Everytime von caramel-bonbon ([ReitaxAoi] wenn der Vater Amok läuft - entfacht die Liebe?) ================================================================================ Kapitel 1: Ich bin immer für dich da! ------------------------------------- Leichtes Geschwätz von belanglosem Smalltalk und unbekümmertes Lachen erfüllte das Klassenzimmer, vermischte sich mit Vogelgezwitscher, das durch die offenen Fenster hereinwehte. Draussen auf der Wiese glitzerte der Tau, der sich über Nacht gebildet hatte und nun an vereinzelten Grashalmen hing. Es war noch früh am Morgen, doch die Sonne war bereits aufgegangen und überflutete die harmonische Idylle mit ihrem warmen Licht. An einem der Fenster standen zwei Jungen im Alter von etwa siebzehn Jahren. Sie trugen auffällige Klamotten, die mit Nieten und angenähten Stofffetzen verziert waren. Beide sahen sehr weiblich aus, mit ihren feinen Gesichtszügen und den langen Haaren. Ein im Sonnenlicht funkelndes Piercing zierte die vollen Lippen des Jüngeren, als dieser beherzt auflachte. Kurz blitzten seine weissen Zähne auf. Mit einer leichten Bewegung warf er sein dunkles Haar über die Schultern und wollte gerade zum Sprechen ansetzen, als sein Blick zur Tür schweifte. Sein Mund schloss sich, das glückliche Lächeln verschwand vollends aus seinem schönen Gesicht. Im Türrahmen stand ein Junge aus seiner Klasse, ebenso ausgefallene Klamotten tragend, die Haare jedoch kürzer und teilweise gelb gefärbt. Die Fransen hingen ihm in die Augen und verdeckten die linke Hälfte seines Gesichtes. Ein Stück Stoff verbarg Nase und Wangen. Sein Blick war leer und gen Boden gerichtet. Den Jungen am Fenster, der ihn immer noch anstarrte, schien er nicht bemerkt zu haben. „Reita!“ Der Junge mit dem Lippenpiercing war auf ihn zugekommen und stand nun direkt vor ihm. Er schaute auf und seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, die Augen wurden freundlich. „Hey, guten Morgen!“ Doch das Gesicht des andern blieb ernst. Er zog die Augenbrauen zusammen. „Wo warst du heute Morgen?“, fragte er mit ruhiger Stimme. Reita blinzelte verwundert, lachte dann auf und mit einem entschuldigenden Blick rieb er sich den Hinterkopf. „Tut mir leid, ich habe verschlafen. Ich muss gestern den Wecker falsch gestellt haben. Tut mir wirklich leid. Hast du lange auf mich gewartet?“ Das Gesicht des andern blieb unverändert. „Ich glaube dir kein Wort. Was ist passiert?“ Reita zog eine Augenbraue hoch. „Ich habe ehrlich nicht den geringsten Schimmer, was du meinst, Aoi.“ „Ach ja?“, der Jüngere verengte die Augen zu Schlitzen und seine Stimme wurde scharf. „Und was ist das dann bitte?“ Mit einer raschen Handbewegung strich er seinem Gegenüber die gebleichten Haare aus der linken Gesichtshälfte. Der Wangenknochen und die Schläfe hatten sich tief violett verfärbt und waren angeschwollen. Die braune Kruste getrockneten Blutes an der Augenbraue zeugte von einer Platzwunde. Panisch riss Reita die Augen auf und drehte den Kopf abrupt weg, richtete den Blick wieder gen Boden. Aoi schluckte hart und biss sich auf die Unterlippe. „Tut mir leid“, flüsterte er mit erstickter Stimme, doch Reita schüttelte den Kopf. „Nicht der Rede wert.“ Eine Zeit lang schwiegen sie sich betreten an, keiner wusste, was er dem anderen hätte sagen sollen. Doch Aoi hielt diese bedrückende Stille nicht länger aus, warf einen Blick auf die Uhr und als er festgestellt hatte, dass die noch ein bisschen Zeit hatten, bis es zum Unterricht läutete, packte er seinen Freund am Handgelenk und zerrte ihn auf den Flur vor dem Klassenzimmer. „Also, sag mir, wie das passiert ist.“ Doch Reita schüttelte nur den Kopf. „Es ist nichts. Nur eine kleine Schlägerei. Nichts Ernstes.“ Aoi seufzte genervt und drehte sich halb von ihm weg. „Wie lange sind wir jetzt schon befreundet, Reita?“ Dieser sah ihn fragend an, ratlos, was diese Frage mit dieser Situation zu tun hatte. „Etwa seit sieben Jahren...“, antwortete er nach kurzem Überlegen, „aber was-“ „Eben!“, schnitt Aoi ihm das Wort ab. „Sieben Jahre sind eine lange Zeit, um jemanden kennen zu lernen. Ich kenne dich gut, Reita, und in diesen sieben Jahren – und ich gehe jede Wette ein, auch in den zehn Jahren davor – warst du nie in eine Schlägerei verwickelt gewesen, die dich so hätte zurichten können. Reita, du bist nicht der Typ für Prügeleien, das weißt du genau so gut selbst. Also, lüg mich nicht an.“ Er hatte leise geredet und ihn nicht ein einziges Mal angeschaut. Doch jetzt drehte er sich wieder zu ihm um, suchte seinen Blick und berührte ihn leicht am Arm. „Erzähl es mir. Bitte!“ Reita seufzte geschlagen. „Na gut. Aber nur, weil du teilweise schon Bescheid weißt. Es geht um meine Eltern. Sie haben sich schon wieder gestritten. Aber so schlimm wie gestern war es wirklich noch nie. Sie haben mit Gegenständen um sich geworfen. Das Wohnzimmer sieht schrecklich aus. Mein Vater verlor dann endgültig die Nerven und schleuderte meine Mutter gegen die Wand. Sie hat sich nicht mehr geregt, aber er schlug immer wieder auf sie ein. Ich habe mich gefragt, was los war, als ich plötzlich nichts mehr hörte, und ging nach unten. Weißt du, ich war in meinem Zimmer und hatte die Musik voll aufgedreht, aber die Schreie konnte ich trotzdem hören. Unten sah ich dann meinen Vater, wie er immer weiter auf sie eindrosch. Ich habe ihn angeschrieen, doch er ignorierte mich einfach. Als ich dann dazwischen ging...“, seine zittrige Stimme brach ab. Er presste Augen und Lippen fest zusammen und drehte den Kopf weg. Aoi, der seinem Freund bis jetzt stumm zugehört hatte, hob eine Hand und drehte Reitas Kopf mit sanftem Druck zurück, bis er ihm in die Augen sehen konnte. „Und da hat er dich geschlagen“, beendete er Reitas Erzählung und bestätigte somit seine Vermutung. Doch Reita löste den Blickkontakt, indem er sich umdrehte. „Er war betrunken.