Treasure Hunters - Die Schatzjäger von KateFromHighburyPark (- Die Jagd nach Michel's Helm -) ================================================================================ Prolog: -------- Ich stand vor dem dunkelgrünen Hangar in der sengenden Sonne. Auf dem Flugplatz Hendon, einem ehemaligen Royal Air Force Flugfeld. Mir lief der Schweiß in Bächen über den Rücken. Und meine Haut auf der Nase juckte. Kein Lüftchen wehte und ich glaubte ich schmolz bald. Mein T-Shirt war durchtränkt und meine Shorts klebten mir am Hintern. Und ich glaubte meine Haare sahen mittlerweile auch nicht mehr so toll aus. Mein Name ist Stella McAuliffe. Ich stand vor unserem Flugzeug, die Hände in die Hüften gestemmt und versuchte einen Blick auf den Piloten in der Maschine zu erhaschen. Doch die Scheiben reflektierten die Sonne und ließen keinen Blick nach innen zu. Das Flugzeug war eine windschnittige, mit zwei kraftvollen Motoren ausgestattete, Douglas C-47 „Dakota“. Oder auch DC-3 genannt. Sie trug den schönen Namen „Hurry Home Honey“. Sie wurde früher zum Absetzen von Fallschirmjägern genutzt und zum Truppen- und Versorgungstransport im Militär. Außerdem flog diese als „Candy-Bomber“ in der Berliner Luftbrücke. Ein Flugzeug mit lebhafter Vergangenheit also. Sie war silbern lackiert und hatte khakifarbene Flecken auf der Motorabdeckung und vor der Pilotenkanzel, damit die Sonne nicht spiegelte und die Piloten blendete. Ihren Namen trug sie in rot-gelben Buchstaben auf der linken Seite, unter dem Cockpit. Für manche war sie nur ein Oldtimer. Aus einer vergangenen Zeit und nicht mehr aktuell, weil es heutzutage ja schnellere Maschinen gibt. Klar, sie ist ein Oldtimer. Aber sie hatte es immer noch in sich. Wenn man sie gut instand hielt, verstand sich. Für uns jedoch, war sie der Inbegriff der Abenteuer und davon hatten wir nun schon einige erlebt. Paul saß auf dem Motor und hat die Verkleidung geöffnet, schraubte daran herum und fluchte zwischendurch gotteslästerlich. Und pfefferte außerdem ab und zu die Schraubenschlüssel durch die Gegend. Ich hatte keine Ahnung, was er eigentlich für ein Problem hatte. So schlimm kaputt konnte dieser verfluchte Motor gar nicht sein. Und so langsam hatte ich keine Lust mehr, dauernd hier zu stehen und die blöden Schimpftiraden abzukriegen. Dan saß bequem im Cockpit in seinem Ledersessel und wartete darauf, dass Paul den Pratt&Whitney Sternmotor zum laufen kriegte. Er zündete hie und da, doch außer ein paar Stotterern und Rauchwolken tat der Motor nichts. Vorhin beim Warmfliegen machte er schon Mätzchen. Er hatte gestottert und gefaucht, und zwischendurch grau-schwarze Rauchwolken ausgespuckt. Ich war auf dem Boden geblieben und hatte Dan und Paul beim Warmfliegen zugesehen. Im Funk bekam man Ohrensausen von ihrem Gefluche über den Motor. Sie waren wie die Deppen über das Flugfeld gerast und hätten mir beinahe die Ziegeln von der Aufenthaltsbaracke gepustet. Schließlich waren sie gelandet und wir diskutierten seit einer Stunde herum, wieso sich der Motor heute so anstellte. Dan war Amerikaner. Er kam aus Arlington/ Texas und war, bis er 23 Jahre alt war, bei der US-Air-Force. Paul war halber Ire. Sein Vater war aus Donegal und seine Mutter aus Brixton. Er war mit 17 Jahren von zu Hause ausgerissen und nach England gegangen. Er hatte sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten und schließlich eine Flugmechanikerausbildung gemacht. Seit drei Jahren arbeitete er auf Hendon und hielt die Flugzeuge instand. Ich hatte vor zwei Jahren auf Hendon eine Notlandung gemacht und so Dan und Paul kennen gelernt. Sind echt nette Kerle, die beiden. Sie werden sich jetzt sicher fragen, was wir mit einer alten, manchmal zickigen, DC-3 auf einem ehemaligem RAF-Flugfeld machen. Vielleicht halten Sie uns ein wenig verrückt, wenn ich Ihnen das erzähle. Aber wir wollen uns ja nicht unbeliebt machen, wenn wir nicht mit der Sprache herausrücken. Wir drei waren eine Art, Schatzjäger. Wir bekamen von Pauls Onkel Ted, übrigens der Bruder von Pauls Mutter, Aufträge um verschollene, verschwundene oder gestohlene Schätze, Sammlerstücke oder Antiquitäten zu suchen. Das mit den Antiquitäten hörte sich vielleicht ein wenig langweilig an, zwischendurch ist es das auch. Da sitzen wir nur am PC und durchforsten Datenbanken und Auktionen, ob die guten Stücke da aufgetaucht sind. Meistens hatten wir auf irgendeiner großen Auktion Glück und fanden das Ding. Doch denjenigen, der es dahin gebracht hat, fanden wir selten. Wir stießen immer wieder auf Leute, die, als sie die Antiquitäten abgegeben haben, falsche Name und Adressen angegeben haben. Dadurch waren sie nicht mehr aufzufinden. Aber das Beste an unserem Job waren die verschollenen Schätze, aus alten Kulturen, die meistens im Ausland zu finden waren und einen beträchtlichen Wert hatten. In diesem Fall kam dann die ‚Honey’ ins Spiel, die uns durch die halbe Welt kutschierte. Wenn uns jemand Antiquitätenjäger nannte, kam ich mir vor wie jemand der auf Flohmärkten um Preise von alten Lampenschirmen feilschte. Flohmärkte waren nur bedingt mein Ding, ich mochte sie nur, wenn es dort viele Bücher und Sachen, die mit Geschichte zu tun hatten, gab. Alles andere, wie Kleidung oder nutzloser Krempel, konnte mir gestohlen bleiben. Wenn Pauls Onkel Ted also anrief und einen Auftrag hatte, schickte er uns meistens per E-Mail eine genaue Beschreibung zu. Fotos, Berichte oder Reportagen. Wir flogen daraufhin mit der „Hurry Home Honey“ los, auf der Jagd nach den Schätzen, um sie wieder ihren Besitzern oder Museen zu bringen. Oder auch um die Verschollenen auszuspüren. Das schwierigste dabei waren verschlüsselte Karten in fremden Sprachen, oder in gar keinen Sprachen sondern in komischen Zeichen. Und dann waren da ja noch die anderen Schatzjäger, die aber anderes mit den Dingern vorhatten als wir. Nämlich möglichst viel Geld herauszuholen… Am Anfang war nur Dan als Schatzjäger unterwegs. Nicht mal Paul wusste, dass Dan für seinen Onkel Ted Schätze suchte. Als Paul dahinter kam, wollte er natürlich auch mitmischen. Außerdem wurde ein Mechaniker an Bord immer gebraucht. Falls es Sie interessiert, wie ich zu dazu gekommen bin… Nun ja, ich hatte nach der Notlandung mich mit Dan unterhalten. Er hatte mich ausgefragt und irgendwann hatte ich gesagt, dass ich ein Jahr Geographie studiert habe und außerdem zu meinem Flugschein Kurse in Landkartennavigation gemacht hatte. Da ging Dan plötzlich ein Licht auf und schon war ich als Navigator im Team dabei. Und ich hatte in einem Anfall geistiger Umnachtung begeistert zugesagt. Damals kannte er mich noch nicht mal richtig. Ich fragte mich echt was ihn da geritten hat eine dunkelblonde junge Frau, mit Flugschein, einer Ziege als Haustier und einer Vorliebe für ausgefallene Hobbys einzustellen. Männer stellten sich immer alles so einfach vor, dass manche Leute auch einen Job hatten fiel ihnen meistens nicht ein. Jedenfalls hatte ich meinen alten Job an den Nagel gehängt. Fliegen war doch viel interessanter. Pauls Onkel hatte die DC-3 von einem Flugzeughändler für einen Spottpreis gekauft und sie wieder flugtüchtig gemacht. Ted war ehemaliger Kunstflugpilot, eine Verletzung am Arm hatte ihm einen Strich durch die Rechnung einer möglichen Kunstflugweltmeisterschaft gemacht. Er konnte nicht seinen Arm nicht mehr uneingeschränkt bewegen und musste das Kunstfliegen aufgeben, normal Fliegen konnte er schon noch, nur eben nicht Fliegen als Hochleistungssport. Die DC-3 flog nun Dan. Und er flog sie wirklich gut. Als Dans Opa zu Besuch auf den Flugplatz kam und Dan ihm eine Flugeinlage bot, sagte sein Opa, er solle nicht mit ihr umgehen, wie mit einer Spitfire, so wie er die alte „Hurry Home Honey“ durch den Himmel scheuchte. Die Spitfire war ein englisches Jagdflugzeug, das Dans Opa im Krieg geflogen hatte. Und er liebte den Klang der Motoren und die schnittige Maschine immer noch. Dans Opa flog 1940 in der „Eagle Squadron“. Eine Staffel, die die Briten für amerikanische Freiwillige gebildet hatten. Er kämpfte in der so genannten „Luftschlacht um England“ und während der Zeit des „Blitz“. 1941, als die USA nach dem Angriff auf Pearl Harbor, in den Krieg eintraten und US-Staffeln nach England abstellten, wechselte er wieder zu ihnen. Er flog dort, bis Kriegsende, P-47 „Thunderbolts“ und P-51 „Mustangs“. Die Spitfire aber, war immer sein Lieblingsflugzeug. Sie hatte einen schlanken Rumpf, elliptische Flügel und eine spitze Schnauze. Und er bekam Gänsehaut, wenn Sniff Burton mit seiner Spit über Hendon herumkurvte. Tiefe Rollen flog und sie in Loopings riss, dass es einem Angst und Bange wurde. Sniff Burton war der Flugplatzbetreiber. Er hat wahrscheinlich auch einen richtigen Vornamen, den aber irgendwie keiner wusste, außerdem besaß er eine kleine Oldtimerflotte. Eine Mustang, eine Spitfire, eine Hurricane, und eine B-17 „Flying Fortress“, die im Moment leider nicht flog, weil Paul sie in den Sand neben der Rollbahn setzte und sie jetzt ein kaputtes, linkes Fahrwerksbein hatte. Sie hätten Sniffs Gesicht sehen sollen, als Paul sie bruchgelandet hat. Wenn ich Paul gewesen wäre, hätte ich mir vorher die Kugel gegeben, als Sniff unter die Augen zu treten. Sniff gehörte auch noch eine P-38 „Lightning“. Aber sie war nur auf dem Boden, als Ausstellungsstück. Ihr fehlten noch einige Ersatzteile, um wieder zu fliegen. Ein Stück vom Heck zum Beispiel, oder ein Reifen fürs Fahrwerk. Zurück zu unserem Job. Zu den Flugzeugen konnten wir später auch noch einmal kommen, die flogen schließlich nicht weg. Heute Morgen kam ein Briefumschlag von Pauls Onkel. Ein neuer Auftrag. Ted hatte wohl nicht gewusst, wie er das Bild in die E-Mail einfügen sollte, und den einfachen Weg der Post gewählt. Computer waren ohnehin nicht seine Stärke. Und in dem Umschlag war nur ein Bild von einem, mit Gold und Edelsteinen verzierten Helm, mit der Aufschrift „Le casque de Michel“ und, dass das Ding in der Normandie zu finden war. Dan war leicht entsetzt und warf seine Fliegerhaube mit den Worte: „Verflixt, seh’ ich denn aus als ob ich französisch kann?“ nach dem Computer, als Teds E-Mail eintraf. Paul war auch nicht angetan, von der Idee nach Frankreich zu fliegen. Aber wenigstens mussten wir uns nicht wieder mit den Chinesen abgeben, die hatten wir schon einmal zur Weißglut gebracht. Nun, und wenn unser Profi den Motor zum laufen kriegte, dann ging es bald wieder los. Dieses Mal nach Frankreich. Kapitel 1: ----------- Die „Honey“ dröhnte tief über das Wasser des Ärmelkanals dahin. Der Himmel war azurblau und weit im Osten hing eine Schäfchenwolkengruppe. Die Motoren sangen ihr eintöniges Lied und das Wasser spiegelte die Sonne und blendete Dan McLean, der die „Honey“ flog. Er schob sich die Sonnenbrille über die Augen, strich die verschwitzten braunen Haare aus der Stirn und lehnte sich zurück. Die Hände hatte er locker ums Steuerrad gelegt. Paul O’ Laoghaire saß auf dem Copilotensitz, studierte eine Landkarte und ging seiner Lieblingsbeschäftigung nach: dem Fluchen. Musste wohl an seinen irischen Wurzeln liegen… Ich saß auf dem Sitz, der früher der Sitz des Funkers war. Oder besser, noch immer ist. Denn Paul warf mit der Karte nach mir und fauchte das ich dieses ‚beschissene Ding’ lesen sollte. Spielte ich eben auch noch den Navigator. Als ob Dan sich hier nicht auskannte. Er war ab und zu mit dem Flugzeug in Frankreich. Meistens auf Flugshows. Und den Mont-St-Michel im Golf von St. Malo würde er wohl finden. Unsere Flugstrecke ging von England, also vom Flugplatz Hendon, in Schleifenlinien über die Insel Wight, Cherbourg, dann Avranches, bis zum Mont-St-Michel. Im Moment waren wir über Cherbourg und Paul suchte den kleinen Flugplatz am Ortsrand. Dan hatte das Landekreuz schon erspäht. Er fuhr das Fahrwerk aus und setzte zum Landeanflug an. Die DC-3 röhrte langsam heran. Wie ein riesiger schwerfälliger Vogel. Sie wurde langsamer und kam dem Boden näher. Sie hob sich scheinbar mühsam über eine Pappelreihe am Flugplatzrand. Schließlich setzte sie sanft auf und rollte auf einen Hangar zu. Dan nahm die Zündung heraus und das Dröhnen der Pratt&Whitneys verstummte. Die Propeller schwangen aus und blieben dann stehen. Paul kam aus der Pilotenkabine, warf meiner Karte einen kritischen Blick zu und machte die Luke auf. Beide verschwanden nach draußen und warme Luft strömte ins Innere des Flugzeugs. Ich kam nach, nachdem ich die Route markiert habe und eine Eintragung im Flugbuch gemacht habe. Wir suchten nach „Le casque de Michel“, dem „Helm des Michel.“ Ich und Paul hatten recherchiert. In Archiven in London, im Internet, bei Freunden und Kollegen. Viel hatten wir nicht herausgebracht, außer dass Michel ein Normanne im 14. Jahrhundert war. Ein Krieger und Kämpfer, der nicht sehr berühmt war, außer bei den Einheimischen. Er hatte ein Markenzeichen, seinen Helm. Man sagte, er sei mit Gold und Edelsteinen verziert und mehrere hunderttausend Pfund wert. Paul hatte herausgefunden, dass Michels Herkunft im Kloster von Mont-St-Michel lag. Er wurde dort geboren und ist dort aufgewachsen. Und wir vermuteten, dort auch gestorben. Mont-St-Michel ist eine Siedlung und Benediktinerabtei und ein Kunstwerk mittelalterlicher Kloster- und Festungsarchitektur. Das Kloster wurde 966 n. Chr. von Benediktinermönchen gegründet. In den folgenden Jahren haben Herzöge und Könige den Bau finanziert. 1017 n. Chr. begann Abt Hildebert II. mit dem Bau der zentralen Klosteranlage, die erst 1520 fertig gestellt wurde. Im 12. und 13. Jahrhundert war es eine Pilgerstätte für Leute, die von weit her kamen, um den heiligen Michael zu verehren. Eine Statue des heiligen Michael befindet sich auf dem spitzen Dach der Kirche. Die Statue wurde erst1895 gebaut. Bei Ebbe kann man von Mont-St-Michel zum Strand laufen. Bei Flut ist es eine Insel. Allerdings war die Insel heutzutage mit einem Damm verbunden Wenn der Helm also in der Normandie sein sollte, wieso nicht in Michels Heimatort. Ich hatte Kontakt mit einem Einheimischen aufgenommen und gesagt wir seihen an einer Stadtführung interessiert. Besonders an Informationen über Michel. Wir bekamen eine Zusage und machten uns auf den Weg. Ich stieg aus dem Flugzeug und atmete tief die französische Luft ein. Sie roch nach einer Meeresbrise und nach Lavendel. Ein frischer Wind wehte mir ins Gesicht und ich dachte daran, was für ein Paradies das hier war. Rechts von mir war das Meer, der Ärmelkanal, und auf der linken Seite schimmerten in der Ferne die Häuser von Cherbourg. Dazwischen lagen gelb-grüne Felder, auf denen der Roggen oder Weizen noch nicht abgeerntet wurde. Es war gerade Mitte August und ohne den leichten Wind wäre es wohl genauso heiß wie auf unserem Flugplatz. Paul und Dan waren hinüber zum Flugplatzgebäude gegangen, vor dem ein einmotoriges Flugzeug stand, dessen weiße Tragflächen die Sonne reflektierten. Ein Mann kam aus dem Gebäude und begrüßte Dan und Paul. Er zeigte auf die DC-3 und grinste. Er freute sich offenbar über solchen Besuch. „Schöne Maschine haben Sie da.“ Dan nickte zustimmend, und meinte dann: “Wir könnten ein bisschen Benzin gebrauchen.“ Normalerweise hatte die DC-3 eine Reichweite von ca. 2000 km. Dan machte die Tanks jedoch nie randvoll. Die Maschine war so wendiger. „Für euch Tommies immer. Ich bin übrigens Martin Chevalier.“ Er hielt Dan die Hand hin. Der nahm sie und stellte sich und Paul ebenfalls vor. „He, ich bin kein Tommie“, empörte sich Paul. ‚Tommie’ war der Spitzname für Engländer. „Lass doch sein“, sagte Dan. „Das brauchen wir jetzt nicht auszudiskutieren.“ Dan winkte ab. Chevalier nickte ihm grinsend zu und ging in den Hangar. Dan und Paul hinter her. Paul grummelte, er hätte sich lieber auf die Tragfläche gelegt und eine Runde geschlafen. Bald kamen die drei sie mit einigen Kanistern zurück. Sie füllten die Tanks und unterhielten sich dann noch ein wenig. Ich hatte inzwischen meine Kamera geholt und fotografierte die wunderschöne Landschaft, das Meer, Cherbourg in der Ferne, und den Flugplatz. Und schließlich aus versehen Pauls doofes Grinsen, als ich mich umdrehte, um die „Honey“ zu fotografieren und er hinter mir stand und einen Kommentar abließ. Ich begann schallend zu lachen, als ich das Bild auf dem kleinen Bildschirm sah. Paul wollte mir die Kamera abnehmen, doch ich war schneller und versteckte mich hinter Dan und zeigte ihm das Foto. Auch er grinste. Paul grollte vor sich hin, wie er es eigentlich schon seit wir in England gestartet sind, tat, und legte sich schließlich doch auf die Tragfläche. Ihm wurde wohl unser Geschäcker zu blöd. Dan fragte Monsieur Chevalier, ob er Lust auf Kaffee hätte, er hatte einen in einer Thermoskanne. Chevalier bot ihm stattdessen einen frischen, französischen Kaffee an. „Ich hätte schon Lust auf ’nen Kaffee“, sagte ich und schaute Dan vielsagend an. Er rollte mit den Augen, wegen meiner Kaffeesucht. Das letzte Mal als er in Italien war, hatte ich ihn panisch angerufen und gesagt er müsse mir unbedingt Espresso mitbringen. Wir riefen nach Paul, doch der schlief tief und fest. Dann hatten wir wenigstens den Kaffee für uns… Ich und Dan gingen Mr. Chevalier hinterher, in das kleine Flugplatzcafé. Mr. Chevalier brühte frischen Kaffee für uns auf und stellte uns ein Stück Kuchen vor die Nase. „Hier ist meistens nur am Wochenende viel Betrieb, “ sagte Mr. Chevalier und sah aus dem Fenster auf das Flugfeld und den Hangar. Das einzige Flugzeug das hier gerade herumstand war sein eigenes. Eine kleine Cessna. Und natürlich die „Honey“, aber nur vorübergehend. Der Rest langweilte sich in den Hangars und wartete auf Arbeit. Dan fragte ihn nach einem Landeplatz in der Nähe des Mont-St-Michel. Chevalier überlegte eine Weile, schien in den Windungen seines Hirns zu wühlen. „Sie könnten es mal in Avranches probieren. Am Stadtrand ist ein kleiner Flugplatz.“ Er sah kritisch auf die „Honey“. „Aber ich weiß nicht ob da die Landepiste reicht…“ Dan nickte und sagte dann, dass er es sich einfach aus der Luft ansehen würde und dann entscheiden wird ob wir dort landen. Er begann dann unauffällig das Thema auf Michel zu lenken. Vielleicht wusste Chevalier mehr davon. Ich trank genüsslich meinen Kaffee und bedankte mich, dann ließ ich Dan und Mr. Chevalier allein und ging wieder nach draußen. Es reichte wenn einer nach Informationen bohrte. Mich hätten hier, auf der Halbinsel Cotentin, besonders die Städte Ste-Mère-Eglise oder Carentan interessiert. Ste-Mère-Eglise lag ungefähr 60 Kilometer südlich von Cherbourg. Dort waren am D-Day, dem Tag der alliierten Landung in der Normandie am 6. Juni 1944, amerikanische Fallschirmjäger abgesprungen. Und in das Airborne-Museum wäre ich dort gegangen, aber leider hatten wir in Moment anderes zu tun. Vielleicht ergab sich ja danach eine Gelegenheit. Ich riss einen Grashalm aus, kletterte auf die Tragfläche der „Honey“ und kitzelte Paul an der Nase. Er grummelte und drehte sich auf die andere Seite. Im Schlaf sah er richtig friedlich aus, nicht wie ein verrückter Ire, der meistens nur ans Trinken dachte oder daran, dass er jemanden, wenn er ihn als ‚Tommie’ bezeichnete, die Gesichtszüge polieren konnte. Dabei konnte er manchmal richtig nett sein. Meistens dann, wenn er auf dem Flugplatz war und den ganzen Tag nichts zu tun hatte. Dan dagegen hatte meistens ein Lächeln auf den Lippen. Er war fast nie sauer oder ließ sich die Laune verderben. Doch auch er hatte ein aufbrausendes Temperament. Das hatte ich letztes Mal, als wir einen Pub besuchten mitbekommen. Da war er betrunken, ein anderer Betrunkener ließ einen Kommentar ab und lag kurz darauf auf dem Boden mit einer Ladung Blut, die aus der Nase schoss. Dan hatte dunkelbraune Haare und sah ziemlich gut aus. Außerdem hatte er einen Blick der einem das Herz schmelzen ließ und das wusste er auch einzusetzen. Und zwar in Situationen, in denen Worte nicht mehr reichen. Zum Beispiel, wenn er ein Mädchen dazu bringen will, mit ihm auszugehen… Für mich war er der geborene Pilot. Er lenkte die Maschinen sanft und einfühlsam und mit einer wahnsinnigen Sicherheit. Und er schien in der Luft mit ihnen zu verschmelzen. Er merkte auch sofort, wenn etwas nicht stimmt. Zum Beispiel wenn die Motoren unrund liefen. Wenn er in eine Maschine stieg, er das Grollen des Motors hörte und ihm der Geruch von Benzin in die Nase fuhr, wurde er ein ganz anderer Mensch. Und wenn die Maschine endlich locker im Steuer wurde, war es um ihn geschehen. Dann war er eins mit dem Flugzeug. Ich warf den Grashalm weg und lehnte mich zurück. Ich sah den Wolkenschiffchen am Himmel zu. Wie sie davonzogen und Gestalten bildeten. Eine sah aus wie ein Kaninchen. Die andere wie eine Bierflasche. Wenn ich ein Maler wäre, würde ich bei diesem Himmel in Ekstase geraten… Die Sonne kam hinter einer Wolke hervor. Sie kitzelte in der Nase und blendete mich. Ich holte mir bei Paul die Sonnenbrille aus der Tasche und setzte sie auf. Er merkte nichts davon. Um ihn herum könnte vermutlich die Welt zusammenfallen und er würde es nicht merken. Plötzlich blinzelte er doch, öffnete die Augen und sah mich an. Er begann zu grinsen. „Na, genug Kaffee getrunken?“ Ich nickte. Er drehte sich auf den Rücken und atmete tief ein. „Schön hier, nicht wahr? Still, friedlich, schönes Wetter. Und kein Dan, der ständig herumbrüllt.“ „Dan brüllt aber selten“, sagte ich. „Naja, wenn er gerade seine Phase hat…. Und heute Morgen, als die Motoren nicht angesprungen sind. “ Ich nickte wieder. Mir fiel im Moment nichts Geistreiches ein. Die Sonne brannte mir auf den Pelz, nicht gerade das Wetter zum scharf nachdenken. Paul drehte sich zur Seite und sah mir wieder in die Augen. Ich wurde rot unter seinem Blick. Gott sei Dank verdeckte die Sonnenbrille das meiste. Ich wusste selbst nicht, wieso ich eigentlich rot wurde. Es konnte sein Blick sein, der durch alles hindurchzugehen schien… „Wie wär’s wenn wir einen Ausflug zum ‚Utah-Beach’ machen?“ fragte Paul in die Stille hinein. Ich hörte nur das Wort ‚Utah-Beach’ und sprang begeistert auf. „Hey, das wäre ja toll. Wie geil. Das du an so was denkst.“ Paul grinste und zog mich zurück. „Ich kann auch nachdenken. Auch wenn ich manchmal nicht so den Eindruck mache.“ Er kam meinem Hintern mit der Hand gefährlich nahe und ich warf ihm einen bösen Blick zu. Er grinste mich unschuldig an und ich antwortete mit einem Augenrollen. Plötzlich flog die Tür zum Hangar mit einem Krachen auf und Dan stürmte heraus. Er brüllte uns irgendetwas zu. Aber wir verstanden ihn nicht, was bei seiner Stimme äußerst selten war. Außerdem fuhr auf dem Nachbarfeld ein Traktor vorbei. „Wenn man gerade von Stille spricht“, murmelte Paul genervt. Dan hatte einen knallroten Kopf und schien äußerst wütend zu sein. Er rannte auf die „Honey“ zu und es schien er würde vor lauter Wut gleich mit dem Kopf dagegen rennen. Doch er schaffte es davor anzuhalten, und sah zu Paul und mir nach oben. „Habt ihr’s bald mit eurem Rumgemache, oder braucht ihr eine Extraeinladung?