The Different Ways of Love von inkheartop (oder: Weil die Liebe verschiedene Wege geht... ShikaxTema//NaruxHina//NejixTen//SasuxSaku//InoxSai *Kapitel 33 on*) ================================================================================ Kapitel 27: Blau und kalt, so sehen Dachgedanken aus ---------------------------------------------------- Blau und kalt, so sehen Dachgedanken aus Es war verdammt kalt. Es war wirklich verdammt, verdammt kalt. Aber was hatte er erwartet? Es war Januar! Fluchend rieb er sich die Arme und dachte daran, dass er heute nicht hätte aufstehen sollen… Ach was! Nur heute? Die ganze letzte Woche war verflucht gewesen, die ganze beschissene Woche. Jeder einzelne Tag zum Untergang verdammt… gut, das war jetzt vielleicht zu drastisch, zu melodramatisch. Nicht jeder Tag, nicht wirklich. Aber fast. Und jetzt? Er sah sich um. Wenigstens schneite es nicht mehr, der Schnee war sogar schon wieder fast vollständig getaut. Nur noch einige Pfützen zeugten davon, dass es Winter war. Aber die Sonne schien. Wenigstens etwas, wenigstens das. Ein kleiner Trost in dieser Misere, in die er sich da verrannt hatte. Kalt war es trotzdem. Verdammt kalt. Missmutig ließ er sich auf die stählerne Treppe fallen und starrte in den tatsächlich blauen Himmel. Fast schien es ihn auszulachen, dieses Blau. Haha! Seht euch den an! Und vor dem Blau schwebten federleichte Wolken umher und machten die Idylle perfekt, fast perfekt. Aber eben nur fast. Gegen die Kälte konnten weder der lächerlich blaue Himmel noch die weißen Federwolken etwas ausrichten. Und auch die dünne, schwarze Jacke half nicht viel gegen den zugigen Wind, der hier oben wehte. Wieder so eine Tatsache, weswegen er heute besser liegen geblieben wäre. Einfach den Wecker an die Wand schmeißen, sich im Bett auf die andere Seite drehen und weiterschlafen, vielleicht sogar träumen. Von was auch immer er geträumt hatte. Aber sein Blick hatte den Wecker heute Morgen leider nicht zum Verstummen gebracht. Sein Blick hatte nur bemerkt, dass er schon viel zu spät dran war und keiner der anderen Idioten auch nur daran gedacht hatte, ihn zu wecken. Und sein verschlafenes Gehirn hatte nicht daran gedacht, einfach wieder in den Schlafmodus zu wechseln. Nein, sein Hirn, dieser Verräter, hatte ihn aufspringen und sich in Windeseile umziehen lassen. Und es hatte auch nicht daran gedacht, dass es Winter war und somit verdammt kalt. Deshalb hatte er jetzt nur ein T-Shirt an – nicht mal das, es hatte ja unbedingt ärmellos sein müssen – und diese viel zu dünne, schwarze Jacke. Die Mädchen mochten ja auf dieses Outfit stehen, zumindest wenn er es trug, aber jetzt gerade war es einfach nur verdammt unpraktisch! Er hätte heute Morgen wirklich nicht aufstehen sollen. Ein Desaster hatte das andere gejagt. Und dann noch diese Sache. Die Sache, von der er sich nicht erklären konnte, warum sie ihn so mitnahm. Warum regte er sich so darüber auf? Warum versetzte es ihm diesen verdammten Stich, machte ihn so wütend. So enttäuscht. So… verletzt. Ja, er gab es zu. Es hatte ihn verletzt. Aber warum? Warum? Warum? „Was ist los?“ Die Frage, sie hatte schon so lange in der Luft gehangen. So lange war sie knisternd auf- und abgeschwebt, nur darauf wartend, sich endlich entladen zu können, wie eine Gewitterwolke. Lange starrte er sein Gegenüber nur an, dann wandte er den Blick ab und befand sein Frühstück für wesentlich interessanter. „Was ist los?