Ayashi - Der Weg zur Wahrheit von abgemeldet ((überarbeitet)) ================================================================================ Kapitel 126: ------------- Ayashi spürte, wie ihre heißen Tränen langsam versiegten. Ihre Kehle war ausgedörrt und schmerzte. Sie fühlte sich, als blute sie innerlich aus, doch stetig wurde der Wunsch in ihr stärker, endlich zu verstehen. Sie musste verstehen. Sie hatte das Gefühl, dass von diesem Begreifen alles andere abhing. Kodachi strich ihr immer noch beruhigend über den Kopf und den Rücken und hielt sie bei sich, doch auch sie bemerkte, dass Ayashi ruhiger und stiller wurde. „Ich habe also wirklich die Welt der Lebenden verlassen?“ fragte Ayashi schließlich leise, als sie ihre Stimme wiederfand, und Kodachi nickte langsam. „Du bist gestorben, doch du bist wieder zum Leben erweckt und von deiner todbringenden Verletzung geheilt worden. Du befindest dich nun im Reich der Götter.“ erklärte Kodachi und ließ zu, dass Ayashi sich etwas von ihr löste. Ayashi blickte sich um, doch sie sah nichts. Ihre Umgebung enthielt nichts. Sie befand sich einfach nur in einer Leere, einer weißen Leere, in der es nichts gab außer einem ebenso weißen Boden, auf dem sie mit Kodachi saß, und seltsamen, weißen Nebel, der sich hin und wieder verdichtete oder lichtete, um den Blick in die scheinbar endlose Weite zu gewähren. Obwohl die Wände, wenn es sie in diesem Raum überhaupt gab, so weit entfernt waren, dass Ayashi sie nicht sehen konnte, fühlte sie sich eingeengt. Nur über ihnen erhob sich der Himmel in allen Nuancen seiner blauen Farbe, und versank schließlich in tiefem Schwarz, doch es war trotzdem hell, als schiene die Sonne. Es war ein seltsamer Ort, fasste Ayashi gedanklich zusammen, doch sie erinnerte sich auch, dass sie schon einmal an einem ganz ähnlichen Ort gewesen war. „Ich erinnere mich an einen ganz ähnlichen Ort.“ meinte sie deshalb und fuhr fort: „Ich war schon einmal hier.“ „Ja, du hast die Stätten der Götter und Heiwa-Sens betreten, als du das erste Mal hier warst. Im Moment sind wir sozusagen… in der freien Natur. Ich gebe zu, dass der Vergleich hinkt, da es keine Lebewesen hier gibt, aber ich denke, du verstehst, was ich sagen will.“ Ayashi nickte langsam und ließ ihren Blick weiter umherschweifen, doch als sie nichts fand, an dem er hängen bleiben konnte, wandte sie ihre Aufmerksamkeit zu Kodachi zurück. „Wieso sind wir allein? Wo sind die Götter? Und Heiwa-Sen… Sollte er nicht auch hier sein, wenn er, wie ich glaube, der Grund dafür ist, warum ich hier bin?“ wollte sie wissen. „Ich verstehe das alles nicht.“ fügte sie hinzu und schüttelte verständnislos den Kopf, worauf Kodachi nickte und beschwichtigend ihre Hand auf Ayashis Unterarm legte. „Du bist verwirrt und das ist verständlich.“ entgegnete Kodachi und erklärte: „Wir sind allein, da sie dir Zeit geben wollen, mit der neuen Situation zurechtzukommen. Ich versprach dir, dass ich dir alles der Reihe nach erkläre, und ich habe Heiwa-Sen darum gebeten, dass du von mir alles erfahren wirst. Es schien mit das einzig Richtige zu sein, das ich für dich tun kann, Ayashi.“ „Das klingt nicht gut.“ murmelte Ayashi, doch Kodachi lächelte. „Wirst du mir zuhören? Wirst du mir folgen?“ fragte Kodachi und Ayashi nickte. „Ja. Ich werde dir zuhören, Kodachi.“ versprach Ayashi und fuhr fort: „Und ich werde versuchen zu verstehen, was du mir zu sagen hast.