Out of control von Tattoo (Miya x Satochi) ================================================================================ Kapitel 4: ----------- ~4~ Er hätte sich problemlos bei ihren Freunden und Bekannten durchtelefonieren können um herauszufinden, wo Satochi Zuflucht gesucht hatte, hielt das aber für keine gute Idee. Sein Freund – wenn er ihn denn noch so bezeichnen durfte – brauchte jetzt erst einmal Zeit um sich zu beruhigen, und ihm sofort nach dem Vorfall auf die Pelle zu rücken würde bestimmt alles nur noch verschlimmern. Also übte Miya sich in Geduld, ignorierte das lockende Telefon und ging ins Bett, um zum zweiten Mal innerhalb eines Monats alleine zu schlafen. Am nächsten Morgen erwachte der Gitarrist mit leichten Kopf- und Rippenschmerzen, verzichtete angewidert auf jegliche Form von Frühstück und verließ nach einer ausgiebigen Dusche die unangenehm stille Wohnung. Auf dem Weg zum Studio machte sich allmählich Nervosität in ihm bemerkbar, und bei dem Gedanken daran, dass der Drummer es wirklich ernst meinen könnte mit seiner Drohung von damals, da bekam Miya ein ganz flaues Gefühl in seinem leeren Magen. Ein Leben ohne Satochi an seiner Seite war für ihn vollkommen undenkbar. 'Ganz ruhig, so weit wird es schon nicht kommen.' versuchte er sich einzureden, doch die Angst hatte sich bereits hartnäckig in seinem Kopf festgesetzt und dachte gar nicht daran, wieder zu verschwinden. Sie war es auch die Miya davon abhielt, sofort aus dem Wagen zu steigen und das Gebäude zu betreten, nachdem er angekommen war und den Motor abgestellt hatte. Mit starrem Blick saß er eine Weile einfach nur da und lauschte dem wilden Pochen in seiner Brust. Er hatte sich schon lange nicht mehr so miserabel und elend gefühlt. 'Vom rumsitzen wird es auch nicht besser.' ermahnte der Gitarrist sich schließlich und ging, mit Füßen aus Blei wie ihm schien, über den Parkplatz zum Haupteingang, betrat kurz darauf den Aufnahmeraum, in dem ihre Instrumente standen. Überrascht stellte er fest, dass zwei seiner Kollegen schon da waren, Yukke übte gerade einen komplizierten Griffwechsel an seinem Bass und Satochi war mit dem Umbau seines Drumsets beschäftigt. Der Jüngste von ihnen bemerkte Miya's Anwesenheit zuerst und hielt in seinem Spiel inne, woraufhin Satochi den Kopf hob und den Gitarristen ebenfalls sah. Aber mehr als einen abfälligen Blick und ein kurzes Nicken hatte er für ihn nicht übrig, dann wandte er sich wieder seiner Arbeit zu. Schweren Herzens murmelte Miya ein leises "Guten Morgen." in den Raum, welches nur von Yukke erwidert wurde, dann trottete er hinüber zu dem Platz, an dem sein Verstärker und seine Gitarren standen. Die nächsten Minuten verbrachten die drei Musiker wortlos damit, weiter ihre Geräte einzustellen und an einigen Parts zu basteln, bis das Schweigen von Tatsurou's Ankunft unterbrochen wurde. Doch selbst der manchmal recht unsensible Sänger spürte sofort die Anspannung, die in der Luft lag, und verkniff sich seine üblichen Albernheiten. Zum Glück waren Satochi und Miya professionell genug, um Arbeit und Privatleben voneinander zu trennen, somit besprachen die Musiker die Einzelheiten der heutigen Aufnahme fast so, als wäre nichts gewesen, und begaben sich dann wieder zu ihren Instrumenten und begannen, den neuen Song einzuspielen. Tatsurou setzte sich währenddessen in den Regieraum und studierte seinen Text. Doch so richtig konnte er sich heute nicht darauf