“ Er legte die Hand an die Luke. „Wir machen nicht rum“, brüllte ich. „Wenn wir rummachen würden, hätten wir uns in die ‚Honey’ verzogen.“ Dan stieß genervt die Luft aus. „Weiber!“ „Was ist denn eigentlich los?“ fragt Paul. „Wir fliegen weiter. “ Dan warf einen Blick zu Chevalier, der aus dem Hangar kam. “Der Monsieur sagt, dass vor uns schon jemand da war und Infos über den Michel wollte.“ Ich fluchte phantasievoll. Paul fluchte ebenso. Wir sollten ganz dringend zum beichten gehen, wenn wir so weitermachten. Oder ein Buch über Flüche schreiben… Das würde sicher ein Bestseller. „Der Kerl braucht gar nicht glauben, dass er den ollen Helm bekommt“, knurrte ich und stieg ungelenkig von der Tragfläche. Dan fing mich glücklicherweise auf, sonst wäre ich auf den Hintern geplumpst. Auch Paul stemmte sich hoch, sprang herunter und wir steigen alle ins Flugzeug. Dan rief Mr. Chevalier noch einen Dank zu, stieg dann ebenfalls durch die Luke und warf sie hinter sich zu. Wir winkten Mr. Chevalier durch die Fenster und schnallten uns dann an, weil Dan zu einem Blitzstart ansetzte. Die Motoren begannen auf hohen Touren zu röhren und Dan ließ sie nur kurz warmlaufen. Geduld war auch nicht eine seiner Tugenden. Dann löste er die Bremsen und das Flugzeug schoss los. Quer über die Landebahn. Das Heck hob sich und Dan lupfte sie knapp über die Bäume hinweg. Weiter ging es im Tiefflug über die normannische Landschaft. Die meiste Zeit waren wir über grün-gelben Feldern. Weizen- oder Maisfelder, durch die feine Linien von den Fahrspuren der Traktoren gezogen waren. Zwischendurch auch über Dörfer, wo auf den Straßen die Leute stehen blieben und verwundert zu Himmel sahen, wo es brummelte und heulte. Dan hing im Cockpit seinen Gedanken nach. Paul hatte die Ohrstöpsel von einem MP3-Player im Ohr und ich saß wieder auf meinem Funkersitz und rief Pauls Onkel an. „Hier Delta-Honey, wir haben ein Problem.“ Zuerst hörte ich nur wildes Rauschen und drückte noch mal die Funktaste. Doch dann meldete sich jemand. „Hier Ted, ich höre“, sagte Pauls Onkel. Er klang erwartungsvoll. Wahrscheinlich erwartete er schon Ergebnisse. Da konnte er noch eine Weile warten. Ich begann mit einer ausgeschweiften Erklärung und als ich von dem Kerl redete, der von Mr. Chevalier Informationen wollte, bekam ebenfalls eine Schimpftirade ins Ohr gebrüllt. Langsam hatte ich’s satt, immer krieg’ ich alles ab. Er sagte, wir sollten kein Risiko eingehen. Mit diesen Kerlen, die wild auf die Schätze waren um sie zu verkaufen, sei nicht zu spaßen. „Natürlich sind wir vorsichtig“, sagte ich. Aber hörte mich nicht sehr überzeugend an. Ted wusste, dass wir alle Draufgänger waren. Sonst würden wir wohl schon längst die Radieschen von unten ansehen. „Dir glaub ich nicht so ganz…, gib mir mal Dan“, sagte er und ich schaltete ihn grummelnd auf Dans Funkgerät um. Ich hörte auch weiterhin mit. Ted redete auf Dan ein und warnte ihn vor irgendeinem Walton Ballinger. Paul fluchte gotteslästerlich, als er den Namen hörte. Auch ich stutzte. Walton Ballinger. Der Name kam mir bekannt vor. „Ach Scheiße, “ schimpfte ich dann laut vor mich hin. Und zuckte gleichzeitig zusammen, weil der Funk ja noch an war. Paul begann zu lachen. Ich selber verfluchte mich, dieses Mal leise. Ich war drauf gekommen, wer Ballinger war. Dieser miese, schleimige Kerl, mit seinem ebenso schleimigen Gefolge. Er war ebenfalls Schatzjäger. Nur leider von der anderen Seite. Wie sagte man im Film? Einer von den Bösen. Er hatte sein Vermögen durch den Diebstahl von Schätzen erworben. Einmal war er uns zuvor gekommen und konnte das Ding einsacken. Die anderen Male hatten wir sie bekommen. Und nun hatten sie die Museen. Ted hatte also den Verdacht, dass es Ballinger war… Na toll. Nicht sehr schöne Aussichten, fand ich. Lieber würde ich eine Woche das Flugplatzcasino putzen, als Ballinger zu begegnen. Gleichzeitig bekam ich eine Wut auf Ballinger. Er hatte Paul angeschossen. Damals als wir uns in China eine Verfolgungsjagd um eine wertvolle Buddhastatue geliefert hatten. Er schreckte nicht vor Gewalt zurück und versuchte alles, um uns in die ewigen Jagdgründe zu schicken. Dieser Auftrag fing an, mir gehörig auf die Laune zu schlagen. Nicht dass ich Frankreich nicht schön finden würde. Aber die Aussicht auf ein weiteres Zusammentreffen mit Ballinger war etwas, das ich gerne vermieden hätte. Ich sah nachdenklich aus dem Fenster. Unter uns war eine Autobahn. Ich holte die Karte heraus und sah nach was für eine das war. Die A84. Wir waren kurz vor Avranches. Die Maschine wackelte plötzlich. Windböen. Und Thermik von den vielen Quellwolken. Dan legte sie auf die linke Tragflächenspitze und zog eine Kurve über dem Stadtrand. Ich fiel halb von meinem Sitz, als sie über die Fläche abrutschte und einige Meter runtersackte. Ich zog schleunigst die Sitzgurte straff und sah direkt auf die Hausdächer. Ich musste nicht mal den Kopf schief legen, so schräg flogen wir gerade. Dan legte die „Honey“ wieder horizontal und als sie wieder stabil flog, ging ich nach vorne in die Pilotenkanzel. „Na, was geht?“ fragte ich die beiden. Dan grinste mich an. Er trug wieder seine coole Sonnebrille. Das zu lange braune Haar fiel ihm vor die Augen. Hoffentlich setzte er uns nicht neben die Landepiste. Paul hing über seiner Karte, auf der die Flugplätze Nordfrankreichs eingezeichnet waren. Er schaute verwirrt, drehte die Karte nach links und rechts und kannte sich doch nicht aus. Wir konnten froh sein, dass er nicht unser Navigator war. Wir würden wahrscheinlich in Russland herauskommen… „Der Flugplatz muss direkt vor uns sein“, sagte Paul und warf mir einen hilfesuchenden Blick zu. „Muss er oder ist er?“ grummelte Dan. „Ist er“, sagte ich und zeigte aus der Frontscheibe. Eine Asphaltbahn flimmerte in der Ferne, als ob sie mit Wasser übergossen wurde. Wie ein schimmernder Fluss. Wir röhrten langsam näher heran. Dan nahm die Motorenleistung langsam zurück und wir sanken. Plötzlich erkannten wir, dass mitten auf der Piste ein Lastwagen stand. Dan ließ die DC-3 weiter langsam sinken. Er zog sie in eine weite Platzrunde und sah sich die Piste aus der Luft an. Ob sie lang genug war. „Das geht doch locker“, drängte Paul. “Landen wir halt auf dem hinteren Stück.“ Ihm war warm und er wollte endlich an die frische Luft. Wahrscheinlich hatte er sowieso ’nen Sonnenstich. Und außerdem war ihm schlecht. Er hatte nichts gefrühstückt. Nur eine Flasche Bier mit Joe, dem anderen Mechaniker. Ich hatte schon gefrühstückt, und zwar auch Pauls Ration. Er war ja nicht in die Kantine gekommen… Ich gab ihm eine Kotztüte und er sah mich bitterböse an. „So schlimm ist es nun auch wieder nicht, “ grollte er. Dan warf ihm einen Seitenblick zu. „Nimm sie lieber, oder du putzt das Cockpit.“ „Schon gut, schon gut.“ Paul fuchtelte abwehrend mit den Händen. „Funk mal den Platz an“, sagte Dan zu mir. „Ich will nicht dass uns irgendwer in die Quere kommt.“ Wer sollte uns denn noch in die Quere kommen? Stand doch schon jemand im Weg… irgendso ein Platzhirsch. „Yeah, Chef.“ Ich salutierte spielerisch und ging nach hinten. Im Handbuch suchte ich die passende Frequenz heraus. Dann funkte ich. Auf Englisch. Französisch konnte ich nur wenige Worte. Aber zumindest konnte ich Wein bestellen. „This is Delta Charlie Tango, we need permission to land. “ Vom Flugplatz kam nichts. Kein Rauschen, kein gar nichts. Ich funkte noch mal. Wieder nichts. „Dan?“ Ich trommelte mit den Fingern auf dem Schreibbrett herum. „Was ist, Babe?“ Ich konnte mir gerade so schön vorstellen, wie er grinst. Babe, sagt er und ich sage Chef, wenn wir uns ärgern wollen. „Von unten antwortet niemand. Die Franzosen halten Mittagsschlaf.“ Er wollte gerade zu fluchen anfangen, da kam von unten eine resolute Frauenstimme: „This is airfield Avranches, you have no permission to land, please make way for another airfield. “ Mir blieben glatt die Worte im Hals stecken. Ich hörte Dan genervt aufstöhnen. Und Paul, konnte ich mir vorstellen, machte eine gequälte Grimasse. „Das kann doch nicht wahr sein,…“ Dan holte tief Luft. „Ich fliege jetzt nicht die ganze verdammte Strecke zurück.“ Paul nickte zustimmend. Ich glaubte ihm sowieso nicht, dass er zurückfliegen würde. Wahrscheinlich bedauerte er gerade, dass wir keine ‚Flying Fortress’ mit Bord-Maschinengewehren flogen und er ihnen da unten die Geschosse um die Ohren jagen konnte. „Schalt um auf mein Mikro, ich mach denen mal Dampf.“ Ich drückte erwartungsvoll den Knopf. Yeah, endlich gab’s mal Action. Dan würde denen gehörig den Marsch blasen. Dan räusperte sich kurz, legte dann los. „This is Delta Charlie Tango, we have to land here. Now!” Dan verlieh seiner Stimme eine wütende Farbe. „We have no goddamn petrol in our tanks. Take this fuckin’ truck out of our way.” Das mit dem Benzin stimmte gar nicht. Unser Tank war fast voll. Er wollte nur endlich landen. Zuerst blieb das Mikro stumm. Wahrscheinlich hatte es ihnen da unten gerade die Sprache verschlagen. Dann kam eine kleinlaute Stimme, die aber trotzdem wütend klag. Sie vergaß völlig das „This is airfield sowieso“-Dings. „Wait a moment; we’ll take the truck away.” “Thank you,” bellte Dan, aber er grinste. Paul lachte sich einen Ast. Ich grinste ebenfalls. Das war irgendwie typisch Dan. Da kam sein Ami-Temperament wieder durch. Dan zog wieder eine Kurve. Die „Honey“ röhrte friedlich und flog brav ihre Schleifen. Jemand kam aus dem Hangar neben dem Flugfeld und schwang sich hinter das Steuer des LKWs. Kurz darauf war die Landebahn frei und wir landeten. Dan hielt die „Honey“ vor dem Hangar an und schaltete die Motoren ab. Wir stiegen zufrieden aus. Ich dachte an Ted, der hörte meistens unseren Funkverkehr mit, ich mochte gar nicht wissen, was er von Dans Funkspruch hielt. Eine junge Frau kam aus dem Hangar. Paul bekam Stielaugen und ich wurde ein bisschen neidisch. Sie war in typisch französischem Chic gekleidet. Sie trug ein apfelgrünes Sommerkleid, und um ihre Hüfte locker einen breiten Gürtel. Das Grün ihres Kleides ließ ihre dunkelbraunen Haare leuchten. Das fast perfekte Gesamtbild störte als einziges ein Headset. Huh, dachte ich. Das ist die Dame, die Dan angeflucht hat. Sie ließ sich nichts anmerken und lächelte uns zu. Zuerst schüttelte sie Paul die Hand. Er grinste ganz komisch. Ich würde wetten, er wäre mit ihr am liebsten sofort in die Büsche gegangen. Sie schüttelte mir die Hand und dann Dan. „Sind alle Engländer so unfreundlich wie Sie?“ sagte sie in verächtlichem Ton zu ihm. Dan lächelte und setzte seinen Dackelblick auf. „Ich bin Amerikaner.“ Sie lachte. „Dann liegt es wohl daran. Amerikaner haben den Ruf ein wenig impulsiv zu sein. “ Dan legte den Kopf schief. So kam der Blick besser zur Geltung. Doch diese Frau fiel nicht darauf herein. Sie ignorierte weiterhin seinen Blick. Respekt Madame, dachte ich. „Mein Name ist Catherine Fontainé“, sagte sie dann. „Dan McLean. Aus Arlington in Texas.“ „Ein Cowboy!“ Sie lachte auf. „Dann ist es kein Wunder, dass sie so ruppig sind. Ich bin aber noch nie einem waschechten texanischem Cowboy begegnet.“ Dan wurde sauer. Er hasste es, als texanische Cowboy bezeichnet zu werden. Paul und ich stellten uns ebenfalls vor. Als Pauls Nachname fiel, fragte sie: „Sie sind Ire?“ Paul nickte verdutzt. Sie lächelte ihn breit an. “Wegen Ihrem Nachname, und Ihrer hellen Haut.“ Dan begann unterdrückt zu lachen. „Was ist so witzig?“ fauchte Catherine ihn wütend an, ihre braunen Augen blitzten. Dan blieb das Lachen im Hals stecken. Ich grinste in mich hinein. Dan räusperte sich vernehmlich. „Wir müssen unsere Maschine hier abstellen, wir wollen ’rüber zum Mont-St-Michel.“ „Sie müssen?“ erwiderte Catherine und zog eine perfekt gezupfte Augenbraue hoch. „Wir fragten Sie hiermit um Erlaubnis.“ Er kramte wieder seinen Blick hervor. Langsam ging mir Dan auf den Keks. Catherine dachte nach. Sie sah Paul mit funkelnden Augen an. „Am besten wir fragten den Flugplatzchef.“ Paul sah sie ebenfalls an und mir kam der Gedanke mit den Büschen wieder. Nur, dass er wohl dieses Mal auf Gegenseitigkeit beruhte. Dan nickte und sie ging voran zum Hangar zurück. Dan stapfte ihr nach. Ich ebenfalls, diesen Kerl konnte man nicht allein lassen. Auch Paul löste sich aus seiner Starre und schlenderte uns betont langsam hinterher. Nicht, dass wir auf die Idee kommen könnten, er fände Catherine heiß. Ich schaute mich ein wenig um, aber den LKW von vorhin sah ich nirgends. Catherine führte uns durch den Hangar, dann eine Treppe hoch in den Tower. Ein grauhaariger Mann stand vor dem großen Fenster. Hatte seine Hände auf dem Rücken verschränkt und sah auf das Vorfeld, wo die „Honey“ stand. „Monsieur Legrand?“ Catherine schaute in die Richtung des Mannes. Der Mann drehte sich um und lächelte verschmitzt. Er erinnerte mich an meinen Opa. „Ah, die Herrschaften aus dem Oldtimer.“ Wir nickten bestätigend. Den Kopf schütteln konnten wir schlecht, auch wenn es uns peinlich war, dass wir offenbar als unhöfliche Gäste betrachtet wurden. Dan räusperte sich, doch Catherine kam ihm zuvor: „Der Herr, ähm“ Sie tat so, als ob sie Dans Namen vergessen hatte. “Ah, McLean…“ Dan war beleidigt, und meine Achtung vor Catherine Fontainé war mittlerweile ziemlich hoch. „Mr. McLean“, nahm Catherine ihre Rede wieder auf. “Will seine Maschine ein paar Tage hier auf dem Platz abstellen. Er will Sie fragten ob sie noch Platz im Hangar haben.“ Monsieur Legrand sah mich an. Wieso denn mich? „Was wollen Sie denn hier in der Gegend?“ Sein Englisch war nahezu perfekt. Fast kein Akzent schimmerte durch. Ich besann mich darauf, kein Wort von unserem Auftrag zu sagen. „Wir machen ’ne kleine Besichtigungstour, zu Frankreichs Sehenswürdigkeiten.“ Ich lächelte. “Wir waren schon in Paris im Louvre, beim Eiffelturm und in Reims in der Kathedrale.“ Monsieur Legrand nickte. „Und? War es schön?“ „Sehr, sehr schön“ Ich heuchelte Begeisterung. „Echt interessant diese gotische Kathedrale.“ Dan warf mir einen Blick zu, zog die Mundwinkel spöttisch nach oben und schüttelte fassungslos, fast unmerklich den Kopf. Und ich fragte mich woher ich dieses Zeug überhaupt wusste. Gotische Kirchen, oh Mann. Ich hatte in der Schule wohl doch etwas mitgekriegt. Mich schüttelte es. Ich mochte so komische Kathedralen und Bauwerke nicht. Die waren mir zu langweilig. Paul stupste mich an, ich drehte mich um. Er zwinkerte. „Und was wollen Sie nun genau hier?“ bohrte Monsieur Legrand nach. „Zum Mont-St-Michel“, sagte ich. Monsieur Legrands Gesicht erhellte sich. „Dann haben Sie hier ja einen Glückstreffer gelandet.“ Ich schaute fragend. „Mademoiselle Fontainé war dort 3 Jahre lang Reiseführerin, sie kann ihnen sicher helfen.“ „Dann brauchen wir den Typ nicht mehr, den Stella und ich gefragt haben“, sagte Paul und sah zu Catherine, die zurücklächelte. „Wenn Mademoiselle Fontainé will kann sie gern mitkommen und uns helfen“, sagte Dan grinsend. Catherine warf ihm einen genervten Blick zu und rollte mit den Augen. „Ich helfe Ihnen gern“, sagte sie. Besonders Paul, dachte ich. „Monsieur Legrand, Sie können ja mit Mr. McLean die Sache mit dem Hangarplatz klarstellen, ich zeige derweil seinen Kollegen den Hangar, damit sie die Maschine reinstellen können.“ Dan wollte protestieren, er ließ mich nicht gern an ans Steuer, und sei es nur, um die „Honey“ in den Hangar zu rollen. Ich warf ihm einen Blick zu, der besagt er soll sich nicht so anstellen. Dan blieb also bei Monsieur Legrand zurück und Paul und ich gingen mit Catherine auf das Vorfeld. Catherine ging voraus und rollte das Hangartor zur Seite. Die Innenfläche war riesig, obwohl schon ziemlich viele Flugzeuge darin standen. Es waren alle möglichen Typen. Kleine Cessnas, ein paar Hochdecker, deren Namen ich gerade nicht wusste, und eine Antonow An-2, der größte Doppeldecker der Welt, die wohl für Rundflüge da war. „Haben Sie keine Zugmaschine hier, die uns in den Hangar ziehen kann?“ fragte Paul. Das wäre die einfachere Lösung gewesen. So mussten wir extra die Motoren anwerfen und dann in den Hangar rollen. Catherine schüttelte den Kopf. „Die ist vorhin weggefahren, sie hatte einen Crash mit dem Flugzeug von Monsieur Legrands Sohn.“ Wir grinsten beide. Was war Monsieur Legrands Sohn wohl für einer… Paul und ich klemmten uns hinter „Honeys“ Steuersäulen „Ich wusste gar nicht, dass du so gut schwindeln kannst“, sagt Paul und grinste mich an. „Manchmal kommen meine verborgenen Fähigkeiten zum Vorschein“, erwiderte ich lächelnd. Paul lachte. „Ich fand’s auch toll wie Mademoiselle Dan abgespeist hat.“ „Der benimmt sich immer als wäre er der einzige Mann auf der Welt. Das geschah ihm ganz recht so. “ Paul sah mir auf die Finger, während ich die Knöpfe drückte und die Hebel zog, um die Motoren zu starten. Ihm kam eine Idee, als er zu Catherine sah die am Hangartor stand und uns zu sich winkte. Eine Idee, von der verrückten Sorte. Ich war im Moment nur mit den Motoren beschäftigt. Um Pauls verwegene Ideen konnte ich mich gerade nicht kümmern. Endlich gab der linke Motor einen Schwall Rauch von sich und lief an. „Motor eins läuft“, meldete Paul und behielt das Instrumentenbrett im Auge. Der rechte soff mir ein paar Mal ab. Und nach ein paar weiteren Versuchen, sprang er dann doch an. Ich ließ die Bremse los und die Maschine machte einen Hupfer nach vorn. „Warte kurz“, sagte Paul, riss das kleine Seitenfenster auf und brüllte, gegen das Motorengrollen, nach Catherine: „He, steigen Sie ein, wir machen einen Rundflug.“ Ich haute verdutzt auf die Bremse. „Hey, wer macht hier ’nen Rundflug?“ „Hab dich nicht so, du brennst doch schon lange darauf, mal wieder selbst mit dieser Maschine zu fliegen.“ Ich protestierte weiter und fing an, wild mit den Händen herumzufuchteln. „Dan bringt mich um, wenn er uns sieht, und sehen tut er uns sowieso.“ Ein Grinsen erschien auf Pauls Gesicht. „Du kriegst als Entschädigung auch ’nen Kuss.“ Sprach es und setzte es in die Tat um. So schnell, dass ich gar nicht zum reagieren kam. „Du mieser Schuft.“ Ich fing an zu brüllen. Paul war schon aufgesprungen und öffnete Catherine die Luke. Ich nahm mich wieder zusammen. Ich wollte ja nicht als hysterisch gelten. Catherine kletterte geschickt durch die Luke und sah sich interessiert um. „Wow, tolle Maschine.“ Sie schien ziemlich beeindruckt zu sein. „Und der Ami-Texas-Knilch hat da nichts dagegen?“ Ich zuckte die Schultern und lächelte. „Der springt wahrscheinlich im Dreieck.“ Catherine lachte. Paul grinste ebenfalls. „Der war vorhin eh schon angefressen, weil Sie nicht auf seine Anmache hereingefallen sind.“ Catherine schnaubte verächtlich. „Ich lasse mich doch nicht von jedem abschleppen.“ Ich ließ die Motoren aufröhren und schwenkte auf die Startbahn ein. Weit und breit war niemand zu sehen, der unseren Start behindern könnte. Mir fuhr ein wohliger Schauer über den Rücken. Wie immer, vor dem Start. Ich konnte mir vorstellen, dass Dan gleich die Augen aus dem Kopf fielen, wenn wir am Tower vorbeirauschten. Oder er sprang vor Wut, aus dem Towerfenster und ging mir an die Gurgel. Die Tachonadeln ruckten nach oben. Die Maschine nahm Fahrt auf. Dann hob sich langsam das Heck in die Luft. Ich zog sanft am Steuerrad und die „Honey“ löste sich ganz vom Boden. Paul drückte auf den Fahrwerksschalter und es rumpelte kurz, als die Räder einrasteten. Catherine hatte sich auf den Klappsitz, hinter dem Pilotensitz, gesetzt und sah mir gespannt zu. „Schon mal in ’ner Dakota geflogen?“ fragte ich sie. Sie schüttelte den Kopf. „Dann zeige ich Ihnen mal, was sie alles kann“, sagte ich, riss das Steuer abrupt nach rechts und drückte das Seitenruder. Die „Honey“ legte sich auf die Tragflächenspitze. Sie neigte sich immer weiter zu Seite, lag auf dem Rücken und rollte dann über die andere Fläche zurück in die horizontale. Catherine war von ihrem Sitz geplumpst und rappelte sich mühsam wieder hoch. „Tut mir leid“, sagte ich. „Ich dachte, sie hätten sich angeschnallt.“ Hat ihr aber auch keiner gesagt… „Schon gut, “ sagte sie, ihre Augen leuchteten.“ Machen Sie’s noch mal!“ Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Ich spulte mein gesamtes Kunstflugprogramm ab. Schließlich wollte ich ihr ja was bieten. Was Dan konnte, konnte ich schon lange. Naja, vielleicht nicht alles. Immerhin war der Mal bei der US- Air-Force. Catherine hatte sich angeschnallt und jauchzte vor Vergnügen. Aber hinten flog unser Gepäck durch die Gegend. Taschen, Schachteln, Vorräte, Ersatzteile. Zum Schluss legte ich noch einen Tiefflug über den Tower hin und fegte aus Versehen eine Antenne vom Dach. Wir landeten und rollten dann direkt in den Hangar. Wo wir plötzlich von Dunklem Licht umgeben waren. Ich würgte die Motoren ab, was auch eleganter vonstatten gegangen wäre, sah den Instrumenten und Nadeln zu wie sie langsam zurücksanken. Paul schmiss die Luke auf und hängte eine Trittleiter ein. Wir kletterten raus und gingen durch das Tor hinaus. Auf dem Vorfeld sah ich plötzlich die Antenne liegen. Ich bekam ein schlechtes Gewissen. Das war sicher schon die dritte Antenne, die daran glauben musste. Catherine hatte es auch bemerkt und grinste vor sich hin. „Machen Sie sich nichts daraus, das passiert Jean dauernd.“ „Wer ist denn Jean?“ „Monsieur Legrands Sohn.“ „Ach so, der mit der Zugmaschine zusammengestoßen ist.“ Pauls Kommentar hatte gerade noch gefehlt. Aber wir mussten lachen, als wir uns das vorstellten. Wir gingen langsam zurück zum Tower und unterhielten uns. Catherine wollte wissen, wie lange wir schon flogen und wo unser Heimatflugplatz war. Ich schilderte ihr Hendon und unsere kleine Oldtimerflotte. Sie war hellauf begeistert und wollte uns unbedingt mal besuchen kommen. Mein Kunstflug hatte ihr auch gefallen, beteuerte sie. Auch, wenn sie jetzt einen blauen Fleck am Hintern hatte… Paul und ich wollten wissen, wie es in Mont-St-Michel war und in Frankreich im Allgemeinen ist. Sie erzählte uns von ihrer Wohnung, die ein wenig außerhalb von Avranches lag, und von der Stadt an sich. Dann erzählte sie uns von Mont-St-Michel. Von der Bauweise des Klosters, den Sammlerstücken im Museum und von Ebbe und Flut, die Mont-St-Michel mal zu einer Insel machen und mal nicht. Wir tappten die Treppe hoch und wieder in den Raum des Towers, in dem wir vorher schon waren. Als ich die Tür öffnete, sah ich einen wutentbrannten Dan und einen grinsenden Monsieur Legrand. Dan saß auf einem Stuhl und würdigte mich keines Blickes. Wenn er sich mühe gab kämen vielleicht noch kleine Rauchwölkchen aus seinen Ohren. Sollte er doch den Beleidigten spielen, wenn es ihm Spaß machte. Monsieur Legrand fing an meinen Flug zu loben und Dan wurde immer röter im Gesicht. „Was zum Teufel haben Sie denn?