Das Spielzeug mit den blauen Augen von Kassia (AtemuxSeth; SethxAtemu u.a.) ================================================================================ Kapitel 1: Ein Pharao auf Abwegen --------------------------------- Disclaimer: YGO ist geistiges Eigentum von Kazuki Takahashi. Pairings: AtemuxSeth, SethxAtemu u.a. (Yaoi, Hetero) Kurzinfo: Die Hauptideen dieser Story (und der Titel) stammen von SSJ Umi und wurden von ihr für ihren Wettbewerb freigegeben. Wenn dem einen oder anderen also Themen der FF bekannt vorkommen, weiß jetzt warum. Übrigens, wie so ziemlich jeder Schreiberling, so würde auch ich mich über Feedback freuen ^^ (sofern das hier überhaupt jemand liest o_O) Kapitel 1 – Ein Pharao auf Abwegen Der Dreck und der Gestank. Das waren die ersten Dinge, die dem Jungen auffielen. Gekleidet in feinstem Leinen, das seine wohlgeformte Statur an genau den richtigen Stellen betonte und behangen mit, zwar dezent gehaltenem, aber dennoch sündhaft teurem Schmuck, kam er sich mehr als nur ein bisschen fehl am Platze vor. Dies war wirklich unter seinem Niveau. Was bei allen Göttern trieb er eigentlich hier? Am liebsten wäre er sofort wieder umgekehrt. Er brauchte dringend ein Bad. Ja, ein Bad wäre jetzt schön. Seine hübschen Dienerinnen würden mit ihren schlanken, geschickten Händen seinen Körper verwöhnen, ihn mit den edelsten Düften einreiben und... Ein kräftiger Windstoss riss ihn aus seinen Träumereien, pfiff ihm um die Ohren und trug den widerwärtigen Geruch fort. Diese Mischung aus Schweiß, Blut und Fäkalien, die seine feine Nase beleidigte und ihm die Galle hochsteigen ließ. Mit Mühe unterdrückte er ein Würgen. Sie hatten nun den engen Gang verlassen, in dem der Schmutz quasi von den Wänden zu tropfen drohte und waren auf einen großen, schön gestalteten Hinterhof getreten. „Kein Vergleich zu meinem Palast“, dachte der Junge abfällig, „aber zumindest ist es hier sauber. Trotzdem kann ich es kaum erwarten, diese Sache hinter mich zu bringen.“ Unauffällig blickte er zu seiner Rechten, hinauf zu seinem vertrauten Priester, der ihn flankierte und misstrauisch alles und jeden beäugte und sich an diesem Ort ebenfalls nicht besonders wohl zu fühlen schien. Der Junge wandte seinen Blick wieder ab und konzentrierte sich stattdessen auf ihren Führer; einen dicken, syrischen Kaufmann, der sich zwecks vielversprechender Geschäfte vor einigen Jahren in Ägypten niedergelassen hatte und auch heute auf das große Geld hoffte. Besagter Kaufmann lächelte ihn nun breit an und begann auch gleich fröhlich loszubrabbeln. „Nun, mein Pharao. Ich weiß natürlich, dass das hier“, und er machte eine weit ausholende Handbewegung, die wohl den Hof und die umliegenden Gebäude umfassen sollte, „weit unter Eurer Würde ist.“ „Wie wahr“, dachte der Junge, nein, der Pharao, lakonisch, verkniff sich allerdings einen lauten Kommentar. „Aber ich denke wirklich, dass sich Euer Besuch bei mir lohnen wird. Ich habe wirklich nur die beste Ware für Eure, ah, speziellen Wünsche...“, fuhr der Händler eifrig fort, „...und es ist für jemanden von Eurem Stand nur natürlich, dass er...“ Der Pharao hörte ihm schon gar nicht mehr richtig zu und winkte genervt ab. Was interessierte ihn das Gefasel dieses fetten Trampels? Er hatte Besseres zu tun. Desinteressiert schaute er noch mal seinen Priester, Mahaado, an und nickte ihm leicht zu. Mahaado verstand ihn sofort und fiel dem immer noch vor sich hin redenden Kaufmann rasch ins Wort. „Das ist ja alles wirklich äußerst faszinierend. Aber denkt Ihr nicht auch, dass wir langsam mal zu einem Abschluss kommen sollten? Der Pharao wird heute noch im Palast zurückerwartet. Das versteht Ihr doch sicher, nicht wahr?“ Der Angesprochene, so rüde in seinem Wortschwall unterbrochen, schaute zwar einen Moment lang irritiert, fing sich aber schnell wieder und nickte aufgeregt. „Uh, natürlich. Selbstredend. Wenn Sie mir nun bitte folgen würden? Wirklich nur das Beste vom Besten. Sie werden sehen...“, fing er schon wieder von vorne an, setzte sich aber zumindest diesmal in Bewegung und führte seinen hohen Besuch, den Pharao mit seinem hochgewachsenen Priester und drei kräftigen, schwer bewaffneten Leibwächtern, zu einem großen Seitengebäude. Endlich dort angekommen, präsentierte er stolz sechs kleine Zellen, oder genauer gesagt deren Inhalt. Langsam ließ der Pharao seine Augen über die gefangenen Männer gleiten. Der Kaufmann mochte vielleicht ein Angeber sein, aber er war kein Lügner. Seine Ware war wirklich top. Die Sklaven schienen sauber, bei guter Gesundheit und trugen nicht mehr als einen dünnen Leinenschurz, so dass der Pharao ungeniert ihre Körper begutachten und erkennen konnte, dass die Burschen gut genährt und in den besten Jahren waren. Frische Verletzungen wiesen sie auch nicht auf; nur ein paar vereinzelte Narben, die jedoch bereits älter wirkten und wahrscheinlich noch aus der Zeit vor ihrer Versklavung stammten. Der König war kein Narr. Er wusste, dass es den restlichen Sklaven, denen, die nicht – besonders – waren, nicht so gut erging. Er hatte die Schreie, das leise Wimmern auf dem Weg hierher gehört. Das Blut gerochen. Es kümmerte ihn nur nicht. Deswegen war er nicht hier. "Shada“, befahl er scharf. „Teste sie.“ „Sehr wohl, mein Pharao“, kam die sofortige Antwort und hinter den Wachen versteckt trat ein weiterer Mann aus dem Hintergrund hervor, den der Syrier, so fixiert auf den Pharao, bis jetzt gar nicht bemerkt hatte. Der Händler betrachtete ihn verwirrt. „Noch ein Priester? Aber was hat er da?“ Shada hatte inzwischen einen goldenen Gegenstand unter seiner Robe hervorgeholt, welcher verdächtig aussah wie ein Ankh, ein Schutzsymbol der Ägypter, das eigentlich für langes Leben stand. Als der Syrier schließlich aber etwas genauer hinsah, musste er schwer schlucken. „Kein Ankh, sondern ein Millenniums Artefakt“, erkannte er und rieb sich nervös die verschwitzten Hände. Er wusste nichts Genaues über diesen Pharao und seinen Hofstab, aber er hatte Gerüchte gehört. Gerüchte, die sich hartnäckig hielten und weit über die ägyptischen Grenzen hinaus verbreitet waren. Demnach war dieser Pharao, so jung er auch war, in Magie bewandert, genauso wie sein Vater vor ihm und noch mächtiger. „Atemu, Sohn der Götter und Geißel dieses Landes. Ja, ich glaube, so wird der König vom Volk genannt.“ Weiter kam er mit seinen Überlegungen nicht, denn plötzlich erhellte ein grelles Licht den Raum und er musste schnell seine Augen abschirmen, um nicht geblendet zu werden. Dann war es auch schon wieder vorbei. Vorsichtig lugte er zwischen seinen Fingern hervor, bevor er seine Hände senkte und angespannt wartete. Shada nickte zufrieden. „Es ist wahr. Jeder dieser Sklaven besitzt ein Ka, zwar nicht sonderlich stark entwickelt, aber dennoch klar vorhanden.“ Ka. Den Begriff kannte der Syrier. Das war die magische Kraft, die manchen Menschen innewohnte; oft manifestiert in einer monsterähnlichen Kreatur, welche mit Hilfe der Millenniums Artefakte aus den Körpern extrahiert und in Steinplatten gebannt wurde. Von dort konnte es dann bei Bedarf gerufen, kontrolliert und für Kämpfe eingesetzt werden, was normalerweise nur dem Pharao und seinen engsten Vertrauten vorbehalten war. Zu dumm nur, dass es hin und wieder Kas mit so starker Zerstörungskraft gab, dass sie sich, wenn man sie nicht vorher versiegelte, verselbständigten und zu einer echten Gefahr wurden. Was im Übrigen auch bei den sechs Sklaven des Syriers geschehen war, die der Pharao nun so interessiert musterte. Nachdenklich kratzte sich der Händler seinen filzigen Kopf. „Was der König wohl mit den ganzen Monstern will?“ Er grunzte laut. „Ach, was kümmert es mich? In meinem Geschäft lebt man ohnehin länger, wenn man keine Fragen stellt.“ Letztendlich zählten ohnehin nur die harten Fakten des Geldes, welche besagten, dass der Pharao sehr an Sklaven mit starkem Ka interessiert war und gut für sie bezahlte. Dies hatte auch zur Gründung der sogenannten Ka-Jäger geführt, deren Spezialgebiet die Beschaffung von ebensolchen Menschen war und deren Methoden, vorsichtig ausgedrückt, doch so einiges zu Wünschen übrig ließen. Doch der König war nicht pingelig. Mehr oder weniger unverletzt mussten die Sklaven sein. Kräftig und möglichst jung. Mehr Bedingungen stellte er nicht. „Ich nehme sie alle“, verkündete der Pharao schließlich zufrieden, betrachtete seine neuen Erwerbungen nochmals eindringlich und schnalzte mit der Zunge. Ja, deswegen war er hier. ------------ Kapitel 2: Erste Begegnungen ---------------------------- Danke für die bisherigen Kommentare ^^. Ich hoffe, dass die FF auch weiterhin gefällt. --------------- Kapitel 2 – Erste Begegnungen Nachdem sie den Händler ausbezahlt hatten und dieser nun dafür sorgen würde, dass die Ware schnellstens und unversehrt zum Palast geliefert werden würde, wollte Atemu nun noch einmal zurück auf den Sklavenmarkt, wo sie auch dem Syrier das erstemal begegnet und dann von diesem zu seinem Privatanwesen geschleppt worden waren. Der Pharao hatte sich zwar gerade erst sechs neue Sklaven zugelegt, aber, wie er lachend meinte, als Mahaado ihn darauf ansprach, das hatte sich ja eher zufällig ergeben. Gesucht hatte er immerhin etwas anderes. Diesmal entschied sich Atemu für eine dem Pharao würdigere Form der Fortbewegung. Nachdem er schon im Anwesen des Syriers gezwungen gewesen war, zu Fuß zu gehen, bestieg er nun doch lieber wieder die bereits auf ihn wartende königliche Bahre. Es war nicht unbedingt so, dass ihm das Zufußlaufen widerstrebte; vielmehr ekelte er sich vor dem Pöbel und wollte so etwas Abstand zwischen sich und das einfache Volk bringen. Und nachdem er sich in eine bequeme Position gebracht hatte, gab er schließlich den Befehl zum Aufbruch. Mit stolz in die Höhe gestrecktem Kinn ließ er sich von seinen Sänftenträgern durch das Menschengewirr tragen; seine treuen Priester jeweils rechts und links von ihm gehend und einen zusätzlichen Schutz gegen etwaige Angriffe bildend. Die Nachhut wurde von seiner Leibgarde übernommen. Alles in allem bot Atemu ein beeindruckendes Bild und er genoss sichtlich die Aufmerksamkeit der Menge, die solch einen Prunk nicht gewohnt war. Immerhin war es nicht unbedingt etwas Alltägliches, ausgerechnet den Pharao zwischen all diesen Zuhältern und Händlern zu erblicken. Andererseits aber hatten die Leute doch schon so einiges über den neuen Herrscher gehört... Und damit kam auch die Neugierde. Zu Atemus Leidwesen hatten sich überall Grüppchen gebildet, welche die seltsame Prozession bestaunen wollten und die Sänftenträger hatten sichtlich Mühe, noch einen Weg durch die gaffende Menge zu finden. Erst als die Priester dazwischengingen und einer seiner Wachmänner einen Speer drohend in die Menge stieß, machten die Menschen widerwillig Platz, so dass sie ihren Weg endlich fortsetzen konnten. Der Pharao versuchte diese Unterbrechung zwar äußerlich mit Fassung zu tragen, innerlich jedoch kochte er vor Wut und schließlich hielt er es nicht mehr aus. Er winkte Mahaado zu sich. „Mahaado, was soll das? Diese Menschen zollen mir nicht den mir gebührenden Respekt und ich komme nicht umhin zu glauben, dass dieses Verhalten auch auf dich zurückzuführen ist“, zischte er ärgerlich. Mahaado indes sah ihn nur fragend an, offensichtlich nicht verstehend, worauf sein König hinauswollte. „Wie meint Ihr das, mein Pharao?“, wollte er schließlich wissen, nachdem Atemu ihn nur weiterhin vorwurfsvoll anstarrte, aber ansonsten nicht bereit schien, seinem Priester aus der Misere zu helfen. Atemu seufzte hörbar genervt, ließ sich aber trotzdem zu einer Antwort herab. „Sieh dir doch mal die Leute auf deiner und dann die auf Shadas Seite an“, bat er in falscher Freundlichkeit und beobachtete, wie sich sein Priester gehorsam umdrehte. „Verstehst du nun? Nur die Menschen auf deiner Seite drängen immer wieder zu uns auf. Bei Shada hingegen ist dies nicht der Fall. Und weißt du warum?“ Mahaado schluckte. „Nein, mein König, das weiß ich nicht.“ Atemu lächelte leicht. „Das dachte ich mir. Nun, ich werde es dir verraten: Die Leute fürchten dich nicht. Du bist ein fähiger Priester und Magier, daran gibt es keinen Zweifel und doch...du weißt diese Fähigkeiten, diese Macht, nicht einzusetzen. Sie dient dazu Menschen zu kontrollieren, die schwächer sind als du. Wieso begreifst du das nicht? Du hättest eine Schockwelle auf die Menge loslassen können; sie hätte es danach sicher nie wieder gewagt, sich dem König gegenüber, mir gegenüber, so ungebührlich zu verhalten. Stattdessen aber versucht du diesen Abschaum mit Worten zurechtzuweisen! Wie nutzlos solch ein Unterfangen ist, müsstest doch selbst du mittlerweile endlich erkannt haben! “ Mahaado wagte nicht zu widersprechen und nickte ergeben. „Verzeiht mir, mein König. Es wird nicht wieder vorkommen“, versicherte er schließlich mit belegter Stimme. „Ist es das, was Ihr von mir erwartet habt?“ Der Pharao schnaubte. „Du weißt, was ich erwarte. Stell keine Fragen, auf die du die Antworten schon kennst. Ich will, dass du mir mit all deiner Macht dienst und auch bereit bist, diese zu meinem Wohl einzusetzen. Und das heißt nicht nur, wenn mein Leben in offenkundiger Gefahr ist, sondern auch für Situationen wie diese. Meine Krönung ist noch nicht allzu lange her; die Leute unterschätzen mich wegen meiner Jugend und halten mich für schwach. Und das kann ich nicht dulden. Doch nicht nur ich habe unerbittlich zu sein und mit starker Hand zu regieren. Auch ihr als meine Priester repräsentiert mich und müsst diese Stärke, meine Stärke, dem Volk beweisen. Also, ich frage dich erneut: Hast du das verstanden, Mahaado?“ „Ja, mein Gebieter“, meinte dieser nur leise. Ihm missfielen die Worte seines Königs, doch argumentieren würde er mit ihm nicht. Letztendlich widersprach man keinem Gott. Und dennoch konnte Mahaado nicht anders, als einen diskreten Blick auf Shada zu werfen, der die ganze Zeit über wortlos daneben gestanden und sich nicht gerührt hatte. Er hätte zu gerne gewusst, wie Shada zu dieser Sache stand, nur leider ließ dessen ausdrucksloses Gesicht keine Regung erkennen. Bevor Mahaado sich allerdings in weitere Überlegungen über Shada vertiefen konnte, setzte sich die königliche Sänfte erneut in Bewegung, so dass der junge Priester seine Aufmerksamkeit notgedrungen auf wichtigere Dinge richten musste. Innerlich jedoch schüttelte er den Kopf. Er wollte seinem König treu dienen und alles zu dessen Zufriedenheit erfüllen, doch Atemus Befehle klafften so oft mit seinen eigenen Überzeugungen auseinander, dass er langsam begann, an sich selbst zu zweifeln. Und das widerstrebte ihm gewaltig. Was im Übrigen auch für diesen Sklavenmarkt galt. Mahaado wusste, dass sein König auch nicht gerade angetan von ihnen war. Nur ihre Gründe waren verschieden. Der Pharao mied solche Orte, weil er den Dreck und das Geschrei nur schwerlich ertragen konnte. Mahaado dagegen litt unter dem Elend, das er hier sah und den Demütigungen, die diese Menschen ertragen mussten. Plötzlich blieb die Bahre des Pharaos stehen. Atemu hatte wohl etwas entdeckt, das seine Aufmerksamkeit geweckt hatte. Interessiert betrachtete er nun einige besonders hübsche, schwarze Frauen, die ihm aufreizend ihre nackten Brüste entgegenstreckten. „Frauen aus Nubien“, erkannte Mahaado. Wie die meisten Sklaven, so waren auch diese nicht ägyptischer Abstammung, sondern aus den umliegenden Fremdländern und ägyptischen Provinzen gefangengenommen worden, um dann auf Märkten wie diesem verkauft zu werden. „Ja“, nickte der Pharao, „Schön anzusehen, nicht wahr? Aber ich habe schon zwei. Und im Bett sind sie auch völlig einfallslos. Gehen wir lieber weiter.“ Unbewusst ballte Mahaado seine Hände, bevor er sich zwang, seinem Pharao zu folgen. „Und, wie geht es jetzt weiter, Atemu?“, fragte er nach einer Weile angespannt und fühlte noch im gleichen Moment die Schuld in sich aufsteigen. Obwohl er und der junge König zusammen aufgewachsen waren, wagte es Mahaado normalerweise nicht, ihn in Gegenwart Fremder mit seinem Namen anzureden. Soviel Respekt war er seinem Herrscher einfach schuldig und das wusste er genau. Er hoffte nur, dass Atemu ihm seinen Etikettenfehler nochmals nachsah. „Dieser Ort macht mich einfach so furchtbar nervös und gereizt. Trotzdem muss ich besser aufpassen. Das Recht, ihn beim Namen zu nennen, habe ich mit seiner Krönung ein für allemal verloren.“ „Gibt es etwas, was du mir sagen möchtest, Mahaado?“ erkundigte sich Atemu mit einemmal ruhig und hob eine Augenbraue. „Wenn dem so ist, dann nur raus damit. Du weißt doch, ich lege Wert auf deine Meinung und höre dich gerne aus.“ „Nur auf mich hören tust du nie“, dachte Mahaado säuerlich. Laut sagte er jedoch: „Mich würde nur interessieren, was Ihr mit den ganzen Sklaven vorhabt. Die mit dem Ka, meine ich. Und dann Eure Methoden. Die Menschen trauen sich bald gar nicht mehr auf die Straße, aus Angst vor den Ka-Jägern. Ich glaube wirklich nicht, dass...“ „Mahaado!“, zischte der Pharao auf einmal so schneidend, dass die Wachen und seine Priester verschreckt zusammenzuckten. „Zweifelst du etwa an mir?“ „N-nein. Natürlich nicht. Vergebt mir. Ich wollte Euch nicht beleidigen“, beeilte sich Mahaado zu versichern und etwas bedrückt setzte er hinzu: „Meine Loyalität zu Euch ist über jeden Zweifel erhaben. Ich dachte, Ihr wüsstet das. Keinesfalls wollte ich Euch kränken.“ Atemu blickte ihn versöhnlich an. „Du hast mich nicht gekränkt. Nur manchmal frage ich mich, wo deine Prioritäten liegen. Erst vor wenigen Minuten musste ich dich zurechtweisen und nun zwingst du mich schon wieder dazu. Du enttäuschst mich. Du bist mehr an dem Wohl des gemeinen Volkes interessiert, als gut für dich wäre und scheinst dabei zu vergessen, wem deine Treue gelten sollte. Und ich werde dies nicht weiter tolerieren. Merk dir das.“ Mahaado nickte stumm. Der Pharao hatte ihm gerade unmissverständlich klargemacht, dass seine Fragen nicht erwünscht waren und er würde sich daran halten. Vorläufig jedenfalls. Atemu wartete noch einen Moment, da aber kein weiterer Widerspruch kam, drehte er sich schließlich um und richtete seine Aufmerksamkeit auf Shada. „Und wie sieht es mit dir aus? Möchtest du auch irgendwas zu dieser Sache sagen?“, fragte er ihn rundheraus und studierte derweil gelangweilt seine Fingernägel. Shada schüttelte bedächtig den Kopf. „Ihr seid der Pharao und ich vertraue Euch“, meinte er nur, bevor er sich langsam vor seinem König niederkniete, um ihm seine Hochachtung zu bekunden. „Gut“, antwortete Atemu leichthin, „eins solltet ihr beiden nicht vergessen. Noch seid ihr keine Priester, sondern nur Anwärter. Priester in meinem inneren Zirkel zu sein, ist eine große Ehre. Wenn ihr jemals in den Genuss einer solchen kommen wollt, so bewährt euch mir gegenüber und benehmt euch entsprechend. In der letzten Zeit habt ihr auffallend häufig Kritik an meiner Führungsweise angemeldet.“ Atemu wandte sich erneut Mahaado zu, seinem alten Freund aus Kindertagen, der nun ebenfalls vor ihm kniete und geknickt auf den Boden starrte. „Reißt euch in Zukunft etwas zusammen, ja? Ich vertraue euch beiden und würde euch nur ungern...ersetzen lassen.“ Dann ließ er seine beiden Priester noch einen Moment länger zappeln, bevor er vergnügt in die Hände klatschte. „Nun genug der ernsten Worte. Alles in allem war heute ein sehr erfolgreicher Tag. Mir steht der Sinn nach einem rauschenden Fest zu meinen Ehren. Am besten noch heute Abend. Deshalb würde ich vorschlagen, wir kehren auf dem schnellsten...“ „VERDAMMTER BENGEL! HALT ENDLICH STILL ODER MÜSSEN WIR DICH WIEDER MIT DER PEITSCHE ZÜCHTIGEN?“ Atemu schaute genervt in die Richtung, aus welcher der Krach kam und versuchte einen Blick auf diesen Schreihals zu werfen, der es gewagt hatte, ihn mitten im Satz zu unterbrechen. Was er sah, waren zwei muskulöse Männer, die gerade mit einem unwilligen Sklaven zu kämpfen hatten, der sich mit Händen und Füßen wehrte. Dicht gefolgt wurden sie von einem hageren alten Mann, der den Eindruck machte, als würde er jeden Moment in Ohnmacht fallen. Alles in allem nichts Besonderes und der junge König wollte sich gerade angewidert abwenden, als seine Aufmerksamkeit plötzlich auf dem Sklaven haften blieb. Obwohl er aus der Entfernung nichts Genaueres erkennen konnte, fesselte irgendwas an diesem Jungen sein Interesse. Atemu befahl seinen Dienern augenblicklich anzuhalten und ihn hinunter zu lassen. Er wartete nicht einmal auf seinen Geleitschutz, sondern rannte sofort auf den jungen Mann, den er da gerade entdeckt hatte, und dessen Bewacher zu. Der dürre Alte, wohl der Besitzer des Knaben und zudem noch ein Syrier, wie der König genervt feststellen musste, erkannte ihn sofort. „Mein Pharao!“, rief er aufgeregt, „Verzeiht diesen Aufruhr hier. Ich werde mich sofort darum kümmern und...“ „Wer ist der Junge?“, fragte Atemu dazwischen und ruckte seinen Kopf in Richtung des Sklaven, der ihn misstrauisch beäugte. „Nur ein unwichtiger Sklave. Nicht das, was Ihr sucht“, versicherte der Händler ihm schnell und rieb sich unruhig über die fettige Stirn. Atemu lächelte leicht. „So, dass ich an Menschen, die ein Ka in sich tragen interessiert bin, hat sich also weithin rumgesprochen. Sehr schön.“ Abwartend schaute er den Händler an, der nun auch flink, auf seinen Sklaven deutend, weitersprach: „Ihn hier habe ich für andere Dinge bestimmt. Ich habe auch schon einen Käufer, also kümmert Euch nicht weiter um den Burschen. Ich werde ihn augenblicklich wegbringen lassen.“ „Um was ich mich kümmere und um was nicht ist immer noch meine Sache“, herrschte ihn der Pharao mürrisch an und beobachtete mit Genugtuung, wie der Syrier zusammenzuckte. Ach ja, Herrscher über Ägypten zu sein war doch was Feines. Dann beguckte er sich den Sklaven, der nun von seinen Bewachern tief auf den Boden gedrückt wurde, etwas genauer. Wegen dessen unglücklicher Position fiel es Atemu schwer, das genaue Alter des Sklaven zu bestimmen, schätzte ihn jedoch aufgrund des einigermaßen kräftigen Körperbaus zwischen 16 oder 17 Jahre alt ein. „Ein gutes Alter. Noch jung genug, um nicht verbraucht und alt genug, um nicht völlig unerfahren und ungeschickt zu sein. Wenn der Kleine jetzt noch äußerlich was her macht...“ „Lasst ihn aufstehen“, befahl er schließlich den Männern des Händlers. Diese sahen zwar erst schnell zu dem Syrier, beeilten sich aber, nachdem dieser bestätigend nickte, dem Befehl nachzukommen. Vorsichtig richtete sich der Sklave auf und klopfte sich den Staub von seinem Schurz ab. Dann blickte er störrisch auf Atemu hinab. Hinab. Atemu biss sich frustriert auf die Lippen. Der Kleine war ganz eindeutig größer als er. Was, wenn Atemu ehrlich war, im Grunde keine große Kunst darstellte, da er selbst eher von kleiner Statur war. Trotzdem wurmte es ihn. Zum Trost konnte er nun immerhin den jungen Mann von oben bis unten genau bewundern... Noch nie hatte er so jemanden gesehen. Eine Haut wie aus Milch, die Augen blauer als der Himmel es je sein konnte... groß gebaut und die von den Peitschenhieben verursachten Wunden würden mit der Zeit sicher heilen... Doch am meisten nahmen Atemu die Augen des Sklaven gefangen, von denen er einfach seinen Blick nicht lassen konnte. Atemu grinste gierig. Er würde diesen Sklaven haben. Nein, er MUSSTE ihn haben. „Wie ist dein Name?“, wollte er darum auch von dem Jungen wissen und versuchte, ein beruhigendes Lächeln aufzusetzen. „...“ Keine Antwort. Atemu runzelte die Stirn. Besonders gesprächig war dieser Sklave ja nicht gerade. Er versuchte es erneut. „Wie alt du bist?“ „...“ Wieder keine Antwort. Gut, so ging es wohl nicht. Er widmete sich hilfesuchend an den Händler. „Ist er stumm?“, fragte er ihn übellaunig, doch der Alte schüttelte nur verängstigt seinen Kopf und war auch sonst nicht sonderlich informativ. Okay, stumm war der Bengel also nicht. Aber warum weigerte er sich dann mit ihm zu sprechen? Mit ihm? Dem Pharao! Dem Herr Ägyptens! Nein, dieser Sklave war einfach nur stur! Mit seiner Geduld langsam am Ende knirschte Atemu verärgert mit den Zähnen. Normalerweise war er besonnener und ließ sich nicht so schnell aus dem Takt bringen, aber dieses...dieses Kind, trieb ihn langsam aber sicher zur Weißglut. „Ich weiß nicht genau warum, aber irgendetwas an seiner abweisenden Art...“ „Wie heißt du?“, probierte er es schließlich noch einmal und obschon er den Sklaven dabei härter als beabsichtigt anblaffte, zuckte der Junge nicht mal mit der Wimper oder zeigte sonst eine Reaktion. Der Pharao studierte ihn abschätzend. Auf Worte reagierte dieser Sklave also nicht, aber vielleicht... Langsam beugte er sich vor, ergriff vorsichtig das Kinn des Größeren und... ...wurde gebissen. Die umstehenden Wachen und Priester sogen entsetzt die Luft ein, dem Händler entfuhr ein erschrockenes Quietschen und einzig der Pharao blieb merkwürdig ruhig. In Wahrheit war er zu überrascht und verwirrt über diesen plötzlichen Angriff, als dass er vor Schmerzen hätte schreien können. Stattdessen stand er nur wie angewurzelt da und starrte den Sklaven an, der leise knurrte. Atemu verzog das Gesicht. Er war in seinem ganzen Leben noch nie von etwas gebissen worden, erst recht nicht von einem anderen Menschen. Dieses Ding da gehörte hingerichtet! Und zwar schnell! Seine Wachen hatten schon die Speere erhoben, bereit zuzustoßen, doch im letzten Augenblick hinderte der Pharao sie daran. Denn als Atemu einen gereizten Blick auf seinen Peiniger geworfen hatte, sah er keine Angst, wie er sie eigentlich erwartet hätte, sondern nur Genugtuung. Genugtuung darüber, dass er, ein einfacher Sklave, es geschafft hatte, den ach so mächtigen Pharao dermaßen aus der Fassung zu bringen. „Er hat keinen Namen“, mischte sich mit einemmal der Händler vorsichtig ein, der ganz klar langsam aber sicher begann, um seinen Sklaven zu bangen. Und das war auch berechtigt, wenn man bedachte, dass der Käufer des Jungen ihn sicherlich gerne, nun ja, intakt haben wollte. Mit zitternden Händen wischte er sich den Schweiß von der Stirn und hoffte, dass der Pharao in diesem Fall Gnade vor Recht ergehen lassen würde. Atemu blinzelte verwirrt. Über diesen unschönen Zwischenfall hatte er seine vorherige Frage schon ganz vergessen gehabt. „Ach stimmt ja, ich wollte wissen, wie der kleine Verrückte heißt.“ „Kein Name, hm? Nun, das lässt sich ja ändern“, entgegnete Atemu leise. Dann atmete er einmal ruhig ein und wieder aus. Er würde nicht schreien. Er würde diesen Sklaven nicht töten. Ohne ein einziges Wort war er herausgefordert worden. Er sah es an dem spöttischen Ausdruck im Gesicht des Jungen, den stur aufblitzenden Augen und dem kleinen, kalten Lächeln, das um seine Lippen spielte. Ein Lächeln, das Atemu nun genauso kühl erwiderte. „Du willst spielen, huh? Den Wunsch kann ich dir mit Freuden erfüllen!“ „Ich verstehe nicht ganz, Herr“, schaltete sich der Händler auf einmal erneut dazwischen und blickte besorgt zwischen dem Pharao und seinem Sklaven hin und her. „Ganz einfach. Ich nehme diesen Sklaven“, antwortete ihm Atemu und beobachtete amüsiert, wie dem Alten immer mehr die Farbe aus dem Gesicht wich. „Aber...“, versuchte es der Händler, doch Atemu winkte betont gleichgültig ab. „Ich weiß, ich weiß. Du sagtest bereits, dass es schon einen Käufer gibt. Kein Grund sich zu wiederholen. Nun, ich mache dir ein Angebot. Ich zahle dir das Doppelte von dem, was dir für ihn geboten worden ist.“ Der Syrier zögerte. „Mein Pharao, das ist wirklich ein großzügiges Angebot. Aber verkauft ist verkauft. Und es handelt sich bei diesem anderen Käufer nicht nur um eine wichtige Persönlichkeit, sondern auch um einen meiner besten Kunden. Ich würde ihn nur ungern enttäuschen. Die Konsequenzen für mich...“ „Konsequenzen, hm?“, schnaubte Atemu milde. „Und eine wichtige Persönlichkeit dazu. Und als was, bitteschön, würdest du mich bezeichnen? Aber gut, ich mache dir ein anderes Angebot. Eines, das dir vielleicht eher zusagen wird. Ach, ich weiß schon; wie wär’s damit: Du schenkst mir diesen Sklaven und ich, tja, ich schenke dir dafür dein Leben. Klingt das nicht gut?“ Der Syrier erbleichte. „Aber...das...das könnt Ihr nicht tun. Das meint Ihr doch nicht ernst“, krächzte er mühsam hervor, musste dann aber erkennen, dass es dem Pharao sehr wohl ernst war und gab sich geschlagen. Wenn er ehrlich war, so konnte er von Glück reden, dass er noch am Leben war, von seinem Sklaven gar nicht erst zu reden. Für den Frevel des Knaben hätte dieser eigentlich mit dem Tode bestraft werden müssen. Alles, was der Händler nun noch tun konnte, war ergeben zu nicken. Atemu klopfte ihm lachend auf die Schulter. „Ich bin doch kein Unmensch. Ganz leer ausgehen sollst du natürlich nicht. Hier, für dich.