konzentrieren. Wie auch? Immerhin benahm sich ihr Drummer so, als würde er Miya kaum kennen, und dieser versuchte seine Gefühle hinter seiner ernsten Leader-Maske zu verstecken. Das konnte auf Dauer nicht funktionieren, es war nur eine Frage der Zeit bis einer von ihnen diese Last nicht mehr ertragen und endlich den ersten Schritt machen würde. Genau in dem Moment, als er das dachte, verstummte Miya's Gitarre plötzlich und alle, auch Tatsurou, der über die Lautsprecher mithörte, sahen überrascht auf und zu ihrem Leader. Dieser hielt den Kopf gesenkt, sodass seine Augen von seinen Haaren verdeckt wurden, und presste die Lippen aufeinander. Niemand sagte etwas, und mit jeder Sekunde wurde die Stille immer unerträglicher. Hilflos blickte Yukke zwischen Miya und Satochi, der nun nachdenklich auf seine Drums starrte, hin und her und wusste nicht, was er tun sollte. Am liebsten hätte er Miya angeschrien, sich doch endlich bei Satochi zu entschuldigen, aber ihm war klar, dass das Problem nicht so einfach zu lösen war. Denn im Gegensatz zu Tatsurou wusste der Bassist, was vor drei Wochen vorgefallen war und welche Entscheidung Satochi damals getroffen hatte. Und Yukke hoffte inständig, dass Miya die richtigen Worte finden würde um den Drummer von dieser Entscheidung abzubringen. Ohne es zu merken hielt er daher den Atem an, als Miya endlich den Kopf hob und Satochi ansah, der den Blick allerdings nicht erwiderte. "Es tut mir leid, Satochi." Bei dieser leisen Entschuldigung schaute der Angesprochene endlich auf und in Miya's traurige Augen. "Sag das Kaito." kam es mit unerwartet eisigem Ton aus seinem Mund und der Gitarrist erstarrte. Für ein paar Sekunden trat wieder Schweigen ein, dann explodierte Miya. "Ich hab es doch gewusst!! Von wegen du kennst den Kerl nicht und hast ihn mit mir verwechselt!! Wenn das stimmen würde, dann dürftest du seinen Namen gar nicht kennen!! Und ich hatte schon ein schlechtes Gewissen und-" "Jetzt halt endlich die Luft an!!" unterbrach Satochi den aufgebrachten Gitarristen und starrte ihn ebenso wütend an wie dieser seinerseits den Drummer. Es sah leider ganz und gar nicht danach aus, als würden sich die beiden in den nächsten Minuten wieder vertragen und glücklich in die Armen fallen. Tatsurou, der die Situation und den gequälten Blick von Yukke nicht länger ertrug, stand auf und öffnete die Tür. "Hey Yukke, ich hol mir 'nen Kaffee. Kommst du mit?" Der Bassist, dankbar für die Idee seines Freundes, nickte sofort stumm und folgte dem Sänger eilig aus den Studioräumen, damit Miya und Satochi ungestört waren. Kaum war die Tür hinter ihnen ins Schloss gefallen, ging es auch schon lautstark weiter. "Verbiete mir gefälligst nicht den Mund, ich habe schließlich allen Grund, mich aufzuregen!! Du willst doch bloß nicht zugeben, dass du dich gerade selbst verraten hast!!" rief Miya zornig und Satochi sah aus, als würde er jeden Moment mit etwas von seinem Drumset nach Miya werfen. "Wenn du dir mal die Mühe machen würdest, die Dinge erst zu hinterfragen und nicht gleich auszurasten, dann wäre ich jetzt nicht dazu gezwungen, mich von dir zu trennen!!" Das hatte gesessen. Mit einem Mal war alle Farbe aus Miya's Gesicht gewichen und leichenblass starrte er Satochi an. Es zu ahnen oder zu befürchten war eben doch etwas anderes, als es dann tatsächlich aus dem Mund des Geliebten zu hören. "Du... du..." Der Drummer nickte als Antwort auf die unausgesprochene