“ Aoi sah ihn ungläubig an. „Reita! Tut mir ja leid, das sagen zu müssen, aber dein Vater ist ein Fall für das Gericht! Reita, bitte, sei doch vernünftig, so kann das nicht weitergehen, und das weißt du!“ Seine Stimme klang unendlich traurig und mitfühlend. Fröstelnd schlang er seine Arme um sich und legte seinen Kopf in Reitas Nacken. „Du musst ihn anzeigen, Reita, es ist besser so“, flüsterte er, dann war es still. Er erwartete auch keine Antwort. Plötzlich erschallte das grässlich laute Schällen der Schulglocke. Eine Frau hetzte mit einem Stapel Ordner und Papieren an ihnen vorbei. „Aoi, Reita, wenn Sie sich ins Zimmer begeben würden!?“ Reita blickte auf, nickte und wandte sich zum Gehen, doch Aoi packte sein Handgelenk und hielt ihn fest. Verdutzt blickte der Ältere zurück, doch Aoi hatte die Augen auf ihre Lehrerin gerichtet. „Tut mir leid, Sensei, aber... wir müssen Sie um Erlaubnis bitten, diese erste Stunde fehlen zu dürfen.“ Sie sah ihn einen Augenblick verärgert an, blickte dann zu Reita, der den Blick wieder gesenkt hatte und stumm Löcher in den Boden starrte, bis sie aufseufzte und nickte. „Meinetwegen. Aber das ist wirklich nur eine Ausnahme! Und in der zweiten Stunde will ich Sie wieder hier sehen! Aus welchem Grund auch immer – und ich hoffe sehr, dass das ein guter Grund ist – lasse ich Sie vom Unterricht dispensieren.“ Mit diesen Worten verschwand sie im Klassenzimmer. Reita sah seinen Freund fragend an. „Warum?“ Auf seinem Gesicht zeigte sich ein kleines bitteres Lächeln. „Ich glaube, wir sind beide gerade zu aufgewühlt, um uns auf den Unterricht konzentrieren zu können.“ Reita nickte und senkte dann wieder seinen Blick. Aoi bemerkte jedoch, dass er nicht wie vorhin auf den Boden starrte und folgte seinem Beispiel. Reitas Blick war starr auf Aois Hand gerichtet, die noch immer sein Handgelenk umklammerte. Sofort liess er ihn los und murmelte eine Entschuldigung. Seine Wangen nahmen einen leicht roten Ton an. Reita schüttelte den Kopf. „Kein Problem“, sagte er geistesabwesend. Zum zweiten Mal trat eine unangenehme Stille zwischen ihnen ein. „Willst du mir noch erzählen, was anschliessend passiert ist?“, wusste Aoi jedoch das Schweigen zu brechen. Reita zuckte mit den Schultern. „Na ja, ich bin abgehauen. Ich hab nur noch Sirenen gehört, in der Nähe von unserem Haus. Vielleicht hat er die Ambulanz gerufen. Ich will nicht wissen, was er denen für eine Lügengeschichte aufgetischt hat.“ „Du bist abgehauen?!“, fragte Aoi erschrocken nach. Reita nickte. „Klar! Denkst du, ich wollte noch länger mit meinem Vater in einem Haus bleiben? Nachdem er sogar die Hemmung verloren hat, seine Frau beinahe umzubringen und dann auch noch seinen Sohn zu verdreschen?“ Aoi schüttelte heftig den Kopf. „Natürlich nicht! Aber... wo bist du hin? Wo hast du übernachtet?“ Reitas Mund verzog sich zu einem grimmigen Grinsen. „Auf einer Bank im Park. Ich konnte nur von Glück reden, dass es nicht geregnet hat.“ Ohne Vorwarnung boxte Aoi ihn auf die Brust, das Gesicht zu einer traurig-enttäuschten Miene verzogen. Reflexartig packte Reita dessen Handgelenk, doch der Jüngere trommelte mit der zweiten Faust weiter auf ihn ein. Es waren leichte Schläge, verzweifelte, keineswegs Schmerz zufügende. Reita schnappte auch noch nach dieser Hand, doch damit, dass Aoi sogleich sein Gesicht in dessen T-Shirt vergrub, hatte er nicht gerechnet. Er blinzelte verwundert. Von Aoi war ein Schniefen zu hören. „Du Idiot! Warum hast du mich nicht angerufen? Du weißt doch, dass du mich jederzeit anrufen kannst, du blöder Idiot!“ Seine Stimme klang enttäuscht. „Aber... aber... es war schon nach Mitternacht!“, versuchte Reita sich zu rechtfertigen. Doch der Dunkelhaarige wollte keine Ausrede hören. „Ja und? Ich habe dir doch gesagt, dass du mich jederzeit anrufen sollst, wenn irgendetwas ist! Jederzeit, Reita! Auch drei Uhr morgens!“ Auf Reitas Gesicht breitete sich ein leichtes glückliches Lächeln aus. Er liess seine Handgelenke los und schlang stattdessen die Arme um ihn. Er drückte ihn fest an sich, als ob er Angst hätte, jemand könnte ihn ihm wegnehmen. „Es tut mir leid“, murmelte er in sein Ohr und legte den Kopf auf Aois schmale Schulter. Dieser grinste und legte seinerseits die Arme um Reitas Nacken. „Das sollte es auch“, konterte er flüsternd. Auch Reita konnte nicht mehr anders, als ebenfalls zu grinsen. Mit dem Kleineren im Arm lehnte er sich an die Wand und verringerte somit den Abstand zwischen ihnen auf ein Minimum. Aoi spielte mit einigen Haarsträhnen in Reitas Nacken, was diesen weiter beruhigte. Sein Atem kitzelte Aoi am Hals, und so schloss auch er die Augen. So blieben sie eine Zeit lang stehen und hielten sich gegenseitig fest. „Aoi?“, fragte der Ältere schliesslich mit kratziger Stimme. „Hm?“ „Darf ich... würde es dir etwas ausmachen, wenn ich... die nächsten paar Tage bei dir wohne? Nur bis ich was gefunden habe, ich will deiner Mutter nicht zu sehr zur Last fallen.“ Aoi hob leicht den Kopf an, um den Blonden ansehen zu können, doch dieser hielt seinen Kopf weiter in seiner Halsbeuge vergraben. Er lächelte. „Natürlich, solange du willst, das geht schon in Ordnung.