Achseln. „Ich hab dich hier so alleine sitzen gesehen... die ganzen drei Stunden. Hab gedacht, ich leiste dir mal Gesellschaft, sonst vereinsamst du mir noch.“ Er zwinkerte ihm kurz zu, doch wandte er den Blick schnell wieder aufs Meer. Wann immer Jack ihn draußen am Strand sah, beobachtete Kai das Meer. Nicht dass er es nicht auch mochte, den wogenden Wellen zuzusehen, wie sie ihre Schaumkronen schlugen, aber er konnte sich doch eine bessere Beschäftigung vorstellen. Gerade von Kai hatte er gedacht, dass dieser in seiner Freizeit eher surfen würde als einfach nur die Wellen an seinen Füßen vorbeirauschen zu lassen. „Beim Angeln ist man meistens einsam. Selbst wenn man sich mit wem zum Angeln verabredet. Das ist einfach was, das man nur alleine machen kann.“ „Dann soll ich wieder gehen?“, fragte Kai pikiert. „Dabei hab ich dir superleckere Pizza mitgebracht.“ Jack hob die Augenbrauen. „Ist sie noch warm?“ „Was erwartest du? Der Imbiss ist vielleicht zehn Meter entfernt von hier. Meinst du, ich schockgefriere sie?“ Kai zog die in Butterbrotpapier eingewickelte Minipizza aus seiner Umhängetasche. Popuri hatte sie ihm anfangs des Sommers geschenkt, was man der Tasche auch ansah. Eine riesige Blume war auf die Vorderseite gestickt. „Extra für mich würdest du es sicher tun, oder?“, scherzte Jack, bevor er das Papier ein Stück herunterzog und einen kräftigen Bissen nahm. Thunfisch. Woher hatte Kai nur immer die ganzen Zutaten? Vor allem so gut schmeckende. Kai rollte mit den Augen. „Klaro, was erwartest du denn.“ Er strich über die Umhängetasche. Sie war typisch Popuri. Was im Großen und Ganzen bedeutete, sie war pink. „Werdet ihr bald heiraten?“, fragte Jack, und versuchte dabei den leisen Neid in der Stimme mit Schmatzen zu verstecken. Dass sich Kai und Popuri blind verstanden, und das schon seit Jahren, beeindruckte ihn zutiefst. Er selbst hatte noch zu keiner Person so eine Bindung aufbauen können, auch wenn er und Stu sich gelegentlich rein mit Blicken unterhielten, wenn er mal wieder ein Insekt mit nach Hause gebracht hatte. Inzwischen, anders als vor ein paar Jahren noch, nicht mehr um Elli zu erschrecken (zumindest war das nicht der Hauptgrund), sondern weil er Insekten studierte. Kai schien überrumpelt von dieser Frage. Nicht nur, weil er sich an seiner Limo verschluckte, sondern auch weil er Jack ansah, als hätte ihn dieser gefragt, wie Käse vom Mond schmecke. „Ich hab tatsächlich ein Auge auf einen Mineralstädter geworfen. Ist aber nicht Popuri.“ Jack wurde hellhörig. „Wer denn dann? Popuri mag dich auf jeden Fall sehr.“ „Sie ist auch verdammt süß, und falls ich diese andere Person nicht ins Bett kriege...“ Sein Gesicht brannte vor Scham. Dieses Thema hatte er bisher nur einmal angeschnitten, und das war versehentlich gewesen, als er weinend seiner Mutter berichtet hatte, sein Pipi wäre zu Kleber geworden. Es war im Nachhinein klar, dass man den Kleber Sperma nannte, und dieses nicht so gut zum Kleben geeignet war wie ebensolcher. Seit diesem für ihn äußerst peinlichen Tag vermied er alles, was mit Sexualität zu tun hatte, geflissentlich. Was auch hieß, dass er spät abends nicht in die Bar gehen durfte. Dort unterhielten sich die Männer des Dorfes liebend gerne über nichts anderes. Selbst wenn Karen da war, schreckten sie nicht davor zurück, über (ausbleibende) Orgasmen ihrer Frauen zu diskutieren. „Hast du Fieber, sag mal!?“, riss Kai ihn aus seinen Tagträumen. Benommen wandte er sich ihm zu. „Mir geht’s prima.“ Er räusperte sich, was die Gesichtsröte leider nicht entfernte. „Über wen sprichst du denn nun?“ Kai drehte seine Limoflasche zu und leckte sich die letzten Safttropfen von den Lippen. „Wenn du schon so fragst, kann ich es dir ja sagen: Du.“ „Sehr witzig, Kai. Jetzt sag schon. Ist es Karen?“ Solche Scherze hatte er noch nie besonders leiden können. Sogar vor dem Klebertag waren sie ihm schon ein Dorn im Auge gewesen. Gerade wenn sie ihn involvierten. „Karen? Wie kommst du denn auf die. Rick ist doch mit ihr zusammen. Du kriegst aber auch gar nichts mit, echt.“ Jack zog die Angelschnur ein. Selbst wenn jetzt etwas anbeißen würde, dieses Gespräch irritierte ihn zu sehr, als dass er etwas zu fangen im Stande gewesen wäre. „Ein paar meiner Kühe wurden krank. Ich hatte nicht so viel Zeit, um oft in die Stadt zu gehen. Heute ist das erste Mal seit Wochen, dass ich mir einen freien Tag genommen habe.“ Kai schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter, ließ die Hand dann aber weniger freundschaftlich in seinem Nacken liegen. Die Haare stellten sich ihm auf. „Du armer Kerl“, sagte Kai und kraulte ihn dabei, „bist ja auch ganz verspannt. Soll ich dich ein wenig massieren?“ Jack schluckte und zog den Hals ein. Davon ließ sich Kai aber nicht vertreiben. Anstatt dessen passte die Hand sich an und fuhr in sein Haar. Er stöhnte erschrocken, bevor er darüber nachdenken konnte, dass das zu diesem Zeitpunkt einen falschen Eindruck erwecken konnte. Kai grinste ihn breit an. „Oder soll ich dir auf andere Weise etwas Druck nehmen?“ Langsam rutschte er näher, bis sie Bein-an-Bein saßen. „Ähm. Die Pizza reicht mir fürs Erste. Danke.“ Weg konnte er nicht. Noch ein paar Zentimeter weiter links, und er saß im Meer. Also blieb er an Ort und Stelle sitzen, auch wenn er eine Hand im Nacken hatte, und eine andere sein Kinn packte. Kai zog sein Gesicht zu sich. „Pizza ist toll, aber Verspannungen löst sie nicht, mein Lieber.“ „Schön und gut, Kai“, sagte er, wobei er versuchte nicht zu stark zu zittern, „aber ich denke dennoch, dass es jetzt schon zu spät ist. Ich muss wirklich zurück zur Farm.“ „Spielverderber“, nörgelte Kai, auch wenn er weiterhin grinste. „Aber wenn du sagst, dass es jetzt schlecht ist – warum dann nicht ein andermal?“ Jetzt berührten seine Lippen schon Jacks Wangen. „Ich muss nach meinen Kühen sehen. Immer!“ Mit einem Satz stand er. Die Ausrede war keine besonders gute, aber wenn er noch etwas mehr sähen würde, dann wäre es tatsächlich wahr, dass er keine Zeit für solche Spielchen hatte. „Na wenn du meinst.“ Kai stand ebenfalls auf und packte ihn am Handgelenk. „Aber so leicht gebe ich nicht auf.“ „Ich weiß wirklich nicht, was du meinst, Kai. Lass mich jetzt bitte los, ich muss noch meine Angelsachen zusammenpacken.“ Er versuchte nett zu lächeln, allerdings war das gar nicht so leicht, als Kai sich auch noch gegen ihn drückte. Hielt er nicht dagegen, würde er vom Pier fallen. Soviel war klar. Er war fast schon erleichtert, als Kai einen Arm um ihn legte und ihn festhielt. Wenigstens war die Gefahr geringer, im Wasser zu landen. „Warum lädst du mich eigentlich nicht zum Abendessen zu dir ein, wo ich dir heute mit der Pizza so entgegengekommen bin?“ „Weil ich... nichts da habe?“, versuchte Jack sich herauszureden. Innerlich schalt er sich für eine weitere dumme Ausrede. Er war Bauer, natürlich hatte er etwas zu essen da. Kai fixierte ihn skeptisch dreinblickend. „Klar, deine Ernte haben die Wichtel gefressen. Schau, ich komm jetzt einfach mit dir mit. Weil, irgendwer muss dir ja tragen helfen, ne?“ „Du akzeptierst kein Nein von mir? Na schön, dann trag bitte ... alles.