Frage. "Ja, du hast richtig gehört. Ich mach Schluss. Denn im Gegensatz zu dir habe ich eingesehen, dass es so mit uns nicht weitergehen kann. Und das habe ich dir damals auch schon gesagt." Als er sah, dass Miya zu geschockt für Worte war, fuhr er fort. "Du denkst also, ich hätte dich mit diesem Kaito betrogen, weil ich seinen Namen kenne... Auf die Idee, dass ich ihn von Yukke erfahren habe, weil ich bei ihm geschlafen habe, bist du wohl nicht gekommen. Und bevor du wieder einen Wutanfall kriegst – nein, ich habe nur BEI Yukke geschlafen, nicht MIT ihm." So zu reden war eigentlich überhaupt nicht Satochi's Art, aber anders konnte man zu Miya anscheinend nicht mehr durchdringen. Dieser schluckte. An die Möglichkeit, dass sein Freund bei dem Bassisten übernachtet hatte und die beiden deshalb heute schon vor Miya im Studio waren, hatte er wirklich nicht gedacht. Doch Satochi ließ ihm keine Zeit für weitere Überlegungen. "Yukke hat mir auch erzählt, dass du gehört hast was ich vor Tatsurou und ihm über den Freund meiner Schwester gesagt habe, und dass du dich deshalb danach so merkwürdig abweisend benommen hast. Ich kann ja verstehen dass du das in den falschen Hals bekommen hast, auch wenn es weh tut dass du mir solche Gedanken überhaupt zutraust, aber hättest du mich darauf angesprochen anstatt deinen Frust mit Wodka zu betäuben, dann wäre das alles nicht passiert." "Ich wollte ja auch mit dir darüber reden, aber erst zuhause und nicht vor allen anderen!" rief Miya bei diesen Worten schnell und hoffte, dass es dazu beitragen würde um Satochi von seinem Entschluss abzubringen, doch diese Hoffnung wurde gleich darauf wieder zunichte gemacht. "Kann schon sein, aber das ändert nichts an der einen entscheidenden Tatsache. Du vertraust mir nicht, Miya. Das ist das ganze Geheimnis. Weißt du eigentlich wie weh es tut, wenn der eigene Freund einem ständig Untreue unterstellt?! Und wie nervenaufreibend es ist, immer auf der Hut sein zu müssen und keinem Mann länger als drei Sekunden in die Augen sehen zu dürfen, weil du sonst gleich eine Schlägerei mit ihm anfängst?! Du hast deine Eifersucht nicht mehr im Griff, und ich ziehe lieber jetzt einen Schlusstrich bevor dein nächstes Opfer wirklich noch im Krankenhaus landet... oder du, denn wenn Tatsurou und Yukke dir gestern nicht geholfen hätten, wärst du garantiert nicht so glimpflich davongekommen." Obwohl Miya wusste, dass der andere Recht hatte, schüttelte er verzweifelt den Kopf. "Aber... aber ich liebe dich, Satochi!" Dieser rieb sich müde über die Stirn und sah dem Gitarristen dann fest in die Augen. "Ich weiß, und ich liebe dich auch. Aber so lange du mir nicht vertraust und denkst, Gewalt wäre die Lösung für deine Probleme, so lange kann ich nicht mit dir zusammen sein." **** Zwei Wochen lagen diese Worte nun schon zurück. Zwei Wochen, in denen Satochi und Miya sich daran gewöhnen mussten, nur noch freundschaftlich miteinander umgehen zu dürfen. Zwei Wochen, in denen Satochi jeden Abend mit Yukke auf dessen Couch saß und den Bassisten zwang, ihn davon zu überzeugen, dass er richtig gehandelt hatte. Zwei Wochen, in denen Miya jeden Abend allein am Fenster saß, eine Zigarette nach der anderen rauchte und nicht wusste, wie es weitergehen sollte. Zwei Wochen, in denen sie beide Nacht für Nacht lange wach lagen und sich nacheinander sehnten, um schließlich mit Tränen in den Augen einzuschlafen. Und nun saß der Gitarrist