“ Damit warf er etwas Geld auf den Boden, das der Alte schnell vom Boden aufklaubte und genoss dann den entsetzten Blick des Jungen. Mit einemmal musste Atemu laut auflachen. Und in diesem Moment ignorierte er alles: Den Händler, seine Wachen, die Priester...sogar die beachtliche Menschenansammlung, die sich inzwischen um das seltsame Geschehen gebildet hatte. Und sie alle staunten nicht schlecht darüber, dass dieser zweifelsfrei tollwütige Sklave trotz seiner schändlichen Tat in diesem Augenblick einen neuen Herrn gefunden hatte. Kapitel 3: Peinlichkeiten ------------------------- Kapitel 3 – Peinlichkeiten Die Hitze flimmerte erbarmungslos. Stieg in jedes Gebäude, in jeden noch so kleinen Winkel und machte jedwede Bewegung zu einer Qual. Wer konnte, verkroch sich in sein Haus in der Hoffnung, wenigstens dort etwas Schatten und Kühlung zu finden. Einige, vor allem Kinder, versammelten sich an den fast ausgetrockneten Ufern des Nils auf der Suche nach Schlammlöchern. Sie bewarfen sich gegenseitig mit den braunen Brocken oder rieben sich mit dem Matsch ein. Dies verschaffte nicht nur eine gewisse kurzzeitige Kühlung und schützte vor der Sonne, sondern diente auch der Abwehr von den Myriaden von Stechmücken, die nicht nur nervig waren, sondern langsam zu einer echten Plage wurden. Normalerweise wurde dieser Teil des Nils gemieden. Krokodile tummelten sich zuhauf, immer auf der Suche nach leichter Beute. Aber heute bestand keine Gefahr, denn bei dieser Hitze verzogen sich sogar die sonst so aggressiven Reptilien. Und auch die Nilpferde waren schon lange weitergezogen. Genauso wie die Vögel, die sich eigentlich an den Ufern aufhielten und nicht nur hübsch anzusehen waren, sondern vor allem als Nahrungsquelle für die Bevölkerung dienten. Ein kleines Mädchen fuchtelte aufgeregt mit ihren dünnen Ärmchen in der Luft herum in dem vergeblichen Versuch, die lästigen Plagegeister, die um ihren Kopf schwirrten, zu vertreiben. „Autsch!“, schrie es plötzlich. „Mist, schon wieder gestochen...“ Entnervt begann es an seinem Bein zu kratzen, wo sich schon eine ganz gemein aussehende Schwellung gebildet hatte. „Nubnefret, lass das!“, wurde das Mädchen in ihren Anstrengungen jäh unterbrochen. Langsam blickte sie auf und sah in die strengen Augen ihrer Mutter. „Aber Mama“, jammerte die Kleine mitleiderregend, „wenn’s doch so juckt.“ Ihre Mutter schüttelte milde den Kopf. „Trotzdem darfst du das nicht. Nachher entzündet sich der Stich noch und es gibt Narben. Das möchtest du doch sicherlich auch nicht, stimmt’s?“ „Nein, das will ich nicht“, gab Nubnefret schließlich nach und begann mit einigen herumliegenden Steinen zu spielen, um sich ein wenig von dem Juckreiz abzulenken. Plötzlich fing ihr Magen laut zu grummeln an. „Na toll. Erst diese doofen Mücken und jetzt hab’ ich auch noch Hunger.“ Traurig blickte sie hoch zu ihrer Mutter. „Durst habe ich auch“, meinte sie zaghaft, fast schon schüchtern. Ihre Mutter nickte verständnisvoll und nahm sie sanft in den Arm. „Das weiß ich doch, Liebes. Aber ich kann’s doch nicht ändern. Der Nil ist schon so lange ausgetrocknet, weil der Regen und damit auch die Nilschwemme ausgeblieben ist. Deswegen leiden wir jetzt unter dieser Wasser- und Nahrungsknappheit. Aber mach dir bitte keine Sorgen. Ich lass nicht zu, dass du verhungerst oder verdurstest.“ Langsam drückte sie ihre Tochter noch näher an sich und meinte leise, eher zu sich selbst: „Nein, ich lasse nicht zu, dass dir etwas passiert.“ Nubnefret hob unsicher ihren Kopf. „Du...Mama...“ Ihre Mutter lächelte ihr aufmunternd zu und bedeutete ihrer Tochter so, fortzufahren. Nubnefret fasste neuen Mut. Denn obwohl noch klein, wusste sie natürlich, dass es verboten war, den Pharao zu kritisieren. Aber was sie am Morgen belauscht hatte, machte sie wirklich wütend. Und ihre Mutter würde bestimmt nicht mit ihr schimpfen. Also begann das Kind nochmals von vorne. „Mama. Uns geht’s allen schlecht. Und es ist auch fast nichts mehr da und ich versteh’ ja, dass wir darum sparsam sein müssen. Aber ich habe heute morgen gehört, wie einer unserer Nachbarn...ich mein den, der immer den Palast beliefert...gesagt hat, dass der Pharao gestern schon wieder ein ganz großes Fest gegeben hat und dass es da auch ganz viel zu Essen und zu Trinken gab. Und wir haben nur dreckiges Wasser, um uns mal ganz selten zu baden und auch nur ganz wenig zum Trinken, aber der Pharao hat ganz viele Bäder und ich finde das alles ganz gemein und unfair. Und am liebsten würde ich mal zu dem Pharao hingehen und ihm sagen, was ich von ihm halte, damit er mal sieht, dass er ganz großer Idiot ist“, beendete sie schließlich ihre Tirade und lehnte sich erschöpft an ihre Mutter. So viel zu Reden war anstrengend; besonders dann, wenn man ohnehin schon eine ganz trockene Kehle hatte. Ihre Mutter hatte sich das Ganze ruhig angehört und sah ihrer Tochter nun streng in die Augen. „So spricht man nicht über den Pharao und das weißt du auch.“ Nubnefret nickte traurig. Jetzt war ihre Mutter doch böse mit ihr.... „Aber“, sprach ihre Mutter in demselben ernsten Ton weiter und ließ ihren Blick in Richtung des Palastes schweifen. „In einem Punkt hast du Recht: Das alles ist wirklich ganz gemein und unfair.“ ----------------- Die unerträgliche Hitze machte leider auch nicht vor Pharaonen Halt und verwandelte den Großteil des Palastes in einen Glutofen. Atemu lag in seinem Bett, verfluchte zum wiederholten Male diese unsäglichen Temperaturen und drehte sich genervt auf die Seite. Die verschwitzten Laken klebten an seinem Rücken und seine Haare hingen ihm schlaff ins Gesicht. Angeekelt zupfte er an seinem Schurz, der ebenfalls schon ganz nassgeschwitzt war. Diese Hitze, dieser Ekel, und dann noch diese Kopfschmerzen. Womit hatte er das verdient?! Getreu seinem Wort hatte er gestern, gleich nach seiner Rückkehr in den Palast, ein Fest veranstalten lassen. Weil alles aber so kurzfristig gewesen war, war dieses dann auch eher bescheiden ausgefallen, was den jungen König aber nicht davon abgehalten hatte, ordentlich einen über den Durst zu trinken. Der Pharao kniff die Augen zusammen. Wie viel Wein hatte er eigentlich intus? Seine Erinnerungen waren etwas durcheinander und es fiel ihm schwer, einen zusammenhängenden Gedanken zu fassen. Nachdenklich versuchte er die Ereignisse des gestrigen Abends noch mal Revue passieren zu lassen. Es hatte damit angefangen, dass er den Sklaven in ein Zimmer des Palastes hatte sperren lassen, wo sich eine Dienerin um ihn kümmern sollte. Eine Entscheidung übrigens, mit der Atemu dem Jungen sehr entgegengekommen war, denn ursprünglich hatte er eigentlich geplant, den Bengel zwecks sicherer Verwahrung in die nächstbeste Zelle zu werfen. Obwohl die ganze Rückreise über weiterhin den Stummen spielend, hatte es der Sklave dennoch mit beachtlicher Ausdauer geschafft, dem Pharao den letzten Nerv zu rauben. Egal, ob es darum ging in die falsche Richtung zu laufen, sich gar nicht erst vom Fleck zu rühren oder einfach nur arrogant zu grinsen, der Sklave hatte mit sichtbarer Freude und erstaunlicher Treffsicherheit alles ausgetestet, was den Pharao auch nur annährend missfallen könnte, und das selbst dann noch, als Atemu bereits völlig entnervt mit Wüste, Aussetzen und einer handvoll gefräßiger Skorpione drohte. Irgendwann schließlich war Atemu auch der letzte Geduldsfaden gerissen. Er hatte in der Tat den Jungen, sehr zum Schrecken seiner Priester, fesseln und knebeln lassen; entgegen seiner vorherigen Ankündung allerdings doch auf die Wüste verzichtet und nur einer seiner Wachen befohlen den Jungen zu schultern, damit diese die neuste Errungenschaft des Pharaos sicher zum Palast tragen konnte. Sein Sklave war mehr als nur wütend darüber gewesen, was vor allem die arme Wache zu spüren bekommen hatte, war sie immerhin trotz Fesseln Opfer einiger ordentlich platzierter und äußerst schmerzhafter Tritte des Jungen geworden. Im Gegensatz zu dieser Rückreise des Horrors war das Fest jedoch sehr angenehm gewesen. Atemu hatte viel gefeiert, gelacht, getrunken... Und dann? Er dachte angestrengt nach. Ach richtig, was danach passiert war, war weniger -angenehm- verlaufen. ********************* Er war sich nicht ganz sicher, was ihn eigentlich auf die grandiose Idee gebracht hatte, seinen Sklaven mitten in der Nacht aufzusuchen; ob es der viele Alkohol war, oder doch eher seine Hormone. Auf jeden Fall aber schlich er nun auf leisen Sohlen zum Bett des Jungen, darauf bedacht, den Knaben nur nicht zu wecken und beugte sich, weil sich einem so eine Chance schließlich nicht jeden Tag bot, auch gleich dreist über ihn, näherte sich Stück für Stück immer mehr seinem Gesicht, bis er schon fast die Lippen seines Sklaven zu schmecken glaubte. Der jedoch, Spielverderber der er nun mal war, blinzelte plötzlich verwirrt, öffnete seine Augen dann ganz und begab sich, nachdem er sich von dem Anblick eines unbekümmert grinsenden und eindeutig betrunken Pharaos erholt hatte, auch prompt mit Hilfe eines kräftigen Schubsers aus Atemus Reich- und Grabbelweite. Das konnte der junge König selbstredend nicht auf sich sitzen lassen. Zeitweise überrascht, jedoch keineswegs entmutigt, wollte er einen neuen Anlauf starten; torkelte zurück zum Bett und musste dort aber, sehr zu seinem Leidwesen, erkennen, dass sein Opfer inzwischen getürmt war. Also gab es nur noch eins zu tun: Erbost aufstehen und auf der Suche nach dem Sklaven einmal quer durch den ganzen Raum wandern, denn irgendwo musste der Bengel ja schließlich sein! Schließlich wurde Atemus Ausdauer belohnt: Er fand den Vermissten, und zwar peinlicherweise immer noch auf dem Bett sitzend, besser gesagt am Fußende desselben, von wo aus er das Treiben des Pharaos gemütlich hatte beobachten können. **************************** Bei dem Gedanken daran lief Atemu auch jetzt noch rot an. Der Bengel hatte ihn angesehen, als hätte der große Pharao nun endgültig den Verstand verloren und so sehr es Atemu schmerzte zuzugeben, er hatte sich wirklich wie der letzte Depp vom Dienst benommen... Plötzlich stöhnte der König laut. Der gestrige Tag hatte so gut angefangen und dann das. Eine seiner Dienerinnen missverstand sein Gestöhne und fragte ihn leise, ob er vielleicht etwas zu essen oder zu trinken wünsche. Atemu warf einen Blick auf die rote Flüssigkeit, die sie ihm anbot und winkte ab. Fürs erste keinen Wein mehr für ihn. „Bring mir Wasser und Honigbrot. Und schick meinen Wesir Shimon zu mir. Und den da...“, meinte er mit einem missmutigen Blick auf seinen Fächerträger, der ängstlich zusammenzuckte, „...will ich durch einen etwas fähigeren Mann ersetzt haben. Dieser hier taugt nichts. Fächelt mir schon seit über einer halben Stunde Luft zu und hat mir immer noch keine Kühlung verschafft. Er soll zum Küchendienst degradiert werden. Und bereite ein kühles Bad für mich vor.“ Seine Dienerin nickte gehorsam und beeilte sich, seinen Befehlen schnellstmöglich nachzukommen, während sein Fächerträger geknickt weiterwedelte. Atemu ließ sich müde auf sein Bett zurückfallen. Er hatte heute zwar noch so einiges zu erledigen, aber solange Shimon noch nicht da war, konnte er sich ruhig noch eine kleine Pause gönnen. Und überlegen, was er mit seinem störrischen, blauäugigen Sklaven machen sollte. Kapitel 4: Respektlosigkeiten ----------------------------- Kapitel 4 – Respektlosigkeiten Statt Shimon kam sein dienstältester Priester ins königliche Gemach. Atemu blinzelte zwar müde zu diesem hinauf, weigerte sich ansonsten aber auch nur einen einzigen Muskel mehr zu bewegen. Zumindest solange, bis sein Priester mit lautem und überaus penetrantem Seufzen und Räuspern seine Aufmerksamkeit zu erregen versuchte. Genervt erhob sich Atemu ein Stückchen. „Guten Morgen, Aknadin. Ich hatte nach Shimon verlangt und nicht nach dir. Also, was willst du?“, fragte er düster und schaute den alten Mann abfällig an, damit dieser auch ja das königliche Missfallen über seine ungebetene Anwesenheit zur Kenntnis nehmen musste. Zu Atemus Pech ließ sich Aknadin jedoch nicht so leicht beirren. „Guten Mittag, trifft es wohl eher. Ihr habt lange geschlafen, Eure Hoheit“, entgegnete Aknadin trocken. „Und was Shimon betrifft: Er hält sich auf Eure ausdrückliche Anweisung hin in Theben auf, um mit der dortigen Priesterschaft den Bau eines neuen Tempels zu überwachen.“ Atemu verzog unwillig das Gesicht. Ein Tempelbau dauerte seine Zeit. So bald konnte er seinen Wesir also nicht zurückerwarten. „Oder könnt Ihr Euch etwa nicht mehr daran erinnern?“, setzte der alte Priester süffisant hinzu, offensichtlich erfreut über des Pharaos Unmut. Atemu funkelte ihn böse an. „Doch, doch...ich erinnere mich“, sagte er langsam. „Aber das beantwortet immer noch nicht meine Frage. Was willst du hier? Ich mag es nicht, wenn du meine Gemächer betrittst. Wenn überhaupt jemand, dann sollte es Mahaado sein, der...“ „Mahaado hat heute die große Ehre den Göttern zu opfern und für das ägyptische Volk sowie für Euch, den Pharao, zu beten. Er wird nicht vor morgen früh zurück sein. Demnach fallen seine Aufgaben heute mir zu“, antwortete Aknadin genauso missmutig, noch ehe Atemu überhaupt seinen Satz beenden konnte. Innerlich fluchte der Pharao. Ohne Mahaado durfte er sich den ganzen Tag über mit Aknadin rumschlagen, eine Aussicht, die den jungen König alles andere als glücklich stimmte. Shada war beim Priestertraining und das gleiche galt für Karim, einen weiteren Priesteranwärter, mit dem Atemu zwar auf menschlicher Ebene nicht viel anfangen konnte, der aber dafür immer brav die Klappe hielt und ohne zu Murren jeglichen Befehl ausführte. Aknadin dagegen... Aknadin dagegen war alt, nervig und hatte keine Scheu davor, den jungen Pharao zu kritisieren und zu belehren, was er auch häufig genug tat. Grund genug für Atemu ihn am liebsten ersetzen zu lassen, jedoch waren gute Priester nun mal leider selten zu finden und solche, die in der Lage waren, die Millenniums Artefakte zu beherrschen, sogar noch seltener. Immerhin mussten sie die Prüfungen der Gegenstände überleben, denn die Artefakte suchten sich ihre Träger aus, und nicht umgekehrt. Befanden sie jemanden für unwürdig, so setzten sie dem Bedauernswerten so starken Schmerzen aus, bis dieser schließlich qualvoll starb. Nicht viele Priester waren willig, das zu riskieren. Und dass Aknadin ausgerechnet der Träger des Millenniumsauges war, erschwerte die Sache nochmals. Um es benutzen zu können, musste der zukünftige Träger immerhin ein Auge opfern... Der Pharao schnaubte leise. „Selbst wenn es einen anderen Kandidaten geben würde, ich darf nicht vergessen, dass ich und Aknadin immer noch verwandt sind. So schnell wird er sich nicht von mir abschieben lassen.“ Frustriert ließ sich der junge König wieder tief in die Kissen sinken. Ob er wollte oder nicht, es sah ganz danach aus, als würde er sich auch zukünftig mit dem alten Priester herumärgern müssen, der ihm so wenig Respekt zollte. Außer wenn Atemu verkatert oder verärgert war, war er eigentlich ein recht eindrucksvoller Herrscher. Wenn es die Situation erforderte, konnte er sehr charmant sein und die Menschen mit seinem Wissen, seinen vollendeten Umgangsformen und vor allem seinem guten Aussehen betören. Was ihm an körperlicher Größe fehlte, machte er mit seiner machtvollen Ausstrahlung wieder wett. Allein seine natürliche Autorität und das Wissen um seine mächtige Magie reichten aus, um die meisten Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen. Mal abgesehen von den Spinnern und Lebensmüden, wie z.B. seinem blauäugigen Sturkopf von Sklaven... Atemu runzelte die Stirn. Dieser verdammte Bengel ging ihm sogar auf den Geist, wenn er gar nicht in der Nähe war! Er würde schnellstmöglich Aknadin abfertigen und sich dann mit dieser Nervensäge von einem Sklaven befassen. Und was die Spinner betraf... Er setzte sein falschestes Lächeln auf. „Nun denn, Aknadin, wie kann ich dir helfen?“ Drei Stunden später lief ein aufgebrachter Pharao wütend durch die Palastgänge. Die Unterredung mit Aknadin hatte nichts Neues zu Tage gefördert. Nur immer wieder dieselbe, alte Leier. „Mein Pharao, das Volk leidet Hunger. Mein Pharao, die Wasservorräte neigen sich rapide ihrem Ende zu. Mein Pharao, das Volk wird Eure Verschwendungssucht nicht mehr lange hinnehmen. Mein Pharao dies, mein Pharao das...“ Es war wirklich zum Heulen. Fehlte nur noch, dass ihm jetzt irgendein Land den Krieg erklärte und die Katastrophe wäre perfekt. Erschöpft blieb Atemu vor den Toren zu seinem Thronsaal stehen und lehnte müde seine Stirn an die kalte Wand. Aknadin hatte ja nicht ganz Unrecht. Das Volk litt Hunger. Daran gab es keinen Zweifel. Aber es war doch nicht seine Schuld, dass der Regen ausblieb. Er hatte den Göttern opfern; hatte seine besten Priester stundenlang beten lassen, hatte sich sogar dazu herabgelassen, selbst zu den Göttern zu sprechen, obwohl ihm diese Tätigkeit zutiefst verhasst war. Was sollte er denn noch tun? Er war zwar mächtig, aber Regen konnte selbst er nicht zaubern. Und leider war Regen genau das, was das Volk so dringend brauchte. Und das nicht nur wegen dem Wasser. War der Nil gut gefüllt, so bedeutete dies auch einen regen Handelsverkehr; Waren konnten leichter transportiert, weil verschifft werden. Die Fischer bekamen wieder Arbeit und die Bauern konnten ihre Felder bewässern. Und wenn der Pegelstand des Nils später wieder sank, blieb fruchtbarer Nilschlamm zurück. Pflanzen gediehen. Das Vieh konnte ernährt werden und musste nicht, wie es jetzt der Fall war, elendig verhungern. Es gab reichliche Ernten und die Vorratskammern konnten gefüllt werden, damit man für die nächste Dürreperiode gerüstet war. Aber ohne Regen...Atemus Innereien verkrampften sich ob der Aussicht schmerzhaft. Was sollte er nur tun, wenn die Nilschwemme nächstes Jahr wieder ausblieb? Es gab doch jetzt schon nicht mehr genug Nahrung für alle... Und Aknadin war auch völlig unnütz. Der hatte doch tatsächlich die Frechheit besessen ihm zu sagen, er solle bis auf Weiteres auf seine Feiern und verschwenderischen Bäder verzichten, um das so gewonnene Wasser und Essen dem Volk zukommen lassen zu können. Aber dass diese Feste wichtig waren, um des Pharaos Ruhm und Ansehen zu festigen, daran dachte der alte Mann natürlich nicht. Und Aknadins Vorschlag, man solle doch mit den kläglichen restlichen Goldvorkommen des Palastes Nahrung aus den umliegenden Fremdländern nach Ägypten einführen lassen, war Atemus Meinung nach auch nicht wirklich durchdacht. Schließlich brauchte er das Gold zum Bau weiterer Tempel und anderer Anlagen für die Götter. Vergleichen mit ihnen, war das Leben einiger vereinzelter Menschen doch nun wahrlich bedeutungslos; ihr Tod ein zwar bedauerliches, aber notwendiges Opfer. Atemu schnaubte verächtlich. Aknadin war ein Gotteslästerer und seine Worte dienten nur der Beleidigung derselben. Er konnte den alten Priester nicht ernst nehmen. Außerdem...sollte er sich auch noch den letzten Rest Luxus nehmen lassen? Wofür war er eigentlich Pharao? Er war der Gott auf Erden. Wenn ihm schon nicht der gebührende Respekt gezeigt wurde, so müsste er sich doch wenigstens noch einen angemessen Lebensstil gönnen dürfen. Zumindest das war man ihm schuldig. Entschlossen stieß sich Atemu von der Wand ab. Nach der ganzen Aufregung brauchte er jetzt erst mal Ablenkung. Und er wusste auch schon ganz genau, wo er die her bekommen konnte... --------------------- Auftritt Seth im nächsten Kapitel. Ehrlich ^^° Im Übrigen ein dickes Dankeschön für die bisherigen Kommentare ^^. Kapitel 5: Machtkämpfe ---------------------- Kapitel 5 – Machtkämpfe Entzückt stieß der junge Pharao einen Seufzer aus. Gebadet und frisch eingekleidet war sein neues Spielzeug sogar noch umwerfender als zuvor. Es war eine gute Idee von ihm gewesen, seinen Sklaven mal bei Tageslicht zu besuchen, insbesondere, da er diesmal nüchtern war und dementsprechend auch nicht alles doppelt und dreifach sah. Die Wunden des Sklaven waren mit Salben und duftenden Ölen eingerieben worden und mit ein wenig Glück wohl nicht einmal vernarben. Atemu jedenfalls nickte beim Anblick des Jungen zufrieden. Jetzt fehlte nur noch eine Sache. Sein Sklave brauchte einen Namen… Erfreut klatschte er sich in die Hände. "Ich werde dich... Seth nennen! Der Name passt wunderbar, findest du nicht? Genauso, wie der Gott Seth seinen Bruder Osiris zerstückelte, hast auch du mehr oder minder versucht meinen Körper zu zerteilen." Lachend hielt Atemu während seiner Erklärung den rechten Zeigefinger hoch, auf dem sich immer noch deutlich die Bissspuren seines neuen Sklaven abzeichneten. Letzterer verengte die blauen Augen zu schmalen Schlitzen und blickte sein Gegenüber abwertend an. Doch damit erreichte er nur, dass der junge König noch begeisterter von seiner neuesten Errungenschaft war und ihn geheimnisvoll anlächelte. "Eigentlich war ich auf der Suche nach einem Eunuchen für meine Gespielinnen, aber... es wäre eine Schande, dich zu entmannen. Oder?" Dreist beugte er sich vor und hob die Beinkleider Seths ein Stück nach oben, bekam aber brutal dessen Knie ins Gesicht gerammt, noch ehe er seine "Erkundung" richtig beginnen konnte. Atemus Lächeln erstarb augenblicklich. Zornig holte er aus und verpasste dem Größeren eine schallende Ohrfeige, bevor er seine Bediensteten rief. "Werft ihn für die nächste Woche ins Verlies. Er soll dort Vernunft annehmen." Wenn Seth von dieser Entwicklung der Dinge betroffen war, so zeigte er es nicht, aber Atemu war das gerade ziemlich egal. „Soll er doch den starken Mann spielen; die Zeit im Kerker wird ihn sicher etwas zähmen. Und wenn nicht...nun, ich habe noch ganz andere Methoden“, versuchte er sich selbst beruhigend zuzureden. Als sein Sklave dann aber auch noch die Dreistigkeit besaß, ihn besonders frech anzugrinsen, wurde es dem Pharao endgültig zuviel. Rasend vor Wut ließ er es daher zu, dass seine Wachen den Jungen viel härter als nötig an den Schultern packten und ihn quasi aus dem Raum schleiften, obwohl diese Behandlung eigentlich völlig unnötig war, leistete Seth doch keinen Widerstand. Immer noch schwer verstimmt sah der junge König seinem neuen Spielzeug nach. Anschließend massierte er sich erschöpft seine schmerzenden Schläfen und seufzte tief. Seth war zwar derjenige, der die nächsten Tage im Gefängnis ausharren musste, aber Atemu konnte sich trotzdem nicht des Gefühls erwehren, eine wichtige Runde in ihrem kleinen Spiel verloren zu haben. Dass sein Sklave ihm dermaßen erbitterten Widerstand leisten würde, damit hatte er nicht gerechnet. Er mochte zwar, dass sich sein Spielzeug wehrte, aber ohne jeden Gehorsam war es völlig unnütz. Was sollte er damit? Verdammt, Seth hatte großes Glück, dass er so unglaublich schön war, sonst wäre er schon längst auf der Reise ins Reich der Toten...wobei, und da musste Atemu dann doch lächeln, Seth vom Totengott Osiris selbst von dort wahrscheinlich gleich wieder rausgeworfen werden würde. ---------------- Der kleine glänzende Käfer, der eben noch munter über den Boden krabbelte und nach Nahrung suchte, wusste nicht, wie ihm geschah. Eine schnelle Bewegung, ein Schatten über ihm und schon war von ihm nicht mehr übrig als ein schmieriger Fleck. Angewidert wischte sich Seth seine Sandale an etwas Stroh ab und betrachtete gelangweilt die kümmerlichen Reste von dem, was seiner Meinung nach eben noch der Kategorie ‚kleines, nerviges Krabbelvieh’ angehört hatte. Und seine Zelle war voll davon. Seth atmete tief und ließ seinen Kopf langsam auf die Knie sinken. Jetzt war er schon sechs Tage hier. Sechs lange Tage mit nichts als Ratten und einer Myriade von undefinierbaren Insekten, um ihm Gesellschaft zu leisten. Einsamkeit machte ihm im Grunde wenig aus; viel schlimmer war diese furchtbare Untätigkeit, zu der er hier verdammt war. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, den Pharao zu erzürnen. Dann wiederum...der Ausdruck in Atemus Gesicht war es wert gewesen. Seth grinste hämisch. Wenn der Pharao dachte, er würde wie der Rest des Hofstabs vor ihm auf dem Boden rumkriechen und ihm die Füße küssen, so hatte er sich schwer geirrt. Außerdem, im Vergleich zu seinem Leben bei dem Sklavenhändler war das Verlies hier gar nicht mal so übel. Er bekam Früchte und Brot zu essen, zwar nicht unbedingt die größten Portionen, aber doch genug, um nicht Hunger leiden zu müssen und das Wasser, was man ihm gab, war auch frisch. Er wurde nicht ausgepeitscht; das Stroh, auf das er sich nachts betten konnte, war sauber und trocken, anstatt, wie beim Syrier, feucht und schimmlig; er hatte die Zelle für sich alleine und das beste von allem, er musste keine fremden Hände auf seinem Körper erdulden. Seth schauderte es bei den unangenehmen Erinnerungen. Wenn er etwas in seinem Sklavendasein gelernt hatte, dann, dass er es hasste, von Fremden angefasst zu werden. Er rümpfte die Nase. Was er außerdem hasste, waren diese vermaledeiten Insekten, die ständig über seinen Körper liefen und ihn an den unmöglichsten Stellen stachen. Genervt trat er nochmals zu. Auch für den jungen König verliefen die nächsten Tage recht eintönig. Highlight in dieser Zeit der Langeweile war eine Unterredung mit seinen Priestern, die, obschon sie jetzt schon zwei geschlagene Stunden dauerte, immer noch kein Ende zu finden schien. Nachdem vorher Aknadin und Mahaado auf ihn eingeredet hatten, ergriff zu Atemus gelinder Überraschung nun auch Karim das Wort. „Ich muss mich da Meister Aknadins Meinung anschließen, mein Pharao. Die Hurriter sind ein überaus kriegerisches und stolzes Volk. Es ist immens wichtig in dieser Sache eine für alle Beteiligten zufriedenstellende Lösung zu finden, will man nicht einen Krieg provozieren. Und auch für den ägyptischen Handel ist das Land Hurri von außerordentlicher Bedeutung. Wir dürfen sie als unsere Verbündeten nicht verlieren.“ „Denkst du etwa, das weiß ich alles nicht?“, fuhr Atemu dazwischen. „Normalerweise würde ich ja einer Heirat zustimmen. Aber in diesem Fall geht es schließlich nicht darum, dass ich eine hurritische Prinzessin eheliche, um den wackeligen Frieden zwischen unseren beiden Völkern zu festigen. Vielmehr ist das Problem, dass der König von Hurri nur Söhne besitzt und ich selbst habe überhaupt keine Kinder. Keiner von uns hat somit eine Tochter, die er dem anderen hätte schicken können. Also, was soll ich eurer Meinung nach tun? Ihr erzählt mir hier stundenlang Dinge, die ich schon längst weiß, aber eine Lösung habt ihr selber nicht parat! Könnt ihr mir mal erzählen, was ich mit einem solch nutzlosen Beraterstab wie euch anfangen soll?“ Das saß. Mit Genugtuung beobachtete Atemu, wie seine Priester beschämt die Köpfe senkten in dem kläglichen Versuch, ihn nur nicht ansehen zu müssen. Atemu gab angesichts der Hilflosigkeit seiner Priester einen leisen, frustrierten Laut von sich, bevor er sich wieder in die Schriftrolle des hurritischen Königs vertiefte. Alles musste man selber machen. „Ich denke, ich weiß was zu tun ist“, sagte er schließlich langsam und spürte sofort die erwartungsvollen Blicke der anderen auf sich. „In meinem Harem befinden sich einige der höchsten und schönsten Töchter einflussreicher ägyptischer Hof- und Verwaltungsbeamter. Ich kann keine dieser Frauen zu einer Heirat mit einem fremden Herrscher zwingen; dazu sind ihre Familien zu einflussreich, aber du Mahaado, du kannst ihnen die Sachlage auseinandersetzen und sie um ihre Unterstützung bitten. Frag nach, ob eine meiner Frauen bereit ist, solch einer politischen Heirat zuzustimmen; enthalte ihr aber nicht die Konsequenzen vor. Natürlich müsste sie Ägypten verlassen und in ein Land zu einem König, dem der ägyptische Glaube fremd ist; in ein Land, über das die ägyptischen Götter nicht wachen. Und auch nicht jedes Land ist so gut zu seinen Frauen, wie es das unserige ist. Was sie aber dafür gewinnt ist ein König als Gemahl, ob nun als Haupt- oder Nebenfrau, und, was noch wichtiger ist, der Dank des Pharaos und eine lebenslange finanzielle Unterstützung ihrer Familie von Seiten des Palastes.“ Karim hob fragend eine Augenbraue. „Meint Ihr denn, das geht? Dass der König von Hurri das mitmacht?“, wollte er dann vorsichtig wissen. Atemu nickte bestätigend. „Natürlich. Warum auch nicht? Die Frauen sind gebildet, edelster Abstammung und wunderschön. Wenn sie dem ägyptischen Pharao genügen, dann doch einem Barbarenkönig erst recht. Oder ist jemand anderer Meinung?“ „Nein, mein Pharao“, erwiderten Karim und Mahaado wie aus einem Munde und sogar Aknadin schien mit dieser Lösung einverstanden zu sein. Der Pharao lachte leise in sich hinein. „Aknadin einer Meinung mit mir. Das gab’s auch noch nicht oft. Die Götter scheinen mir heute wirklich wohlgesonnen zu sein, dass sie mir dieses Wunder schicken.“ Wie Atemu ihm aufgetragen hatte, sprach Mahaado noch am selben Tag mit den Haremsfrauen und zur allgemeinen Erleichterung aller fand sich wirklich jemand zu dieser Heirat bereit. Tbubui, eine wahre ägyptische Schönheit, war zwar schon an die 30 Jahre alt, aber da sie noch nie ein Kind geboren und Atemu der einzige war, mit dem sie das Bett geteilt hatte, war ihr Körper noch recht unverbraucht. Zudem war sie eine Meisterin der Verführung und würde es sicher schaffen, des hurritischen Königs Gefallen zu finden. Dass es ausgerechnet Tbubui war, die es praktisch kaum erwarten konnte den königlichen Palast zu verlassen, kränkte Atemu zwar etwas, war sie doch eine seiner wenigen Lieblingsfrauen, doch verstehen konnte er ihre Beweggründe schon. Das Leben im Frauenhaus war sicherlich nicht schlecht, doch Atemu besuchte seine Gespielinnen nur selten und achtete peinlich genau darauf, sie nur nicht zu schwängern. Dies kam für die Frauen natürlich einer großen Beleidigung gleich, war es doch die größte Ehre dem Pharao einen Thronfolger zu schenken und dadurch in des Königs Gunst zu steigen. Da Atemu ihnen dieses Privileg verweigerte, sah Tbubui mit dieser Heirat ihre letzte Chance gekommen, noch Mutterfreuden zu erleben und zu königlichen Ehren zu gelangen. Jedenfalls, mit diesem Problem endlich aus der Welt, hatte Atemu nun auch wieder die Muße, sich auf einen gewissen, störrischen Sklaven zu besinnen, der immer noch im Verlies hockte und hoffentlich inzwischen etwas Respekt vor seinem Herrscher gelernt hatte. So holte man schließlich nach sieben langen Tagen Seth aus seinem Kerker und führte ihn, nachdem man ihn gesäubert und entsprechend neu eingekleidet hatte, erneut dem Pharao vor. Übellaunig hockte der Sklave nun zu Füßen seines Gebieters und warf einige dunkle Blicke um sich, wobei er geflissentlich Atemu ignorierte. Der junge König verschränkte abwartend die Arme. "Ich hoffe, dass du deine Lektion gelernt hast, Seth. Ich finde deine Gegenwehr recht amüsant, aber ich dulde keine weiteren Akte der Gewalt, verstanden?" Der Sklave starrte trotzig auf den Boden. Geduld gehörte nicht unbedingt zu den Dingen, für die Atemu berühmt war. Gereizt packte er den Größeren an dessen braunen Schopf und riss seinen Kopf hoch. "Ich habe dich etwas gefragt und erwarte eine Antwort." Doch Seth grinste nur dreckig und spuckte dem Herrscher Ägyptens ins Gesicht. Der Pharao wischte sich angeekelt die Wange ab. "Du spielst mit deinem Leben. Was erwartest du? Soll ich dich wieder ins Verließ werfen?" Ein gleichgültiges Schulterzucken war Seths einzige Erwiderung. Atemu hob belustigt eine Augenbraue. "So, so, na warte nur... ich werde dir dein Benehmen schon noch austreiben.