“ „Kein Problem. Bin ja ein starker Mann. Aber das wirst du heute Nacht nicht nur sehen, sondern auch spüren können“, gab Kai süffisant von sich. Wieso ein einzelner Mensch über so viel Selbstbewusstsein verfügte, wusste Jack nicht. Nur, dass er sich irgendwie aus der Misere befreien musste. Stellte sich die Frage, wie er das angehen sollte. Kai würde sich wohl kaum herauskomplimentieren lassen. „Keine Sorge, wehtun werde ich dir nicht.“ Jack stand mit offenem Mund da, während Kai schon Richtung Rosenplatz lief. Er musste einfach einen Weg finden, aus der Sache wieder rauszukommen. * „So, da wären wir. Wo soll ich den Kram abstellen?“, fragte Kai, als er die Angelutensilien schon längst in der Werkzeugkiste verstaut hatte. „Sind dir doch etwas zu schwer geworden, hm?“ Er musste schmunzeln. Das stand er sich zu, auch wenn ihm gar nicht nach guter Laune zumute war. Kai gab einen gedehnten „Pft“-Laut von sich. „Zu schwer nicht, aber ich hätte schon lieber was Knackigeres in der Hand gehabt.“ Er kiekste lauthals, als er Kais Hand auf seinem Hintern spürte. Was hieß schon auf? Sie vergrub sich quasi in seiner Haut. „Verdammt, Kai!!“ „’tschuldigung, bin wohl ausgerutscht.“ „Das ist eine ohnehin schon schlechte Ausrede. Sie wird nicht besser, wenn du die Hand nicht wegnimmst“, sagte Jack und kniff die Augen zusammen. Er bog seinen Rumpf nach vorne, um Kais Hand zu entkommen. Doch Kai packte nur noch fester zu und schlang einen Arm um des Farmers Hüften. Das wurde ja immer schöner. Kai lehnte den Kopf auf Jacks Schultern und hauchte über seinen Nacken. Die Haare stellten sich ihm auf. „Gut, wenn du eh weißt, dass es nur ne Ausrede war... dann kann ich die Hand ja auch da lassen.“ Jack zappelte, um seinem Unmut Luft zu machen. Auf diese Weise stotterte er wenigstens nicht. „Nein, ich denke, das kannst du nicht“, sagte er, und wie erwartet ziemlich zittrig. „So ein süßes Ding, noch ganz verschüchtert.“ Kai presste sich an Jack heran. „Armes jungfräuliches Burgfräulein. Na ja, Farmfräulein. Bäuerlein. Wie auch immer. Lecker auf alle Fälle.“ Jack schnaufte, zappelte weiter und schaffte es tatsächlich, sich aus Kais Klammergriff zu befreien. Lieber später denn nie. „Wir werden jetzt etwas essen...“ „Hört sich gut an!“, flötete Kai. „... und dann verschwindest du von hier. Ist mir egal, ob dich die wilden Hunde fressen.“ Jack rümpfte die Nase. Kai rollte mit den Augen und lachte, als hätte er plötzlich Schluckauf bekommen. Offensichtlich versuchte er, sein Prusten zu unterdrücken. Jack verschränkte die Arme vor der Brust. „Setz dich da hin. Ich hole was zu essen. Hab noch Auflauf von gestern.“ „Du kannst Auflauf machen?“, fragte Kai nach, während er die Stühle interessiert musterte. Es war nicht schwer zu erkennen, wo Jack normalerweise saß. Er hatte ein Sitzkissen auf den harten Holzstuhl gelegt. Kai suchte sich den Platz gegenüber Jack aus, auch wenn das hieß, dass er ihn in der Küche nicht beobachten konnte. Jack war darüber eher erleichtert. Er packte den Auflauf aus der Alufolie, öffnete die Mikrowelle und setzte die halbvolle Schale hinein. Für ihn alleine hätte das noch drei Tage gereicht. Wie er Kai kannte, müsste er sich morgen wieder etwas neues kochen. Kai war zwar schlank und muskulös, verschlang aber mehr als der Richter des Kochfestes. Jack lehnte sich an die Borde der Küchenschränke. „Wie läuft das Geschäft denn sonst so? Abgesehen davon, dass du kostenfreie Pizzas verteilst und deine Stammkunden sexuell belästigst?“ „Hehe, der war gut, Jack“, meinte Kai gackernd, den Zeigefinger erhoben in der Luft wackelnd. „Wirklich gut. Wusste gar nicht, dass du so bärbeißig sein kannst.“ „Es gibt einige Dinge, die du nicht über mich weißt. Die dich auch gar nichts angehen.“ Die Mikrowelle gab ihren üblichen kratzigen Pfeifton von sich. Der Teleshop war auch nicht mehr das Wahre, dachte Jack seufzend. Sein Kühlschrank fiepte ja seit längerer Zeit so laut, dass er nachts nicht mehr richtig schlafen konnte. Er hatte schon überlegt, in den Kuhstall zu ziehen. Doch selbst für ihn als Bauer war der Gestank zu stark gewesen. „Das riecht ja gut!“ Kai stieß einen lauten Pfiff aus. Gabel und Messer hatte er schon in den Händen, als Jack den Auflauf auf dem Tisch abstellte. Sein Teller war schnell voll. Wie üblich, wenn Kai aß, brachte er die ersten fünf Minuten damit zu, die Ingredienzien auseinander zu nehmen. Auf der rechten Seite des Tellers lagen die Nudeln, auf der linken das Gemüse, und in der Mitte lag die Käsekruste. Saft schöpfte er sich aus der Auflaufform nach. Jack betrachtete das Ganze erwartungsvoll. Nach – und er hatte auf seine nigelnagelneue Wanduhr geschaut – geschlagenen sieben Minuten war Kai zufrieden mit seinem Teller und schob die Auflaufform zu Jack. „Danke“, murmelte er und füllte sich seinen Teller ebenfalls auf. Allerdings weitaus schneller. Als Farmer hatte er nicht den ganzen Tag Zeit, sich mit der Nahrungsaufnahme zu beschäftigen. Kai konnte den ganzen Tag über etwas essen, wenn er wollte. Allzu viele Kunden hatte er nie, und da in den letzten Jahren einige Leute in die nächstgrößere Stadt gezogen waren, konnte er die meiste Zeit des Tages über faulenzen. Jack hatte mehr als einmal mitbekommen, dass Kai absichtlich zu große Pizzen gebacken hatte, um den Rest am Schluss selbst essen zu können. Nur als scherzeshalber Ann eine Pizza bei ihm gegessen hatte, um „mal zu sehen, ob der Kerl konkurrenzfähig ist“, und sie auch komplett verschlang, musste er ohne Abendbrot auskommen. Er hatte sich bei Jack darüber ausgeheult. Schlussendlich hatte er Erbarmen gezeigt und ihm ein Ei geschenkt, das er eigentlich hatte Popuri schenken wollen. Das Omelett hatten sie zusammen gegessen. Dass sie jetzt wieder zusammen aßen, fand Jack nett. Dass sich die Umstände so stark geändert hatten, allerdings eher weniger. Kai warf ihm immer wieder Blicke zu, die Jack geflissentlich ignorierte. Wie Kai es schaffte, gleichzeitig Unmengen an viel zu heißem Auflauf in sich hineinzuschütten, und ihn anzustarren, war Jack ein Rätsel. Irgendwann baute er eine Verteidigung auf – er starrte zurück. Seinen Kopf auf den Arm gestützt kaute er vor sich hin. Kai wurde unter Jacks intensivem Blick rot, und konzentrierte sich endlich darauf, den Teller leer zu essen. Alsbald war nicht mehr viel übrig. Die Käsereste pickte er auf und knabberte genüsslich daran. Sie knackten nicht mehr so schön, wie bei einem frischen Auflauf, schmeckten aber immer noch wunderbar würzig. Die Idee einen Kräutergarten anzubauen, hatte er nicht selbst gehabt. Kai hatte ihm dazu geraten. Seit einem Jahr pflegte und hegte er die Pflanzen, später würde er sie verkaufen. Im nächsten Sommer auch an Kai, der sie dann für seine Pizzen oder Nudelgerichte verwenden konnte. In Windeseile hatte sich herumgesprochen, dass es beim Farmer demnächst Kräuter gäbe. Seitdem kamen fast jeden Tag die Mädchen der Stadt zu ihm, um Kräuter abzuholen. Wenn sie besonders süß schauten, erwischte sich Jack öfter dabei, dass er ihnen die Büschel umsonst mitgab, obwohl eigentlich noch nicht genug gewachsen waren, um sie herzuschenken. Kai bekam sie natürlich auch für lau. Immerhin hatte er die Idee gehabt, wir er nur zu gerne betonte. „Das war echt total lecker!