hier an der Bar ihres Lieblingsklubs mit einer Flasche Bier in der Hand und beobachtete, wie immer mehr Leute Satochi zum Geburtstag gratulierten, ihn umarmten und mit ihm auf sein Wohl anstießen. Der Drummer lachte und sah glücklich aus. Das konnte man von Miya nicht gerade behaupten. "Hey, ist hier noch frei?" drang da plötzlich Yukke's in letzter Zeit äußerst nervige Stimme an sein Ohr und der blonde Bassist deutete lächelnd auf den Barhocker neben Miya. Dieser grummelte mürrisch "Nein, mein neuer heißer Lover kommt gleich vom Klo wieder." wofür er einen leichten Klaps auf den Hinterkopf kassierte. Was äußerst selten vorkam, doch Yukke wusste genau, dass er von seinem Leader nichts zu befürchten hatte, da es Miya mit ziemlicher Sicherheit auch völlig egal gewesen wäre, wenn er stattdessen eine Abrissbirne auf den Kopf bekommen hätte. Er wäre wahrscheinlich sogar froh darüber gewesen. Der Bassist seufzte, nahm mit einem leisen "Baka..." auf dem Hocker Platz und starrte Miya, der seine Bierflasche im Moment mächtig interessant fand, von der Seite an. "Willst du darüber reden?" Bei dieser Frage verkrampften sich Miya's Finger um die Flasche. "Worüber? Darüber, dass ich es geschafft habe, den wichtigsten Menschen in meinem Leben dazu zu bringen, sich von mir zu trennen? Darüber, dass mich jeden Abend eine leere Wohnung begrüßt und ich auf der beschissenen Couch schlafe, weil ich es nicht ertrage, allein in unserem Bett zu liegen? Oder darüber, dass ich endlich eingesehen habe, dass es alles meine Schuld ist und dass ich Satochi nicht richtig vertraut habe, obwohl er mir nie wirklich Anlass zu Eifersucht gegeben hat?" Sein Gegenüber riss die Augen auf. "Na dann sag ihm das doch!" "Ja klar, weil er es mir auch bestimmt glauben wird." erwiderte der Gitarrist mit vor Ironie triefender Stimme und nahm einen Schluck von seinem Bier. Eine Weile herrschte Schweigen zwischen ihnen, dann murmelte Miya so leise, dass der Jüngere ihn trotz der relativ gedämpften Musik kaum verstehen konnte, "Ich vermisse ihn so schrecklich, Yukke..." und ließ seine Stirn auf seine überkreuzten Arme auf dem Tresen sinken. Mitleidig beobachtete der Bassist seinen Freund und befand sich in einem schweren Gewissenskonflikt. Einerseits hatte er Satochi an einem der vielen Abende, an denen sich der Drummer wie ein Häufchen Elend bei ihm ausgeheult hatte, versprechen müssen, Miya nichts davon zu erzählen; andererseits würde es dem Gitarristen vielleicht Hoffnung machen und ihn um Satochi kämpfen lassen, wenn er hörte dass dieser noch lange nicht über ihre Beziehung hinweg war und ebenso litt wie er selbst. Yukke entschied sich für den Mittelweg. "Ich glaube nicht, dass es schon zu spät ist..." Das war einigermaßen neutral, offenbarte nicht zu viel und war auch das einzige, was er zu sagen schaffte, denn in diesem Moment machte Satochi sich auf den Weg zu ihnen und der Bassist suchte nach einem kurzen aufmunternden Klopfen auf Miya's Schulter schleunigst das Weite. Wenige Sekunden später wurde der Barhocker neben Miya erneut besetzt und jemand bestellte beim Barkeeper ein Bier. Die vertraute Stimme ließ den Gitarristen leicht zusammenzucken, dann richtete er sich langsam auf und sah in das schmollende Gesicht seines Ex-Freundes. "Wo sind denn bitteschön deine Manieren geblieben?" fragte Satochi gespielt beleidigt und verschränkte die Arme vor der Brust, ein zuckersüßer Anblick der Miya fast das