“ Barsch winkte er einen der beistehenden Diener herbei: „ He, Sklave!" Ein junger Mann näherte sich lautlos. "Ihr wünscht, oh großer Pharao?" "Fertigt mir goldenen Schmuck für diesen Taugenichts an. Armreifen, Beinschmuck... und ein goldener Reif für den Hals. An letzterem..." Er blickte amüsiert auf Seth hinab. "An letzterem will ich eine lange Kette, die stark genug ist, um mein kleines Spielzeug bei Bedarf zur Ruhe zu bringen. Hast du mich verstanden?" "Jawohl, oh großer Pharao." Schon verschwand der Lakai. Lächelnd fuhr Atemu durch Seths Haar. "Oh ja, mein Hübscher, du wirst mir schon noch gehorchen. Ich bekomme immer, was ich will... und das wird sich auch mit dir nicht ändern. Soviel kann ich dir garantieren." Seths Antwort bestand aus einem drohenden Knurren und der junge König musste kurz auflachen. „Wehr dich, soviel du nur willst. Am Ende gewinne ich ja doch. Und irgendwann wirst selbst du das einsehen müssen.“ -------- Puh. Das war offiziell das letzte "setup"-Kapitel. Soll heißen, dass ab dem nächsten endlich der eigentliche Plot langsam aber sicher in die Gänge kommt (jup, die FF hat nen Plot. Irgendwo jedenfalls...) ^^. Im Übrigen ein Danke an alle Kommentarschreiber und insbesondere Bastet_cat für ihre Hilfe mit dem Totengott Osiris ^^ Kapitel 6: Annäherungen ----------------------- Kapitel 6 - Annäherungen Erfreut betrachtete Atemu den schönen Schmuck, der ihm zukünftig helfen sollte, sein unwilliges Spielzeug zur Räson zu bringen. Sein Goldschmied hatte wirklich ganze Arbeit geleistet. Seth sollte sich geehrt fühlen, solch handwerklich meisterhaft gefertigtes Schmuckwerk tragen zu dürfen. Wobei...dürfen traf es ja nicht ganz. Müssen passte da schon eher. Am besten gefiel dem Pharao aber die Kette, allein schon deswegen, weil er wusste, wie sehr sie Seth zuwider sein würde. Seth war stolzer, als es einem Sklaven geziemte und Atemu war der festen Absicht, diese unerfreuliche Eigenschaft aus ihm auszutreiben. Sein Sklave musste einfach lernen, wo sein Platz war. Und zwar unter Atemu. Ganz weit unten. Atemu grinste anzüglich. „Unter mir und am besten nackt und auf meinem Bett. Ja, das wäre schön...“ Ein Klopfen an der Tür zu seinen privaten Gemächern holte ihn aus seinen Tagträumen. Herein trat eine seiner Wachen mit Seth im Schlepptau. „Ah ja, ich habe dich schon sehnsüchtig erwartet, Seth. Wie du siehst...“, und Atemu hob dabei fröhlich einen goldenen Armreif hoch, „...habe ich hier etwas für dich. Na, was meinst du? Willst du ihn nicht mal anprobieren?“ Seth sah aus, als würde er dem Pharao am liebsten an die Gurgel springen. Natürlich wollte er diesen Mist nicht tragen. Ein Umstand, um den der Pharao schließlich ganz genau wusste. Und wenn Atemu es nur wagen würde, ihm zu nahe zu kommen, würde er gleich ein Knie in seinem Magen zu spüren bekommen. Als ob Atemu Seths Gedanken würde lesen können, wurde sein Grinsen noch breiter. „Du brauchst gar nicht erst auf dumme Ideen kommen. Ich werde dir die Sachen bestimmt nicht anlegen. Dafür habe ich doch diesen kräftigen Burschen hier.“ Unwillig guckte Seth in die Richtung, in die Atemu nun deutete. Okay, kräftig war noch milde ausgedrückt. Der Kerl war an die zwei Meter groß und gebaut wie ein Ochse. Trotzdem, kampflos untergehen wollte Seth nicht. Doch letztlich half alles Zappeln, Treten und Schlagen nichts. Er wurde so unerbittlich festgehalten, dass er schon meinte, seine Knochen brechen zu hören. Leise stöhnte er vor Schmerzen auf. Seine Haut war vom festen Druck der Wache überall ganz rot und gequetscht. Dann betrachtete er sich vorsichtig. Mit den Arm- und Beinreifen konnte er sich ja noch anfreunden. Aber der Reif um seinen Hals, an dem eine kurze Kette baumelte, deren Ende Atemu nun festhielt, war mehr als nur entwürdigend. Und dieser Bastard von Pharao hatte wirklich auch noch die Frechheit, kurz kräftig daran zu ziehen, worauf Seth ungeschickt nach vorne stolperte. „Na also. Funktioniert doch“, rief Atemu glücklich. „Da du nun leichter zu kontrollieren sein wirst, dachte ich, dass ich dich heute Abend auf dem Fest ein wenig vorführen könnte. Wir feiern den gelungenen Abschluss langwieriger Friedensverhandlungen. Politik, du verstehst?“ Atemu lachte. „Nein, natürlich verstehst du nicht. Aber das brauchst du auch nicht. Es reicht, wenn du zu meinen Füßen hockst, still bist und einfach nur nett aussiehst. Denn immerhin wollen sich sicherlich auch noch andere an deinem hübschen Anblick erfreuen. Und zudem...“, Atemu strich sachte über die Kette, „müssen wir doch deinen schönen neuen Schmuck ein wenig vorführen.“ Seths Augen weiteten sich. Dass ihn Atemu zwang, diese Kette zu tragen, war wahrlich schon schlimm genug. Aber damit auch noch von dem versammelten Hofstab und den ägyptischen Würdeträgern gesehen zu werden, war mehr, als sein Ego vertragen konnte. ------------------- Zu Seths großem Unglück hatte Atemu Wort gehalten. Nun saß er also hier, und zwar wirklich, wie angekündigt, zu Atemus Füßen und musste die gierigen Blicke diverser, mehr oder minder besoffener Perverser ertragen. Einige versuchten sogar ihn zu berühren, doch ein Blick vom Pharao reichte aus, um selbst den größten Trunkenbold mit eingeklemmtem Schwanz zu einem schnellen Rückzug zu bewegen. Außerdem hatten inzwischen auch die Bauchtänzerinnen ihren Auftritt gehabt, die als leichter zu erreichende Lustobjekte entdeckt wurden und sich nach Kräften bemühten, allzu aufdringliche Männer auf Distanz zu halten. Seth rutschte ein wenig hin und her. Er hatte keine Ahnung, wie lange er hier schon saß, aber mittlerweile waren ihm seine Beine eingeschlafen und auch sein Rücken schmerzte vom langen Hocken in dieser unbequemen Position. Zumindest hatte Atemu sich dazu herabgelassen, ihm ein Kissen zu geben, damit er nicht direkt auf dem kalten Boden sitzen musste und seinem Sklaven zugesichert vom weiteren Ziehen und Zerren an der Kette abzusehen. Letzteres zumindest solange, wie Seth ihn nicht erzürnte und schön brav war. Also gab sich dieser jede erdenkliche Mühe, nur nicht des Pharaos Missfallen zu erregen. Plötzlich schoss schon wieder eine schmuddelige Hand hervor, die ihm plump über den Schenkel strich. Doch bevor Seth mehr als nur überrascht blinzeln konnte, mischte sich bereits Atemu ein. „Na na na. Des Königs Spielzeug ist tabu. Also Finger weg oder Finger ab. Verstanden?“, murrte Atemu unwirsch. Er hatte zwar mit Seth angeben wollen, aber dass dieser jetzt von jedem begrabbelt wurde, gehörte eigentlich nicht zu seinem Plan. Der Mann hickste verlegen und schaute Atemu aus rotgeränderten Augen dümmlich an, zog dann aber gehorsam seine Hand weg und wabbelte wieder von dannen. Atemu sah ihm missgestimmt nach und krallte seine Finger verärgert etwas fester als nötig um seinen immer noch vollen Weinbecher. Er hatte eigentlich angenommen, dass es allgemein bekannt sein müsste, wie ungern er teilte. Das bezog sich auch auf seine Sklaven. Aber da hatte er sich wohl offenkundig geirrt. Vielleicht sollte er in Zukunft auf diesen Festen nicht mehr so viel Wein, Met und Bier ausschenken lassen und auf die gegorenen Früchte verzichten. Selbst der vornehmste Ägypter vergaß im betrunkenen Zustand seine guten Manieren und den Respekt, den er seinem König schuldete. Ein Frevel ohnegleichen und nervig obendrein. An dem nächsten, der es wagte, ihm oder Seth zu nahe zu treten, würde er ein Exempel statuieren lassen. So vertieft war Atemu in seine Gedanken, dass ihm nicht einmal Seths erleichterter Blick auffiel. Der junge Sklave gab es nicht gerne zu, doch in diesem Moment fühlte er tatsächlich so etwas wie Dankbarkeit gegenüber dem Pharao. Er hatte natürlich nicht vergessen, dass es eigentlich Atemus Schuld war, dass er überhaupt hier war, aber dennoch, die Menschen hielten fürs erste Abstand und das beruhigte Seth schon mal ungemein. Jetzt brauchte er sich nur noch um diesen alten Priester mit dem goldenen Auge kümmern, der ihn so durchdringend ansah, dass es Seth schon ganz mulmig wurde. Der Blick des Alten war nicht lüstern oder trunken, nein, er war prüfend und Seth hatte das Gefühl, als würde der Priester mit diesem unheimlichen Auge bis in sein Innerstes vordringen, seine Gefühle lesen, seine Ängste, seine geheimsten Gedanken. Er zwang sich zur Ruhe. Das war alles bloß seine Einbildung. Er durfte nicht in Panik verfallen. Entschlossen starrte er zurück, bis der Alte endlich den Blick abwandte. „Na endlich, das wurde auch Zeit“, dachte Seth zufrieden, bevor er sich wieder auf seinen schmerzenden Körper besann und sich zum wiederholten Male wünschte, dass diese Nacht endlich vorbei sein möge. --------------------------- Müde trottete Seth Atemu in dessen Gemächer hinterher. Der Pharao ruckte hin und wieder ungeduldig an der Kette, um seinen Sklaven zur Eile anzutreiben und dieser bemühte sich inständig Schritt zu halten. Endlich waren sie angekommen. Seth blieb erschöpft mitten im Raum stehen und wartete fast schon gleichgültig ab, was der König nun als nächstes mit ihm vorhatte. Wenn er nur nicht so geschafft wäre... Er schüttelte seinen Kopf und versuchte verzweifelt wach zu bleiben. Das alles war nur die Schuld von diesem alten Priester. Dieser hatte ihm die ganze Nacht über immer wieder solch merkwürdige Blicke zugeworfen und da Seth diese nicht richtig hatte deuten können, hatte er seine ganze Energie darauf verwendet, sich vor dem Alten bloß keine Blöße zu geben und wachsam zu bleiben. Außerdem fühlte er sich irgendwie...ausgelaugt. Als hätte ihm dieses seltsame Auge alle Kraft geraubt. Seth schlang seine Arme um sich und schauderte leicht. Für eine Auseinandersetzung mit dem Pharao hatte er jetzt überhaupt keinen Nerv und er hoffte inständig, dass Atemu jetzt nicht versuchen wollte, mit ihm zu schlafen. Atemu betrachtete Seth indes aufmerksam. Dass sein Spielzeug gerade so gar nicht zum Spielen aufgelegt war, war nicht zu übersehen. „Ich frage mich, was in ihn gefahren ist. Ob ich es wohl wagen kann...“, überlegte er müßig. Dann näherte er sich vorsichtig seinem Sklaven und strich diesem sanft über die Arme, bevor seine Hände höher wanderten und er seine Fingerspitzen leicht über Seths Wange gleiten ließ. Der jedoch reagierte nicht. Der Pharao runzelte die Stirn und ließ seine Hände nun unter den dünnen Stoff, der die helle Haut nur leicht bedeckte, fahren; streichelte Seths Brust, näherte sich schließlich dem Knoten von dessen Schurz und öffnete ihn etwas. Immer noch keine Reaktion. Atemu trat enttäuscht einen Schritt zurück. In diesem lethargischen Zustand würde er an dem Jungen sicherlich keine Freude haben. Es war ja gerade, dass Seth sich auch wehrte und ziemte, was Atemu so an ihm gefiel. Er erwartete natürlich auch einen gewissen Gehorsam, aber eine regungslose Puppe, die willenlos unter ihm lag und alles mit sich machen ließ, wollte er nun wirklich nicht. Er sah seinen Sklaven bedrückt an. „Du hast dich heute Abend gut benommen. Wie ich sehe, lernst du langsam, wie du dich mir gegenüber zu verhalten hast. Und auch, wenn ich mir für diese Nacht eigentlich noch mehr gewünscht hätte, so muss ich wohl einsehen, dass es im Moment keinen Zweck hat. So will ich dich nicht.“ Atemu winkte eine in einer Ecke seines Gemachs versteckte Wache herbei. „Bring ihn zurück in sein Zimmer. Postiere zwei Wachen vor seinem Raum und sieh zu, dass niemand hinein- oder herauskommt.“ Seine Wache nickte und wollte nach der lose von Seths Hals baumelnden Kette greifen, doch Atemu schüttelte den Kopf. Behutsam löste er den Halsreif samt Kette und nahm ein überraschtes Aufflackern in Seths blauen Augen wahr. Atemu schmunzelte. So handzahm war sein Spielzeug ja schon fast...niedlich. ----- Keine Sorge, ganz so schnell ändert sich Atemu dann doch noch nicht ^^ Aber eine kleine Ruhe vor dem Sturm ist doch auch mal ganz nett XD Kapitel 7: Familienbande ------------------------ Hm, der im letzten Kapitel von Seth kurz erwähnte "alte Priester mit dem goldenen Auge" (von manchen auch Aknadin genannt) taucht wieder auf. Und wer den Memory Arc von YGO verfolgt hat, weiß nach diesem Kapitel auch so ungefähr, wie sich die Story im Groben entwickelt wird ^^ ----------- Kapitel 7 – Familienbande Aknadin wälzte sich unruhig in seinem Bett hin und her, bevor er sich schließlich den Schädel an seiner aus Elfenbein gefertigten Kopfstütze stieß. Dieser junge Mann zu Füßen des Pharaos ging ihm einfach nicht aus dem Sinn. Er konnte es sich nicht erklären, doch irgendwie erschien ihm dieser Sklave so bekannt, nein, sogar mehr als das; er war ihm vertraut. Wie ein lang vergessener, geliebter Mensch. Wie eine lang verlassene Familie. Wie ein lang verloren geglaubter Sohn... Erschrocken fuhr er hoch. Sohn...nein, das war unmöglich. Sein Sohn war tot. War umgekommen, als das Dorf, in dem er mit seiner Mutter gelebt hatte, von Banditen niedergebrannt worden war. Tot. Die Worte schmeckten so bitter auf seiner Zunge. Sein einziges Kind...er hatte sein einziges Kind verloren. Vor Jahren schon. Oder lebte es vielleicht noch? War das wirklich möglich? Aknadin wollte sich keine falschen Hoffnungen machen, doch wenn dieser Sklave wirklich sein Sohn wäre...es würde ihm so viele neue Möglichkeiten eröffnen. „Nein, der Junge ist tot. Man hat die kümmerlichen Überreste seiner Mutter gefunden, fast bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Und auch ich habe sie gesehen. Es ist kein Irrtum möglich. Er kann diesem Feuer nicht entkommen sein...er kann nicht...“ Plötzlich durchflutete eine seltsame Hoffnung sein Innerstes; öffnete sich sein Mund zu einem stummen Schrei. „Was wäre aber, wenn er zu der Zeit gar nicht im Dorf war? Dann könnte er...nein, er hätte seine Mutter nicht im Stich gelassen. Außerdem war er nach diesem Feuer unauffindbar. Ich habe Späher nach ihm ausgeschickt und keiner konnte auch nur die kleinste Spur von ihm finden. Er kann es also nicht lebend geschafft haben. Unmöglich...“ Aknadin atmete schwer. Er sollte, nein, er durfte nicht länger darüber nachdenken. Diese ganzen Gefühle, die dabei in ihm hochstiegen...er konnte sie nicht ertragen. Damals nicht und heute auch nicht. Er musste einfach rational bleiben, sich nicht von seinen Wünschen leiten lassen…sich nicht einer Ahnung hingeben, die sich am Ende doch nur als falsch herausstellen würde… Aber andererseits: War er es sich nicht schuldig, sich und seinem Sohn, dieser Sache nachzugehen, ganz egal wie unwahrscheinlich sie ihm auch erschien? Wütend griff Aknadin hinter sich, packte seine Kopfstütze und schleuderte sie mit aller Kraft gegen die Wand. Er wollte Antworten, und zwar sofort, aber Atemu würde ihn sicherlich nicht zu seinem Sklaven vorlassen. Also musste er sich direkt an den König wenden...und er würde seine Antworten bekommen. Ja, er würde seine Antworten bekommen und wenn er sie aus dem Pharao rausprügeln würde müssen! Am Morgen schließlich hatte sich Aknadin soweit wieder gefasst, dass er wieder klar denken konnte und machte sich auf zu Atemu. Dieser ließ sich gerade von seinen Dienerinnen einkleiden, als ihn Aknadin aufsuchte und schien ausnahmslos gute Laune zu haben. Er schmiss noch nicht einmal Aknadin aus seinem Raum, sondern ließ es zu, dass ihn der Priester beim Anziehen beobachtete. Aknadin wartete, bis der Pharao endlich fertig angekleidet und geschminkt war, bevor er das Wort ergriff. „Das war ein sehr gelungenes Fest gestern, mein König. Und die Angelegenheit mit Hurri habt Ihr weise gelöst. Die Minister sind voll des Lobes für Euch.“ Atemu blickte überrascht hoch, entgegnete jedoch nichts; setzte sich stattdessen nur betont langsam auf einen Stuhl gegenüber dem alten Priester und betrachtete diesen prüfend. Aknadins plötzliche Schmeicheleien verwunderten ihn und er hatte das dumpfe Gefühl, dass das Auftauchen seines Onkels nicht nur auf Höflichkeit beruhte. Da steckte bestimmt mehr dahinter. Sein Priester indes stierte nur unbeeindruckt zurück, bis ihm Atemu schließlich mit einer unwilligen Handbewegung bedeutete, weiter zu sprechen. Aknadin zögerte jedoch. Zu gerne hätte er die Gedanken des Königs gelesen, aber das war ihm nicht nur verboten, sondern das Millenniumspuzzle verhinderte dies auch. Und wenn er sich gewaltsam Zutritt zum Geist des Pharaos verschaffen würde, so würde es Atemu sofort merken... Verärgert biss er die Zähne zusammen. „Ich muss einfach aufpassen, dass er mich nicht durchschaut. Kein Grund, sich Sorgen zu machen. Ich sollte nur ein wenig Vorsicht walten lassen.“ Er hustete leicht und fuhr dann endlich fort. „Ich habe erfahren, dass Ihr Euch einige neue Sklaven zugelegt habt, mein König. Wengleich ich nicht weiß, wozu... Jedenfalls, der junge Mann an Eurer Seite gestern...war das einer von ihnen? Ich habe ihn vorher noch nie hier im Palast gesehen.“ „Warum interessiert dich das?“, fragte Atemu neutral zurück. „Du hattest doch sonst auch nie Interesse an meinen Neuerwerbungen. Oder stehst du plötzlich auf junge Knaben? In dem Fall muss ich dich enttäuschen. Dieser Sklave steht nur mir allein zur Verfügung. Aber ich bin sicher, dass wir auch für dich und deine...ah...Begierden etwas Passendes finden werden.“ „Nein, nein. Das ist es nicht“, unterbrach ihn Aknadin schnell. In die Richtung wollte er nun wirklich nicht gehen. „Es hat mich nur überrascht, wisst Ihr. Ihr habt doch vorher nie einen Sklaven bei Euch sitzen lassen. Der Junge muss etwas Besonderes sein, wenn Ihr ihm solch eine Ehre zuteil werden lasst. War er vielleicht ein Geschenk? In dem Fall müsste man sich entsprechend bei seinem Gönner revanchieren. Ich könnte sofort alles Nötige veranlassen lassen, mein Pharao.“ „Das wird nicht nötig sein. Er ist kein Geschenk, sondern ein Zufallsfund vom Sklavenmarkt. Es ist auch nichts Besonderes an ihm, außer vielleicht seinem Aussehen. Was auch der Grund war, warum ich ihn überhaupt mitgenommen habe. Und warum er bei dem Fest dabei war...nun, sagen wir mal, das hatte erzieherische Gründe.“ Aknadin nickte, wenngleich er ziemlich sicher war, dass ihm sein Neffe doch noch so einiges verschwieg. „Hat er denn einen Namen? Alle Sklaven müssen schließlich protokolliert werden. Immerhin gehören sie mit zu den Verwaltungskosten des Palastes.“ „Ja, ich kenne zwar seinen richtigen Namen nicht, denn der Sklave, obwohl nicht stumm, spricht mit niemandem. Aber ich habe ihn Seth genannt. Der Name ist mehr als passend für ihn. Sind deine Fragen damit endlich alle beantwortet, oder sonst noch was?“, antwortete ihm Atemu, wie er hoffte, abschließend. Irgendwie vermittelte ihm der alte Priester eine innere Unruhe, die ihm eine Gänsehaut verursachte. Atemu verstand den Grund hierfür nicht, wusste aber, dass er den Alten so schnell wie möglich wieder loswerden wollte, und zwar lieber gestern als heute, und Aknadin tat ihm den Gefallen prompt. Mit einer kleinen Verbeugung verabschiedete sich sein Onkel von ihm. „Ja, danke für Eure Zeit und Geduld, mein König.“ Das gesagt, wandte er sich rasch ab; seine Brauen in Überlegung gefurcht. „Seth. Genauso wie mein Sohn. Ist das nur ein Zufall...oder ein Zeichen der Götter? Ich muss unbedingt mit diesem Sklaven von Angesicht zu Angesicht reden.“ --------------------- Und Aknadin bekam seine Chance. Atemu wurde in den Tempel gerufen, wo er seinen königlichen Pflichten nachkommen und die Götter um Regen bitten musste. Das würde sicherlich dauern, besonders, da der ganze Weihrauch, der bei einer solchen Zeremonie verteilt wurde, regelmäßig Atemu schwindelig werden ließ und bei ihm Übelkeit und Magenkrämpfe auslöste. Pech für den Pharao, Glück für Aknadin. Zumindest verschaffte ihm dies ein paar nervige-Neffen-freie Stunden. Schnellen Schrittes ging Aknadin auf Seths Gemach im Westflügel des Palastes zu. Er durfte zwar nicht die Gedanken des Pharaos lesen, aber da er bei den Dienern nicht so zimperlich zu sein brauchte, hatte er relativ schnell Seths Aufenthaltsort herausfinden können. Der alte Priester wollte keine Zeit verlieren und dies nur so rasch wie möglich hinter sich bringen. Wenn er ehrlich war, so musste er zugeben, dass er einfach Angst hatte. Angst vor dem, was ihm dieser Besuch an Wissen liefern würde. Angst, dass er Recht haben könnte; Angst, dass er sich irrte. Aber im Endeffekt war auch das besser als diese quälende Unsicherheit, die ihm die Kehle zuschnürte; ihm das Atmen schwer machte. Ihn den Verstand verlieren ließ. Die zwei Männer, die vor der Tür Wache standen, wollten ihn zwar nicht hereinlassen, aber damit hatte Aknadin schon gerechnet. Sein Millenniumsauge glühte kurz auf und schon einen Moment später wurden die Blicke der Männer trüb, bevor ihre Körper schließlich vollends erschlafften und sie bewusstlos zu Boden sackten. Flüchtig hoffte Aknadin, dass sie sich später an nichts würden erinnern können, doch wirklich kümmern wollte er sich jetzt nicht darum. Er hatte andere Sorgen. Er atmete einmal tief ein und aus, versuchte sein pochendes Herz zu beruhigen und betrat dann das Zimmer. Kaum Eingetreten konnte er auch gleich Seths alles anderen als erfreuten Blick auf sich ruhen fühlen, was wohl hieß, dass sich der Junge an ihn erinnern konnte. Aknadin ignorierte dessen offensichtlichen Unmut fürs erste und sog stattdessen überrascht die Luft ein. „Bei allem, was mir heilig ist...dieses Blau seiner Augen. Diese Intensität und die Farbe...genau wie bei Seth, meinem Seth damals.“ Unschlüssig stand er nun einige Schritte von dem Jungen entfernt, der in Lauerstellung gegangen war, bereit jeden Moment zuzuschlagen, falls nötig. Der Priester runzelte die Stirn. Das war nicht gut. Seth machte nicht den Eindruck, als ob er auf eine Frage- und Antwortsession Lust hätte. Trotzdem wollte er nicht so schnell aufgeben. Er zeigte auf sein goldenes Auge und lächelte leicht. „Ich bin Aknadin. Priester des Pharaos und Träger des heiligen Millenniumsauges, wie du sehen kannst. Wir sind uns gestern auf dem Fest begegnet, aber nicht offiziell vorgestellt worden. Wie ist denn dein Name, hm, magst du mir das verraten?“ Flüchtig spürte er, wie sich seine Hände unruhig schlossen und wieder öffneten. „Dein Name, Junge. Sag ihn mir...und zwar nicht den, den Atemu dir aufgezwungen hat, sondern deinen wahren...bitte...ich muss ihn wissen.“ Doch wenn er eine Antwort erwartet hatte, so wurde er enttäuscht. Seth schüttelte zwar den Kopf, schwieg sich ansonsten aber weiterhin eisern aus. Aknadin kaute nachdenklich auf der Innenseite seiner Wange. Atemu hatte ja schon gesagt, dass der Knabe nicht sprechen wollte. Vorsichtig versuchte er mit dem Millenniumsauge in die Gedanken des Sklaven einzudringen, doch wie schon gestern, so stieß er auch heute auf eine natürliche Barriere. Aknadin hätte sie leicht brechen können, doch Seths Gesicht war jetzt schon schmerzverzerrt und wenn dieser Junge wirklich sein Sohn war, dann wollte er ihm nicht unnötig wehtun. Zumindest nicht, wenn es sich vermeiden ließ. „Du kannst ruhig mit mir reden. Der Pharao schickt mich nicht; ich bin von alleine hier. Ich will dir nichts Böses. Alles, was ich möchte, ist mich mit dir zu unterhalten.“ Seth zuckte nur mit den Schultern, schien sich aber zumindest so langsam zu entspannen. Er drehte Aknadin zwar nicht den Rücken zu, ging aber zu seinem Bett und ließ sich darauf nieder. Dann schlang er seine Arme um die Knie und wartete geduldig. Aknadin überlegte kurz, wie er wohl am besten weiter vorgehen sollte und entschied sich zu guter Letzt, einfach drauflos zu reden. Irgendwie musste er ja schließlich diese ungemütliche Atmosphäre zwischen ihnen brechen. Er begann von der Politik des Pharaos, den Intrigen bei Hofe (etwas, was Seth ganz besonders zu interessieren schien) und zum Schluss sogar von seiner eigenen Priesterausbildung zu berichten; und endlich hatte er auch Erfolg. „Ich heiße Seth“, ertönte mit einemmal die Stimme des Jungen; noch ganz rau und krächzend, hatte er sie doch schon so lange nicht mehr benutzt. Aknadin lächelte ihn aufmunternd an. „Ein mächtiger Name. Vielen Menschen brachte er nichts als Unglück. Doch bei dir...ich gebe es nicht gerne zu, aber als der Pharao sagte, der Name passe zu dir, da hat er wahrlich nicht gelogen. Mutig von ihm, dich so zu nennen.“ Seth schnaubte. „Mit dem Unglück hat der alte Mann gar nicht mal so Unrecht. Aber meine Lebensgeschichte werde ich ihm deswegen noch lange nicht verraten, da kann er schmeicheln, so viel er will...“ Störrisch starrte er zur Seite und hüllte sich erneut in Schweigen. Er wusste sowieso nicht, warum er Aknadin überhaupt geantwortet hatte. Dieser indes kümmerte sich nicht um die neuerliche Abfuhr und nahm stattdessen das Gespräch selbst wieder auf. „Und wie ist dann dein richtiger Name? Ich meine den, den dir deine Eltern gaben. Sagst du mir das, bitte?“ Einen Moment lang schaute der Angesprochene nur irritiert. Es wusste nicht, warum der Priester so an ihm interessiert schien, aber wenn er es recht bedachte… „Was auch immer der Grund sein mag, er könnte mir vielleicht noch nützlich werden. Ich will schließlich nicht ewig hier eingesperrt bleiben. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass er den Pharao nicht ausstehen kann. Jedes Mal, wenn er Atemu erwähnt, bekommt er diesen seltsamen Unterton in der Stimme. Möglicherweise gereicht mir das noch zum Vorteil.“ Ein gezwungenes Lächeln erschien auf seinem Gesicht. „Es ist ein bisschen merkwürdig. Aber der Name, den der Pharao mir gab, ist mein echter. Ich heiße wirklich Seth.“ Aknadin keuchte erschrocken auf. Der Name...Seths Name. Der Name seines Sohnes...und das Alter, ja, wenn sein Sohn noch leben würde, dann wäre er im Alter dieses Sklaven. Das Aussehen stimmte auch; die braunen Haare, die blauen Augen...einfach alles. Nur die Hautfarbe war anders. Sein Seth hatte keine weiße, sondern eine leicht braungebrannte Haut gehabt. Aber vielleicht, wenn er in Gefangenschaft geraten war und keine Sonne zu sehen bekommen hatte... Er musste sichergehen. „Was ist mit deinen Eltern? Und von wo kommst du?“, fragte Aknadin letztlich, sein Tonfall erschreckend kalt. Der Junge zögerte. Aknadin bedachte ihn nun mit dem gleichen stechenden Blick wie auf dem gestrigen Fest. Genauso forschend, fordernd; bis in den kleinsten Winkel fast schmerzhaft seine Seele durchdringend. Seth wollte sich nicht äußern, nicht wirklich, aber irgendwie fühlte er den Zwang dazu; ganz so, als ob er keine andere Wahl hätte. Seine Stimme war tonlos und seine Augen glasig, als er schließlich antwortete: „Meine Eltern sind beide tot. An meinen Vater erinnere ich mich nicht und meine Mutter starb, als ich 14 war. Diebe haben unser Haus und das Dorf, in dem wir lebten, angezündet. Sie ist verbrannt und ich...“ Weiter kam er nicht, denn da war Aknadin schon aufgebracht aufgesprungen und praktisch aus dem Zimmer geflohen. Und mit ihm verschwand auch dieses merkwürdige Gefühl, das Seth für einen Moment übermannt hatte. Verwirrt schaute er dem alten Priester nach. „Was sollte das denn jetzt!?“ Kapitel 8: Rachegelüste und Fehltritte -------------------------------------- Und wieder ein neues Kapitel. Ich muss zugeben, dass ich diesmal einigermaßen nervös bin und deshalb: Habt Gnade mit der armen Autorin ^^° Okay, ich troll mich dann mal flugs von dannen... Vorher aber noch: Danke an alle Kommentarschreiber. ----------- Kapitel 8 – Rachegelüste und Fehltritte „Meister Aknadin. Ist alles in Ordnung mit Euch?“, fragte Karim mit einem besorgten Blick auf den alten Priester, der die gleiche Schriftrolle nun bereits zum xten-mal zu lesen schien, bevor er sie laut auf den Tisch knallte. Erschöpft ließ er sich auf einen nahestehenden Stuhl fallen und schloss kurzeitig die Augen. Er atmete tief. „Nein, nichts ist in Ordnung. Gar nichts...Ich...“ Zittrig strich er sich über sein Gewand. „Ich...ah, verzeiht mir. Ich fühle mich nicht besonders wohl. Könntet Ihr meine Pflichten für mich übernehmen? Nur heute, versteht sich. Ich glaube nicht, dass ich momentan selbst dazu in der Lage bin...