“, fragte jetzt eine andere Stimme, leiser zwar, aber wesentlich eindringlicher. Wesentlich eindrucksvoller. Genervt hob er den Blick. Oder zumindest wollte er es genervt aussehen lassen. Ob sie es ihm abkauften? Sie kannten ihn nun schon so lange. Viel zu lange. Sahen sie? Die Nervosität, die in seiner Brust herum sprang, das Zittern, das seine Finger erfasste, der flackernde Blick? Sahen sie es? „Nichts ist“, sagte er. Seltsam kratzig, heiser klang seine Stimme. Fast rauchig. „Was soll sein?“ Wie dumm er doch war. Wieso sollten sie ihm das abkaufen? Warum sollten sie das? Sie kannten ihn schon so lange… „Pah“, wurde auch schon verächtlich geschnaubt. „Hältst du uns wirklich für so bescheuert? Du hattest ja schon immer ein großes Ego, aber…“ „Lass es, Kiba.“ Sofort verstummte das Gemecker und trotzdem wünschte er sich fast, Kiba hätte weitergemacht. Es war leicht, sich beschimpfen zu lassen. Viel leichter, als die Selbstvorwürfe, die Wut und die Hilflosigkeit, die ihm den Kopf vernebelten, dass er nicht mehr klar denken konnte. „Ihr müsst endlich wieder miteinander reden!“, seufzte Shikamaru. „Wer?“, stellte er sich auf stur. Und das konnte er gut, stur sein. Selbst wenn die anderen Recht hatten, aber… diese Sache ging sie nichts an. Überhaupt nichts. „Stell dich nicht so blöd…“, fuhr Kiba wieder auf und raufte fassungslos die Haare, als Shikamaru ihn mit einem genervten Blick wieder zum Schweigen brachte. „Es nervt“, brachte er es dann aber selbst mit rollenden Augen auf den Punkt, ignorierte Kibas unverhohlen triumphierenden Blick. Sasuke verlor sich kurz in diesem Anblick, in dieser Gewohnheit, die ihm so plötzlich geraubt worden war. Shikamaru und Kiba brachten sich gegenseitig auf Hundertachtzig. Wie war das bei ihm gewesen? Gab es das noch? „Sasuke…“ Neji bearbeitete mit gelangweilt konzentrierter Miene die Kaffeemaschine, sah ihn nicht an. „Es geht uns nichts an“ – Kiba schnaubte entrüstet – „aber ihr habt euch da echt totalen Schwachsinn eingebrockt. Und wenn ihr das nicht bald klärt, werden wir das übernehmen.“ „Ihr?“ Seine Stimme war wieder da, vollständig erhalten und unversehrt. Mit allem Sarkasmus, mit Hohn und Spott… ohne Schmerz, ohne Leiden. Ohne… „Wieso Ihr? Was hab ich denn verbrochen?“ Nejis herrische Bewegungen an der sich heftig sträubenden Maschine hielten inne, warteten mit ungeduldiger Geduld auf Nichts. Kibas Stimme war so stumm wie ein Schmetterling im Landeanflug, selbst sein Atem strich flüsternd wispernd leise über Seelenblütenblätter. Shikamarus eindringlicher, scharfsinniger Blick bohrte Nadeln, Dolche, Schwerter in seine Lunge, die empört nach Luft schnappen wollte. Nicht konnte. Wie konnte ein einzelner Blick so wissend sein? „Was?