Herz zerriss. Doch er zwang sich – wie so oft in den letzten zwei Wochen – zu einem kleinen Lächeln. "Tut mir leid, ich wollte nur warten bis dir die Meute mal eine Sekunde Ruhe gönnt." Damit stand Miya auf, holte eine etwa handgroße rote Schachtel aus seiner Jackentasche und hielt sie dem Drummer, der sich ebenfalls erhoben hatte, hin. "Ich wünsche dir alles Gute zum Geburtstag." Seine Worte waren warm und aufrichtig und ließen Satochi ebenso schwer schlucken wie die verräterische Schachtel. Er konnte sich schon denken, was sie enthielt, hatte damit aber nicht wirklich gerechnet. Und tatsächlich, als er sie öffnete lag da die teure Uhr, die er vor einer Weile beim Einkaufen mit Miya entdeckt und in die er sich sofort verliebt hatte. Der Gitarrist hatte ihm ausdrücklich davon abgeraten, diese Uhr zu kaufen, und sein Schmunzeln hatte Satochi zu verstehen gegeben, dass er sie trotzdem bald sein Eigen nennen würde. Aber das war damals gewesen... Mit einer Mischung aus Freude und Unsicherheit sah der Jüngere Miya an, und dieser konnte sich schon denken was in Satochi's Kopf vorging. "Keine Sorge, dass ist kein verzweifelter Versuch, dich umzustimmen oder zu bestechen oder so. Ich hab sie schon vor einem Monat gekauft, und es wäre albern gewesen, sie wegen... naja, es wäre einfach albern gewesen, sie wieder zurückzubringen." Das Wort 'Trennung' kam ihm in Satochi's Gegenwart immer noch nicht über die Lippen. Dieser lächelte erleichtert, nahm die Uhr aus der Schachtel, welche daraufhin in seiner Hosentasche verschwand, und band sie sich ums Handgelenk. Einen Augenblick lang betrachtete er sie, wobei sein Lächeln noch etwas breiter wurde, dann richtete er seinen Blick wieder auf den Gitarristen und zog ihn in eine Umarmung. Die erste seit zwei Wochen. "Vielen Dank." flüsterte Satochi. "Keine Ursache." flüsterte Miya zurück. Und schon standen die beiden vor einem Problem. Nämlich dem, dass keiner von ihnen die Umarmung lösen wollte. Sie war zwar ganz harmlos und freundschaftlich, aber das lag einzig und allein an ihrer Vernunft beziehungsweise der enormen Selbstbeherrschung, die die beiden jungen Männer im Moment aufbrachten. Denn sonst hätte Miya sich schon längst in das Shirt des Drummers gekrallt, um ihn nie wieder loszulassen, und Satochi hätte all seine Prinzipien über den Haufen geworfen und Miya einfach verziehen und ihn geküsst. Oh wie gern er ihn jetzt geküsst hätte... Doch gerade als seine Willensstärke etwas ins Wanken geriet, rief jemand seinen Namen und er wurde am Arm gepackt. Irritiert durch die plötzlich Unterbrechung brauchte Satochi ein paar Sekunden um zu begreifen, dass einer seiner Kumpel ihn gerade zurück zu den anderen führte, damit der Drummer die 23 Kerzen auf seiner Geburtstagstorte auspusten konnte. Miya weiter zu umarmen wäre ihm allerdings wesentlich lieber gewesen. Dieser sah Satochi traurig hinterher, und mit jedem weiteren Meter, der sie voneinander trennte, wurde ihm kälter und kälter. Er hätte fast die Beherrschung verloren, so sehr hatte ihn die plötzliche Nähe seines Ex-Freundes aus der Fassung gebracht. Aber das durfte nicht passieren. Auch wenn es weh tat. Und das tat es. Gerade in solchen Momenten wie diesem, denn Satochi war umringt von Freunden und sah so unbeschwert aus, dass außer Yukke niemand auf die Idee kam, dass er eigentlich vollkommen verzweifelt war. Selbst Miya fiel auf die fröhliche Maske des Drummers herein, obwohl er normalerweise in Satochi lesen konnte wie in einem offenen Buch. Aber diese Situation war nicht normal. Die letzten zwei Wochen waren nicht normal. Und in Miya's Kopf herrschte das totale Chaos. 