“ Die jungen Priester sahen verunsichert zu ihm, gaben dann aber doch ein bestätigendes Kopfnicken. Immerhin war Aknadin nicht mehr der Jüngste, da mussten sie Verständnis zeigen. „Vielleicht solltet Ihr Euch für eine Weile in den Tempel der Maat begeben“, schlug Mahaado deshalb auch gleich hilfsbereit vor. Maat war die Göttin der Gerechtigkeit und göttlichen Ordnung und Aknadin hatte sie von jeher verehrt und ihr großen Respekt gezollt. Aber nun grunzte er nur verächtlich. „Gerechtigkeit, huh? Dass ich nicht lache! Mein eigen Fleisch und Blut wird als Sklave in diesem Palast festgehalten, weiß nichts über seine königliche Herkunft und wird von Atemu wie ein Tier gehalten, nur dazu da, um seine kranken Gelüste zu befriedigen. Der Gedanke ist unerträglich. Er ist zu größerem bestimmt und doch gibt es nichts, was ich tun kann. Soll er denn das gleiche Schicksal erdulden wie ich? Dazu verdammt im Schatten eines Königs zu stehen, dem er so viel über hat? Mein Sohn wäre als Pharao soviel besser geeignet als dieser verwöhnte, arrogante Bengel meines Bruders Aknamkanon. Nein, ich werde das nicht zulassen, nicht ein zweites Mal...“ „Shada“, sagte er schließlich laut. „Richte dem Pharao bitte aus, dass ich mich in den Tempel zurückgezogen habe und wünsche, wenn möglich, nicht gestört zu werden. Ich werde für Ägypten beten.“ „Sehr wohl, Meister Aknadin“, entgegnete Shada gehorsam und verbeugte sich ehrerbietig. Fragen stellte keiner der drei jungen Priester. Es war allgemein bekannt, wie ernst Aknadin seine Pflichten gegenüber dem Königreich nahm und wenn einer wusste, wie man dem Land am besten dienen konnte, dann er. Als Atemu am späten Nachmittag in den Palast zurückkehrte, wurde er sodann auch vor vollendete Tatsachen gestellt, aber da er auf Aknadins Gesellschaft von jeher ohnehin nie viel Wert gelegt hatte, kümmerte ihn die eigenmächtige Entscheidung des Alten kaum. Stattdessen stand ihm mehr der Sinn nach einem wohltuenden Bad und einer Massage, denn das stundenlange, fast regungslose Hocken in Betstellung und die ganzen unangenehmen Gerüche hatten seinem Körper alles andere als gut getan. Mit einemmal musste der junge König grinsen. „Ja...nach dem anstrengenden Tag habe ich mir doch wahrlich eine Erholung verdient. Und was für eine!“ ----------------- Seth war gerade mit der akribischen Untersuchung seines Raumes beschäftigt, vorzugsweise mit der Entdeckung eines Fluchtwegs, als der Pharao eintrat und ihn verschmitzt ansah. Dabei hielt er eine Schüssel mit Früchten hoch, die er auf dem kleinen Tisch neben Seths Bett abstellte. Anschließend legte Atemu das Millenniumspuzzle ab, zog sich Sandalen und sein Obergewand aus, so dass seine Brust frei war und legte sich frech auf das Bett, wo er dann auffordernd den freien Platz neben sich tätschelte. Seth fühlte seine Innereien sich verkrampfen und schluckte nervös. „Das kann nichts Gutes bedeuten. Ich habe mich schon gewundert, warum er mich gestern Nacht in Ruhe gelassen hat.“ „Was ist? Willst du dich nicht zu mir setzen?“, fragte Atemu fröhlich und fing sich einen mürrischen Blick von Seth dafür ein. „Natürlich will ich nicht. Aber bevor der Bastard wieder mit dieser Kette oder sonst was ankommt...“ Seth knurrte zwar böse, setzte sich aber trotzdem brav neben den feixenden Pharao, wobei er peinlich genau darauf achtete, soviel Abstand wie nur irgend möglich zwischen ihnen zu lassen. Atemu ließ ihn und griff über Seth hinweg zu der Schale mit den Früchten, die er nun seinem Sklaven auffordernd unter die Nase hielt. „Willst du welche? Diese bräunlichen, verschrumpelten Dinger links sind Datteln und das andere da mit den kleinen Blättern nennt man Feigen. Ich weiß ja nicht, ob du so was Feines kennst, deshalb sage ich es dir lieber. Hier, probier mal!“ Damit pickte der Pharao eine Dattel und schwenkte sie vor Seths Gesicht hin und her. „Sei nicht so stur und mach den Mund auf. Die sind richtig gut. Schön süß.“ Seth ballte die Hände zu Fäusten zusammen und war schwer am Überlegen, ob er sich die Schüssel schnappen und über Atemus Kopf auskippen sollte, verzichtete aber dann doch in seinem eigenen Interesse darauf und öffnete gehorsam seinen Mund. Atemu grinste triumphierend und legte ihm die Frucht eilig auf die Zunge. Seth kaute vorsichtig und zu seinem großen Ärger war sie wirklich ganz lecker. „Nicht schlecht, hm?“, lächelte Atemu und nahm sich nun selber eine. „Weißt du, als Gegenleistung für meine Großzügigkeit könntest du jetzt auch mal was für mich tun. Und nein, ich meine keinen Sex. Du brauchst also gar nicht so zu gucken.“ Damit drehte er sich auf den Bauch und legte sich bequem hin. Sein Sklave schaute ihm verwundert zu. „Massier mich“, forderte der Pharao ihn auf und nach einigem Zögern legte Seth wirklich seine warmen Hände auf Atemus Rücken und begann mit einer wohltuenden Massage. Der junge König seufzte wohlig. Angst, dass sein kleines Spielzeug ihm gefährlich werden könnte, hatte er nicht. Immerhin hatte er sein Millenniumspuzzle dabei, war also selber alles andere als schutzlos. Im Übrigen glaubte er auch nicht, dass Seth ihm wirklich schaden wollte; dieser hatte zwar schon öfter zu Gewalt geneigt, aber eigentlich immer nur dann, wenn Atemu zu aufdringlich geworden war. Der Pharao fühlte seine Augenlieder sinken und genoss dieses herrliche Gefühl der zarten Hände auf seinem Rücken. Er wollte diesen Moment einfach nur voll auskosten und wäre auch sicher bald eingeschlafen, wenn ihn nicht ein lautes Klopfen plötzlich aufgeschreckt hätte. Er richtete sich auf und drehte den Kopf Richtung Tür. „Was ist?“, fragte er schließlich herrisch. „Und gnaden dir die Götter, wenn es nicht wichtig ist!“ Der Mann, der nun eintrat, sah ihn ängstlich an. Atemus Blick verfinsterte sich noch mehr. Der Mann strich sich unruhig über sein Kinn, bevor er dann doch endlich Mut fasste und einen entschiedenen Schritt auf den Pharao zuging. „Mein König, mein Name ist Kasa. Ich komme direkt vom Krankenflügel. Ich bin einer der zwei Männer, die heute für den Wachdienst für dieses Zimmer eingeteilt gewesen waren und...“ „Und warum schieben dann jetzt zwei andere Wache?“, unterbrach ihn Atemu ungeduldig. „Darum geht es ja gerade, mein Pharao. Ich komme gerade vom Krankenflügel. Mein Kamerad ist noch immer da. Heute Morgen sind wir beide ohnmächtig zusammengebrochen. Der Arzt aber sagte, es wäre körperlich alles in Ordnung. Und, ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube, dass der Priester Aknadin daran schuld sein könnte...“ „Das ist eine schwere Anschuldigung“, stoppte ihn Atemu abermals, „Bist du dir im Klaren darüber, was du da sagst?“ Der Mann nickte eifrig. „Natürlich weiß ich das. Aber der Priester Aknadin wollte heute Morgen zu diesem Sklaven und wir hätten ihm natürlich ohne Eure Erlaubnis niemals Eintritt gewährt und ich glaube deshalb...dass...na, ja...ich glaube, er hat dieses goldene Auge benutzt und irgendwas damit gemacht, woraufhin wir dann umgekippt sind...“, fuhr er ungeschickt fort. Atemu überlegte angestrengt. Er konnte keine Gedanken lesen, aber dieser Mann schien die Wahrheit zu sprechen. Und Aknadin hatte wirklich ein sonderbares Interesse an Seth gezeigt... „Hinzu kommt, dass er ausgerechnet heute in einen der Tempel geflüchtet ist, weswegen ich ihn noch nicht einmal persönlich befragen kann.“ Er packte Seth grob am Arm und wandte sich dann der Wache zu. „Geh! Verschwinde aus diesem Raum! Ich will dich hier nicht länger sehen!“, wies er sie schroff an. Der Mann verbeugte sich kurz und machte sich eilends aus dem Staub. Nachdem er und Seth alleine waren, atmete der Pharao einmal tief aus. Aknadin hatte seinen Befehl missachtet und er hatte keine Ahnung wieso. Rüde riss er Seth zu sich, der leise aufkeuchte. „Hör mir gut zu, Junge. Das ist jetzt kein Spiel, sondern bitterer Ernst. WAS hat der alte Mann gewollt? Was hat er gesagt? Antworte mir!“, giftete er seinen Sklaven an, der nur trotzig zurückstarrte. Atemu wurde es zuviel. „Ich habe gesagt, du sollst antworten! Bist du taub? ANTWORTE! ANTWORTE!“ Er schüttelte Seth kräftig. Dieser versuchte sich nun seinerseits aus Atemus Griff zu befreien, doch dessen Hände lösten sich einfach nicht und in seiner Verzweiflung schlug Seth schließlich zu. Erschrocken legte der Pharao eine Hand auf seine Wange, auf der sich Seths Ohrfeige abzuzeichnen begann und in diesem Moment setzte irgendetwas in Atemus Kopf aus. Er konnte nicht mehr klar denken; sein Blick getrübt von Wut und Enttäuschung, kannte er nur noch diesen einen Gedanken, dieses eine Wort. Antworten. Er wollte Antworten. Er stieß Seth zur Seite, der die Gelegenheit ergreifen und vom Bett fliehen wollte, doch Atemu war schneller. Er legte sich sein Millenniumspuzzle um und sofort erstarben Seths Bewegungen. In Panik versuchte sein Sklave gegen diese unsichtbaren Fesseln anzukämpfen, doch ohne eigene Magie war er hier chancenlos und alles was er erreichte, war, sich müde zu kämpfen. Entsetzt blickte er Atemu an. Dessen Augen, sonst schon ein seltsames Rot, hatten nun die reine Farbe von Blut angenommen und sahen ihn hasserfüllt an. Hass...und Enttäuschung. Aber Enttäuschung worüber? Seth verstand es nicht und im Augenblick war es ihm auch egal. Die Schlingen um seinen Körper zogen sich immer enger zu, schnürten ihm die Luft ab and er rang verzweifelt nach Atem. Aus den Augenwinkeln konnte er den Pharao sehen, der von unheimlichen Schatten umgeben war und ihn irre anfunkelte. Kurz bevor Seth das Bewusstsein verlor, ließen die Fesseln endlich nach. Erleichtert schnappte er nach Luft. Doch seine Freude war von kurzer Dauer. Atemu näherte sich ihm schon wieder und in einer flinken Bewegung drückte er seinen Sklaven tief ins Bett. Dann hockte er sich auf ihn und rammte ihm das Knie in die Magengrube. Seth schrie vor Schmerzen auf. Er war größer und sicherlich auch stärker als der König, doch dieser war ihm mit seiner Magie einfach über. Er versuchte noch, den Pharao von sich runterzustoßen, da wurde er auch schon wieder von diesen seltsamen Fesseln festgehalten, die jede Bewegung unmöglich machten. Atemu sah mit einem widerwärtigen Grinsen auf ihn herab. „Ich habe dir mehr als genug Chancen gegeben. Aber jetzt reicht’s. Jetzt nehme ich mir einfach, was ich will“, sagte er leise und dieser unheimliche ruhige Ton war schlimmer als alles andere. Und Seth wusste, dass der Pharao in diesem Moment weder Skrupel noch Moral kannte. „Deine Wunden sind gut verheilt in deiner Zeit hier“, meinte Atemu bedächtig und strich mit seinen schlanken Fingern über Seths Arme, wo die Narben schon fast völlig verblasst waren. Dieser zitterte unter der Berührung leicht. Der Pharao grinste. „Sag bloß, du hast jetzt Angst?“ Sanft küsste er Seths Mundwinkel. „Das solltest du auch…“ Abermals versuchte sich sein Sklave aufzubäumen, doch Atemu schlug ihn daraufhin so kräftig ins Gesicht, dass Seth erschrocken aufschrie und augenblicklich wieder still hielt. Er atmete unregelmäßig und schnell; die Finger fest in die Laken gekrallt versuchte er sich auf alles mögliche zu konzentrieren, nur nicht die Gestalt über ihm, die sich immer näher zu ihm beugte. Es war nicht unbedingt Atemu, was Seth Angst machte. Es war vor allem seine eigene Hilflosigkeit und Schwäche. Dieses Gefühl, jemandem wehrlos ausgeliefert zu sein. Er sog gequält einen Schwall Luft ein. Atemu nutzte die Gelegenheit, packte ihn grob am Kinn und küsste ihn tief. Dann ließ er seine Lippen über Seths Gesicht weiterwandern. Dieser wollte seinen Kopf wegdrehen, doch Atemu hielt ihn fest; ließ nun seine Hände unter Seths Schurz gleiten und begann das warme Fleisch dort sanft zu massieren. Seth stöhnte leise, bevor er sich auf seine Lippen biss bis sie bluteten. Er ekelte sich vor selbst. Das letzte, was er wollte, war Lust zu empfinden. Mit Mühe verkniff er sich die Tränen. Atemu sah ihn abschätzend an. „Nicht doch. Verletz dich doch nicht selber“, murmelte er schließlich sachte und küsste vorsichtig die blutigen Lippen des Jungen trocken. „Dafür bin ich doch da...“ Trotz seiner Fesseln zuckte sein Sklave zusammen. Atemu tätschelte ihm die Wange und grinste leichthin und in diesem Moment war Seth alles egal. Er würde dem Pharao nicht auch noch die Befriedigung geben, ihm zu zeigen, wie sehr er sich vor ihm fürchtete. Stattdessen ließ er seinen Körper erschlaffen und richtete einen leeren Blick gen Decke. Atemu schaute ihn verwirrt an, zuckte dann aber mit den Schultern und hob Seths Schurz hoch; liebkoste dessen weißen Schenkel und spreizte die Beine des jungen Mannes. Anschließend entledigte er sich auch seiner eigenen Kleidung und brachte sich in Position. „Was ist, Kleiner? Keine Gegenwehr?“, flüsterte er und ließ erneut seine Hand über Seths Gesicht wandern. Doch dieser reagierte nicht. Atemu zögerte. Unsicher sah er seinem Sklaven in die Augen, aus der jegliches Blau gewichen war und die jetzt nur noch trüb und irgendwie tot ins Nichts starrten. „Seth?“, fragte der König leise und so langsam stieg in ihm die Panik hoch. Die Schatten um sie herum verloren ihre Konsistenz; begannen sich aufzulösen. Und mit ihnen lichtete sich auch der Schleier in Atemus Kopf. Irgendwas lief hier gerade mächtig falsch...nein, irgendwas war mit ihm falsch. Irgendwas... Der Pharao stieß einen entsetzten Schrei aus und taumelte nach hinten. Er hatte doch nicht gerade wirklich...er wollte doch nicht... Doch ein Blick auf Seth bestätigte seine schlimmsten Befürchtungen. Er hatte es zwar nicht bis zum Äußersten kommen lassen und seinen Sklaven vergewaltigt, aber es hatte nicht viel gefehlt. Und der Schaden war bereits angerichtet. Er hatte jeden noch so kleinen Fortschritt, den er mit Seth in den letzten Tagen erzielt hatte, unwiderruflich zerstört. Ein zittriges, klägliches Bündel, mehr war Atemu nicht, als er immer weiter zurück kroch; immer weiter, bis er das Bettende erreichte; er seinen Rücken schmerzhaft gegen den metallgefertigten Bettpfosten stieß, der sich in sein Fleisch bohrte und seine Haut noch weiter erkalten ließ. Immer weiter…weiter. Eine Kälte, die sich bis in sein Innerstes vor fraß und dort jegliches Leben erstickte. Ein stetiges Summen in seinen Ohren, seine Fingerknöchel, die knackten, sein Kopf, so bleiern und schwer…er konnte kaum mehr einen Gedanken fassen. Alles war so verschwommen, so irreal…Vergeblich versuchte er noch, seinen zitternden Leib unter Kontrolle zu bringen, dieses eklige Gefühl in seinem Magen und das drückende in seiner Kehle zu ignorieren…sein schnelles, verzweifeltes Wippen einzustellen. Genauso wie das leise Wimmern, das seinem Mund entwich und von dem er erst nicht glauben konnte, dass es wirklich von ihm stammte… Ein Schatten fiel über ihm. Es war Seth, der sich langsam aufsetzte und auf ihn herabsah. Lächelnd. So kalt lächelnd…kalt…kalt…Atemu lachte heiser. Seths Worte verschwammen in seinem Kopf zu einem einzigen Wirrwarr. „Was ist denn, Atemu? Willst du nicht zu Ende bringen, was du angefangen hast?“ Seths Lächeln wurde noch breiter, prägte sich tief in Atemus Herz ein und vermischte sich dort mit Schmerz und Scham. Seth breitete seine Arme aus. Hilflos. Schutzlos. Und immer noch dieses Lächeln auf seinen Lippen. „Na los. Trau dich. Nimm mich. Töte mich. Was auch immer dir beliebt, oh mächtiger Pharao.“ Atemu sah ihn entsetzt an. Das war das erste Mal, dass Seth mit ihm sprach und dann solche Worte... „Tö...ten?“, wiederholte er leise. Seth nickte. „Ist es denn nicht das, was du möchtest? Wäre das nicht dein endgültiger Sieg? Erniedrigt und meinen Stolz gebrochen hast du doch schon. Und gerade wolltest du mich mit Gewalt nehmen. Jetzt ist nur noch eine Sache übrig. Los, Atemu, ich werde mich auch nicht wehren.“ „Nicht wehren...nicht...nein, ich will nicht. Ich...ich...“ Atemus blinzelte gegen Tränen, wollte dagegen ankämpfen, sich keine Blöße geben. Doch es half nichts. Seine Kehle brannte furchtbar, sein Körper bebte, sein Atem war harsch und abgehackt. Fest biss er sich auf die Lippen, versuchte mit aller Macht jeglichen Laut zu unterdrücken, konnte ein leises Schluchzen trotzdem nicht verhindern, konnte nicht verhindern, dass salzige Tränen über seine Wangen liefen, konnte nicht verhindern, dass er sich elendig zusammenkauerte, konnte nicht verhindern, dass er die Schuld in sich spürte, eine tiefe, alles zerfressende Schuld in seinem Inneren, die ihm immer wieder sagte, was er fast getan, was er angerichtet hatte, vor allem, was für ein Monster er war. Er fühlte sich müde. So unendlich müde... Seth indes sah ihn nur mitleidslos an, bedachte ihn mit einem Blick, der Atemu frösteln ließ. Denn er sah Abscheu, abgrundtiefe Abscheu und wusste doch zugleich, dass er nichts anderes verdient hatte. Er schluckte ein paar Mal, band sich mit fahrigen, ungelenken Bewegungen seinen Schurz wieder um und...flüchtete. Er wollte nur weg. Nur weg von Seth und dem, was er fast getan hätte. Kapitel 9: Der Verdrängungsfaktor --------------------------------- Kapitel 9 – Der Verdrängungsfaktor Endlich in seinem eigenen Raum angekommen, hatte Atemu gerade noch genug Geistesgegenwart seine Diener und Wachen rauszuschicken, bevor er sich dem unkontrollierten Zittern hingab, das seinen ganzen Körper gefangen nahm. Der Schweiß rann ihm über die Stirn und er spürte Übelkeit in sich aufsteigen. Mit einem lauten Würgen übergab er sich schließlich bis seine Kehle schmerzte und er nur noch Galle schmeckte. Erschöpft sackte er auf die Knie, wischte sich mit einer Hand über den Mund und atmete schwer. Anschließend schleppte er sich mit letzter Kraft auf sein Bett und fiel sofort in einen traumlosen Schlaf. Als er am nächsten Morgen erwachte, stieg ihm als erstes der abscheuliche Geruch von altem Schweiß und Erbrochenem in die Nase. Er versuchte sich an den gestrigen Tag zu erinnern, doch sein Kopf war so merkwürdig leer... Auf einmal spürte er eine schwielige Hand auf seiner Stirn. Atemu kniff die Augen zusammen und versuchte angestrengt, etwas zu erkennen. „Ich bin es, mein König. Hori, Euer Leibarzt.“ Der Pharao nickte schwach. „Ihr habt ein hohes Fieber. Mahaado hier“, und Hori zeigte auf eine schemenhafte Gestalt zu Atemus linker Seite, „hat Euch heute Morgen in diesem Zustand gefunden.“ Atemu wollte seinen Kopf in Richtung seines Priesters drehen, aber seine Muskeln protestierten schmerzhaft gegen die Bewegung und ihm entfuhr ein schwaches Stöhnen. „Lasst mich Euch helfen“, bat Mahaado inständig und richtete ihn vorsichtig auf. Als nächstes fühlte der junge König wie ihm jemand den Kopf sachte in den Nacken legte und ihm den Mund öffnete, um ihm eine ekelhaft schmeckende Flüssigkeit einzuflößen, die er sofort wieder ausspuckte. „Ihr müsst das trinken“, sagte Hori ruhig und hielt ihm einen Becher mit einer gelblich schimmernden Brühe an die Lippen. „Was ist das?“, gelang es Atemu schließlich unter Mühen hervorzukrächzen. „Medizin, mein Pharao. Sie wird helfen, das Fieber zu senken und Euch Schlaf bringen.“ „Schlaf?“, echote Atemu erschöpft. „Ja, Schlaf klingt schön.“ Widerstandslos ließ er es zu, dass man ihm das Medikament eintröpfelte und schluckte es klaglos herunter. Dann verlor er wieder das Bewusstsein. Als er das nächste Mal erwachte, fühlte er sich wirklich klarer und besser. Auch der widerwärtige Gestank war verschwunden, was wohl hieß, dass zwischenzeitlich der Raum gesäubert worden war. Atemu richtete sich langsam auf und sofort war Mahaado an seiner Seite. „Seid Ihr wieder in Ordnung?“, wollte er sogleich besorgt wissen und der junge Pharao seufzte laut. „Natürlich. Aber sag, wie lange habe ich eigentlich geschlafen?“ „Zwei Tage. Ihr seid zwischendurch immer mal wieder vom Fieberwahn geschüttelt aufgewacht und wir mussten Euch beruhigen. Ich bin froh zu sehen, dass es Euch nun wieder gut geht.“ „Zwei Tage...“, wiederholte Atemu, tief in Gedanken versunken. Mahaado zögerte kurz, schließlich aber obsiegte doch seine Neugier. „Was ist nur passiert, Atemu? Die Diener haben mir erzählt, dass du vorgestern wie ein Irrer hier reingestürmt bist und sie alle rausgeworfen hast. Und vorher warst du wohl diesen Sklaven, Seth, besuchen. Hat das was mit ihm zu tun? Hat er dir was angetan? Soll ich ihn vielleicht in den Kerker werfen lassen? Atemu, nur ein Wort und ich...“ Der Pharao schüttelte den Kopf. Normalerweise hätte er sich so einen Tonfall von seinem Priester verbieten lassen, aber Mahaado machte sich ja wirklich bloß Sorgen um ihn und verdiente eine ehrliche Antwort. Davon mal abgesehen hatte Atemu momentan auch einfach nicht die Kraft für große Ausreden, wenngleich ihn die Betitelung als „Irrer„ doch ein wenig kränkte. „Ich weiß nicht genau, was passiert ist. Aber es war nicht Seths Schuld. Jedenfalls nicht direkt. Nein, ich habe irgendwas...Dummes gemacht, fürchte ich. Ich kann mich nur so schlecht erinnern...ich...“ Er packte sich müde an den Kopf. Sein Schädel brummte furchtbar. „Mahaado. Deine Mühe in allen Ehren, aber lass den Sklaven in Ruhe und auch ich möchte jetzt lieber ein wenig allein sein.“ Sein Priester wirkte darüber zwar nicht unbedingt glücklich, nickte jedoch gehorsam und verbeugte sich tief; nun wieder ganz auf das höfische Protokoll bedacht. „Wie Ihr wünscht, mein Pharao. Solltet Ihr meine Hilfe benötigen, dann lasst bitte jemanden nach mir schicken und ich werde sofort zu Euch eilen.“ Damit verließ er das königliche Gemach und Atemu atmete erleichtert aus. Er rappelte sich mühevoll aus seinem Bett und trottete auf den Balkon, wo er gedankenverloren den blauen Himmel betrachtete. Erst als die letzten Sonnenstrahlen schon lange verschwunden waren und sich die Kälte der Nacht ausbreitete und Atemu frösteln ließ, begab er sich zurück in sein Gemach, wo eine Dienerin schon vor einer ganzen Weile ein Tablett mit Essen abgestellt hatte. Wasser, etwas Honigbrot und Suppe aus Getreide, um seinen Magen zu schonen. Er hatte zwar keinen Appetit, zwang sich aber doch ein paar halbherzige Bissen zu sich zu nehmen. Auch Hori hatte in der Zwischenzeit nochmals nach ihm gesehen und, nachdem er die Stirn des Pharaos gefühlt hatte, zufrieden festgestellt, dass dieser schon fast völlig genesen war. Ansonsten hatte Atemu seine Ruhe gehabt, wofür er dankbar gewesen war. Und dennoch: Die ganze Zeit nur mit seinen düsteren Gedanken allein, um ihm Gesellschaft zu leisten, war eine seltsame Melancholie über ihn gefallen. Er glaubte nun zu wissen, warum ihm der genaue Verlauf von seinem Treffen mit Seth nicht mehr einfiel. Er hatte nicht vergessen. Er wollte sich nur nicht erinnern. Der König schnaufte in milder Resignation. Früher oder später würde er ja doch seinem Sklaven gegenüber treten müssen. Aber im Moment fühlte er sich einfach zu schwach dazu. Lustlos zupfte er das Brot auseinander und verteilte die Krümel auf dem Boden. Je länger er hier für sich alleine saß, umso deprimierter wurde er. Was er dringend brauchte, war Ablenkung. Er könnte eine der Haremsfrauen zu sich rufen lassen. Doch andererseits stand ihm nach Sex momentan so gar nicht der Sinn... Also blieb nur noch eins. Entschlossen eilte Atemu ins weitläufige Kellergewölbe des Palastes, wo sich auch seine neueste, liebste Freizeitbeschäftigung neben Seth, eine unterirdische Kampfarena, befand. --------- So, ich glaub, ein Nachwort tut Not (oder ich hör mich nur selbst gerne reden): Danke an alle Kommentatoren und sonstigen Leser, sowohl alte als auch neue ^^ Ich weiß, dieses Kapitel ist kurz und es passiert nicht viel, aber die nächsten beiden gleichen das wieder aus, denk ich mal. Okay, das gesagt: Wie unschwer zu erkennen war, hat das letzte Kapitel für einige Verwirrung bei manchen gesorgt. Deshalb: Keine Bange, ganz so schlimm lass ich euch nicht hängen. Kapitel 10 und 11 gehen noch näher auf das Vorgefallene ein, und zwar sowohl aus Atemus als auch aus Seths Sicht. Ich hoffe, dass es dann klarer wird. Ansonsten bin ich mal so frech und verweise auf Bastet_cats Kommentar, der so einige Zusammenhänge wunderbar kurz und knapp erklärt und ich glaub fast sogar besser als ich^^ Kapitel 10: Gefährliche Spiele ------------------------------ Kapitel 10 – Gefährliche Spiele Die beiden Gefangenen beäugten sich argwöhnisch; der eine dick, mit kleinen schwarzen Augen und gelblichen Zähnen; der andere noch recht jung, ängstlich und absolut unerfahren mit dieser Art des Kämpfens. So etwas wie das hier hatte er bei dem syrischen Sklavenhändler schließlich nie machen müssen. Unsicher starrte er von seiner schmalen Plattform aus in den mit Pfählen gespickten Abgrund unter ihm. Eines war klar, reinfallen sollte er da wohl besser nicht. Auf der gegenüberliegenden Seite der Arena also der Dicke, unter ihm der Abgrund und hinter ihm eine Wand, die aber zum hoch zum Raufklettern war. Das war nicht gut. Und selbst wenn er diese vermaledeite Mauer hochkäme, da oben würde er ohnehin gleich vom Pharao und dessen Wachen in Empfang genommen werden, die schon ungeduldig darauf warteten, dass der Kampf endlich anfangen möge. Der junge Sklave schnaufte leise. Wenn der Pharao so scharf darauf war, warum tat er es nicht von vornherein selber? Er jedenfalls würde gerne den Platz tauschen. Wie nur konnte er ein Monster rufen? So eins wie sein Gegner es hatte; diese riesige Spinne, die an der anderen Wand klebte und geduldig auf den Befehl ihres Herrn wartete. Wie nur?! Ohne ein eigenes Ka-Monster war er von vornherein dem Untergang geweiht… Plötzlich bleckte der Dicke sein spärliches Gebiss und sofort ging sein Monster auf den jungen Mann los, spie einen Giftpfeil, dem der syrische Sklave gerade noch ausweichen konnte, dabei aber unglücklich umknickte, sich auf der Plattform nicht mehr richtig festhalten konnte und in den Abgrund stürzte, seinem sicheren Tod entgegen. Atemu sog überrascht die Luft ein - mit so einem schnellen Ende des Kampfes hatte er nicht gerechnet - und der Dicke nutzte sogleich die Gelegenheit, befahl der Spinne einen weiteren Angriff, direkt auf den Pharao, der zu überrumpelt zum Ausweichen war… „Mein Pharao! Passt auf!“, schrie der Leibwächter entsetzt, bevor er sich zwischen das herannahende Geschoss und den König warf. Mit einem dumpfen Knall fiel der getroffene Wachmann schwer verletzt zu Boden, wo er vor Schmerzen laut aufkeuchte. Der tödliche Giftpfeil der Spinne hatte seine Schulter durchbohrt und das Gift breitete sich nun schnell in seinem Körper aus, rann durch seine Adern und zerstörte seine Zellen. Sein Körper fühlte sich an, als würde er innerlich verbrennen. Langsam streckte er eine zitternde Hand aus. „Bitte, mein Herr. He-helft mir, bitte. I-ich...“ Der Rest seines Satzes ging in einem grausam anmutenden Röcheln unter. Er fühlte etwas Feuchtes um seine Mundwinkel und lächelte bitter. Was bettelte er eigentlich noch um Hilfe? Er war schließlich kein dummes Kind mehr, dass bei jedem kleinen oder großen Wehwehchen nach seiner Mama schrie in der Hoffnung, dass sie alles wieder heil, alles wieder besser machte. Die ihm sagte, dass alles wieder gut werden würde und ihn tröstete. Und Pharao hin oder her. Auch Atemu konnte keine Wunder vollbringen, auch wenn jener dieser Aussage wahrscheinlich lautstark widersprochen hätte… Komischer Gedanke eigentlich, wenn einem sein eigenes Gewimmer in den Ohren pochte und der Körper vor lauter Schmerzen allmählich immer tauber und steifer wurde. Aus den Augenwinkeln sah er, wie sein Pharao einen nahe stehenden Aufseher heranwinkte, der sich vorsichtig neben ihn kniete und seine Wunde begutachtete. Noch einmal versuchte er zu sprechen, doch das Atmen viel ihm schwer und ihm gelang nicht mehr als ein unverständliches Gekeuche. Er konnte nicht mehr richtig schlucken, nicht mehr richtig sehen. Speichel lief über sein Kinn, mischte sich mit ausgespucktem Blut und bildete eine klebrige Substanz. Er spürte, wie er langsam aber sicher das Bewusstsein verlor und sein letzter, wacher Gedanke, bevor ihn die Dunkelheit gefangen nahm, war „Ich sterbe“. „Ist er tot?“ Atemus Stimme hallte durch den großen Raum und klang selbst für ihn erschreckend kalt und hohl. Nicht etwa, weil ihn das Schicksal des Mannes zu seinen Füßen unberührt ließ, sondern weil er noch unter Schock stand. Zumindest war es das, was er inständig hoffte und das nicht nur zu seinem eigenen Wohl. Der Aufseher schüttelte bedächtig den Kopf. „Nein, noch nicht ganz. Aber fast. Seine Atmung ist schwach und sein Puls...ich...ich kann ihn kaum noch fühlen. Er wird nicht überleben.“ „So...?