“ Kodachi nickte zufrieden, strich Ayashi liebevoll über ihre Wange, was diese geschehen ließ, und rückte ein wenig von Ayashi weg, um sie bequem auf ihre Knie zu setzen. Sie schwieg eine Weile. Ayashi setzte sich ebenfalls wie Kodachi hin und wartete ab, bis sie ihr Schweigen brach. „Jedes Schicksal hat einen Anfang, Ayashi, und der Anfang deines Schicksals liegt in grauer Vorzeit, als die Welt noch jung war. Es gab noch keine Götter, Youkai, Dämonen, Geister, Menschen und Tiere, doch es gab zwei große Mächte, die auch heute noch über allem stehen und als gottähnlich bezeichnet werden. Heiwa-Sen, der ewige Friede, hatte Okii-Konzatsu, das ewige Chaos, besiegt und begründete die Ordnung der Elemente und der Zeit, aus der das Leben auf der Erde entsprang. In Heiwa-Sen entstand seine Zwillingsschwester, - manche sagen, sie sei seine Tochter – Kyoryoku, doch als seine Tochter unterstünde sie ihm und das tut sie nicht. Kyoryoku ist das Schicksal, das alle Lebewesen als Teil eines großen Ganzen miteinander verbindet, denn jedes Wesen besitzt einen Hauch von Schicksal und damit einen Teil von Kyoryoku. Heiwa-Sen trägt sie wie alle anderen Lebewesen in sich und ohne diese Verbindung könnte weder er noch sie existieren. Kyoryoku ist eine gestaltlose Macht, die eine Hülle braucht, und diese Hülle mit Leben und Sinn füllt. Die Welten, wie wir sie kennen, entstanden. Die Unterwelt, die himmlischen Sphären und die Welt der Lebenden bildeten sich heraus. Götter und Geister erhoben sich aus der Natur. Youkai wurden geboren. Die Erde erblühte, füllte sich mit Menschen und Tieren und Dämonen, und allerlei anderen Geschöpfen. Es gab keinen Krieg, keinen Argwohn, keinen Neid, keinen Hass und keine Habgier. Das Glück war vollkommen und die ersten Lebewesen lebten in Frieden und Eintracht miteinander. Doch der Friede auf der Welt wurde immer wieder durch Okii-Konzatsu, den zerstörerischen Feind Heiwa-Sens, gefährdet. Er säte all die schlechten Eigenschaften unter die Wesen der Welt, sodass die Schöpfung Heiwa-Sens bald einer unsicheren Zukunft entgegenblickte. Kyoryoku ließ ihrem Zwillingsbruder Heiwa-Sen in dieser Zeit eine Prophezeiung zukommen. Sie sagte, die Welten und ihre gesamte Ordnung stünden auf Messers Schneide, und zu dem Zeitpunkt, in dem sich das Schicksal der Welten entscheiden sollte, könne nur die Enkelin des Heiwa-Sen mit Youkai-Blut in ihren Adern durch ihren Tod ihren Beitrag leisten, das Gleichgewicht der Welten zu erhalten.“ Kodachi machte eine kurze Pause und sah, dass Ayashi sie auffordernd anblickte, als wolle sie ihr sagen, nun nicht mit dem Erzählen aufzuhören, doch Kodachi sprach nicht weiter. „Ich möchte dich nicht überfordern. Das, was ich dir erzähle, ist göttliches Wissen, und es ist äußerst kompliziert, dem zu folgen. Lass’ dir Zeit und geh’ noch einmal in Gedanken durch, ob du alles verstanden hast.“ „Ich konnte dir folgen. Sprich’ bitte weiter, Kodachi!“ bat Ayashi und schob ein wenig zur Seite, dass sie es verwirrend fand, dass das Schicksal selbst in Heiwa-Sen eine Prophezeiung hatte verlauten lassen, wie das Ende der Welten verhindert werden konnte. „Nun gut, wie du möchtest.“ meinte Kodachi und fuhr fort: „Der gottähnliche Heiwa-Sen entschloss sich dazu, diese Prophezeiung ernst zu nehmen, da er keinen Anlass hatte, dies nicht zu tun. Prophezeiungen seiner Schwester waren immer eingetreten – und es hing zu viel davon ab. Deshalb zeugte er mit einer jungen Youkai ein Kind.“ „Um sicher zu gehen, dass er eine Enkelin haben würde, die Youkai-Blut besitzt, zeugte er eine Tochter, die ebenfalls schon teilweise Youkai ist. Verstehe ich das richtig?“ „Ja, das ist richtig. Hätte er ein göttliches Kind gezeugt, so wäre das niemals sicher gewesen.“ stimmte Kodachi zu und erklärte weiter: „Er wählte eine Youkai, die stark war und wusste, weshalb er das Kind wollte. Sie erklärte sich einverstanden, denn immerhin ging es auch um ihre Welt.“ „Wer war sie?