“ Kai rieb sich den vollen Bauch. Er öffnete den obersten Knopf seiner Hose. Erleichtert atmete er aus. Es schien ihm tatsächlich gut geschmeckt zu haben. Jetzt würde sich Jack wenigstens nicht mehr von ihm aufziehen lassen müssen, von wegen, Bauern könnten sowieso nicht kochen. Ha! Nichts als Vorurteile. Jack rollte den Kopf von links nach rechts. Es knackste drei Mal. „Dankeschön. Viel kann ich in meiner Freizeit nicht machen, viel davon habe ich schließlich nicht. Kochen und Angeln, mhm.“ „Du wärst ne super Hausfrau!“, sagte Kai grinsend. „Echt mal, so gut kochen kann nicht mal Ann. Hast ja sogar dieses Jahr beim Kochfestival gegen sie gewonnen, ne? Hat sie mir erzählt.“ Jack biss die Wangenhaut zwischen seinen Zähnen ein. „Für einen Bauer ist es kein Kompliment, wenn man eine gute Hausfrau wäre. Aber ja, ich habe zwei Jahre in Folge gewonnen.“ „Sei ma’ nicht so altmodisch.“ Kai zwinkerte ihm zu. Das sagte ja gerade der Richtige. „Ich bin nicht altmodisch!“ Kai rückte näher an ihn heran, Jack rückte weiter weg. Da stand an seiner Hose nichts raus, oder?! Dabei war er so nah dran gewesen, das Thema vergessen zu machen. „Du hast keinen Ständer, oder?“ Kai blinzelte. „Hm, als Besitzer eines kleinen Restaurants wäre es schlecht, wenn ich keinen hätte. Wohin sollten die Kunden ihre Mäntel hängen? Obwohl... ich bin nur im Sommer da, und wenn’s regnet kommt eh keiner...“ „Ich meinte eher den Ständer deiner... Apotheke.“ Kai sah beiläufig an sich herunter. „Ach ja. Der ist aber auch ziemlich praktisch.“ „So groß, dass man ne Jacke dran aufhängen könnte, ist er allerdings kaum.“ Jack hob skeptisch eine Augenbraue. „Hey, jetzt stell nicht auch noch Ansprüche. Du willst es doch sowieso nicht. Zumindest tust du so. Eigentlich ist dir ganz heiß. Deine Ohren sind schon rot. So schön weich und warm.“ Kai leckte über die obere Hälfte von Jacks Ohrmuschel. Warum dieser sich nicht rührte, war ihm selbst nicht klar. Schock? Möglicherweise. Panik? Auf alle Fälle! „I... I... I...“ „I-Ah? Du hast einen Esel?“, neckte Kai ihn, während er Jacks Nacken, direkt unterhalb des Ohrläppchens, küsste. Er drückte seine Zunge in die weiche Haut. Jack schnappte nach Luft. „Ich finde das überhaupt nicht gut, was du hier machst!“ „Also, noch mache ich gar nichts.“ Jack prustete verhalten. „Du leckst mich ab wie eine Katze ihre Jungen – nur bist du keine Katze, du bist ein Kerl!“ „So was heißt Kater.“ „Nicht mal das bist du!“ Jack jagte von seinem Stuhl, als Kai gerade seinen Kopf zu einem Kuss näher ziehen wollte. Das weit aufgerissene Maul dieses Moby-Dick-Verschnitts würde ihn noch in seinen schlimmsten Alpträumen verfolgen. Nun gut, es war nicht weit aufgerissen gewesen, sondern Kai hatte die Lippen geschürzt. Dennoch war der Anblick nicht der beruhigendste gewesen. Keuchend presste sich Jack an die Wand. Kai saß noch immer seelenruhig auf seinem Stuhl. Er hatte sich zurückgelehnt und grinste. „Pass auf. Wir regeln das jetzt wie zwei Erwachsene.“ Falscher Anfang, schalt sich Jack. „Oh, wirklich?“ Kai leckte sich über die Lippen. Er stand auf, knöpfte sein Hemd auf und ließ es zu Boden fallen. Seine muskulöse, schokoladig-braune Brust wurde entblößt. Jack schluckte schwer. „Nicht so erwachsen.“ Kai kam näher. Näher, und irgendwann viel zu nahe. „Ich meine es ernst, Kai!“ „Oh, ich auch. Sogar sehr.“ Er ließ seine Finger über die sich schnell einziehende Brust Jacks gleiten. Knopf für Knopf öffnete er das weiße Hemd, unter dem sich eine auch braune, aber nicht so dunkle Haut befand. Auch Muskeln, aber stärker ausgeprägt als bei Kai. Natürlich, er arbeitete ja auch schwerer, während Kai den ganzen Tag nur herumsaß. Jack packte Kai an den Schultern. Er musste sich jetzt zusammenreißen. Wenn er es nicht tat, wie sollte Kai es bewerkstelligen können, endlich von dieser dämlichen Idee abzulassen? „Kai, wir werden nicht... nein. Einfach nein, verstehst du? Mehr gibt es dazu nämlich nicht zu sagen.“ „Ich denke schon. Immerhin bin ich nicht mehr der Einzige mit Ständer.“ Kai packte Jack unsanft in den Schritt. „Oh – oh!“ Jack ließ für den Moment einer Schrecksekunde seine Selbstachtung gehen und stöhnte. Abgehackt, da ihn sein Fehler schon im nächsten Moment wie eine Hornisse ins Auge stach. „KEIN SEX!“ Kai lachte herzhaft. „Das war sehr klar ausgedrückt, Jackie-poo. Aber wie oft du das auch sagen magst, dein Körper sagt was ganz anderes – so klischeehaft das auch ist. Ist ja nicht meine Schuld, dass du ein einziges Klischee bist.“ „Ich bin kein einziges Klischee, nur weil ich keinen Sex will, aber trotzdem einen Ständer kriege, wenn... wenn... ach, ich weiß auch nicht!“ „Wenn ich heißer Kerl mich vor dir entkleide?“ Kai ging einen Schritt zurück, nestelte an seiner Hose, und zog sie mit einem gekonnten Ruck herunter. Komplett nackt stand er vor Jack, die Arme ausgebreitet als wolle er noch extra betonen, was für ein Prachtkerl er doch war. Jack schlug sich beide Hände vors Gesicht. „Das ist ein schlechter Traum, das ist ein schlechter Traum. Ich sehe keinen splitterfasernackten Kai in meiner Wohnung stehen. Dieser splitternackte Kai nutzt es auch gerade nicht aus, dass ich nichts sehe, um mich – ...“ Doch, er hatte es ausgenutzt. Und Jack öffnete den Mund wie in Trance. Es war schon lange her, dass er eine Zunge im Mund gehabt hatte. Eine menschliche zumindest, Rinderzunge hatte er erst letztes Wochenende bei seinen Eltern gehabt. Geistesgegenwärtig packte er Kai fest an den Schultern, als dieser ihn hochhob und zum Bett balancierte, während sie sich weiter küssten. Kais schneller Atem schlug ihm ein ums andere Mal in den Rachen. Die Kräuter konnte man noch gut herausschmecken. Ob er wirklich auch Rosmarin reingepackt hatte, darüber konnte Jack nur spekulieren. Später, wenn er Kai rausgeworfen hatte, würde sich das rausfinden lassen. Mit einem heftigen Ruck krachte Kai auf den Boden. „Verdammich!“ Irritiert sah er auf. „Was soll denn das jetzt? Auf einmal!?“ „Nicht auf einmal. Ich hab von Anfang an gesagt, dass du mich nicht ins Bett kriegen wirst. Für einen Moment mag ich schwach geworden sein, aber das heißt nicht, dass ich meine Besinnung für die nächsten paar Stunden verloren hätte.“ Kai setzte sich wieder auf und legte den Kopf auf die Knie. Er atmete einmal seufzend gen Boden aus, ehe er sich darauf besann, Jack in die Augen zu schauen. „Fein.“ „Mehr hast du nicht dazu zu sagen!?“, sagte Jack, stand auf, packte Kai an der Schulter und stieß ihn zurück. „Was soll das heißen, ‚fein’ – du spielst nicht Schwarzer Peter, du pokerst! Wenn du einen Einsatz machst, verlierst du etwas mehr als dumm dazustehen!“ Kai schien einen Moment darüber nachzudenken. Nicht allzu lange, denn sein Stoß traf Jack unvorbereitet. Er ließ sich nach Luft schnappend zurück auf die Matratze fallen. „Ich weiß. Ich verliere mein Gesicht. Dich als Freund, und die Mädels als Fans. Aber ich habe auch ein Motto, und ich lebe nun mal danach. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Ich hatte gedacht, heute wäre ein Tag, an dem man etwas wagt“, er verschränkte die Arme vor der Brust, „aber ich hab mich geirrt. Das kann selbst einem wie mir mal passieren, weißt du!