“ Der Pharao unterdrückte ein Seufzen. Ganz nüchtern betrachtet gab es eigentlich keinen Grund für Trübsinn. Der Wachmann hatte seine Pflicht erfüllt. Er hatte seinen König gerettet und die Götter würden ihn für seine Tat belohnen. Aber irgendwie...irgendwie... Entschlossen straffte Atemu seine Schultern. „Bring ihn zu meinem Leibarzt. Der soll zusehen, was er noch für ihn tun kann. Vielleicht hat er ja ein Gegengift“, wies er den Aufseher schroff an, der knapp nickte und achtsam seinen sterbenden Kameraden fort trug. Der Pharao machte sich keine Illusionen. Seine Wache würde nicht überleben. Seine Anweisung gerade diente mehr dazu, sein Gewissen zu beruhigen, als dass er wirklich glaubte, dass es noch Rettung für den Mann gab. Der Mann... Bakmut. Ja, das war der Name des Mannes gewesen. Ein gut ausgebildeter Soldat, der von Atemu vor einigen Wochen zu seiner persönlichen Leibwache befördert worden war. Eine verdammt kurze Karriere, wie der Pharao in einem jähen Anflug von Wahnsinn rau lachend bitter feststellen musste. Er befand sich immer noch in der unterirdischen Kampfarena. Mahaado hatte ihn vor gar nicht allzu langer Zeit gefragt, was er mit den ganzen Sklaven, die ein Ka in sich trugen, beabsichtigte. Atemu war ihm eine Antwort schuldig geblieben; wollte er doch nicht, dass Mahaado, mehr noch, dass überhaupt einer seiner Priester wusste, was er hier tat. Er war ihnen nicht Rechenschaft schuldig, aber die Enttäuschung in ihren Augen hätte er einfach nicht ertragen können. Enttäuschung darüber, wie selbstsüchtig er war. Enttäuschung darüber, wie wenig ihm Menschenleben, außer seinem eigenen, bedeuteten. Enttäuschung darüber, dass er nicht mehr war, wie sein Vater. Aknamkanon, der große, von allen geliebte Pharao. Etwas, was Atemu niemals für sich zu erreichen glaubte. Seine Priester nahmen an, er wolle das Ka aus den Körpern der Gefangenen extrahieren und in Steintafeln bannen, so dass es zukünftig keinem Menschen mehr würde schaden können. Die Wahrheit aber war eine andere, wenngleich Atemu sehr wohl wusste, dass diese nicht unbedingt richtig und schon gar nicht rühmlich war. Gefangene bis zum Tode gegeneinander antreten zu lassen, war schließlich nicht unbedingt das Aushängeschild eines guten Pharaos. Trainiert wurden besagte Gefangene jedenfalls nicht; hätte dies doch ein unnötiges Risiko für den Pharao bedeutet. Sklaven durften nicht zuviel Macht bekommen, denn das vernebelte ihren Verstand und ließ sie größenwahnsinnig werden. Außerdem wäre ein Training sowieso von vornherein überflüssig gewesen; die Todesangst der Männer allein reichte schließlich schon aus, um ihre Monster zu rufen und diese gingen im Allgemeinen auch ohne viel Ansporn aufeinander los. So oder so, es war jedes Mal ein Riesenspektakel und bestens dazu geeignet, den Pharao für eine Weile jegliche Sorgen oder Ärger vergessen zu lassen und das besser, als jeder noch so erlesene Wein, jede noch so schöne Frau oder jeder noch so willige Liebessklave es jemals vermocht hätte. Zumindest dann, wenn alles planmäßig lief, was heute leider nicht der Fall gewesen war. Das war auch dem Dicken klar, der nun in freudiger Erwartung feixte. „Na, Hoheit! Wollt Ihr auch mal?“, rief er laut, sein Gesicht zu einer bösartigen Fratze verzerrt. „Noch läuft der Kampf und steht das Ende aus! Also, was meint Ihr, mein wertes Pharaönchen?“ Atemu antwortete ihm nicht. Stattdessen legte sich ein feines, kleines Lächeln auf seine Lippen. Er hatte es schon immer gewusst. Zuviel Macht machte seine Sklaven eingebildet und ließ sie aufmucken. Zu dumm nur für den Dicken, dass er weit weniger stark war, als er sich selbst gern einreden wollte. „Und es wird mir eine Freude sein, ihm dies auch zu beweisen. Ja, mein Dickerchen. Es ist wirklich Zeit für ein Ende. Und zwar eines, was dir garantiert nicht gefallen wird!“ „GEFLÜGELTER DRACHE!“ Atemus Drache erschien augenblicklich; seine blaue Haut glitzerte leicht in dem warmen Licht der Fackeln, welche die Arena schwach beleuchteten; sein Maul war weit aufgerissen und bereit zum Angriff. Der Pharao erlaubte sich ein selbstgefälliges Grinsen. Dem Dicken stand die Panik praktisch ins Gesicht geschrieben. „Ah, magst nicht mehr länger den starken Mann spielen, was? Aber wolltest du denn nicht unbedingt gegen mich kämpfen?“, wisperte der junge König spöttisch, seine Stimme so leise und doch so klar und kräftig, dass sie fast unwirklich erschien. „Nur zu! Keine falschen Hemmungen! Oder kannst du nur große Töne spucken, huh? Es sind keine Wachen mehr da... nur du und ich. Ja, nur du und ich.“ Der Dicke leckte sich nervös über seine wulstigen Lippen. „Du hältst dich wohl für besonders toll, was? Aber wie bewährst du dich in einem echten Kampf? Wollen doch mal sehen, wer hier große Töne spukt, mein werter Winzling von GEBIETER!“ Damit ging alles ganz schnell. „GREIF AN! TÖTE IHN! TÖTE DEN PHARAO!“ Sein Spinnenmonster gehorchte prompt, sprang geschickt zwischen den Wänden der Arena hin und her, versuchte den Drachen zu rammen und spuckte dabei ihr Gift. Doch der geflügelte Drache wich geschickt allen Attacken aus, brachte dann mit einem kräftigen Flügelschlag die Plattform ins Schwingen, auf der der Dicke stand und sich gerade noch so festhalten konnte. Der Dicke wischte sich grinsend den Schaum vom Mund und verzerrte seine Gesichtszüge dabei noch grotesker; seine Augen den blanken Wahn widerspiegelnd. Er hatte den Verstand verloren. „GREIF AN! GREIF AN! TÖTE IHN! TÖTE! TÖTE!“ Erneut ging sein Spinnenmonster zum Angriff über, verschoss ihr tödliches Gift, ihren klebrigen Speichel; schaffte es, mit ihren Fäden den Drachen am Bein zu erwischen; schaffte es, mit ihren Giftpfeilen dessen Flügel zu streifen. Doch der Drache riss sich los, ignorierte seine Verletzungen. Es war nur ein Streifschuss; bedeutungslos und wirkungslos. Und nun war er an der Reihe. Er bleckte seine riesigen Zähne, spie sein Feuer, zerstörte so Stück für Stück die Ketten, welche die Plattform hielten, bis sich diese schließlich unter der Hitze und dem Gewicht bogen und zuletzt mit einem lauten metallischen Klang vollends rissen. Der Pharao war in Sicherheit; der Dicke nicht. Verzweifelt versuchte er sich noch festzuhalten, doch es half nichts. Kreischend fiel er in den Abgrund. Sein Monster aber reagierte schnell. Es wickelte seinen Herrn in lange Fäden, bremste seinen Sturz, verklebte das Netz mit den Wänden und bildete ein sicheres Geflecht, so dass sein Herr nicht weiter in die Tiefe stürzen konnte. Der Dicke lachte hämisch und Atemu hatte endgültig genug. Noch einmal befahl er den Angriff; diesmal auf das Spinnenmonster direkt; die einzige Festung, die zwischen ihm und dem Sieg stand. Der Drache erhob sich hoch in die Luft, brüllte seine Zustimmung, attackierte unermüdlich mit seinen Feuerstößen die Spinne, wich ihren Giftpfeilen geschickt aus, nutzte seine scharfen Krallen, um tiefe Wunden in ihren Körper zu reißen, ihre Beine zu brechen, ihre Augen zu blenden. Das Monster des Pharaos war schier übermächtig und mit jedem erfolgreichen Angriff des Drachen schwand auch die Kraft des Spinnendämons und mit ihr die Lebensenergie ihres Herrn. Nun griff der Drache das Netz an und setzte es in Brand. Und das Spinnenmonster konnte nichts mehr tun. Ein weiterer Feuerstoss, eine weitere Attacke mit den gefährlichen Klauen. Das Netz riss, die Spinne konnte sich nicht länger an der Wand festhalten; konnte keinen Gegenangriff mehr starten, konnte sich nicht länger schützen, nicht sich und auch nicht ihren Herrn. Gemeinsam mit ihrem Meister stürzte sie in den tiefen Abgrund; landete dicht neben dem Sklaven des Syriers, wurde ebenso wie dieser aufgespießt von den emporragenden Pfählen. Es war grotesk, aber noch während sich die Pfahlspitzen durch seinen Leib bohrten, glaubte der Dicke den syrischen Gefangenen lachen zu sehen. Wie er sich lustig machte darüber, dass der Dicke, sein Peiniger, nun den gleichen, erbärmlichen Tod wie er selbst fand... Wenn er noch dazu in der Lage gewesen wäre, dann hätte der Dicke lautstark geflucht. Atemu bekam davon nichts mit. Er atmete schwer; sein Brustkorb hob und senkte sich qualvoll mit jedem Atemzug. Sicher, er hatte es geschafft, hatte gewonnen, hatte auch nie den leisesten Zweifel daran gehabt. Aber damit, dass ihn dieser Sieg dennoch so unberührt, schlimmer noch, irgendwie so völlig leer ließ, hatte er nicht gerechnet. Er hätte Befriedigung angesichts der Niederlage des Dicken erwartet. Stattdessen fühlte er nur eine innere Kälte, die ihn äußer- wie innerlich frösteln ließ. Eine vertraute Kälte. Sein geflügelter Drache landete behutsam neben ihm und stupste ihn vorsichtig an, um zu sehen, ob alles in Ordnung war. Die Fürsorglichkeit des Monsters rührte Atemu und er streichelte dem Drachen leicht über die schuppige, raue Haut. „Das hast du gut gemacht. Danke“, flüsterte er schwach. Sein Ka-Monster grummelte zufrieden, bevor es in einem hellen Lichtblitz verschwand. Später würde Atemu sich vermutlich selbst für seine Worte rügen, aber für den Augenblick zumindest waren sie ehrlich gemeint. Er war seinem Drachen wirklich dankbar, auch wenn die rationale Seite seines Verstandes ihn unmissverständlich daran erinnerte, wie absurd es doch war, einem Monster, einem Ding Dankbarkeit zu zollen. Erschöpft fiel er auf die Knie, stützte sich mit einer Hand auf dem Boden ab und rieb sich mit der anderen vorsichtig die Stirn. Er fühlte sich so fertig. Der Kampf war keine Herausforderung gewesen. Nein, es war etwas anderes. Das hier war keine körperliche Erschöpfung. Es war seine Seele, die müde war. Betrübt legte er den Kopf in den Nacken und starrte ins Leere. Seth fiel ihm wieder ein; das Bildnis eines weiteren, aufmüpfigen Sklaven, der ihn nicht ernst nahm... Er wusste, dass es eine dumme Idee war. Er wollte Gesellschaft und Trost und Seth war dafür denkbar ungeeignet. Das hatte der Junge schon oft genug bewiesen. „Abneigung. Hass. Vielleicht verdiene ich es nicht anders. Aber, im Endeffekt spielt auch das keine Rolle. Seth oder irgendwer anders. Sie verachten mich alle. Nein... es spielt wirklich keine Rolle. Zumindest weiß ich bei Seth, woran ich bin. Keine hohlen Gesten; keine heuchlerischen, bedeutungslosen Worte und Lügen, wie bei allen anderen...“ Er wusste, dass das nicht ganz fair von ihm war. Mahaado verachtete ihn nicht, aber auch er war mit seinen Methoden oft nicht einverstanden. Und dennoch, letztlich führte er jeden von Atemus Befehlen aus, selbst wenn sie noch so sehr gegen seine persönlichen Prinzipien verstießen. Nur, um dem Pharao zu gefallen. War nicht auch das verlogen? Und Aknadin? Aknadin war alt. Er hatte keine Angst vor dem Tod und den Zorn des Königs. Er kritisierte ihn offen. Aber trotzdem, sogar Aknadin beugte sich letztendlich immer dem Willen des Pharaos. War nicht auch das eine Lüge? Atemu zwang sich zu einem halbherzigen Lächeln. Nein, Seth war wirklich keine gute Gesellschaft. Sie würden nur wieder aneinander geraten bis er sich vor lauter Frust zu irgendeiner Dummheit hinreißen ließ. Aber war nicht sogar das besser, als hier auf dem kalten Boden zu hocken und im Selbstmitleid zu zerfließen? Außerdem...wollte er jetzt einfach nicht alleine sein. ---------- So, also die Sache mit der Kampfarena ist übrigens aus dem Ägypten Arc von YGO geklau...äh, geborgt. Der syrische Sklave stammt aus Kapitel 1, Mahaados kurz erwähnte Frage aus Kapitel 2. Ansonsten werden die Kapitel jetzt zunehmend länger; zwar nicht alle, aber viele. Deshalb meine Frage: Ist ein Hochladerythmus einmal die Woche okay oder sind zwei Wochen Wartezeit bei Kapiteln dieser Länge besser? Kapitel 11: Reue und Neuanfänge ------------------------------- Kapitel 11 – Reue und Neuanfänge Leise öffnete der Pharao die schwere Flügeltür. Wenn möglich wollte er vermeiden, dass Seth ihn sah, bevor er Seth lokalisieren konnte. Seinen kümmerlichen Erinnerungsfetzen nach zu schließen, hätte es ihn nämlich nicht gewundert, wenn sein hübsches Spielzeug mit einer Vase bewaffnet hinter der Tür lauerte und nur darauf wartete, sie ihm kräftig über den Schädel zu hauen. Und seinem Kopf ging es doch wahrlich schon schlecht genug. Vorsichtig trat er nun ganz in den Raum, den er aber zu seiner gelinden Überraschung leer vorfand. Wo war der Junge? Suchend blickte Atemu sich um. Ah ja, da war er. Seth saß auf dem Boden neben seinem Bett, rührte sich nicht und gab auch keinen Ton von sich, weswegen er leicht zu übersehen war. Langsam kam der Pharao näher. Der junge Sklave hob den Kopf, um seinen Besuch näher in Augenschein zu nehmen und sobald er sah, wer sich ihm da näherte, änderte sich der Ausdruck in seinem Gesicht von kaum verhohlener Neugierde zu einer defensiven, fast ausdruckslosen Miene. Der Pharao presste enttäuscht seine Lippen aufeinander. „Nur keine Freudensprünge, Seth. Sonst käme ich am Ende noch auf den Gedanken, du würdest mich mögen...“ Immer noch schwer verstimmt setzte er sich auf das Bett, von wo aus er seinen Sklaven bestens beobachten konnte. Seth ließ sich davon nicht stören; hielt lediglich den Kopf gesenkt und weigerte sich hartnäckig, Atemu auch nur eines weiteren Blickes zu würdigen. Statt mit dem Pharao beschäftigte er sich lieber mit einer Rolle Papyrus, die er vermutlich irgendwo im Zimmer gefunden haben musste. Atemu verdrehte die Augen. Was der Bengel mit der Schriftrolle wollte, ging ganz klar über seinen Horizont; bezweifelte er doch stark, dass der Junge überhaupt lesen konnte. Vielleicht betrachtete er sich ja die hübschen Hieroglyphen... Mit einem Mal blinzelte der Pharao verwirrt. Wurde da gerade tatsächlich eine alte Schriftrolle seiner Wenigkeit vorgezogen oder bildete er sich das bloß ein? Nein, definitiv keine Einbildung. Atemu spürte die ihm wohlbekannte Wut in sich aufsteigen; zwang sich aber zur Ruhe. „Na fein, soll er doch so tun, als wäre ich nicht da. Mir doch egal. Einen Pharao bringt schließlich nichts so leicht aus der Fassung. Ich hatte es schon mit ganz anderen Kalibern zu tun. Und am Ende bin ich noch aus jeder Schlacht siegreich hervorgegangen. Pseudo-stumme Sklaven sind ein Nichts dagegen. Abgesehen davon...so kann ich ihn wenigstens in Ruhe beobachten. Genau, ich muss nur das Positive an der Sache sehen. Macht das Leben doch gleich viel angenehmer.“ Also fuhr er mit seiner Seth-Rundum-Inspektion ungestört fort. Besonders gelegen kam ihm dabei dessen dünnes Leinengewand, das Arme und Beine freiließ und auch sonst nicht wirklich viel verhüllte. Atemu grinste. „Umso besser.“ Sein Blick wanderte ungeniert von den schlanken, leicht angewinkelten Beinen aus zu den Schenkeln, hinauf zu der Brust und immer weiter bis er schließlich bei Seths Gesicht angekommen war. Dieser hatte offensichtlich erst vor kurzem gebadet, denn seine Haare waren noch ganz feucht und hingen ihm wirr ins Gesicht. Atemu gab ein unzufriedenes Grummeln von sich. Für seinen Geschmack waren Seths Haare viel zu lang. Da bestand eindeutig noch Nachholbedarf. Zum Trost konzentrierte er sich als nächstens auf die blassen, zarten Lippen, die gerade Nase, die makellose, glatte Haut, die wirklich schmerzhaft aussehende, rötlich schimmernde Schwellung unter Seths rechtem Auge, die ihm zuerst gar nicht aufgefallen war... Atemu zuckte unmerklich zusammen. Das sah wirklich übel aus. Gerne hätte er sich eingeredet, dass es dafür eine ganz simple, harmlose Erklärung gab. Eine wie ‚Oh das? Nicht weiter tragisch. Ich bin bloß gegen die Tür gerannt’ oder so was in der Art. Irgendeine simple, harmlose Erklärung... „Nein, keine harmlose Erklärung. Sondern etwas anderes; etwas, was ich zu verschulden habe. Nur ich, keiner sonst.“ Seine Hände verkrampften sich. Er konnte nicht mehr länger so tun, als ob nichts gewesen wäre. Er musste sich eingestehen, dass er einen Fehler begangen hatte, und zwar einen gewaltigen. Er war sauer auf Aknadin gewesen; weil der aber nicht greifbar gewesen war, hatte er seine Wut an Seth ausgelassen. Atemu biss sich schmerzhaft auf seine Zunge. Der Ärger mit dem ausbleibenden Regen; der Stress, ohne seinen Wesir Shimon, der ihn sonst immer vorbehaltlos unterstützte, regieren zu müssen; das ständige Misstrauen von Aknadin und einem Teil seiner Minister; der Druck, so jung Pharao zu sein… Es war einfach alles zu viel geworden; hatte sich wie ein gigantischer, brodelnder Klumpen in seinem Inneren angesammelt, der nur darauf wartete, bei der kleinsten Gelegenheit ausbrechen zu können. Und Seth war der Leidtragende gewesen; seine Ohrfeige der Auslöser für alles, was danach gefolgt war. Atemu hatte völlig die Beherrschung verloren, hatte die Macht seines Millenniumspuzzles gegen seinen Sklaven eingesetzt, ihn bewegungsunfähig gemacht, ihn geschlagen und...Schlimmeres. Und wenn Seth nicht plötzlich aufgehört hätte, sich zu wehren, wenn er weitergekämpft und Atemus Zorn dadurch noch weitere Nahrung verschafft hätte, was wäre dann wohl passiert? Wie weit wäre er in seiner Wut gegangen? Wäre er dazu fähig gewesen, den Jungen zu töten? Der Gedanke ließ Atemu innerlich vor Angst erzittern. Äußerlich jedoch blieb er kalt. „Nun, diese, uh, Schwellung da. Hat sich das schon mal jemand angesehen? Wurde die Wunde gekühlt? Oder vielleicht eine Heilsalbe? Ich meine...“ Seth funkelte ihn böse an und Atemu stockte augenblicklich. Dann jedoch knirschte er verärgert mit den Zähnen. So einfach ließ sich ein Pharao schließlich nicht den Mund verbieten. „Okay, du bist sauer. Fein, wenn es dir Spaß macht, bitte. Aber lass dir eins gesagt sein: Es ist deine eigene Schuld. Alles, was ich wollte, war eine einfache Antwort von dir. Du hättest dich mir nicht widersetzen dürfen. Dann wäre ich nicht ausgerastet und hätte dich folglich auch nicht...ah...disziplinieren müssen. Ich bin mir keiner Schuld bewusst!“ Der Gesichtsausdruck des Sklaven verfinsterte sich nur noch mehr. „Starr mich nicht so an, Seth! Es ist deine EIGENE SCHULD!“, brüllte der Pharao aufgebracht, von Gewissensbissen geplagt und doch zu stolz, um seinen Fehler zuzugeben. „DEINE EIGENE VERDAMMTE SCHULD!“ Ab diesem Punkt hätte Seths Blick sicherlich jeden gestandenen Mann in die Flucht getrieben. Zum Glück für Atemu war er aber mehr als nur das. Er war Pharao. Hitzig hielt er den durchdringenden Augenkontakt; wild entschlossen, nur nicht nachzugeben. Doch je länger dieser gegenseitige Anstarrkontest dauerte, umso mehr meldete sich Atemus schlechtes Gewissen. „Wieso kann ich mich nicht einfach bei ihm entschuldigen? Eine einfache Entschuldigung...und Seth hätte eine mehr als nur verdient. Also wieso!?“ Und doch, er brachte es nicht über sich. Er konnte es einfach nicht. Frustriert ballte er die Fäuste. Ein Pharao war niemals im Unrecht; er, Atemu, war niemals im Unrecht. Denn er stand über diesen Dingen. Und damit gab es auch nichts, was ihm hätte Leid tun müssen. „Oder stimmt das etwa nicht?“ In einer Mischung aus Wut und Unvernunft stürzte er sich mit einemmal auf Seth. Doch dieser sah es kommen und noch bevor Atemu ihn packen konnte, hatte er sich auch schon zur Seite weggerollt, trat einige Schritte nach hinten und damit in Sicherheit. Dann verschränkte er seine Arme vor der Brust und betrachtete mit einer Mischung aus Hohn und Spott den ob des missglückten „Angriffs“ nun auf dem Boden liegenden, leise ächzenden Herrscher Ägyptens. Dieser rappelte sich mühsam hoch, rieb sich sein schmerzendes Kreuz und krabbelte vorsichtig zurück auf das Bett. Dort saß er einige Minuten ganz still, bevor er schließlich seinen Sklaven ernst ansah. „Ich schätze, wir beide hatten einen schlechten Start miteinander, woran ich, zugegebenermaßen, nicht ganz unschuldig bin. Also schlage ich dir folgendes vor: Wie wäre es, wenn wir vergessen, was bis hierhin vorgefallen ist und stattdessen noch mal von vorne anfangen? Was meinst du?“ Zu seinem Leidweisen und großen Enttäuschung verweigerte Seth ihm wie üblich eine Antwort. „Gut, du willst nicht mit mir reden. Ich verstehe zwar nicht, warum das so ist, aber gut. Aber zumindest Nicken könntest du doch, oder?“ Keine Reaktion. Seth rührte sich einfach nicht und zu Atemus Enttäuschung mischte sich nun auch noch aufkommende Verzweiflung. Vielleicht wäre es das Beste, wenn er einfach gehen und den Jungen in Ruhe lassen würde... „Nein, so schnell gebe ich nicht auf.“ „Hey, ich versuche hier einen Neuanfang. Du könntest mir ruhig ein bisschen entgegenkommen, denkst du nicht? Und wenn dir das nicht genug ist, was dann? Was soll ich tun?“ Seth sah ihn weiterhin nur stumm an. Sein Blick war nun nicht länger spöttisch, sondern glich wieder einer ausdruckslosen Maske; ganz so, als ob sogar eine Emotion wie Schadenfreude an Atemu einer Verschwendung gleichkam. Ganz so, als ob der Pharao noch nicht einmal das wert war. Atemu konnte fühlen, wie sich sein Körper verkrampfte und sich seine Fingernägel schmerzhaft in seine Handballen bohrten. „Wieso redest du nicht mit mir?“ Wieder keine Antwort. Nicht, dass der König wirklich eine erwartet hätte. Einige Herzschläge lang schloss Atemu müde die Augen; versuchte, sich wieder zu fangen, zu entspannen. Dann blickte er Seth nachdenklich an. Er hatte sich geirrt. Seths Mimik war nicht ausdruckslos. Man musste nur wissen, worauf man zu achten hatte. „Du hasst mich, nicht wahr?“, fragte er schließlich leise, obwohl er die Antwort bereits zu kennen glaubte. Atemu konnte ihm keinen Vorwurf machen; er hatte ihm mehr als genug Gründe dafür gegeben. Oh ja, sein kleines Spielzeug hasste ihn. Er konnte es sehen an dem abweisenden Blick, dem störrisch vorgestreckten Kinn; dem Ausdruck in diesen tiefblauen Augen, in dem Seths Verachtung für ihn deutlich erkennbar war. Der junge König lachte bitter. Es überraschte ihn nicht, und doch...und doch fraß sich diese Gewissheit wie ein widerlicher Wurm bis zu seinem Herzen vor, erstickte dort jegliches Gefühl und hinterließ nichts außer einer dunklen, tiefen Leere. Er schluckte schwer und versuchte seine Hände, die unkontrolliert zitterten, unter Kontrolle zu bringen. „Ich werde mir keine Blöße vor ihm geben. Nicht noch einmal. Ich bin immer noch der Pharao. Die Inkarnation der Götter auf Erden. Der höchste und mächtigste Mann im Reich...und Seths Meinung ist letztendlich unbedeutend! Dann soll er mich halt hassen! Was kümmert es mich?! Er ist schließlich nicht der Erste, der so empfindet und mit Sicherheit auch nicht der Letzte. Es ist völlig egal!“ Nur so egal, wie er es sich selbst gerne einreden wollte, war es ihm scheinbar doch nicht. Sein Gesicht spiegelte jedenfalls eine Unsicherheit und Enttäuschung wider, die sofort Seths Interesse geweckt hatte. Und Atemu erkannte eine neue Gemütsbewegung seines Sklaven... „Neugierde. Neugierde und Hass. Mehr fühlst du für mich nicht. Ist es nicht so, Seth?“ Mit Mühe beendete Atemu seine unschönen Gedankengänge, schulte seine Gesichtszüge in eine, wie er hoffte, neutrale Maske und wandte seine Aufmerksamkeit wieder seinem störrischen Sklaven zu. Er konnte Seths Augen immer noch auf seinem Gesicht ruhen fühlen; wie sie ihn studierten und jede Emotion in sich aufsaugten. Und Atemu wusste, dass er seinen kurzen Moment der Schwäche noch bitter würde bereuen müssen. Wie auch alles andere, was bis dato zwischen ihnen vorgefallen war. Doch diesmal war es anders, denn er war nicht mehr der mächtige, unfehlbare Pharao. Er hatte Gefühle gezeigt, nein, nicht nur Gefühle, was an sich schon schlimm genug gewesen wäre, aber was für Gefühle, das war das Problem. Er hatte Unsicherheit, Trauer, er hatte Angst gezeigt und damit seinem Sklaven Angriffsfläche geboten. Er zwang sich, Seths Blick noch einen Herzschlag länger zu erwidern. Wartete auf ein Wort, auf eine Reaktion. Auf irgendetwas. Doch Seth blieb stumm und zeigte auch sonst keine Regung. Bis auf diese verdammte Neugier. Der König blies enttäuscht einen Schwall Luft aus, bevor er sich abwandte, um zu gehen. „Er ist zwar auf mein Angebot eines Neuanfangs nicht eingegangen, aber davon werde ich mich sicherlich nicht entmutigen lassen. Dann werde ich ihm eben beweisen müssen, dass es mir ernst ist!“ „Nun, so erfrischend wie diese ...Unterhaltung auch war, ich habe leider, leider noch wichtige Amtsgeschäfte zu tätigen und kann mich nicht länger mit dir befassen. Zumindest nicht für den Moment. Ich werde dir aber jemanden schicken, der sich diese Schwellung da in deinem Gesicht mal ansehen soll. Außerdem wünsche ich dir eine angenehme Nachtruhe.“ Atemus Stimme war ruhig und klar. Langsam ging er Richtung Ausgang; dort angekommen zögerte er jedoch kurz und drehte sich noch einmal zu seinem Sklaven um. „Es tut mir leid, Seth“, flüsterte er schließlich ehrlich, bevor er endgültig aus dem Raum trat und die Tür hinter sich schloss. Und zurück blieb ein Sklave, der ihm gedankenvoll nachblickte. ----------- Wäahh! Tut mir leid. Ich weiß, ich hatte gesagt, dass sich Kapitel 11 mit Seths Sicht der Dinge befasst, aber irgendwie hat sich Atemu doch schon wieder in den Vordergrund gedrängt. War doch erst Kapitel 12, wo Seth endlich mal mehr ins Rampenlicht rückt >_< Ähm, ja. Davon aber mal abgesehen: Danke für die lieben, tollen Kommentare bisher^^ Ach, und es hat zwar niemand behauptet, aber ich möchte trotzdem mal anmerken, dass Atemu nicht "dumm" ist. Er ist nur ein wenig übereifrig ^^° Kapitel 12: Schritt für Schritt ------------------------------- Kapitel 12 – Schritt für Schritt Zum wiederholten Male wanderte Seth nun schon durch sein Gemach. Er hatte das Gefühl, als ob er bereits jeden Winkel auswendig kennen würde, was vermutlich sogar der Wahrheit entsprach. Etwas über einen Monat war er nun schon beim Pharao und von seinem Abstecher ins königliche Verlies und seine kleine Partyerfahrung mal abgesehen, war er die ganze Zeit über in diesem Raum eingesperrt gewesen. Er fühlte sich praktisch wie ein gefangenes Tier. Und dann gab es da noch etwas anderes; eine gewisse Nacht, die ihm, obwohl er sie zu verdrängen versuchte, in bestimmten Augenblicken immer wieder einholte. Seth atmete leise. Dieses Gefühl der Hilflosigkeit und seine eigene Schwäche. Es ließ ihn einfach nicht los. Er hatte sich nicht wehren können, so sehr er es auch versucht hatte. Selbst wenn der Pharao ihn nie wieder anrühren würde...was besagte das schon? Ganz gleich, ob irgendwelche Menschenhändler oder Atemu, im Endeffekt war er nur ein Sklave, dessen Leben in anderer Leute Hände lag. Fremde, die über ihn verfügten; die eine Macht innehatten, gegen die er nichts unternehmen konnte. „Macht. Eine Macht, die ich selber nie wieder besitzen werde; die Möglichkeit, über mein eigenes Dasein bestimmen zu können. Noch nie ist mir die Bedeutung dieses Umstands so deutlich vor Augen geführt worden, wie in jener Nacht.“ Seine Lippen verzogen sich zu einem leichten Lächeln. Im Grunde war es so einfach; er musste nur stärker werden, nichts mehr fühlen, nichts mehr hoffen... schon gar nicht mehr auf Freiheit. Immerhin, wer sich nichts mehr vom Leben, von den Menschen um sich herum versprach, der konnte auch nicht länger von ihnen enttäuscht werden. Alles, was er tun musste, war sich seine Schwäche, die Demütigungen, nicht nur einzugestehen, sondern sie auch zu akzeptieren. Alles, was er tun musste, war aufzugeben. Nur, wollte er das wirklich? Konnte er das wirklich? „Nein, ich werde nicht aufgeben. Niemals.“ Er seufzte leise. Vermutlich sollte er einfach nur darüber froh sein, dass er wider Erwarten noch so glimpflich davongekommen war, wiewohl es ihn trotzdem interessierte, warum der Pharao schließlich gestoppt hatte. Atemus Gesichtsausdruck zu der Zeit hätte ihm sicherlich Aufschluss darüber geben können, aber Seth hatte nur gemerkt, dass er sich plötzlich wieder bewegen konnte, dass der Pharao am Boden zerstört schien und weil Angriff nun mal die beste Verteidigung war, auch gleich damit begonnen, Atemu noch weiter zu provozieren. Endlich war er derjenige mit der Kontrolle gewesen; nicht mehr länger der Pharao und alleine diese einfache Tatsache hatte ihm klares Denken schlichtweg unmöglich gemacht und ihn aus reinem Instinkt heraus handeln lassen. Langsam ließ er sich auf das Bett sinken. Eigentlich sollte er sich am Pharao rächen wollen; ihn verabscheuen. Ihn hassen. Eigentlich sollte er sich nicht über Atemus nach der Beinahe-Vergewaltigung immer regelmäßiger werdenden Besuche freuen, auch dann nicht, wenn sie die einzige Abwechslung waren, die er überhaupt hier bekam. Eigentlich... Seine Augen schlossen sich, wurden immer schwerer. Sein Atem ging flach und sein Körper entspannte sich. Bald darauf war er auch schon eingeschlafen. Es war ein lautes Klappern, was ihn nur kurze Zeit später bereits wieder aus seinen Träumen riss. Erschrocken setzte er sich auf. Und sah Atemu. Dieser war gerade damit beschäftigt einen Beutel sowie ein Tablett voller Essen auf dem niedrigen Tisch neben Seths Bett aufzustellen und erwiderte den Blick seines Sklaven nun fast schon entschuldigend. „Guten Morgen. Ich...ah, ich wollte dich nicht aufwecken. Aber hier ist auch verdammt wenig Platz. Jedenfalls, sieh mal. Gebratene Wachtel, Brot, Obst und Wasser. Du hast die freie Auswahl...“ Auffordernd hielt er Seth das Tablett entgegen. Dieser grinste leicht. „Nicht aufwecken, huh?“ Bei dem Radau, den Atemu gerade veranstaltet hatte, war das schwer zu glauben, aber viel mehr beschäftigte Seth momentan ohnehin eher etwas anderes. „Er hat nicht versucht...“ Er presste seine Lippen aufeinander. Wenn er jemals so etwas wie Vertrauen zum König fassen wollte, dann musste er einfach wissen, ob... Sich ein kleines Stück Brot nehmend, kaute er bedächtig, rutschte schließlich etwas zur Seite, machte dem Pharao Platz, der die Einladung auch sofort annahm und sich neben ihn gesellte. Genauso, wie Seth erwartet hatte. In manchen Dingen war sein Möchtegern-Gebieter verdammt durchschaubar. Nur eben nicht in allen. „Ich weiß einfach nicht, was ich von ihm halten soll. Allein schon seine merkwürdigen roten Augen, die farblich so gar nichts Menschliches mehr an sich haben. Dämonenbrut, wie die Leute ihn zu nennen pflegen.“ Er verkniff sich ein Schnauben. „Abergläubische Idioten! Der Pharao ist sicherlich vieles, aber ein Dämon...das bezweifle ich doch stark. Trotzdem komisch, dass ich überhaupt über solche Dinge nachdenke..." ‚Du hasst mich, nicht wahr?’ Das waren Atemus Worte gewesen, gerichtet an seinen Sklaven, der ihm nicht hatte antworten wollen und können. Auch jetzt nicht. Aber das Seth dem Pharao eine Antwort schuldig geblieben war, hieß nicht zwangsläufig, dass er nie darüber nachgedacht hätte. ‚Du hasst mich, nicht wahr?’ Die Wahrheit, auch damals schon, war immer die Gleiche. Nein, Seth hasste ihn nicht; es gab Momente, in denen er den Pharao zutiefst verachtet hatte, es auch immer noch manchmal tat, doch Hass hatte er niemals gefühlt. „Nein, was ich wirklich hasse, sind die Gefühle, die diese Nacht in mir ausgelöst hat. Die Hilflosigkeit...und die Angst.