“ wollte Ayashi wissen, da sie ihr so seltsam nahe vorkam, wobei das vielleicht nur daran lag, dass in diese Legenden und Geschichten von Göttern und gottähnlichen Wesen plötzlich eine Youkai trat. „Es ist nichts sonst über sie bekannt. Selbst ihr Name ist… nicht genau überliefert.“ „Aber hat sie nicht ihre Tochter…“ „Nein, Ayashi. Das göttliche Erbe Heiwa-Sens und das Erbe der Youkai hätten sich in dem Kind auf ewig bekämpft. Die Eltern beschlossen deshalb, dass ihr Kind zwar Youkai sein sollte, doch von Anfang an die Erziehung einer menschlichen Miko erhalten sollte, damit die Verbindung zu Heiwa-Sen und den Göttern nicht verloren ginge.“ „Das Kind war… Midoriko, oder nicht?“ fragte Ayashi, da sie das bisher fest angenommen hatte. „Aber wie ist das möglich? Midoriko war Mensch – zumindest teilweise, oder nicht?“ fragte sie verwirrt und Kodachi schüttelte den Kopf. „Nein. Sie war vom Blut eine Youkai, doch von der Erziehung und Bildung eine Miko. Hör’ mir weiter zu, dann verstehst du.“ hieß Kodachi sie an, wartete, bis Ayashi widerwillig nickte, und sprach dann weiter: „Midorikos Mutter, die Youkai, gab sie gleich nach ihrer Geburt in menschliche Obhut und zog sich von ihrer Tochter zurück. Es fiel ihr bestimmt nicht leicht, doch sie wusste, dass es sein musste.“ „Deshalb ist kaum etwas über sie bekannt.“ murmelte Ayashi leise, worauf Kodachi langsam nickte und nachdenklich meinte: „Sie hat auf ihre Tochter verzichtet, um ihre Erziehung und ihre Aufgabe nicht zu gefährden. Sie hatte sich ja darauf eingelassen. Nun erfüllte sie ihren Teil der Pflicht und ließ ihre Tochter zu einer menschlichen Miko werden.“ „Wie meinst du das? Menschliche Miko?“ fragte Ayashi dazwischen, da sie nicht verstand, wie aus einer Youkai, die Midoriko offenbar war, was ihr immer noch Schwierigkeiten machte, doch eine menschliche Miko geworden war. „Durch die priesterliche Erziehung erlangte Midoriko große Kräfte und erlangte auch die Gabe der Voraussicht, was selbst Heiwa-Sen überraschte, doch ihr Wesen als Youkai wurde zusehends schwächer. Nur eines blieb ihr und erinnerte sie an ihre Herkunft…“ „Der Stern auf ihrer Stirn.“ murmelte Ayashi plötzlich. Wieso hatte sie sich nie etwas dabei gedacht, das Zeichen bei Midoriko zu sehen? Wieso hatte sie es einfach so hingenommen? Ein Mensch mit einem Zeichen auf der Stirn! Ein solches Zeichen hatten nicht einmal alle Youkai, also warum sollte ein Mensch ein solches Zeichen besitzen? „Ja, das Zeichen des Sterns.“ stimmte Kodachi zu und zögerte einen Moment, als würde sie sich in Erinnerungen verlieren, doch bevor Ayashi fragen konnte, warum Kodachi dasselbe Zeichen trug, fuhr sie fort: „Midoriko wurde eine starke Priesterin, die viele Schlachten bestritt, doch eines Tages begegnete sie schwer verwundet einem Youkai, der sich nicht nehmen ließ, sie in seinem Schloss gesund zu pflegen.“ „Vater.“ schoss es Ayashi durch den Kopf, doch sie unterbrach Kodachis Worte nicht. „Midoriko war fasziniert von seinem Wesen und seiner Art, denn er entsprach nicht dem, was sie vermutet hatte und was ihr beigebracht worden war. Man hatte ihr gesagt, Dämonen und Youkai solle sie meiden, da sie gefährlich waren, doch sie lernte ihn schätzen. Er war der Führer der Wolfsyoukai aus dem Westen… Kataga. Sie verliebte sich in ihn und in ihr erwachte abgesehen von tiefer Zuneigung ein Gefühl, das sie sich nicht erklären konnte. Sie fühlte sich, als sei sie nach Hause gekommen.“ „Das war sie in gewisser Weise auch, nicht wahr? Midoriko spürte etwas in sich, ihr Youkai-Wesen, das begraben gewesen war, doch sie konnte es dennoch wahrnehmen. Nur erklären und verstehen konnte sie es nicht.“ entgegnete Ayashi und Kodachi nickte, wobei Ayashi eine große Traurigkeit in ihren Augen zu entdecken glaubte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)