'Ich muss hier raus, das ertrag ich nicht länger.' war der einzige rationale Gedanke, den er im Moment zustande brachte, und fluchtartig verließ der Gitarrist den Klub, wobei er von Yukke und Tatsurou beobachtet wurde. Die beiden standen neben Satochi, der sich gerade über die Torte gebeugt und die Augen geschlossen hatte, und dem Bassisten war klar, was sein Freund und Kollege sich wünschen würde. Schließlich hatte er es jeden Abend zu hören bekommen. Und er irrte sich nicht. 'Ich wünsche mir mehr als alles andere auf der Welt, dass Miya von seiner Eifersucht und seinem Misstrauen abkommt, sich nicht mehr prügelt und wir endlich wieder zusammen sein können.' Damit pustete Satochi alle Kerzen aus, erhob sich lächelnd und unter dem Applaus der Umstehenden, und sah hoffnungsvoll hinüber zur Bar. Doch einen Augenblick später erstarb das Lächeln auf seinen Lippen und sein Herz zog sich zusammen. Miya war nicht mehr da. **** [Ich kann nicht mehr!] {Doch, du kannst!} [Nein, kann ich nicht! Ich steige aus!] {So ein Schwachsinn, mach das bloß nicht! Du wirst darüber hinwegkommen!} [Geht's noch? Ich bin gerade wegen einer einfachen Umarmung fast zusammengebrochen!] {Aber jetzt alles hinzuschmeißen wäre ein riesiger Fehler!} [Ach ja?!] {Ja, verdammt nochmal! Dann verlierst du nämlich nicht nur Satochi, sondern auch deine Freunde und deinen Traum! Also reiß dich endlich zusammen, du Schwächling!} [Halt die Klappe, ich mache was ich will! Und im Moment will ich mich irgendwo verkriechen und nie wieder rauskommen!] {Sehr erwachsen, das muss ich schon sagen...} [Halt dein blödes Maul, dich hat keiner gefragt!] So ging Miya's Streit mit sich selbst immer weiter, während er über den Parkplatz, der gegenüber vom Klub lag, zu seinem Wagen stapfte. Es war niemand zu sehen, was zum einen an der Dunkelheit und zum anderen daran lag, dass die Nacht noch recht jung war und keiner außer Miya daran dachte, jetzt schon heimzufahren. Nein, niemand außer ihm dachte ans heimfahren... aber vielleicht an etwas anderes... Ein plötzlicher Tritt in seine rechte Kniekehle und ein gleichzeitiger Stoß von hinten brachten Miya zu Fall, und seine Reaktionsfähigkeit reichte leider nicht aus, um sich rechtzeitig abzufangen. Somit prallte er hart auf den Asphalt, und während sein Kopf noch damit beschäftigt war, das eben Geschehene zu verarbeiten und ihn begreifen zu lassen, wurden seine Ohren bereits mit dem hämischen Gelächter seiner Angreifer erfüllt. "Na Kleiner, wie gefällt's dir da unten?" Diese Stimme! Er kannte diese Stimme, das wusste er genau! Und als er sich mit beiden Händen vom Boden abstützte, wieder auf die Beine kam und sich umdrehte, wurde sein Verdacht bestätigt. Es war dieser schmierige Typ, dem er damals in der Seitengasse eine Abreibung verpasst hatte. Offenbar meinte der Kerl, ihm das jetzt heimzahlen zu müssen, und er hatte sich auch gleich noch einen Kumpel zur Verstärkung mitgebracht. "Feigling." Der Typ hob eine Augenbraue. "Wie war das eben?" wollte er wissen, legte eine Hand an sein Ohr, als wäre er schwerhörig, und sah den Gitarristen herausfordernd an. Sein Begleiter knackte dabei geräuschvoll mit den Finger, was wohl bedrohlich wirken sollte, Miya aber völlig kalt ließ. "Tomaten auf