“ Jack schluckte das heraufkrabbelnde Gefühl und den Drang, sich zu entschuldigen, herunter. Kai hatte so endgültig geklungen... „Meinetwegen. Ich hatte nur nicht vermutet, dass du dich so leicht von deinem Ziel abbringen lässt“, sagte er, den schmerzenden Rücken an die Wand gelehnt. Er hätte doch auf seine Mutter hören und die weiche Matratze von zuhause mitnehmen sollen. Für diese Einsicht war es nun schon ein paar Jahre zu spät. Kai rollte mit den Augen. „Soll ich dich mit Gewalt nehmen?“ „Es ist nicht so, als ob ich mich nicht wehren könnte. Ich bin Farmer. Kühe sind weitaus stärker als du, mein Lieber.“ Er grinste verschlagen. „Unterschätz mich nicht.“ Kai saß verloren vor Jacks Bett und starrte lippenkauend das Leintuch nieder. „Tu ich nicht, mein Liebster.“ „Schön, schön, schön.“ „Und du beklagst dich bei mir wegen einem ‚fein’? Dir geht’s doch zu gut“, murmelte Kai. Er hatte gerade eine Staubmaus gefunden und pustete sie über die Bettkante, als Jack ihn bei den Armen packte und hochzog. „Ich hab mich umentschieden. Nicht gänzlich, aber wenigstens dafür, dass du vorerst am Leben bleiben darfst.“ Kais Arme klebten an seinem Körper, sobald Jack sie losgelassen hatte. „Es ist kalt draußen, und die Wildhunde heulen schon. Du darfst heute hier übernachten.“ „Das ist sehr groß-... zügig“, endete Kai seinen Satz mit angewinkelten Augenbrauen. Jack musterte ihn skeptisch. „Ich kann dir noch einen Schlafanzug geben, aber du kannst auch nackt schlafen.“ „Wie kommst du darauf, dass ich nackt schlafen möchte?“ „Es würde zu dir passen. Auf alle Fälle, im Schrank findest du alles, was du brauchst.“ Jack grinste und schob Kai auf die Bettkante, die er gerade noch halbherzig vom Staub gesäubert hatte. „Leg dich hin. Ich muss noch die Kühe melken.“ „Was? Jetzt noch?“ Kai rollte sich zur Seite um die Digitaluhr besser sehen zu können. Zehn Uhr spätabends. Er schüttelte sich. „Kann das nicht warten?“ „Ich hätte sie schon längst das zweite Mal melken sollen. Aber wenn du gerne in wenigen Stunden von lautem Muhen geweckt werden möchtest, kann ich es auch lassen.“ „Nee, schon gut“, sagte Kai langgezogen. „Geh halt.“ „Kai – wehe, du holst dir einen in meinem Bett runter.“ Jack winkte noch ein letztes Mal augenzwinkernd und schloss die Tür hinter sich. Die Kühe erwarteten ihn schon freudig. Er wurde beinahe von ihnen erdrückt, als er den Stall betrat. Die Kälbchen lagen teils schlicht desinteressiert, teils schlafend in den Ecken wo mehr Heu aufgehäuft war, doch die Mütter der Kleinen scharten sich um ihn, muhten und suchten in seinen Taschen nach etwas Essbarem. Wenigstens hatte er seinen Rucksack nicht mehr auf. Ihm war schon öfter ein Apfel stibitzt worden. Zunächst hatte er Won verdächtigt, aber eines Tages hatte er Luna, seine zweitälteste Kuh erwischt, wie sie den Apfel schmatzend verschlang. Er hatte sich bei Won entschuldigen müssen, wofür der ihm einen extragünstigen Super-Spezial-Frutti-Apfel angedreht hatte. Nur siebenhundert Goldstücke. Einmalige Gelegenheit. Das dämliche Grinsen hätte er ihm zu gerne aus dem Gesicht gewischt. Als junger Bauer war er noch auf diese Tricks reingefallen, doch schon nach dem ersten Jahr war ihm klar gewesen, dass diese Spezialäpfel gar nicht so speziell waren. Seitdem hatte Won mit den verschiedensten Mitteln versucht, ihn noch mal zum Kauf eines Spezialapfels zu animieren. Schlussendlich hatte Jack sich selbst in die Lage hineingeritten, musste in den sauren Apfel beißen und die Katze im Sack kaufen, obwohl diese schon den Kopf herausstreckte. Wenigstens war der Spezialapfel nicht wirklich sauer gewesen. Gedankenverloren starrte er die Milch an. Sie war abgekühlt vom Metall des Gefäßes, roch aber noch immer himmlisch frisch. Obwohl er frische Milch gerne verwandte, trank er sie nicht so gerne wie die übrigen Bewohner von Mineral Town, allen voran Kai. Was ihn schmerzlich daran erinnerte, dass eben jener in seinem Bett lag, womöglich noch immer nackt. Jack schüttelte schnell den Kopf. Nein, wenn er nach Kais Reaktion von vorhin ging, dann hatte dieser nicht die Angewohnheit, nackt zu schlafen und hätte sich einen Schlafanzug aus dem Schrank besorgt. Es bestand also kein Grund zur Sorge. Er schüttete den Rest eines Milchkrugs in eine Glasflasche, verschraubte sie und ging zurück. Vorsichtig öffnete er die Tür. Immerhin konnte Kai schon längst eingeschlafen sein, und er wollte ihn um keinen Preis wecken. „Da bist du ja wieder“, sagte Kai trocken. Er sah gar nicht auf, sondern starrte weiter die Decke an. Wenigstens war er nicht mehr nackt. Jack seufzte und stellte die Flasche mit Milch auf dem Nachttischchen ab. „Ich hatte ja gedacht, du würdest schon schlafen.“ Kai fixierte die Milch. „Kann ich einen Schluck haben?“ „Dafür hab ich sie ja gebracht. Soll ich sie warm machen? Sie stand schon ein Weilchen.“ „Nee, geht schon“, sagte Kai achselzuckend und griff nach der Flasche. Mit einem „Plopp!“ war sie offen. Er nahm einen kräftigen Schluck. „Ich liebe frische Milch.“ „Ich weiß.“ „Sie erinnert mich immer an –“, Jack stieß ihm unsanft in die Rippen, „Hey! Ich wollte keinen unanständigen Witz machen.“ „Das kann man nachher immer sagen.“ Grinsend löschte er das Licht. „Die Nachttischlampe reicht dir ja, oder?“ „Zum Trinken, oder hast du noch ein Kreuzworträtsel?“, feixte Kai zurück. Ein weißer Milchbart lag um seine braunroten Lippen. Jack streckte ihm die Zunge heraus. „Ich kann nichts an diesen Rätseln finden. Nicht mehr, früher hab ich sie gern gemacht. Zusammen mit meiner Mutter.“ Er kletterte über Kais Beine und legte sich neben ihn. Das Haus war ausgebaut, und Gotz hatte ihm gleich ein Doppelbett dazuspendiert. Es war ausreichend Platz vorhanden für zwei Personen. Jedoch nicht soviel, dass man sich nicht mehr berührte. „Aber jetzt hab ich keine Zeit mehr, sie ganz zu lösen.“ „Also mir macht das nix, solange ich das Lösungswort hab“, sagte Kai. Er schleckte sich den Milchbart weg. Zumindest den Großteil. An den Ecken hatte er nicht alles erwischt, doch das schien er entweder gar nicht zu bemerken, oder es störte ihn einfach nicht. „Du schickst die Lösungen ein?“, fragte Jack schläfrig. Er zog sich die Decke mehr über den Körper und zog die Beine an. „Mach ich nie“, fügte er mit geschlossenen Augen hinzu. „Dass du mir immer noch so viel Vertrauen schenkst“, murmelte Kai und stellte die Flasche auf dem Tischchen ab. Er hatte sie zur Hälfte leergetrunken. „Licht aus?“ „Licht ab“, seufzte Jack. „Und du willst dich gar nicht ausziehen?“ „Das erledigst du früher oder später für mich.“ „Von wegen Vertrauen!