“ Irritiert runzelte er die Stirn. „Ich wollte doch nicht mehr darüber nachdenken. Warum aber lässt mich diese Sache dann einfach nicht mehr los? Warum lässt mich Atemu nicht mehr los? Wieso kann ich nicht vergessen?“ Er gab einen leisen, missmutigen Laut von sich. Er begab sich hier auf gefährliches Terrain; das wusste er genau. Und dennoch... Der Schmerz in Atemus Augen, so kurz er auch gewesen war, war echt gewesen. Genauso, wie auch dessen Entschuldigung ehrlich gemeint war. Es war leicht den Pharao zu hassen, solange man ihn als das kalte, selbstgefällige Monster sah, als das er immer beschrieben wurde. Der Herrscher, der rauschende Feste gab, während das Volk vor den Palasttoren verhungerte. Der König, der sich lieber um sich selbst, anstatt um das Wohl seines Volkes kümmerte. Korrumpiert von seiner Macht, mit der er nicht umgehen konnte. Die Menschen hatten viele Bezeichnungen für ihren Pharao; eine abfälliger als die andere. Viele Geschichten, die sich um dieses...Kind... rankten, welches im Grunde noch zu jung und unerfahren für eine Position solchen Ausmaßes und solcher Verantwortung war. Und Seth hatte sie alle geglaubt. Hatte sie niemals angezweifelt und wusste, auch aus eigener Erfahrung, um ihren wahren Kern. Doch dass sogar Monster Gefühle hatten, das, tja das war ihm neu. Und es beunruhigte ihn. Entschlossen schluckte er das letzte Stück Brot hinunter. „Na schön. Zeit für ein kleines Experiment.“ Atemu hatte sein kleines Spielzeug so gut es ging ignoriert, sich stattdessen auf das Essen konzentriert, doch nun, wo Seth unvermittelt immer näher rückte, seinen Oberkörper gegen das Bein des Königs drückte und mit einer Hand über den Schoss des Pharaos hinweg zum Tablett griff, da konnte selbst der mächtige Herrscher Ägyptens sich trotz bester Vorsätze kaum mehr länger beherrschen. „Seth, was tust du...Aah!“ Atemus ganzer Körper versteifte sich, als sein Sklave sich nun auf die Seite legte, die langen Beine leicht angezogen, sein Kopf dicht gebettet neben Atemus Taille und die blauen Augen fest geschlossen. Atemus Hände zuckten. Zu gerne hätte er seine Finger über den Jungen gleiten lassen, hatte aber zugleich das unbestimmte Gefühl, dass jener nur darauf wartete. Und das nicht im positiven Sinne. „Ich werde mich nicht von der reinlegen lassen. Nicht von einem Sklaven. Das werde ich ganz bestimmt ni...uh...“ Plötzlich seufzte Seth leise. Seine Lippen leicht geöffnet, räkelte er sich etwas, wobei sein Gewand verrutschte und einen schlanken, äußerst verlockend aussehenden weißen Schenkel preisgab. Ob mit Absicht oder nicht, vermochte der junge Pharao nicht zu sagen. „Wieso habe ich ihm bloß nur so knappe Kleidung gegeben?! Mist, verdammt. Warum tut er das...?“ Sein Herz trommelte laut in seinen Ohren und sein Atem ging bedenklich abgehackt. Er hatte keine Ahnung, was er jetzt tun sollte. Was Seth jetzt von ihm erwartete. Aber er hatte so eine leise Vermutung. Seth derweil war seinerseits mindestens genauso angespannt wie Atemu selbst. Erst als er sich sicher war, dass Atemu auf alles starrte nur nicht ihn, öffnete er seine Augen ein Stückchen und drehte leicht seinen Kopf. Er konnte den Puls des Pharaos deutlich schlagen sehen, das nervöse Schlucken hören, die Hände erkennen, die sich immer mal wieder unruhig öffneten und schlossen. Am interessantesten fand Seth aber den leichten Rotschimmer um Atemus Nasenspitze und die verkrampfte Wangenmuskulatur. Den unsicheren Ausdruck in den Augen. Dämonen sahen definitiv anders aus. „So schwer fällt ihm das ganze also? Und trotzdem hat er nicht...Okay, Atemu. Ein Neuanfang also.“ Er richtete sich auf, schenkte Atemus kurzem, überraschtem Zusammenzucken keine Beachtung und zeigte stattdessen auf den Beutel des Pharaos, der immer noch unberührt auf dem Betttisch stand. Atemu wirkte für einen Moment ehrlich verwirrt, doch dann verstand er, griff in die kleine Tasche und förderte ein Spielbrett sowie einige Holzfiguren zutage. „Das nennt man Sennet“, erklärte er leise und sein Sklave nickte, nahm einen Spielkegel und drehte ihn nachdenklich zwischen den Fingern. „Wie geht das?“, erkundigte er sich endlich sachte. „Was?“ „Ich will wissen, wie man das spielt.“ Atemu starrte ihn perplex an, bevor sein Gesicht wieder bedeckter wurde. „Du redest ja mit mir“, war schließlich seine schlichte Feststellung, woraufhin Seth unbehaglich mit den Schultern zuckte. Unschlüssig fuhr Atemu fort: „Warum?“, war alles, was er wissen wollte und trotzdem betrachtete ihn sein Sklave ob der Frage lange. Seth hatte es gegenüber dem Pharao mit Gewalt, mit Ignorieren, mit stumpfem Gehorsam und offener Abneigung versucht. Die Ergebnisse waren allesamt niederschmetternd gewesen. Vielleicht sollte er etwas Neues probieren. So etwas wie Ehrlichkeit. „Weil du mich nicht angefasst hast. Nicht, als ich vorhin schlief und auch nicht, als ich mich neben dich legte. Darum.“ „Ah.“ Eine unangenehme Stille legte sich zwischen sie. Seth stierte nur stur zu Boden und Atemus Kopf raste vor Gedanken, von denen nur die wenigsten einen wirklichen Sinn ergaben. Schließlich atmete er tief aus. „Du möchtest die Regeln wissen? Gut, dann pass auf...“ Seth lernte schnell. Innerhalb kürzester Zeit wurde er zu einer echten Herausforderung für Atemu. Zwar war es ihm noch nicht gelungen, auch nur eine einzige Runde zu gewinnen und seine Frustration darüber war ihm merklich anzusehen, aber er gab nicht auf und wurde von Partie zu Partie besser. Und je knapper Atemus Siege wurden, umso mehr hellte sich auch das Gesicht des jungen Sklaven auf. Seine Augen strahlten in einem klaren Blau, seine Wangen nahmen einen leicht rötlichen Ton an und scheinbar völlig unbewusst begann er, an seiner Unterlippe zu knabbern. Atemu konnte sich nicht helfen. Er musste einfach starren. Das war für seine Konzentration zwar nicht gerade hilfreich, störte ihn momentan aber reichlich wenig. Seth hingegen passte dies weniger. Er rutschte unbehaglich ein Stückchen zurück und murrte lautstark. „Du solltest deine Augen besser auf dem Spielbrett lassen. Bisher konnte ich dich noch nicht schlagen, aber das wird nicht ewig so bleiben. Also streng dich an. Einen geschenkten Sieg will ich nämlich nicht.“ Atemu lächelte breit. „Von geschenkt kann nicht die Rede sein. Vielmehr ist es so, dass ich es bei deinem nicht vorhandenen Talent gar nicht nötig habe, mit vollem Einsatz zu spielen.“ „Nicht vorhandenes...?“ Seth betrachtete ihn beleidigt. Dann jedoch grinste er. „Gut, das ist deine Meinung. Wollen wir nicht mal sehen, was Wahres an ihr dran ist, hm?“ „Aber immer doch.“ Gekonnt setzte er seinen Spielstein, vereitelte so Seths Strategie und lehnte sich genüsslich zurück. Sein Sklave war zwar gut, aber so gut nun auch wieder nicht. Besagter Sklave jedoch erholte sich schnell von diesem Angriff. Seine Brauen waren in Konzentration gefurcht und wie üblich hingen ihm einige lange Haarsträhnen ins Gesicht. Der Anblick ließ eine merkwürdige Wärme in Atemu aufsteigen, die er nicht zuordnen konnte. Es war nicht Lust, denn das Gefühl kannte er. Es war etwas Neues, etwas Unbekanntes... Bevor er richtig darüber nachdenken konnte, hatte sich Seth auch schon entschlossen über das Spielbrett gebeugt, wendete mit einem geschickten Manöver das Blatt und brachte somit den Pharao zur Abwechslung mal in Bedrängnis. Fast schon unwirsch zwang Atemu seine Aufmerksamkeit auf das Spiel vor ihm zurück; zwang sich, es Seth nicht zu leicht zu machen. Und sein Sklave nahm die Herausforderung gerne an. Seine Züge wurden immer sicherer, seine Bewegungen immer lebhafter. Zum ersten Mal seit Atemu ihn kannte wirkte er wirklich jung, wirklich...glücklich. Und als es ihm schließlich doch noch gelang, eine Runde zu gewinnen, er Atemu selbstzufrieden angrinste und mit der Zunge schnalzte, da konnte Atemu sich erstmals eingestehen, dass manche Schlachten es wert waren, verloren zu werden. --------- So, sie reden miteinander. Hat ja auch nur zwölf Kapitel gedauert ^^°. Ich weiß, das Gespräch war ziemlich stockend, aber immerhin ist die Situation für beide noch Neuland. Jedenfalls: Ab jetzt können sie sich endlich verbal streiten und müssen nicht mehr länger versuchen, sich gegenseitig eine reinzuhauen (gut, ob sie sich dran halten ist ne andere Sache XD) Ach, und "Sennet" ist, soweit ich das in Erinnerung hab, so eine Art Strategiespiel, ähnlich wie Schach. Korrigiert mich, wenn ich mich irre. PS: Es wird zwar auch im Kapitel kurz erwähnt, aber zwischen diesem Besuch von Atemu und dem, wo er einen Neuanfang wollte, sind bereits einige weitere Treffen gewesen, die aber nicht weiter erwähnenswert sind (außer vielleicht, dass Atemu offensichtlich friedlich geblieben ist ^^). Kapitel 13: Über Fürsten und Priester ------------------------------------- Kapitel 13 – Über Fürsten und Priester Endlich kam auch Aknadin wieder aus seinem Tempel hervorgekrochen. Atemu hätte sich liebend gerne auf der Stelle mit ihm befasst, aber ausgerechnet an diesem Tag hatte er ein Treffen mit dem Gau-Fürsten Ankhmahor, der den Bezirk Theben verwaltete und nun aufgrund der Wasser- und Nahrungsknappheit ein Gespräch mit dem Pharao suchte. Atemu wusste nicht allzu viel über diesen Fürsten, nur, dass er ein kluger Mann im besten Alter sein sollte und aufgrund seines guten Aussehens und tadellosen Rufes ein sehr hohes Ansehen unter den Höflingen genoss. „Es ist mir eine Ehre, Euch endlich kennen zu lernen, mein Pharao. Mein Name ist Ankhmahor und ich freue mich, dass Ihr mich empfangen habt“, begrüßte ihn der Fürst ehrergiebig und senkte sein Haupt tief auf den Boden, bis Atemu ihm schließlich wieder erlaubte aufzustehen. „Nun, Ankhmahor. Man erzählt sich bei Hofe nur das Beste über Euch. Umso erstaunter bin ich, dass Ihr die lange Reise bis in meinen Palast auf Euch genommen habt, um eine Audienz bei mir zu ersuchen. Und dann über so ein Thema. Denkt Ihr etwa, ich wüsste nicht schon längst Bescheid und würde mein Möglichstes unternehmen? Auch ohne Eure Einmischung? Wollt Ihr denn wirklich so dringend mein Missfallen erregen?“, warnte Atemu schneidend und bedachte Ankhmahor mit einem kalten Blick. Dieser war zwar etwas verwirrt über den offenkundigen Unmut des Pharaos, aber er war mit einem bestimmten Ziel hierher gekommen und wollte deswegen nicht so schnell aufgeben. Und wenn er vor dem König auf dem Boden rumrutschen und ihm die Füße küssen müsste; auch wenn er vielleicht später für seinen Frevel ausgepeitscht werden würde, das hier wollte er jetzt durchziehen. „Nichts liegt mir ferner. Aber die Umstände ließen nun mal keine andere Möglichkeit zu. Ich habe mit einigen der anderen Gaufürsten gesprochen und wurde von ihnen zu ihrem Sprecher erwählt. Vielerorts neigen sich die Nahrungsvorräte ihrem Ende zu oder sind bereits erschöpft. Das Volk hungert. Deshalb bin ich zu Euch gekommen. Die Menschen brauchen Essen, mein Pharao, und ich bitte Euch inständig, uns mit den Vorräten des Palastes zu unterstützen. Schon jetzt gibt es viele Tote zu beklagen. Vor allem kleine Kinder und Alte fallen dem Hunger leicht zum Opfer. Auch das Vieh stirbt und in einigen Dörfern, wo die Leichen, ob Mensch oder Tier, nicht schnell genug bestattet werden konnten, ist es zum Ausbruch von Seuchen gekommen. Ihr seid der Pharao. Ihr tragt Eurem Volk gegenüber eine Verantwortung...“ „GENUG JETZT!“, donnerte Atemu mit einemmal los und Ankhmahor ließ sich schnell demütig auf den Boden fallen. „Wagt es nicht...“, stieß der Pharao mühsam beherrscht hervor, „Wagt es nicht noch einmal euch mir gegenüber so respektlos zu verhalten. Ich kenne meine Verantwortung. Ich kenne meine Pflichten. Ich habe es nicht nötig, mich von einem dahergelaufenen Gaufürsten belehren zu lassen! Vergiss nie, wer hier vor dir steht, Ankhmahor. Das nächste Mal lasse ich dich für deine Frechheit büßen. Also wähle deine nächsten Worte mit Bedacht.“ Der Angesprochene nickte gehorsam. „Ich verstehe, mein Pharao. Und ich entschuldige mich für meine Worte. Ich wollte nicht anmaßend wirken. Bitte verzeiht mir. Und ich danke Euch für Eure Großzügigkeit, mir meine Unachtsamkeit nochmals nachzusehen. Es wird nicht wieder vorkommen. Dennoch, das Problem bleibt dasselbe.“ Atemu seufzte. Dieser Fürst war wirklich hartnäckig. Aber vielleicht... „Ihr habt vorhin nur von ‚vielerorts’ gesprochen. Aber wie ist es denn um die Vorräte Thebens, um Eure eigenen Vorräte bestellt?“, fragte er lächelnd und Ankhmahor zuckte tatsächlich zusammen. Ihm schwante nichts Gutes und nur mit Mühe überwand er sich schließlich zu einer Antwort. „Unsere Speicher sind noch bis zur Hälfte gefüllt. Wir haben rechtzeitig genug Getreide und Wasser eingelagert und waren sehr umsichtig mit der Verteilung. Im Handel mit anderen Provinzen konnten wir auch einige unserer Waren, vor allem diverse Holzschnitzereien oder auch Schmuck, gegen Nahrung eintauschen. Theben hat sich bemüht, so gut es eben ging, auch die umliegenden Dörfer und anderen Gaue zu unterstützen. Doch lange wird das nicht mehr so gehen können. Auch wir werden bald an unsere Grenzen gelangt sein, sollte der Regen noch lange ausbleiben und uns die Hilfe aus dem Palast versagt bleiben. Deswegen bitte ich Euch: Tut was für Euer Volk!“ Ankhmahor biss sich auf die Zunge. Den letzten Satz hätte er sich wohl wirklich lieber verkneifen sollen. Doch zu seinem großen Glück, oder vielleicht auch Unglück, hatte ihm der Pharao nach ‚unsere Speicher sind noch bis zur Hälfte gefüllt’ gar nicht mehr richtig zugehört, sondern starrte gedankenverloren ins Leere. Schließlich schien er seine innere Debatte beendet zu haben und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Ankhmahor. „Mein Vater hat in der Vergangenheit Theben generös mit Gold zum Bau der dortigen Tempelanlagen unterstützt. Genau genommen befindet sich mein Wesir Shimon immer noch aus genau diesem Grund dort. Ich denke, es ist an der Zeit, dass sich Theben für diese Großzügigkeit revanchiert. Ich werde das Volk Eurem Wunsch entsprechend mit Nahrung versorgen. Mit Nahrung aus Euren Vorräten.“ „Das kann nicht Euer Ernst sein!“, schrie Ankhmahor entsetzt und wusste noch im gleichen Moment, dass es sinnlos war. Und er behielt Recht. „Sehe ich so aus, als würde ich scherzen?“, fragte Atemu ernst und der Fürst schüttelte traurig den Kopf. „Nein, mein Pharao. Das tut Ihr nicht“, wisperte Ankhmahor und wünschte sich gleichzeitig, er wäre nie hierher gekommen. Alles, was er jetzt noch tun konnte, war zu versuchen, den Schaden zu begrenzen. „Und wie viel der thebanischen Vorräte wollt Ihr beschlagnahmen?“ „Die Hälfte“, entgegnete Atemu knapp und Ankhmahor nickte nur kurz zum Zeichen, dass er verstanden hatte. Er hatte vorher schon gehört, dass der jetzige Pharao überaus egoistisch und arrogant sein sollte, aber nun hatte er die Wahrheit dieser Worte am eigenen Leib erfahren müssen. Und sie schmeckte bitter. ------------------ Nachdem Ankhmahor endlich gegangen war, hoffte Atemu auf einen Moment der Ruhe und schloss müde die Augen. Nur einen Augenblick später aber wurde er durch ein lautes Klatschen unsanft in die wache Welt zurückgerufen. Atemu blinzelte den Störenfried irritiert an. Es war Aknadin. Natürlich. Dieser klatschte noch kurz weiter, bevor er die Arme hinter den Rücken verschränkte und ganz nah an den Pharao herantrat. „Lasst mich der Erste sein, der Euch zu dieser Meisterleistung gratulieren darf, mein Pharao. Diesen armen jungen Mann habt Ihr wirklich aufs königlichste ausgenommen. Ja, ja...da beweist sich mal wieder, dass Ihr den Titel Pharao zu Recht tragt“, meinte Aknadin spöttisch und blickte Atemu durchdringend in die Augen. Dieser nahm die neuerliche Frechheit seines Priesters ruhig zur Kenntnis, auch wenn ihn die Dreistigkeit doch ein wenig wunderte. Aknadin war normalerweise subtiler und begegnete ihm, auch wenn sie verschiedener Meinung waren, immer noch mit einem gewissen Respekt. Davon war im Moment aber nicht viel zu spüren. „Irgendwas muss passiert sein, sonst wäre er mir gegenüber nicht so aggressiv“, überlegte Atemu und versuchte im Gesicht des alten Mannes irgendeinen Hinweis zu erhaschen. Erfolglos. „Ihr ward lange fort, Aknadin, und ich habe Euch gelassen. Steht mir da nicht eine freundlichere Begrüßung zu?“ Aknadin zeigte ein schiefes Lächeln. „Selbstverständlich, mein König. Ehre, wem Ehre gebührt. Dem Pharao muss man huldigen.“ Dann verbeugte er sich tief und begann leise zu kichern. Der Pharao betrachtete die Szene mit wachsender Beunruhigung. „Altersschwachsinn vielleicht? Oder doch was anderes? Ich sollte dem auf den Grund gehen. Außerdem ist da ja noch diese andere Sache.“ „Es gibt etwas, vorüber ich dringend mit der sprechen muss, Aknadin. Vor deiner spontanen Flucht in den Maat-Tempel hast du meinen Sklaven, Seth, aufgesucht. Und das trotz meines Verbots. Was hast du dazu zu sagen? Vor allem möchte ich wissen, was du mit ihm zu bereden hattest!“ Aknadins Lachen stoppte augenblicklich. Stattdessen erhob er sich langsam und kippte seinen Kopf nachdenklich zur Seite; sein Millenniumsauge schien den Pharao praktisch durchbohren zu wollen, so stechend war sein Blick. „Seth?“, wiederholte er mit belegter Stimme. „Seth. Ja, ich erinnere mich. Ein guter Junge. Ja, das ist er.“ Plötzlich durchzuckte ihn ein Schaudern und sein Gesicht spiegelte Entsetzen wider. „Was habt Ihr mit ihm gemacht? Ist er in Ordnung? Ihr habt doch hoffentlich nicht...“ „Gar nichts hab ich gemacht!“, unterbrach ihn Atemu giftig. „Es geht ihm gut. Ich habe nicht vor, ihm Schaden zuzufügen!“ Etwas ruhiger fügte er dann hinzu: „Warum interessiert Euch der Knabe eigentlich so sehr? Und keine Ausreden diesmal!“ Aknadin atmete einmal tief ein. Seth ging es gut. Das war erst einmal das Wichtigste. Doch dummerweise hatte er in seiner Panik um seinen Sohn nicht nachgedacht und mehr preisgegeben, als er eigentlich wollte. Dass sich Atemu in seine Beziehung mit Seth einmischte, konnte er nun wirklich nicht gebrauchen; vor allem ihre Verwandtschaftsverhältnisse mussten geheim gehalten werden. Zumindest vorläufig noch. Glücklicherweise hatte Aknadin, wie er hoffte, die perfekte Erklärung parat. Im Tempel hatte er schließlich viel Zeit zum Nachdenken gehabt. „Als ich Euren Sklaven damals auf dem Fest gesehen habe, da ist mir sein starkes Ka aufgefallen. Auch scheint er mir überaus intelligent zu sein. Wie Ihr ja wisst, haben wir für jeden Millenniumsgegenstand einen zukünftigen Träger gefunden; nur für den Stab gibt es noch keinen geeigneten Kandidaten. Den Priester, den Shimon vor seiner Abreise vorschlug, hat der Stab als unwürdig befunden. Dieser Priester hatte wahrlich mehr Glück als Verstand. Der Millenniumsstab war nachsichtig mit ihm. Der Mann ist mit einigen Prellungen und blauen Flecken davongekommen. Doch beim nächsten Prüfling kann es schon wieder anders aussehen. Wir dürfen kein Risiko mehr eingehen und Seth scheint mir mehr als geeignet für die Position eines Wächters zu sein. Ich denke, nein, ich weiß, dass er es schaffen wird. Deshalb habe ich ihn auch aufgesucht, und mein Eindruck hat sich nur bestätigt.“ „Seth als Träger des Millenniumsstab?“, fragte Atemu ungläubig. An so was hatte er bisher gar nicht gedacht. Sicher, auch er hatte gefühlt, dass Seth gewisse Kräfte besaß. Aber das allein reichte nun mal nicht. Und er wollte seinen Sklaven auch nicht unnötiger Gefahr aussetzen. Im Extremfall könnte er bei dem Versuch, den Millenniumsstab zu beherrschen, auch getötet werden. Aknadin nickte eifrig. „Ich bin mir ganz sicher, mein Pharao. Der Junge wird das sicherlich schaffen. Er braucht nur etwas Training, was ich mit Freuden selbst übernehmen würde, wenn Ihr erlaubt.“ Atemu zögerte immer noch. „Ich weiß ja nicht. Ich zweifle nicht an seinen magischen Fähigkeiten, aber...was ist zum Beispiel mit den priesterlichen Pflichten? Als Hüter müsste ich ihn in meinen Priesterzirkel aufnehmen. Eigentlich ist dies an bestimmte Voraussetzungen geknüpft und die hat Seth nun mal nicht. Er kennt sich nicht mit ägyptischer Götterkunde aus, zumindest nicht in dem Maße, wie es ein Priester können muss. Und was ist mit den ganzen Verwaltungsaufgaben? Weiß er über Politik Bescheid? Er kann ja nicht einmal lesen! Außerdem hätte er seine Ausbildung schon vor Jahren aufnehmen müssen, um für mich von Nutzen sein zu können. Immerhin dauert sie viele Jahre! Solange kann ich aber nicht mehr warten. Ich halte das für keine gute Idee.“ „Aber wisst Ihr das denn sicher, mein Pharao? Wisst Ihr, ob er wirklich so ungebildet ist, wie Ihr glaubt? Er kann lesen, da bin ich mir sicher. Und alles andere wird er bestimmt sehr schnell lernen. Ihr müsst ihm nur eine Chance geben!“ Atemu hob erstaunt seine Augenbrauen. Das schien seinem alten Priester ja wirklich wichtig zu sein, was nicht nur seltsam, sondern vermutlich auch ein Grund zur Sorge war. Trotzdem, letztendlich ging es hier um Seth und seine Zukunft. Er konnte ihn nicht ewig in dem Zimmer einsperren und ob er jemals einen geeigneten Liebessklaven abgeben würde, war mehr als nur fraglich. Davon mal abgesehen...Atemu wusste nicht genau, wann es passiert war, aber inzwischen hatte er angefangen, den Jungen wirklich zu mögen. Sicher, er würde immer noch zu gerne mit ihm schlafen. Aber er wollte Seth nicht länger dazu zwingen; nein, dieser sollte es auch von sich aus wollen. Atemu wollte ihn nicht länger demütigen. Was er wollte, war mehr so was wie eine richtige Beziehung. „Ich werde ihn fragen, was er dazu zu sagen hat“, meinte er schließlich. „Dann werden wir weitersehen.“ Aknadin lächelte erleichtert und fühlte tatsächlich seit langer Zeit wieder so etwas wie Dankbarkeit für den Pharao. Ein Zustand jedoch, von dem er bereits jetzt ahnte, dass er sicherlich nicht lange andauern würde. -------------- So, ob ihr wollt oder nicht: Aknadin ist zurück und legt sich gleich mit Atemu an XD Apropos Atemu: Nur weil er zu Seth etwas netter wird, muss sich das ja nicht gleich auch auf den Rest der Menschheit beziehen ^^° Okay, mehr hab ich auch nicht zu sagen, außer: Ein Danke für die lieben Kommentare, ganz besonders an all diejenigen, die sich die Mühe machen so regelmäßig zu kommentieren. Und auch, wenn ich nicht weiß, ob noch wer vor Weihnachen das hier liest, wünsche ich euch trotzdem alle eine frohe und hoffentlich nicht zu streßige Weihnacht! Bis dann^^ PS: Ich hab ne neue Abkürzung: Das Spielzeug mit den blauen Augen ist ab jetzt offiziell "DSMDBA". Der Titel ist mir nämlich zum dauerenden Tippen echt zu lang ^^°. Kapitel 14: Ein neuer Weg ------------------------- So, einmal für alle: Ich wünsche allen ein frohes neues Jahr! Äh ja, das Kapitel ist sehr dialoglastig geraten, aber wichtig für den Plot. Ich hoffe mal, dass es noch im erträglichen Rahmen ist. Okay, mehr hab ich heute nicht zu sagen ^^° --------------- Kapitel 14 – Ein neuer Weg Am nächsten Morgen fand sich Atemu auch gleich bei Seth ein. Er hatte die Nacht über kaum Schlafen können und sich die ganze Zeit über gefragt, ob es wirklich die richtige Entscheidung war, Seth diese Sache überhaupt anzubieten. Im Grunde war er sich immer noch nicht so sicher. Er atmete einmal tief durch. Als er eintrat, schlief der Junge noch. Atemu trat an das Bett und betrachtete das friedliche Gesicht. Er hob vorsichtig seine Hand und wollte Seth sanft über die Wange streicheln, überlegte es sich dann aber doch noch anders, zog seine Hand schnell wieder zurück und begnügte sich stattdessen mit einem sehnsüchtigen Blick. Viel zu schnell für Atemus Geschmack erwachte sein Sklave, blinzelte schläfrig, bevor er der Präsenz des Pharaos Gewahr wurde und erschrocken hochfuhr. „Spinnst du? Schaust du mir etwa beim Schlafen zu oder was soll das?“, raunte er grantig und zog sich die Decke über seinen nackten Oberkörper. Solche Überraschungen am Morgen schätzte er gar nicht. Besser gesagt zu gar keiner Tageszeit. Atemu brummte verärgert. „Du bist immer noch mein Sklave. Im Klartext heißt das, ich kann mit dir machen, was ich will. Und wenn ich dich beim Schlafen beobachten möchte, dann hast du das stillschweigend zu dulden.“ „Alles klar, Eure Hoheit“, giftete Seth zurück und verzog sein Gesicht vor Wut. Atemu ging nicht auf die Provokation ein. Er blickte Seth nur einige Minuten ruhig an und begann dann endlich mit leiser Stimme zu sprechen. „Aknadin....er...“, fahrig strich er sich einige Strähnen aus der Stirn. „Aknadin hat dich als Priester des Millenniumsstabes vorgeschlagen.“ So, jetzt war es raus. Keine lange Vorrede, keine Ausflüchte. Nur ein überaus überraschter Seth. „Wa...den Millenniumsstab? Ich? Aber...“ Fassungslos lehnte er sich gegen die Wand hinter ihm. „Der Millenniumsstab...ausgerechnet ich...“ „Du weißt über die Artefakte Bescheid?“, fragte Atemu wachsam dazwischen und Seth sah ihn zwar für einen Moment aus großen Augen an, nickte schließlich aber bestätigend. „Ja, Aknadin hat mir bei seinem, ah, Besuch davon erzählt. Es gibt insgesamt sieben Artefakte. Dein Puzzle, Aknadins Auge, der Ring von diesem...Mahaado. Dann noch einen Schlüssel, den Stab, eine Waage sowie eine Kette. Das wär’s.“ „Richtig. Der Hüter des Schlüssels heißt Shada, der der Waage Karim. Die Kette geht an eine Frau namens Isis. Wie ich sehe, hat Aknadin dich ja gut informiert. Interessant zu wissen.“ Wäre Seth nicht so durcheinander gewesen, wäre ihm Atemus missmutiger Tonfall wahrscheinlich aufgefallen, so aber registrierte sein Kopf nur den einen Gedanken. „Ich...ein Priester. Hieße das dann nicht auch, dass ich wieder frei wäre? Kein Sklave mehr zu sein...niemals wieder...“ „Nein, kein Sklave mehr. Ist es das, was du dir wünschst?“ Seth zuckte überrascht zusammen. Hatte er das gerade etwa laut gesagt? „Das habe ich überhaupt nicht bemerkt...“ Genauso wenig, wie die Hand des Pharaos, die nun auf seiner Schulter lag und ihn leicht drückte. Unwillig brachte der junge Sklave wieder etwas Sicherheitsabstand zwischen sich und den König. „Ich brauche deinen Trost nicht, Atemu. Ich brauche niemandes Trost. Ich komme auch allein zurecht.“ Der Pharao indes nahm die neuerliche Abfuhr betrübt zur Kenntnis, ließ Seth aber seinen Willen und seufzte nur geschlagen. Plötzlich jedoch kam ihm eine Idee. „Du warst nicht immer ein Sklave, richtig?“ „Eh?“ Atemus Frage kam so unvermittelt, dass Seth gar nicht zu reagieren wusste. Unruhig knetete er seine Hände, rang sich aber schließlich zu einer Antwort durch. Der Pharao würde ohnehin keine Ruhe geben, bis er seine Neugier gestillt sah. „Nein, war ich nicht. Ich hatte eine ganz normale Kindheit, zumindest solange, bis meine Mutter bei einem Brand umgekommen ist. Ab da an ist einfach alles schiefgelaufen.“ „Wie bist du in die Sklaverei geraten?“ Erschöpft schloss Seth seine Augen. „Das ist schnell erzählt. Nach dem Tod meiner Mutter bin ich eine Weile planlos herumgewandert...dann in einer Herberge gelandet, wo ich Arbeit und Unterkunft fand. An einem Abend jedoch tauchte plötzlich eine Gruppe ausländischer Händler auf. Sie warfen mit dem Geld nur so um sich, soffen und randalierten. Zum Schluss zogen sie sich sogar die Bedienungen auf die Knie und fingen an, sie überall anzutatschen. Mich auch, obwohl ich versucht habe, ihnen so gut es eben nur ging aus dem Weg zu gehen. Sie zwangen mich, mit ihnen zu trinken und irgendwann...“ Er stoppte und wandte beschämt seinen Blick ab. „Irgendwann bin ich wohl bewusstlos geworden oder eingeschlafen oder so was. Als ich schließlich am nächsten Morgen wieder aufwachte, befand ich mich gefesselt in einer Art Zelle. Einige der Mädchen aus der Unterkunft waren auch dort. Doch auch sie konnten sich nicht erinnern, was passiert war. Drei Tage später wurde ich an einen syrischen Händler verkauft. Dort blieb ich etwa zwei Monate, bis du mich schließlich auf dem Sklavenmarkt entdeckt und mitgenommen hast.“ „Das heißt also, man hat dich schlichtweg mit Alkohol abgefüllt und mitgenommen?“, wollte Atemu sichergehen. „Einfach gesagt: Ja.“ Seths Gesichtausdruck war ebenso säuerlich wie seine Stimme. Dass er sich so leicht hatte überrumpeln lassen, ärgerte ihn immer noch maßlos. Atemu jedoch kümmerte das offensichtliche Unbehagen des Jungen kaum. „Du warst also gerade mal zwei Monate lang ein Sklave? Nicht mehr? Das ist nicht lange...“, überlegte er müßig, woraufhin Seth ihn verletzt anblickte. „Was soll das denn heißen? Wär’s dir lieber gewesen, wenn ich länger...?“ „Nein, wäre es nicht! Aber es erklärt doch dein eigentümliches Verhalten. Ein gut ausgebildeter Sklave pflegt eigentlich nicht seinen Herrn anzuspucken und zu beißen.“ „Oder...“, wie er im Stillen hinzusetzte, „...ihn ständig abzuweisen.“ „Was weiß ich. Im Gegensatz zu dir hatte ich noch nie einen Sklaven!“ Atemu zuckte tatsächlich kurz zusammen, erholte sich aber rasch. „Fang nicht so mit mir an, Seth. Ich warne dich.“ Der junge Sklave schnaubte zwar verächtlich, hob aber dann beschwichtigend seine Hände in die Höhe als Zeichen der Kapitulation. „Schon gut. Du hast selbstverständlich Recht. Verzeihung. Aber“, entgegnete er schließlich ruhiger, irgendwie auch wesentlich düsterer: „Bevor ich zugelassen hätte, dass man mich dermaßen bricht...zu einer willenlosen Puppe macht...eher hätte ich mich umgebracht.