13 Götter von Sitamun ================================================================================ Kapitel 7: Der tanzende Prophet im Mondlicht -------------------------------------------- Ein schlechter Traum also, ja? Na, wenn er das sagt … Er geht, verlässt die Gasse und ich bin mir sicher, er weiß sehr wohl, dass ich ihm nicht im Geringsten glaube. Wer will’s mir verübeln? Er sagte solch verwirrende Worte – es fällt mir schwer, ihm das Vertrauen zu schenken, das er mir bereits gab, warum auch immer. Es schien, als wüsste er, dass ich trotzdem kommen würde, als wüsste er alles über mich, was es zu wissen gibt. Seine leuchtenden Augen unter der Kapuze, die sein Gesicht verdeckt, bedeuten mir, dass ich nichts zu befürchten hätte. Diese Wesen, von denen er weiß, dass sie mir mein Leben nahmen, könnten mir nichts mehr anhaben. Ich sei stärker als sie. Viel stärker. Der Mann, von dem ich dachte, er hätte die Gasse bereits verlassen, bleibt stehen, nennt noch mal den Namen, den er mir gab. „Saix“, sagt er und ich blicke auf, als wäre es der Name, den ich mein vorheriges Leben lang trug. „Sei heute Abend im Schloss.“ Dann geht er, verschwindet. Ich hätte seine Schritte noch weiter hören müssen, selbst als er um die Ecke bog, doch kaum ist er für einen kurzen Augenblick im Schatten, höre ich nichts mehr. Keine Schritte, kein Rascheln seines Mantels, kein Klimpern des Metalls, das ich am Mantel hatte erkennen können. Nur noch ich und die Dunkelheit. Stille. Wäre er doch nur hier geblieben … Ich wende den Blick nach rechts, nach links, nach oben und sogar nach unten zu meinen Füßen – es ist, als hätte sich nichts geändert. Bevor er kam, dieser Mann, da war ich auch alleine, wie durch Zufall in dieser Gasse gelandet, von der ich nicht einmal wusste, wo sie genau war, in meiner Stadt, aber alles war dunkel. Ich drückte mich an die Wand und auf einmal war da nicht mehr nur die grauenhafte Finsternis, da war ein Gemurmel, ein leises, kaum hörbares, und im nächsten Augenblick glaubte ich, unheilvolle gelbe Augen zu sehen. Viele. Viel zu viele. Egal, wohin ich sah. Überall. Angst. Panische Angst. Ich schloss sie Augen, kniff sie zusammen, als würde meine persönliche Finsternis hinter meinen geschlossenen Augen diese Wesen abhalten, hielt mir die Ohren zu, schüttelte den Kopf, sank zu Boden. Sie sollten verschwinden … sofort! Und dann spürte ich seine Hand auf meiner Schulter. Ich glaube, sein Name war Xemnas … Vorsichtig blickte ich zu ihm auf, immer noch so panisch wie eine Sekunde zuvor, doch als mein Blick den seinen traf … „Schwächliche Herzlose wie diese können dir nichts antun, mein Freund.“ Das Gemurmel war immer noch da, hatte nicht abgenommen, war sogar lauter geworden, aber diesen Mann störte es nicht. Er hatte keine Angst vor ihnen. „Herz … lose?“ „Steh auf, mein Freund.“ Er antwortete mir nicht, reichte mir auch nicht die Hand, um mir zu helfen, sondern sah dabei zu, wie ich mich aufrappelte und nicht wusste, was ich tun sollte. Er schüchterte mich ein wenig ein, aber in seiner Anwesenheit begann meine Unsicherheit sich falsch anzufühlen, ebenso wie meine Panik, die mich noch einen Moment zuvor beherrschte. Was war mit ihm … „Du bist mächtiger als sie, mein Freund. Sehr viel mächtiger. Du hast keine Angst. Du kannst sie nicht fühlen. Niemande wie wir können nichts fühlen – wir haben kein Herz. Und ein Herz ist das, nachdem wir und die Herzlosen streben. Sie schließen sich immer den Mächtigsten an und einer davon bist du, mein Freund. Sie werden dich nicht mehr bekämpfen. Nur du bestimmst über ihr Weiterleben.“ Seine Worte klangen liebevoll, nachsichtig, ermutigend, obwohl sie das nach seinen eigenen Worten nicht durften. Es störte mich nicht. Dieser Mann hielt die dunklen Gestalten zurück, die mir mein Leben nahmen. Verdammt, wo soll ich noch hin? Ich hatte gehofft, im Licht sicher zu sein vor diesen Kreaturen, die ich noch nie in meinem Leben zuvor gesehen habe, aber selbst hier, wo die Straßenbeleuchtung die Straße beinahe so hell wie am Tag erscheinen lässt, sind sie. Verdammt! Überall! Verdammter Mist! Ich wollte doch nur … Ich renn weiter, springe über sie drüber, hoffe und wünsche, dass sie mir nicht folgen, mich endlich allein lassen. Was hab ich getan? „Niemande haben keine Lebensaufgabe. Sie dürfen nicht existieren.