“ Kapitel 2: ----------- Kais Nacken fühlte sich steif an. Als er den Kopf zurücklehnte und ihn einmal drehte, schien jeder Knochen in seinem Körper zu knacken. Er legte sich wieder hin, das Gesicht ins Kissen gedrückt. Er hatte beide Arme ausgestreckt. Jack war wohl schon bei der Arbeit. Die Nacht war relativ ruhig verlaufen. Wenn man von dem Fakt absah, dass Jack im Schlaf gerne austrat und um sich schlug. Kai hatte sich die meiste Zeit wegducken können, aber er erhoffte sich erst gar nicht, komplett ohne blaue Flecke davongekommen zu sein. Wenigstens würde Popuri besorgt sein, wenn sie ihn so sähe und würde sich rührend um ihn kümmern. Wenn er schon kein Mitleid vom Verursacher der Schmerzen erwarten konnte, dann wenigstens von einem süßen Mädchen. Auch wenn er von dieser eigentlich keines brauchte. Manchmal waren auch unnütze Dinge schön. Gerade wenn man so litt wie er es jetzt tat. Kai schob die Beine aus dem Bett und setzte die Füße auf dem Boden auf. „Argh.“ Er knickte die Zehen um, bis der Schmerz verging. Ein Schütteln durchfuhr ihn und er zog sich die Decke um den Körper, bis er sich wieder aufgewärmt fühlte. Dann stand er auf, klaubte seine Klamotten zusammen und verschwand im Badezimmer. Als er geduscht hatte, war das erste, was ihm auffiel, dass auf dem Esstisch ein Zettel auf einem Teller lag – und ein Brotkorb voller Brötchen, frische Milch, Honig... Er hob die Brauen an. Tat Jack etwa Leid, wie er sich ihm gegenüber verhalten hatte? Kai grinste kurz. Er schnupperte an den Brötchen und setzte sich. Alles war frisch und roch so gut. Ganz anders als die Tiefkühlsachen, die er sich selbst immer machte. Außer natürlich, wenn etwas übrig geblieben war vom Vortag. Dann aß er für gewöhnlich kalte Pizza zum Frühstück – auch nicht gerade frischer. Die Butter war weich, aber nicht warm und matschig, sondern angenehm kühl. Ob Jack ein Geheimrezept hatte? Normalerweise war Butter entweder fast flüssig, oder steinhart. Kai rollte die Schultern, ehe er sich Wurst aufs Brot legte. Später konnte er Jack ja danach fragen. Die Butter schmeckte angenehm; nur leicht salzig, zerfloss nicht gleich auf der Zunge. Würde sich bestimmt auch gut bei Popcorn machen. Seine Kunden hatten sich diesen Sommer, der besonders heiß war, schon mehrmals beschwert, dass das Popcorn aufgeweicht war und ölig schmeckte. Es verkaufte sich täglich schlechter. Nur die Mädchen kauften es noch, weil sie merkten, wie sehr es ihm im Herzen wehtat, dass ständig so viel übrig blieb. Selbst essen wollte er es schließlich auch nicht. Ihm schmeckte es genau so wenig wie jedem anderen in Mineralstadt. Außer, Glück im Unglück, den Fischen. Weswegen er die letzte Woche auch dazu übergegangen war, das Popcorn als Angelköder zu verkaufen. Was dann noch übrig blieb, schüttete er so ins Meer. Die Fischer und Jack würden es ihm sicher noch danken, dass er die Fische zu riesigen Fettklopsen gefüttert hatte. Der Fischbestand war in den letzten drei Jahren stetig gesunken, erst in diesem Sommer schien es wieder so, als wären sie in Fortpflanzungslaune. Wenn das mal nicht an seinem Popcorn lag... „Oh. Du bist wach.“ Jack zog sich das weiße, verschwitzte T-Shirt vom Kopf. Er atmete heftig und die Haare klebten ihm im Gesicht. Kai beobachtete ihn kauend. Er spürte, wie sein Blut sich nicht zwischen seinem Schritt und seinen Wangen entscheiden konnte. „Ähm“, er räusperte sich, „Wie siehst du denn aus?“ Jack lächelte. „Ich hab die Kühe ein wenig auf die Weide gelassen. Nur... wollten sie dann fast nicht mehr zurück in den Stall. War ne ganz schöne Arbeit.“ Er lehnte sich über den Tisch, griff sich ein Brot, riss sich ein Stück davon ab und aß es fast ohne zu kauen. Kai vergaß beinahe zu kauen. „Wie lange hast du noch vor, hier zu bleiben?“ Jack öffnete einen kleinen braunen Schrank mit einem Fußkick, zog ein Handtuch heraus und trocknete sich Nacken und Brust ab. „Die Leute fragen sich doch sicher schon, warum das Kiosk noch zu ist.“ Kai zuckte die Achseln. „Ach, die sollen sich nicht so haben. In letzter Zeit hat sich eh nur das Eis wirklich rentiert. Und selbst damit ist das Überleben nicht ganz einfach.“ Jacks Augen weiteten sich. „Ich wusste gar nicht, dass du Probleme hast...“ „Das ist nichts weiter.“ Er wedelte mit dem Brot. „Ist ja nicht das erste Mal, dass Ebbe in der Kasse ist.“ „Ebbe in der Kasse? Gehst du mit finanziellen Probleme immer so um?“ Jack setzte sich neben ihn an den Tisch und beugte sich vor. Kai wich reflexartig zurück. Um das zu kaschieren lehnte er locker einen Arm über den Stuhlrücken. „Ach, iwo. So heftig ist es nun wirklich nicht. Ich sagte doch: Problem ist ein zu großes Wort.“ „Was wäre dann denn ein passendes Wort? Problemchen?“ „Ähm.“ Kai senkte den Kopf. Das war so typisch Jack. Eine der wenigen Eigenschaften, die er nicht an ihm mochte: Wenn er ein Thema angesprochen hatte, blieb er eisern dabei, selbst wenn es dem anderen unangenehm war. Das war ganz lustig, wenn man nicht betroffen war. Kai schwieg einen Moment. „Es ist... nicht toll, aber erträglich.“ „Aha.“ Mehr sagte Jack nicht. Kai sah zu ihm herüber. Er hatte die Arme verschränkt. Seine Muskeln waren angespannt. Man konnte sehen, wo das T-Shirt endete. Die Haut dort wurde ein wenig heller, aber nicht viel. Er lief wohl öfters oben ohne herum. „Kai“, sagte Jack. „Äh? Oh, ja?“ „Ich werde den Preis senken – quasi Rabatt. Für dich“, fügte er hinzu. Er musste wohl ziemlich verwirrt geguckt haben. „Das ist echt nicht nötig!“ „Oh doch. Wir sind Freunde, und du bist in Schwierigkeiten.“ Kais Herz machte einen kleinen Hüpfer bei dem Wort „Freund“, sank dann aber wieder ab wie ein Stein. Freunde, ja. Aber mehr war für Jack da nicht drin. „Aber du wolltest doch im Winter das Haus ausbauen lassen. Ich kann das nicht annehmen.“ Jack war selbst so. Er nahm nicht gerne Hilfe an, wollte lieber alles alleine durchziehen. „Okay. Dann wirst du eben kostenlos essen.“ „Wie bitte? Wie meinst du das denn nun wieder?“ „Ist doch ganz einfach.“ Jack grinste ihn an. „Du kommst zum Essen hierher. Dann hast du kein Minus, und ich kann meine Kochkünste verbessern.“ Kai biss sich auf die Zunge. Das war ein faires Angebot. Wieso also nicht ja sagen? Außerdem würden sich dann mehr Gelegenheiten ergeben, Jack seine Körpernähe schmackhaft zu machen. Er hielt einen dümmlich-grinsenden Gesichtsausdruck zurück und nickte. Jack streckte ihm die Hand hin. Er drückte sie. „Okay, gut! Dann ist es beschlossen! Du wirst mich für den Rest des Sommers durchfüttern.“ „Durchfüttern?“ Jack lachte. „So ist der Kreis des Lebens. Du fütterst die Fische durch, ich dich, und dadurch kriege ich dann wieder dickere Fische.“ Kai seufzte. „Ich weiß, ich bin zu gut für diese Welt.“ „Na, nu’ übertreib mal nicht.“ Jack zog die Hand weg und strich sie heimlich an seiner Hose ab – Kai verdrehte leicht die Augen. Als ob er das nicht bemerkt hätte. „Ich geh dann mal duschen.“ Jack stand und sah ihn erwartungsvoll an. Kai blinzelte. „Ist was?“ Dann fiel es ihm siedend heiß wieder ein. Sein Kiosk! „Ah, verdammt! Ich muss los!“ Jack schüttelte den Kopf. „Du würdest auch deinen Kopf vergessen, oder?“ „Nö“, sagte Kai. „Aber mein Bandana schon.“ Er schnappte sich das Kopftuch vom Nachttisch, riss die Tür auf und lächelte Jack noch ein letztes Mal an, bevor er sie hinter sich zuknallen lassen. * „Ich dachte schon, du wärst krank!“ Popuri umarmte ihn so fest, dass er für einen Moment befürchtete, zu ersticken. Seine blauen Flecke zwickten ihn überall. „Pfft, ich und krank?“ Er schob sie von sich. „Lustige Vorstellung, aber nein. Ich bin kerngesund.“ Sie schürzte die Lippen. Das konnte ja lustig werden... „Wo warst du?