“ Bei diesen Worten spürte der Pharao einen dicken Kloß im Hals, spürte eine Trauer und Reue in sich, von der er bereits geglaubt hatte, sie endlich überwunden zu haben. Dem war jedoch nicht so. Erinnerungen an eine Nacht, die noch gar nicht so lange zurücklag, durchfuhren ihn, trübten seine Sinne und ließen seinen Körper erzittern. „Du solltest nicht so leichtfertig über dein Leben reden“, flüsterte er endlich; sein Tonfall bitter und brüchig. „Rede nicht so, als wäre es egal, ob du lebst oder stirbst...tu das bitte nie...nie wieder.“ Sein Sklave blickte verwundert auf, entgegnete jedoch nichts und auch, als er endlich doch noch weitersprach, ignorierte er Atemus letzten Kommentar geflissentlich: „Du sagtest vorhin was vom Millenniumsstab. Ich meine, du...“ „....ja. Ja, das sagte ich wohl.“ Atemu räusperte sich. Irgendwie war ihm völlig die Kontrolle über dieses Gespräch entglitten und das war inakzeptabel. „Nun gut, zurück zum Wesentlichen. Also, als Wächter des Stabes wärest du gleichzeitig auch einer meinen engsten Vertrauten, mein Priester. Was mit einigen Problemen behaftet ist.“ „Die wären?“ Auch Seth klang nun ganz geschäftsmäßig; hatte jegliche Emotion aus seiner Mimik und Stimme verbannt. „Du müsstest die Ausbildung schaffen und, was nicht ganz ungefährlich ist, die Prüfung des Stabes bestehen. Viele Menschen sind schon gestorben bei dem Versuch, die Millenniumsgegenstände zu kontrollieren. Da braucht es eines starken Charakters mit großen, magischen Fähigkeiten.“ Seth stutzte. „Magische Fähigkeiten? Die habe ich aber doch gar nicht!“ „Doch, hast du. Jeder Mensch hat gewisse magische Talente. Nur die Ausprägung ist unterschiedlich stark. Und bei dir ist sie stark. Du musst nur lernen, sie zu beherrschen. Aknadin wird es dir beibringen.“ „Ist das so? Nun, das wird bestimmt...lehrreich.“ Er stoppte kurz. „Das heißt dann doch auch, dass ich irgendwann ein eigenes Ka-Monster rufen kann, nicht wahr? So eins zum Kämpfen?“ Mit vor Vorfreude glänzenden Augen sah Seth den jungen König abwartend an. Der ballte frustriert seine Hände zusammen. „Aha, noch so eine Sache, die ihm Aknadin schon erzählt hat. Wunderbar. Einfach herrlich“, dachte Atemu bissig, auch wenn er nicht genau wusste, warum ihn das eigentlich so störte. „Vielleicht möchte ich einfach nicht, dass sie sich zu nahe stehen?“ Er seufzte. „Ja, theoretisch ist das machbar. Aber es ist ein hartes Training, nicht nur geistig, sondern auch körperlich. Und die Priesterausbildung an sich ist ebenfalls kein Kinderspiel. Du wirst unter einem enormen Zeitdruck stehen. Ich brauche meine Priester so schnell wie möglich. Das würde auch dich mit einschließen. Die anderen haben ihre Ausbildung fast abgeschlossen. Es ist also Eile für dich angesagt. Denn wenn zwischendurch ein anderer Kandidat für den Stab auftaucht, der bereits ausgebildet ist, dann werde ich diesem auch den Vorzug geben müssen. In dem Fall kannst du natürlich trotzdem deine Priesterlehre vollenden. Nur in den Palast aufnehmen dürfte ich dich nicht mehr. Du würdest stattdessen in irgendeinem Tempel dienen müssen. Willst du es trotzdem machen?“ Seth hatte sich Atemus harsche Worte aufmerksam angehört. „Natürlich ist ein Risiko dabei“, entgegnete er langsam. „Aber in diesem Fall ist der Lohn so hoch, dass ich auch gerne bereit bin, es einzugehen.“ Er straffte seine Schultern. „Ich werde mein Bestes geben und ich werde nicht versagen“, erklärte er mit fester Stimme und ob Atemu wollte oder nicht, er glaubte ihm ohne zu zögern. Kapitel 15: Manipulationen -------------------------- Kapitel 15 – Manipulationen So begann also Seths Ausbildung als Priester. Besser gesagt, es wurden die ersten Grundlagen gelegt. Bevor man ihn mit dem Stab konfrontierte, sollte er erst einmal lernen, seine Magie zu beherrschen. Ein schwieriges Unterfangen. Seth musste viel meditieren und das passte ihm gar nicht. Er wollte schnelle Ergebnisse und nicht stundenlang still auf dem Boden hocken, was leider genau das war, was Aknadin von ihm tagtäglich verlangte. Der alte Priester selbst hatte seine Freude aufgrund Atemus Entscheidung, Seth die Priesterlehre zu erlauben, nicht verhehlen können und schürte damit erneut Atemus Misstrauen. Schließlich beruhigte sich der junge König damit, dass Aknadin wahrscheinlich nur einen Narren an dem Jungen gefressen hatte und sich so energisch für ihn einsetzte, weil er es war, der ihn als zukünftigen Hüter entdeckt hatte. Oder vielleicht stand er inzwischen wirklich auf junge Männer und hatte sehr verquere Ansichten, wie er Seth für sich gewinnen konnte. „Nein, nein, nein! Konzentrier dich endlich!“, rief Aknadin frustriert und Seth stöhnte genervt auf. „Tu ich ja!“, verteidigte er sich mit einem ungehaltenen Knurren und sichtbar mangelnder Begeisterung. In den letzten Tagen seines Trainings hatte er gelernt Aknadin zu respektieren und auch, bis zu einem gewissen Punkt, zu mögen. Aber dessen ständige Kritik an seinen Fähigkeiten begann mächtig an seinen Nerven zu zerren. Kein Lob, kein gutes Wort; nur ständig höhere Anforderungen. Seth verstand es nicht. Es war doch seine Zukunft, die hier auf dem Spiel stand, warum also benahm sich Aknadin so, als ob dies hier nur für ihn wichtig wäre? Mit Mühe schluckte er seine Wut herunter, setzte sich wieder in Gebetshaltung auf den Boden und versuchte, wie es ihm befohlen worden war, ‚seine Energien zu sammeln und zu fokussieren’, was auch immer damit gemeint sein sollte. Aknadin sah ihm wachsam zu. Er wusste natürlich, dass er im Grunde viel zu hart zu seinem Sohn war, ihn immer wieder an seine Grenzen zwang und doch noch mehr verlangte, aber diese Möglichkeit der Rache für ihn und seinen Jungen wollte er einfach nicht ungenutzt verstreichen lassen. Auch wenn Seth es im Moment noch nicht verstehen konnte, früher oder später würde er seinem Vater dafür dankbar sein. Seit einer Woche nun hatten sie dieses intensive Training. Beten, Studium der ägyptischen Götterlehre und Geschichte, Priesterpflichten und, was am wichtigen war, Kontrolle seines Kas. Er hatte Seth kaum eine ruhige Minute gelassen und mehr als einmal wäre der Junge fast vor Erschöpfung zusammengebrochen, doch selbst dann war wenigstens noch ein Rest an Kooperation seitens Seths da gewesen. Heute jedoch verhielt er sich bockiger als ein Esel und machte sich lieber einen Spaß daraus, seinen Mentor mit möglichst vielen bitterbösen Blicken in möglichst kurzer Zeit in den Wahnsinn zu treiben anstatt ernsthaft zu trainieren. Nachdenklich strich sich der alte Mann über sein Gesicht. „Ganz egal, wie müde Seth auch in den vergangenen Tagen gewesen sein mag, er hat sich trotzdem zusammengerissen und alles getan, was ich von ihm verlangt habe. Umso verwunderlicher, dass er nun so gereizt auf mich reagiert. Nein, so geht das nicht. Diese Halbherzigkeit, mit der er seinen Übungen im Moment nachkommt, führt doch zu nichts.“ Wahrscheinlich wäre es das Beste, wenn er es für heute gut sein lassen würde. Je mehr er Seth zu seinen Übungen zwang, umso sturer und unlustiger wurde der Junge. Außerdem, tief in seinem Inneren wollte Aknadin, dass ihn sein Sohn, auch wenn dieser nicht wusste, dass Aknadin sein Vater war, lieb gewann. Wenn Seth ihn verabscheuen oder gar hassen würde...Aknadin wusste nicht, was er dann machen sollte, denn dies wäre etwas, was er niemals würde ertragen können und er wollte es auch nicht darauf ankommen lassen. Es schmerzte Aknadin, auch nur darüber nachzudenken, aber es gab so vieles, was er noch über seinen Sohn und seine tote Frau wissen wollte und er musste diese neu gewonnene Chance unbedingt ausnutzen. Noch einmal wollte er Seth nicht verlieren. „Steh auf und setz dich zu mir“, bat Aknadin und sofort schoss Seths Blick herum; blaue Augen durchdringend und forschend. „Seltsam. Seine Mutter hatte braune Augen, genauso wie ich...ich frage mich, wo er diese Farbe her hat.“ Seth derweil hatte sich zwischenzeitlich neben ihn gesellt und betrachtete ihn nun mit Argwohn. „Was ist denn? Habe ich schon wieder was falsch gemacht?“, fragte er sardonisch und Aknadin zuckte beinah angesichts des harschen Tonfalls zusammen. „Nein, ich dachte nur, du hättest vielleicht Lust, dich mit mir zu unterhalten“, meinte er leise und Seth horchte auf. „Unterhalten? Worüber?“ Aknadin schenkte ihm ein warmes Lächeln. „Worüber du möchtest. Erzähle mir doch über deine Familie: Deine Mutter, deinen Vater.“ „Meine Familie...?“ „Natürlich nur, wenn du möchtest“, beruhigte ihn der alte Priester sofort. „Wenn es zu schmerzhaft für dich ist, dann werde ich das selbstverständlich respektieren.“ Seth überlegte einen langen, angespannten Moment und Aknadin glaubte schon, dass er sich vielleicht zu weit vorgewagt hatte, dass ihn Seth immer noch zu sehr als einen Fremden betrachtete, als dass er mit ihm über so persönliche Dinge reden wollte. Doch schließlich schien sich sein Sohn zu einer Antwort zu überwinden: „Es gibt eigentlich nicht viel zu erzählen…“ Seth stockte; sein Körper versteift und seine Augen weit aufgerissen. „Nein, das stimmt so nicht, ich möchte einfach nicht darüber sprechen. Weder mit Atemu, noch Aknadin... noch sonst irgendjemanden.“ Aknadin wartete, doch Seth hielt nur den Kopf gesenkt und rührte sich nicht mehr. „Seth?“, fragte er, sein Ton viel fürsorglicher, als ihm lieb war. Er musste aufpassen, dass er seinen Sohn nicht zu sehr ins Herz schloss. Er liebte den Jungen, das schon. Aber je mehr er sein Handeln von dieser Liebe beeinflussen ließ, umso schwieriger würde es ihm auch fallen, Seth weiterhin so streng voranzutreiben. Und dann war da natürlich auch noch die Sache mit dem Pharao, der ebenfalls keinen Verdacht schöpfen durfte. Was Seth im Moment wirklich brauchte, war kein Vater, sondern ein Mentor. Das durfte er nie vergessen, so schwer es ihm auch fiel. Vorsichtig hob er mit seiner knochigen Hand Seths Kinn leicht an, damit ihn dieser ansehen musste. „Du musst nicht mit mir darüber sprechen, aber ich würde mich sehr freuen“, meinte er leise und sah ihm fest in die Augen. „Freuen...“, nuschelte Seth und fühlte sich auf einmal schrecklich träge. „Komisch, ich kann kaum noch klar denken. Mein Kopf ist so schwer...“ „Du bist nur erschöpft vom vielen Training. Das ist nur Müdigkeit, nicht mehr“, beruhigte ihn Aknadin sanft und wie aufs Stichwort wurden Seths Augenlider immer schwerer und sein Blick glasig und trüb. „Na, komm schon. Mach einem alten Mann eine kleine Freude und erzähl mir ein wenig von dir, dann geht’s dir gleich besser...“ Diese Logik verstand Seth zwar nicht so wirklich, aber andererseits…Aknadin war immer so gut zu ihm gewesen und wenn es dem Priester wirklich dermaßen wichtig war, dann sollte er vielleicht wirklich einfach tun, was von ihm verlangt wurde. Aknadin wollte schließlich nur sein Bestes, richtig? Richtig. „Was wollt Ihr denn genau wissen?“ Er hätte natürlich auch einfach drauflos erzählen können, doch dann hätte er vielleicht etwas gesagt, was den Priester gar nicht interessierte und dann wäre Aknadin enttäuscht von ihm gewesen oder böse auf ihn geworden. Und das wollte er nicht. Aknadin lächelte. „Erzähl mir von deinem Vater. War er ein guter Mann?“ „Guter Mann...“, wiederholte Seth schläfrig. „...weiß nicht. Ich glaub schon. Meine Mutter hat mir erzählt, er war Soldat und ist im Krieg gefallen...für den Pharao...tapfer gekämpft...ich war erst vier...Mutter hat ihn geliebt...“ „Tapfer gekämpft...ja, das hat er. Er war ein großer Mann. Edelmütig und seinem Land treu ergeben.“ Ein nostalgischer Ausdruck schlich sich in Aknadins Gesichtszüge und er drückte sanft Seths Hände, streichelte sie mit seinem rauen Daumen leicht. Der Junge zuckte zusammen. „Aknadin?“, fragte er alarmiert. Er wusste nicht, was mit ihm passierte, aber ein kleiner Teil von ihm, der letzte wache Rest seines Verstandes, warnte ihn, dass hier etwas nicht stimmte, dass hier etwas nicht in Ordnung war, und zwar ganz und gar nicht in Ordnung. Aber dann begann Aknadin ihn wieder so seltsam anzusehen und diese warnende Stimme in Seths Kopf verstummte, machte Platz für den einen Gedanken, für den Gedanken, dass er Aknadin vertrauen konnte, vertrauen musste. „Bleib ruhig, Seth. Es ist alles okay. Mach dir keine Sorgen. Alles okay, mein Kleiner.“ Seth nickte schwach. Ab diesem Punkt konnte er beim besten Willen nicht länger die Augen aufhalten. Er schwankte gefährlich nach vorne, aber im letzten Moment fing Aknadin ihn auf und drückte ihn an sich. „Was ist mit deiner Mutter passiert, Seth?“, wollte er wissen und Seth, trotz seiner Müdigkeit, fühlte die vertraute Schuld in sich aufsteigen. Er wollte nicht darüber reden; er wollte es einfach nicht...und doch: „Ich habe dieses Mädchen getroffen. Sie war wirklich wunderschön. Ich habe ihr geholfen. Sie war...gefangen genommen worden...von Räubern und ich habe sie befreit. Sie konnte wegen mir fliehen...doch dann, ich habe Flammen gesehen...so viel Feuer und es war überall. Ich bin zurück ins Dorf und alles stand in Brand. Die Banditen haben das Mädchen gesucht und weil sie es nicht finden konnten aus Rache mein Heimatdorf niedergebrannt...ich wollte Mutter retten und ins Haus...aber sie haben mich festgehalten und nicht losgelassen. Ich musste zusehen, wie sie verbrannt ist...ich habe Schreie gehört. So schrecklich viele, laute Schreie...überall...“ Während seiner Erzählung war Seths Stimme immer schneller geworden und ein leichtes Zittern hatte sich seines Körpers bemächtigt. Für einen kurzen Augenblick hasste Aknadin sich dafür, dass er Seth das ganze noch mal neu erleiden ließ, aber er hatte einfach wissen müssen, was mit seiner Frau damals genau geschehen war. Außerdem würde sich Seth morgen ohnehin an nichts mehr erinnern können. Dafür wollte Aknadin Sorge tragen. „Weißer Drache...“, flüsterte Seth plötzlich und Aknadin fuhr überrascht hoch. „Was? Seth, was erzählst du da?“, fragte er und schüttelte Seth in der Hoffnung, dass sein Sohn wieder etwas klarer werden würde. „Ein weißer Drache ist gekommen. Er hat mich...gerettet...“ Aknadin wurde zwar aus Seths Gestammel nicht ganz schlau, aber irgendetwas in ihm sagte ihm, dass das hier wichtig war. Er packte Seth grob an den Schultern. „Was für ein Drache, Seth? Erklär es mir! Meinst du vielleicht ein Ka-Monster? Seth? Seth!“ Doch es war zu spät, denn Seth war bereits fest eingeschlafen. Aknadin blieb nichts anderes übrig, als seine Fragen wohl oder übel für das nächste Mal aufzuheben. Das nächste Mal. Er ballte seine Hände. Es war ihm nicht wohl dabei, Seth mit dem Millenniumsauge dermaßen zu manipulieren. Aber er konnte es sich nun mal nicht leisten, zimperlich mit dem Jungen zu sein, wollte er seine Pläne zu einem erfolgreichen Abschluss bringen. Immerhin vertraute ihm Seth mittlerweile genug, so dass er nicht länger versuchte Aknadin aus seinem Bewusstsein zu blocken. Hätte er es doch getan, wäre die ganze Angelegenheit außerordentlich unangenehm für ihn geworden. So aber musste er sich nur mit seiner plötzlichen Schläfrigkeit und später vielleicht einer Migräne herumplagen. Davon mal abgesehen: Sobald Seth genug Erfahrung mit seinen magischen Fähigkeiten gesammelt hatte, würde Aknadin ihn ohnehin nicht länger so einfach mit dem Auge beeinflussen können. Deswegen hatte er auch keine Wahl gehabt, deswegen musste er es jetzt tun, auch wenn er damit Seths Vertrauen missbrauchte und es ihn selbst so schmerzte. --------- Tja, besonders beliebt scheint Aknadin bei vielen ja nicht zu sein und trotzdem gibt es ihn hier im Übermaß. Aber, zu Aknadins Verteidigung: Er -will- tatsächlich nur das Beste für Seth und hat ihn gern. Okay, genug davon: Ein Danke an alle Leser, insbesondere die Kommentarschreiber und man liest sich wieder in Kapitel 16 ^^ Kapitel 16: Forderungen ----------------------- Kapitel 16 – Forderungen Es war noch früh am Morgen, trotzdem konnte Seth die Hitze der ägyptischen Wüste sich bereits in seinem Zimmer ausbreiten fühlen und er stöhnte leicht. Sein jetziger Raum war größer, edler eingerichtet und besaß, im Gegensatz zu seinem alten Zimmer, sogar einen Balkon. Nur diese verdammte Südlage war ein dicker, fetter Nachteil. Atemu hatte seine Fächerträger, die ihm Kühlung verschafften; Seth dagegen musste in dieser Wärme gnadenlos vor sich hin brüten. Am liebsten wäre er einfach nur den ganzen Tag lang regungslos liegen geblieben, wusste aber zugleich, dass das nur ein frommer Wunsch von ihm war. Es würde nicht lange dauern bis zuerst die Dienerin und wenig später Aknadin auftauchen würden, um ihn aus dem Bett zu scheuchen. Erschöpft drehte sich Seth auf den Bauch und vergrub sein Gesicht in den Kissen. Der gestrige Tag verfolgte ihn, obwohl, oder vielleicht auch gerade deswegen, seine Erinnerungen so merkwürdig diffus und verschwommen waren. Er hatte das dumpfe Gefühl, dass dies irgendwas mit Aknadin zu tun hatte, wünschte sich aber gleichzeitig mit aller Macht, dass er sich irrte. Er war bestimmt nur vor Erschöpfung zusammengeklappt. Aknadin hatte sicherlich nichts damit zu tun gehabt. Er durfte einfach nichts damit zu tun gehabt haben. Seth stieß ein leises Knurren aus und schlug mit den Fäusten gegen sein Bett. Er wollte Aknadin nicht misstrauen, aber diese ganze Sache ließ ihn einfach nichts Gutes erahnen. Ein plötzlicher Schrei ließ ihn erschrocken seinen Kopf in Richtung Balkon rucken. Dort saß ein hübscher brauner Falke, der ihn interessiert beobachtete und seinen Kopf mal links, mal rechts, zur Seite kippte, um Seth aus allen Blickwinkeln betrachten zu können. Seth blickte verwirrt zurück; stand aber schließlich betont langsam auf, um den Vogel nicht zu verschrecken und näherte sich vorsichtig. Zu seiner gelinden Freude blieb der Falke auch sitzen, selbst dann noch, als der junge Mann direkt vor ihm stand. Aber anfassen lassen wollte er sich darum noch lange nicht, denn als Seth seine Hand nach dem kleinen Vogelkopf ausstreckte, um ihn zu streicheln, schnappte der Falke sogleich ungehalten nach ihm, weswegen Seth dann doch lieber schnell seine Finger zurückzog. Dem Falken war das nur Recht. Er fiepte leise und öffnete fordernd seinen Schnabel. Seth verstand den Wink und sah sich schnell in seinem Zimmer um, jedoch erfolglos. „Tut mir ja leid, aber mit was zu Essen kann ich dir, fürchte ich, leider nicht dienen“, seufzte er und der Vogel gab als Antwort ein ärgerliches Krächzen von sich. Dann hüpfte er etwas auf der Balkonbrüstung herum, spreizte seine Flügel und gab wieder einen durchdringenden, lauten Schrei von sich; ähnlich dem, mit dem er Seth auch vorhin schon so nett begrüßt hatte. Der zuckte zusammen. „Für so einen kleinen Vogel bist du aber ganz schön laut“, monierte er und rieb sich leicht über seine schmerzenden Ohren. Das schien dem Falken gar nicht zu gefallen und er schrie noch einmal. „Schon gut. Schon gut. Du klingst ganz wunderbar. Das könnte ich mir den ganzen Tag lang anhören“, beruhigte Seth und der Vogel betrachtete ihn kurz, um dann mit einem kräftigen Sprung auf Seths nun dargebotenen Arm zu hüpfen, wo er sich zufrieden sein Gefieder putzte. Seth dagegen musste sich auf die Lippen beißen, um nicht los zu schreien. Er hatte die spitzen Krallen des Falken nicht bedacht, die sich nun in seine Haut bohrten und sie leicht zum Bluten brachte. Glücklicherweise schien es fast so, als ob der Vogel sein Unbehagen spüren konnte. Er flatterte kurz mit den Flügeln und kletterte weiter auf Seths Schulter, die er nicht ganz so fest mit seinen Krallen malträtierte. Und nun ließ er sich auch vorsichtig kraulen. Er gab ein zufriedenes Gurgeln von sich und der junge Mann grinste vor Freude. „Du bist ja ein ganz schlaues Kerlchen“, meinte er leise und der Falke fiepte bestätigend. In diesem Moment ging auch die Zimmertür auf. Seth rechnete zwar mit der Dienerin, doch stattdessen stand dort Atemu, die Arme über der Brust verschränkt und ihn schief angrinsend. „Wie ich sehe, hast du schon Bekanntschaft mit Horus gemacht. Ein tolles Tier, nicht wahr?“, schwärmte Atemu und Seth verdrehte die Augen. „Horus? Nach dem Gott Horus? Ganz schön einfallslos, Atemu. Ein bisschen mehr Kreativität hätte ich dir ja doch zugetraut“, entgegnete er trocken und das Grinsen des Pharaos verschwand auf der Stelle. „Also, ich finde den Namen überaus passend“, verteidigte sich der junge König beleidigt und trat auf seinen Priesteranwärter und den Vogel zu. Letzterer knabberte nun zärtlich an Seths Ohr und beachtete Atemu gar nicht weiter. Der für seinen Teil war davon wenig begeistert, stupste das Tier vorsichtig an und wurde belohnt mit irritiertem Flügelschlagen und einem bedrohlich aufgerissenen Schnabel. Erst als der Pharao ihm sanft über das Gefieder streichelte, wurde Horus wieder ganz zahm und hüpfte auf Atemus rechten Arm, der, wie Seth verärgert feststellen musste, mit Lederstriemen umwickelt war, so dass ihm Horus scharfe Krallen nichts ausmachen konnten. Seth beobachtete, wie Atemu seinen Falken weiter mit liebevollen Streicheleinheiten verwöhnte und merkte dabei gar nicht, wie offenkundig er starrte. „Na, neidisch? Soll ich dich auch mal kraulen?“, fragte Atemu fröhlich und lächelte wissend. „Nein danke, kein Bedarf“, knurrte Seth nur ertappt und wandte gereizt seinen Blick ab. Etwas ruhiger fügte er dann hinzu. „Gibt es irgendeinen bestimmten Grund, warum du hier bist oder wolltest du mich nur mal wieder nerven?“ Atemu zuckte die Schultern. Noch vor gar nicht allzu langer Zeit hätte er an Seths Tonfall ihm gegenüber Anstoß genommen, aber mittlerweile hatte er sich daran gewöhnt und wusste, dass es nicht unbedingt was persönliches, sondern einfach Seths ganz eigene Art war. Hin und wieder schlug halt die Bauernseite seines Sklaven durch. Im Übrigen war Atemu auch einfach nur froh, dass Seth überhaupt mit ihm sprach, obwohl es nicht der Hauptgrund für die Nachsicht war, die er mit dem Jungen hatte. „Zum einen wollte ich dir Horus vorstellen. Ich dachte mir, dass er dir vielleicht gefallen könnte. Zum anderen war Aknadin voll des Lobes von dir. Er sagte, du machst große Fortschritte. Davon wollte ich mich mal selbst überzeugen. Außerdem...einige Abgesandte aus Griechenland wollen den Handel mit uns aufnehmen und haben sich darum für heute Nachmittag angekündigt. Ich wollte mit ihnen einen Ausflug machen. Etwas weiter nördlich von hier gibt es einige Nilarme, die man mit einem kleinen Kahn noch passieren kann. Krokodile halten sich dort auch auf. Ich dachte mir, das könnte doch ganz interessant werden. Erst gehen wir Krokodile beobachten und am Abend folgt dann ein kleines Bankett auf einem meiner Schiffe. Ich will, dass du mich begleitest, Seth“, erklärte Atemu langsam und wartete angespannt auf dessen Reaktion. Diese war eher ernüchternd. „Muss das sein?“, fragte Seth und drehte Atemu den Rücken zu. „Ja, das muss sein“, knirschte der gereizt zurück. „Und ich will, dass du dich benimmst. Du willst Priester werden? Dann zeig mir, dass du auch das Zeug dazu hast! Beweise mir dein politisches Geschick. Du wirst mir beratend zur Seite stehen und ich werde dir zuhören. Aber ich verlange auch deinen Gehorsam. Keine Mätzchen. Ist das klar?“ „Ja, klarer als klar“, brummte Seth mürrisch. Eigentlich hatte er keinen Grund wütend zu sein. Denn Atemu hatte Recht. Wenn Seth ein Amt am Hofe haben wollte, so wäre dies eine gute Möglichkeit, sich zu beweisen. Aber er mochte es nun mal einfach nicht, wenn er vor vollendete Tatsachen gestellt wurde; genauso wenig wie er es mochte, von Atemu herumkommandiert zu werden. Der Pharao warf ihm einen prüfenden Blick zu und nickte langsam. „Gut. Deine Dienerin weiß alle weiteren Einzelheiten. Wir zwei...sehen uns später.“ Eigentlich hätte er gerne noch mehr gesagt; wäre sicher gegangen, dass Seth wirklich verstanden hatte, worum es hier ging. Das Verhalten des Jungen hatte sich seit seiner Ankunft im Palast zwar gebessert, aber er war immer noch weit davon entfernt, Atemu den Respekt zukommen zu lassen, den er seinem Pharao eigentlich schuldete. Besonders Mahaado war von Atemus laschem Umgang mit Seth wenig angetan und hatte seinem König mehr als einmal inständig darum gebeten, strenger mit Seth umzugehen und ihn nicht alle Frechheiten durchgehen zu lassen, aber diese Einwände hatte Atemu jedes Mal stur ignoriert. Nun jedoch seufzte er resigniert. „Mag sein, dass Mahaado Recht hat. Vielleicht braucht Seth wirklich eine härtere Hand, vielleicht eskaliert die Situation ohne klare Verhältnisse tatsächlich irgendwann zwischen uns. Es ist nur…nachdem, was ich ihm fast angetan habe, was zwischen Seth und mir vorgefallen ist…ich kann es einfach nicht. Ich will nicht, dass er mich hasst.“ Seth derweil kannte diese Gedanken von Atemu nicht und blickte ihm lediglich stumm nach, bis er gegangen war. Erst dann ließ er sich zurück auf sein Bett und die zerwühlten Laken fallen. Das versprach ein langer, langer Tag zu werden. ------------- Hm, kurzes Kapitel, dient aber auch nur der Einleitung für das Kommende (auf das ich mich persönlich sehr freu). Übrigens, wie sieht es eigentlich mit potenziellen Adultkapiteln aus? Ich will versuchen, die FF jugendfrei durchzuboxen und gar nicht erst in die Verlegenheit von zu zensierenden Ausdrücken zu kommen, aber zumindest bei einem Kapitel bin ich mir nicht sicher, ob mir das gelingen wird. Kapitel 17: Bewährungsproben ---------------------------- AN: Das hier, zumindest der letzte Teil, gehört zu meinen Lieblingskapiteln. Deswegen würde mich ganz besonders interessieren, was ihr (und ich meine auch die Leser, die sonst nicht so die Zeit/Lust/xy zum Kommentieren haben) davon haltet (und ja, ich weiß, dass Kommentarbettelei nicht gut ankommt. Aber für dieses Kapitel mach ich mal ne Ausnahme. Beim nächsten bin ich wieder ruhig). Okay, genug davon. Viel Spaß beim Lesen! ----------------------- Kapitel 17 – Bewährungsproben „Dreh dich mal um“, bat Atemu und Seth befolgte murrend seiner Bitte. Er fühlte sich wie auf dem Präsentierteller. „Hm. Gut siehst du aus. Das muss ich wirklich zugeben“, nickte Atemu zufrieden. Sein Priester trug ein kurzes, reich verziertes Gewand, das zur Hälfte seine Oberschenkel bedeckte, aber ansonsten Arme und Beine gänzlich freiließ. Zufrieden erkannte Atemu, dass Seths Wunden inzwischen alle völlig abgeheilt waren. Auch seine Haut wies mittlerweile einen leichten Braunton auf, was, wie Atemu fand, eigentlich ein Jammer war. Er hatte Seths milchigweiße Haut gemocht. Atemu selber war auch nicht zu verachten. Sein Outfit war um einiges prunkvoller als das seines zukünftigen Priesters. Um seinen Hals hingen ein mit Lapislazuli bestickter Kragen sowie sein Millenniumspuzzle und seine Haut glitzerte leicht von den duftenden Ölen und Salben, mit denen ihn seine Dienerinnen sorgsam eingerieben hatten. Sein Gesicht, insbesondere seine Augenpartie, war kräftig geschminkt, wodurch seine Züge älter wirkten. Mit seinen knapp 15 Jahren und seiner kleinen Statur hatte Atemu öfter damit zu kämpfen, dass ihn Gesandte aus den umliegenden Fremdländern nicht ernst nahmen und das wollte er heute möglichst vermeiden, denn auch ihm war viel an dem Handel mit Griechenland gelegen. Seth wartete geduldig, bis Atemu seine Inspektion beendet hatte. Dann jedoch entdeckte er etwas Glitzerndes in einer Ecke des großen Gemachs und sein Magen verkrampfte sich augenblicklich. „Ich hätte nicht gedacht, dass er diese verfluchte Kette noch besitzt...“ Atemu folgte seinem Blick. Und verstand den Grund für Seths Unbehagen augenblicklich. „Keine Bange. Ich habe nicht vor, dir das Ding noch mal umzulegen. Ich denke, das haben wir hinter uns gelassen“, meinte er leise und Seth lächelte dankbar. ------------------- Es war schon später Abend als der kleine Bootsausflug zur Krokodilbeobachtung endlich endete und man sich auf Atemus Schiff gemütlich zusammenfand. Erleichtert ließ sich Seth auf einigen Sitzkissen etwas abseits der Menge nieder und griff nach einem Krug mit Wasser. Es war beileibe kein Vergnügen für ihn gewesen, sein Boot mit zwei übereifrigen Griechen teilen zu müssen, die ständig ins trübe, schlammige Wasser springen wollten, um sich sie heimische Reptilienwelt mal aus nächster Nähe anzuschauen. Seth selbst sprach kein Wort griechisch, doch zu seinem Glück waren die Griechen der ägyptischen Sprache mächtig gewesen, auch wenn es Momente gab, in denen er daran so seine Zweifel gehabt hatte. Oder wie sonst ließ sich erklären, dass die zwei griechischen Männer konsequent seine Anweisungen missachteten, wild auf dem kleinen Boot herumturnten und es fast zum Kentern brachten? Atemu indes hatte sich seinen Kahn ebenfalls mit zwei der Abgesandten geteilt, während die beiden übrigen mit einem der ägyptischen Soldaten als Nilführer vorlieb nehmen mussten. Die Griechen in eben diesem Boot hatten sich vorher kräftig Mut angetrunken und auch dem Soldaten hartnäckig immer wieder was von dem mitgebrachten Bier angeboten. Und weil es so heiß war und man ja nicht unhöflich wirken wollte, hatte sich der Soldat auch nicht lange bitten lassen und fröhlich mitgesoffen. So gestärkt kamen sie dann auch auf die geniale Idee, dass Krokodil-Gucken eigentlich eine ziemlich langweile Angelegenheit sei, und eines zu fangen oder zu töten viel aufregender wäre. Zu dritt schließlich hatten sie sich auf eines der bis dato friedlich vor sich hindösenden Tiere gestürzt und wie die Wilden mit einigen scharfen Dolchen vor ihm rumgefuchtelt. Das ging so lange gut, bis einer der Griechen tatsächlich eine tiefe Wunde in die Krokodilshaut schnitt und das Tier rasend vor Wut und Schmerz sich auf den Kahn und seine Insassen gestürzt hatte. Der Soldat war vor Schreck so weit es ging zurückgetaumelt, doch die Griechen dachten gar nicht daran, sich in Sicherheit zu bringen. Atemu hatte zwar eingreifen und mit einem seiner Ka-Monster helfen wollen, doch mit einem wilden Schlachtschrei hatten sich da auch schon die übrigen Griechen in Bewegung gesetzt, ihre eigenen Waffen gezogen und ihre Kameraden mit lautem Gebrüll nach Leibeskräften unterstützt. Es war ein kurzer, überaus blutiger Kampf gewesen mit negativem Ausgang für das Krokodil, dessen zerfleischte Reste nicht mal mehr für eine bescheidene Trophäe reichten, doch zumindest die Griechen hatten einen Mordsspaß gehabt. Seth, Atemu und sogar der ägyptische Soldat dagegen hatten diesem Schauspiel zwar im Interesse der Diplomatie stillschweigend beigewohnt, ihren Ekel jedoch dennoch nicht ganz verbergen können. Nun saßen sie also hier, auf Atemus königlicher Barke; hörten sich zum wiederholten Male die Geschichte der tapferen Griechen und des bösen Krokodils an und versuchten dabei angestrengt zu lächeln. Atemu gelang das auch ganz gut, Seths Stimmung dagegen wurde von Minute zu Minute schlechter. Erst als sie kurz an Land anlegten und noch einige weitere Passagiere, darunter Aknadin zustiegen, hellte sich seine Miene wieder auf. Der Priester begrüßte erst den Pharao, dann die Griechen und ließ sich anschließend neben Seth nieder. „Warum liegt neben unseren Gästen ein totes Krokodil?