Geistermord von LichterSchrei ================================================================================ Kapitel 1: Geistermord ---------------------- Geistermord „Was hast du dabei gefühlt?“ Schon wieder ihre Lieblingsfloskel. Langsam fange ich an, mich zu fragen, ob das eine neue Art der Therapie ist. Vielleicht will sie mich damit nur aus dem Gleichgewicht bringen, damit ich endlich mit ihr spreche. Damit ich einen Wutausbruch habe und ihr zu viel sage. Damit sie mich endlich endgültig wegsperren können. „So kommen wir nicht weiter. Ich will dir doch nur helfen, verstehst du das nicht?“ Doch, natürlich verstehe ich das. Sie will mir helfen, damit sie mich verurteilen und einsperren können. Und wenn ich nicht verurteilt werde komme ich zumindest in ihre Obhut und damit ebenso weg vom Fenster. Und sie heimst einen weiteren Ruhm ein im Kampf gegen die Jugendgewalt. Sie schreibt ein weiteres Buch das ausgezeichnet wird, vielleicht über einen ähnlichen Fall wie meinen, schildert wie toll sie dem Kind geholfen hat und wie gut es ihm gehen wird, wenn es wieder rauskommt aus dem Knast. Und das alles auf meine Kosten. Und wenn ich vor Gericht gehe, dann tun die mich ab und sagen, dass alles habe mit meiner Geschichte doch gar nichts zu tun und ich solle nicht versuchen mich besser darzustellen als sei. Aber woher wollen die wissen wie ich bin, wenn ich es selbst nicht mal weiss. „Nun, was sagst du zu meiner Theorie?“ Dass ich nicht zugehört habe scheint sie gar nicht zu bemerken. Oder es interessiert sie sowieso nicht. Sie will nur endlich nach hause. Vielleicht wartet ihr Mann ja auf sie. Oder sie hat ein Kind. Ein kleines Kind, wohlerzogen, mit tadellosem Benehmen. Da ist es doch klar, dass sie mit mir nichts zu tun haben will. Hat sie doch schon genug damit zu tun ihrem Kind eine vollkommene Erziehung zu bieten. Doch hatte ich die nicht ebenso? Hätte irgendeiner von diesen verdammten Menschen die sich als Verwandte, Bekannte, Freunde bezeichnen gedacht, dass ich so etwas tun würde? In ein paar Jahren wird sie in ein Kaufhaus gerufen, wo man ihr ihr Kind präsentiert und sie auffordert die gestohlenen Gegenstände zu bezahlen. Sie wird erschüttert sein und sich fragen, was sie falsch gemacht hat. Sie wird in ihren schlauen Büchern nachlesen und mit ihrem Kind ein langes Gespräch führen. Und ein paar Tage später sieht sie zufällig, wie es mit den untersten der Gesellschaft im Park eine raucht, obwohl es doch noch gar nicht achtzehn ist. Sie wird erschrocken hinrennen, ihm die Zigarette aus dem Mund reissen und es so vor allen blamieren. Um in der Rangordnung wieder aufzusteigen wird es als Mutprobe ein Auto kurzschliessen und damit von unserem kleinen Kaff aus nach Berlin düsen wo es einige Zeit abtaucht. Sie wird verzweifeln, unter Depressionen leiden, denken dass sie sich nicht richtig gekümmert hat. Das Kind wird drogenabhängig werden, setzt sich aus Verzweiflung einen Goldenen und wird, weil es überlebt hat, in die Klinik gebracht, wo es auf die Mutter wiedersieht. Diese wird sich vor Wiedersehensfreude kaum noch einkriegen. Während das Kind unter mütterlicher Zuneigung langsam erstickt. „So, unsere Stunde ist vorbei, schreibe bis nächstes mal bitte auf, was du für deine Familie empfindest und welche guten und schlechten Eigenschaften sie jeweils besitzen“. Werde ich sowieso nicht machen. Ich habe noch nie eine ihrer „Hausaufgaben“ gemacht. Und jedes mal sagt sie wieder, dass es doch nur freiwillig sei. Wortlos erhebe ich mich, ignoriere ihre zum Abschied dargebotene Hand und gehe zur Tür, wo eine der Betreuerinnen auf mich wartet. Sie legt mir eine Handschelle an. Mechanisches Klicken. Zu eng, aber