“ Dachte sie etwa, er hätte bei einer anderen übernachtet? „Bei Jack. Wir haben was Geschäftliches zu bereden gehabt.“ Das war nicht mal gelogen. Sie entspannte sich merklich. „Ach so, ich dachte schon“, Popuri lief rot an und sah in den Sand, „ach, nichts.“ Ihr Haar fiel ihr über die Schultern. Er konnte ihr Gesicht nicht mehr sehen, wettete aber, dass das volle Absicht gewesen war. Ihr war es wohl peinlich, wenn er sie so sah. Da sie ihn genauso wenig sehen konnte, traute er sich, die Augen zu rollen. Er legte ihr einen Arm um die Schultern. „Komm, du willst bestimmt ein Eis.“ „Oh ja!“ Sie reckte den Kopf so schnell, dass sie fast zusammengestoßen wären. „Ups. Hehe. Erdbeergeschmack, hast du den noch?“ „Aber klar doch.“ Kai schloss die Tür auf und verschwand hinter der Theke. Popuri sah sich um, als wäre sie zum ersten Mal Gast. Dann jedoch setzte sie sich auf ihren Stammplatz und wartete darauf, dass er ihr das Eis brachte. „Waffel oder Glas?“ „Glas.“ Natürlich. Eine Lady wie Popuri aß nicht aus der Tüte. Er durchforstete das unterste Regal nach einem besonders hübschen Glas und suchte sich letztendlich eines aus, das mit Blumen verziert war und hellblau schimmerte. Zähneknirschend lud er drei Kugeln in den Glasbecher. Popuri erwartete, dass sie alles kostenlos bekam. Das war schon immer so gewesen. Er war ja auch nicht ganz unschuldig daran gewesen. In seinem ersten Jahr am Strand von Mineralstadt hatte er mit allen Mädchen geflirtet, ihnen kostenloses Eis gegeben – er war in einem absoluten Hoch gewesen. Das bereute er jetzt zutiefst. Es kostete ihn immer wieder einiges an Überwindung nicht frustriert loszuschreien, wenn ein weiblicher Kunde das Kiosk betrat. Won, der von Kais kleinem Frauenproblem wusste hatte ihm schon einmal ein „Nicht betreten“-Schild mit einer Frauenfigur verkaufen wollen. Klar, er hatte abgelehnt, aber für einen kurzen Moment lang hatte er es wirklich in Erwägung gezogen. Allein dafür schämte er sich bis heute. Popuri quiekte und klatschte, als er ihr das Eis an den Tisch lieferte. „Guten Appetit.“ Er zwinkerte ihr zu und ging wieder hinter die Theke. Ein Glück hatte inzwischen schon der nächste Gast das Kiosk betreten. Zack sah sich am Kinn kratzend die Eissorten an. Kai tappte mit dem Fuß. „Nuss, wie immer?“ „Nee“, sagte Zack grinsend. „Walnuss, wie immer!“ Kai lächelte gezwungenermaßen. „Tüte oder Glas?“ „Tüte, ich bin nur auf dem Sprung“, antwortete ihm Zack, der sich an die Theke gelehnt hatte. „Wie geht’s denn deiner Mutter, Popuri?“ Oh, das war gut. Solange sich die Gäste miteinander unterhielten, musste er wenigstens nichts sagen. Popuri schluckte den Löffel Eis herunter, den sie sich gerade in den Mund geschoben hatte. „Viel besser, seit du uns den Ventilator gebracht hast! Die Hitze hat ihr sehr zu schaffen gemacht, aber jetzt, wo es kühler ist, ist alles wieder in Ordnung. Der Doktor hat nur gesagt, sie soll nur an die frische Luft, wenn es regnet.“ „Spaziergänge im Regen sind sehr romantisch!“ Man sah Zack problemlos an, dass er daran dachte, Lilia demnächst auf einen Spaziergang einzuladen. Damit war er neben Jack wohl einer der wenigen im Dorf, die Regen guthießen. Obwohl, bei der momentanen Hitzewelle waren es vielleicht doch ein paar Leute mehr. „Walnuss. Das macht 3,40G.“ „Wird auch immer teurer“, grummelte Zack, kramte in seiner Hosentasche und legte 4G auf die Theke. „Na, Rest ist Trinkgeld.“ „Danke.“ Kai sah ihm verwundert nach. Wer beschwerte sich denn erst darüber, dass es immer teurer würde, und gab dann noch Trinkgeld? Und gleich soviel? Eine Eiswaffel zuzubereiten war nun wirklich nicht schwer. Trotzdem, Geld war Geld, und Kleinvieh machte auch Mist. Das hatte ihm Jack erst letztens mit seiner Henne Mary bewiesen. Es war die kleinste in der ganzen Stadt, legte aber die größten und besten Eier. „Ist das Eis echt teurer geworden?“, fragte ihn Popuri. Die Frage kam unerwartet. „Na, wird halt auch nicht billiger“, sagte er und hoffte, dass es gleichgültig genug klang, um weitere Fragen zu unterbinden. Popuri war für seine Gleichgültigkeit augenscheinlich komplett unempfindlich. „Schon, aber wenn es so doll teurer geworden ist?“ „Du musst dir deinen hübschen Kopf darüber doch nicht zerbrechen.“ Er war zu ihr gegangen. Um diese Uhrzeit waren die meisten entweder in ihren kühlen Wohnungen, sonnten sich oder schwammen. Aber Eis wollten sie erst wieder etwas später. Er wuschelte ihr durchs Haar. „Du kriegst das Eis doch umsonst!“ Popuri zog die Brauen zusammen. „Kai! Das ist nicht witzig!“ Nein, das war es auch nicht, da hatte sie ganz Recht. Aber das musste er ihr ja nicht unter die Nase reiben. „Also ich finde schon. Oder machst du dir etwa Sorgen, ich könnte die anderen Bewohner über den Tisch ziehen?“ Er stützte sich auf den Tisch und beugte sich vor. Ihre Gesichter waren nur wenige Millimeter voneinander entfernt. Sie hielt den Atem an. „Vielleicht kostet es ja deshalb so viel, weil ich mir so deine Becher leisten kann?“ Popuri rückte mit dem Stuhl zurück. „Hör auf damit, Kai.“ Sie sagte es, als ob sie mit einem Kind spräche. Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich mach doch gar nichts.“ Er wandte den Blick aus dem Fenster. Das Meer bewegte sich in sanften Wellen. Sie zog an seinem Hemd. „Kai, schau mich an, wenn ich mit dir rede!“ Er kannte ja schon ihre sture Seite. Was das anging, wären sie und Jack das perfekte Paar gewesen. Nur dass man sie leichter beschwichtigen konnte. Mädchen eben. „Wenn ich mit dir rede, kann ich aber nicht richtig nachdenken“, flüsterte er über das Rauschen, das aus dem gekippten Fenster mit salziger Seeluft hereindrang. Popuri ließ augenblicklich den Hemdfetzen los und starrte wieder mit roten Wangen in ihren Eisbecher. Das Eis schmolz schon, die Kugel schwammen in rosarotem Matsch. Popuri schob die winzigen Stückchen von noch nicht zerlaufenem Eis durch die laue Brühe. Sie schien ins Grübeln verfallen zu sein. Kai setzte sich zu ihr. Wenn Popuri grübelte, musste sie etwas wirklich sehr beschäftigen. Oft kam das nämlich nicht gerade vor. Falls sie mal länger über etwas nachdachte, dann waren das nur süße Dinge, wie kranke Küken. Er wollte nicht, dass sie ihn als krankes Küken ansah. Er war gesund, und mit Jack hatte er die Hilfe gefunden, die er gebraucht hatte. Sie musste sich ihren Kopf darüber nicht zerbrechen. Er griff nach ihrer Hand. Popuri zuckte zwar zusammen, entriss ihm die Hand aber nicht. Das war schon mal ein gutes Zeichen. Sie war also nicht wütend auf ihn. „Popuri, ich will ehrlich sein. Finanziell steht es etwas schlecht bei mir dieses Jahr“, sie setzte an, etwas sagen zu wollen, doch er fuhr ihr über den Mund, „aber ich habe jemanden gefunden, der mir ein bisschen aus der Klemme hilft. Es ist also gar nicht mehr schlimm! Gestern hättest du mir noch helfen können, aber heute ist das Problem gelöst.“ Verdammt, jetzt hatte er es auch schon Problem genannt. Das war übel. Aber es war ihm ziemlich leicht über die Lippen gerutscht. Vielleicht war es das ja tatsächlich – ein Problem. Popuri stülpte die Unterlippe hervor. „Glaub ich dir nicht. Wer soll das denn sein?