“, wollte Sasuke sagen, heraus kam ein leises Röcheln, das die zerbrechliche Luft durchschnitt wie ein Messer. Scherben, unsichtbare Scherben bröckelten zu Boden, fielen mit lautlosem Klang auf die Fliesen, als er den Stuhl zurückschob. Unter seinen Sohlen knirschte gläserne Luft, als er ging. Er ging. Hinter sich ein Raum voller Menschen, die ihn zu kennen glaubten, ihn kannten und auch nicht. Die ihn verstanden und auch nicht. Dabei brauchte er das alles nicht. Brauchte das alles doch gar nicht. Nicht die Kenntnis, nicht das Verständnis. Was er hat, das will er nicht… und was er will, das hat er nicht. Da war die Tür, die Tür hinaus, wo ihn niemand mehr stören konnte. Niemand konnte ihn dort vom Frühstück abhalten oder… von was auch immer. Hinter der Tür starrten ihn blaue Augen an. … und was er will… Er hatte alles mit angehört. Naruto hatte alles gehört. Er hatte gehört, was gesagt wurde. Er hatte gehört, was nicht gesagt wurde. Alles. Einfach alles. Alles. Seine geschlossenen Augen schwebten über die Landschaft, die das Schulgelände umringte. Die Stadt, noch mit winzigen schmutzig weißen Schneehauben, die tropfend zur Straße sanken. Die Berge, überall Berge. Sasuke hatte schon Orte gesehen, deren Horizont unendlich war. Unendlich weit. Nirgends stieß der Blick auf Hindernisse, kroch zum Rand der Welt und fragte sich, wie weit es da wohl runter ging. Die Sehnsucht, diesen Rand zu erreichen, nur einmal. Einmal nur, nicht mehr. Hier jedoch die Berge und sein Blick wetzte sich ab an den grünen Hügeln, bedeckt von Tannendecken und Weinrebenteppichen. Sanft wellte sich der Horizont und dahinter ging es weiter und weiter und weiter… Nichts war hier unendlich. Nicht einmal… Scharfer, kalter, grauer Wind legte sich mit großem Gewicht auf seine Schultern, drückte und Sasuke hatte das Gefühl, zerbrechen zu wollen. Zerbrechen, so wie noch vor wenigen Stunden die Luft in der Küche. Brechen. Sasuke lag auf dem Rücken, hatte sich so warm wie nur irgend möglich in seine dünne Jacke gewickelt und starrte in den eisblauen Himmel. Blau. Blaue Augen. Warum war er nur so dumm. So verdammt dämlich. Und stur noch dazu. Blauer Himmel über ihm. Immer wieder kleine, graue Fetzen zwischen all dem Weiß und Blau und Blau. Wie passend. Ironischer hätte man Sasukes momentanen Seelenzustand nicht beschreiben können. Graue Wolkenfetzen inmitten von unschuldigem Blau und weißen Federwolken. Unschuldig. Sasuke grinste sein verwischtes, verzerrtes Spiegelbild im Fensterglas grimmig an, beobachtete, wie sich Wolken in sein Haar schoben und seine Augen blauer wurden, wenn er sie etwas zusammenkniff. Neben ihm gähnte ein leerer Platz, machte ihn mit dieser Leere fauchend auf sich aufmerksam und lachte böse, wenn er scheinbar gefühllos den Ignoranten spielte. Er beherrschte diese Rolle. Sie war so kalt wie der Wintertag außerhalb des beheizten Klassenraums. „Uchiha, würden bitte auch Sie ins Buch sehen?“ Shizunes angestrengt strenge Stimme flirrte zu seinen Ohren, kam nur halbwegs dort an. Seine Augen senkten sich auf die Lektüre vor ihm. Es war noch nicht mal aufgeschlagen. Die Buchstaben verschwommen und zitterten auf den Papier, als er die richtige Seite suchte und fand. Was stand da? Vom leeren Platz neben ihm ging ein kalter Wind aus. Warum war er leer? Wegen seiner Dummheit, seiner blöden, losen Zunge, die er viel zu schnell in Narutos Gegenwart zügellos, gedankenlos reden ließ. Wegen seiner Sturheit. Wegen Kopfschmerzen. So hatte es Kiba zumindest gesagt, heute Morgen, noch vor dem Frühstück. Noch vor diesem… Gespräch. Wieso vorher? Wieso unterteilte er die Zeit? Davor, danach. Es blieb. Das Unglück blieb. Unglück lässt sich nicht so leicht vertreiben. Als der Schuldgong ertönte hörte er nur noch ganz leise, wie Shizune etwas von der nächsten Musical-Probe – am