“ „Danke“, hauchte der Ältere und zog Aoi noch näher an sich ran, vergrub das Gesicht noch tiefer in seinen Haaren, atmete den lieblichen Duft ein, den Aoi ausströmte. Er hätte stundenlang so bleiben können, wäre sein Nacken mit der Zeit nicht steif geworden und hätte sein Rücken nicht angefangen zu schmerzen. Aoi war ihm, was er im Moment am meisten brauchte. Jemand, der für ihn da war, der ihn hielt, jemand der ihm versicherte, dass er nicht alleine war, dass er etwas wert war, jemand der ihm zeigte, dass es noch irgendjemanden auf der Welt gab, der ihn mochte. Er gab ihm das Gefühl, geliebt zu werden. Der Unterricht, in welchem sie sich kaum konzentrieren konnten und über ihre Gedanken brüteten, zog sich qualvoll in die Länge, doch als das allerseits bekannte Klingeln das Ende ankündigte, waren Aoi und Reita die letzten, die aus dem Zimmer gingen. Sie liefen stumm nebeneinander her, während ihre Mitschüler an ihnen vorbei drängten, um endlich nach Hause zu kommen. Doch der Gedanke, zurück zu seinem Vater zu müssen, war für Reita keineswegs anziehend und liess ihn erschaudern. Er blieb stehen, den Blick starr ins Leere gerichtet. Aoi drehte sich verwundert zu ihm um. Er wusste sofort, an was sein Freund dachte. Sachte berührte er ihn am Arm. „Komm, dann ist es vorbei“, beruhigte er ihn leise. Reita nickte stumm und bewegte sich dann wieder vor. Auf dem ganzen restlichen Weg zu Reita nach Hause sprachen sie kein Wort. Beide waren tief in Gedanken versunken. Vor der Haustür blieb der Ältere abrupt stehen, sodass Aoi beinahe in ihn hineinlief. Fragend sah er ihn an. „Was ist los? Willst du nicht rein gehen?“ Reita biss sich auf die Unterlippe und blickte ihn aus den Augenwinkeln an. „Ich...“, begann er und senkte den Blick wieder. „Mir wäre es lieber, wenn du da draussen warten würdest. Nur zur Sicherheit. Ich weiss nicht, was mein Vater...“ Doch Aoi nickte hastig. „Schon klar, ich warte hier auf dich. Aber beeil dich. Und pass auf dich auf!“, fügte er mit besorgtem Unterton hinzu. Reita sah ihm in die Augen. Plötzlich zog er ihn in eine Umarmung und drückte ihn fest an sich. „Danke. Dass du für mich da bist“, murmelte er in sein Ohr, dann liess er ihn los und verschwand mit einem leisen Klicken der Tür im Haus. Aoi seufzte schwer und liess sich auf den kleinen Treppenabsatz vor dem Eingang nieder. Drinnen schlich sich Reita auf Zehenspitzen durch den Flur, sprang immer zwei Stufen nehmend die Treppe hoch zu seinem Zimmer. Er legte eine Hand auf die Klinke und hielt inne. Er lauschte. Mit scharfen Ohren versuchte er jeden Laut im Haus aufzuschnappen. Doch es blieb still. Vorsichtig, bemüht keinen Lärm zu machen, drückte er die Türfalle hinunter und huschte in den Raum. Er wollte nicht lange bleiben, in wenigen Minuten würde er schon wieder verschwunden sein. Rasch warf er alles, was er brauchte in eine Sporttasche. Den Rucksack mit den Schulbüchern warf er als erstes hinein, darauf folgten Klamotten, Musik, Schminkzeug und jeglichen Krimskrams, den ein Jugendlicher zum Leben brauchte. Nach sechs Minuten zog er den Rissverschluss der Tasche zu, warf noch einen letzten Blick zurück in sein jahrelanges privates Nest, wo er den grüsste Teil seiner Freizeit verbracht hatte. Er seufzte traurig. Nun war es also tatsächlich geschehen. Der Vater lief Amok und prügelte Frau und Sohn, die Mutter lag deswegen im Krankenhaus, und der Sohn lief weg. Und das über Nacht. Ein von Ironie getränktes Grinsen verzog Reitas Mund. Was waren das nur für traurige Umstände. Er liess die Tür ins Schloss gleiten und atmete tief ein. Kurz schloss er die Augen und wandte sich dann abrupt um, eilte mit grossen Schritten die Treppe runter, dem Ausgang zu. Doch auf halbem Wege stiess er mit seiner grossen Tasche ein Bild von der Wand, welches mit einem lauten Klirren in hunderte von Scherben zerbarst. Reita fuhr zusammen und warf rasch einen Blick ans Ende der Treppe, seine Wahrnehmungssinne liefen auf Hochtour. Seine Nerven waren zum Reissen gespannt. Ein Geräusch drang an sein Ohr. Schlurfend und näherkommend. Sein Vater. Reita warf noch einen Blick auf das Foto hinter der zerbrochenen Scheibe. Alle drei waren sie abgebildet, glücklich, vertraut, drei Jahre jünger. Er biss sich auf die Lippen, entschied sich dagegen, das Bild einzustecken und beeilte sich, aus dem Haus zu verschwinden. Auf der letzten Stufe schaute er nach links ins Wohnzimmer, doch wie zuvor war es leer. Erleichtert atmete er auf und drehte sich um. Er blickte direkt ins Gesicht seines Vaters, der sich im Flur aufgebaut hatte und ihm den Weg versperrte. Seine Augen waren zu gefährlich funkelnden Schlitzen verengt, die Lippen aufeinandergebissen, dass sie eine weisse Farbe annahmen. Sein Atem stank nach Alkohol. Warnend liess er seine Finger knacken. „Soso, du willst also abhauen, ja? Ist das etwa der Dank dafür, dass wir jahrelang für dich gesorgt haben, du kleiner widerlicher Bastard? Häh?!?“ Am Ende schrie er. Reita wich zurück, bewegte sich langsam rückwärts in Richtung Wohnzimmer. Er hatte Angst, ja, aber er liess ihn nicht aus den Augen. Sein Vater hob die Hand, zur Faust geballt, und holte zum Schlag aus. Reita duckte sich knapp weg und versuchte, an ihm vorbeizustürzen, doch eine grosse, kräftige Hand hielt ihn am Arm fest und riss ihn zurück. Die andere Faust rammte sich in seinen Bauch. Röchelnd sank er auf den Boden, die Tasche hatte er fallen lassen. Ein Ellbogen bohrte sich schmerzhaft in seinen Rücken. „Hnng!“ „Wehr dich, du elender Schwächling!“ Eine harte Faust traf ihn im Gesicht und schleuderte seinen Kopf zur Seite. „Steh auf!“, schrie ihn sein Vater an, packte ihn am Kragen und riss ihn hoch. Mit einer Hand um den Hals gelegt, drückte er seinen wehrlosen Sohn an die Wand, mit der anderen schlug er immer wieder auf ihn ein. „Nein! Stopp, hören sie auf! Aufhören!!