“ „Jemand, den wir beide toll finden“, sagte er. Popuris Wangen nahmen die Farbe ihres bestellten Eises an. „Jack?“, sagte sie leise. Es war ihr schon immer peinlich gewesen, dass sie in sie beide verliebt gewesen war, und sie beteuerte auch stetig, dass sie nur ihn liebe, Kai. Das war einfach zu herzzerbrechend, als dass er ihr hätte ins Gesicht sagen können „ich habe überhaupt kein Interesse an dir.“ Sie hatte ihm schließlich nichts getan. Popuri hatte es ja auch nicht leicht, mit ihrer kranken Mutter und dem ständig auf der Hut seienden Bruder. Wenn man nicht aufpasste, dann belauerte er einen und stellte einen zur Rede, war man seiner Schwester, seiner Meinung nach, zu nahe gekommen. Was, solange man kein weibliches Wesen war, auch zwei Kilometer meinen konnte. Je nachdem, wie alt man war. Beim Schmied und Pfarrer hatte er keine Probleme, auch den Doktor ließ er gewähren. Den Rest der männlichen Bürger aber vergraulte er. Außer vielleicht Jack, aber das wohl auch nur, weil der für Geld in der mauen Kasse des Hühnerhofs sorgte. Für Popuris Bruder waren zwei Dinge wichtig: Nicht anfassen, Hühner mögen. Dann hatte man eine Freifahrtkarte zur Hochzeit gewonnen. Ob Jack sie annehmen würde? „Ja“, antwortete Kai. Ihm war zwar nicht zum Lächeln beim Gedanken, dass das Mädchen vor ihm und sein... was auch immer, mal verheiratet sein würden, aber er tat es doch, um Popuri zu beruhigen. Wenn er Glück hatte heirateten sie wenigstens, wenn er gerade nicht da war. Obwohl, würde dann der Schock nicht ziemlich gewaltig ausfallen? Er haderte noch mit sich, ob der Anblick in der Kirche schlimmer sein würde als der Schock, als Popuri aufstand und ihm den Kopf tätschelte. „Huch?“ Er sah hoch zu ihr. „Ich gehe jetzt. Mama möchte, dass wir heute zusammen einkaufen gehen.“ Sie blieb noch stehen, als ob sie irgendeine Reaktion erwarten würde. „Sag Jack, ich bin ihm dankbar, dass er dafür sorgt...“ Kai hob eine Braue. Glitzerte da was in ihren Augen? „Dass er für dich sorgt.“ Ihm schoss das Blut in den Kopf. Sie hatte ihn nicht durchschaut, oder? Popuri war auf einer Hühnerfarm in einer popeligen kleinen Stadt aufgewachsen. Was wusste sie schon von solchen Sachen! Sie konnte ihn nicht durchschaut haben. Unmöglich, woher denn auch, er hatte sich ja nicht auffällig verhalten. Oder hatte sie gar nicht ihn sondern Jack durchschaut? Beziehungsweise meinte sie, ihn zu durchschauen. Leider war bei dem ja nichts zu holen. Sie schritt zur Tür, mit hoch erhobenem Kopf, die Hand auf ihr Täschchen gelegt, das Kai ihr vor zwei Jahren genäht hatte. Na ja, möglicherweise hatte er sich doch hin und wieder ein klein wenig auffällig verhalten. Aber er kochte ja auch, er war eben modern. Ihr hätte nichts auffallen können. Ob er losgehen und Jack warnen sollte? Er sah auf die Uhr. Noch drei Stunden, dann konnte er den Kiosk schließen. Das Eis konnte er jetzt wohl wegwerfen. Er zog den Becher zu sich und tippte mit dem Löffel in das matschige Etwas, das mal stattliche Kugeln gewesen waren. Jetzt hatten sie mehr von einem Milkshake. Keine schlechte Idee – einfach in einen Milkshake schütten. So war wieder etwas Geld gespart. Er brachte den Becher hinter die Theke, mixte einen Milkshake und stellte diesen in den Kühlschrank. Dort standen schon welche in diversen Geschmacksrichtungen. Fünf Stück mit Bananengeschmack. Der war hier am beliebtesten, vor allem Zack verschlang das Zeug nur so. Am liebsten hatte er es, wenn frische Bananenstücke mit drin waren. Kai tat ihm gerne den Gefallen. Oder hatte das zumindest jahrelang. Jetzt kostete es ihn jedes Mal Überwindung, eine weitere teure Banane zu killen. Jack verkaufte die meisten anderweitig, was nicht verwunderlich war. Bananen waren überall beliebt, und er bekam mehr Geld, wenn er sie in größere Städte transportieren ließ, als Kai sie zu einem Spottpreis zu überlassen. Was er ja oft genug tat, und Kai war ihm dankbar dafür. Er sollte das jetzt ablehnen, wo Jack ihn durchfütterte, aber dann würde er wieder nicht genug einnehmen. Bananen waren seine beste Einnahmequelle. Verflucht, die Sache brachte ihn, wenn er so drüber nachdachte, doch in größere Schwierigkeiten. Er war nicht der Typ für Gewissensbisse, aber jemanden, den man eigentlich anmachen wollte, anzupumpen? Das war definitiv nicht die richtige Art und Weise, Jack ins Bett zu kriegen. Das wäre es wohl bei kaum einer Person, außer einer mit Helfersyndrom... oh, dachte er. Vielleicht hatte Jack ja so ein Helfersyndrom? Er nahm einen Eiswürfel aus dem Gefrierschrank und steckte sich ihn in den Mund. „Das wäre gar nicht mal so übel.“ „Was wäre gar nicht mal so übel?“ Won lehnte sich auf die Theke. Er legte den Kopf zur Seite und grinste. Dabei wurden seine Augen zu so schmalen Schlitzen, dass Kai die Pupillen nicht mehr richtig vom Rest unterscheiden konnte. „Wenn du was kaufen würdest“, sagte er. Er rümpfte die Nase. Won war ein unangenehmer Gast. Nicht nur, dass er meist die billigsten Sachen nahm, er versuchte auch noch, die Gäste zu belästigen und seinen teuren, aber furchtbar unnützen Kram an den Mann zu bringen. Kai war schon mehrmals nahe dran gewesen, ihn rauszuwerfen. Da Won aber gut mit Zack befreundet war, hatte er letztendlich davon abgesehen. Er konnte es sich nicht leisten, einen Kunden zu verlieren, egal wie nervig dieser war. Wenn Won wenigstens Kunden vergrault hätte, dann hätte er einen triftigen Grund gehabt. Leider Gottes waren die meisten, die den Kiosk besuchten, aber nicht von Wons Präsenz gestört. Manche, vor allem Touristen, kauften ihm seinen Mist sogar ab. Die Mineralstädter waren nicht mehr so blöd. Anfangs hatten sie noch fleißig Bälle und supertolle schmackofatzige Äpfel gekauft, aber ihnen war recht schnell aufgegangen, dass das alles nur Ramsch war, den man überall billiger bekam. Wobei der Doktor, naiv wie er trotz seines Medizinstudiums war, immer noch gerne bei Won einkaufte. Vor allem rare Kräuter, die es auch auf dem Mutterhügel nicht gab. Wie er Kai gerne erzählte, wenn er etwas vom Pina Colada besoffen war, waren die Kräuter hier exzellent. Aber leider nur vermischt mit anderen Kräutern, die nicht so toll waren, und es hier nicht gab. Kai pflegte, dem Doktor dann einfach zuzunicken. Er kannte sich mit Kräutern nicht aus, und auch Medizin war ihm egal. Wenn er mal krank wurde, dann war das höchstens Verstopfung oder Durchfall, von zuviel oder zu wenig Öl. Das war eben das Los, wenn man sich so ernährte wie er. „Hey, starr nicht so ins Blaue!“ Won stellte sich direkt vor ihn. Wie war der so lautlos hinter die Theke gekommen!? „Weg da. Hier ist Sperrgebiet für Kunden.“ „Außer Popuri, richtig? Und Jack. Aber Jack kommt dich leider nur selten besuchen.“ Won bleckte die Zähne. „Du hast ihn so vermisst, dass du ihn gestern besucht hast. Armer Kai.“ „Wie bitte?“ Kai blieb wie angewurzelt stehen. Gerade noch hatte er Won freundlich wegschieben wollen, doch jetzt... er hatte das Gefühl, ein Blitz wäre in ihn eingeschlagen. Kein kleiner Blitz, sondern ein großer, der auch die ältesten Bäume spaltete, wenn nicht vierteilte oder gar zu Zahnstochern verarbeitete. Won seufzte und machte große Gesten, als wolle er ganz Mineralstadt umschreiben warf er die Hände in die Höhe. „Ich hab dich gesehen, euch, auf der Farm.