Ayashi - Der Weg zur Wahrheit von abgemeldet ((überarbeitet)) ================================================================================ Kapitel 115: ------------- Ayashi erreichte Edo, noch bevor die Sonne ihren Höchststand erreicht hatte. Sie hatte sich ein wenig abseits des Dorfes zurück auf den Boden begeben, hatte ihre dämonische Energie gewissenhaft verborgen und trat nun als menschliche Miko in das kleine Dorf, dessen Bewohner sie von der Ferne zunächst ohne Vorbehalte anblickten und schon freundlich grüßen wollten. Dann bemerkten sie jedoch, dass es nicht ihre Priesterin war, die sich näherte, und hielten sich scheu und misstrauisch zurück. Einige Kinder kamen Ayashi freudig entgegen gelaufen, doch sie wurden von den Erwachsenen zurückgehalten und Ayashi hörte Sätze, die sie zur Vorsicht mahnten, da man nie wissen konnte. Nun, sie war eben eine Fremde, doch immerhin eine fremde Priesterin. Was fürchteten die Dorfbewohner für Gefahren, dass selbst das Miko-Gewand ihre Zweifel heraufbeschwor. „Ich bin die Miko Kibo aus dem Dorf Shizukesa. Ich möchte die Priesterin dieses Dorfes sprechen.“ verkündete Ayashi so laut, dass es zumindest die umstehenden Dörfler hören konnten. „Gibt es hier niemanden, der mich zu ihr führen kann? Oder gibt es keinen Ältesten, der mich nach dem heiligen Gastrecht bei sich aufnimmt, bis ich die Priesterin sprechen kann?“ fragte sie, als niemand reagierte. Noch eine kleine Weile blieb es still. Die Frauen senken den Blick und hielten die Kinder bei sich. Die Männer sprachen sich scheinbar kurz untereinander ab, ehe schließlich einer von ihnen vortrat und antwortete: „Es gibt in diesem Dorf keinen Ältesten. Die Miko Kikyo ist unsere Führerin. Und sie verließ das Dorf bereits im Morgengrauen.“ „Wo kann ich sie finden, wenn sie nicht hier ist?“ fragte Ayashi mit einem verstehenden Nicken, doch der Dorfbewohner schüttelte den Kopf. „Sie sagte nicht, wohin sie ging.“ meinte er und Ayashi nickte wieder nur, während sie sich bemühte, ruhig zu bleiben und keinen Ärger über die ganze Situation zu entwickeln. „Sie müsste jedoch bald zurück sein.“ fügte ein junges Mädchen den Worten des Mannes hinzu, löste sich aus der Menge der Kinder und eilte schnell zu Ayashi, was die Frauen mit Mahnungen zur Vorsicht kommentierten. Ayashi blickte zu dem Mädchen herab und schaute einen Moment in ihre großen, aufgeschlossenen Augen, ehe sie sich etwas hinabbeugte und lächelte. „Du bist mutiger als die anderen.“ stellte sie fest und das Mädchen zuckte die Schultern, ehe es erwiderte: „Ich bin nur neugierig.“ „Neugierig? Weshalb denn?“ wollte Ayashi wissen und richtete sich wieder auf. „Nun, ich habe noch nie eine andere Priesterin gesehen. Nur meine Schwester.“ antwortete das Mädchen ehrlich und Ayashi musste wieder lächeln. „Kikyo ist also deine ältere Schwester?“ fragte sie nach, da die Kleine scheinbar die einzige war, die sich mit ihr unterhalten wollte. „Ja.“ sagte das Mädchen nicht ohne Stolz und nickte dabei noch einmal. „Wie heißt du denn?“ „Kaede.“ „Kaede also. Du hast gehört, dass mein Name Kibo ist? Ja?“ fragte Ayashi und fuhr fort, als Kaede nickte: „Ich würde gerne auf deine Schwester warten. Meinst du, das ist möglich?“ „Sicher, kommt! Wir können uns vor das Haus in den Schatten setzen und dort warten.