“ Der grosse Mann hielt mitten im nächsten Schlag inne und blickte zur Seite. Auch Reita drehte das Gesicht so gut er konnte in die Richtung, aus der die Stimme kam. Im Durchgang vom Flur ins Wohnzimmer stand Aoi, zitternd und ängstlich und mit geschockt aufgerissenen Augen. „Aoi“, krächzte Reita, „hau ab!“ Eine weitere Faust traf ihn im Gesicht, er hatte keine Chance, den Schlag abzuwehren. „Hören sie auf, bitte! Reita!“, flehte Aoi schreiend, mit tränenerstickter Stimme. Er rannte auf sie zu und umklammerte den um einiges grösseren Mann am Arm, zog daran und bettelte, Reita doch endlich loszulassen. Doch er hob nur seinen Arm, holte weit aus und stiess Aoi mit einem heftigen Schlag mit der Fläche des Unterarms an die nächste Wand. Sein Kopf prallte an der harten Mauer auf, dann sackte er zu Boden und blieb dort regungslos liegen. Reita schrie. Nicht schon wieder. Das durfte nicht wahr sein. Zuerst seine Mutter, dann Aoi, derjenige, der ihm am Meisten in seinem Leben bedeutete. Die Hand um seinen Hals lockerte sich, doch mit einem gezielten Schlag auf den Kopf ging er zu Boden. Wider seiner Erwartung, dass er noch einige Schläge mehr einstecken musste, wandte sich sein Vater von ihm ab. Erschöpft, mit einem leisen Stöhnen sackte er vollends zusammen. Er hörte, wie sich der Mann mit schlurfenden Schritten wegbewegte. Auf die andere Seite des Raumes, in Richtung Wand, dort, wo Aoi am Boden lag. Er baute sich vor dem Jungen auf und schaute bedrohend auf ihn hinab. Langsam hob er einen Fuss und schupste ihn unsanft an. Aoi stöhnte auf und blinzelte mit verzogener Miene. Der Bulle von Mann grinste bösartig und hob die Faust, um kräftig zuzuschlagen. Erschrocken und ängstlich presste der Dunkelhaarige die Augen zusammen und duckte sich, so gut es ging. Doch der Schlag wurde nicht ausgeführt. Stattdessen vernahm Aoi das Klirren zerbrechenden Glases und der dumpfe Aufschlag eines schweren Körpers auf dem Boden. Er riss die Augen auf und erblickte Reita, keuchend, mit blutender Schläfe und aufgeplatzter Lippe. Mit beiden Händen fest umklammert eine kaputte Glasflasche, die dazugehörigen Scherben auf dem Boden, rund um dem bewusstlosen Körper seines Vaters verstreut, der vor ihm auf dem Teppich lag. Verdutzt starrte er ihn an, dann wurde er von zwei Armen fest an seinen Körper gedrückt, die Flasche glitt ihm aus der Hand. „Aoi! Oh Gott! Ich, ich… es tut mir so leid! Ich habe dir doch gesagt, dass du draussen warten sollst! Warum bist du trotzdem reingekommen, Aoi, warum?“ Der Jüngere spürte deutlich, welche Angst er um ihn hatte, denn er zitterte und seine Stimmer klang brüchig. Doch er war noch zu bestürzt, um auf Reitas stürmisch drängende Fragen zu antworten. „Reita, du... du hast deinen Vater niedergeschlagen!“, stellte er ungläubig fest. Reita drückte ihn noch fester an sich. „Ach Aoi! Natürlich, natürlich habe ich das getan! Er wollte mit dir das gleiche anstellen wie mit Mom, das konnte ich nicht zulasse, nicht du, Aoi, nicht du!“ Seine Stimme wollte einfach nicht aufhören zu zittern und man musste nicht mit besonders guten Hörorganen gesegnet sein, um zu hören, wie verzweifelt der Blonde war. „Es tut mir leid“, flüsterte Aoi und schlug die Hände vor das Gesicht, um seine Tränen zu verbergen. Reita strich ihm beruhigend durch die Haare und über den Rücken, wiegte ihn sanft hin und her. „Es ist vorbei, Aoi, es ist gut jetzt.“ Aois Körper wurde heftig durchgeschüttelt und noch mehr Tränen bahnten sich ihren Weg über seine Wangen. Reita zog ihm die Hände vom Gesicht und umschloss es stattdessen mit seinen eigenen. Er drehte seinen Kopf, damit er ihm in die Augen sehen konnte. Aoi erwiderte seinen Blick. Die Tränen versiegten langsam und hinterliessen salzige Rinnsale auf seiner Haut. Sanft wurden sie von Reita weggewischt. „Danke, es tut mir so leid“, wisperte der Dunkelhaarige. Doch Reita schüttelte den Kopf. „Du kannst doch nichts dafür! Es muss dir nichts leid tun“, beruhigte er ihn mit leichtem Nachdruck in der Stimme und drückte ihm einen leichten Kuss auf die Stirn. „Okay, danke“, nickte Aoi und liess sich wieder in eine Umarmung ziehen. Schweigen trat ein. Nichts regte sich, sie hielten sich einfach gegenseitig fest. Die Nähe des jeweils anderen beruhigte sie. Einige Minuten verstrichen, dann wand sich der Jüngere aus seinen Armen und erhob sich. Reita blieb auf dem Boden sitzen und rührte sich nicht, bis Aoi wieder zurückkam und sich hinter ihm niederliess. „Zieh dich aus“, hauchte er dem Blonden ins Ohr und zupfte an dessen T-Shirt. Reita drehte leicht verstört den Kopf nach hinten. „Bitte!?“ Von Aoi war ein amüsiertes Kichern zu hören. „Wie soll ich dich denn sonst behandeln? Los, zieh dein Shirt aus und lass mich gucken.“ Die Röte, die auf einmal Reitas Wangen zierte, wurde durch das Band und das hastige Wegdrehen des Kopfes vor Aoi verborgen. Langsam zog er das T-Shirt über seinen Kopf und entblösste seinen Rücken, schliesslich die Schultern. Aoi schlug eine Hand vor den Mund. „Oh mein Gott!“, flüsterte er entsetzt. Sein Rücken war über und über mit dunkelvioletten Flecken und purpurroten Blutergüssen vom Vortag übersäht. Einige neue sollten im Verlaufe dieses Tages erst noch auftauchen. Apathisch drückte der Dunkelhaarige eine grosszügige Menge Reparil-Gel auf seine Finger und begann, die wohltuend kühlende Salbe auf Reitas Blessuren zu verteilen. Dieser seufzte und seine Anspannungen lösten sich. Doch plötzlich zuckte er heftig zusammen. „’Tschuldigung! Alles in Ordnung?“ Reita schüttelte den Kopf. „Schon gut, mach weiter.