“ Er antwortete ihm nicht. Was hätte er auch sagen sollen? „Und dann, in Jacks nettem kleinen Häuschen, wo du...“ „Was lungerst du eigentlich auf der Farm rum?“ Jemand hatte Won am Kragen gepackt und schleifte ihn in die Mitte des Raums. Kai blinzelte verwundert. Braunes Haar, oben ohne, Latzhose... „Jack!“ Kai schwang sich über die Theke – er durfte das, das war schließlich seine Theke. Außerdem sah es cool aus. Sehr geschmeidig, dachte er. Wie eine Katze. Won klatschte in die Hände. „Ich lungere doch nicht!“ Den Dackelblick hatte er drauf, das musste man ihm lassen. In Kais Magen rumorte es bei diesem Anblick. „Was denn dann?“ Jack packte Won wieder am Schlafittchen. Ja, er war der einzige in ganz Mineralstadt, der Won genauso wenig leiden konnte wie Kai. Wenn man von Rick absah, aber der zählte in seinen Augen nicht. „Du wirst nie wieder meine Farm betreten, und wenn ich dich doch dabei erwische, dann gnade dir Gott!“ „Gott? Der hat dich doch eh verlassen, schon vor langer Zeit.“ Won schlug Jacks Hand weg. Er sah zu Kai. „Ihr, oh, ihr zwei seid wirklich goldig, wie ihr seit Jahren umeinander rumscharwenzelt. Glaubt ruhig, dass euch das gar niemand angemerkt hätte. Aber ich komme nicht von hier. Ich sehe so etwas, und ich sage etwas. Ich bin nicht so naiv.“ „Nein, du bist eine Giftspritze.“ Kai öffnete die Tür, sodass Jack Won nur noch hinter sich her- und aus dem Kiosk hinausziehen musste. „Armes kleines Liebespaar. Weiß überhaupt nicht, was es miteinander anfangen soll, und liebt sich doch so doll!“ „Halt die Klappe! Ich werde bald heiraten!“ Kais Herz sank ihm so weit, dass er glaubte, es würde sich selbst im Sand verbuddeln. „Du heiratest? Aber... wen?“ „Na, dich bestimmt nicht, Schätzchen“, mischte sich Won ein. Jack warf ihm einen eiskalten Blick zu. Won hob die Schultern und entfloh dem Strand. Jack blieb einfach stehen. Kai war sich unschlüssig, trat dann aber doch ein paar Schritte vor und legte Jack eine Hand auf die Schulter. „Wen heiratest du?“, flüsterte er. Ob Jack das überhaupt gehört hatte? Das Seufzen ließ darauf schließen. „Es ist Popuri.“ Kais Herz versuchte sich aus dem Sand wieder frei zu graben, fühlte sich dabei aber mies. „Du musst sie erst noch fragen, oder...“ „Sie hat schon ja gesagt.“ Endlich wandte Jack sich um. Er sah merkwürdig aus. Traurig? „Hör zu, Kai, ich wollte es dir ja eigentlich sagen, aber du warst so niedergeschlagen, und dann das gestern.“ Er streckte die Hand nach ihm aus. Kai wich einen Schritt zurück. „Du hättest es mir sagen sollen, statt mich anzulügen.“ Er sah in den Sand. Kleine Muscheln lagen seelenruhig herum und dösten in der Nachmittagssonne. Wenn Jack ihm näherkommen wollte, musste er sie zertreten. „Steht wenigstens unsere Abmachung noch?“ „Äh... ja, klar. Aber lass mich jetzt bitte ausreden, Kai.“ Kai nickte; das interessierte die Muscheln, die er dabei ansah, wahrscheinlich nicht, aber allein der Gedanke, Jack jetzt ins Gesicht zu sehen, bereitete ihm Magenschmerzen. „Wenn unsere Abmachung weiterhin gilt, dann sind wir jetzt quitt. Sozusagen.“ Er versuchte den Kopf zu heben, die Lippen zwangen sich zu einem Lächeln. Er schloss dabei die Augen. So war es viel einfacher. Dann drehte er sich um und lief, so wie er es immer tat, mit den Händen in den Hosentaschen, zu seinem Kiosk zurück. In seinen Ohren rauschte es. Als er Jacks kalte Hand um seinen Unterarm spürte, fuhr er herum. Allerdings nicht schnell genug um reagieren zu können, ehe er von Jack gegen die Wand seines Kiosks gedrückt wurde. Die Tafel, an die er das Tagesmenü schrieb, wackelte und aus den Augenwinkeln konnte er sehen, wie die Schrift verschmierte. Jacks Lächeln war liebreizend. Geradezu dämonisch. Zu einem anderen Zeitpunkt hätte Kai das gefallen, jetzt jedoch fühlte er sich ernsthaft bedroht. Jack hatte Recht gehabt: Kühe waren kräftig, und wer mit ihnen zu tun hatte, konnte sich gegen einen wenn auch sportlichen Kiosksbesitzer locker verteidigen. Oder ihm beinahe den Arm brechen. Kai lachte, aber seine Stimme zitterte dabei. „Sonst noch was?“ Der Griff um seinen Arm wurde kräftiger. „Hätte ich das denn getan, wenn nicht noch was wäre?“ Kai schüttelte den Kopf. Er atmete tief ein. Gegen sein rasendes Herz half das nicht fiel. „Kai“, Jacks Stimme wurde sanfter, leiser – man konnte die Wellen hören, wie sie ruhig mit ihm im Einklang atmeten, „es tut mir sehr leid, dass es so kommen musste. Ich hatte nicht erwartet, dass du... das kam sehr plötzlich, verstehst du?“ Die Kindergartenzeit war längst um! Kai schluckte seinen Stolz herunter und nickte. Er wollte ihm jetzt zuhören, wissen, was es noch zu sagen gab. Bisher schien es nicht so, als ob Jack noch eine wichtige Neuigkeit zu verkünden hätte. „Ich wollte es dir sagen. Du solltest mein Trauzeuge werden.“ Kai stockte der Atem. Wie schlecht ihm dabei geworden wäre. Wahrscheinlich hätte er mitten in der Trauung auf Popuris Schleier gekotzt. Endlich ließ Jack Kais Arm los. Er stützte sich mit den Handflächen an der Wand ab, berührte dabei die Tafel und Kreidestaub wirbelte gegen Kais Wange. Jack schien die Stelle zu fixieren. „Das musst du jetzt natürlich nicht mehr machen.“ Gott sei Dank. Mehr als ein weiteres Nicken brachte er immer noch nicht zu Stande. Er sah zwar weit in die Ferne und sein Blickfeld verschwamm, aber er merkte deutlich, wie Jack ihn ansah, wie die Mundwinkel, dagegen ankämpften nach unten zu wandern. Dann spürte er Jacks Wange an seiner Wange, und wie der Kreidestaub sich auf Jack übertrug. Stocksteif blieb er stehen, als Jack ihn an sich drückte, mehr wie ein Kumpel und doch lag irgendwie irgendetwas anderes in der Umarmung. Das er, den Umständen entsprechend, dort lieber nicht gefühlt hätte. Er presste die Arme gegen seinen Körper. Der Drang, sie um Jacks Schultern zu legen war stark. Die Muskeln in seinen Armen, ja, bis in die Fingerspitzen, schienen von Spinnfäden nach oben gezogen zu werden. Er wehrte sich standhaft dagegen, bis Jack die Lippen auf seine legte, und er nicht anders konnte, als den Mund zu öffnen und Jack an sich zu drücken. Fest und kurz, und tief, spürte er die Umarmung, und die Zunge in seinem Mund. Sie war warm und anders als der Druck, den Jacks Hände auf seinen Rücken ausübten, bedacht darauf, nicht hektisch zu sein, als wäre das der allerletzte Moment für sie, das zu tun. Der es war. Kai schob Jack von sich. Jack wehrte sich nicht. Kais Atem ging stoßweise, und er bekam einen Schluckauf davon, aber er heulte nicht los, als Jack sich von ihm verabschiedete, sich umdrehte und zu seiner Farm zurückging. Wo vielleicht Popuri darauf wartete, sich einen schönen Abend mit ihrem Verlobten zu machen. Seine Beine zitterten. Als er an der Wand herunterrutschte und zum ersten Mal wieder nach oben sah, war der erste Mensch, der ihm entgegen kam, Won, der ausnahmsweise nicht grinste. Won kniete sich vor ihn und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Hey, andere Mütter haben auch schöne Söhne. Schau mich an.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)