Ayashi - Der Weg zur Wahrheit von abgemeldet ((überarbeitet)) ================================================================================ Kapitel 22: ------------ Ihre Reise war lang und erst jetzt bemerkte Ayashi, wie sehr die letzten Monate an ihren Kräften gezehrt hatten. Die menschliche Gestalt und die menschliche Aura waren bestimmt nur eine Komponente, die sie sich miserabel fühlen ließen. Trotzdem hatte sie sich dazu entschieden, erst kurz vor ihrem Zuhause wieder ihre Youkai-Energie zuzulassen. Das schien ihr sicherer und außerdem hatte sie so einen Grund, langsam zu gehen und ihre Gedanken zu ordnen, bevor sie ihrem Vater wieder gegenübertrat. Sie hatte auf ihrer Reise erreicht, was sie gesucht hatte: sie hatte sich besser kennen gelernt, indem sie an ihre Grenzen gegangen war – die Grenzen, die sie von der Seite ihrer Mutter erhalten hatte. Und sie hatte ihre Mutter kennen gelernt, die ihr Leben lassen musste, weil sie eine Pflicht erfüllte. Sollte Ayashi nun dasselbe Schicksal auf sich nehmen? Midoriko hatte nur davon gesprochen, dass sie klug handeln musste, doch nichts darüber, dass Ayashi in Gefahr war. Dennoch fürchtete sie das Juwel, da ihr der Gedanke an ein Objekt dieser Macht nicht behagte. Sie würde versuchen, den Wunsch ihrer Mutter zu erfüllen – den Wunsch, der das Juwel betraf. Wer wusste schon, wann es auftauchte? Sie würde Augen und Ohren offen halten, aber sie hatte keine Ahnung, wie lange es dauerte, bis sie etwas tun konnte. Midoriko hatte etwas über Schicksal gesagt. War es ihr Schicksal gewesen, das Juwel zu erschaffe. Und war es nun Ayashis Schicksal, das Juwel – die Seele ihrer Mutter – zu schützen? So hatte sie es noch niemals zuvor betrachtet. War es von diesem Blickwinkel aus nicht sogar ihre töchterliche Pflicht, der Seele ihrer Mutter beizustehen? Ayashi erreichte die Insel Kyushu nach sieben Tagen Wanderung und hielt in einem Dorf, um sich etwas zu stärken. Sie setzte sich in den Schatten eines Baumes und schloss die Augen. Der Wind rauschte in den Blättern über ihr und ihre Gedanken kehrten zurück zu Sesshoumaru. ‚Halte dich von Sesshoumaru fern und lebe!’ Die Worte ihrer Mutter hallten noch immer in ihrer Erinnerung und bedrohten wie dunkle, eisige Schatten die Wärme, die sie empfunden hatte, als sie ihm so unvermittelt begegnet war. Und seine Augen… ließen ihr Herz so schnell und unregelmäßig schlagen wie Regentropfen auf hölzerne Dächer herabprasselten. „Kataga-Samas Gefährtin erwartet ein Kind.“ meinte einer der Bauern, die auf dem Feld neben ihr arbeiteten. Ayashi blickte verwirrt auf. Kataga – ihr Vater – hatte keine Gefährtin. Nicht, soweit sie wusste! „Wir werden schon sehen, dass sich nichts ändert. Kataga-Sama hat immer für unser Wohlergehen gesorgt und wird auch nun nicht zulassen, dass sich etwas ändert.“ entgegnete ein anderer. „Du hast wahrscheinlich Recht. Uns könnte es schlimmer treffen. Wer weiß, ob das überhaupt stimmt.“ warf ein dritter ein und hackte auf den Boden ein. „Die Leute…“ sagte der erste Mann wieder. „Die Leute reden immer, das weißt du doch!“ fuhr ihm wieder ein anderer über den Mund. „Ich würde mir eher Sorgen wegen Ajisai-Samas Tod machen. Dieser wird Konsequenzen haben, sobald er nicht natürlich war.“ fügte er hinzu und Ayashi war völlig perplex. Ihr Vater sollte eine neue Lebensgefährtin haben, die bereits schwanger war. Ajisai-Sama, Inu-no-taishous Gemahlin, die allerdings in den Norden zu ihrer Familie zurückgekehrt war, sollte gestorben sein. Wo? Wie? Wann? War das alles überhaupt möglich? Wieso wusste sie nichts davon, während diese Bauern sich über diese Angelegenheiten Gedanken machten oder auch nur dummes Zeug redeten? Ayashi erhob sich und eilte weiter. Es gefiel ihr nicht, dass sie durch Bauern eventuell über Neuigkeiten unterrichtet worden war, die so viele Änderungen mit sich bringen konnten. Das ärgerte sie, aber in ihr brodelte auch ein Gefühl, dass sie überhaupt nicht mochte: Eifersucht. Eifersucht war ein Gefühl, welches von jedem Youkai verabscheut und verachtet wurde. In ihren Augen gab es nichts Ehrloseres, als ein eifersüchtiges Herz zu besitzen. Ayashi atmete tief durch und beruhigte sich langsam wieder. In menschlicher Gestalt war es schwieriger, diese Gefühle zu kontrollieren, doch noch immer redete sich Ayashi ein, es seien alles nur Gerüchte. Wenig erfolglos, wie sie feststellte, denn eine schreckliche Gewissheit drängte sich immer erbarmungsloser in ihr Herz: die Bauern würden Recht behalten. Am Abend des fünften Tages ihrer Reise erblickte sie das Schloss ihres Vater auf der Anhöhe liegen. In Ayashi regte sich ein Gefühl von Freude, doch immer noch war sie sehr beunruhigt. Sie hatte vor einiger Zeit ihre Youkai-Energie