“ Aoi nickte und verstrich auch noch den Rest der Salbe auf seinen Fingern in einer dicken Schicht auf der geschundenen Haut seines Freundes. Schliesslich stand er erneut auf und kniete sich diesmal vor ihm hin. Auch seine Brust hatte sich verfärbt, wenn auch nicht so schlimm wie sein Rücken. Abwesend, aber ebenso sanft und vorsichtig massierte er das Gel ein. Doch als er fertig war, blieb er sitzen und sagte nichts. „Willst du mich jetzt etwa noch verbinden?“, fragte Reita und holte somit den Dunkelhaarigen aus seinen Grüblereien. „Nein, ausser du willst wie eine Mumie aussehen“, erwiderte dieser und musste bei der Vorstellung, Reita von Kopf bis Fuss eingewickelt in Binden und Verbände, unvermittelt lachen. Reita hob fragend den Kopf und schlagartig hörte Aoi auf, starrte entsetzt auf die Lippen des anderen. Vorhin war es ihm nicht aufgefallen. „Ouh, scheisse!“, flüsterte er geschockt. Langsam hob er eine Hand und fuhr mit einem Finger sachte Reitas Unterlippe entlang. Sie war aufgeplatzt und blutete noch immer. Das war zu viel für das friedliche Gemüt des Jüngeren. Taumelnd erhob er sich. „Ich rufe die Polizei und den Krankenwagen... und du musst dann nähen gehen.“ Reita nickte brav und stand sich an der Wand abstützend auf und hievte sich zum nächstbesten Stuhl, auf den er sich fallen liess. Skeptisch beobachtete er von dort seinen Vater, der noch immer mit dem Gesicht nach unten ohnmächtig auf dem Boden lag. Die fettigen Haare am Hinterkopf waren mit Blut verklebt. Aus dem Flur vernahm er Aois Stimme, der kurz den Vorfall schilderte. Zwei Minuten später tauchte dieser mit einer Schüssel lauwarmen Wassers und einem Lappen in den Händen wieder im Wohnzimmer auf. „Sie sind unterwegs“, seufzte er erleichtert, als er sich vor den Älteren auf einen Stuhl setzte. Die Schüssel stellte er auf den Tisch. Er tauchte den Lappen kurz ins Wasser und wrang ihn aus, dann führte er ihn an Reitas Lippen, doch dieser zuckte heftig zurück. „Aua!“, gab er jammernd von sich und starrte ihn mit grossen Augen an. „Reita, ich will doch nur das Blut ein wenig wegwischen, also halt still“, rechtfertigte er sich mit tadelndem Unterton in der Stimme und gab ihm eine Hand, die er festhalten konnte, wenn es zu sehr schmerzte. Dies wurde von diesem liebend gerne ausgenutzt und einmal zerquetschte er ihm beinahe die Finger. Aber Aoi sagte nichts. Und so vergingen weitere zehn Minuten, bis endlich die Wagen eintrafen. Es wurden Fotos gemacht, Aoi musste die ganze Geschichte noch einmal in Grobfassung wiederholen und schliesslich wurden sie alle drei ins Krankenhaus gefahren. Reitas Lippe musste tatsächlich mit vier Stichen genäht werden und bei Aoi wurde eine leichte Gehirnerschütterung festgestellt. Beide bekamen für die restlichen drei Tage Schul- und für drei Wochen Sportverbot, aber immerhin durften sie nach Hause gehen. Da Aois berufstätige Mutter sie nicht abholen konnte und der Vater bereits vor einigen Jahren rausgeworfen wurde, brachte ein Polizist die zwei Jungen zu Aoi. Jetzt erst, wo alles vorbei war, spürten sie, wie erschöpft sie waren und nachdem der Dunkelhaarige sichergegangen war, dass der Polizist seine Mutter über die momentanen Umstände aufklären würde, liessen sie sich ohne noch etwas zu essen in sein Bett fallen und schliefen gleich darauf ein. Sie schliefen lang und tief, und als Aoi das nächste Mal aufwachte, war es bereits Abend. Allerdings fand er sich fest umklammert halb auf Reita liegend wieder. Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen und er rückte dessen Band zurecht, das im Schlaf ein wenig verrutscht war. Dieser wurde dadurch wach. Verschlafen blinzelte er ihn an. „Guten Morgen“, lächelte Aoi gut gelaunt. Reita drehte den Kopf zum Wecker auf dem Nachttisch und dann wieder zurück zu Aois strahlendem Gesicht. „Es ist sechs Uhr“, gab er brummend zurück, wurde jedoch sogleich korrigiert. „Viertel nach.“ Der Blonde hob eine Augenbraue und schaute dem andern in die Augen. Minuten verstrichen, dann öffnete er leicht den Mund. „Du... liegst auf mir“, stellte er nüchtern fest. Aois Lächeln wurde noch eine Spur breiter. „Ich weiss!“ Reita zog auch noch die zweite Augenbraue hoch. „Und warum?“ „Weil du mich im Schlaf so fest umklammert hast.“ „Ach so. Entschuldige“, erwiderte er darauf und wandte das errötete Gesicht zur Seite und löste seine Umarmung, doch Aoi bewegte sich nicht. „Schon gut, solange du dir nicht weh tust.“ Reita versuchte zu grinsen, doch stattdessen verzog er schmervoll das Gesicht. Seine Unterlippe brannte höllisch. „Hey! Pass auf!“, tadelte ihn der Dunkelhaarige und zog besorgt die Augenbrauen zusammen. Reita stöhnte gespielt genervt auf und plötzlich drehte er sich auf die Seite. Überrascht rutschte Aoi von ihm runter und landete in den weichen Laken seines Bettes. Sie lagen sich nun eng gegenüber und blickten sich schweigend an, bis der Blonde eine Hand hob und sie an Aois Gesicht legte. Sanft fuhr er dessen weichen Gesichtszügen nach, ganz zärtlich berührte er mit den Fingerspitzen wie mit Schmetterlingsflügeln seine Wange. „Danke, dass du für mich da bist, Aoi. Du bist der wunderbarste Mensch, den ich kenne“, hauchte er leise und gab ihm, als er sich leicht über ihn beugte, einen zarten Kuss auf die Stirn. Aoi schloss die Augen und genoss die verwöhnenden Berührungen. Reitas warmer Atem streichelte zusätzlich über seine Haut. Er spürte, wie die Lippen des Blonden weiter nach unten fuhren und einen weiteren sanften Kuss auf seinen Wangenknochen pflanzten. Dann noch einen, direkt neben seinem Mundwinkel. Im Bauch des Jüngeren fing es an stark zu kribbeln und ihm wurde plötzlich ganz schwindelig. Er wollte noch mehr von den zärtlichen Berührungen Reitas, wollte seine Lippen fühlen. Leicht drehte er den Kopf in Reitas Richtung und er spürte, wie ihre Lippen sich kurz streiften. Eine kleine Berührung. Er hob die Lider ein wenig an