wenn ich etwas sagen würde, dann würde es nur heissen, ich solle mich nicht beschweren, was ich denn überhaupt für einen Grund habe, mich so aufzuführen. Und Frau Martens kann mich sowieso nicht leiden. Warum auch immer. Zurück in meiner Zelle widme ich mich der Verschönerung der Wände. Sie sind in einem hässlichen gelb gehalten, dass vielleicht anfangs gute Laune machen sollte. Jetzt wirkt es nur noch kümmerlich und sieht in seiner Nuance eher nach Urin als nach Sonneblumengelb aus. Nach den verschiedenen Schriften zu urteilen waren schon einige hier drin. Angeekelt lasse ich meinen Blick über die Wand gleiten. Ich vermeide so gut es geht sie zu berühren. Trotzdem möchte ich mich verewigen. Warum? Kann ich auch nicht sagen. Wahrscheinlich, weil man das so macht. Frau Elster ist die Beste! Steht da. Und Ich liebe Fred! Und allerlei anderer Kram. Eigentlich ganz unwichtige Sachen. Manche haben auch geschrieben, weswegen sie drin sind. Körperverletzung, Diebstahl und allerlei andere Dinge. Ich schreibe ganz bestimmt nicht, weswegen ich hier bin. Denn das geht niemanden was an. Und die würden es sowieso nicht verstehen. Ich hake den heutigen Tag im Kalender ab. Jeden Tag hake ich ab. Es sind schon zweiunddreißig Tage. Den Kalender hat mir meine Sozialarbeiterin mitgebracht. Diddl sind darauf. Ich hasse Diddl. Trotzdem habe ich ihn nicht weggeworfen. Auch wenn ich es hasse an die Zeit erinnert zu werden. Alle sagen sie vergeht. Aber ist sie nicht allgegenwärtig, bei allem was wir tun? Wie kann sie dann vergehen? Warum sagt man überhaupt Vergangenheit? War das nicht auch einmal Gegenwart? Und die Zukunft, warum nennt man sie so? Wird sie nicht auch eines Tages gegenwärtig sein? Ich hasse die Zeit. Weil sie eben stillsteht. Weil sie nicht existent ist. Weil man eben immer etwas tun muss, um etwas nächstes tun zu können. Bin ich deshalb hier drin? Weil ich etwas getan habe um weiter zu laufen? Um weiter zu leben? Wenn, was ist dann daran falsch? Nur weil ich etwas getan habe, dass furchtbar und grausam ist? Nur weil es nicht human ist? Weil es von den Menschen als animalisch abgetan wird? Weil es abnorm ist? Bin ich dann ein schlechter Mensch? Ein schlechter Mensch vielleicht, aber ein schlechtes Lebewesen? Das kann man mir beileibe nicht vorwerfen. Habe ich nicht das getan, was getan werden musste? Aber ich werde abgetan als miese Kreatur, als minderwertiges, primitives Wesen. Doch habe ich nicht die menschliche Schwäche besiegt? Was ist falsch daran, übernatürliche Stärke zu erlangen? Nur weil es nicht normal ist, weil ihr es nicht kennt? Bin ich darum euch unterlegen? Bin ich darum nicht würdig? Ihr habt doch nicht einmal einen Gedanken daran verschwendet, was normal ist und was nicht! Ihr habt euch nur an eurer heilen Welt geweidet, Verbrecher bestraft und gute Menschen entlohnt. Doch ist es nicht so, dass es völlig normal ist, zu töten um nicht unterzugehen? Tun das nicht auch die Tiere? Friss oder stirb? Aber wir sind ja keine Tiere! Nur vergisst man dabei nicht, dass wir auch Tiere sind? Wir stammen vom selben ab, wie sie! Wir sind mit ihnen verwandt! Und dennoch wird es als Notwendigkeit bezeichnet wenn ein Mensch ein Tier tötet und umgekehrt nennt man es grausam und trauert. Was ist das für eine niedere Rasse? Leugnet alles. Nur um den Schein zu wahren. Angewidert betrachte ich durch meine Gitterstäbe die Stadt, in der alles reg im Gange ist. Menschen gehen bei Karstadt ein und aus, tragen volle Tüten. Ein Kind schreit. Vielleicht bekommt es kein Eis, weil die Mutter meint, dass es ungesund ist. Ein paar Nazis prügeln sich mit Punks. Die meinen auch sie seien was Besonderes. Trotzdem hoffe