“ fragte ihn Catherine. Sie wollte ihm wohl Konkurrenz machen, so böse wie sie ihn anschaute. Dan gab ein halbverschlucktes Grunzen von sich. „Miss McAuliffe fliegt sehr gut, wenn ich das mal so sagten darf, “ sagte Catherine. Ich wurde rot. Soviel Lob hatte ich dann doch nicht erwartet. „Außerdem hat sie dem Flugzeug nicht mal ein Haar gekrümmt.“ Catherine stemmte die Hände in die Hüften. „Sie stellen sich aber auch an… Sie hat nur die Kisten ein wenig durcheinander gebracht.“ Dan sprang auf. „Genau deshalb wollte ich sie ja nicht ans Steuer lassen.“ Er sah mich sauer an. Ich zuckte nur die Schultern. „Sie wartet ja immer nur auf eine Gelegenheit zu fliegen und mir meine Maschine zu versauen.“ „Also, ich muss doch sehr bitten. Wer macht denn die Maschinen Schrott?“ Ich reckte angriffslustig das Kinn vor. „Du. Du machst die Maschinen Schrott.“ „Ach ja? Und wer hat die Spitfire letztes Jahr auf die Nase gelegt?“ Dan wurde rot, dieses mal vor Scham. „Das war wegen dem Seitenwind.“ Er hielt inne, und merkte selber wie abgedroschen die Ausrede klang. Catherine musste lachen, angesichts unserer verbissenen Streitgesichter. Dan versuchte es noch einmal. „Aber du hast die Hurricane so hart aufs Fahrwerk plumpsen lassen, dass der Reifen geplatzt ist.“ „Na gut, von mir aus. Wir sind quitt.“ Meine Streitlust verflog so schnell, wie sie gekommen war. Aber ich möchte nicht wissen, was er in seiner Air Force Zeit alles verbockt hat, dachte ich mir. „Übrigens…,“ Monsieur Legrand warf mir einen fragenden Blick zu. „Wir haben seit Ihrem Überflug keinen Funkempfang mehr.“ Paul gluckste unterdrückt. „Wir wohl das Wetter sein“, sagte ich leise. „Sie wissen doch, wenn Gewitter in der Nähe sind…“ Catherine klärte Monsieur Legrand schnell auf. Er fing nur an zu lachen, er war es wohl schon gewöhnt dauernd seine abgerissenen Antennen einzusammeln. Dan guckte immer noch beleidigt und Paul machte den Eindruck, als wollte er das alles endlich hinter sich bringen. Ich wollte eben fragen, wann wir nun endlich loslegen wollten, als mir ein lautes Heulen die Worte abschnitt. Ich drehte mich um und sah aus dem Fenster des Towers. Eine kleine, einmotorige Maschine kam frontal auf mich zugeschossen. Ich starrte genau auf ihre Luftschraubennabe, die rot lackiert war und auf den silbernen Propellerkreis. So was fiel mir in solchen absurden Situationen auf… Catherine schaute ebenfalls irritiert aus dem Fenster, ihr Blick schweifte zu dem Flugzeug, dann zu mir und als unsere Blicke sich trafen, warfen wir uns gleichzeitig mit einem Aufschrei zu Boden. Ich landete unter Dans Stuhl, der verwirrt zu mir herunterguckte. Das Heulen wurde noch lauter und schwoll dann zu einem ohrenbetäubenden Krach an, dann wurde die Maschine hochgerissen und scherte über den Tower hinweg. Paul, Monsieur Legrand und Dan waren gar nicht dazu gekommen, sich hinzuwerfen. Ich rolle mich schnaufend auf den Rücken. „Gott sei Dank…Ich lebe noch…“ Ich sah zu Dan hoch, der breit grinste. Dann sah ich mich um und sah Catherine zu, die sich aus den Bestandteilen des Mülleimers schälte, den sie umgeschmissen hatte. Sie fluchte unterdrückt und begann dann peinlich berührt zu kichern, als Paul ihr aufhalf und Papierfetzen von ihren Klamotten klaubte. Dan streckte mir ebenfalls seine Hand hin und zog mich hoch. „Seit wann denn so schreckhaft?“ neckte er mich. Ich ignorierte seinen Kommentar. Als ich einen Blick aus dem Fenster warf, landete eben die kleine Einmotorige. Monsieur Legrand sah nach Catherine. „Eigentlich solltest du doch wissen, dass das Jeans liebste Tricks sind.“ Catherine lächelte nur vor sich hin. „Ach, das war ihr Sohn, der mit der Zugmaschine zusammengestoßen ist?“ Ich kratzte mich nachdenklich am Kinn. Monsieur Legrand nickte. „Er ist ein weinig verrückt, wenn’s ums Fliegen geht. Aber sonst ist er ganz OK.“ „Ganz OK…“ murmelte ich vor mich hin. Gerade eben hatte er beinahe Köpfe rollen lassen, aber sonst sei er ganz ‚OK’. Das Flugzeug rollte aus und verschwand aus meinem Blickfeld. Drei Minuten später flog die Tür auf und knallte gegen die Wand, sodass der Putz bröckelte. Ein braunhaariger junger Mann marschierte herein. Er warf uns ein „Bonjour“ an den Kopf und schmiss seine Fliegerkappe auf einen Schreibtisch. Dann ging er durch eine kleine Tür hinaus, wo sich im Nebenzimmer eine kleine Küche befand, wie uns Catherine gerade erklärt hatte. „Ist das Jean?“ Ist das einzige, was ich herausbrachte. Monsieur Legrand nickte und griff sich in einer, verzweifelt anmutenden Geste an die Stirn. „Ich weiß nicht was ich falsch gemacht habe…“ Paul wiegelte grinsend ab. „Das können Sie immer noch seiner Mutter in die Schuhe schieben.“ Catherine warf mir einen Blick zu und ich rollte mit den Augen. Plötzlich kam Jean zurück, mit einer Kaffeetasse in der Hand, setzte sich an seinen Schreibtisch und legte die Füße auf den Tisch. Monsieur Legrand bellte ihn auf Französisch an. Jean nahm widerstrebend die Füße vom Tisch und grinste mich dabei schelmisch an. Ich lächelte zurück und sah dann auf die Uhr. Es war fast achtzehn Uhr. Zu spät um noch den Mont-St-Michel zu besuchen. Dann machten wir es eben morgen und suchten uns heute ein lauschiges, kleines Hotel irgendwo in Avranches. Wäre mir sowieso ganz recht, ich mochte nämlich am liebsten nur noch was zu Essen, Duschen und dann ins Bett. Paul hatte wohl den gleichen Gedanken, denn er fragte Dan, wo er denn zu übernachten gedenke. Dan zuckte die Schultern, fragte aber Monsieur Legrand nach einem Auto, dass er uns leihen konnte. Er hatte sogar eins und gab Dan, in vollem Vertrauen, die Autoschlüssel. Catherine sagte noch, sie erwarte uns morgen um zehn Uhr hier auf dem Flugplatz. Dann würden wir uns auf den Weg zum Mont-St-Michel machen. Wir verabschiedeten uns und Catherine brachte uns noch zu der Garage, wo das Auto stand. Dan inspizierte den Kofferraum und wir holten unsere Reisetaschen aus der „Honey“. In dem Chaos, das seit dem Kunstflug herrschte, mussten wir erst eine weile suchen bis wir sie fündig wurden. Alles war durcheinander gepurzelt, unsere Essensvorräte, wo das Obst jetzt wahrscheinlich nur noch Matsch ist, die Zelte, die wir immer dabeihatten, falls kein Hotel in der Nähe war, und eben unsere Reisetaschen. Wir stopften alles ins Auto. Der Kofferraum war mit meinem Koffer schon fast voll, was die Jungs zum Anlass nahmen, mich wieder als typische Frau hinzustellen, die immer alles was sie nicht brauchen mitnahmen. Paul fing beinahe an, mit Dan zu prügeln, weil er unbedingt ans Steuer wollte. Ich wurde von einer schockierten Catherine gefragt, ob die sich immer so benahmen. Schließlich stiegen wir ein und brausten los. Ich winkte Catherine zu und Paul saß zufrieden am Steuer und pfiff „Whiskey In The Jar“ vor sich hin… Kapitel 2: ----------- Innerhalb von zwanzig Minuten hatten wir es bis ins Zentrum von Avranches geschafft. Wir hatten uns bei einem ‚Office du Tourisme’ einen Stadtplan besorgt und navigierten nun quer durch die Stadt. Der nette Typ in dem Fremdenverkehrsamt hatte uns auch die Adresse von einem guten Hotel gegeben, das wir eine Weile vergeblich suchten. Das einzige was wir andauernd fanden waren verflixte Einbahnstraßen, Kreisverkehre und Stopp-Schilder. Und Franzosen in Renaults oder Peugeots die uns anhupten, wenn Paul mitten auf der Straße wendete. Eigentlich war die Stadt wirklich schön. Man sah kleine Straßencafés, boulangeriés, pâtisseries, boucheries, und épiceries. Paul hielt bei einer pâtisserie an, eine, die durch Zufall, um diese Zeit noch offen hatte, und kaufte jedem ein Croissant. Wir bröselten das Auto voll und genossen Frankreichs bekanntestes Gebäck, nach dem Baguette. Laut Karte müssten wir schon längst da sein, aber auf Pauls Fahrkünste hatte ich noch nie viel gegeben. Ich lehnte mich zurück und fächelte mir mit der Straßenkarte Luft zu. Obwohl es schon nach sieben war, hatte es immer noch 25 ºC und das Auto hatte keine Klimaanlage. Dan war genervt und jammerte ständig herum, Paul sollte doch ihn endlich ans Steuer lassen, dann wären wir schon längst da. Paul gab zurück, dass er ihm lieber helfen sollte anstatt ständig zu nörgeln. Ich hielt mich da raus und versuchte ihnen Straßennamen zu buchstabieren. Doch irgendwie klappte das heute nicht. Meine beiden Piloten stritten, ich konnte kein französisch, wir hatten uns verfahren und Hunger hatten wir auch noch. Ich fing auch an zu jammern. Die sollten endlich irgendwo anhalten, wo’s was zu essen gab. Nachdem wir weitere zwanzig Minuten orientierungslos herumgefahren waren, bogen wir endlich auf die „Rue Fortuny“ ein, die auch auf der Adressangabe des Hotels stand. Prompt landeten wir vor einem Schild, auf dem stand „Hotel Renard“. Ich fing vor Freude an zu schreien. Auch Dan und Paul waren erleichtert. Wir suchten noch einen Parkplatz, dann gingen wir hinein und schauten nach der Rezeption. Ich hatte keine Lust mehr irgendwelchen Franzosen, die kein Englisch konnten, mit Gesten alles zu erklären und ließ Dan den Vortritt. Er ging schnurstracks an die Rezeption und redete die Dame auf Englisch an. Ich und Paul ließen uns auf freie zwei Sessel in der Lobby fallen und warteten ungeduldig. Wir spielten auf Pauls Handy eine Weile Solitaire und als es uns zu langweilig wurde, dichteten wir den Leuten, die in der Lobby herumliefen, Geschichten an. Nach fünf Minuten kam Dan und holte uns. Er winkte mit einem Schlüssel. Ich verzog das Gesicht. Ich wollte nicht mit denen ins Zimmer, die schnarchten nämlich. Doch Dan erklärte, er habe eine Suite gebucht, die zwei Zimmer hatte. Mir fielen fast die Augen aus dem Kopf. Eine Suite? Für uns? Was hatte ihn denn da geritten? Sonst war er immer sparsam, und ließ uns ständig in Zelten schlafen. Ich freute mich wie ein kleines Kind. Und Paul, der alte Nörgler, fragte was der Spaß gekostet hatte. „Och, nur dreihundert Euro für die Nacht, “ sagte Dan. „Dreihundert Euro? Bist du von allen guten Geistern verlassen?“ Paul warf die Hände in die Luft. Dan verschränkte die Arme. „Willst du lieber im Auto schlafen? Die haben nämlich nur noch das Zimmer.“ Paul grummelte weiter. „Aber dreihundert Euro…“ „Pauul? Hör doch auf zu jammern, in England ist das alles noch teurer.“ Ich wollte jetzt nicht schon wieder Streit. „Da ist ja auch alles in Pfund.“ Paul gab nicht nach. Dan fauchte ihn an. “Für ein Pfund kriegen wir hier viel mehr, als in England. Jetzt stell’ dich nicht an wie ein Depp, oder du kannst im Auto schlafen, wenn es dir nicht passt.“ Die Leute in der Lobby hatten uns die Köpfe zugewandt und folgten gespannt unserer ‚Unterhaltung’. Ich kam mir so richtig blöd vor. Und irgendwie war mir das Ganze peinlich. Dan war in seinen amerikanischen Slang verfallen und Paul in seinen irischen. Und keiner verstand den anderen richtig. Aber brüllen taten sie. Ich nahm Dan den Schlüssel aus der Hand und ging zum Aufzug. Die beiden motzten sich weiter an, aber als ich in den Aufzug stieg, besannen sie sich wieder in ihren Normalzustand und nickten den Leuten im vorbeigehen entschuldigend zu. Meine Aufzugtüren schlossen sich gerade und ich war allein. Ich hing meinen Gedanken nach. Ich dachte an diesen Ballinger. Ich hoffte er hatte noch keine Informationen über Michel gesammelt, die ihm halfen den Helm zu finden. Wir mussten selbst bald anfangen zu suchen. Es war immer gefährlich, wenn wir schon wussten, dass jemand auf unserer Spur war und dass er das gleiche Ziel hatte. Wenn wir den Helm vor ihm fanden, dann konnten wir uns schon jetzt darauf einstellen, dass Ballinger uns bald auf der Spur war. Ich wusste nicht, wie er das jedes Mal schaffte, aber irgendwie fand er uns immer, wenn wir noch an Ort und Stelle waren. Entweder er hatte einfach nur Glück, oder gute Kontakte, die ihm diese Informationen bescherten. Ich würde auf seine Spitzel tippen. Er hatte drei davon, die ihm immer auf den Fersen sind und alles erledigen was er ihnen befahl. Es waren immer dieselben. Sie heißen Will Rodriguez, Brad Tunner und Vernon Pears. Mit denen lagen wir schon öfters im Clinch. Sie hatten schon versucht unserer „Honey“ die Motoren zu zerschießen. Oder auch die Zündkerzen manipuliert, sodass wir nicht starten konnten und uns mit ihnen eine Schießerei liefern mussten, bei der die „Honey“ einige Löcher im Rumpf abbekam. Aber all das konnte unsere treue Seele nicht außer Gefecht setzen. Es bescherte Paul zwar einige Überstunden, bis er die ganzen Löcher wieder geflickt hatte, aber letztendlich hat er es doch geschafft. Ich wusste auch immer noch nicht, wie wir Catherine da heraushalten konnten. Vielleicht sollten wir ihr vorher alles erzählen. Oder einfach auf gut Glück hoffen, dass Ballinger uns nicht seine Spitzel auf den Hals hetzte. Die Aufzugtüren schoben sich auf und ich sah mich Dan und Paul gegenüber, die mich schnaufend und keuchend ansahen. „So“, sagte Dan und holte Luft. „Auch schon da.“ Ich machte auf unschuldig. „Gab es keinen zweiten Aufzug?“ Dan grinste und schüttelte den Kopf. Paul keuchte immer noch. Vielleicht sollte er weniger Essen. Wir suchten unsere Zimmernummer und schlossen auf. Mir blieb die Luft weg. So ein Zimmer hatte ich noch nie gesehen. Der einzige Raum war so groß, wie alle Zimmer in meinem Apartment in London zusammen. Die Wände waren orange-gelb gestrichen und der Boden zur Hälfte mit Parkett belegt, die andere Hälfte mit einem sonneblumengelben Teppich. Schöne Bilder hingen an den Wänden. Eins zeigte eine toskanische Landschaft, das andere einen See, an dem Fischer saßen. Es gab ein zwei große Sofas, drei Sessel, einen kleinen Tisch auf dem eine Vase mit weißen Lilien stand und einen Flachbildschirmfernseher. Im hinteren Teil des Raumes befand sich ein Bett, das mit einer halben Wand von dem Rest des Zimmers abgetrennt war. Rechts von uns war eine Tür, die zu einem Zimmer mit zwei Einzelbetten führte. Und links ging es in ein schön eingerichtetes Badezimmer, mit einer Badewanne, von zwei Metern Länge und Breite und einer Dusche. An den Wänden waren Mosaike, die Fische und Unterwasserlandschaften zeigten. Paul spazierte schnurstracks in das Zimmer, mit den zwei Betten, und tauchte nicht mehr auf. Dan inspizierte derweil das Badezimmer. „Und wer holt jetzt die Koffer?“ fragte ich in den leeren Raum. Dan streckte seinen Kopf hinter der Badezimmertür hervor. „Die von der Rezeption haben gesagt ein Page bringt uns das Zeug. Ich habe denen den Autoschlüssel gegeben.“ Er verschwand wieder und ich hörte Wasser in die Wanne plätschern. Ich nahm mir das Bett an der hinteren Wand, unter einem großen Bild mit Sonnenblumen, und schlug das Laken zurück. Plötzlich klopfte es an der Tür. Ich verließ das Bett wieder und öffnete. Der Page stand vor der Tür und hatte einen riesigen Kofferwagen neben sich stehen. Der größte Koffer war natürlich meiner, wahrscheinlich bekam der arme Kerl davon noch Rheuma. Er fragte mich irgendwas, aber ich verstand ihn nicht. Ich zuckte mit den Schultern und er wiederholte sich auf Englisch. Er wollte wissen, wo er das ganze Zeug hinstellen konnte. Ich winkte ihn herein und er lud die Koffer neben der Tür ab. Paul kam aus seinem Zimmer und gab dem Pagen einen Zehn-Euro-Schein. Der Page bedankte sich und ging wieder hinaus. Und Paul schmiss sich wieder aufs Bett. Ich hievte meinen Koffer hoch und trug ihn mit viel Geächze und Gestöhne zu meinem Bett, stellte ihn auf den Stuhl, der daneben stand und suchte mir Klamotten heraus, die ich zum Abendessen anziehen wollte. Man sollte sich hier ein bisschen eleganter anziehen hatte Dan gesagt. Also nahm ich ein weinrotes, knielanges Kleid mit einem passenden Blazer und schwarze Pumps. Wenn Dan endlich fertig wurde, dann könnte ich auch noch Duschen. Aber solange der in der Wanne saß, wollte ich nicht in die Dusche. Man hatte schließlich noch ein gewisses Schamgefühl. Nach einer Viertelstunde reichte es mir. Da sagte man immer, dass Frauen im Bad solange brauchten und dann machte man selbst die Regel zunichte… Ich zog mich aus und wickelte mir ein Handtuch um, dann spazierte ich ins Bad, wie eine Königin, die einen Ballsaal betrat. Dan lag mit geschlossenen Augen in der Wanne und setzte sich verdutzt auf, als ich hereinkam. „Du brauchst dich nicht beeilen, mach’ nur die Augen zu bis ich in die Dusche gestiegen bin, “ sagte ich zu ihm und drehte mich um. Er sah mir nach, sagte aber nichts. Ich spürte seinen Blick genau. Wahrscheinlich hoffte er, mir würde jetzt das Handtuch herunterfallen und er könnte einen Blick auf meinen Hintern oder sonst wohin werfen. Ich öffnete die Duschtür und stieg in die Dusche. Das Handtuch warf ich einfach auf den Boden. Als ich das Wasser aufdrehen wollte, fiel mir plötzlich auf, dass kein Shampoo da war. Schöne Scheiße. Ich konnte doch jetzt nicht rausgehen. Also, rief ich halt nach Dan. Ich hörte ein genervtes Stöhnen, als er aus der Wanne aufstand. Da riss er plötzlich die Duschtür auf und stand, mit einem Handtuch um die Hüften, vor mir. Ich dagegen stand splitterfasernackt vor ihm. Ich kreischte wie eine hysterische Henne los und er hielt mir reflexartig den Mund zu. „Halt doch die Klappe, du hast doch nach mir gebrüllt. Woher soll ich denn wissen, was los ist?“ Er sah mich aus seinen braunen Augen an. Seine dunklen Haare fielen ihm ins Gesicht und verdeckten fast seine Augen. Ich kannte diesen Blick zur Genüge. Es war nicht der berühmte Blick. Es war eher ein Blick, den ich nicht näher beschreiben wollte. Ich nahm seine Hand weg. „Gib mir das Handtuch.“ Er grinste. „Das hättest du wohl gern.“ „Gib mir sofort das Handtuch.“ Meine Stimme war leise und klang herausfordernd. „Dann brüll’ nicht nach mir, wenn du nackt herumstehst.“ Er beugte sich vor und nahm mein Gesicht zwischen seine Hände. „Ich will doch nur ein Shampoo…“ jammerte ich. Einen Grund zum jammern hatte ich eigentlich nicht. Ich und Dan hatten mal eine kurze Affäre miteinander, nach der er mich leider geflissentlich ignoriert hat. Den Grund kannte ich nicht. Aber es gab da mal ein Missverständnis, nachdem ich mit einem Piloten von der benachbarten RAF-Basis herumgemacht habe. Das war aber nur, weil er sich dauernd mit so einer Tussi aus London getroffen hatte. Glaubte der, ich wartete ewig auf ihn? Jetzt sah ich, dass er doch nicht ganz vergessen hatte, was da zwischen uns war. Ich wusste gar nicht, was ich jetzt tun sollte. Er nahm mir die Entscheidung ab und küsste mich sanft. Er schlang seine Hände um meine Hüften und drückte mich an sich. Ich spürte seine wachsende Erregung und erwischte mich dabei, wie ich seinen Kuss erwiderte. Seine Lippen waren weich und seine Zunge spielte mit meiner und ich bekam jetzt so richtig Lust. Er zog mich aus der Dusche und drückte mich gegen die Wand. Wir sanken langsam zu Boden. Dan ließ mich kurz los und legte sein Handtuch auf den warmen Boden. Gut das es Fußbodenheizung gab. Eine gute Erfindung für heiße Spielchen auf dem Badezimmerboden. Er legte sich wieder auf mich und trieb sein Spielchen weiter. Seine Hand schob sich langsam meinen Bauch hinunter. Bei mir begann es an unterschiedlichen Stellen zu kribbeln. Doch bevor er die Gefahrenzone erreichte, ging die Tür auf und Paul stand da. Seine Augen weiteten sich. Er machte den Mund auf, aber keine Worte kamen heraus. Er sah aus wie ein Fisch auf dem Trockenen. Dann nahm er sich zusammen. „Für sowas gibt’s doch Betten.“ Seine Stimme war heiser, er drehte sich um und ging wieder hinaus. Ich stieß Dan weg und stand auf, die Stimmung war sowieso zunichte. Er protestierte und hält mich am Fußgelenk fest. „Was ist denn? Nur weil Paul uns gesehen hat?“ Ich schüttelte den Kopf. „Weshalb dann?“ „Ich stehe nicht auf Sex auf dem Badezimmerboden. Ist ziemlich hart. Ein Bett wär’ doch besser.“ Er prustete verächtlich und rappelte sich hoch. Dann wickelte er sich sein Handtuch um die Hüften. „Komm einfach, wenn du Lust hast.“ Er zwinkerte und ich wurde knallrot. Natürlich hatte ich Lust. Aber nicht, wenn ich dabei erwischt wurde. Und noch dazu von einem guten Freund. Und der dann wahrscheinlich sonst was dachte. Ich hielt auch nichts von Leuten, die es auf Freibadwiesen trieben, wo einen jeder sah… So was gehörte sich einfach nicht. Klar, wenn man es am Strand machte, dann war der Nervenkitzel da, erwischt zu werden und da war es auch ganz lustig. Man, musste ich es nötig haben, dass ich mich sogar auf dem Boden einen Bescheren ließ. Ich zog mir einen Bademantel an, der an einem Haken hing, dann öffnete ich die Tür und ging wieder ins Hauptzimmer. Nirgends war ein Paul zu sehen. Verdammt. Der fühlte sich jetzt wahrscheinlich persönlich belästigt. Ich rief nach ihm und bekam natürlich keine Antwort. Mir kam das dann doch komisch vor. Sonst war Paul auch nicht so. Ich hatte nicht gehört, dass er hinausgegangen wäre. Ich ging nach vorne zur Tür. Langsam, Schritt für Schritt. Vielleicht hatte er sich versteckt und wollte uns als Rache einen Schrecken einjagen. „Paul?“ Plötzlich sah ich rechts von mir Paul stehen. Hinter ihm stand ein dunkel gekleideter Typ, mit einer Maske über dem Gesicht, und hielt ihm eine Pistole an den Kopf. Eine 44er Magnum. Verflixt, wie war denn der hier hereingekommen. „Bleiben Sie ruhig stehen, oder ihr Freund hat ein Loch mehr im Kopf.“ Ich blieb wie erstarrt stehen. Meine Gedanken hüpften wie rammelige Kaninchen durcheinander. James Bond hätte jetzt nur hämisch gelacht und Indiana Jones würde ihm einen coolen Spruch an den Kopf werfen. Aber meine Knie zitterten gerade und mir fiel gar nichts Geistreiches ein. Außer, dass dieser Typ eine verdammte Knarre an Pauls Kopf hielt. Bevor ich weiter zum Nachdenken kam, wurde ich plötzlich von hinten zu Boden gestoßen. Ich riss reflexartig die Hände nach vorne und schrammte sie mir auf dem Parkettboden auf. Jemand drehte mich grob auf den Rücken und setzte mir eine Pistole genau vor die Nase. Ich sah in das Gesicht des Typen. Er trug keine Maske. Es war einer von Ballingers Spinnern. Ich glaube der hieß Pears und der andere Rodriguez. Das hatten wir ja wieder toll hinbekommen. Die hatten uns wahrscheinlich schon seit dem Flugplatz verfolgt und auf so eine Gelegenheit gewartet. Ich muss Dan warnen, schoss mir durch den Kopf. Ich sah Pears an und sagte laut zu ihm: „Richten Sie Ihrer Mutter aus, sie soll in ihrem Zimmer bleiben. Sonst wird es gefährlich für sie.“ Der Kerl sah mich an, als ob ihn nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte, und tippte sich an die Stirn. Ich kam mir selber schon so vor. Ich hoffte nur, dass Dan das irgendwie gecheckt hatte. Rodriguez schüttelte nur den Kopf. „Das Mädel hat wahrscheinlich einen Schock bekommen, als du sie zu Boden geworfen hast.“ Pears erwiderte: „Sie ist eh nur eine Blondine, die haben sowieso nicht alle beisammen.