“ erwiderte Kaede, ergriff Ayashis Hand und führte sie zur Bleibe der Priesterin. Gemeinsam setzten sie sich auf die schmale Engawa des kleinen Hauses und schwiegen eine Weile, ehe Ayashi das kleine Mädchen nach ihren Eltern fragte, die verstorben waren, und herausfand, dass Kaede nun neun Jahre alt war, in diesem Haus mit ihrer Schwester lebte und selbst schon einiges über Kräuter und Heilpflanzen gelernt hatte, da sie irgendwann in die Fußstapfen ihrer Schwester treten würde. So verging die Zeit schnell und die Dinge im Dorf gingen ihren gewohnten Gang. Die Menschen gingen ihren alltäglichen Arbeiten nach, doch warfen immer wieder einen prüfenden Blick auf Ayashi, die sich leise und ruhig mit Kaede unterhielt. Geheuer war ihnen die Anwesenheit der fremden Priesterin wahrscheinlich immer noch nicht, weshalb sie sichtlich erleichtert waren, als sie Kikyo am Eingang des Dorfes erblickten. Kaede sah auf, als fröhliche Begrüßungen ertönten, und lachte schließlich, ehe sie rief: „Da kommt sie! Kiyko! Seht, Kibo!“ Kaede erhob sich schnell und rannte ihrer Schwester entgegen, während Ayashi aufstand und sich der fremden Priesterin nicht näherte, sondern sie so anblickte und warten wollte, bis sie auf sie zukam. Kikyo bemerkte, dass sie erwartet wurde, und Kaede hatte ihr nach ihrer überschwänglichen Begrüßung auch mit Sicherheit von der Neuigkeit erzählt, doch Kikyo beschleunigte ihren Schritt nicht, sondern ging langsam wie bisher weiter. Ayashi nutzte die Zeit, Kikyo genau zu mustern. Trauer und Schmerz lag in ihren Augen und ließen sie älter wirken, als sie in Wirklichkeit war. Sie mochte siebzehn sein oder höchstens ein Jahr älter, doch ihr Gesichtsausdruck wirkte zu ruhig, zu still, zu verantwortungsbewusst und zu fest, um zu einer lebenslustigen jungen Frau zu gehören. Ihre Mutter Midoriko hatte Recht gehabt, schoss es Ayashi durch den Kopf. Kikyo ging schon längere Zeit auf einem Pfad, auf dem sie nicht mehr umkehren konnte. Die Schützerin des Juwels hatte einen Preis gezahlt: ihre Jugend, ihre Fröhlichkeit und Unbeschwertheit. Energisch schob Ayashi diese Gedanken von sich und konzentrierte sich ganz auf Kikyos Gestalt. Die junge Priesterin trug einen kleinen Korb mit Kräutern und Wurzeln mit sich und setzte einen kleinen Schritt vor den anderen. Das lange, schwarze Haar wehte sanft im Wind und Ayashi konnte einen leichten Duft von feuchter Erde und Moos wahrnehmen, der von ihm ausströmte. Zu mehr war sie aus dieser Entfernung und unter Einschränkung ihrer Youkai-Fähigkeiten nicht in der Lage. „Seid gegrüßt, Kibo.“ begrüßte Kikyo ihren Gast und verneigte sich, was Ayashi ihr gleichtat. „Ich grüße euch, Kikyo. Verzeiht, dass ich unangekündigt in Euer Dorf komme.“ entgegnete Ayashi, doch Kikyo schüttelte den Kopf. „Ihr seid wahrlich willkommen, auch wenn ihr bei Eurer Ankunft bestimmt einen anderen Eindruck hattet. Ich entschuldige mich für die Kälte, mit der ihr nach Eurer langen Reise hier empfangen wurdet, doch die Leute haben Angst – und das aus gutem Grund, wie mit scheint.“ Ayashi wusste, dass Kikyo auf die Anwesenheit des Juwels der vier Seelen im Dorf anspielte, doch sie sagte nichts dazu, sondern meinte nur: „Ich muss Euch sprechen, Kikyo.“ „Begleitet mich bitte in mein Haus.