den Ohren, oder was? Ich hab dich einen Feigling genannt. Hast du ein Problem damit?" "Ich sag dir mal, womit ich ein Problem habe, du kleine Bazille. Ich-" "Das ist doppelt gemoppelt. Bazillen sind schon klein, du Intelligenzbestie." "Schnauze! Du hast mir damals einen Zahn ausgeschlagen, und wegen dir hab ich jetzt eine Narbe im Gesicht!" "Und deshalb soll ich wohl ein schlechtes Gewissen kriegen, oder wie?" "Nein, das brauchst du gar nicht. Du sollst nur wissen, warum du deine Knochen gleich knacken hören wirst." "Sehr aufmerksam." Miya's Gleichgültigkeit, die keinesfalls vorgetäuscht war, verunsicherte die beiden Fremden zwar, brachte sie gerade deshalb aber auch zur Weißglut. "Dir wird deine große Klappe gleich vergehen!" rief der andere Fremde auf einmal und stürzte auf den Gitarristen zu, rechnete allerdings, da er Miya im Gegensatz zu seinem Kumpel noch unterschätzte, nicht mit dessen Schnelligkeit und Wendigkeit. So konnte Miya dem Angriff leicht ausweichen, stellte dem Kerl gleichzeitig noch ein Bein und dieser machte kurz darauf seinerseits Bekanntschaft mit dem Boden. Eine Sekunde später war der Gitarrist über ihm, packte den überrumpelten Mann mit einer Hand am Kragen, ballte die andere zur Faust und wollte gerade zuschlagen, da- »Ich will keinen Schlägertypen als Freund.« Miya hielt inne und starrte geradeaus in das geschockte Gesicht seines Gegners, nahm es allerdings überhaupt nicht wahr. "Satochi..." Dass der Gitarrist im Moment nicht ganz bei der Sache war, begriff nun auch der Typ unter ihm und sein Mund verzog sich zu einem fiesen Grinsen. "Der kann dir jetzt auch nicht mehr helfen!" Damit schlug er Miya ins Gesicht, sodass dieser zur Seite fiel, rappelte sich dann schnell auf, zog den Gitarristen hoch und hielt seine Arme von hinten fest. Dass dieser sich nicht wehrte kam ihm dabei ganz gelegen, er nahm an dass der junge Mann endlich begriffen hatte, was ihm gleich blühte, und vor Angst wie gelähmt war. Und Miya befand sich tatsächlich in einer Art Starre, aber nicht etwa weil er Angst hatte, sondern weil ihm Satochi's Worte ihm Kopf herumschwirrten. »So lange du mir nicht vertraust und denkst, Gewalt wäre die Lösung für deine Probleme, so lange kann ich nicht mit dir zusammen sein.« "Na, ich hab dir doch gesagt dass der Kleine flink ist." ertönte es da plötzlich neben ihm und riss Miya aus seinem Trance. Der Typ von damals kam auf sie zugeschlendert, blieb direkt vor dem bewegungsunfähigen Gitarristen stehen und hob eine Hand, um sie gleich darauf sanft über dessen Wange gleiten zu lassen. "Jetzt sieh sich einer dieses makellose Gesicht an..." Der Schlag, der auf diese Worte folgte, war alles andere als sanft, und Miya schmeckte Blut in seinem Mund. Schmerz spürte er keinen, dafür war er viel zu sehr damit beschäftigt, das Gesicht des Fremden vor ihm zu studieren. Und so merkwürdig es auch war, er hörte dabei seine eigenen Gedanken mit Satochi's Stimme. 