“ Er sah seinen Kumpanen Beifall heischend an. Doch der grinste nur müde. Verdammter, unverschämter Idiot. Jetzt wurde ich hier auch noch beleidigt. Zuerst blieb mir der verdiente Orgasmus versagt, dann hielt jemand Paul eine Pistole an den Schädel und ich wurde zu Boden geschmissen, und zum Schluss wurde ich noch wegen meinen Haaren verarscht. „Was soll das, du blöder Idiot?“ Ich konnte mich einfach nicht beherrschen. „He, die kann ja doch was produktives sagten“, meinte Rodriguez verächtlich. „Dann können die uns ja sicher auch was über den Helm des Michel sagten“, sagte der Typ, der halb auf mir drauf saß. Ich sagte gar nichts. Da konnte er warten bis er schwarz wird. Oder bis Dan kam und ihm eins über die Rübe zog. Und der hatte meine verschlüsselte Nachricht wohl sogar kapiert, denn bisher war er nicht aus dem Badzimmer getrabt. Ich fragte mich, wieso die Typen nicht längst nach ihm gesucht hatten. Die müssten doch wissen, dass wir zu dritt waren. Aber wenn meistens Mr. Ballinger für sie dachte, verkümmerte das Hirn wahrscheinlich… „Wird’s bald?“ Pears gab mir einen Stoß in den Bauch. Ich ächzte vor Schmerz. „Lass sie in Ruhe“, sagte Paul wütend. „Willst du uns dann vielleicht alles erzählen?“ Rodriguez drückte ihm die Pistole fester an den Kopf. Doch Paul presste nur die Lippen zusammen und die Wut schien ihm aus den Augen zu sprühen. „Er wird euch gar nichts sagten.“ Dan kam aus dem Badezimmer. Er hatte seine Klamotten an, hielt seine Smith&Wesson in der Hand und hatte sie genau auf Pears gerichtet, der Dan den Rücken zuwandte. Rodriguez gab einen Fluch von sich. Pears drehte sich langsam um und erhob sich. „He Mann, du wirst mir doch wohl nicht in den Rücken schießen?“ Dan legte den Kopf schief. „Ach, glaubst du?“ Pears, der Hosenscheißer, zog den Kopf ein und ging Richtung Rodriguez. Rodriguez bellte ihn an, er solle gefälligst vorne bleiben. Ich lag immer noch auf dem Boden. Dan nickte mir zu, und ich stand auf und hielt mir meinen Bauch. Der Kerl musste ja auch so doll zuhauen Ich wusste gar nicht, dass Dan seine Knarre dabeihatte. Aber ich wusste ja auch nicht, wo er sie versteckte. Ich vermutete an der Wade. Da fiel sie am wenigsten auf. „Leg’ die Pistole auf den Boden“, sagte Dan zu Rodriguez. Als der keine Anstalten machte, brüllte Dan ihn an: „Muss ich deinem Kumpel erst ins Bein schießen?“ Er senkte die Stimme. „Das wäre Mr. Ballinger sicher nicht so recht. Angeschossen seid ihr nur Last für ihn. Dann wird er euch wohl entlassen.“ Aus seiner Stimme klang pure Verachtung und seine Augen blitzten vor Wut. Rodriguez legte die Pistole auf den Boden und hob die Hände. „Schieb’ sie mit dem Fuß ’rüber zu mir.“ Dan machte eine Handbewegung. Rodriguez tat, wie ihm geheißen. „Heb’ sie auf, Stella.“ Ich hob das Ding auf und hielt sie mit beiden Händen fest und auf die beiden Spinner gerichtet. Rodriguez murmelte: „Nimm der Kleinen das Ding weg, bitte.“ Und Pears sah Dan jammervoll an. „Die hat so einen irren Blick…Da bekommt man ja Angst.“ Dan grinste mich an. „Ich finde nicht, ich finde sie schaut süß aus.“ „Süß ja?“ Rodriguez war schockiert. Dan sah wieder zu den beiden. „Und nun zu euch.“ Er blickte Rodriguez und Pears mit einem Todesblick an. „Lasst Paul los.“ Rodriguez gab Paul einen Stoß und er flog halb zu uns herüber als das er ging. „So, und hier verschwindet jetzt, und richtet eurem Chef aus, er wird keine Chance auf den Helm von Michel haben. Egal, was er versucht.“ Paul fauchte Dan an. „Du willst sie nicht erschießen?“ „Nur, wenn du den ganzen Dreck wieder wegmachst.“ Dan grinste. Ich rollte genervt mit den Augen. In solchen Situationen machte der auch noch Scherze. Die beiden Kerle machten, dass sie wegkamen. Paul warf ihnen wütend eine Vase hinterher, traf aber nur Pears am Hintern, der dann fluchend die Beine in die Hand nahm und schaute, dass er wegkam. Wir wussten immer noch nicht, wie die hier herein gekommen waren. Ich schaure mir die Tür an. Der Schlüssel steckte außen und ich begann in schottischem Dialekt vor mich hin zu fluchen. Ich zog den Schlüssel ab und warf die Tür hinter mir zu. Dan sah nachdenklich auf den Schlüssel, als ich ihn ihm zuwarf. „Der war außen, hm?“ „Sehr richtig.“ Ich war jetzt sauer. Darauf, dass wir manchmal so leichtsinnig und kopflos waren. Kopflos wären wir vielleicht schon bald gewesen, wenn das gerade schief gegangen wäre. „Na ja, ich schlage vor, wir gehen erst mal was essen. Die Kerle sind wir erst mal los.“ Paul gähnte und klopfe sich dann grinsend auf den Bauch. Der hatte echt die Ruhe weg. Aber Hunger hatte ich auch. Ich sprang unter die Dusche, dieses Mal mit Shampoo und spulte danach die Make-up-Haar-Prozedur im Schnelldurchlauf ab. Dann rannte ich wieder ins Zimmer und zog mich schnell an. Meine Jungs waren schon fertig und warteten. Geduldig, ausnahmsweise. Dan hatte die Smith&Wesson wieder im Hohlster verstaut. Wenn uns die Bullen erwischten, wurden wir sicher alle eingebuchtet, das sah ich schon kommen. In meinem Koffer lag nämlich eine kleine SigSauer. Und Paul hatte eine Glock. Dan dazu noch ein Messer und ein Pfefferspray. Schatzjäger zu sein, war eben ein gefährlicher Job… Aber man konnte auch übertreiben, wie wir… Ich saß ratlos vor der Menükarte. Wieso war denn da alles in Französisch? Gab’s hier gar keine Touristen, die das in Englisch lesen wollten? Paul zog ein Mini-Wörterbuch aus seiner Hosentasche und mühte sich ab. Ich wusste zumindest, dass eine typische französische Mahlzeit aus drei Gängen bestand: Entrées oder hors d’oeuvre, also Vorspeise. Dem Hauptgericht plat principal und den Nachtisch, entweder sorbet, mousse, créme oder pâtisserie. Wir entschieden uns mithilfe des Wörterbuchs als hors d’oeuvre für einen Friséesalat mit knusprigen Speckstreifen. Als Hauptgericht für eine gebackene Seezunge mit Butter und als Dessert für Eiscreme mit Karamelsauce. Mit vielen Sprachhindernissen verklickerten wir es dem Ober. Aber schließlich bekamen wir alle unser Essen und schlugen uns den Bauch voll. Dan bestellte einen französischen Wein, einen Bordeaux, und wir stießen an. Darauf, dass wir Ballingers Spitzeln eins verpasst hatten. Wir besprachen noch eine Weile, wie wir morgen vorgehen sollten. Dan meinte wir sollten Ballinger finden und ihm eins verpassen, dafür dass er seine Spitzel in unser Hotelzimmer geschleust hatte. Ich fand wir sollten nur seine Spitzel suchen und irgendwo verdreschen und Paul fand wir sollten einfach nur ins Bett gehen und morgen mit dem ganzen Krampf weitermachen. Ich und Dan stimmten ihm einstimmig zu. Wir kippten uns den letzten Wein hinter die Binde und machten uns dann auf, in unser Zimmer. Kapitel 3: ----------- Am nächsten Morgen schien die Sonne durch die orange-gelben Vorhänge, und tauchte das ganze Zimmer in grellgelbes Licht. Der Wecker piepste eine Weile munter vor sich hin. Dan öffnete schlaftrunken die Augen, schlug auf den Wecker, grummelte kurz und rollte sich auf die andere Seite. Paul redete irgendetwas im Schlaf und hatte den Mund offen stehen. Ich hatte die Augen fest geschlossen und wollte nicht auf den Wecker sehen, weil ich schon wusste, das es eine verdammt unmenschliche Zeit zum aufstehen für mich war. Ich war einfach kein Frühaufsteher, das sollte Dan eigentlich wissen, wenn er den Wecker stellte. Ich öffnete schließlich doch die Augen und schaute nach. Mensch, viertel nach sieben. Ich drehte mich ächzend um und schloss wieder die Augen. Ich musste wieder eingeschlafen sein, denn plötzlich rüttelte jemand an meiner Schulter und versuchte mich wach zu kriegen. Ich riss die Augen auf und schloss sie schnell wieder. Es war Paul. Seit wann war denn der schon wach? Der war manchmal noch schlimmer mit dem Schlafen als ich. Ich fauchte ihn an, er soll mich in Ruhe lassen, was ihn nur dazu verleitete, blöd zu grinsen. Er sagte, Dan wäre schon frühstücken gegangen. Ich öffnete ein Auge. „Na und?“ „Mist!“ grummelte Paul. „Ich dachte, damit kriege ich dich.“ „Du kriegst gleich Probleme, wenn du weiter versuchst mich aus dem Bett zu bringen“, knurrte ich. Er grinste nur und zog sich ein Hemd an. Dann ging er hinunter zum Frühstück und ich war allein im Zimmer. Dann hatte ich wenigstens Ruhe meine Haare zu machen und mich zu schminken. Ich war eigentlich kein Mensch, der nur auf das schaut, aber neben Catherine wollte ich nicht untergehen… Nicht, dass ich neidisch wäre, Nein. Aber ich wollte einfach nicht nur in Jeans und T-Shirt, neben diesem französische, Modelähnlichen Wesen stehen. Ich suchte mir ein Sommerkleid heraus, das mit gelben und roten Blumen bedruckt war. Und ich nahm eine große Sonnenbrille mit. Vielleicht wurde ich doch mal für ’nen Promi gehalten, wenn ich zumindest so tat, mit Sonnenbrille und so… Ich holte noch meine Ballerinas heraus und schmiss die anderen Klamotten in meinen Koffer, machte ihn zu und stellte ihn zu Dan und Pauls, die an der Tür stehen, bereit abgeholt zu werden. Dann stolzierte ich hinunter zum Frühstückssaal. Dan und Paul warteten schon ungeduldig. Sie schauten mich ein bisschen schief an, als ich so hinunter kam. Aber sie enthielten sich jeglichen Kommentars. Wir aßen Croissants, Brioches und Pains au chocolat und tranken Cappuccino. Ja, sowas gab’s nicht nur in Italien. Schließlich gingen wir zur Rezeption und bezahlten. Draußen hatte man Monsieur Legrands klapprigen Wagen vorgefahren und mit unseren Koffern beladen. Wir stiegen ein und los ging’s. Dieses Mal saß Dan am Steuer. Als wir auf den Flugplatz fuhren, wartete Catherine schon auf uns. Und? Was hatte sie an? Ich reckte meinen Hals nach vorne. Dan knurrte, ich solle verflixt noch mal sitzen bleiben. Verdammt, sie hatte Jeans und T-Shirt. Scheibenkleister, ich kam mir so richtig doof vor. Naja, ein T-Shirt war es nicht wirklich, eher eine knappe Bluse. Und ihr Dekollete war auch noch größer als meins. Ich fragte mich, was ich eigentlich für ein Problem hatte. Wieso schaute ich dauernd auf Catherines Klamotten? Hatte ich Angst, dass sie irgendwas mit Dan anfing? Eigentlich nicht. Aber war bin manchmal eben ein bisschen bedröppelt in solchen Sachen. Frauen, würde Dan jetzt sagen. Ich nahm mich zusammen, und beschloss mit dem kindischen Getue aufzuhören. Aber jetzt hatte ich schon dieses unpraktische Kleid an. Ich konnte mich ja auch umziehen? Zumindest eine Hose darunter. Wenn uns Ballinger wieder jagte, war ich im Rock eh aufgeschmissen. Oder ich machte diesen Kerl damit so verrückt, dass er es aufgab mich zu jagen … Als Dan und Paul ausstiegen, blieb ich im Auto und versuchte meinen Koffer aufzukriegen. Das einzige was ich schaffte war, dass alles herausflog und sich überall verteilte. Ich suchte eine weiße Leggins und schaute, ob mir auch niemand zusah. Nein, Dan und Paul waren mit Catherine in den Hangar gegangen um nach der „Honey“ zu sehen und zu schauen ob alles in Ordnung war. Mensch, was hätte dem Flugzeug denn passieren sollen? Ich zog die Leggins unter das Kleid an und strich den Rock glatt. Dann stieg ich aus und begutachtete mich kritisch. Das sah sogar mal richtig stylish aus. Jetzt war ich endlich zufrieden. Ich wartete auf die anderen drei. Bis die endlich auftauchten, war mir warm. Sehr warm. Eher heiß. Aber besser warm, als dass es kalt war und wir alle schlotternd herumsaßen, wie es uns in London öfters ging. „Fahren wir mit dem Auto von Monsieur Legrand?“ fragte Paul. Catherine nickte. „Ich fahre, ich kenne mich auf den Straßen aus. Ihr würdet euch doch nur verfahren.“ Ich nickte zustimmend, sagte aber nichts von gestern Abend und unserer orientierungslosen Tour durch Avranches. Wir stiegen alle ein. Catherine wollte mich als Beifahrerin. Ich freute mich und Dan und Paul nörgelten. War Catherine aber egal, sie fuhr einfach los. Innerhalb einer halben Stunde brachte uns Catherine vor den Damm, der zu Mont-St-Michel führte. Wir stellten den Wagen auf einem großen Parkplatz ab und gingen zu Fuß über den Damm. Mont-St-Michel war echt ein imposantes Bauwerk. Vor allem der große Turm, auf dem eine Statue des heiligen Michael stand, und die Häuser, die sich eng um das Kloster herumdrängten. Ich verfluchte mich, dass ich die Kamera im Auto gelassen hatte. Catherine hatte uns schon schief angeschaut, weil wir uns so anders als die üblichen Touristen benahmen. Wir gingen langsam den Damm entlang. Es war gerade Ebbe und Catherine sagte, wir könnten auch neben dem Damm gehen. Wenn wir gerade nach vorne blickten, waren da die Befestigungsmauern. Der Eingang war weiter links, man musste dazu vom Damm herunter und ein Stück über den Strand gehen. Catherine schlug vor, wir könnten da schon mal Ebbe war, einmal um die ganze Insel herumgehen. Wir sahen uns an, konnte nie schaden, wenn man den Umfang von der Insel kannte. Catherine ging voraus und sagte, wir sollten nicht auf solche Flecken treten, die weich aussähen. Das könnte Treibsand sein. Das würde jetzt gerade noch fehlen, dass einer von uns Profis im Sand versank. Wir umgingen die Flecken und waren bald außer Sicht des Damms, also genau auf der hinteren Seite von Mont-St-Michel. Wir sahen uns die Mauern an und bemerkten so komische Gitter, die in die Mauern eingelassen waren. Catherine sagte, die Dinger könnte man sogar an manchen Stellen aufmachen und da hätte man schon mal eine Leiche gefunden, die hinter so einem Gitter eingesperrt gewesen sei. Ob das eine fiktive Geschichte war oder nicht, mich schüttelte es. Leichen konnte ich gar nicht ab. Aber vielleicht war das auch schon seit dem Mittelalter her. Als wir so vor der Mauer standen und uns unterhielten, sprangen plötzlich drei Gestalten von der Mauer. Wir erschraken furchtbar. Mein erster Gedanke war, die waren lebensmüde. Mein zweiter war, das waren Ballingers verdammte Spitzel. „In Deckung“, brüllte ich, weil das die Helden in Filmen auch immer machten. Mich griff irgendwer von hinten und band mir die Hände auf den Rücken. Ich kam gar nicht zum schreien, so schnell ging es. Aber das Schreien hätte mir auch nichts genützt. Denn Dan und Paul wurden von einem mit einer Knarre in schach gehalten und Catherine wurde ebenfalls von einem Kerl gefesselt. Ich fluchte und strampelte, aber es half nichts. Ich erwischre nur die Schienbeine und der Typ schien welche aus Stahl zu haben, denn er zuckte nicht mal mit der Wimper. Catherine hatte ihrem Kerl in die Hand gebissen, als er ihr den Mund zugehalten hatte, aber auch das hatte leider nichts genützt. Außer das er jetzt blöd herumjammerte. „Diese Weiber sind gewalttätig.“ Mensch, das uns diese Kerle immer so kalt erwischen mussten. Aber ich glaubte auch, wo die waren, war Ballinger nicht weit. Und ich hatte richtig geraten. Der Kerl spazierte seelenruhig um die Ecke eines kleinen Befestigungsturms. Er hatte ein höhnisches Grinsen auf den Lippen und sah sehr zufrieden mit sich aus. Der würde bald nicht mehr so doof gucken, schoss mir durch den Kopf. Ich zappelte immer noch herum, in der Hoffnung, der Typ würde mich endlich loslassen. Dieses Mal hatte mich Rodriguez in den Händen. Pears hielt Catherine fest und der andere, wie war noch sein Name, wedelte mit der Knarre vor Dan und Paul herum. Ich sah Dan an, dass er dem Kerl am liebsten die Pistole um die Ohren hauen würde. Ach ja, sein Name war Tunner und er war ein wenig schusselig mit Knarren. Wenn Dan nur auf eine passende Gelegenheit wartete… Ballinger kam auf uns zu. Besser gesagt, er kam auf mich zu. Er hielt vor mir an und hob mein Kinn an. Dann sah er mir ins Gesicht. Sein Grinsen wurde noch breiter. „So, Stella-Schätzchen, Sie sind sogar noch hübscher, als ich Sie in Erinnerung habe.“ Ich wollte ihm in diesem Moment am liebsten an die Gurgel springen. Dan sah ziemlich wütend drein und Paul hatte seinen Blick auf Catherine gerichtet, die verwirrt dreinschaute. Ballinger sah sie sich reihum an und wandte sich dann wieder mir zu. „Ich habe Ihnen schon einmal angeboten, zu mir zu kommen und sich nicht mit diesen Versagern abzugeben.“ „Pah“, sagte ich. „Idiot.“ „Na, na, “ machte er. „Sie sind vielleicht respektlos.“ Er grinste seine Schergen an. „Stella-Schätzchen wird das aber noch vergehen, wenn wir den Helm haben, nicht wahr?“ Die drei lachten heiser. „Bloß wird das Stella-Schätzchen und ihre Kollegen, Ihnen nachher Michels Helm vor der Nase wegschnappen“, erwiderte ich frech. Sein Grinsen verschwand, aber er lachte trocken und unecht. „Das werden wir ja sehen.“ Er drehe sich zu Catherine, die immer noch total verwirrt aussah und nicht wusste was hier vonstatten ging. „Mr. McLean hat also schon jemanden gefunden, der ihm den Weg zu Michels Helm weisen wird?“ Dan wurde rot vor Wut. „Ja, und sie gehört zu uns. Scher’ dich bloß weg.“ Ballinger lachte wieder. Ich began loszulabern und versuchte Catherine alles zu erklären. Ich faselte von Schatzjägern, Antiquitäten und sonst noch was. Ich wusste nicht ob sie alles versteht, oder ob sie mich jetzt für komplett durchgeknallt hielt. Ich befürchtete eher letzteres… Rodriguez unterbrach meinen Redeschwall und hielt mir den Mund zu. Ich biss ihn in den Handballen, so leicht ließ ich mich nicht unterbrechen. Ich schickte den nächsten Wortschwall Richtung Catherine und Ballinger wurde langsam wütend, weil er nicht zu Wort kam. „Mensch, bring’ sie endlich zum Schweigen.“ Rodriguez drückte mir kaltes Metall in den Rücken. Wahrscheinlich wieder Mal eine Pistole. Ich wurde still. Ein Loch in meinem Rücken wollte ich nicht. Dann schon lieber in Ballingers Rücken oder auch in seinem Hintern. „Wir werden Ihre kleine Reiseführerin uns ein wenig ausleihen“, sagte Ballinger und sah zu Catherine, die alles andere als begeistert aussah. Dan knurrte und Paul fluchte vor sich hin weil sie nichts dagegen tun konnten. „Und ihr“, Ballinger wendete sich uns zu. „Ihr werdet jetzt ein wenig unter Wasser gesetzt. Auch wenn es um Stella-Schätzchen ein wenig Schade ist.“ Ich spuckte ihm vor die Füße. Aber ich verstand nicht recht, was der Kerl mit dem Wasser meinte. Ballinger zeigte auf das offene Meer. Am Horizont kam etwas in Sicht, das wie eine Welle aussah. Eine Schaumkrone zog sich über die ganze Sichtweite. Verdammt nochmal. Das war eine Welle, das sah nicht nur so aus. Die Flut kam. Und zwar ziemlich schnell. Ich hatte im Reiseführer gelesen, dass das Wasser eine Geschwindigkeit von bis zu 30 km/h bekommen konnte. Wir hatten also nicht mehr allzu viel Zeit. Ich hatte eine ganz böse Vorahnung, was Ballinger mit uns vorhatte. Er gab seinen Kerlen ein Zeichen und sie schoben uns Richtung Mauer. Ich fing an zu strampeln. Ich sah die Wasserleiche vor mir, von der Catherine uns vorhin erzählt hatte. So wollte ich nicht enden, ich wollte vorher noch Ballinger in die Eier treten. Ich fluchte vor mich hin. „Scheiße, ach scheiße.“ Ballinger öffnete eins von den Gittern in der Mauer. Tunner schupste als erstes Dan und Paul da ’rein. Dann Rodriguez mich kopfüber hinterher. Ich schlug meinen Fuß hinaus und traf als Abschiedsgruß noch seine Nase. Blut schoss heraus und besudelte seine Kleidung. Ich schrie, dass ihm das ganz recht geschehe. Pears machte das Gitter zu und schloss es mit einem Schloss ab, bevor Rodriguez mir an die Gurgel gehen konnte. Catherine versuchte Pears zu entkommen, scheiterte aber und fing wild an zu schreien, bis Rodriguez ihr eins überzog und sie bewusstlos wurde. Paul und Dan stießen einen wüsten Schwall Verwünschungen aus. „Das bekommst du zurück, die Dreckskerl“, brüllte Paul und hämmerte gegen das Gitter. Die vier und Catherine verschwanden aus unserem Blickfeld und die Flut kam mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit näher. Wir hockten wie erstarrt in dem kleinen Loch und sahen ratlos der Flut zu. „Wir müssen irgendwie hier ’rauskommen, “ sagte Dan. Er drehte sich um. Das Loch war so eng, das wir gerade mal auf den Knien herumrutschen konnten. „Ich tue Ballinger nicht den Gefallen und ersaufe hier.“ Dan fing an nach hinten zu robben und wir sahen, dass der Schacht nicht etwa nach ein paar Metern aufhörte, sondern, wie ein Gang nach hinten führte. „Los, kommt“, knurrte Dan. Paul und ich drehten uns, an der Wand entlangschrammend und ächzend um. Dann krochen wir Dan auf den Knien hinterher. Ich warf noch einen letzten Blick zurück, nach draußen. Adios, schöne Welt. Aber der Gang war unsere einzige Möglichkeit hier wegzukommen. Wenn der Gang wirklich aufhörte, dann… ja, dann hatten wir ein Problem. Und ich wollte immer noch nicht als aufgedunsene Wasserleiche enden. Die Wände des schmalen Gangs waren nass und modrig. Überall waren schleimige, algenähnliche Wasserpflanzenreste und ich versuchte vergeblich die Wände nicht zu berühren. Es roch auch nicht angenehm. Wir sahen nach kurzer Zeit aus, als hätten wir in einem grünen Moorloch gebadet. Aber unsere einzigen Gedanken galten jetzt dem Gang, und der Hoffnung hier herauszukommen. Der Gang wurde immer dunkler und Paul gab Dan ein Feuerzeug, damit er die Wände ableuchten konnte. Aber die ganze Zeit sahen wir nur modrige, grüne Steine und auch mal ein paar Krebse, die versuchten dem Licht zu entfliehen. Dan stieß plötzlich gegen irgendetwas. Ich horchte auf. Es hörte sich so dumpf an, wie Holz. Er tastete sich langsam vorwärts und beleuchtete dann einen großen Stein, der zur Hälfte von der Decke herunterhing. Aber Platz genug zum durchkriechen war noch. „Glück gehabt“, meinte Dan. Ich nickte erleichtert und ließ mich auf meinem Hinterteil nieder. Und landete prompt auf irgendetwas, das nachgab. Ich kreischte auf, weil ich Angst hatte, einen Krebs platt gesessen zu haben. Doch es hörte sich nicht wie ein Krebs an, eher wie ein Schalter, der irgendetwas auslöste. „Mensch, pass doch auf“, grummelte Paul mich an und zog mich weg. Er hatte die ganze Zeit nichts gesagt. Ihm stank das ganze hier. Stinken tat’s hier aber auch wirklich grauenhaft. „Schau mal meinen Hintern an, ist da irgendwas?“ Ich streckte ihm mein Hinterteil entgegen. Er sah kurz hin und schüttelt dann den Kopf. „Nichts. Aber der Hintern ist schön.“ „Was zum Teufel war das dann?“ Ich nahm Dan das Feuerzeug aus der Hand und beleuchtete damit den Boden. Ich hatte da irgendetwas Viereckiges in den Boden gedrückt. Ich legte noch mal meinen Finger darauf und es schob sich noch weiter in den Steinboden. „Finger weg“, sagte Dan schnell. “Bevor wieder was passiert.“ „Wieso wieder?“ motzte ich. „Immer bin ich Schuld.“ „Das hab ich gar nicht gesagt“, protestierte Dan. „Weiber.“ „Hört auf zu streiten“, unterbrach uns Paul. „Das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt.“ Plötzlich krachte etwas und Staub rieselte von der steinernen Decke. Wir drehten erschrocken die Köpfe nach oben. Der Stein bewegte sich wieder ein Stück. Es knirschte, wie Finger die über eine Tafel kratzen und ich bekam eine Gänsehaut „Vielleicht sollten wir weitergehen“ murmelte ich. „Sonst fällt uns hier noch die Decke auf den Kopf.