und blickte direkt in die dunklen Seelenspiegel seines Gegenübers. Aoi sah alles wie durch einen Schleier, sah, wie Reita ihm näher kam, die Augen schloss und die Lippen auf seine eigenen legte. Eine Welle von Stromschlägen durchfuhr seinen Körper und er erschauderte leicht. Der Blonde wich ganz kurz zurück, nur um seine Lippen noch einmal mit den andern zu verschmelzen. Länger, zärtlicher, leidenschaftlicher. Sanft, ganze sachte fuhr Reita mit seiner Zunge Aois Oberlippe entlang, brachte ihn somit dazu, die Lippen einen Spalt breit zu öffnen. Vorsichtig tastete sich der Blonde in das unbekannte Gebiet vor, erforschte, was ihm nun zum ersten mal dargeboten wurde, bewegte seine Lippen gegen die weichen, zarten des Jungen unter ihm. Genüsslich seufzte Aoi in den Kuss hinein. Langsam hob er eine Hand und legte sie an Reitas Hals, strich sachte nach oben, vergrub schliesslich seine Finger in den blonden Haaren. Doch plötzlich piekste ihn etwas in seine Unterlippe und er riss erschrocken die Augen auf. Er schien gerade aus einer Art Trance erwacht zu sein. Was machte er hier eigentlich? Er... er küsste Reita? Oder küsste Reita ihn? Auf jeden Fall küsste er gerade seinen besten Freund. Wie kam es dazu? Warum? Hastig drehte er den Kopf zur Seite und beendete so abrupt das Zungenspiel. Er atmete heftig, sein Brustkorb hob und senkte sich in einem unregelmässigen Rhythmus. Zögernd schielte er zu Reita, der noch immer über ihn gebeugt in der gleichen Position verharrte, die Augen jedoch ungläubig geöffnet. Sofort lief Aoi rot an, als er einen Blick auf Reitas Lippen warf. Sie glänzten noch ein bisschen. Die Naht, deren Faden Aoi in die Realität zurück geholt hatte, war an einer Stelle aufgeplatzt und ein kleiner Tropfen Blut sammelte sich dort. „Tut mir leid, ich... weiss nicht was in mich gefahren ist“, stammelte der Blondhaarige leise vor sich hin. Aoi setzte sich ruckartig auf, schmiss damit beinahe den Grösseren vom Bett. „Schon okay...! Ich... ich bin dann duschen!“ Aoi hastete, floh schon fast aus dem Zimmer, packte sich im Hinausgehen eine Jeans und ein Shirt und war dann mit einem lauten Klacken der Tür verschwunden, hinterliess einen leicht verpeilten, in Gedanken versunkenen Reita. Das warme Wasser prasselte auf Aois weiche Haut und lief seinen Körper hinunter, den Beinen entlang, bis es im Abfluss verschwand. Er hatte die Hände an der Wand abgestützt, den Kopf gesenkt und die Augen geschlossen und dachte über eben Geschehenes nach. Unbewusst hob er eine Hand an seinen Mund und fuhr mit dem Zeigefinger über die Unterlippe. Der Kuss war unglaublich schön, da gab es nichts abzustreiten. Er hatte ihn genossen. Das Kribbeln in seinem Bauch bestätigte es ihm. Aber was wurde jetzt aus ihrer Freundschaft? Er wusste schon, dass er seinem blonden Freund nicht mehr in die Augen würde sehen können. „Verdammt!“, fluchte er leise, schlug mit der Faust auf eine der weissen Kacheln, „was soll ich nur machen?“ War er in Reita verliebt? War Reita in ihn verliebt? Er konnte es nicht mit voller Sicherheit sagen, aber alles sprach dafür. Warum hätten sie sich sonst küssen sollen? So innig und als wäre es das Natürlichste der Welt, nicht, als wäre es ihr erster Kuss. Aber was war mit ihrer langanhaltenden Freundschaft? „Haach, es bringt einfach nichts!“, jammerte er und schüttelte seinen schönen Kopf. Als Aoi wieder in sein Zimmer trat, bemerkte er als erstes Reita, der noch immer auf seinem Bett hockte und aus dem Fenster starrte. „Reita... wegen vorhin“, fing Aoi zögernd an zu reden. Reita drehte sich zu ihm um und sah ihn abwartend an. „Ich denke... es wäre besser wenn wir das vergessen würden. Von vorhin. Ich will dich als Freund nicht verlieren.“ Der Blonde nickte langsam, erhob sich vom Bett und schlich wortlos an Aoi vorbei, Richtung Badezimmer. Dieser liess sich seinerseits auf das Bett fallen und starrte die Decke an. Eigentlich wäre es besser, sie würden über vorhin Geschehenes reden. Vielleicht kamen sie sich durch das näher, oder aber... Aoi wollte sich gar nicht ausmalen, was hinter dem ‚aber’ steckte. Sieben Jahre lang hatten sie immer alles zusammen gemacht. Wie konnte es in Zukunft anders sein? Würde dieser Kuss so viel verändern? Während er so dalag, an die Decke starrte und grübelte, merkte er nicht, wie Reita wieder zurückkam und ihn kurze Zeit emotionslos anstarrte. Erst als er ein Geräusch hörte, schreckte er auf. Reita hatte seine Tasche gepackt und versehentlich ein Buch vom Tisch geworfen. Aoi schreckte auf. „Reita! Was... was machst du da? Was willst du mit der Tasche?“ Er war aufgestanden und stellte sich vor die Tür. Der Blonde sah ihn an. „Es wäre besser wenn ich gehen würde“, sprach er leise, aber deutlich. Aoi starrte ihn mit weit geöffneten Augen an. „Aber, wieso denn? Reita, wo willst du denn hin?“ „Ich finde schon einen Ort.“ „Aber... wieso?“ Er wusste nicht wieso, aber seine Stimme klang verzweifelt. Er wollte nicht, dass Reita ging! Dieser senkte den Blick. „Aoi, ich... ich kann nicht einfach... vergessen!