Ayashi - Der Weg zur Wahrheit von abgemeldet ((überarbeitet)) ================================================================================ Kapitel 3: ----------- Ayashi und Taka verließen den Tempelbezirk wieder und machten sich auf den Nachhauseweg. „Langsam wirst du mir unheimlich, Ayashi. Woher wusstest du das mit dem Baum?“ „Ich weiß es nicht.“ gab sie zu und blickte noch einmal zurück zum Tempel, ehe sie Taka ins Haus folgte. Sie wusste, dass sie vorsichtiger sein sollte, aber im entscheidenden Moment hielt sie sich dann doch nicht zurück. Was war los mit ihr? „Kitaro hat zwar gesagt, du seist kein normales Kind, und verzeih’ mir, aber das sieht man auch, doch dass du solche beängstigende Fähigkeiten besitzt, konnte doch niemand ahnen.“ „Ich mache dir Angst? Tut mir leid, das wollte ich nicht.“ „Nun, es berührt mich seltsam, wenn ich dich mit dieser großen Weisheit einer Miko reden höre, und wenn du Dinge weißt, die dem Rest der Menschheit verschlossen zu sein scheinen.“ „Jetzt übertreibst du aber!“ „Vielleicht. Ich habe einfach Angst um dich. Ich habe Angst, dass du dich in diesem Loch verlieren könntest.“ „In welchem Loch? Meinst du, ich gerate in irgendetwas hinein, von dem ich selbst noch nichts weiß?“ „Ich habe keine Ahnung. Sei einfach vorsichtig. Tokyo ist nicht Kyoto.“ „Ich verstehe zwar nicht ganz, aber ich werde vorsichtig sein. Ich verspreche es.“ Ayashi verstand sich ab diesem Moment immer schlechter mit Taka, doch so sehr sie auch überlegte, sie verstand nicht, warum. Sie bemühte sich, das Verhältnis wieder zu verbessern, doch ihre Bemühungen blieben ohne Erfolg. Es war wie verhext. Innerhalb der nächsten Tage bekam sie ihre Schuluniform und musste zur Schule gehen. Die Aufnahmeprüfungen hatte sie ohne größere Probleme bestanden, aber sie fühlte sich in ihrer neuen Schule nicht sonderlich wohl und war jeden Nachmittag froh, wenn sie aus dem Schulgebäude auf die Straße hinaustrat, um sich auf den Heimweg zu machen. Man hatte sie in ihrer neuen Klasse zwar aufgenommen und sie hatte auch schon ein paar nette Mädchen kennen gelernt, die sofort mit ihr gesprochen hatten, aber sie wusste nicht genau, ob sich aus dieser Bekanntschaft überhaupt Freundschaft entwickeln würde. Und sie war vorsichtig. Eines Tages schritt sie durch die überfüllten Straßen zurück nach Hause, als sie plötzlich von einem Mann angerempelt wurde. Ayashi blickte auf und wollte sich für ihre Unachtsamkeit entschuldigen, doch das Wort blieb ihr im Hals stecken: vor ihr stand Nobutada Sanada. „Ich kenne dich!“ meinte er verwirrt. „Ja.“ „Ayashi.“ flüsterte er. „Wie sehr du dich verändert hast!“ „Ich habe mich nicht verändert.“ „Du gleichst deinesgleichen sehr.“ „Meinesgleichen? Wie meinst du das?“ „Du bist nicht von dieser Welt. Du bist nicht normal. Kein Mensch, nein, kein Mensch.“ „Was?“ Nobutada sagte nichts. „Du bist verwirrt. Bist du krank? Kann ich dir helfen? Brauchst du einen Arzt?“ Nobutada lachte. „Ich habe seit der Zeit, in der ich dich so schändlich verraten habe, meinen Seelenfrieden verloren. Sie haben sich für diese Respektlosigkeit gerächt. Sie sind grausam. Sie sind grausam ergeben ihren Höchsten gegenüber.“ „Ich verstehe nicht.“ Ayashi verstand wirklich nicht, und ihr kam der Gedanke, dass sie ihn einfach stehen lassen sollte, da er sowieso log, doch aus irgendeinem Grund konnte sie es nicht. „Lass’ uns gehen. Komm’ mit mir!“ sagte sie deshalb und ergriff ihn am Oberarm. „Du darfst so einen Unwürdigen wie mich nicht berühren! Du brauchst dich nicht um mich zu kümmern!“ „Du brauchst Hilfe, Nobutada. Ich werde sie dir geben, ob du nun willst oder nicht!“ Nobutada stockte und folgte seiner Stieftochter zu ihrem neuen Zuhause. Zum Glück waren weder Taka noch Yoko da, also konnten sie sich in die Küche setzen. Als Ayashi den Tee zubereitete, beobachtete sie Nobutada. Er spielte mit seinen Händen, wirkte ausgelaugt und müde. „Hier, bitte.