“ Von oben schob sich der halb herunterhängende Stein noch weiter herunter. Immer weiter, ohne Rücksicht darauf, dass hier jemand saß. Eine Ladung kleiner Kieselsteine rieselte hinter dem Stein hervor. Dan reagierte sofort, er brüllte mich an und drückte mich auf den Bauch, dann schob er mich mit Gewalt unter dem Stein durch. Paul krabbelte fluchend hinterher und scheuerte sich die Knie auf. Er warf sich herum, reichte Dan die Hand und zog ihn schnell hindurch. Er kam geradeso noch hindurch. „Was sollte denn das?“ fauchte er mich lautstark an. „Ich weiß gar nicht, was du meinst“, brüllte ich zurück. „Ich kann gar nichts dafür.“ Paul seufzte laut und genervt, lehnte sich an die Wand und wartete ab. Der Stein war zu unserer Überraschung ganz im Boden versunken. Dan leuchtete die Decke ab, die freigeworden war und entdeckte einen Schlüsselabdruck. Und auf dem Stein, der jetzt unten lag, lag der Schlüssel dazu. Ein kleiner goldener Schlüssel, mit einer Verzierung. Dan steckte ihn in seine Hosentasche. „Vielleicht finden wir die Tür dazu.“ Dan scheuchte uns weiter. Dieses Mal ging Paul mit dem Feuerzeug voran. Wir konnten jetzt gebeugt laufen, die Decke war ungefähr dreißig Zentimeter höher, als der schmale Tunnel vorher. Ich wusste nicht, wie lang wir gelaufen waren. Wir gingen um Kurven, bogen mal scharf nach links ab, dass man meinen konnte, der Tunnel führte wieder zurück wir hergekommen waren. Nach, ich schätze mal, einer Viertelstunde, kamen wir an das Ende des Tunnels. Der Weg war so urplötzlich zu Ende, dass wir alle erst mal schlucken mussten. „Und jetzt?“ fragte Paul und drehte sich zu uns um. Links und rechts waren Wände, aus dicken Steinen, die aussehen, als wären sie extra, um diese Mauern zu bauen, aus Steinbrüchen gehauen worden. Hier waren sie nicht mehr so feucht und überzogen mit grünen Algen, nur noch voll mit Spinnweben und voller grauem Steinstaub. Die Ritzen waren etwas weiter auseinander und kleine Krabbeltiere, Spinnen und Kellerasseln verschwanden darin, als Paul mit dem Feuerzeug hinleuchtete. Wir waren voll in einer Sackgasse gelandet. Wir kamen nicht vor und nicht zurück, weil ein gutes Stück hinter uns der verflixte Stein den Weg versperrte. Ich ließ mich rücklings an der Wand herunterrutschen. „Und was machen wir jetzt?“ Dan besah sich die Steine. Er fuhr mit den Finger die Ritzen entlang und tastete die Decke nach möglichen Schwachstellen ab. „Mir kommt es komisch vor, das der Weg so weit geführt hat und nun im nichts endet, “ sagte er. „Wieso sind hier eigentlich keine Algen mehr an den Wänden“, fragte Paul und setzte sich neben mich. Dan warf uns einen Blick zu. „Vielleicht gibt es irgendwo einen Abfluss, anders kann ich mir das nicht vorstellen.“ Ich rücke näher an Paul. „Ich will hier nicht verhungern. Ich find’ das ganze hier echt Scheiße.“ „Das kannst du laut sagen“, murmelt Dan und fährt weiter die Ritzen ab. „Ich gehe ein Stück den Gang zurück und schaue, wo der Algenbefall aufhört.“ Paul gab ihm das Feuerzeug und er drehte sich um und ging den Weg zurück. Seine Schritte hallten im Tunnel nach. Paul stand ebenfalls auf, legte mir kurz seine Hand auf die Schulter und ging dem fahlen Lichtschein von Dans Feuerzeug nach. Mich ließen sie alleine im Dunkeln zurück. Ich zog meine Beine zu mir her und umklammerte sie mit den Armen. Es war verflixt kalt hier. Mir stand das ganze bis oben. Da wurde uns zuerst unsere Reiseführerin geklaut, wir in einem Tunnel uns selbst überlassen bis wir ersoffen, und nun das. Das Wasser, also die kommende Flut, war, als wir hier eingesperrt wurden, schon ziemlich nahe. Doch wir wurden nicht einmal ansatzweise nass. Es musste einen Abfluss geben, sonst wären wir hier schneller ersoffen als wir „Flut“ sagen konnten. Der Eingang des Tunnels war an der Außenmauer des Mont-St-Michel und musste also direkt unter das Kloster führen. Wenn wir wenigstens wussten, wie weit wir gelaufen waren könnten wir die Entfernung abschätzen. Aber was half das schon, dann wussten wir nur, unter welchem Klosterteil wir verhungerten. Der Lichtschein des Feuerzeugs war nun ganz verschwunden. Die Stimmen von Dan und Paul waren verklungen und mir fuhr außerdem ein kühler Wind hinten in mein Kleid. Wo blieben Dan und Paul so lange? Plötzlich tropfte irgendetwas herunter, mir direkt auf den Kopf. Ich fuhr erschrocken hoch und stieß mir den Kopf an der Decke an. Ich bekam eine Gänsehaut, es war stockdunkel, arschkalt und ich bekam Muffensausen, wenn ich daran dachte, was da gerade heruntergetropft hatte. Du hast zu viele Krimis gelesen, schalt ich mich selbst. Ich tastete an der Wand entlang. Ich wusste noch ungefähr wo ich gesessen hatte, da tastete ich dann, die Ritzen entlang, an die Decke. Ich fühlte etwas feuchtes, nichts moosiges, wie ich es von den Algen her kannte, sondern etwas, das die Decke entlanglief und heruntertropfte. Ich hörte das ‚Plopp, plopp’, das zunehmend öfter erklang. Zuerst tropfte es mir auf den Schuh, dann auf die Schultern, und dann begann es in einem dünnen Rinnsal herunter zu laufen. Wie ein kleiner Bach, dann wurde es zu einem etwas dickeren Bach. Ich fühlte wie es eine große Pfütze auf dem Boden bildete. Scheiße, von irgendwo her lief hier Wasser herein. Es war wie ein Wasserhahn, den man langsam aufdrehte. Ich fühlte, wie es durch die Ritzen drängte und gegen meine Schuhe schwappte. Ich brüllte nach Dan und Paul. Meine Stimme warf einige Echos an der Tunnelwand und kam dann zu mir zurück. Keine Reaktion. Ich machte eine Paar Schritte nach vorne und trat plötzlich irgendwo hinein, wo ich bis zu den Knien versank. Der Boden sank weiter und ich hing mit dem Fuß fest und kam nicht mehr aus dem Loch. „Herrgottnochmal, Dan“, brüllte ich, als mir das Wasser bis zu den Oberschenkeln stand. Ich hing mit dem Schuh fest. Ich beugte mich runter, versank bis zu den Schultern im Wasser, löste den Sandalenriemen und ließ den Schuh, Schuh sein. Dann hievte ich mich aus dem Loch heraus. Viel half es mir nicht, das Wasser stand außerhalb des Lochs jetzt auch schon gut dreißig Zentimeter hoch. Ich zog den anderen Schuh auch aus und pfefferte ihn ins Dunkel des Tunnels. Dann watete ich in die Richtung, wo ich dachte, das Dan und Paul hingegangen waren. Meine Hände ließ ich an der Mauer, dass ich mich, falls ich auf irgendeinem Wasservieh ausrutschte, abstützen konnte. Das Wasser hinter mir, strömte mittlerweile wie ein Wasserfall aus verschiedenen Mauerritzen. Plötzlich hörte ich von vorne ein Geräusch. Wie jemand im Wasser rannte. Und derjenige kam äußerst schnell auf mich zu. Ich spürte noch, wie jemand gegen mich knallte und flog rückwärts ins Wasser. Derjenige lag noch auf mir drauf und fluchte wild. Paul. Hinter ihm ging das Feuerzeug an und Dans Gesicht wurde angeleuchtet. „Da habt ihr euch ja einen schönen Platz zum Baden ausgesucht“, flachste er und streckte mir die Hand hin. Ich schob Paul von mir herunter und ließ mich von Dan hochziehen. Ich war von oben bis unten völlig durchnässt. Meine Klamotten klebten an mir und meine Haare trieften. Ich warf Paul, der nur bis zum Bauch nass war, einen bösen Blick zu. „Habt ihr wenigstens einen Weg nach draußen?“ frage ich Dan. Er warf einen Blick hinter mich, zu dem kleinen Wasserfall aus den Ritzen. „Einen schmalen Durchgang, aber wir müssen ein Stück tauchen.“ Erst jetzt fiel mir auf, dass Dan ebenfalls klitschnass war. Seine Haare hingen ihm feucht und strähnig ins Gesicht. Seine Klamotten tropften. „Tauchen!!“ keifte ich entsetzt. „Wieso tauchen, ach verdammt noch mal. Wenn ich diesen verflixten Ballinger in die Finger kriege.“ Paul zeigte plötzlich auf meine Füße. „Wo sind denn deine sexy Schuhe?“ Ich wurde rot. Wenn ich dem von meinem Missgeschick erzählte, lachte er mich eh nur aus. „Och, die waren nass. Und in nassen Schuhen kriege ich Blasen.“ Paul nickte und grinste dann wissend. „Soso…“ Dan zeigte auf den Tunnel. „Los. Hier entlang.“ Ich stand entsetzt vor dem kleinen schmalen Tunnel. Er war höchstens fünfzig Zentimeter breit und Wasser schwappte darin herum. Nun, jetzt nicht mehr, dass Wasser aus dem hinteren Teil des großen Tunnels war bis hierhin gelaufen und ließ den Eingang des kleinen Tunnels nur noch erahnen. „Jetzt sag nicht, dass du da vorhin hineingetaucht bist“, sagte ich zu Dan. Doch der nickte grimmig. „Wäre ich sonst so nass…“ Paul hatte die Hände in seine nassen Hosentaschen vergraben und sah zu uns herüber. „Wie wär’s wenn wir das endlich hinter uns bringen?“ Ich stöhnte genervt. „Mensch…“ „Ich fange an“, sagte Paul. „Dan kommst du zum Schluss nach? Dann nehmen wie die Dame in die Mitte.“ Dan nickte grinsend. Paul legte sich auf den Bauch und holte tief Luft, dann ließ er sich in den Tunnel gleiten und verschwand kopfüber. Ich sah entsetzt zu, wie schließlich auch seine Füße verschwanden. „Wie weit ist es?“ fragte ich leise. „Fünfzig Meter“, sagte Dan. „Ungefähr...“ Ich seufzte und ging in die Hocke. Schoss jedoch sofort wieder in die Höhe, als das Wasser meinen Hintern berührte. „Also, auf geht’s, “ sagte Dan. Ich warf ihm einen widerwilligen Blick zu, machte es aber so wie Paul. Legte mich auf den Bauch und holte Luft. Das kalte Wasser traf mich wie ein Schlag, ich befürchtete schon ich würde reflexartig schreien, doch ich besann mich wieder. Ich grub meine Finger in die Ritzen und zog mich vorwärts. Die Wand war glitschig und ich strampelte mit den Füßen um weiterzukommen. Ich öffnete die Augen und sah nur Dunkel. Alles um mich herum war dunkel. Ich bekam Panik. Meine Gedanken fingen an verrückt zu spielen. Ich zog mich weiter, rutschte wieder ab und hielt inne. Plötzlich schob jemand von hinten. Ich spürte einen energischen Druck an meinem Fußgelenk. Ich bekam neuen Mut und schob mich weiter. Mit den Armen die Ritze greifen, und ziehen, und immer wieder dasselbe, bis ich plötzlich einen hellen Fleck sah. Die Luft wurde mir langsam knapp, meine Lungen schienen bald zu bersten. Mein ganzer Körper schrie nach Luft. Ich stieß plötzlich gegen einen Widerstand. Vor Schreck entwischte mir ein Schwall Luftblasen, der schnell nach oben stieg. Der Tunnel bog sich nach oben. Und der seltsame Widerstand gab aber Gott sei Dank nach, als ich dagegendrückte. Jetzt war es nicht mehr so schwer, sich weiter zu ziehen. Der helle Fleck kam näher und näher. Plötzlich stieß mein Kopf durch die Wasseroberfläche. Ich holte tief Luft und mir entfuhr ein Laut der Erleichterung. Dan schoss hinter mir aus der tiefe des Tunnels und griff nach dem Tunnelrand. Paul griff schnell nach meiner Hand und zog mich aus dem Wasser. Dan kletterte nach und wir standen endlich alle im trockenen. Der helle Fleck, den ich gesehen hatte, war ein etwa zwei Meter breites, teichartiges Becken. Seitlich befand sich eine Rinne, die wieder im Mauerwerk verschwand, wo offenbar das Wasser abfloss, falls es aus dem Becken drückte. Wir sahen uns gegenseitig an. Dan sah nichts mehr, weil ihm der Pony im Gesicht klebte. Paul hingen Wasserpflanzen im Haar und ich begann zu lachen. „Was ist bitte so witzig“, fragte er gekränkt. „Wir sind gerade dem Ertrinken entgangen, und du lachst.“ Er warf die Hände in die Luft. „Ich finde es ja auch toll, dass wir dem Kerl ein Schnippchen geschlagen haben. Aber das wir jetzt alle nass sind, dass finde ich nicht so toll.“ Er redete sich in rage. Ich dagegen deutete auf seinen Kopf und brachte kein vernünftiges Wort heraus. „Dein…deine Haare….“ Ich brach wieder in einen Lachanfall aus. Dan schüttelte den Kopf, aber er grinste und strich sich seine Haare aus den Augen. Die Situation war so absurd, dass es wirklich zum Lachen war. Oder sollten wir lieber heulen. Mir liefen Tränen übers Gesicht, und ich lachte hysterisch. Bis ich merkte, dass ich wirklich heulte. Mir entfuhr ein lauter Schluchzer und Dan und Paul drehten sich entsetzt zu mir um. Beide hatten so ein bestürztes Gesicht, dass ich beinahe wieder lachen musste, wenn ich nicht gerade am Heulen, wegen meiner Schuhe, wegen dem verflixten Auftrag, und wegen unserer beschissenen Situation, gewesen wäre. „He, was ist los?“ fragte Paul sanft. Er nahm sanft meine Hand und strich mir die nassen Haare aus dem Gesicht. Ich schluchzte und wischte mir über die Augen. „Schon gut. Ich bin nur so ein hysterisches Huhn.“ Dan stand betroffen daneben und wusste nicht recht, was er machen sollte. Er hasste weinende Frauen, da kam er sich immer so vor, als ob er daran schuld wäre. Paul sagte, ich solle mich ein wenig hinsetzen und zeigte auf einen kleinen Mauervorsprung auf dem ich mich niederließ. Ich beruhigte mich langsam wieder. Die Angst, die ich da eben gespürt hatte, in dem dunklen engen Rohr, hatte mir ein doch wenig zugesetzt. Ich hatte nun ein wenig Zeit, mir den Raum, in dem wir herausgekommen waren, ein wenig genauer anzuschauen. Er war vielleicht vier Meter hoch. An der rechten Wand waren Regale angebracht, links befand sich das Becken. Und gegenüber von mir war eine große Holztür. Das ganze sah aus, wie eine Art Vorratskammer. Nur das fast keine Vorräte da waren. Nur eine einsame Flasche Wein lag im Regal, und Paul meinte, die konnte man doch nicht vereinsamen lassen. Er entkorkte sie mit einem Taschenmesser und schaute sich den Aufdruck an. „Ein 1995er Bordeaux. Na, Geschmack haben die Kerle ja.“ „Cheers!“ Er setzte sie sich an die Lippen und nahm einige tiefe Züge. Danach setzte er die Flasche wieder ab und schüttelte sich. „Buah, das haut aber rein.“ Er reichte Dan die Flasche, der jedoch abwinkte. „Danke, ich steh’ nicht auf dieses Zeug. Ich bleib’ bei meinem Budweiser.“ Er sah mich an, aber ich schüttelte ebenfalls den Kopf. Kein Wein für mich, da wurde mit immer so heiß. „Was ist mit dieser Tür?“ fragte ich. „Geht die nicht auf?“ Dan schüttelte den Kopf. „Hab ich alles probiert. Das ist eine Massivholztür, wahrscheinlich noch aus dem Mittelalter. Die gibt nicht so schnell nach.“ „Vielleicht auch doch“, sagte Paul und zeigte auf die Klinke, die sich eben knirschend herabsenkte. Wir hielten alle die Luft an. „Oh-oh“, sagte ich. „Wahrscheinlich will derjenige, der hier reinkommt, ebendiese Flasche Wein“, knurrte Dan und warf Paul bösen einen Blick zu. Kapitel 4: ----------- Die Tür schwang auf und ein älterer Herr mit Brille und wenigen grauen Haaren auf dem Kopf, kam herein. Er blieb stocksteif stehen als er uns erblickte. „Mon dieu…“, murmelte er, drehte sich zu dem Regal, und sah dass keine Weinflasche mehr da war. Er warf einen Blick zu Paul, der noch die leere Flasche Wein in der Hand hielt und grinste. „Bien, eh?“ sagte er. Paul sah mich fragend an. „Was hat der gesagt?“ „Er hat gefragt, ob der Wein gut ist“, murmelte ich. Ich hatte plötzlich doch Lust auf den Wein. Paul sah den Mann an, und nickte. „Sehr, sehr gut. Wundervoll.“ Der Mann lachte, er machte den Eindruck, dass er gar nicht wissen wollte, wie wir hier rein kamen, sondern eher, ob wir den Wein gut fanden. Erst jetzt schien er zu realisieren, das wir klitschnass waren, total verdreckt, und außerdem hier nicht reingehörten. Und er hatte scheinbar gemerkt, dass wir Engländer waren, oder zumindest Englisch sprachen. Er verstand uns zumindest nicht wirklich. „Wo kommen Sie denn her?“ fragte er auf Englisch, klang aber nicht unfreundlich. Er hatte einen starken französischen Akzent. „Aus dem Becken da“, sagte Paul ganz einfach. Der alte Mann lachte auf. „Ha, Sie machen wohl Witze. Haben Sie zuviel Wein erwischt?“ Er fuhr sich über das Kinn und grinste weiter. Ganz klar, dass er uns für durchgeknallt hielt. „Na, wenn Sie schon mal hier sind… Meine Frau hat gerade gekocht. Vielleicht haben Sie Hunger?“ fragte er. Ich bemerkte dass mein Kopf sich auf und ab bewegte, wie solche Dackel, die hinten im Auto standen und dauernd so mit dem Kopf wackelten. Ich hatte ganz klar Hunger. Immerhin waren wir mindestens zwei Stunden in diesem verflixten Loch rumgekrochen. Ich stand auf. Die Beine zitterten noch ein wenig. Wir gingen alle dem Mann hinterher, der uns in eine geräumige Küche führte, deren Fenster auf das Meer hinausging. Seine Frau hatte ihre Hand auf ihrem Herzen liegen, als sie uns hereinkommen sah. Wenn die Beziehungen zwischen Franzosen und Engländern nicht schon gestört waren, dann sind sie es jetzt sicher. Die Frau winkte uns schnell hinter sich her, als sie bemerkte, dass sich unter unseren Füßen große Wasserpfützen bildeten. Sie gab uns ein paar Klamotten, die wenigstens trocken waren, jedoch nicht so aussahen, als wären sie die neueste Mode. Dan bestand darauf seine Lederjacke anzulassen und ich wollte meinen BH nicht ausziehen. Dan grinste. „Ich hab da aber nichts dagegen.“ Die Frau verstand nichts, deutete aber sein anzügliches Grinsen richtig und scheuchte ihn schleunigst aus dem Raum. „Ich bin Sophie“, sagte sie zu mir, in gebrochenem Englisch. „Und mein Mann heißt Marcel.“ Ich nickte und sagte ihr meinen Namen. Sie reichte mir noch ein paar Schuhe, sehr schöne Sandalen, und ging dann hinaus. Ich zog mich an und ging ebenfalls zurück in die Küche, von wo es herrlich duftete. Meine Jungs saßen schon am Küchentisch, vor vollgeladenen Tellern, und schlugen sich den Bauch voll. Es gab einen Braten und Knödel dazu. Es sah aus wie ein urbayerischer Sauerbraten, nicht wie was Französisches. Ich setzte mich ebenfalls und zwang mich etwas zu essen. Ich musste zugeben, dass es wirklich unbeschreiblich gut schmeckte. Ich dachte dabei ständig an Catherine, die jetzt sicher irgendwo mit diesen schrecklichen Typen ausharren musste und wohl hoffte, dass wir sie da rausholten. Zehn Minuten später drängte ich sie dazu weiterzugehen. Paul schob sich eine Ladung Kekse in die Jackentasche, die ihm Sophie in die Hand gedrückt hatte und schien nicht begeistert darauf weiterzugehen. Wir verabschiedeten uns von den beiden netten Leuten und machten uns auf die Socken. Dan zog seinen durchweichten Stadtplan aus seiner Jackentasche und breitete ihn auf einem Steinsockel vor Sophie und Marcels Haus aus. Die Schrift war fast unlesbar, nur die Straßen konnte er gut erkennen, aber da er ja sowieso kein französisch konnte war ihm das nur recht. Er hätte natürlich nie zugegeben, dass Stadtpläne manchmal doch hilfreich sein können. Männer sind halt so… Wir beugten uns alle über die Karte und versuchten daraus schlau zu werden. Wir sahen das Kloster, aber die Wege dahin waren so verschlungen, das wir andauernd irgendwo da landeten, wo wir unter keinen Umständen hinwollten. Zuerst landeten wir bei einem Restaurant und Paul freute sich wie ein kleines Kind. Ich packte ihn und zog ihn weiter. „Was soll denn das?“ jammerte er. „Wir haben schon genug Zeit vertrödelt“, sagte ich. „Außerdem hast du gerade gegessen.“ Wie durch höhere Mächte, begann Pauls Magen zu knurren. Ich sah ihn entgeistert an. „Das ist nicht wahr, oder? Du kannst doch unmöglich schon wieder Hunger haben.“ Er grinste. „Ich kann auch nichts dafür… “ Dan stand ungeduldig, und mit verschränkten Armen neben uns und sah kritisch zu. „Gehen wir endlich weiter?“ „Wir finden das verflixte Kloster ja doch nicht“, sagte Paul. „Da kann ich mir genauso gut ein Sandwich holen.“ „Nichts da“, fauchte Dan. „Wir holen jetzt diesen verflixten Scheiß-Helm und sehen zu, dass wir hier wegkommen.“ Ein älteres Ehepaar blieb empört stehen, und sah zu uns herüber. Die Frau sah mich an, schüttelte den Kopf und zog ihren Mann weiter. „He“, knurrte ich, mit einem Seitenblick auf Dan. „Und Catherine? Sie hat uns schließlich hierher gebracht.“ Dan grinste. „Hübsche Frauen lass ich nie allein.“ „Du willst wieder den Held spielen, oder?“ feixte Paul. „Und lass das Gefluche“, sagte ich. „Die Leute schauen schon.“ „Die verstehen uns eh nicht.“ Dan drehte sich um und stiefelte weiter, Richtung Kirchturm, der alles überragte, und an den wir doch nicht hinkamen, so blöd wie wir uns anstellten. „Und ob die uns verstehen. Hast du eben gesehen?“ sagte ich zu Paul, der nur spöttisch die Mundwinkel nach oben verzog. Schließlich aber standen wir vor den Toren der Pfarrkirche St-Pierre. Es war eine kleine Kirche, die östlich von der großen Klosterkirche lag. „Ich vermute, die haben Catherine irgendwo versteckt, wo wir sie nicht vermuten“, sagte Dan, während er auf das Eingangsportal zuschritt. „Dieser Typ, den du und Paul gefunden habt, ist Messner in dem Kloster, nicht wahr? Also gehen wir da jetzt rein und fragen ihn nach Informationen.“ Er öffnete das große Eingangsportal, dass furchterregend knirschte und ich Angst bekam, dass uns die ganze Konstruktion gleich auf den Schädel kracht. „Wenn Ballinger Informationen über Michel will, dann war er garantiert hier, oder er kommt noch“, sagte Dan mit einem teuflischen Grinsen. Seine schwarzen Haare hängen ihm unordentlich bis in die Augen und lassen ihn im Moment irgendwie irre aussehen. Irre, im Sinne des Verrückseins. Außerdem blitzen seine Augen, wie bei einem Jagdhund der sich gleich auf sein Opfer stürzen will. Ich würde ihm gerade nicht im Dunkeln begegnen wollen. Paul warf mir einen vielsagenden Blick zu, als Dan durch die Tür im Inneren verschwand. „Also, packen wir’s. Schlimmer als in dem Schacht kanns ja nicht mehr werden.“ Ich zog die Schultern hoch, und ging hinter Paul her. Er sah gerade ziemlich übel aus. Die Klamotten, die er von Sophie bekommen hatte, waren nicht gerade das, was man passend nennen konnte. Die Hosenbeine waren viel zu kurz, die Jacke viel zu weit und schlotterte herum. Wo Sophie das Zeug nur herhatte. Wahrscheinlich aus einem Müllsack oder von der Wohltätigkeitsorganisation. Paul drehte sich um, als er mich kichern hörte. „Was ist denn?“ Ich musste mir mühe geben um nicht laut zu lachen. „Deine Klamotten! Du siehst aus…“ Paul sah an sich herunter und verzog das Gesicht. „Stimmt, aber da kann ich ja nichts dafür. Außerdem siehst du auch nicht gerade wie ein Männertraum aus.“ „Was soll denn das heißen?“ Ich stemmte die Hände in die Hüften. „Wie sehe ich denn aus?“ „Wie eine Landstreicherin, oder jemand aus einer Modesünder-Sekte.“ Paul bog sich vor lachen, als er mein Gesicht sah. Ich sah wirklich nicht sehr toll aus. Ein geblümter Rock, der mir bis zu den Waden reichte und eine Strickjacke, mit eingesticktem Muster an den Seiten. Nur die Sandalen gefielen mir, aber die passten nicht dazu. Und meine Haare waren auch nicht mehr das, was die Werbung für Haarglätter versprach. „He“, sagte Paul. „Ich weiß aber wozu das gut ist.“ „Für was denn?“ „Ein wirksames Verhütungsmittel.“ Er sah mich an, und ich grinste zurück. Dann brachen wir in schallendes Gelächter aus. Dan schaute aus der Kirche heraus. „Was gibt’s denn hier zu lachen?“ „Nichts, schon gut“, winkte Paul ab. „Na, dann los. Bevor ihr hier Wurzeln schlagt.