“, flüsterte er mir rauer Stimme. Er hatte einen Kloss im Hals. Und obwohl seine Blonden Haare seine Augen verdeckten, konnte Aoi sehen, wie ihm eine Träne über die Wange lief, die vom Stoff seines Bandes aufgesogen wurde. Dann stürzte er an dem erstarrten Aoi vorbei, raus aus der Tür, hinaus aus dem Haus. Aoi blieb wie angewurzelt stehen, er war unfähig sich zu rühren. Seine Sicht verschwamm und ohne genau zu wissen warum, strömten ihm Tränen über das schöne Gesicht. Hatte er Reita nun endgültig verloren? Die schulfreien Tage vergingen und Reita blieb wie vom Erdboden verschluckt. Er nahm nicht mal sein Handy ab, reagierte auf keinen Anruf und auf keine Nachricht. Aoi machte sich wirklich Sorgen. War ihm vielleicht etwas zugestossen? Wo war er überhaupt? Nach Hause war er nicht zurückgekehrt, auch dort war Aoi schon vorbeigegangen und hatte versucht anzurufen – ohne Erfolg. Der Blonde blieb verschwunden. Als er drei Tage später wieder in die Schule ging, keimte wieder Hoffnung in ihm auf. Reita musste zur Schule, ansonsten wurde er verwiesen. Vielleicht konnte er ihn da irgendwie ansprechen. Doch als es zum Unterricht klingelte, war er nicht da. Aois letzte Hoffnung war zunichte. Umso grösser war jedoch die Überraschung, als es mitten in der Stunde an der Tür klopfte und ein verwuschelter Blondschopf hineinhuschte. Aoi richtete sich in seinem Stuhl auf, doch Reita würdigte ihm keines Blickes und setzte sich auch nicht an seinen Stammplatz, sondern warf seine Tasche auf ein Pult in der vordersten Reihe. Aoi sackte wieder zusammen. So wie es aussah, gab es keine Möglichkeit, seinen langjährigen Freund zu erreichen. Als die Stunde zu ende war, rauschte Reita gleich ab und liess dem Dunkelhaarigen keine Chance, ihn einzuholen. Jede Stunde ging das nun so, und in den Pausen, mitsamt der Mittagspause, bliebt Reita verschwunden und niemand wusste, wo er war. Am Nachmittag versuchte er den Blonden zu erreichen, indem er ein kleines Zettelchen schrieb, und ihm auf das Heft warf, das vor ihm lag. Reita sah es sich kurz an, doch er machte keine Anstalten, darauf zu antworten. Stattdessen schnippte er es in den nahen Papierkorb. Aoi seufzte verzweifelt. Was sollte er noch tun? Reita wich ihm offensichtlich aus! Es blieb nur noch eine Möglichkeit. Er musste ihn irgendwie vor der Schule abpassen. Gedacht, getan. Am nächsten Morgen versteckte er sich, bevor es zum Unterricht klingelte, im Klo gegenüber des Zimmers und wartete, durch einen kleinen Spalt spähend, bis Reita vor der Zimmertür auftauchte. Zehn Minuten vergingen, fünfzehn, zwanzig, und er war immer noch nicht aufgetaucht. Langsam wurde er nervös. Was wenn er gar nicht kam? Wenn er zu Hause geblieben war? Er seufzte, als er in den Augenwinkeln eine Gestalt sah, die sich langsam dem Klassenzimmer näherte. Reita! Aoi wartete noch einige Sekunden, so dass Reita nicht gerade wieder rechts um Kehrt machen konnte und hechtete dann hinter der Tür hervor. „Reita! Warte!“ Angesprochener, der gerade die Klinke runterdrücken wollte, erstarrte, als sich von hinten zwei Arme um ihn schlangen. Er liess die Hand sinken. „Wieso willst du nicht mit mir reden?“, fragte der Dunkelhaarige nuschelnd, den Kopf auf seine Schulter gelegt. „Warum sollte ich? Es gibt nichts zu sagen.“ Der unwirsche Ton in seiner Stimmte verletzte Aoi. Eine Zeit lang standen sie einfach nur so da, Reita, stocksteif mit dem Blick auf die Tür gerichtet, und Aoi, ihn mit beiden Armen umschlungen und den Kopf in seinen Haaren vergraben. „Aber ich habe dir etwas zu sagen. Ich... hatte viel Zeit nachzudenken. Über dich, mich, über uns... Reita, seit sieben Jahren haben wir alles immer gemeinsam gemacht und seit du weg bist... seit du weg bist herrscht in mir eine vollkommene Leere! Reita, ich wollte unsere Freundschaft nicht zerstören, sie hat mir mehr bedeutet als ich dachte!“ „Warum sagst du mir das?“ „Weil... ach Reita, du fehlst mir, du fehlst mir so!“ Am Schluss waren Aois Worte nur noch ein Hauch, der in einem Schniefen erstickte. Der Blonde wandte sich aus der Umarmung und drehte sich um. Aois Gesicht war auf den Boden gewandt und er schniefte leise vor sich hin. Reita hob eine Hand, legte sie unter sein Kinn und zwang ihn, ihn anzusehen. Dunkle Augenringe lagen unter seinen Augen. „Aoi, unsere Freundschaft... sie hat mir schon immer zu viel bedeutet, aber... ich kann nicht mehr. Sie ist Geschichte!“ Tränen, die bis jetzt noch zurückgehalten werden konnten, rannen plötzlich in Strömen über Aois Wangen. Es war, als hätte man ihm ein Stück seines Herzens rausgerissen. Er schluchzte. Reita zog die Hand zurück und wandte sich zum Gehen, als Aoi ihn plötzlich an den Schultern packte, ihn zu sich drehte und seine Lippen gegen seine drückte. Der Blonde war zuerst wie versteinert, doch dann schob er ihn hastig von sich, sah ihn entsetzt an. „Was soll das? Mach mir nichts vor, wir wissen doch beide, dass es nicht so ist, wie du tust!“ Sein Kopf flog auf die Seite. Aoi hatte ausgeholt und ihm eine Ohrfeige verpasst. Zitternd und verheult stand dieser nun da und starrte mit weit aufgerissenen Augen aus Reitas Wange. „Reita, ich... es tut mir leid, ich wollte nicht! Ich... Verstehst du denn nicht? Ich habe mich ohne es zu merken in dich verliebt! Erklärt das nicht, wieso ich immer deine Nähe suchte, wieso ich immer alles mit dir tun wollte, wieso ich alles für dich tat? Bitte glaub mir! Reita, bitte!“ Er hatte schnell gesprochen, Schluchzer unterbrachen ab und zu den Redeschwall, doch Reita verstand jedes Wort. „Es wäre schön, wenn ich es glauben könnte“, erwiderte er. Aoi sah ihn hoffnungsvoll aus wässrigen Augen an. Er nickte. Reita seufzte. „Heute nach der Schule habe ich einen Termin beim Arzt. Fäden ziehen“, fügte er an und zeigte auf seine Lippen, „wenn du willst kannst du mitkommen.“ Aoi strahlte und nickte bestätigend. Ja, er würde gerne mitkommen. Der Rest des Tages schwiegen sie sich an. Während den Pausen haute Reita zwar nicht mehr ab, aber sie redeten nicht miteinander. Es war, als würden sie sich zwar sehen, aber zwischen ihnen stünde eine dicke Glasscheibe. Auch als sie nach dem Unterricht zusammen ins Krankenhaus trotteten, sagte niemand ein Wort. Bis Aoi schliesslich eine Frage stellte, die ihn schon die ganze Zeit bedrückte. „Reita, wo warst du eigentlich die letzten Tage? Wo hast du geschlafen?