Nachmittag? – verkündete. Sasuke war schon weg. Weit weg. Sein Weg führte… in die Leere. Er wusste nicht, wo er war. Aber wer wusste das schon irgendwann? Wohin der Weg führte? Vielleicht zurück, vielleicht nach vorn. An eine Kreuzung. An einen Abhang. In die Finsternis oder ins Licht. In den Himmel, die Hölle. Wer wusste das schon? Niemand. Sasukes Weg verlor sich im Kreis. Er ging verloren auf dem Weg durch leere volle Schulflure und vorbei an leisen lauten Schülern. An Freunden und Feinden. Er wurde gesehen und nicht beachtet. Aber beobachtet. Er wusste es. Sie verfolgten ihn, die Blicke. Grüne, braune, graue Blicke. Schwarze Blicke, weiße Blicke. Besorgt. In ihren Augen lag Besorgnis. Und immer wieder Besorgnis. Manchmal Genervtheit, manchmal Mitleid. Immer… Sasuke konnte seinen Weg nicht bestimmen. Der Weg bestimmte ihn. Und er führte ihm immer wieder vor Augen, was war. Was nicht war. Worte schlichen sich in seinen Kopf. Seine eigenen und die anderer. Was ist los? Nichts ist. Ihr. Wir? Es war ein schwerer, ein steiniger Weg. Und niemand konnte ihm helfen. Fast niemand. DA war jemand. Aber… der war auf der anderen Straßenseite und zwischen ihnen Autokarawanen voller gesagter und gedachter Worte, voller Verletzungen. Voller Feindschaft und Leid. Voller schmaler, unaufdringlicher, zurückgezogener Freundschaft. Sasukes Weg war gepflastert mit Gedanken, dunklen Gedanken. Und immer wieder mit Blau. Und mit kaltem Wind, mit kalten Worten. Sasuke wollte eigentlich gar nicht darüber nachdenken. Nicht mehr. Er dachte viel zu viel darüber nach, machte sich viel zu viel aus Gesagtem. Ließ sich selbst keine Pause. Vielleicht war es das, was ihn am meisten von Naruto unterschied. Zumindest behaupteten das die Anderen. Aber sie alle, alle, alle kannten Naruto einfach nicht. Sie kannte nur das Lachen, das Fröhliche, die Unbeschwertheit und das Glück, das Naruto ausstrahlte. Das er war. Und sie kannten auch nicht Sasuke. Sie kannten das Düstere, Kluge und Nachdenkliche, das Tragische, Dunkle. Das war er. Das waren sie. Auf den ersten Blick. Die Wahrheit, die sah man nun mal nicht auf den ersten Blick. Die Wahrheit versteckte sich immer gut. Und Äußerliches war so viel bequemer zu betrachten. Leichter zu beurteilen. Wenige kannten die Tränen, die Naruto weinte. Wenige kannten das Lachen, das Sasuke lachte. Wenige bemerkten die Traurigkeit, die von Naruto Besitz ergriff. Wenige bemerkten die Fröhlichkeit, die von Sasuke Besitz ergriff. Wenige sahen Narutos Lügen, Sasukes Ehrlichkeit. Niemand, fast niemand, wusste von der Vergangenheit. Vom Fuchs. Vom Mord. Von verlorenen Eltern. Von gewonnen Freunden. Vom Schicksal. Von Glück und Unglück. Niemand kannte Sasuke. Niemand kannte Naruto. Außer Naruto. Und außer Sasuke. Und vielleicht wussten es noch die Wolken, die da oben schwebten, leicht und frei und unbeschwert, mit einem Blick überall. „Seht ihr mich jetzt, da oben?“, murmelte Sasuke dem Himmel entgegen. Dem unendlichen Himmel. Die Sonne stand schon tiefer. Bald würde sie sich hinter die waldbedeckten Berge schieben und die wirbelnden Wolken in Licht tauchen. Bald war es Abend. Wie kalt wurde es im Winter eigentlich nachts? Sasuke schloss die Augen. „Sie wissen, dass die Hälfte des Schuljahres geschafft ist“, rief Kurenai durch die Halle. „Das mag Ihnen jetzt gut vorkommen… ist es aber nicht.