“ „Ich kann dir einen Sinn, eine Aufgabe, geben, einen Namen.“ „Schließ dich meiner Organisation an, mein Freund.“ Keinen Sinn, keinen Namen, keinen Grund zur Existenz … „Erwache aus deinem letzten schlechten Traum …“ Saix – mein Name. Versehen mit einem Buchstaben, der mich an ihn bindet. Ich stolpere auf dem vom Regen durchgeweichten Boden, falle hin. Stehe wieder auf. Mein Kopf schmerzt grauenhaft, ich halte meine Hand an meine Stirn, nehme sie wieder weg. Blut. Langsam und gemächlich tropft es auf die feuchte Erde, vermischt sich mit ihr. Ich muss weg! Weg diesen Monstern! Das Licht der Laterne, die den Weg gerade noch erhellte, ist verschwunden. Vor mir ein dunkler Weg, unter mir eine harte Straße. Wo bin ich? Und das war’s. Dann ging er. Und ich bin wieder alleine. Ich höre das Gemurmel, das schon da war, bevor er kam, und ich höre die Worte von Xemnas, die in meinem Kopf so laut widerhallen, dass sie das Geflüster der seltsamen Wesen fast übertönen. Sie können mir nichts anhaben. Sie streben nach Herzen, die wir – Niemande nannte er uns – nicht mehr haben. Bin ich also tot? Ich spüre eine eiskalte Berührung an meinem Bein, blicke runter, entdecke eines dieser … Wesen … an mir. Verzweifelt versuche ich mein Bein wegzuziehen, es dem Griff des schwarzen Monsters zu entziehen, doch es lässt mich nicht los. Panisch sehe ich mich um – diese Biester sind überall. Ich – ich … Er sagte, sie können mir nichts anhaben. Mein Blick wandert zu einem Straßenschild, neben ihm eine Laterne, die anscheinend nie aufgehört hat zu leuchten. Warum habe ich sie vorhin nicht gesehen? „Gasse zum Dazwischen.“ Zwischen was? Zwischen Leben und Tod? Zwischen Jemand und Niemand? Was hatte Xemnas gesagt? „Sei heute Abend im Schloss.“ Als hätte er sich nicht sicherer sein können, dass ich kommen würde. Wieder höre ich das Gemurmel, doch dieses Mal ist es leiser und als ich genauer hinsehe, dann entdecke ich erneut diese gelben Augen und ich fühle … nichts. Ist es, weil er es sagte? Selbst wenn, es ist egal. Ein Name, eine Aufgabe. Es reicht vollkommen. Ich schenke diesen Wesen, Herzlosen, einen letzten Blick, bevor ich die Gasse auf demselben Weg verlassen will wie er es tat und genau wie er drehe ich mich noch ein letztes Mal um. Entdecke weitere Wesen, die aus dem Nichts erschienen sind, die die Herzlosen angreifen. Im Gegensatz zu ihnen sind sie weiß und tragen allesamt das gleiche Zeichen. Unser Zeichen. Ich höre ihre Stimmen in meinem Kopf, höre, wie sie mich „Meister“ nennen. Überrascht gehe ich weiter, beachte sie nicht mehr. Ich habe keine Angst. Kann keine Angst empfinden. Kein Niemand kann das. Uns gibt es nicht. Worum also Sorgen machen? Der schlechte Traum ist beendet. Und er überbrachte mir die Nachricht. Es ist immer noch Nacht, als ich die Stadt verlasse, am Abgrund der Hoffnungslosigkeit stehe und zu dem Schloss hochblicke, von dem Xemnas sprach. Es war heute Abend. Wurde es hier überhaupt Tag? Finstere, ewige Nacht. Wie überaus passend … Bevor ich das Schloss betrete, blicke ich noch ein letztes Mal zum Mond, so, wie ich so oft auf meinen Weg hierher tat. Dieser Anblick ist nicht derselbe wie der aus meiner Zeit als Jemand. Ich vermisse ihn wahrlich nicht. Dieser Mond, nur schwach erkennbar und ebenso schwach leuchtend, geformt als Herz, ist etwas besonderes … In der Tat, das ist es … Und langsam beginne ich zu verstehen, warum er mir von Anfang an solch Vertrauen schenkte, das ich ihm nicht geben wollte. Es ist so offensichtlich. Er weiß alles, über ihn, mich, diesen besonderen Mond … Dieser schlechte Traum hatte nun wirklich sein Ende gefunden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)