wieder zugelassen, doch war trotzdem langsam gegangen, da sie ihren Körper mit der neuen Kraft, die ihn nun wieder mächtig durchströmte, nicht überfordern wollte. Allmählich kehrte das ausgeglichene Gefühl in ihren Körper zurück und sie atmete tief durch: sie war wieder Youkai-Hime mit Körper und Seele. Die Umgebung war um so vieles eindringlicher. Die Vögel zwitscherten, der Wind strich durch das hohe Gras und erfasste ihre Kleidung. Sie konnte das Meer in der Luft und nasse Erde wieder riechen. Die Farben des frühen Herbstes leuchteten und ihre Sicht war um vieles schärfer und genauer. Ihr Instinkt meldete sich zurück und versicherte ihr, dass sie sich nicht in Gefahr befand. Eine Gruppe von Rehen streifte durch den nahe gelegenenen Wald. Zwei Menschen hackten in der Nähe Holz für den Winter. Langsam ging Ayashi weiter und näherte sich auf direktem Weg dem Schloss. Die Wachen rührten sich nicht, da sie ihre Hime bereits von weitem erkannt hatten, nickten ihr nur zu und ließen sie ungehindert in den Hof des Schlosses eintreten. Ayashi trat vom Hof in die privaten Bereiche des Schlossen und dann sah sie es: das Gerücht, dass Kataga-Sama eine neue Gefährtin gefunden hatte, war wahr. Entsetzt blieb sie stehen und heftete den Blick auf ihren Vater, der mit einer Wolfsyoukai unter dem Vordach saß und ruhig mit dieser sprach. Bei der Wolfsyoukai konnte Ayashi ohne Probleme sehen, dass sie ein Kind unter dem Herzen trug. Sie vermutete, dass sie im sechsten Monat war, und wieder lähmte sie dieses vernichtende Gefühl. Wieso hatte ihr niemand Bescheid gegeben? Hielt nicht einmal ihr Vater es für nötig, sie über solche Veränderungen zu unterrichten? Kataga begegnete dem Blick seiner Tochter und wollte sicher erheben, um auf sie zuzugeben, doch Ayashi hob geistesabwesend die Hand und näherte sich ihm und seiner Gefährtin. Ihr Herz raste und rebellierte gegen ihre Vernunft, während sie bemüht war, ihr Gesicht zu entspannen und der Frau möglichst unvoreingenommen zu begegnen. Ihr Vater beging keinen Treuebruch an ihrer Mutter. Nur für Ayashi war sie vor kurzer Zeit lebendig gewesen – für ihn war sie über einhundert Jahre tot und aus dieser Welt verschieden. Es war nur schmerzlich, dass sie die Gefühle ihres Vaters ihrer Mutter versichert hatte, obwohl ihr das nicht zugestanden hatte, doch sie hatte nicht wissen können… Wie es sich gehörte, trat Ayashi die wenigen Stufen unter das Vordach hinauf und kniete sich vor der Gefährtin und ihrem Vater auf den Boden. Nachdem sie ihre leicht zitternden Hände auf den Boden gelegt hatte und den Oberkörper tief geneigt hatte, richtete sie sich erhaben wieder auf, nahm die Hände der Frau in ihre und küsste sie ehrerbietend. Dann entließ sie die Hände und fühlte die Hand ihres Vaters wohlwollend auf ihrem Haupt. Ayashi versuchte, ein Lächeln auf ihre Lippen zu zwingen, doch es gelang ihr nicht. Ihr Blick ruhte harmonisch und edel auf der Gefährtin, dann wandte sie sich ihrem Vater zu und begrüßte ihn noch einmal separat durch ein Neigen des Kopfes. Kataga wunderte sich über ihren gänzlich beherrschten Ausdruck, der sich auch in ihren Augen widerspiegelte, die normalerweise immer verrieten, was sie dachte und was ihr nicht gefiel, und war stolz auf seine erwachsene Tochter. Sie war seine geachtete Tochter und er hatte vermocht, dass niemand ihre ehrbare Herkunft in Zweifel zog – am allerwenigsten sie selbst. Sie war eine wahre Youkai-Hime, die seine Nachfolgerin werden würde, sollte ihm von seiner neuen Gefährtin auch ein Sohn geboren werden, er liebte und schätzte Ayashi zu sehr, als dass er sie übergehen konnte. „Ayashi, es ist schön, dass du wieder da bist.“ sagte Kataga und nickte ihr zu. „Ich freue mich, wieder hier zu sein, Vater.“ entgegnete Ayashi und wartete darauf, dass ihr Vater seine Gefährtin vorstellte. „Karasu, die Mutter meines zweiten Kindes.“ meinte er schlicht, was Ayashi hellhörig werden ließ. Stellte er sie nicht als Gefährtin oder zukünftige Gemahlin vor? Was hielt er nun wieder vor Ayashi zurück? Ohne sich ihre Verwunderung anmerken zu lassen, nickte Ayashi Karasu zu und wusste, dass sie warten musste, bis Karasu etwas zu ihr sagte. „Ich bin erfreut, Ayashi, dich kennen zu lernen.“ meinte sie, doch Ayashi glaubte ihr nicht. „Ich bin froh, dass mein Vater wieder glücklich ist.“ zwang Ayashi über ihre Lippen. Kataga wollte etwas sagen, doch er kam nicht dazu, da sich ein Diener näherte und ihn nach einem Handzeichen davon unterrichtete, dass Inu-no-taishou-Sama sich dem Schloss näherte. „Er wird gehört haben, dass du wieder zu Hause in Fukuoka bist.“ meinte er zu Ayashi und zog sich zurück, um seinen Freund und Verbündeten zu begrüßen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)