“ Ein genervtes Stöhnen aus mehreren Ecken. Scharfe Blicke und alles war wieder still. „Sie dürfen jetzt nicht nachlassen“, fuhr Kurenai fort. „Gerade mal die Lieder sitzen einigermaßen, den eigentlichen schauspielerischen Teil haben wir bis jetzt ganz außer Acht gelassen. Sakura.“ Sakura erhob sich, mit ihren Armen umklammerte sie Blätterstapel. Sie sah geschäftsmäßig aus. Auch ihre Stimme klang geschäftsmäßig. Itachis Blick auf ihr war das Gegenteil. „Das sind einige der Texte, die die einzelnen Lieder zu einem Stück verbinden. Sie sind dementsprechend nummeriert, ihr könnt sie also einordnen“, sagte Sakura, verteilte die Blätter, der Geräuschpegel hob sich. „Natürlich wird das alles viel Arbeit werden, zum Auswendiglernen, aber… Shika, jetzt guck nicht so entsetzt. Die Hauptrolle hast du dir selbst eingebrockt.“ Gelächter. Es kam Sasuke so gelöst vor, so einfach, problemlos. Es wäre einfacher gewesen, jetzt einfach mitzulachen. Vielleicht würden dann nicht die Blicke seiner Freunde unsicher auf seinem Nacken kleben. „Sie können sich das jetzt mal durchlesen, am besten in Gruppen“, meinte Shizune. „So wie letztes Mal, Lehrer und Referendare helfen bei Unklarheiten.“ Gruppenarbeit. Davon hatte Sasuke noch nie viel gehalten. Er war ein Einzelgänger. Und jetzt hielt er schon mal gar nichts davon. Naruto war nicht hier. Alles war anders. Hör auf, dich selbst zu bemitleiden, Uchiha. Flüsterte eine Stimme aus seinem Inneren. Sieh lieber hin. Und Sasuke sah. Ein Lächeln, ein Lachen. Fliegende Worte und Gesten und Blicke. Fliegendes, schwebendes, zitterndes Glück. Zumindest ein bisschen davon. In ihren Augen, in grünen Augen. Auf ihrem Gesicht, auf ihren Lippen, auf ihren Händen und den Fingerspitzen. Da war kein Selbstmitleid mehr. Plötzlich war das alles weg. Da war nur noch Wut. Auf sich selbst, vielleicht ein bisschen. Aber besonders auf Itachi. Und auf Sakura. Und immer wieder auf Itachi. Wo war der Schalter, den man umlegen musste, um auszurasten? Wer betätigte den Knopf? Egal, wer es war, was es war, wo es war. Es geschah. Sehr schnell. Und plötzlich wurde er festgehalten und Itachi saß auf dem Boden und Sakura starrte ihn entsetzt an und auch etwas wütend. Ziemlich wütend eigentlich. Und zwischen all dem „Was ist los?!“ und „Uchiha!“ und „Sasuke!“ und „Sofort aufhören!“, zwischen den Worten der Lehrer, dem Gebrüll und Gemurmel der Schüler. Gab es eine Stimme, die zu Sasukes Ohren durchdrangen. Als wäre sonst niemand da. Er hörte nur sie. Nur sie. „Hast du sie eigentlich noch alle? Was sollte das denn? Ist das dein Weg, Probleme zu klären? Oder…“ „Ist es nicht!“, schrie er sie an, wollte ihre Stimme nicht mehr hören. „Das einzige Problem hier bist du!“ „Ach? Und warum?“ „Weil du dich mit ihm abgibst. Mit ihm! Da wäre es noch besser, wenn du was mit Naruto hättest.