“ Dan ging wieder hinein. Die Tür fiel mit einem dumpfen Knall zu. „Immer diese Hektik“, grummelte Paul. Das Innere der Kirche war muffig, ziemlich dunkel und kein Mensch war zu sehen. Ich hielt mich eng neben Paul, der auch nicht sehr angetan aussah. Er sah eher aus, als würde er es vorziehen, irgendwo zuhause auf dem Sofa, mit einem Bier in der Hand zu liegen, und nicht Ballinger und seinen Schergen hinterher zu jagen oder blöde in Schächten herumzutauchen. Wir gingen langsam durch den Mittelgang, rechts und links neben uns waren Kirchenbänke aus Holz. Die bunten, gläsernen Fenster warfen plötzlich farbige Muster auf uns und den Boden, als die Sonne durch sie hindurch schien. Es sah wunderschön aus, und plötzlich schien die Kirche gar nicht mehr so unheimlich. Ich blieb unwillkürlich stehen und sah mir die Fenster an. Da war ein Bild von Maria, wie sie das Jesuskind im Arm hielt. Ein anderes hatte einfach nur ein buntes Muster. Dan war schon vorne am Altar und sah sich um. Rechts vor ihm war eine Tür die wahrscheinlich in die Sakristei oder in einen Nebenraum führte. Die Kirche selbst war sehr groß, viel größer als die, die ich so kannte. Dan drehte sich zu der Tür. Er warf uns einen Blick zu und zog seine Pistole aus dem Holster an der Wade. „Tu doch die Knarre weg“, rief ich ihm zu. „Was willst du in einer Kirche mit einer Knarre.“ „Ich finde es hier zu still“, sagte Dan, steckte die Pistole aber wieder zurück. Ich wusste aber, dass er noch irgendwo ein Messer stecken hatte, und wahrscheinlich in der Jackentasche sein Pfefferspray. Das Pfefferspray hatte er erst letztens Paul ins Gesicht gesprüht, als sie betrunken und am Prügeln waren. Gerade als Dan die Pistole weggesteckt hatte, flog plötzlich die Seitentür auf und ein beleibter Jemand, in einer braunen Kutte, schnellte heraus, der eine Schrotflinte im Anschlag hielt. Ich schrie erschrocken auf und Dan sprang reflexartig zur Seite, als derjenige eine Ladung auf ihn losballerte. Er traf die andere Wand und Putz und Mörtel fiel herunter. Paul warf sich plötzlich auf mich und begrub mich unter sich. Mir wurde auf einen Schlag alle Luft aus den Lungen gepresst. Wir rollten hinter die Kirchenbänke und blieben ineinander verschlungen liegen. Von vorne hörten wir, wie der komische Kerl seine Flinte mit einem Ratschen durchlud. Ich murrte und schob Paul wieder von mir herunter. Wir lagen beide bäuchlings, auf dem Boden und spähten durch den Mittelgang nach vorne. Dan stand mit erhobenen Händen am Altar, der Kerl, im einem langen Kittel, mit der Schrotflinte vor ihm. Das war offenbar der Messner, auch wenn er ein wenig von Bruder Tuck, dem Gefährten von Robin Hood, an sich hatte. „Hey“, brüllte Dan wütend. „Schießen Sie immer auf Ihre Kirchenbesucher?“ Der Messner ließ sein Gewehr ein Stück sinken. „Was wollen Sie denn von mir? Sie marschieren hier einfach rein, wie es Ihnen passt, reden laut. Haben Sie keinen Respekt vor Gott, Sie Flegel?“ Er sprach perfektes Englisch, wie mir in diesem Moment auffiel. Dan schien als würde er gleich vor Wut explodieren. „Im Moment schert mich Gott wenig. Ich brauche Informationen über Michel.“ „Ha“, sagte der Messner. „Noch so einer. Respektloses Volk.“ Er hob wieder die Flinte, legte den Finger an den Abzug. „He“, polterte Dan los. „Sie verdammter Irrer.“ „Solche Wort benutzt man nicht in einer Kirche“, schrie der Messner und ballerte hinter Dan her, der die Beine in die Hand nahm, und den Mittelgang entlang rannte. Die Ladung Schrot traf ein großes Bild, das rechts von Dan, an der Wand hing und schlug ein großes Loch hinein. Paul und ich sogen entsetzt die Luft ein, als wir sahen was er da getroffen hatte. Der Messner gab ein Heulen von sich und Dan warf sich derweil zwischen die Kirchenbänke, aus der Schussbahn der Flinte heraus. Kurz darauf, streckte er den Kopf hinter der Bank hervor, sah ebenfalls wo der Messner hingetroffen hatte und begann zu lachen. „Das haben Sie jetzt davon.“ Der Messner sank zu Boden, schmiss die Flinte davon und grummelte vor sich hin. Er fuhr sich durch seine grauen Haare und warf Paul und mir böse Blicke zu. „Was können wir denn dafür?“ flüsterte ich Paul zu. Der zuckte die Schultern und nickte Dan zu, der zwischen den Bänken hervor kroch, langsam nach vorne ging und sich neben den Messner setzte. Er besah sich das Bild und legte den Kopf schief. Paul und ich standen ebenfalls auf. Jetzt da die Gefahr eines schießwütigen Messners gebannt schien. „Naja“, sagte Dan. „Sie haben ihn nur am Ohr gestreift.“ Der Messner hatte ein faustgroßes Loch in ein Jesusbild geballert. „Sie sind ein echt ein mieser Schütze, “ sagte ich. Paul grinste. „Aber Hallo. Jesus kann da auch nichts dafür, dass wir hier sind.“ Der Messner warf ihm einen vernichtenden Blick zu, und sah aus, als würde er ihm auch am liebsten eins verpassen, und schielte zu seiner Flinte hinüber. Ich gab der Flinte einen Tritt, sodass sie über den gefliesten Boden davonschlitterte. „Und? Was wollen Sie nun?“ fragte der Messner. „Wollen Sie mich jetzt auch mit einer Knarre bedrohen?“ „Das hatten wir nun ja schon“, sagte Dan grimmig. Ich merkte ihm an, dass er am liebsten seine Pistole gezogen, und ein bisschen damit herumgefuchtelt hätte. „Und was heißt hier auch?“ fragte Paul. „War vorhin schon einer da?“ Der Messner nickte. „So ein großer, dunkelgrauhaariger Kerl, mit drei anderen Typen und einer jungen blonden Frau.“ Ich stieß die Luft aus. Ballinger war vor uns da gewesen, und Catherine war immer noch bei ihm. Wäre schön gewesen, wenn sie die Deppen überlistet hätte. „Wie hat die Frau ausgesehen. Ich meine, ging es ihr gut?“ fragte ich leise. „Ja“, sagte der Messner. „Aber sie sah so aus, als würde sie am liebsten den Kerlen an die Gurgel gehen, weil die ihr so auf den Leib gerückt sind.“ „Kein Wunder“, knurrte Paul. „Wenn ich bei diesen Typen wäre…“ „Dann gäb’s noch mehr Löcher sonstwo“, versetzte Dan. „Kommen wir zurück zu Michel. Was haben Sie den Kerlen erzählt?“ „Alles was ich weiß“ sagte der Messner. „Sie haben mir gedroht, der Frau was anzutun.“ „Diese miesen, kleinen, verflixten Würmer“, grummelte ich vor mich hin. „Psst“, machten Dan und Paul gleichzeitig und der Messner nickte zustimmend. „Ich habe ihnen erzählt, wo Michel gewohnt hat und wo er sein Zimmer hier im Kloster hatte.“ „Sonst noch was?“ fragte ich. „Vielleicht, wo dieser Helm ist, von dem alle reden?“ Paul und Dan sahen mich böse an. Wir wollten kein Wort von dem Helm sagen. „Scheibenkleister“, sagte ich bestürzt. „Der Helm?“ Der Messner sah nach oben. „Wieso sagt ihr erst jetzt was von dem Helm?“ Er sah zu dem angeschossenen Jesusbild. „Dann hätte ich mir ganz schön Munition gespart.“ „Sie wissen von dem Helm?“ fragte Paul verdattert. „Ich weiß nicht wo er ist, aber ich habe ein Buch, in dem ich was darüber gefunden habe. Kommt mit.“ Der Messner stand auf, klopfte sich Staub von seinem Kittel und ging in die Sakristei. Wir sahen uns kurz verdutzt an, standen dann schleunigst auf und folgten dem Messner. Wir stiegen haufenweise Treppen nach oben, bis wir in einen Raum kamen der voller Regale voll Bücher stand. Ich bekam ein seliges Grinsen auf dem Gesicht und Paul zog mich schnell weg, bevor ich in einem Leserausch versank. Der Messner steuerte zielstrebig auf ein Regal zu, zog einen dicken Wälzer heraus und öffnete ihn. Ein Blatt Papier fiel heraus, dicht beschrieben in lateinischer Sprache. Paul wollte schon zur Beschwerde ansetzen, aber der Messner kam ihm zuvor. „Ich habe alles übersetzt“, sagte der Messner und holte ein weiteres Blatt Papier aus dem Buch und reichte es Dan. Der warf nur einen kurzen Blick darauf und gab es weiter an mich. Ich überflog die Zeilen schnell, verstand jedoch nur die Hälfte. Französisch war noch nicht mal in der Schule meine Stärke. Wo zum Teufel war Catherine, wenn man sie brauchte. „Dürfen wir das mitnehmen?“ fragte Dan, der wohl das gleiche dachte wie ich. „Die junge Frau, von vorhin, die gehört nämlich eigentlich zu uns. Sie wurde uns nur bedauerlicherweise entführt.“ Der Messner bekam große Augen und stöhnte. „Wo bin ich hier nur reingeraten? Womit habe ich das verdient?“ „Der redet wie meine Mutter“, sagte Paul leise. Wo er recht hatte, hatte er recht, dachte ich. Meine Mum war genauso. Wir bekamen eine Kopie von dem Zettel und bedankten uns ganz herzlich bei dem Messner. Dan kramte in seiner Jackentasche und holte eine Packung Munition heraus. Sie war ein wenig durchnässt, aber offensichtlich noch funktionsfähig. „Falls es wieder mal zu Problemen kommt“, sagte Dan. Er gab sie dem fassungslosen Messner und zog von dannen. Wir ihm hinterher, nachdem wir nochmal versichert hatten, den Helm nicht in falsche Hände kommen zu lassen. Kapitel 5: ----------- Wir gammelten eine Weile ratlos vor der Kirche herum. Dan hatte eine Zigarette zwischen den Lippen, von der er immer wieder einen tiefen Zug nahm. Paul telefonierte mit jemandem vom Flugplatz, der anscheinend sauer war, dass wir die Honey entführt hatten. Denn ich konnte alles mithören, obwohl der Lautsprecher des Handys nicht eingeschaltet war. Ich vermutete, dass es Sniff war, auch wenn ich die Stimme aufgrund des Geschreis nicht eindeutig zu identifizieren war. Schließlich beendete Paul das Gespräch und sah ziemlich genervt aus. „War das Sniff?“ fragte ich. Ich lehnte an einer Hauswand und sah Dan zu, wie er gelangweilt Rauchkringel in die Luft pustete. „Ja“, sagte Paul. „Und er war ziemlich angepisst.“ „Ist der das nicht immer?“ grummelte Dan und trat die Zigarette aus. „Was zum Teufel hat er schon wieder für ein Problem?“ „Er will die ‚Honey’ am Wochenende für eine Flugshow haben, “ erklärte Paul und warf die Hände in die Luft. „Und wieso muss immer ich mir das Gemotze anhören?“ „Weil dein Handy das einzige ist, dass den Tauchgang überlebt hat, “ sagte Dan. Ich grinste, fischte meins aus der Hosentasche. Es sah nicht mehr ganz so toll aus, Wasser lief aus den Ritzen und wenn ich versuchte es anzuschalten, dann sprühte es Funken. Ich warf es über die Brüstung ins Meer. „He“, sagte Dan. „Du Umweltverschmutzer.“ „Aber du mit deinen Kippen“, gab ich zurück. Dan zuckte die Schultern und zündete sich wortlos die nächste an. Wir starrten Löcher in die Luft und wussten nicht, wie wir Catherine finden sollten. Ballinger war nirgends zu sehen, und seine Schergen noch weniger. Was uns fehlte, war eine göttliche Eingebung. Ich sah Dan durchdringend an. Er drehte sich aber nicht um, deshalb sah ich Paul an. „Was ist?“ fragte er. Ich machte eine Grimasse. „Ich muss aufs Klo.“ Paul stöhnte genervt. „Und wo soll ich ein Klo herbekommen?“ „Gehen wir halt zu dem Restaurant zurück“, sagte ich. „Wenn ich nur wüsste, wo das war“, grummelte Paul. Wir ließen Dan allein und verzogen uns. Wir gingen ein paar Seitenstraßen abseits von den Touristenströmen entlang, kamen dann auf eine mehr bevölkerte Straße und fanden schließlich ein Restaurant und ein Klo. Paul ließ sich an der Bar nieder und bestellte ein Bier. „Aber mach hier nicht einen auf Kampftrinker“, sagte ich bevor ich in die Damentoilette verschwand. Paul grinste und prostete mir zu. In der Toilette war es sehr ruhig. Es gab drei Kabinen, und eine kleine Nebentür auf der ein Privat-Schild angebracht war. Ich ließ mich in der mittleren nieder und erledigte das, was nötig war. Ich wollte gerade die Tür öffnen, da hörte ich wie eine andere Tür aufging. Eigentlich nichts ungewöhnliches, doch ich hörte zwei verschiedene Stimmen, die mir verdammt bekannt vorkamen. Eine männliche, tiefe, rauchige. Die von Rodriguez, wenn ich mich nicht irrte. Und eine ebenfalls männliche, etwas heisere, aber helle. Wohl Pears’ Stimme. Ich hielt mitten in der Bewegung zum Türschloss inne und erstarrte. Was zum Teufel machten die beiden Kerle hier? Und noch dazu in einer Damentoilette. Ich wusste ja, dass sie ein wenig durchgeknallt waren, aber gleich so… Ich drehte mich langsam um, um ja kein Geräusch zu verursachen, und stieg auf den Toilettendeckel. Ich hielt den Atem an und streckte mich langsam nach oben. Meine Augen waren über der Seitenwand und ich konnte Pears und Rodriguez da stehen sehen, wie sie miteinander redeten. Pears fuchtelte mit den Armen, Rodriguez hatte seine verschränkt und schien ein wenig angefressen. „Und wo sollen wir die Kleine hinbringen?“ fragte Pears. „Irgendwo, wo McLean’s Truppe sie nicht findet. Der Chef ist verdammt sauer, dass sie uns kein Wort gesagt hat.“ Rodriguez sah Pears angewidert an. „Wieso, zum Teufel, habt ihr nichts aus ihr herausgekriegt?“ „Tunner wollte ihr eins verpassen, aber dann hat er Muffensausen bekommen, weil sie doch eine Frau ist.“ Pears war ziemlich kleinlaut. „Eine Frau. Pah.“ Rodriguez zog röchelnd die Luft ein. „Hättet ihr mich rangelassen, dann hättet ihr jetzt eure Informationen. Aber nein, ich musste ja nach McLean Ausschau halten.“ Er spuckte Pears vor die Füße und wurde ein wenig lauter. „Aber ich habe keine Spur von ihm gefunden. Keine einzige.“ „Sei still“, fauchte Pears. „Wenn uns jemand hört…“ Ich ging langsam in die Knie und dachte nach. Jetzt hatte ich diese Kerle gefunden und konnte nichts tun, außer hier herumhocken und Däumchen drehen. Unbemerkt verschwinden konnte ich auch schlecht, die würden die Türklinke hören. Aber ich musste Dan oder Paul Bescheid geben, die wüssten was zu tun ist. Dan würde sich aber wahrscheinlich mit einem Schrei auf die beiden stürzen, sie nach Strich und Faden vermöbeln und dabei alles vermiesen. Blieb also nur Paul, aber der saß an der Bar und kippte sich einen hinter die Binde. Ich stieg von der Kloschüssel und drückte langsam die Klinke hinunter. Ganz langsam, aber es gab doch eine leises ‚Klack’. In der Nebenkabine wurde plötzlich mobil gemacht. Ich hörte jemanden zu Boden fallen, ein lautes Gefluche und Pears’ hysterische Stimme. „Da hat uns jemand belauscht!“ Ich riss die Tür auf und stürzte in Windeseile nach draußen und stolperte beinahe über meine eigenen Füße, weil ich so schnell durchstartete. Rodriguez riss die Tür auf und hechtete mit einem Sprung nach draußen und fiel über mich drüber. Ich knallte mit einem Aufschrei gegen die halbgeöffnete Tür und schlug mir die Schulter an. Ich zog die Knie an, kam halb wieder auf die Beine und Pears riss mich am Arm zurück. Wir stießen mit den Köpfen zusammen und gingen mit einem Aufschrei zu Boden. Derweil war Rodriguez aufgestanden und hatte seinem unfähigen Mitstreiter einen Tritt verpasst. Ich lag gestreckt auf dem Rücken und rang nach Luft. Ich konnte förmlich spüren wie sich auf meiner Stirn eine Riesen-Beule bildete. Rodriguez griff nach meinem Arm und zog mich ächzend auf die Beine. „Jesus, sind Sie schwer!“ „Sie unverschämter Idiot“, blaffte ich ihn an. „Was bilden Sie sich eigentlich ein?“ „Halten Sie Ihre Klappe“, schrie er zurück. „Wegen Ihnen und ihren Kerlen haben wir die ganze Zeit nur Schereien am Hals.“ „Das ist nicht mein Problem“ sagte ich und stemmte die Hände in die Hüften. Pears stand auf und stellte sich hinter mir in Position, falls ich auf komische Gedanken kam. Die konnte er haben, wenn er wollte. „Was wollen Sie?“ Rodriguez bleckte die Zähne. „Diesen verdammten Helm. Und dann will ich nur noch Ruhe vor Ihnen.“ Ich rollte mit den Augen. „Das können Sie sich abschminken.“ Pears ließ ein gegrunztes Lachen hören. „Wir warten einfach bis McLean den Helm hat und dann tauschen wir Sie und Miss Fontainé gegen den Helm ein.“ Er lachte. „Ob McLean da noch lange überlegen muss?“ „Er nimmt sicher den Helm“, sagte ich leichthin und den beiden fiel das Gesicht herunter. Dan würde nie den Helm nehmen und mich und Catherine im Stich lassen. Eher würde er eine Kampfstaffel Oldtimer von Hendon anfordern und diesen Kerlen die Hölle heiß machen. Pears sah Rodriguez säuerlich an. „Na toll. Dann haben wir diese frechen Weiber am Hals.“ Rodriguez verzog das Gesicht. „Wenn die wenigstens nicht ständig so unverschämt wären.“ Ich verschränkte die Arme und ließ meinen Blick über Rodriguez Pistole fliegen. Wär manchmal sicher nicht schlecht, so eine zu haben. Wieso hatte eigentlich Dan eine und ich nicht? Wieso hatte er seine mitnehmen dürfen? „Wie wär’s, wenn Sie mir sagen, wo Catherine ist?“ sagte ich. Pears schaute kritisch. „Das könnte Ihnen so passen.“ Pears und Rodriguez tauschten ein paar Blicke aus, schienen aber zu keinem Ergebnis zu kommen. Rodriguez starrte mich an, als wollte er die Informationen über Telepathie zugeschickte bekommen. Ich starrte auf Rodriguez Schuhe, und mir fiel auf, dass die auch mal geputzt werden konnten. Ich schaute auf. „Könnten Sie aufhören so zu starren. Sie sind ja schlimmer als ein Spanner.“ Rodriguez wurde rot. Und wütend. „Pears,“ brüllte er. „Wir bringen das Mädel zum Chef.“ Er holte noch einmal Luft. „Mir reicht’s.“ „Wo ist Catherine?“ blaffte ich ihn an. „Da wo wir Sie jetzt hinbringen“, sagte Rodriguez. „In einem Zimmer der Abtswohnungen.“ Pears wollte mich packen, doch dazu kam er nicht mehr. Er hatte gerade seine Hand um meinen Arm geschlungen, da ging die Tür auf und Paul schaute herein. Er erblickte mich, Pears und dann Rodriguez und sagte: „Ach, du Scheiße!“ Rodriguez und Pears waren wie erstarrt. Ich bekam einen Anfall von Übermut und stieß Pears zur Seite, der durch die angelehnte Klokabinentür flog und zu Boden ging. „Renn, Los, Lauf“, brüllte ich dem verdutzten Paul zu und stürmte wie der Wind an ihm vorbei. Er stand noch eine Sekunde so da, sein Blick schweifte zu Rodriguez, der wie ein wütender Stier auf ihn losgerannt kam. Da nahm auch er die Beine in die Hand und rannte los. Ich war schon halb durch das Restaurant, als Paul um die Ecke schoss. Hinter ihm der Jagdhund Rodriguez. Den Gästen fiel vor Schreck beinahe das Essen aus dem Mund. Ich rutschte aus und stieß gegen einen Tisch und ging in einem Gewirr von Stühlen, Besteck und Essen zu Boden. Paul schlug einen Haken und schaffte die Kurve gerade noch so. Doch Rodriguez stolperte über das Durcheinander und segelte wie eine Schwalbe über mich drüber. Pears kam keuchend aus den Klokabinen gehastet. Sah mich und Rodriguez am Boden liegen und zog seine Pistole. Die Gäste begannen zu kreischen. Damen warfen sich erschrocken ihren Männern in die Arme. Kinder fingen an zu plärren. Andere begannen davonzuhasten, ohne auf die Rechnung zu warten. Ich schälte mich aus dem Chaos und besah mir kurz den Schaden. Ich hatte einen Familientisch umgefegt. Stühle lagen am Boden, ein Baby lag schreiend in seinem Kinderwagen und ich hätte am liebsten mitgeheult als ich an mir heruntersah. Paul stand am Türrahmen und konnte nicht anders als grinsen. Mich erwischte plötzlich ein Flatscher Spaghetti am Hinterkopf. Ich drehte mich empört um und sah Rodriguez mit einem leeren Teller hinter einem Tisch stehen. Er sah aus, als hätte er sich gerade ein Gefecht mit einer Truppe Feldköche geliefert. Mir hingen Nudeln in den Haaren, meine Klamotten sahen aus, als ob sie dringend eine chemische Reinigung vertrugen und ich bekam solche eine Wut, dass ich einen Topf voll mit Apfelmus nach Rodriguez warf. Ich traf ihn volle Wucht in den Schritt. Die Pampe tropfte nur so herunter und Paul bekam einen Lachanfall. Er sank am Türrahmen zu Boden und kriegte sich gar nicht mehr ein. Rodriguez holte zum nächsten Schlag aus, griff eine Schweinshaxe und warf sie nach mir, ich wich aus und er traf statt mir Pears am Kopf, der wieder zu Boden ging, wie ein gefällter Baum. Mittlerweile waren fast alle Gäste aus dem Restaurant verschwunden, was ich ihnen auch nicht verdenken konnte, denn der Raum sah erheblich ramponiert aus. Ich schickte einen Blick zu Pears, der sich aber nicht rührte und wandte mich wieder Rodriguez zu. Er hatte einen leeren Blick auf und ich fragte mich, was er denn hatte. Da bemerkte ich, dass er nur hinter mich starrte. Ich wandte den Kopf und sah einen Mann im Anzug vor der Theke stehen, der eine Pistole im Anschlag hielt. Das war entweder der Sicherheitsmann oder der Restaurantführer. Ich tippte auf letzteres. Obwohl er eine Knarre hielt. Ich schickte einen Blick zu Paul, der sich Lachtränen aus den Augen wischte, und brüllte: „Lauf, verdammt nochmal, Lauf.“ Ich stemmte mich hoch, schubste Rodriguez aus dem Weg und flitzte aus dem Restaurant. Paul hastete mir hinterher. „Warte doch, verflixt.“ Wir stürmten um ein paar Ecken, sahen hinter uns und hielten dann keuchend an um zu verschnaufen. Ich hatte übles Seitenstechen und Paul japste nach Luft, gebeugt, wie ein alter Asthmatiker. „Das war knapp“, brachte ich hervor. Paul grunzte halb erstickt. „Das kann man so sagen.“ „Ich weiß… wo Catherine ist“, keuchte ich. „Was?“ Paul beugte sich hoch. „Und wo? Und wie bist du überhaupt zu diesen Kerlen gekommen? Und wieso musst du dir mit ihnen eine Essenschlacht liefern?“ Ich lächelte. „Die kamen einfach so in die Damentoilette spaziert.“ „Ich wusste ja, dass die verrückt sind“, knurrte Paul. „Aber dann gleich so…?“ Ich zog meine Strickjacke aus und stand nur noch in einem roten Unterhemd da, das mit ein wenig Phantasie sogar für ein Top gehalten werden konnte. „Sehr sexy“, kommentierte Paul. „Weißt du vielleicht was Besseres? Ich nicht.“ Ich warf die Strickjacke in einen Hauseingang. „Ich wette, Ballinger wird sehr begeistert sein, wenn er von uns hört.“ „Oh ja, “ sagte Paul ironisch. „Er wird vor Freude singen und seine Schergen knuddeln.“ Ich grinste und Paul klaubte mir Nudeln aus den Haaren. „Du solltest dich ganz dringen mal waschen.“ „Irgendwo eine Duschkabine gesehen?“ Ich schüttelte meinen Kopf, sodass die Nudeln in alle Richtungen flogen. Gott sei Dank war gerade niemand da, der diese Misere mit ansehen konnte. Paul besah sich die grauen Steinhäuser. „Wir könnten uns irgendwo Zutritt verschaffen… Was meinst du?“ „Du drückst dich heute sehr gewählt aus“, sagte ich. „Aber ich halte davon sehr viel. Ich will die Nudeln weghaben.“ „Und ich dachte, du magst Nudeln.“ Paul ging ein Stück und machte sich an einem Schloss zu schaffen. Während er da herumwerkelte, ging ich ein Stück die schmale Straße entlang und passte auf, dass niemand kam. Außerdem hoffte ich, dass in der Wohnung keiner war. Mir schoss plötzlich noch ein Gedanke durch meine Hirnwindungen. Dan. Scheiße. „Pauul?“ Ich lief zu ihm zurück, gerade als er das Schloss aufbekam und mir die Tür öffnete. „Nach dir, Madame.“ „Paul. Wir haben Dan vergessen.“ Ich schlich in den Eingang und blieb stehen. „Dan kann ganz gut eine Weile selbst auf sich aufpassen“, sagte Paul. „Wir suchen erst mal ein Waschbecken.“ Wir zogen die Schuhe aus und tappten leise, in Strümpfen, die Treppe hoch. Wir hörten kein Geräusch, kein Stimmen, nichts. Zum Glück. Zuerst kamen wir in ein schönes Esszimmer mit Blick aufs Meer, dann in eine Stube in der ein Fernseher stand, und eine schlafende Oma in einem Schaukelstuhl. Ich wich zurück und prallte gegen Paul. „Was ist denn?“ flüsterte er. Ich deutete auf die Oma. „Na und? Die wird sich nicht daran stören, wenn wir das Badezimmer benutzen.“ Er schob mich weiter, der nächsten Tür entgegen. Nach zwei weiteren Türen, fanden wir endlich das Badezimmer. Paul blieb an der Tür stehen, während ich mir am Waschbecken die Haare wusch und sie notdürftig mit einem Handtuch trockenrubbelte. Fünf Minuten später standen wir wieder auf der Straße. Paul zupfte an einer meiner wilden Locken, die ich immer dann bekam wenn ich die Haare lufttrocknen ließ. „Schaut ja heiß aus“, sagte er. Ich zog ihm das Handy aus der Tasche, machte ein Foto von mir und begutachtete mich. „Ach, du grüne Neune, “ sagte ich. „Heilige Scheiße.