“ Eine Weile schwieg er, überlegte sich, ob er es ihm sagen sollte. „Es gibt da so einen Typen, dem ich vor Ewigkeiten mal geholfen habe und bei dem ich noch was offen hatte. Nichts Besonderes“, fügte er noch an und zuckte mit den Schultern. Aoi jedoch war sichtlich erleichtert. Beim Gedanken, dass er mehrere Tage und Nächte umherirrte und auf Bänken schlief, liess ihn erschaudern. „Und jetzt? Ich meine, wohnst du immer noch bei ihm?“ Reita schüttelte den Kopf. „Nein, eigentlich dachte ich, ich könnte wieder zurück in unser Haus. Mein Vater sitzt vorerst noch im Krankenhaus, dann im Knast und meine Mutter wird so schnell nicht wieder nach Hause dürfen. Ich habe also das ganze Haus für mich alleine.“ Aoi nickte und schliesslich betraten sie das Krankenhaus, wo sie auch gleich in ein Zimmer gebracht wurden, wo wenig später ein Arzt auftauchte. Es war der gleiche, der Reitas Lippen auch schon genäht hatte. „Na dann lass mal sehen. Hm, sieht ganz gut aus, ist schnell verheilt! Das kann gut gezogen werden.“ Der Dunkelhaarige blickte weg, als der Arzt an den Fäden zupfte, doch Reita machte keinen Wank. Schliesslich waren alle Fäden gezogen und der Arzt sah sich zufrieden seine Unterlippe an. „Es sieht gut aus. Wenn jetzt nichts Schlimmes mehr passiert, könnte nicht einmal eine Narbe entstehen. Das war’s dann auch schon, du bist entlassen.“ Reita nickte, bedankte sich und zusammen mit Aoi verliess er das Krankenhaus. Auf dem Nachhauseweg fummelte er an seiner Unterlippe rum. „Fühlt sich komisch an...“, murmelte er, doch dann winkte er ab und sah Aoi an, der ein bisschen blasser um die Nase war als sonst, und fragte ihn, „kommst du noch mit zu mir, oder musst du gleich nach Hause?“ Angesprochener schüttelte den Kopf. „Nein, ich komme gern mit.“ Im Haus sah alles noch genauso aus, wie es war, als sie es verlassen hatten. Es hatte sich niemand die Mühe gemacht aufzuräumen. Doch Reita ignorierte es und ging schnurstracks in sein Zimmer. Aoi folgte ihm wortlos. Auf der Treppe fiel ihm das Bild auf, das nicht wie gewohnt an der Wand hing. Reita merkte, dass er stehen geblieben war und folgte seinem Blick. „Ist mir runtergefallen, als ich die Treppe runter wollte. Deshalb hat er mich gehört. Lass es liegen“, fügte er an, als Aoi Anstalten machte, es aufzuheben. Dieser warf noch einen Blick darauf, dann hastete er die Treppe hoch, denn Reita war schon in seinem Zimmer verschwunden. In diesem Raum sah es aus wie immer. Poster von seiner Lieblingsband hingen an der Wand, überall lag etwas verstreut herum, seine Bassgitarre stand in einer Ecke. Er selbst fummelte an seiner Stereo-Anlage herum und machte Musik. „Reita, wenn du willst kann ich über das Wochenende herkommen und dir helfen aufzuräumen, okay?“ Der Blonde sah ihn an und lächelte. „Das wäre lieb von dir, wenn’s dir nichts ausmacht!“ Aoi schüttelte den Kopf und lächelte zurück. Da fiel sein Blick auf ein Foto auf Reitas Pult. Darauf zu sehen waren sie beide, der Blonde trug ihn auf seinen Armen und sie strahlten glücklich. Aoi lächelte und Reita erwiderte: „Es gefällt mir, dieses Bild!“ Aoi nickte und ging zum Tisch, um es sich näher anzusehen. Er konnte sich noch genau daran erinnern. Vor einem halben Jahr wurde es aufgenommen. Während der Dunkelhaarige das Foto lächelnd ansah, merkte er nicht, wie sich Reita hinter ihn stellte und seine Hände unter seinen Armen durchschob, ihn umschlang, seinen Kopf auf seine Schulter bettete. Aoi seufzte und schloss die Augen. „Auf diesem Bild sehen wir aus wie ein Paar“, flüsterte er und Reita grinste. Dann begann er, Aois Hals zu küssen. Dieser schloss die Augen und seufzte auf, drehte den Kopf auf die andere Seite, entblösste ihn somit ganz. Reita arbeitete sich langsam zu seinem Ohr vor, leckte kurz daran, was in dem Dunkelhaarigen ein Schaudern auslöste. Seine Hände glitten unter das Shirt, streichelten langsam über seine Brust, über den flachen Bauch, den Seiten entlang hoch, zog ihm den Stoff über die Schultern. Aoi hob die Arme. Das Shirt glitt neben ihm auf den Boden. Reita liess seine Hände über Aois Rücken gleiten, küsste sich vom Hals zu den Schultern. Dieser jedoch drehte sich um, hob eine Hand und streichelte Reita über das Gesicht, schob die Fransen beiseite, sah ihn mit verschleiertem Blick an. Mit gespreizten Fingern fuhr er ihm durchs Haar, machte hinter seinem Ohr Halt und zog ihn dann langsam zu sich, legte seine weichen Lippen auf die seinen, verschloss seinen Mund zu einem sanften Kuss. Zart tasteten sie nach ihren Lippen, die Augen geschlossen standen sie da und küssten sich. Ein zarter Kuss, der sich erst löste, als Aoi Reita das Shirt über den Kopf zog, um sich dann erneut zu entflammen. Seine Hände erforschten Reitas Oberkörper, seine Finger fuhren federleicht den Konturen der Muskeln und Knochen nach. Plötzlich drückte Reita ihn fest an sich, ohne den Kuss zu lösen, drückte ihre nackten Oberkörper fest aneinander. Aoi fühlte Hitze in sich aufsteigen, umklammerte fest seinen Nacken, hinter welchem er die Arme verschränkt hatte. Er öffnete seine Lippen einen Spalt breiter, reckte den Kopf weiter nach vorne. Ein anfangs unschuldiger Kuss, der an Leidenschaft gewann. Aoi tastete nach dem Bett, setzte sich hin und zog Reita mit sich, bis sie quer über der Matratze lagen, eng umschlungen, sich wild küssend. Reitas Knie suchte sich einen Weg zwischen Aois Beine, drückte seinen Unterleib fest an seinen. Aoi stöhnte leicht auf, der Kuss löste sich. Aoi suchte Reitas Blick und lächelte. „Ich bin immer für dich da, Reita.“ ~OWARI~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)