“ Und da wurde es ganz still in der Halle. Nervös klopfte sein Herz. Er war weggerannt nach ihren Worten. Hierher. So feige. Verdammt feige. Und überrascht. Und… Jetzt war es noch schlimmer. Der Streit war noch schlimmer, diese ganze verfluchte Sache war noch viel schlimmer. Jetzt. Er hatte Recht gehabt. Naruto hatte Recht gehabt. Das machte alles noch viel schlimmer. Und viel komplizierter. Viel einfacher. Die Kälte des Winterabends schlich sich in sein Herz und Sasuke rappelte sich auf, stürmte zur Tür und rüttelte an ihr. Sie ging nicht auf. Immer noch nicht. Warum ging dieses verdammte Ding nicht auf? Die Tür ließ sich nur von innen öffnen. Und wenn man einen Schlüssel hatte. Den hatte er natürlich nicht. Natürlich. Aber er war hier. Und kam nicht weg. Schöner Mist. Kraftlos ließ Sasuke die Arme sinken, stierte kurz den Türknauf an, als wollte er ihn hypnotisieren. Dann beließ er es dabei. Er würde warten müssen. Warten. Warten. Warten… Warten… Nichts denken und sich in Gedanken im Kreis drehen. Immer um diese eine Sache. Er hatte Recht gehabt. Recht. Aber warum? Und warum hatte er so davon überzeugt werden müssen? Warum nicht anders? Es war nun mal so. Es war nicht zu ändern. Warten. Warten. Warten… Warten… Ein Geräusch, leise, wie aus weiter Ferne. Das Geräusch einer Tür. Die sich öffnete. Und schloss. Schritte. Stehen bleiben. Sasuke verdrängte die kalte Müdigkeit aus seinen klammen Knochen und sprang auf. Da war jemand gekommen. Seine Rettung, sein Retter. Hilfe. Hilfe… Blondes Haar wirbelte in kurzen Strähnen um den Kopf desjenigen, der mit dem Rücken zu ihm stand, an das Geländer gelehnt und in die weite endliche Landschaft starrend. Blondes Haar. Viel zu dünne Klamotten für diese Jahreszeit. So unvernünftig. Wie immer. Eine Fliegerbrille auf dem Kopf, über die Augen gezogen. Sasuke konnte es sich viel zu gut vorstellen. Ein Schritt in seine Richtung. Ein Schritt zurück. Der erste Schritt. Sollte er ihn wagen? Naruto hatte Recht gehabt. Sasuke war ein Feigling, so ein Feigling. Er hasste sich selbst dafür. Naruto hatte Recht gehabt. „Hey.“ Ein Wort. Nicht mal ein richtiges Wort. Und es kam nicht von Sasuke. Sasuke machte keine ersten Schritte. Dass er noch nicht davongerannt war, lag nur an der verschlossenen Tür. Die Tür, die dieser Idiot vor ihm einfach hatte zufallen lassen. Idiot. Sasuke lebte in der Vergangenheit. Viel zu viel lebte er dort. Er sollte mehr an das Hier und Jetzt denken. So wie Naruto. Das Hier und Jetzt war das Wichtigste. Vergangenes war vergangen. Sasuke lebte in der Vergangenheit mit jeder Faser seines Körpers. „Hey“, murmelte er und starrte weiter diesen blonden Hinterkopf an. Lustig tanzten die Strähnen um das breite Band der Fliegerbrille. „Was machst du hier?“, fragte Naruto. „Die Tür geht nicht auf.“ „Oh.“ Mehr nicht. Sasuke verfluchte sich. Mehrmals. Verdammt, was sollte das? Smalltalk? Sie hatten keine Zeit für Smalltalk. Er hatte keine Zeit für Smalltalk. Hallo. Hi. Wie geht’s? Gut. Und selbst? Ganz okay. Mathe schon gemacht? Ich schreib morgen ab. Verdammt. So ging das nicht. So funktionierte das nicht. So wurde das alles nur noch schlimmer. Sasuke atmete tief durch, sammelte das Häufchen Selbst, das noch nicht ganz zerbrochen war. Vorhin, bei der Probe. Bei Itachi. Bei… „Ihr habt euch geküsst“, sagte er. Eher leise, als laut, aber gut verständlich. Er musste es gehört haben. Trotzdem kam lange, lange keine Antwort. „Woher weißt du das?“ Naruto hatte nie vorgehabt, ihm etwas davon zu erzählen. Er hatte es nie vorgehabt. Warum? Warum war er so? War es wegen Naruto selbst? Wegen Sasuke? Wegen Sakura? Egal. „Sie hat es gesagt… Sakura… Vorhin.“ Seine Stimme zitterte. Bescheuert. Ihm war nicht einmal mehr kalt. Nicht wirklich. Nicht körperlich. Warum zitterte ausgerechnet seine Stimme? „Warum hast du nie was gesagt? Darüber?