“ „So schlimm ist es nun auch wieder nicht, “ sagte Paul. „Ich sehe aus, wie ein gesprengter Heuschober“, jammerte ich. „Das IST schlimm.“ „Sowas ist doch gerade in, “ meinte Paul. „Der neue wilde Look. Vielleicht fotografiert dich ja einer. “ Ich zog schniefend die Nase hoch. „Vielleicht für ein Wildlife-Magazin.“ Paul legte den Arm um mich und verstrubbelte mir die Haare. „Am besten wir suchen jetzt Dan. Und deine Haare finde ich wirklich nicht schlimm.“ „Naja“, grummelte ich. Kapitel 6: ----------- Eine halbe Stunde später hatten wir uns aus den Irrungen und Wirrungen unserer wilden Flucht soweit herausgeworren, dass wir uns wieder auskannten. Wir liefen eine Weile einen Weg entlang, von dem wir Blick auf das Meer hatten und kamen dann wieder an den Platz, wo wir Dan zurückgelassen hatten. Das Problem war nur, Dan war nicht da. Keine Spur von ihm, keine Kaugummipapierchen, nichts. Ich sah Paul an. „Das ist irgendwie ungut.“ „Was du nicht sagst“, gab er zurück. Wir warfen uns einen Blick zu. Und hatten beide den gleichen Gedanken. „Oh, oh, “ machte Paul. Wir rannten los. Kopflos in irgendeine Richtung, dann hielten wir an und dachten kurz nach. Wo sollten wir denn anfangen zu suchen? Dan hatte wahrscheinlich Rodriguez und Pears erspäht und war ihnen gefolgt. „Da gibt’s jetzt eine richtige Schweinerei“, sagte Paul, der wohl den gleichen Gedanken hatte, wie ich. Ich nickte gedankenverloren. Wo war Dan bloß hin? Aber wir mussten zuerst Catherine aus den Abtswohnungen holen, bevor wir uns um ihn kümmern konnten. Dan konnte eine Weile ganz gut auf sich selbst aufpassen. Catherine nicht, die befand sich in mieser Gesellschaft. Wir hasteten die Seitenstraßen entlang und versuchten den Weg zu den Abtswohnungen zu finden. Hier gab es einfach zu viele Straßen, die man entlanggehen konnte. Überall zwischen den Häusern waren kleine Gassen und Wege, die manchmal einfach aufhörten und dann wieder plötzlich abknickten und in eine ganz andere Richtung weiterführten. Wir kamen völlig außer Atem vor dem langgestreckten Gebäude an. Ich stemmte die Hände in die Seiten und versuchte wieder zu Atem zu kommen. Paul rief plötzlich: „Vorsicht!“ und schmiss mich hinter ein Hauseck. Ich kam schmerzhaft auf dem Arm auf. Paul landete auf dem Bauch, neben mir. „Was ist denn los, zum Teufel nochmal?“ fauchte ich. Er hielt den Zeigefinger vor die Lippen. „Pst!“ und deutete nach vorne. Ballinger kam plötzlich in Sicht, hinter ihm Tunner. Von Rodriguez und Pears war keine Spur zu sehen. „Oh nein, nicht die schon wieder, “ entfuhr es mir. Ich schob mich ächzend ein Stück die Hauswand hoch und klopfte mir den Straßendreck vom Rock. Dann spähte ich wieder um die Ecke. Ballinger und Tunner gingen so zielstrebig, als ob sie dort wohnten, auf die Abtswohnungen zu. Mit festen Schritten. Sie sahen aus, als ob sie zu Catherine wollten, denn Tunner hatte eine Einkaufstüte in der Hand. Weiß Gott, wo sie die plötzlich herhatten. Jedenfalls war sie von einem Supermarkt. „Jetzt holen wir die Kleine“, sagte Ballinger. „Und dann wird sie uns zu dem Helm führen.“ „Yeah“, sagte Tunner. „Für was Hypnose nicht alles gut ist.“ Die beiden lachten gemein und Tunner öffnete die Tür zu den Wohnungen. Beide verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren. Ich und Paul sahen uns an. Mit offenen Mündern. „H-Hypnose?“ stammelte ich. „Was soll denn das?“ Paul schüttelte den Kopf. „Der Kerl hat sie nicht mehr alle.“ „Catherine weiß sicher nicht, wo der Helm ist“, sagte ich. „Hoffe ich zumindest.“ Wir richteten unseren Blick wieder auf das Tor hinter dem Ballinger und Tunner verschwunden waren. Wir spähten kurz um die Ecke, ob uns auch niemand sah, dann schritten wir ebenfalls auf das Eingangsportal zu. Die Tür war nicht verschlossen. Paul ging zuerst, er wollte sichergehen. „Auf geht’s.“ Er winkte mich herein. Wir schlichen um die Ecke und sahen uns um. Wir standen vor etwas, das wie ein sehr breiter Flur aussah. Rechts führte eine schmale Stiege nach oben, links war ein Fenster, wo ein paar Sonnenstrahlen hereinfielen und den Flur erleuchteten. Wir hörten plötzlich Schritte auf der Treppe und sahen uns entsetzt an. Wir drehten uns so leise wie möglich um und stoben in die andere Richtung davon. Paul riss eine Tür auf und ich schoss panisch an ihm vorbei. Er mir hinterher und schloss die Tür. Plötzlich war es stockfinster. Paul suchte in den Tiefen seiner Hosentaschen nach seinem Feuerzeug. Er leuchtete damit in den Raum hinein, wo wir unfreiwillig gelandet waren. „Na toll, “ sagte er und verzog das Gesicht. „Wir sind in einer Besenkammer.“ Ich sah an mir herunter. „Diese Klamotten passen ja wenigstens dazu.“ Paul sah mich mit einem bestimmten Blick an, und in diesem Moment gab Gott sei Dank das Feuerzeug seinen Geist auf. „He“, sagte ich. „Ich weiß genau, was dieser Blick soll.“ Er lachte leise. „Na dann. Los.“ „Ich spiele NICHT die Putzfrau.“ Ich trat wild im Dunkeln nach ihm und erwischte die verflixte Wand. „Auuu“, heulte ich los. „Halt die Klappe, du Schussel“, sagte Paul leise und drückte seine Hand sanft auf meinen Mund. Ich war ihm plötzlich so nahe, dass ich sein Herz pochen fühlen konnte. Plötzlich ließ er mich wieder los. Schade… Wir hörten die Schritte draußen und dann war auf einmal Stille. „Los“, sagte Paul, entzündete irgendwie ein Streichholz und ich nahm mir einen Putzkübel und einen Besen. An der Wand hing ein Kopftuch, das ich mir um den Kopf band damit die Kerle nicht sofort mein Gesicht sahen. Paul nickte mir ermunternd zu und ich nahm meinen Weg nach oben auf. Auf der Stiege hörte ich wieder Schritte. Ich schwang schnell den Besen hin und her und tat beschäftigt. Ein Mönch kam herunter, warf mir einen verwunderten Blick zu und sagte etwas zu mir. Ich zuckte die Schultern und sagte auf Französisch: „Nix verstehen.“ „Sind sie aus Polen? Sie haben so einen Akzent, “ fragte er neugierig. „Ich habe sie noch nie gesehen. Aber die andere Kollegin kommt aus Polen.“ Ich nickte. „Ich Russki. Ich dich nix verstehen.“ Konnte er nicht endlich seine Beine in die Hand nehmen und verschwinden? Paul lief mit irgendeiner Kehrschaufel sicher schon Amok in der Besenkammer. Ich kehrte weiter und ignorierte den Mönch geflissentlich. Kurz darauf verschwand er nach unten. Paul öffnete die Tür einen Spalt und linste heraus. „Und?“ „Problem gelöst“, sagte ich. „Ich pfeife, wenn ich oben bin und die Luft rein ist.“ Ich huschte die Treppe hinauf, bog um eine Ecke und prallte mit jemandem zusammen. Pears. „Scheiße, verdammte“, entfuhr es mir. Ich schwang den Besen reflexartig nach ihm und versuchte ihm eins auf seinen ollen Schädel zu geben. Er packte ihn, riss ihn mir aus der Hand und pfefferte ihn irgendein Geländer hinunter. „Und was kommt jetzt?“ fragte er und grinste Ich nahm blitzschnell den Putzkübel und warf ihn nach ihm. Eine Ladung Kieselsteine flog herum und brachte Pears aus dem Konzept. Hatte ich echt Kies mit mir herumgeschleppt? Ich blickte an ihm vorbei und sah plötzlich Dan hinter einer Säule auftauchen. Ich kreischte erschrocken los und trat nach Pears und erwischte ihn am Schienbein, was ihn einknicken ließ. Ich hörte schnelle Schritte auf der Treppe und Paul flog über die letzten Stufen, stolperte über Pears und legte sich auf die Schnauze. Er fluchte eine Runde auf irisch und rappelte sich wieder auf. Dan machte ein Geste und verschwand wieder hinter der Säule. Paul verpasste dem verdutzen Pears einen Kinnhaken, der ihn rückwärts gegen die Wand knallen ließ und er verlor das Bewusstsein. Wir huschten zu Dan hinüber. „Was macht ihr hier?“ fauchte er uns an. Seine Haare waren zerzaust, sein Gesicht gerötet und unter seinem rechten Auge bildete sich ein Bluterguss. „Hast du geprügelt?“ fragte ich. An seiner Schläfe begann eine Ader zu pochen. „Nein“, sagte er ironisch. „Wie könnte ich nur geprügelt haben?“ Paul lachte leise vor sich hin. „Ich habe Rodriguez außer Gefecht gesetzt. Und ich hatte eigentlich keine Probleme mit ihm.“ „Du siehst aber anders aus“, sagte ich. „Als ob die große Probleme gehabt hast.“ Die Ader begann wieder zu pochen und ich hatte Angst, dass sie platzen und mein tolles Kleid besudeln würde. „Jedenfalls“, sagte er. „Weiß ich wo Catherine ist.“ „Gut“, meinte Paul. „Dann holen wir sie jetzt da raus.“ Wir standen ratlos hinter einer Ecke herum und diskutierten und beschimpften uns, weil wir nicht wussten, wie wir es anstellen sollten Catherine da rauszuholen. „Wir gehen rein und machen Radau“, sagte Dan. „Nein“, murrte Paul. „Wir werfen Tränengas durchs Fenster.“ Tränengas, wohl eher Lachgas. So wie wir uns anstellen, würde das eh in einer Lachnummer enden. „Und woher kriegen wir Tränengas?“ fragte Dan grinsend. „Spar dir deinen Scheiß mit dem Tränengas. Das sind die gar nicht wert.“ Die beiden sahen mich an, und warteten wohl auf meine Idee. Ich hob abwehrend die Hände. „Ich würde ja sagen, wir schleichen uns an, einer lenkt die Kerle ab und die anderen holen Catherine.“ Paul sah Dan an, der guckte blöd zurück und beide nickten verdutzt. „Dass es so einfach gehen kann, habt ihr nicht gedacht, was?“ sagte ich. „Gut, Miss Easy, dann kannst du ja die Kerle ablenken“, sagte Paul und bekam von Dan eine Pistole in die Hand gedrückt. „Woher hast du denn die?“ fragte ich. „Und was ist mit mir?“ „Du brauchst nicht herumzuballern. Das machen schon wir, “ sagte Dan und spähte um die Ecke. „Die Luft ist rein, legen wir los.“ „Und wie soll ich das machen? Soll ich reinmarschieren und ‚Überraschung’ rufen?“ Ich verschränkte die Arme und sah Dan böse an. „Wieso nicht? Wir brauchen nur einen Moment, um durch die Hintertür zu kommen, “ sagte Dan. „Welche Hintertür, zum Teufel?“ fragte Paul. „Habe ich euch das nicht gesagt?“ Dan tat überrascht. „Jedenfalls ist da eine Hintertür, die habe ich vorhin entdeckt, als ich da herumgestreunt bin.“ Ich stöhnte und machte mich auf die Socken. Ich hielt Ausschau nach möglichen Ballinger-Schergen, aber keiner davon kreuzte auf. Also stellte ich mich vor die Tür und klopfte todesmutig. Nichts passierte, nur irgendjemand linste durch den Spion, und ich duckte mich. Sonst würde ja doch keiner aufmachen. Die Tür ging auf, und ich sah mich Auge in Auge Ballinger gegenüber. „Scheibenkleister“, entfuhr es mir. „Verdammter Mist“, fauchte Ballinger und versuchte mir die Tür vor der Nase zuzuschlagen. Aber ich hatte meinen Fuß drin, welcher gerade ziemlich in Mitleidenschaft gezogen wurde. Ballinger gab schließlich genervt auf, packte mich und zog mich in den Raum. Anscheinend hatte ich ihn lange genug abgelenkt, denn als Ballinger mich hineinzog, brach von der Hintertür her die Hölle los. Dan hatte offenbar die Tür mit einem Fußtritt aus den Angeln befördert und dann Paul hindurchgestoßen. Paul flog voll auf die Nase, rollte sich ab und stand dann Tunner gegenüber. Reflexartig hob er seine Faust in Kampfstellung. Tunner ging jammernd zu Boden. Ich schälte mich aus Ballingers Griff und trat ihm gegen das Schienbein. Er ächzte kurz und sah mich an, als würde er mir am liebsten die Gurgel umdrehen. „Hast du, außer Schienbeintreten, noch was drauf?“ Ich trat wieder nach ihm, er packte mein Bein und drehte es um. Ich drehte mich mit und landete auf dem Boden. Ballinger stieß ein heiseres Gelächter aus, doch bevor er sich an seiner Lache verschlucken konnte, zog ich ihm die Beine weg. Er landete krachend auf dem Rücken und strampelte mit allen vieren, wie ein Käfer der auf dem Rücken gelandet war. Paul wälzte sich derweil prügelnd mit Tunner auf dem Boden. Ich konnte nicht erkennen, wer am gewinnen war. Hoffentlich aber Paul. Dan machte derweil Catherine von einem Stuhl, an den sie gefesselt war, los. Zuerst hatte ich sie gar nicht gesehen, weil diese Kerle sie in den hinteren Teil des Raums geschoben hatten. Catherine sprang auf und fiel Dan dankbar um den Hals. Bevor sie ihn abknutschen konnte, ging die Tür wieder auf. Rodriguez schaute herein, erblickte mich, und sah aus, als würde er am liebsten wieder umkehren und die Beine in die Hand nehmen. Insgesamt sah er aber eh ziemlich ramponiert aus. Dan hatte ganze Arbeit geleistet. Rodriguez’ Kleidung war zerfetzt, über seiner Wange prangte ein blauer Fleck, der wahrscheinlich von Dans Pistolengriff her stammte. Und das Beste war, Rodriguez hatte Pears im Schlepptau. Der sah aus, als hätte man ihn mit einem Traktor überrollt. Das war Pauls überzeugender Faust zu verdanken. Ballinger war wieder auf den Beinen und stürzte sich mit einem Schrei auf mich. Ich hatte ihn nicht kommen sehen und knallte auf den Hintern. Das tat verdammt weh. Ballinger lag auf mir und wollte mir die Luftröhre abdrücken. „Fick dich doch“, brachte ich noch heraus. Er lachte. „Gleich bringt du keine Schimpfwörter mehr raus.“ Ich strampelte mit den Beinen und versuchte zu kreischen. Das konnte er am wenigsten ab. Er hatte meinen Hals im Todesgriff und drückte immer fester zu. Vor meinen Augen tauchten schwarze Schatten auf, und die vernebelten mir langsam die Sicht. Doch bevor noch ein Sensenmann aufkreuzen konnte, kam Dan, und der sah nicht aus, als hätte er heute noch Lust auf Scherze. Er haute Ballinger eine Vase um die Ohren und der Kerl ließ von mir ab. Ich lag keuchend am Boden und versuchte wieder Luft zu bekommen. Catherine tauchte in meinem Blickfeld auf und zog mich langsam hoch. „Verdammt“, fluchte ich. „Idiot.“ Catherine sah Dan erleichtert an. „Sie ist wieder OK, glaube ich.“ „Wenn sie fluchen kann, dann ist sie OK“, sagte er und grinste Langsam bekam ich wieder Luft. Mir kam es vor wie eine Ewigkeit, bis meine eingedellte Luftröhre sich wieder erholt hatte. Ballinger lag neben mir auf dem Boden, jammerte und hielt sich den Kopf. Über ihm stand Dan mit gezogener Pistole. Hoffentlich machte er jetzt keinen Mist… Paul und Tunner prügelten immer noch und zerlegten dabei den Raum. Rodriguez lag unter einem Tisch und ächzte. Als ich soweit wiederhergestellt war, stand ich auf. Die Knie waren noch ein bisschen wackelig, aber sonst ging’s mir gut. Dan gab Ballinger noch einen Fußtritt, den konnte er sich sicher nicht verkneifen. Paul setzte seinen letzten Kinnhaken und Tunner war im Traumland. Dan und Paul begannen die Bande zu fesseln und zu knebeln. Am Schluss lagen sie zu Paketen verschnürt am Boden und wir zogen ab. Catherine sah immer noch ein wenig ratlos aus. Paul erklärte ihr das nötigste von unserem Job, und sie schien zufrieden. Wenn auch ein wenig fassungslos, wie jemand einen Job machen konnte, bei dem einer einem ständig an den Kragen wollte. Eine Weile später standen wir in der Nähe eines Restaurants herum und überlegten, ob wir was essen sollten. „Ich würde sagen…“, fing Catherine an. „Dass ich Stella erst einmal neue Klamotten besorge.“ Sie sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. „So kann sie jedenfalls nicht herumlaufen.“ Sie zog an einer Haarsträhne von mir. „Obwohl ich diese Haare echt cool finde. Wie hast du die so hinbekommen?“ Paul bekam einen Lachkrampf und ich schmunzelte. „Das sag ich dir lieber nicht. Sonst bist du entsetzt.“ Catherine grinste mich vielsagend an. „Genau. Belassen wir’s dabei.“ Und dann zu Dan sagte sie: „Wir gehen kurz einkaufen.“ „Kurz…“, murmelte Dan fassungslos vor sich hin. Paul zog die Augenbrauen hoch, und ich zog mit Catherine von dannen. Zwanzig Minuten später hatte ich eine neue Hose, ein neues Shirt, neue Schuhe und Dans Kreditkartenguthaben ein großes Loch. Dan und Paul standen noch da, wo wir sie stehengelassen hatten. Sie guckten mich kritisch an und nickten dann grinsend. „Schon besser“, sagte Dan. „Das Kleid vorhin, war der letzte Fetzen.“ „Was du nicht sagst“, knurrte Catherine. „Aber ihr kümmert euch ja erst um so was, wenn man’s euch vor die Nase hält.“ „He“, wehrte Dan ab. „So schlimm bin ich auch nicht.“ „Also, ich würde vorschlagen, wir suchen weiter nach dem Helm“, sagte Paul, um die Situation irgendwie zu retten. „Ich weiß nicht wo er ist“, sagte Catherine. „Aber ich kenne einen dieser Mönche, der vielleicht etwas weiß.“ Dan guckte kritisch. „Und das haben diese Ballinger-Kerle nicht erfahren?“ Catherine schüttelte den Kopf, sie grub in ihrer Hosentasche herum. Dann beförderte sie einen Zettel zutage, auf dem ein Name und etwas auf Latein geschrieben stand. „Der Mönch“, sagte Catherine und gab Dan den Zettel. Er warf ein paar Blicke darauf, dann grinste er. „Der wohnt ja gar nicht in diesen Wohnungen, wo wir gerade waren.“ „Gott sei Dank“, murmelte Paul. „Da geh ich nämlich nicht mehr ’rein.“ Ich guckte auf den Zettel. „Kannst du uns dahinführen?“ fragte ich Catherine. Sie nickte. „Auf geht’s. Und, dass sich diese furchtbaren Kerle hier nicht mehr blicken lassen.“ Der Mönch sah uns böse an. „Was wollen Sie?“ Wir hatten seine Wohnung gefunden und einfach geklingelt. Dreimal geklingelt, um genau zu sein. Er hatte einfach nicht aufgemacht. Und das lag wohl daran, dass er ihm Bett war. Denn als er öffnete sah er so verstrubbelt aus, wie Paul nach dem aufstehen. „Noch mal, verdammt. Was wollen Sie?“ Catherine stellte sich vor Dan, der aussah, als wolle er ihm den Schlaf aus den Augen prügeln. „Sie sollten nicht so fluchen, Monsieur. Das mag der Herr sicher gar nicht.“ Sie stellte einen Fuß auf den Fußabstreifer. „Wir dürfen doch sicher reinkommen.“ Der Mönch trat widerwillig zur Seite und ließ uns hinein. Dan guckte ihn böse an. „Der sollte sich mal im Spiegel sehen“, flüsterte er Paul zu. Der Mönch führte uns in ein großes Zimmer. Er nahm hinter einem Schreibtisch platz, verschränkte die Arme und sah uns halb-erwartungsvoll, halb-genervt an. Dan setzte sich in den Stuhl ihm gegenüber und lehnte sich zurück. „Sie kennen doch sicher Michel, der hier im 14. Jahrhundert gelebt hat.“ „Na klar, ich kenne alle hier, die seit Christus Geburt hier leben.“ Der Mönch warf ihm einen belustigten Blick zu. „Sind Sie vielleicht verrückt geworden, einfach so hier hereinzuspazieren, mich aus dem Bett zu klingeln und dann solche bescheuerten Fragen zu stellen?“ Dans Gesichtsausdruck würde wütend, doch bevor hier Schimpfwörter durch die Gegend flogen, legte Catherine ihm einen Arm auf die Schulter. „Monsieur, wir haben ganz normal gefragt. Also?“ Der Mönch stöhnte. „Also gut. Auch wenn ich nicht weiß, was es euch nutzen soll.“ Er lehnte sich zurück und legte die Fingerspitzen seiner Hände aneinander. „Gut. Michel lebte hier im 14. Jahrhundert. Er war Krieger und kämpfte für die Normannen. Er war bekannt für seinen Helm, der mit Diamanten und Gold verziert war. Viele Soldaten, die gegen ihn kämpften, ließen sich durch den Schein des Helmes blenden, und wurden dann durch Michel getötet.“ Der Mönch schielte zu Dan hinüber, der ihm befriedigt zunickte. „In einer großen Schlacht wurde Michel getötet. Sein Helm wurde von einem Soldaten nach England gebracht.“ „Nach England?“ Dan sprang auf. „Wieso nach England. Heißt das, wir sind ganz umsonst hier?“ „Lass ihn doch ausreden“, sagte ich. „Wenn du ihn dauernd unterbrichst, kommen wir auch nicht weiter.“ Der Mönch fuhr fort. „Der Helm blieb bis ins 16. Jahrhundert dort. Dann wurde er zurückgebracht. Hier nach Mont-St-Michel, wo er sich auch noch heute befindet.“ Paul und ich beugten uns, vor Spannung, unwillkürlich nach vorn. „Und heute befindet er sich...“ der Mönch sah Catherine an. „Sie kennen doch den heiligen Michael?“ Catherine nickte. „Klar doch. Aber was hat der damit zu tun.“ Der Mönch grinste. „Der Helm befindet sich in der Statue des heiligen Michael auf der Spitze des Klosters.“ Dan fiel beinahe die Kinnlade herunter. „Da oben? Oh, Mist…“ Paul guckte entsetzt, er hasste klettern. Fliegen mochte er, er mochte nur nicht in großen Höhen herumkraxeln. Er fand, dass Menschen nicht dazu da waren, irgendwo herumzuklettern wo sie auf normalem Wege nicht hinkamen. Ich sah Catherine an, die ebenfalls überrascht aussah. „Michel, heiliger Michael, wir hätten auch gleich darauf kommen können“, murrte Dan vor sich hin. Aber er war doch froh, dass wir endlich wussten, wo wir hin mussten. Er stand auf, deutete eine Verbeugung an. „Ich danke Ihnen Monsieur.“ Der Mönch grinste noch breiter. Wir verabschiedeten uns von dem hilfreichen Monsieur und gingen unseres Weges. Kapitel 7: ----------- Schließlich standen wir vor dem Klosterbau und blickten die grauen Mauern hinauf. Dort oben glitzerte die goldene Statue von St. Michael in der Abendsonne. Wir mussten uns beeilen, wenn wir es noch vor Dunkelheit schaffen wollten. Wir hatten vielleicht noch zwei Stunden Zeit. Dan hatte eine Hand in die Hüften gestemmt und mit der anderen schirmte er die Sonnenstrahlen ab, die jetzt von seitlich her kamen. „Und wie, zum Teufel, sollen wir da hoch kommen?“ Paul sah Catherine an, die sich hier ja auskennen sollte. Sie zuckte die Schultern. „Woher soll ich das wissen. Ich war Reiseführerin, nicht Indiana Jones, der Schätze klaut.“ „Indiana Jones klaut keine Schätze“, sagte Dan. „Er sucht sie.“ „Ich wette mit dir, du kennst alle Bücher davon auswendig“, sagte Catherine spöttisch. „Kann dir ja egal sein“, murmelte Dan. Paul sah sich alles ein wenig kritisch, vom Hintergrund her, an. Er sah auf den Turm und verzog das Gesicht. „Eins sag ich euch, ich klettere nicht auf dieses Dings.“ „Ich geh’ rauf“, sagte Dan. „War mir schon klar“, murmelte Catherine. „Du musst ja Indiana Jones spielen.“ „Ich spiele NICHT Indiana Jones.“ Dan ging auf wie ein Hefeteig. „Was soll das überhaupt?“ „Ach“, wehrte Catherine ab. „Ist schon gut.“ „Wie wär’s wenn wir von innen hochgehen, bis die Treppen aus sind, und dann aus dem Fenster klettern“, schlug Paul vor. Er zeigte nach oben. „Du könntest aus diesen hohen Fenstern klettern, da beginnt auch gleich der Turm.“ Ich nickte. „Wenn du Lust hast, kann ich auch hochklettern, Dan.“ „Du kannst mir hinterher klettern“, sagte er. Mir blieb der Mund offen stehen. Catherine murmelte irgendetwas von ‚Emanzipation’ und Paul schüttelte genervt den Kopf. Wir suchten uns den Eingang und fanden einen Haufen Treppen vor. Touristen waren beinahe keine mehr unterwegs, nur auf dem Vorplatz des Klosters hingen noch ein paar herum, schleckten Eis, oder machten Fotos vom Sonnenuntergang. Weit und breit war sonst niemand zu sehen, der uns beobachten konnte, als wir über das Sperrgitter kletterten, das die Treppe nach den Öffnungszeiten, blockierte. Die Treppen wurden nach oben hin immer schmäler. Kam mir vor wie im Glockenturm der Kirche in unserem Heimatort, wo ich als Kind immer herumgeklettert war. Schließlich standen wir vor den hohen Fenstern. Allgemeine Ratlosigkeit machte sich breit, als wir weit und breit kein Seil fanden, mit dem wir uns irgendwo festbinden und sichern konnten. Schließlich gaben wir auf. Dan stellte sich auf das Fensterbrett. „Wir brauchen einen Stuhl, oder so. Dann klettert Stella auf meine Schulter. Und von da auf das Dach.