“ bat Kikyo, gab Kaede ihren Korb und wies dann mit ihrer Hand auf das kleine Haus, vor dem Ayashi auf sie gewartet hatte. Ayashi nickte und folgte der jungen Frau ebenso wie Kaede, die mit dem Korb die Stufen hinauf sprang und sich auf der Engawa daran machte, die Kräuter zu sortieren und einerseits auf großen Blättern zum Trocknen auszubreiten, andererseits in kleinen Tongefäßen zu zerstoßen. Kikyo schürte das Feuer in der Mitte des Raums und setzte eine Kanne mit Tee auf den eisernen Untersatz. Im geschlossenen Raum nahm Ayashi nun auch andere Gerüche an Kikyo wahr, die in ihr kein Wohlbehagen auslösten. Der Geruch von Krankheit war sehr stark an ihren Kleidern, doch sie selbst war nicht krank. Hatte sie einen Kranken besucht, ehe sie ins Dorf zurückgekehrt war? Und noch etwas haftete an ihr. Ein Geruch… Duft, der Ayashi bekannt war. Inuyasha. Inuyasha?! War Kikyo ihm zufällig und einmalig begegnet? Hatte er einen Kampf mit der Priesterin herausgefordert? Hatte sie ihn angegriffen, da er kein Mensch war? Hielt er sich etwa schon längere Zeit in der Nähe des Dorfes auf? Es waren nur wenige Monate vergangen, seit Inuyasha das letzte Mal in Shimonoseki gewesen war, doch er hatte nicht erwähnt, dass er nach Edo wollte oder in Edo war. Das war alles höchst merkwürdig und Ayashi musste zugeben, dass es ihr nicht gefiel. Was, wenn Inuyasha das Juwel…? „Was führt Euch nun nach Edo?“ fragte Kikyo, weshalb Ayashi ihre Gedanken und Überlegungen unvollendet ließ, und bedeutete Ayashi, auf einem dünnen Sitzkissen Platz zu nehmen. Ayashi setzte sich mit geschmeidigen Bewegungen etwas weiter von der Feuerstelle entfernt und wartete, bis Kikyo ebenfalls Platz genommen hatte, ehe sie zu sprechen begann: „Ihr seid noch sehr jung, Kikyo. Ich hatte nicht erwartet, dass man das Juwel einer Priesterin Euren Alters anvertraut hat.“ „Seid Ihr deshalb hier? Wollt Ihr mir nahe legen, es in Eure Obhut zu übergeben?“ „Nein. Nein, gewiss nicht.“ antwortete Ayashi und Kikyo legte den Kopf leicht schief. „Ich möchte Euch nur gewisse Dinge über das Juwel erzählen. Dinge, die Ihr vielleicht wissen müsst.“ Kikyo nickte, doch Ayashi sah an ihren Augen, dass sie es eigentlich nicht hören wollte. War sie so sehr von sich und ihrer Macht überzeugt, dass sie glaubte, nichts Neues über das Juwel erfahren zu können? Oder hatte sie bereits resigniert? Sah sie das Juwel nur noch als… Hindernis für ein Leben, das sie gerne führen würde? „Ich bin Priesterin in dem Dorf, in dem das Juwel gefunden wurde. Ein kleines Dorf in den Bergen, in dem die Menschen schon sehr lange Zeit dem Kampf gegen Dämonen nachgehen. In diesem Dorf hielt sich das Wissen um eine längst verstorbene Priesterin, die das Juwel erschuf, als sie ihre Seele mit hunderten von Dämonenseelen verband und aus ihrem Körper trieb.“ „Das ist mir bekannt.“ versicherte Kikyo, doch Ayashi schüttelte den Kopf. „Das ist nicht, was ich Euch sagen wollte. Die Menschen in meinem Dorf wissen mehr über das Juwel, auch wenn viel davon nur Sage und Legende ist, so möchte ich doch, dass Ihr eine Sache erfahrt, damit es nicht noch mehr Schaden anrichtet.“ „In meinen Händen hat es keinen Schaden angerichtet.“ „Seid Ihr da sicher? Wie könnt Ihr die dämonische Energie kontrollieren? Wie könnt Ihr wissen, dass sie nicht längst jemanden in Eurer Umgebung derart beeinflusst, dass er Euch und dem Dorf schaden möchte? Glaubt Ihr, dass Dämonen nicht in der Lage sind, Menschen zu täuschen?