“ „Es… war nicht wichtig. Dachte ich.“ „Dachtest du.“ Sie drehten sich im Kreis. Und Sasuke war schon viel weiter gegangen, als üblich. Jetzt lag es an Naruto. Sasuke würde sich nicht weiter zu diesem Abgrund hin wagen. Keinen Schritt weiter. „Als du im Krankenhaus lagst, weißt du noch?“ Er wartete nicht einmal auf eine Antwort. Als müsste das alles schnell weg. Als würde es schon viel zu lange da rum liegen. In seinem Inneren. „Dieser blöde Unfall beim Skaten, du weißt schon.“ Sasuke wusste. Es war peinlich gewesen, dieser Unfall. Dann ins Krankenhaus. Da war es passiert? „Es hat… geregnet“, redete Naruto schnell weiter, als wollte er seiner Stimme keine Blöße geben, so wie Sasuke zuvor. „Die Vase ihrer Mutter… sie hat geweint… es ist einfach passiert…“ Er stoppte. Das war es? Alles? Oder… gab es noch mehr? Dinge, die auf seinen Lippen lagen, die er nicht sagen konnte. Wollte. Was auch immer. Was war nur aus ihrer Freundschaft, ihrer immer ehrlichen Freundschaft geworden? Einfach passiert… Plötzlich starrte Sasuke in das unendlich blaue Blau von Narutos Augen. Das ehrliche Blau ihrer Freundschaft. Naruto wollte ehrlich sein. Hier und Jetzt. Wollte etwas wieder gutmachen, was eigentlich nie schlecht… doch. Es war schlecht gewesen. Das Lügen, das war schlecht gewesen. „Es hätte ewig gehen können, Sasuke“, sagte Naruto. Es tat so gut, seinen eigenen Namen aus seinem Mund zu hören. „In diesem Moment hätte es ewig gehen können. Es war nicht falsch. Es war vielleicht nur die falsche Zeit, der falsche Ort oder so. Aber…“ „Hat es sich gut angefühlt?“ „…Was?“, fragte Naruto verständnislos. Lange Leitung, wie immer. „Der Kuss“, meinte Sasuke und spürte, wie sein Herz klopfte in einem stechenden Irgendwas. IrgendWAS? „Hat es sich gut angefühlt… sie zu küssen?“ Lange sahen sie sich an. Zum ersten Mal seit einer Woche. Seit einer kleinen Unendlichkeit in Ewigkeit gehüllt. Seit sechshundertviertausendachthundert Sekunden. Lange. Sehr lange. Zu lange. „Ja“, sagte Naruto schließlich leise und in Sasuke blutete etwas. „In diesem Moment hat es sich gut angefühlt.“ Und sonst?, wollte Sasuke fragen, aber er tat es nicht. Würdest du es wieder tun wollen? Und auch das fragte er nicht. Naruto verstand ihn ohne Worte. „Niemals wieder, Sasuke“, sagte Naruto. „Damals“ – wie lange her sich das anhörte – „war es richtig. Jetzt…“ Jetzt bist du dran, Sasuke. Das wollte Naruto sagen. Sasuke sah es in seinen blauen Ehrlichkeitsaugen. Naruto hatte Recht gehabt. Auf bizarre Art und Weise. Und auf dem gleichen Weg – auf dem bizarren – hatte Sasuke das sehen müssen. Er hatte Recht gehabt. Noch wusste Sasuke nicht, ob ihn das beunruhigen sollte. Diese ganze Sache. Mit Sakura und Naruto. Mit Naruto. Mit ihm und Sakura. Jetzt standen Naruto und Sasuke einfach nur da und sahen zu, wie die Sonnenscheibe sich ihren Weg durch Blau und Weiß und kleine Fetzen Grau bahnte, dem Rand der Welt entgegen. Gold. Gold inmitten von all dem Blau und dem Weiß. Und dem Grau. Besonders dem Grau. „Hast du einen Schlüssel?