“ sagte Ayashi leise, als sie ihm eine Teeschale hinschob. „Trinke mit mir.“ Ayashi nahm sich selbst eine Schale und setzte sich zu ihm an den Tisch. Sie tranken beide einen Schluck, dann setzte Ayashi ihre Schale ab und fragte: „Geht es dir besser?“ Nobutada erwiderte nichts, sondern trank nur. Ayashi schwieg nun ebenfalls. Einige Minuten vergingen. Doch plötzlich sprach Nobutada wieder: „Ich wollte dich nie wieder sehen, Ayashi.“ Ayashi nickte. „Das hast du gesagt, ja.“ entgegnete sie. „Du siehst deiner Mutter sehr ähnlich.“ „Ich sehe Koyuki nicht ähnlich.“ widersprach Ayashi und sah ihren Stiefvater an. „Ich meine auch nicht Koyuki. Ich meine deine richtige Mutter.“ „Meine richtige Mutter? Wen meinst du?“ „Ihr Name war Midoriko und sie lebte als Miko vor über neunhundert Jahren in einem kleinen Dorf in den Bergen im Mikuni-Gebirge. Das ist nicht weit vom heutigen Tokyo, wie du wahrscheinlich weißt.“ Ayashi unterbrach ihn nicht, obwohl ihr das alles mehr als nur seltsam vorkam. „Sie war eine überaus mächtige Frau, die in den schlimmsten Zeiten lebte, die es für Menschen bis dahin je gegeben hatte. Sie lebte während großer Kriege und Hungersnöte. Weißt du, was diese Kriege und Hungersnöte zur Folge hatten?“ Ayashi schüttelte stumm den Kopf. „Viele Menschen starben und Dämonen, Drachen und Menschenfresser vermehrten sich sehr stark, da sie die Leichen, die Kinder und die Schwachen fraßen. Sie wurden immer stärker, bis man diesen Wesen Mönche und Priesterinnen entgegensandte. Deine Mutter war eine von ihnen. Und sie war die mächtigste von ihnen, weshalb sie sehr gefürchtet und gehasst wurde. Sie besaß die Fähigkeit, die Seelen der Dämonen zu ergreifen und sie aus ihnen herauszutreiben. Auf diese Art machte sie sie unschädlich. Aus Furcht vor diesen enormen spirituellen Fähigkeiten und aus Hass auf deine Mutter schlossen sich schließlich viele Dämonen zu einem Dämon zusammen, der riesige Kräfte besaß. Sie hofften, so Midoriko übertreffen zu können.“ Nobutada machte eine kleine Pause, doch als Ayashi nichts sagte, fuhr er fort: „Der Kampf dauerte lange und zehrte an Midorikos Kräften. Midoriko sammelte in ihrem Todeskampf ein letztes Mal all ihre Kräfte und ergriff die Seele der Dämonen, die sie schließlich mit ihrer eigenen austrieb.“ „Sie starb im Kampf.“ Nobutada nickte. „In gewisser Weise. Sie erstarrte mit den tausenden Dämonen zu einem Monument. Ihre Seele kämpft noch immer gegen die Seele der Dämonen.“ „Also ist der Kampf bis heute nicht entschieden?“ fragte Ayashi, doch erwartete keine Antwort. Nobutada nickte. „Hast du bis jetzt alles verstanden?“ Ayashi nickte langsam. Sie hatte es nicht nur verstanden, sie glaubte es auch… Nein, sie wusste, dass es der Wahrheit entsprach. „Wie ist es möglich, dass eine einzelne Frau solche Kräfte entwickelt?“ „Sie war die Tochter eines mächtigen Wesens, die sich dazu entschieden hatte, auf der Erde zu leben. Sie besaß daher große Weisheit und das Erbe ihres Vaters, welche sie nutzte, um Gutes zu tun.“ „Die Tochter eines Gottes?“ Nobutada schüttelte leicht den Kopf. „Heiwa-Sen.“ Ayashi lehnte sich zurück und schüttelte den Kopf. „Diesen Namen kenne ich nicht.“ „Manche nennen ihn auch den Wächter, da er über Gut und Böse, also das Gleichgewicht wacht. Er hält das Gleichgewicht. Das ist seine Aufgabe. Im Shinto wird er nicht als Gott verehrt.“ Ayashi nickte. „Es ist schwer zu sagen, wer Heiwa-Sen eigentlich genau ist. Eine Energie, die Zeit… Die Meinungen gehen sehr auseinander. Doch seine Macht kann wohl am ehesten mit der eines Gottes verglichen werden.“ „Midoriko war also eine Halbgöttin oder zumindest so in etwa.“ stellte Ayashi fest. Nobutada nickte. „Und dennoch war sie sterblich und mehr Mensch als du.“ „Mehr Mensch als ich? Wie ist das nun wieder zu verstehen?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)