'Sieh ihn dir an. Sieh in sein Gesicht und präge es dir gut ein, denn dies ist das Gesicht eines Verlierers, dessen einzige Argumente seine Fäuste sind, weil er sich nicht anders zu helfen weiß. Der seine Angst und Unsicherheit hinter einer Maske verbirgt und sie mit Gewalt verteidigt. Willst du dich etwa zu dieser Sorte Mensch zählen? Zu den Versagern und Schwächlingen? Bist du dir selbst so wenig wert? Wenn ja, dann verdienst du Satochi's Entscheidung. Wenn nicht, dann kämpfe um ihn! Aber nicht auf die Art, auf die du es früher immer getan hast!' Und diese Erkenntnis, die schon fast einer Erleuchtung gleichkam, zauberte Miya ein strahlendes - und somit zur aktuellen Situation völlig unpassendes – Lächeln auf die Lippen. Verwirrt blinzelte sein Gegenüber ihn an, und ließ gleich darauf einen weiteren Schlag folgen, um von seinem Opfer endlich die gewünschte Reaktion zu bekommen. Doch stattdessen sah ihm der Gitarrist immer noch lächelnd in die Augen und sagte "Danke." Die beiden Fremden trauten ihren Ohren kaum. "Dir hat man wohl schon den Schädel weichgeschlagen, du Irrer!" keifte der eine schließlich wutentbrannt und fing an, Miya wieder und wieder in den Magen und ins Gesicht zu schlagen, während der andere ihn weiter festhielt. Aber das war eigentlich unnötig, der Gitarrist wehrte sich ohnehin nicht. Er spürte zwar inzwischen die Schmerzen, nahm sie aber als Lektion hin und empfand sogar so etwas wie Mitleid für diese beiden Schläger, die es einfach nicht besser wussten und, wenn sie Pech hatten, auch nie besser wissen würden. Irgendwann wurde es dem anderen anscheinend zu langweilig, nur zusehen zu können, denn er ließ Miya plötzlich los und der nächste Schlag brachte diesen erneut zu Boden. Nun gingen die beiden dazu über, nicht nur Schläge sondern auch Tritte auf ihn niederregnen zu lassen, aber auch dagegen wehrte der Gitarrist sich nicht und versuchte den Schmerz so gut es ging zu ignorieren. Dass er die ganze Zeit Satochi's Gesicht vor Augen hatte, half dabei sehr. Mittlerweile blutete er nicht nur aus dem Mund, sondern auch aus der Nase und aus einer Wunde über dem linken Auge. Er vermutete, dass er ziemlich ramponiert aussah, denn der Begleiter des Fremden hörte schon bald mit seinen Attacken auf und meinte "Komm schon, lass uns abhauen, der hat genug." Es war ihm anzuhören dass er es langsam mit der Angst bekam, da sein Kumpel anscheinend gar nicht mehr von Miya ablassen wollte. Schließlich rief er "Hey, hör jetzt auf, du bringst ihn noch um!" und zerrte an dem anderen, der sich anfangs noch dagegen wehrte, dann aber ebenfalls zu dem Schluss kam, dass er sich ausreichend gerächt hatte. "Ich schätze, jetzt bist du mir nicht mehr so dankbar, nicht wahr, Kleiner?!" meinte er überheblich grinsend und war umso geschockter, als der junge Mann, der auf dem Rücken lag und nach oben in den dunklen Himmel starrte, seine aufgeplatzten Lippen zu einem erneuten kleinen Lächeln verzog. Wieder kam rasende Wut in dem Fremden hoch, und mit einem lauten "Du bist doch nicht mehr ganz dicht, du kleine Mistmade!" trat er Miya ein letztes und äußerst schmerzhaftes Mal ins Gesicht, und nicht nur der Kopf sondern der ganze Körper des Gitarristen wurde zur Seite geschleudert. Reglos blieb er liegen und lauschte den sich langsam entfernenden Schritten und den dabei gefluchten Schimpfwörtern, bis es – abgesehen vom dumpfen Straßenlärm - wieder vollkommen still um ihn war. Eine Weile bewegte Miya sich nicht und genoss die angenehme Kälte, die vom Asphalt ausging, auf seiner geschundenen Haut, dann rappelte er sich langsam und unter höllischen Schmerzen auf und schleppte sich die wenigen Meter zu seinem Wagen. Etwa zehn Minuten später hatte die Welt aufgehört, sich vor seinen Augen zu drehen, und er beschloss, die Fahrt zu seiner Wohnung zu wagen. Dass er ohne weitere Blessuren dort ankam, grenzte an ein Wunder. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)