ich, dass die Punks gewinnen. Humaner Instinkt, der mir antrainiert wurde. Ein Hund wird ins Tierheim gebracht. Vielleicht holt ihn ein kleines Mädchen ab und freut sich weil es einen neuen Spielkameraden hat. Und in ein paar Jahren wird er ausgesetzt, weil niemand gefunden wurde der auf ihn aufpasst und die Familie in Urlaub geht. Oder er wird gleich eingeschläfert. Wenn er schlau ist beisst er dem Hundefänger den halben Arm ab und flieht. Aber diese Hunde sind von Natur aus nicht schlau. Sie wurden von den Menschen abhängig gemacht und können nichts anderes mehr als Pfote geben damit sie ihr Fressen bekommen. Endlich kann ich einmal in Ruhe an den Tag zurückdenken, an dem ich hier rein kam. Jugendgefängnis. Ich hatte mal wieder Streit. Mit meiner Mutter. Wie gross war mein Hass auf ihre alte Gestalt, die es wagte sich über mich zu erheben. Wie gross war meine Abscheu, da sie es wagte die Hand gegen mich zu heben. Wie sehr wollte ich sie auslöschen, sie vernichten. Am Boden sehn, flehend, die Hände zu mir aufgestreckt. Hätte ich ihr Gnade erwiesen, wie hätte sie mich niedergemacht, da ich eh schon am Boden zerschellt, um immer wieder, jeden Tag erneut zu sterben. Zu gross war der Schmerz als dass ich hätte Mitleid fühlen können. Stossend mit dem Messer in ihren Körper. Immer und immer wieder. Ja - schier abschlachten tat ich sie. Nicht würdevoller als Vieh sie handhabte. Was war, würde jetzt noch? Aufweisend die letzten Geheimnisse, vor denen sie immer wieder die Augen verschlossen trieb ich sie in die Hölle. So sollte sie einen letzten Gruss von mir erhalten im Augenblick ihres Ablebens meine Psyche zu erfassen. Das Tier in mir. Voller Abscheu wand sie sich, versuchte meinen eisernen Klauen zu entkommen, doch meine Krallen hatten sich zu tief in ihre Seele gebohrt. Und jetzt, da sie nunmehr alles gesehen hatte, entliess ich sie ins letzte Nirvana. [Ich weiss nicht wann die Tage enden und wann die Nacht beginnt welches Jahr wir schreiben oder wie schnell die Zeit verrinnt...das Einzige was ich noch weiss du wirst immer bei mir sein und hörst du auch das Flehen nicht in meinen stummen Schreien L` ÂME IMMORTELLE – Gezeiten „Da hab ich sie berührt, hab ihre Angst gespürt, zuviel gelitten und zuviel gewusst...“ Subway to Sally – Herzblut] Die Zeit wird vergehen. Ich werde Schweigen oder Sprechen. Es besteht kein Unterschied. Schon lange bin ich nicht mehr am Leben. Und auch nicht tot. Ich befinde mich in der Schwebe. Schaue dich halb an, halb durch dich hindurch. Des Nachts erwacht das Tier in mir. Lebend im Mantel der Dunkelheit, sterbend mit den ersten Strahlen der Sonne, die meinem kalten Herz die Illusion des Lebens schenken. Doch bin ich nicht mehr unter euch. Verwesend mein altes ich tief vergraben in meiner Seele. Kann es nicht mehr brauchen, schändliche humane Seite. Doch vollkommen tilgen werd ich es nie, all meine Macht aufzubringen. Ich verkrafte erreicht es nicht diese in mir verwurzelte Persönlichkeit auszumerzen. Ist sie doch zu meiner Geburt als Geschenkkorb mir überreicht worden in dessen Herzen sich befindend eine Schlange, deren Gift so langsam wirkt. Zieht es sich doch durchs gesamte Leben. Wer bin ich? Ich vergaß. [Welches ist die meine Aufgabe? Sie ist zu finden in meiner Seele. Was ist der Sinn?] Es gibt keinen. ----- Entstanden ist die Geschichte vor vielen Jahren..ich schrieb sie im Alter von 14. Daher musste ich z.B. das mit der neuen Handhabung der Altersbegrenzung beim Zigarettenkonsum zum Schutze Minderjähriger berücksichtigen und abändern. Kommentare sind gern gesehen, Kritik nur wenn sie fundiert und höflich formuliert ist. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)