“, fragte Sasuke. „Hab ich“, antwortete Naruto. Später würden sie sich fragen, warum der jeweils andere auf dem Dach gewesen war. Warum sie nicht gleich gegangen waren. Warum es so gelaufen war, wie es war. Später würden sie sich fragen, wie es zu diesem dummen Streit gekommen war. Oder zu dieser dummen Versöhnung. Wieso nicht früher oder später. Warum da, in diesem Moment, auf dem Dach. Aber später, erst später. Jetzt verließen sie das Dach. Und es war Glück. Glück und Freundschaft. Lebendig werdende Freundschaft. Und Erleichterung war es auch. Später würden sie sich das fragen, viel später erst. Jetzt waren sie nur Freunde. Freunde, die gemerkt hatten, wie schnell das stärkste Band reißen konnte. Freunde, die gesehen hatten, was Lügen machen konnten. Und Geheimnisse. Aber auch die ungeschminkte Wahrheit. Sasuke erinnerte sich an den Unterricht zuvor. Bei Shizune und der Lektüre. Und er erinnerte sich an einen Satz, an einen einzigen nur. Die beste und sicherste Tarnung ist immer noch die blanke und nackte Wahrheit. Die glaubt niemand! Es stimmte. Und wie es stimmte. Einmal am Tag konnte man sich im Raum neben dem Sekretariat seine Post abholen. Manchmal erklärte sich auch ein Schüler bereit und verteilte die Briefe und Karten und Pakete. Für etwas mehr Taschengeld oder statt Nachsitzen. Je nachdem. Hinata hatte Post bekommen. Ein Junge, ein Siebtklässler vermutlich, hatte sie vorbeigebracht. Sie konnte sich noch genau an das freche Grinsen erinnern, als er ihr zwei Briefe hingehalten und „Die Post, Madame“ gesagt hatte. Sie hatte das Lächeln erwidert. Süßer Junge. Ein Herzensbrecher. Ganz sicher. Es waren drei Briefe gewesen und ein kleines Paket. Das Paket war für Ino. Nur Ino bekam außerhalb der Feier- oder Geburtstagszeit Pakete. Vermutlich sündhaft teures Shampoo. Oder Make-up. Oder Süßigkeiten. Oder Schuhe. In jedem Fall teuer. In jedem Fall aus dem Ausland. Einer der Briefe war für Temari. Als sie ihn gesehen hatte, hatte sie verächtlich geschnaubt und war auf ihr Zimmer verschwunden. Hinata hatte das Gefühl, nicht wissen zu wollen, von wem der Brief stammte. Sie beschloss, Temari nur noch Postkarten zu schreiben. Und die letzten zwei Briefe. Beide für sie, Hinata. Beide mit dem gleichen Absender, dem gleichen Poststempel, der gleichen Briefmarke, der gleichen sauberen, unverschnörkelten Schrift. Diese Handschrift erkannte Hinata immer und überall. Das einzige, was die beiden Briefe unterschied, war eine kleine Zahl im linken, oberen Eck. Eine Eins auf dem einen. Eine Zwei auf dem anderen. Es bedeutete nichts Gutes. Diese Schrift bedeutete selten etwas Gutes. Dieser Absender bedeutete nie etwas Gutes. Hinata würde sich an die Reihenfolge halten. Sie starrte auf den Brief in ihren Händen, den mit der Nummer Eins. Sie war nicht sicher, ob sie wissen wollte, was da geschrieben stand. Aber sie war sicher, dass sie es wissen musste. Kein Weg führte daran vorbei. So war das. ************ Die Kapitel werden kürzer. Aber das hier war eine gute Stelle, um es zu beenden. Dieses Kapitel liegt mir sehr am Herzen, weiß Gott, warum. Ich mag es. Manchmal erscheint es vielleicht etwas überfüllt mit unnötigen Worten. Ich mag es. Es ist genau das, was ich wollte. Vielen Dank für die wirklich wunderbaren Kommentare zum letzten Kapitel. Es tut gut, zu wissen, dass diese Geschichte euch so gefällt… und dass ich dabei trotzdem noch was für mich tue. Danke! Das nächste Kapitel kommt hoffentlich eher. Jetzt sind dann Ferien, da hab ich mehr Zeit. LG inkheartop Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)