“ Catherine beförderte von irgendwo her eine riesige alte Kiste, die wir aufs Fensterbrett stellten. Dan stellte sich darauf. Das ganze schwankte wie eine Hängebrücke bei einem Orkan. Ich holte tief Luft und setzte meinen Fuß neben Dans. Dann schlang ich mein Bein um seine Hüften und hangelte mich hoch, bis ich halt auf seinen Schultern fand. Er selbst hielt sich am Fensterrahmen fest. Gut, das diese Fenster keine Scheiben oder Läden hatten. Schließlich stand ich, mehr schlecht als recht, auf seinen Schultern. Er hielt meine Beine und schielte nach oben. „Echt schade, dass du keinen Rock trägst“, meinte er grinsend. „Sei still“, ich beugte mich langsam nach unten und zog dann blitzschnell seine Pistole aus dem Schulterholster. „He“, protestierte er. „Was willst du damit? Mich abknallen, weil ich anzügliche Scherze mache?“ „Mal sehen“, murmelte ich. „Aber man weiß ja nie, wer da oben alles auftaucht.“ Ich steckte die Pistole in meinen Hosenbund und griff dann mit den Armen über das Fenster. Meine Fingerspitzen fanden halt und ich zog mich langsam nach oben. Dan gab meinen Beinen plötzlich Schwung, ich flog wie ein Stuntman nach oben und landete bäuchlings auf dem Dach. Ich krallte mich fest, weil das verflixte Dach ziemlich steil war und ich nicht als roter Fleck auf dem Vorplatz des Klosters enden wollte. „Und?“ brüllte ich nach unten. „Bin ich jetzt allein hier, oder kommt noch jemand?“ Ich bekam keine Antwort. Doch ich hörte einen Schrei. „Hol den Helm. LOS!“ Ich hörte einen Schuss, dann war Stille. Ich bekam eine Gänsehaut. Verdammt. Ballinger war hier. Und ich Idiot hatte Dan seine Pistole abgenommen. Moment mal, Dan hatte doch noch mehrere, wozu also Sorgen machen. Ich warf noch einen letzten Blick nach unten und eine Hand kam in mein Blickfeld. Ich erschrak und schrie. Dann tauchte auch noch ein Kopf auf. Rodriguez’ Kopf. Ich zog Dans Pistole und hielt sie ihm vor die Augen. Seine Augen wurden kugelrund und er brüllte irgendetwas. Dann trat ich ihm volle Wucht auf die Finger. Er schrie und ließ los. Ich sah ihm hinterher und fand ihn an einem Seil über dem Abgrund baumelnd. „Idiot! Selbst schuld, “ schrie ich hinunter. Er zeigte mir den Stinkefinger und fluchte gotteslästerlich. Ich kroch weiter nach oben, dann richtete ich mich auf und griff nach solchen Streben, die aus dem Turm seitlich herausragten wie Stufen. Ich benutze sie auch als Stufen. Einen nach dem anderen, ich warf einen Blick nach unten und schluckte. Bloß nicht noch mal runter gucken. Dann sah ich St. Michael in der Sonne glitzern und mir wurde warm ums Herz. Ich nahm die letzte Stufe, und sie gab plötzlich nach. Ich schrie und griff nach den anderen Streben. Ich konnte mich gerade noch vor dem abstürzen bewahren. Wer auch immer den Helm hierher gebracht hatte, der hatte Ahnung vom Fallen stellen. Fies, so kurz vor Schluss eine Stufen-Attrappe reinzubauen. Ich klomm wieder nach oben und fand mich Auge in Auge mit Michael. Er war komplett aus Gold. Wo zum Teufel war der Helm? Innendrinnen, klar. Aber wo? In seinem Hirn, oder in seinem Bauch? An seinem Kopf sah ich kein Anzeichen von irgendetwas was man öffnen konnte. Und an seinem Bauch fand ich ein kleines Loch, das wie ein Schlüsselloch aussah. Schlüsselloch? Wenn ich eine Hand frei gehabt hätte, hätte ich sie mir gegen die Stirn geklatscht. Dan hatte einen Schlüssel, den, den wir in diesem Schacht gefunden hatten. „Verdammter Mist“, brüllte ich. Ich konnte es nicht fassen, da hing ich hier vor dieser Statue, der Wind pfiff mir um die Ohren und ich hatte den Schlüssel zur ‚Schatztruhe’ nicht in den Händen. Dann kam plötzlich Leben in die Bude. Es ertönte noch ein Schuss, dann kam Dan über den gleichen Weg den ich genommen hatte, aufs Dach gesegelt. Er kletterte um einiges schneller als ich an den Streben nach oben. „Aufpassen“, sagte ich und deutet auf die abgeknickte Strebe. Er nickte und war in Windeseile neben mir. „Ballinger hat einen Hausbesuch gemacht“, sagte Dan schmunzelnd. „Doch er war nicht willkommen. Wir haben ihn zur Hölle geschickt.“ „Habt ihr sie etwa gekillt?“ „Wenn das nur so einfach wäre, diese Kerle haben mehr Leben als eine Katze“, stöhnte Dan genervt. Er besah sich Michael und nickte dann wissend. „Der Schlüssel.“ Er begann in seiner Hosentasche herumzukramen. „Herrgott, wieso dauert das so lange?“ schimpfte ich ungeduldig. Schließlich beförderte er den goldenen Schlüssel zutage. Er schob ihn sachte in Michaels Schlüsselloch im Bauch. Er drehte ihn herum und es war, als hätte er einen Mechanismus ausgelöst. Auf einen Schlag klappten die Streben nach innen. Wir verloren beide den Halt. Ich kreischte auf und wir stürzten. Dan griff geistesgegenwärtig nach oben und klammerte sich an Michaels Fuß. Mit der anderen Hand hatte er nach mir gegriffen und mich am Arm erwischt. Ich griff langsam nach seiner Hand, weil mein Shirt zu reißen drohte. So hingen wir also unter Michael fest, Auge in Auge mit dem Abgrund. „Und jetzt?“ fragte Dan. „Keine Ahnung“ antwortete ich. „Zieh uns hoch.“ „Bin ich vielleicht Superman?“ fragte Dan spöttisch. „Nein“, grinste ich. „Aber vielleicht Indiana Jones?“ Dan schüttelte genervt den Kopf. Dann nahm er seine ganze Kraft zusammen und zog. Ich hatte Angst Michaels Fuß könnte abbrechen, aber der hing schließlich schon seit dem 18. Jahrhundert hier herum, da machte ihm sicher ein Mensch, der sich an ihn klammerte auch nichts mehr aus. Dan zog und zog. Er war vor Anstrengung knallrot. Schließlich hatte er mich soweit herauf gezogen, dass ich mich selbst an Michaels anderen Fuß klammern konnte. „Lieber Indiana Jones, als Superman“, keuchte Dan. „Dann muss ich wenigstens meine Schlüpfer nicht über der Hose tragen.“ Wir grinsten uns beide an. Dan konnte nicht anders, er gab mir vor Freude einen Kuss. Und ich konnte nicht anders, als ihn zu erwidern. „Blöde Situation, ich weiß“, sagte er. „Wir sollten uns woanders hin verziehen.“ „Wem sagst du das“, grollte ich. Ich versuchte mit meinen Füßen halt zu finden, doch sie rutschten immer wieder ab. „Ich weiß nicht, wie lange ich mich noch hier halten kann.“ „Einen Moment noch, “ presste Dan hervor, während er sich an Michael hinaufzog. Er schaffte es, den Schlüssel ganz zu drehen. Plötzlich klappten die Streben wieder heraus. Ich seufzte vor Erleichterung und platzierte mich neben Dan auf den Streben. Wir sahen gespannt zu, was sich jetzt mit Michaels Statue tat. Der Bauch öffnete sich, wie ein kleines Tor und gab den Blick auf den Helm frei. Wir beide hielten den Atem an. So etwas hatten selbst wir noch nie gesehen, diese Verzierungen und die vielen Diamanten. „Boah, Alter“, entfuhr es Dan. „Heilige Scheiße“, murmelte ich. „Und das sollen wir mitnehmen?“ Dan enthielt sich einer Antwort und nahm den Helm heraus. Wieder klickte ein Mechanismus. „Langsam habe ich genug von diesen ständigen verdammten Mechanismen“, schimpfte ich wütend. „Welcher Idiot hat die hier eingebaut?“ Dann gaben plötzlich die Streben wieder nach. „Scheiße“, brüllte Dan. Und wir schlitterten nach unten. Ich segelte über den Dachrand und sah mich dem Abgrund gegenüber. Ich glaube, so wie gerade eben hatte ich noch nie in meinem Leben gebrüllt. Jedenfalls krachte ich mit dem Rücken irgendwo drauf. Auf etwas Hartes. Aber nicht den Boden, sondern etwas, das kurz nach dem Dach hingebaut worden war. Ich bekam eine kurze Atemnot, weil ich voll auf den Rücken geknallt war, irgendjemand zog mich von diesem ominösen Lebensretter-Ding herunter und redete auf mich ein. Es war Paul. Mein Gott, ich war noch nie so froh ihn zu sehen. Ich fiel ihm wortlos um den Hals und drückte ihn an mich. „Danke“, murmelte ich. „Ich liebe dich.“ „Na, na, “ sagte Paul trocken und drückte mich. „Du hast einen Schock, würde ich sagen.“ Ich ließ ihn aus meinem Schock-Klammergriff und sah mich um. Da stand Catherine, mit einer Schrotflinte bewaffnet, und hielt Tunner, Pears und Rodriguez in Schach. Ich hätte beinahe laut gelacht, täte nicht mein Rücken so weh. Und zum Lachen kam ich eh nicht mehr, weil Dan auf dieses Lebensretter-Ding krachte. Paul und Catherine hatten an das Fensterbrett eine Art Vorsprung aus Holz gebaut, das wohl jemanden, der vom Dach kam, auffangen sollte. „Ich liebe euch“, rief Dan, als er von dem Ding herunterstieg. Er hielt den Helm, wie ein Fußballspieler den Champions-League-Pokal, über seinem Kopf. „Habt ihr’s dann mit euren Liebeserklärungen, verdammt noch mal?“ schimpfte Catherine. „Dann nehmt mir dieses Gewehr ab. Ich hasse es.“ Dan übernahm und schien Spaß daran zu haben, die drei Schergen zu bedrohen. Wir fesselten und knebelten sie wieder, auch wenn es aussichtslos schien, weil sie sich eh wieder befreien würden. Und Ballinger lief auch noch irgendwo frei herum. Paul betrachtete den Helm. „Echt cool.“ War sein Kommentar dazu. „Und hinter diesem Ding wart ihr her?“ fragte Catherine. „Macht ihr so was öfters?“ Ich nickte. „Ist so was wie unsere Lebensaufgabe. Wir können uns schon nichts anderes mehr vorstellen.“ „Sicher spannend“, befand Catherine. „Aber ich könnte so was nicht dauernd machen. Da würden meine Nerven ja durchdrehen.“ „Übrigens“, sagte ich zu Catherine. „Ich hatte da oben mit Dan eine Unterhaltung. Er sagte, er sei lieber Indiana Jones, als Superman. Wegen der Unterhose, du weißt schon…“ Catherine grinste Dan frech an, und der zwinkerte ihr schelmisch zu. Hatten wir das doch endlich geklärt. Wir fuhren alle aus unserer friedlichen Starre hoch, als wir ein fieses Lachen hörten. Über uns stand Ballinger auf einer Querstrebe und hielt eine, nein, zwei Pistolen auf mich und Paul im Anschlag. „Der schon wieder, “ grummelte Catherine. „Schon deswegen würde ich diesen Job nicht machen.“ „Der kommt sich da oben sicher wie der Größte vor“, murmelte Paul. „Ruhe!“ brüllte Ballinger. Er kam über eine Leiter herunter, verlor uns jedoch nie aus den Augen. Er zielt auf Dan. „Leg das Gewehr weg.“ Dan schüttelte den Kopf und Ballinger schoss. Dan ging mit einem wütenden Schrei zu Boden und griff sich nach seinem Bein. Ich und Catherine hatten erschrocken aufgeschrien, als Ballinger geschossen hatte. Doch Paul war der Moment der Unaufmerksamkeit Ballinger nicht entgangen. Er hechtete nach dem Gewehr, dass Dan fallen gelassen hatte, lud es krachend durch und schoss nach Ballinger. Der wich jedoch blitzschnell aus, und Paul traf die Wand, aus der Stücke herausbrachen. Ich warf mich mit Catherine auf Ballinger. Ich erwischte eine der Pistolen und schlug sie ihm aus der Hand. Dan robbte hin und hob sie auf. Ballinger hatte ihn ins Schienbein getroffen, und Dan zog eine Blutspur hinter sich her. Catherine hatte Ballinger im Schwitzkasten und prügelte auf ihn ein, bis er schließlich schlaff wurde und zu Boden sank. Ich huschte zu Dan. „Alles klar?“ „Wenn ich diesem Kerl den Arsch versohlt habe, geht’s mir wieder gut“, presste er hervor. Offenbar hatte er große Schmerzen. Ich legte seinen Arm über meine Schulter und zog ihn hoch. Er ächzte und fluchte. Aber solange er noch fluchen konnte, war es noch nicht lebensbedrohend. Wir kletterten die schmale Stiege, mit einigen Platzproblemen, hinab. Dieses Ding war gebaut worden, damit eine Person hinauf gehen konnte, und nicht zwei nebeneinander. Deshalb schickte ich Catherine vor, die Dan von unten abstützen sollte, falls er aus dem Gleichgewicht kam. Wir kamen unten an, und dann fiel Paul die Treppe herunter, und kugelte an uns vorbei. „Kannst du nicht laufen, du Depp?“ knurrte Dan. Er presste seine Hand auf sein Schienbein und fluchte. „He“, motzte Paul zurück. „Lass deine schlechte Laune nicht an mir aus. Such dir gefälligst jemand anderes.“ „Hört auf“, sagte Catherine sauer. „Streite zuhause, oder lasst es bleiben.“ Wir gingen weiter, Dan humpelte, und wir wechselten uns ab mit dem stützen. Schließlich hatten wir unsere Ausgangsposition von vorhin, das Restaurant, erreicht. Nicht das Restaurant, dass wir verwüstet hatten, sondern das andere. Wir setzten Dan auf der Brüstung, wo die Mauer hinter ihm ins Meer abfiel, ab und ließen uns dann auch nieder. „Lasst und mal zusammenfassen“, fing Paul an. „Wir haben den Helm, wir haben Ballinger verprügelt, wir haben eine Schusswunde und wir haben keine Ahnung wie es weitergehen soll. Richtig?“ „Richtig“, bestätigte Dan mit schmerzverzerrtem Gesicht „Die Kerle werden am Damm auf uns warten und uns abfangen.“ „Wir brauchen ein Boot“, sagte Catherine vor sich hin. „Was redest du da?“ fragte Dan. „Für was, ein Boot?“ „Wir haben Flut“, sagte Catherine und deutete aufs Meer. Mont-St-Michel war komplett von Wasser umgeben. Kein Fleckchen Land war mehr zu sehen. „Super Idee, “ sagte Paul. „Und wer besorgt uns eins?“ Catherine grinste. „Ich weiß schon, was bei euch ‚besorgen’ bedeutet. Nämlich klauen. Und ich werde es besorgen.“ Sie stand auf und schritt davon. Dann drehte sie sich noch mal um. „Wartet hier. Die Mauer ist hier nicht sehr hoch, und da könnt ihr herunter springen, wenn ich mit dem Boot unten bin.“ Dann war sie weg. Ich linste über die Mauerkante und was ich sah, gefiel mir nur bedingt. Überall Wasser, ich hoffte nur, dass es tief genug war und wir uns nicht die Füße in den Hals rammten. Dan jammerte vor sich hin. „Mann, wir sitzen hier, wie auf dem Präsentierteller.“ „Geh doch woanders hin“, grollte Paul. „Wie denn? Ich kann nicht laufen, “ Dan deutete auf sein Bein. „Aber ich kann dich abknallen, wenn du nicht aufhörst mich blöd anzumosern.“ „Hört endlich auf zu zanken.“ Ich stellte mich vor die beiden und stemmte die Hände in die Hüften. Wir warteten und warteten. Keine Catherine tauchte auf. Schließlich sprang Paul auf. „Ich bin gleich zurück.“ Er stellte den Helm neben mir ab und verschwand im Restaurant. Fünf Minuten später kam er zurück. „Klo?“ fragte Dan. „Da müsste ich auch mal hin.“ Paul und ich sahen uns an und stöhnten. Also packten wir Dan hoch, schleppten ihn ins Restaurant, in dem Gott sei Dank, wenig los war, und ließen ihn Pinkeln. Als er endlich zufrieden war schleppten wir ihn raus und setzten ihn wieder auf die Brüstung. Immer noch keine Catherine war in Sicht. Zehn Minuten später hörten wir ein Motorbrummeln. Wir linsten über die Brüstung uns sahen sie, in einem kleinen schnittigen Boot sitzend und winkend. „Auf geht’s, Leute“, schrie sie. „Ist das Wasser da tief genug?“ rief Paul hinunter. „Ja, natürlich“, brüllte sie zurück. „Was denkst du denn? Dass ich euch ins Verderben springen lasse?“ Wir stellten den verdutzten Dan auf die Brüstung und gaben ihm einen Stoß. Mit einem Aufschrei landete er ihm Wasser. Ein paar Leute hatten uns beobachtet und guckten ziemlich entsetzt. Wir sahen hinab zu Catherine, die gerade versuchte Dan ins Boot zu hieven und dabei kläglich scheiterte. „Nichts für ungut“, sagte Paul zu den entsetzten Leuten und stürzte sich die Mauer hinunter. Ich winkte den Leuten ebenfalls und verabschiedete mich von der Brüstung. Wir landeten klatschend im Wasser und tauchten, keuchend und prustend, wieder nach oben. Paul schob Dan von hinten und Catherine zog von oben. So brachten wir ihn schließlich ins Boot. Ich und Paul kletterten hinterher und verschnauften erst einmal. Den Helm verstauten wir seitlich in einer Kiste. Dann sahen wir uns Mont-St-Michel ein letztes Mal von der Seite an. Catherine saß am Steuer und lenkte das Boot sicher. Paul gesellte sich zu ihr. „Du kannst Boot fahren?“ „Hab ich von Jean gelernt“, erwiderte sie. „Was hast du denn sonst noch so drauf?“ fragte Paul. Catherine grinste ihn spitzbübisch an. „Das!“ Und stürzte sich auf ihn. Die beiden rollten sich küssend und lachend auf dem Boden. Dan stöhnte und sah mich an. „Und was ist mit mir? Tröstest du mich auch?“ „Was gibt’s da zu trösten?“ Ich grinste. Er ließ seine Hand in meine gleiten und drückte sie. „Gute Arbeit“, sagte er. „Das du meine Arbeit mal lobst“, sagte ich und legte meinen Kopf auf seine Brust. „War gut. Vor allem die Nummer mit der Putzfrau.“ Wir lachten. Die Nummer war irre gewesen. Schließlich ließ ich mich doch noch dazu hinreißen, Dan einen Kuss zu geben. Wir hörten plötzlich Motorengebrumm. Schiffsmotorengebrumm. Ich ließ von Dan ab, der enttäuscht grummelte. Wir steckten unsere Köpfe über die Reling und erblickten ein großes Boot, oder Schiff, das mit atemberaubender Geschwindigkeit auf uns zugeschossen kam. „Scheiße“, brüllte ich. Catherine sprang auf und jagte den Motor hoch. Paul suchte vergeblich nach Waffen. „Wir haben keine“, brüllte Catherine gegen das Motorengeräusch an. „Ist ja nicht mein Boot.“ „Verflixt und zugenäht“, sagte Paul und sah in den Himmel, als ob er dort eine Lösung finden würde. Ballingers Schiff kam näher und näher. Wenn er nicht bremste, würde er uns einfach zerfetzen. Doch er bremste. Glücklicherweise. Sie drängten uns so zur Seite, dass Catherine ebenfalls bremsen musste, um nicht zu kentern. Dann stellte er das Schiff so vor unsere Nase, das wir nicht weiterkonnten. Und so eng wenden, dass wir an ihm vorbeikamen konnten wir auch nicht. Wir hielten und Ballinger tauchte hinter der Reling seines Schiffes auf. Er grinste über das ganze Gesicht. „Habe ich euch endlich.“ „Nichts hast du“, sagte Dan. „Scher dich zum Teufel.“ Ballinger hob tadelnd den Zeigefinger. „Na, na. Wenn ihr brav seit, und mir den Helm gebt, lass ich euch vielleicht sogar gehen.“ „Fick dich“, sagte Paul und starrte Ballinger an. Ballinger sah hinter sich, wo seine Schergen standen. „Wie mir scheint, brauchen unsere Kollegen ein schlagkräftiges Argument.“ Rodriguez trat vor und warf etwas auf unser Boot. Es fiel krachend durch den Holzboden und hinterließ ein dickes Loch, aus dem jetzt Wasser hervorsprudelte. Gleichzeitig schoss Tunner mit einer Pistole auf den Motor, der ein paar Funken und haufenweise Qualm spuckte und verschied. „Scheiße“, sagte Dan. Es klang mehr wie eine Feststellung, als wie ein Fluch. „Und? Was ist jetzt?“ fragte Ballinger und streckte seine Hand aus. „Gar nichts kriegst du“, sagte Paul leise und grinste dann. Sein Blick hing immer noch im Himmel über Ballingers Schiff. Und jetzt erkannte ich auch, was er da die ganze Zeit gesucht hatte. „Du hast auf Hendon angerufen, du Schuft, “ sagte ich und grinste. „Du warst gar nicht pinkeln.“ „Deckung!“ brüllte Paul plötzlich und warf sich zu Boden. Wir ihm hinterher. Von oben erklang ohrenbetäubendes Motorengeheul und drei Flugzeuge schossen über Ballinger und seine Schergen hinweg. Es waren wirklich die Flugzeuge von Hendon. Die Mustang, die Spitfire und die Hurricane. Und offenbar hatten sie ihre MGs geladen. Sie starteten einen neuen Anflug. Catherine hatte geistesgegenwärtig den Motor gestartet. Wir kamen ein paar Meter von Ballingers Schiff weg, bevor die Mustang und die Spitfire ihren Zielanflug starteten. Die Hurricane kreiste oberhalb. Die beiden Warbirds schossen im Tiefflug über das Wasser und hinterließen gekräuselte Wellen, so tief flogen sie. Dann feuerten sie plötzlich. Tak-tak-tak. Erklangen ihre Maschinengewehre. Ballinger brüllte und stürzte sich über die Reling ins Wasser. Seine Schergen ihm nach. Die Mustang erwischte das Schiff frontal in die Seite und mit einem lauten Knall explodierte der Tank. Das ganze Schiff ging in Feuer auf, und Trümmerteile regneten herab. Wir dümpelten einige Meter weiter und sahen mit offenen Mündern den schlagkräftigen Argumenten von Hendons Oldtimer-Staffel zu. Die Spitfire drehte eine Siegesrolle und die Mustang konnte es nicht lassen, und flog einen astreinen Looping über unseren Köpfen. Sie drehten eine Ehrenrunde, und einer schwenkte ein Taschentuch aus dem Fenster. Ich erkannte die Kennzeichen auf der Mustang. Klar, es war Sniff’s Maschine. Doch wer sie flog, war die andere Frage. Ich ballte meine Faust in den Himmel und brüllte was meine Lungen hergaben. Dann nahm ich vor Freude Dan in den Arm und tanzte mit ihm auf dem Deck herum, wobei wir fast in das Loch traten und Dan sich die Seele aus dem Leib fluchte. Apropos Loch. Wir sanken. Ich ließ Dan los, der mit einem Seufzen zu Boden sank. „Und was machen wir jetzt?“ fragte Paul dümmlich. „Rudern“, sagte Catherine und warf dem stöhnenden Paul und mir ein Paddel zu. Epilog: -------- Wir saßen erschöpft an Nordfrankreichs Sandstrand und schauten dem schönsten Sonnenuntergang zu, den ich je gesehen hatte. Dan lag auf dem Rücken und motzte, dass ihm kalt sei. Paul hatte Cathérine im Arme, sie hatten mir den Rücken zugedreht und ich konnte mir lebhaft vorstellen, was sie gerade machten. Ich legte mich neben Dan, die Wellen klatschten uns gegen die Beine, doch das machte nichts, wir waren eh alle von oben bis unten durchnässt. Das Boot war kurz vor dem Ufer doch noch gesunken und wir hatten die letzte Strecke schwimmend zurückgelegt. Paul hatte die Kiste mit dem Helm hinter sich her gezogen und sie dann achtlos auf den Strand gepfeffert. Jetzt lag sie irgendwo neben uns, was aber im Moment egal war, denn Ballinger würde heute sicher nicht mehr aufkreuzen… Dan drehte sich zu mir und grinste frech. „Und jetzt?“ „Nichts mehr“, sagte ich und starrte in den Himmel. „Ich will nach Hause.“ „Morgen, wenn mein Bein verheilt ist und ich wieder fliegen kann“, erklärte er. „Ja, ja. Dein Bein. Ich versprech’s dir, ich fliege die ‚Honey’ heim, mitsamt Michels Helm und allem.“ Ich setzte einen entschlossenen Gesichtsaudruck auf. „Nein. Ich. Die ‚Honey’ gehört mir.“ Dan versuchte sich aufzurichten, scheiterte aber kläglich an seinem Bein und sank ächzend zurück in den feuchten Sand. „Sie gehört Sniff“, sagte ich. „Und jetzt halt die Klappe.“ Ich packte Dan am Kragen und setzte meine Lippen sanft auf seine. Er seufzte zufrieden. Paul richtete sich auf und warf einen Blick zu uns, und hatte immer noch Cathérine im Arm. Als er mich und Dan so sah, ließ er ein glucksendes lachen hören und verschwand wieder hinter Cathérines Rücken. Zwei Tage später waren wir zurück auf Hendon. Und wer durfte hinfliegen? Ich natürlich… Dan saß im Flugzeug murrend hinter mir und gab bissige Kommentare von sich. Cathérine war übrigens immer noch bei uns, und zwar nur weil Paul seine Finger einfach nicht bei sich lassen konnte. Zurück in England hatte man Dan das angeschossene Bein bandagiert und nun konnte er nur mühselig laufen. Wir hatten ihm einen Rollstuhl besorgt, aber den weigerte er zu benutzen; Zitat: „Das sieht absolut bekloppt aus, ich bin doch kein Invalide.“ Und so saß er die meiste Zeit unbeweglich irgendwo auf dem Flugplatz und kommandierte jeden herum, der ihm in den Weg kam. Der Helm von Michel lag seit unserer Ankunft sicher verwahrt in Ted’s Safe und wir hatten nun völlig unsere Ruhe. Was wir auch irgendwie verdient haben, oder etwa nicht…? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)