“ Kikyo sagte nicht gleich etwas darauf, weshalb Ayashi fortfuhr: „Verschließt Eure Augen nicht vor der Gefahr, die Ihr in diesem Dorf beherbergt. Ihr scheint gut mit ihr zurecht zu kommen, doch haltet Euch die Angst Eurer Leute von dem Juwel immer vor Augen. Sie ist meiner Meinung nach durchaus berechtigt.“ „Das wird bald keine Rolle mehr spielen.“ „Wie meint Ihr das?“ „Ich habe eine Möglichkeit gefunden, das Juwel zu vernichten.“ „Es kann nicht vernichtet werden.“ widersprach Ayashi und Kikyo blickte sie beinahe trotzig an. „Die Macht des Juwels kann vielleicht gebrochen werden, indem man sie einsetzt, um Gutes zu tun.“ „Das kann ich mir nicht vorstellen. Die Macht stärkt das Böse und das Gute, ja, doch diese Mächte heben sich nicht auf, sondern ergänzen sich im Juwel. Löst man einen Teil daraus, so entsteht Chaos.“ „Das könnt Ihr nicht mit Sicherheit wissen!“ „Ihr könnt auch nicht wissen, dass Euer Plan funktionieren wird. Ist es nicht Wahnsinn, das unter diesen Umständen einfach zu erproben? Was wollt Ihr tun, wenn Ihr nicht Recht habt, Kikyo?“ „Das Juwel wird dann weiterhin existieren.“ „Und Ihr?“ fragte Ayashi eine derart einfache Frage, dass Kikyo kurz zögerte. „Ich vielleicht nicht.“ gab sie zu, doch sie schien nicht sonderlich traurig darüber zu sein. Es war, als zöge sie den Tod dem Leben vor, das sie nun führen musste. Ein Leben ohne das Juwel war ihr sehnlichster Wunsch. Plötzlich verstand Ayashi, was ihre Mutter gemeint hatte. Vielleicht war das der richtige Weg, die Macht des Juwels zu brechen, doch Kikyo hatte die falschen Gründe. Kikyo ging es nicht nur um das Gute, das sie mit dem Juwel tun konnte, sondern um ihr eigenes Leben. Und das war… nicht uneigennützig und würde die dunklen Mächte des Juwels stärken, nicht die reinen – und deshalb würde das Juwel nicht verschwinden, sondern verunreinigt werden und somit noch mächtiger und unkontrollierbarer. Kein Mensch konnte das. Kein Mensch war gänzlich frei von dem eigenen Willen zu lachen, zu leben und zu lieben. Niemand lebte nur für die anderen. „Es scheint, ich kann Euch nicht von Eurem Vorhaben abbringen.“ meinte Ayashi leise und Kikyo nickte. „Ich habe es mir lange und genau überlegt.“ „Ich verstehe. Dann möchte ich Euch nur noch um eines bitten.“ entgegnete Ayashi und fuhr fort, als Kikyo nickte. „Eine Legende besagt, dass das Juwel die menschliche Welt verlässt, wenn es zusammen mit dem Leichnam seiner Hüterin verbrannt wird, und erst zurückkehrt, wenn eine neue Priesterin der Aufgabe, es zu schützen, gewachsen ist. Sollte Euer Plan wider Eures Erwartens scheitern, dann bitte, sorgt noch dafür, dass das Juwel in dieser Welt keinen Schaden anrichten kann.“ „Wenn mir nicht gelingt, was ich vorhabe, dann werde ich das Juwel mit mir verbrennen lassen. Ich verspreche es Euch, Kibo.“ erwiderte Kikyo und Ayashi erhob sich, wobei sie einen Blick auf die vollen, unberührten Teeschalen warf, ehe sie sich schnell von Kikyo verabschiedete und Edo verließ. Sie konnte in der Tat nicht mehr tun und sie musste nach Shimonoseki zurückkehren. Kikyo, das wusste Ayashi, unternahm in diesen Tagen die letzten Schritte auf ihrem Lebenspfad, der sie einem sicheren Tod entgegenführte, doch es lag nicht in ihrer Macht, etwas zu tun, denn Kikyo hatte ihre Entscheidung getroffen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)