“, fragte er belustigt und Seth winkte genervt ab. „Sagen wir mal so: Unsere kleine Fahrt ist anders verlaufen, als gedacht. Belassen wir’s dabei.“ Aknadin lächelte. „Wie du möchtest. Aber erzähl mir doch zumindest mal, wie du und der Pharao heute so klargekommen seid.“ Der Angesprochene gab ein unverständliches Brummen von sich. „Klingt ja nicht so gut“, meinte der betagte Mann skeptisch und zupfte an seinem langen Bart. „Nein, es lief ganz gut. Wir hatten eigentlich gar nicht soviel Kontakt miteinander“, stellte Seth klar. „Aber es ist irgendwie merkwürdig, ihn so ganz und gar königlich auftreten zu sehen. Hätte ich ihm eigentlich gar nicht zugetraut, aber er besitzt wirklich ein gewisses Geschick im Umgang mit diesen Leuten.“ Der alte Priester warf einen missbilligen Blick auf Atemu. „Lass dich nicht davon täuschen“, bat er seinen Sohn eindringlich. „Atemu versteht sich darauf, die Leute mit seinem Charme zu umgarnen und dann auszuspielen. Vergiss das niemals, wenn du ihm gegenüberstehst.“ Seth kaute unschlüssig auf seiner Unterlippe. „Bitte sprecht in meiner Gegenwart nicht so von dem Pharao. Ich respektiere Euch wirklich sehr, aber auch Atemu gegenüber möchte ich versuchen treu zu sein. Immerhin hat er mich von meinem Sklavendasein befreit und lässt mich sogar zu einem Priester ausbilden“, platzte es mit einem mal aus ihm heraus und bereute es noch im gleichen Moment, als Aknadin vor Zorn puterrot anlief. Sein Sohn, sein Sohn, ergriff gegen seinen eigenen Vater Partei für den verhassten Pharao! „Bist du auch schon so unter seinen Bann geraten? Bist du so dumm?“, zischte er und packte Seth an den schmalen Schultern. „Sei kein Narr. Diene dem Pharao, so gut du kannst. Aber lass dich niemals von ihm einlullen. Weißt du, woher das Essen stammt, mit dem er hier so freizügig um sich wirft? Weißt du, wie die Menschen unter ihm zu leiden haben? Weißt du das?“ „Ihr tut mir weh“, entgegnete Seth leise und sah Aknadin verwirrt an. Aber anstatt seinen Griff zu lockern, bohrte dieser seine Finger nur noch tiefer in die Haut seines Sohnes. „Beantworte erst meine Frage! WEISST DU DAS?“ Mittlerweile hatten sich die ersten neugierigen Köpfe zu ihnen umgedreht und auch Atemu runzelte irritiert die Stirn. Er wollte gerade aufstehen und nach dem Rechten sehen, doch einer der Griechen ergriff seinen Arm und ließ ihn nicht wieder los; wollte er dem Pharao schließlich unbedingt von der großen Überraschung erzählen, die sie dem jungen König zum Dank für seine Gastfreundschaft mitgebracht hatten und die bereits im Palast auf seine Rückkehr wartete. Aknadin zwang sich zur Ruhe und ließ Seth widerwillig los. Dieser rutschte sofort ein Stücken von ihm weg und rieb sich die schmerzenden Schultern. „Es tut mir leid. I-Ich habe mich gehen lassen. Verzeih mir... “ Aknadins Entschuldigung klang aufrichtig genug und Seth nickte zwar, betrachtete den alten Mann jedoch weiterhin voller Argwohn. Der Priester seufzte schwer. „Seth, ich....“, Er stoppte kurz, strich sich mit einer Hand müde durch das Gesicht und fuhr dann fort. „Lass mich dir eine Geschichte erzählen...“ Und tatsächlich hörte ihm Seth interessiert zu. -------------------- Durch die Dunkelheit der Nacht steuerte die Barke des Pharaos endlich wieder Richtung Heimathafen. Da nur noch wenige Kanäle befahrbar waren, dauerte die Rückreise dementsprechend lange, musste man doch viele Umwege machen und kam stellenweise gar nicht vorwärts. Seth stand am Bug des Schiffes und betrachtete gedankenverloren die Landschaft. Aknadin hatte sich schon lange zur Ruhe begeben und auch der Großteil der anderen Passagiere hatte sich bereits schlafen gelegt. Hin und wieder tauchte ein Dorf am Ufer auf. Manchmal traten vereinzelt Menschen aus den erbärmlichen Hütten und sahen mit bewundernden Blicken dem prachtvollen Schiff nach. Seth spürte, dass sich ihm jemand näherte; drehte sich aber dennoch nicht um. „Genießt du die schöne Aussicht?“, schnitt Atemus Stimme in seine Gedanken, doch statt mit einer Antwort, wurde er von Seth nur mit Nichtbeachtung bedacht. Der Pharao war von dem abweisenden Verhalten des Jungen zwar nicht gerade beigeistert, schob es aber dann auf den kleinen Disput, den Seth mit Aknadin offensichtlich gehabt hatte. Wahrscheinlich war sein Sklave deswegen immer noch ein wenig bedrückt, denn im Gegensatz zu Atemu schien Seth den alten Priester durchaus zu mögen. „Die Griechen, nun ja, die beiden, die noch wach sind, haben um deine Gesellschaft gebeten. Und ich muss ihnen zustimmen. Du hast dich diese Fahrt über ganz schön rar gemacht“, fuhr Atemu schließlich fort und endlich reagierte auch Seth. „Kann ich dich was fragen?“, wollte er wissen, wenngleich er immer noch stur geradeaus blickte und Atemu partout nicht ansehen wollte. „Sicher doch“, antwortete der junge Pharao überrascht. Diesen sanften, zaghaften Ton war er von Seth gar nicht gewohnt. Wenn Seth was sagen wollte, Gutes oder Schlechtes, dann tat er dies gewöhnlich einfach. Um Erlaubnis hatte er vorher noch nie gefragt. „Welches Verhältnis haben eigentlich du und Aknadin. Und bitte sei ehrlich zu mir.“ Seths Worte waren kaum mehr als ein Flüstern und ließen eine Schwermut in Atemu aufsteigen, die er sich selbst nicht richtig erklären konnte. „Kein besonders gutes, fürchte ich“, erklärte er wahrheitsgemäß. „Er hält wohl nicht besonders viel von meinen königlichen Qualitäten. Ich denke, das hat auch was mit meinem Vater zu tun.“ „Deinem Vater?“ „Ja, du musst wissen... mein Vater und Aknadin...sie waren Brüder; Zwillinge, um genau zu sein. Mein Vater war ein großartiger Pharao. Aknadin hat ihm immer gut und treu gedient. Aber ich glaube auch, dass Aknadin auf meinen Vater eifersüchtig war. Wahrscheinlich wollte Aknadin selbst gerne statt meines Vaters Pharao werden. Trotzdem, seine Pflicht gegenüber dem König hat er stets bestens erfüllt und ich habe meinen Vater auch nie über Aknadin klagen hören. Doch dann wurde mein Vater plötzlich krank. Es kann gut sein, dass Aknadin in dieser Zeit fest mit dem Pharaonenthron für sich gerechnet hatte. Selbstverständlich wäre ich von vornherein der rechtmäßige Erbe des Throns gewesen, aber ich war damals erst 13 Jahre alt und außer Shimon und meinem Vater traute mir niemand diesen Posten zu. Aknadin hatte fast den gesamten Hofstab auf seiner Seite, doch noch bevor mein Vater starb, ernannte er mich zum Mitregenten, womit Aknadin ganz klar ausgestochen worden war. Das hat er nie so ganz verwunden. Wenn er mich ansieht, sieht er wohl nur die ganzen Dinge, die er alle anders, und wie er sicher meint, besser machen könnte. Doch auch wenn er erfahrener sein mag; ich beherrsche dafür die ägyptischen Göttermonster. Ich bin es, der Ägypten vor seinen Feinden schützen kann. Ich, und nicht Aknadin.“ „Dann bist du also Aknadins Neffe. Merkwürdig. Ich hatte immer gedacht, dass Aknadin ein Mensch ist, dem die Familie mehr bedeutet. Sogar mehr, als der Pharaonenthron“, meinte Seth und fühlte sich mit einemmal merkwürdig bedrückt. „Ich frage mich, wieso. Kann mir doch eigentlich egal sein, oder etwa nicht?“ „Nun, auch die Besten von uns können sich mal irren“, entgegnete Atemu knapp und zuckte unbehaglich mit den Schultern. „Darf man fragen, wie du überhaupt auf dieses Thema gekommen bist?“ Seth schüttelte abwehrend den Kopf. „Nur so. Hat keinen bestimmten Grund gehabt.“ Das war eine Lüge und das wussten sie beide, doch es war spät und Atemus Gäste warteten, weswegen es ihm der Pharao noch mal nachsah. „Komm jetzt“, sagte er schlicht und wollte Seth zu den anderen bringen. Der aber blieb, wo er war und weigerte sich, auch nur einen Schritt zu gehen. Jetzt wurde Atemu doch so langsam aber sicher gereizt. „Was ist denn los mit dir?“, wollte er verärgert wissen und zur Antwort nickte Seth Richtung Ufer. „Sieh dir das mal bitte an“, bat er sanft und Atemu trat seufzend neben ihn. „Ein paar Bauern, ja und?“, fragte er gelangweilt. Er hatte wirklich weder Lust noch Zeit für diesen Mist. „In der Tat. Ein paar Bauern. Bauern, die dich und den Palast mit Nahrung versorgen, und das, obwohl sie selbst kaum noch genug zum Leben haben. Atemu, fällt dir denn gar nicht auf, wie dünn sie sind?“, erkundigte sich Seth barsch. „Nur noch Haut und Knochen.“ „Seth, dieses Thema hatte ich bereits mit einigen anderen. Ich bin nicht gewillt, das schon wieder durchzukauen. Auch nicht mir dir“, entgegnete Atemu warnend, doch Seth gab nicht auf. „Einigen anderen?“, wiederholte er bitter. „Zum Beispiel einem thebanischen Gaufürsten? Solchen anderen?“ Jetzt verstand Atemu endlich. „Aknadin hat mit dir darüber gesprochen“, stellte er ruhig fest. „Dieser verdammte Priester. Was hat er jetzt wieder angerichtet?!“ „Ja, das hat er“, bestätigte Seth bedrückt. „Atemu, dein Volk hungert und du nimmst ihnen auch noch die letzten Vorräte weg. Und wozu? Um irgendwelche Fremden vom Reichtum Ägyptens zu beeindrucken?“ Er machte eine weit ausholende Handbewegung und zeigte dann gezielt auf die Griechen. „Sieh dir doch mal diese Verschwendung hier an! Das kann doch so nicht weitergehen! Du...“ Eine schallende Ohrfeige unterbrach ihn. Überrascht hielt er sich eine Hand an seine schmerzende Wange. „Es reicht, Seth. Du kommst jetzt mit mir und wirst dich, wie es sich gehört, um unsere Gäste kümmern. Ich habe dir gesagt, dass das hier auch eine Prüfung für dich ist und ehrlich gesagt...im Moment bin ich doch zutiefst von dir enttäuscht. Ich will, dass du dein schönstes Lächeln aufsetzt und nur noch redest, wenn du gefragt wirst. Und wenn ich auch nur noch ein Widerwort, nur ein einziges, von dir höre, dann kannst du deine Ausbildung vergessen und du wirst den Rest deines Lebens als das verbringen müssen, als das ich dich ursprünglich auch gekauft habe. Als ein wertloser, kleiner Sklave. Kriegst du das in dein hübsches, aber überaus störrisches Köpfchen oder muss ich mich noch mal wiederholen?“ „Nein, ich habe vollauf verstanden“, antwortete ihm Seth kühl und wandte sich zum Gehen. Atemu seufzte schwer. Schon wieder hatte er Seth verletzt, aber irgendwann musste der Junge doch einfach mal lernen, wie er sich seinem Pharao gegenüber zu verhalten hatte. Gemeinsam gingen sie zurück zu ihren Gästen, die schon ungeduldig gewartet hatten. Besser gesagt, zu dem Gast. Es war nur noch einer der Griechen wach, den Atemu, der Einfachheit halber ‚der Bärtige’ nannte, weil er sich seinen Namen partout nicht merken konnte. Seine Kameraden waren schon längst ihrem Vollrausch erlegen im Land der Träume und grummelten zufrieden vor sich hin. Ab und an war auch ein lautes Schmatzen zu vernehmen, aber ansonsten gaben sie keine weiteren Lebenszeichen von sich. Der Bärtige blickte freudig zu dem Pharao und Seth hinauf. „Na endlich! Ich fürchtete schon, ich müsste den Rest der Nacht alleine feiern!“, rief er fröhlich. Atemu lächelte höflich. „Aber nicht doch. Und seht mal, wie gewünscht habe ich auch Seth mitgebracht.“ Der Bärtige lachte schallend. „Richtig, da war doch so was!“ Dann klopfte er einladend neben sich. „Na komm schon, Junge. Ich beiße nicht.“ Seth guckte reichlich gequält, suchte sich aber gehorsam einen Platz zwischen den ganzen schlafenden Männern und ließ sich vorsichtig nieder. „Nicht so zaghaft, Junge. Hier, lass mich dir helfen“, gluckste der Bärtige amüsiert und schob grob einen seiner im Weg liegenden Kameraden zur Seite. Dieser gab ein protestierendes Gurgeln von sich, ließ sich abgesehen davon aber nicht weiter stören und schnarchte glücklich weiter. „Danke, sehr aufmerksam“, entgegnete Seth und versuchte so untertänig wie nur irgend möglich zu klingen, was ihm einen missfälligen Blick von Atemu einbrachte. „Dem kann man auch gar nichts Recht machen. Mal schauen, wie weit ich gehen kann...“ „Ah...du gefällst mir, Kleiner! Hübsch bist du auch! Schade nur, dass du bloß ein Knabe bist. Ich bin ja für vieles offen, aber es geht doch nichts über eine wohlgeformte Frau. Da hat man wenigstens was Handfestes!“, kicherte der Bärtige und vollführte mit seinen Händen einige anzügliche Gesten. „Meint Ihr nicht auch, Pharao?“ „Nun, ob Frau oder Mann...ich habe die Erfahrung gemacht, dass man mit beiden seinen Spaß haben kann“, entgegnete Atemu freundlich und schaute verstohlen zu Seth hinüber. „Oh, Ihr habt Interesse an Männern? Ha! Dann ist der Kleine hier...“, der Bärtige schlang einen kräftigen Arm um Seth und drückte ihn an sich, „...wohl Eure Bettgesellschaft! Und ich Dummkopf quatsche Euch hier die ganze Zeit zu! Wenn ich das gewusst hätte! Ihr habt doch sicherlich was anderes geplant gehabt für heute Nacht! Aber ich muss schon sagen, der Bursche ist kein schlechter Fang!“ „Vielen Dank“, erwiderte Atemu und unterdrückte ein Grinsen. „Aber Seth ist doch noch etwas mehr als nur das. Er...“ „Ach, Papperlapapp!“, unterbrach ihn der Bärtige ungeduldig. „Ihr müsst Euch doch vor mir nicht genieren. Ich guck ganz gerne mal zu!“ Damit gab er Seth einen unerwarteten Stoss, wodurch dieser ruckartig nach vorne fiel. Genau in Atemus Arme. „Na, was ist denn? Macht schon!“, jammerte der Bärtige wie ein Kleinkind, nachdem Atemu Seth nur ungläubig in seinen Armen festhielt und Seth sich überhaupt nicht rührte. „Zeigt mir, was Ihr drauf habt!“ „Bei allem nötigen Respekt, aber das geht doch ein wenig zu...“, begann der Pharao, der mit dieser Situation so gar nicht umzugehen wusste, doch Seth kam ihm zuvor. Er beugte sich ganz nah an Atemus Gesicht; seine Augen halb bedeckt von langen Wimpern, strich er mit seinem Zeigefinger sanft über dessen Unterlippe und gab einen kleinen, wohligen Laut von sich, der das Blut des jungen Königs zum Brodeln brachte. „Genau, mein Pharao. Ihr wollt doch unseren Gast nicht enttäuschen. Oder habt Ihr etwa Angst vor einem kleinen Kuss...oder vielleicht auch etwas mehr?“, flüsterte Seth und rieb sich lasziv ein wenig an Atemus Körper. Dieser spürte die Erregung in sich aufsteigen, weigerte sich aber, seinen Trieben nachzugeben. Stattdessen packte er Seths Handgelenk und drückte ihn ein Stückchen von sich. „Treib keine Spielchen mit mir, Seth“, wisperte er flehentlich. Doch Seth lächelte nur milde; streifte Atemus lockeren Griff ab und verringerte wieder den Abstand zwischen ihnen; sein Atem warm auf des Pharaos eigener Haut. Er näherte sich noch mehr; begann Atemus Hals mit sanften Küssen zu bedecken, der vor Verlangen schauderte. „Aber ich dachte, Ihr mögt Spielchen, mein Pharao? Hattet Ihr Euch das hier denn nicht schon lange gewünscht? Warum genießt Ihr es nicht einfach? Ihr werdet es auch nicht bereuen...“ Sachte blies er in Atemus Ohrmuschel. „Genie...uh...“ Der junge König stöhnte entrückt, erst leise, dann immer lauter; spürte, wie Seth seine Oberlippe zwischen die Zähne nahm, vorsichtig an ihr knabberte; ihn neckte, küsste, streichelte; wie er schließlich behutsam an Atemus Schulter saugte, ihre Körper aneinander rieb. „Se...Seth, du...ha..ah...“ Er atmete schwer und Schweiß rann ihm über sein Gesicht. Seth grinste leichthin. „Das gefällt dir, hm? Aah, aber ich weiß schon etwas, was dir sicherlich noch mehr zusagen wird...“ Damit ließ er eine Hand zu Atemus Schritt wandern, begann ihn dort mit kräftigen Bewegungen zu massieren und zu reizen. Der Pharao warf seinen Kopf zurück und stieß Seth fordernd sein Becken entgegen, der daraufhin den Druck verstärke. Atemus Keuchen wurde immer verlangender; seine Finger gruben sich tief in das Kissen unter ihm. Seth hatte Recht. Das hatte er sich schon lange gewünscht. Viel zu lange. Aber es war noch nicht genug. Bei weitem nicht. In einer schnellen Bewegung übernahm er die Kontrolle und warf Seth auf den Rücken; attackierte die weichen Lippen, bis der Junge endlich seinen Mund öffnete und küsste ihn ausgiebig. Seth erwiderte seinen Kuss eifrig und Atemus Herz machte einen kleinen Hüpfer. Plötzlich war ein lauter Knall zu hören. Erschrocken fuhr der Pharao hoch. Der Grieche! Den hatte er ja ganz vergessen. Für den Bärtigen war die Show wohl offensichtlich zu viel gewesen. Mit einem seligen Grinsen auf den Lippen und einer Hand zwischen seinen Beinen war er bewusstlos umgekippt. Verärgert über die Störung drehte sich Atemu wieder zu Seth um, der immer noch abwartend unter ihm lag. Und die Ernüchterung folgte sogleich. Kein noch so kleines Zeichen von Erregung war auf Seths ausdrucklosem Gesicht zu sehen. Er lag einfach nur regungslos da. Keine geröteten Wangen, kein vor Verlangen bebender Atem...nichts. „Seth, ich…“, begann Atemu, noch bevor er überhaupt wusste, was er eigentlich sagen wollte. Seth lächelte sanft. „Weißt du, Atemu. Das war gerade überaus lehrreich für mich“, meinte er ruhig, hob seine Hand und streichelte liebevoll Atemus Wange. Anschließend richtete er sich langsam auf und beugte sich zu Atemus Ohr. „Ich danke dir dafür“, flüsterte er; seine Stimme weich und verführerisch ließ er seine Hand wieder unter den Schurz des Pharaos gleiten und kitzelte ihn mit federleichten, verspielten Berührungen. Der junge König schloss genüsslich die Augen; die Stille nur hin und wieder von einem leisen Stöhnen unterbrochen. Doch obwohl er von Seths unerwarteten Liebkosungen nicht genug bekommen konnte; sein ganzer Körper sich vor Sehnsucht verzehrte, irgendetwas beunruhigte ihn und ließ ihn nicht los. Langsam blickte er seinen Sklaven an, sah fest in dessen Augen, die in der Finsternis fast schwarz wirkten und keinen Schimmer Licht mehr in sich trugen. „Wie meinst du das?“, fragte Atemu nun endlich mit gesenkter Stimme und beobachtete Seth misstrauisch. Er wusste nicht genau, was sein Priester in spe jetzt wieder vorhatte, aber es gefiel ihm nicht. Ganz und gar nicht. „Es heißt, was es heißt...“, erwiderte der nicht gerade hilfreich; ließ vom Pharao ab und betrachtete stattdessen seine eigenen Hände; sein Gesichtsausdruck eine undeutbare Maske. Dann richtete er sich auf. Er blickte Atemu einige Sekunden lächelnd an, beugte sich vor und küsste ihn sacht auf die Lippen. „Ich verrate dir etwas...“, wisperte er und war dem Pharao dabei so nahe, dass dieser die Hitze von Seths Körper auf seiner eigenen Haut zu spüren glaubte. „Dieser Kuss eben...und alles andere. Weißt du, was ich gefühlt habe?“ „Nein, das weiß ich nicht“, flüsterte Atemu, seine Seele schwer mit dunkler Vorahnung. Seth lachte leise. „Nein? Wirklich nicht? Nun, ich verrate es dir...“ Noch einmal kam er ganz nahe an den König heran, seine Stimme nicht mehr als ein Hauch auf Atemus Gesicht. „Ich habe gefühlt...“, raunte er, jedes einzelne Wort von einem zarten Kuss begleitet. „Ich habe gefühlt...rein...gar...nichts...Nicht...das...Geringste...du bedeutest mir nichts, Atemu. Ist das nicht interessant?“ Dann erhob er sich, strich Atemu zum Abschied mit den Fingerspitzen sanft über die Wange und verschwand unter Deck. Zurück blieb der Pharao; zu geschockt und verletzt, um seinen Sklaven aufzuhalten. ------------------------- Kapitel 18: Verborgene Pläne - oder auch: Verzeihen will gelernt sein --------------------------------------------------------------------- Hier sind sie wieder - die bösartigen Author notes. Ähm ja, was den Mexx Titel betrifft: Kapitel 18 und 19 habe ich für Mexx zu einem Kapitel zusammengefasst, weil 1. Kapitel 18 nur drei Wordseiten lang ist und 2. ich die starke Vermutung hege, dass ihr sowieso mehr an Atemu und Seth interssiert seid als an Aknadin und Seth und Kapitel 18 Atemu-frei ist ^^° Ich habe allerdings die originale Aufteilung innerhalb dieses Kapitels beibehalten (okay, Kapitel 19 ist jetzt Kapitel 18b, aber egal). Zum einen, weil es einen Grund hatte, dass die Kapitel eigentlich mal getrennt waren, zum anderen dachte ich, dass es vielleicht bei der Länge dieses Kapitels ganz praktisch ist, denn so kann man es leichter "stückchenweise" lesen. ------------------------------------- Kapitel 18 – Verborgene Pläne Als das Schiff am nächsten Morgen endlich zurück im Hafen einlief, ließ sich Atemu sofort auf einer Sänfte zurück zum Palast tragen. Die Griechen und die meisten anderen Passagiere schliefen noch ihren Rausch aus und bekamen das plötzliche Verschwinden des Pharaos gar nicht mit. Atemu war dankbar dafür; so musste er sich immerhin nicht für sein unhöfliches Benehmen gegenüber seinen Gästen entschuldigen oder gar rechtfertigen. Seth hatte er den ganzen Morgen über noch nicht gesehen, was auch ganz gut war. Er wusste ohnehin weder ein noch aus, wie er sich jetzt seinem Sklaven gegenüber verhalten sollte. Seths Worte hatten ihn tief getroffen, viel tiefer, als er sich eingestehen wollte. Doch es war nicht nur Schmerz über deren Inhalt, was er nun fühlte; es war nicht nur Trauer darüber, dass der junge Mann nichts für ihn empfand. Verletzt hatte ihn vor allem die Selbstverständlichkeit, mit der Seth ihn ausgespielt hatte, ohne jede Reue oder Scham. Sicher, auch Atemu kannte diese Taktik, hatte sie schon häufig genug selbst angewandt. Nur mit dem Unterschied, dass er seinen Priester schon lange von solcherlei Manipulationen seinerseits ausgenommen hatte, weil ihm dieser inzwischen einfach zu wichtig geworden war. Und irgendwie hatte er sich von Seth die gleiche Rücksichtnahme erhofft. Niemals hätte er geglaubt, dass dieser dermaßen grausam mit seinen Gefühlen spielen würde, hätte niemals damit gerechnet, dass sein Sklave zu dieser Sorte Mensch gehörte. Er hatte sich geirrt. Und das tat mehr weh als alles andere. Die nächsten Tage vergingen in quälender Langsamkeit. Der Pharao und Seth wichen sich konsequent aus und während den seltenen Gelegenheiten, wo ein Zusammentreffen unumgänglich war, begegnete Seth dem bedrückten König mit ergebener Hochachtung, während Atemu ihn lediglich anschwieg und vermied, Seth auch nur ins Gesicht zu sehen. Dieses eigentümliche Verhalten war natürlich Aknadin und den jungen Priesteranwärtern, allen voran Mahaadoo, nicht entgangen, aber keiner traute sich nach dem Grund zu fragen und so hielten selbst sie ihren Abstand. Nur Aknadin war die ganze Sache alles andere als geheuer und wenn er auch nicht mit dem Pharao darüber sprach, so nahm er sich doch fest vor, seinen Sohn auf dessen jüngstes Benehmen anzusprechen, wenn sich die Dinge nicht bald wieder normalisierten. Und das taten sie nicht. Zu dem Stress mit Seth gesellte sich für Atemu noch ein weiteres Übel hinzu. Die Griechen waren inzwischen abgereist und der Bärtige hatte sich aufgrund übermäßigen Alkoholkonsums glücklicherweise auch nicht mehr an die unschöne Szene auf dem Schiff erinnern können, doch sein angekündigtes Geschenk lief immer noch frei im Palast herum und verlangte Atemus Aufmerksamkeit; etwas, was dieser nicht zu geben bereit war. Die griechische Prinzessin mit Namen Cassandra war zugegebenermaßen eine wahre Schönheit, gebildet und wortgewandt. Doch verstand sie nicht, warum Atemu sich einfach nicht für sie zu interessieren schien. Ihr Ägyptisch war ausgezeichnet und da sie sich auch mehr oder weniger gut mit den Damen im Frauenhaus angefreundet hatte, wusste sie, dass der Pharao seine Frauen nur selten zu sich rief. Aber Cassandra war neu. Mit ihr hatte er noch nie das Bett geteilt und dass er sie von Anfang an so ablehnte, missfiel ihr gewaltig und verletzte ihren Stolz. Sie überlegte, ob es vielleicht etwas mit ihrer griechischen Herkunft zu tun haben könnte und fing an, sich nach ägyptischer Art zu kleiden. Sie ließ sich mit duftenden Ölen einreiben, welche die Sinne streichelten, trug kunstvoll frisierte Perücken, leichte, fast durchsichtige Kleider, die ihren Busen freiließen; ihren Körper umspielten und jedem Mann den Verstand raubten. Und trotzdem, der Mann, auf den es wirklich ankam, der Pharao Höchstselbst, hatte sie eiskalt abblitzen lassen; sie sogar seines Gemachs verwiesen, nachdem sie die Dinge selber in die Hand genommen und sich in sein Bett eingeladen hatte. Ihr Vater hatte ihr ein Leben in Reichtum, Macht und Luxus versprochen. Den Reichtum und Luxus bekam sie in Form von schönem Schmuck und edlen Gewändern, doch die Macht blieb ihr verwehrt, wie sich ihr auch der Mann verwehrte, dem sie sich so gerne hingeben wollte. Doch es war nicht nur Atemus Ablehnung, was sie quälte. Vor allem war sie einsam. Die übrigen Gespielinnen des Pharaos versuchten zwar, Cassandra aufzuheitern, doch ihre Sorge war eher oberflächlich; stellte doch die Prinzessin nur eine weitere Konkurrentin um die Gunst des Pharaos dar. Allein in diesem fremden Land, vom Herrscher abgewiesen, wurde Cassandra mit jedem Tag depressiver, flüchtete sich in ihre Träume, vergaß die Welt um sich herum und versank immer mehr in ihrer eigenen, kleinen Fantasie. Und das schlimmste war, dass es niemanden kümmerte. Seth indessen ging es vergleichsweise prächtig. Er lernte fleißig und kam mit seiner Ausbildung schnell voran. In einem Monat sollte er endlich in die Priesterschule in Memphis geschickt werden, wo seine richtige Lehre beginnen konnte. Die Sache mit Atemu hatte er natürlich nicht vergessen, doch er verdrängte sie so gut es eben ging. Zumindest solange, bis Aknadin meinte, sich in Angelegenheiten einmischen zu müssen, die ihn im Grunde nichts angingen. Und Aknadin hörte sich an diesem Tag Worte sagen, von denen er niemals geglaubt hatte, dass sie einmal aus seinem Mund kommen würden. „Ich weiß nicht, was zwischen euch beiden vorgefallen ist und es interessiert mich auch nicht, aber ich dulde nicht, dass du dich dem Pharao gegenüber weiterhin so abweisend verhältst!“, zischte Aknadin förmlich; sein Körper vor Wut zitternd und seine Hände zu Fäusten geballt. „Ich habe wirklich keine Ahnung, was Ihr von mir wollt“, tat Seth ahnungslos und konzentrierte sich weiter auf seine Schriftrolle über bedeutende Pharaonen der vergangenen Dynastie. Der alte Priester trat einen energischen Schritt auf seinen Sohn zu, entriss ihm das Pergament und zog ihn grob auf die Füße. „Seth, ich sage es dir zum letzten Mal im Guten. E.N.T.S.C.H.U.L.D.I.G.E dich beim Pharao! Es ist mir auch egal wofür! Tu es einfach!“ „Warum sollte ich? Ich hab nichts Falsches gemacht!“, schrie nun auch Seth aufgebracht und gestikulierte wild mit den Händen. „Was werft Ihr mir eigentlich vor, Aknadin? Weder gebe ich dem Pharao freche Antworten, noch verweigere ich seine Befehle, noch verhalte ich mich in irgendeiner Form respektlos ihm gegenüber! Ich gebe ihm die Hochachtung, die er als Gott auf Erden verdient! Also, was wollt Ihr eigentlich von mir?!“ „Das ist aber nicht das Verhalten, was ich sonst von dir gewohnt bin“, antwortete Aknadin dem Jungen nun etwas ruhiger. Brüllen führte bei Seth ohnehin nur selten zum Erfolg, weswegen er nun seine Taktik änderte. „Und Atemu offensichtlich auch nicht. Ich weiß nicht wieso, aber aus irgendeinem Grund scheint Atemu etwas an deiner Freundschaft zu liegen. Und diese hältst du ihm im Moment vor.“ „Ja, und?“, war die patzige Antwort. „Er ist der Pharao und ich bin bloß ein dummer Sklave. Freundschaft hat da nichts zu suchen. Außerdem ist Freundschaft sowieso nicht, was Atemu von mir will. Der ist doch hinter was ganz anderem her!“ Aknadin seufzte schwer und strich sich mit einer Hand müde über sein Gesicht. Wie auch sollte er dem Jungen erklären, dass es keine Rolle spielte, ja, sogar im Grunde nur von Vorteil war, wenn er Atemu nicht mochte; er aber dennoch so tun sollte als ob. Aknadin hatte lange darüber nachgedacht. Es hatte ihn besorgt zu sehen, wie sich sein Sohn und sein Neffe in der letzten Zeit immer näher gekommen waren. Indem er Atemu Seth gegenüber verleumdete, hatte er dieser Entwicklung zwar entgegenzusteuern versucht, doch einen so endgültigen Bruch, wie er jetzt vorlag, hatte er niemals gewollt. Seth sollte nicht zuviel für den Pharao empfinden; Atemus Gefühle hingegen standen auf einem ganz anderen Blatt. „Er darf Seth nicht misstrauen. Er darf es einfach nicht! Wir brauchen Atemus Vertrauen. Alle meine Pläne gründen sich darauf!“ Plötzlich durchzuckte ihn ein kalter Schauer. „Was ist, wenn er Seth nun ein Amt bei Hofe verwehrt? Dann wäre alles umsonst gewesen. Nein, das darf ich nicht zulassen!“ ‚Das werden wir gemeinsam zu verhindern wissen...’ Der alte Mann erschrak. Diese Stimme; diese dunkle, tiefe Stimme, die so gar nicht wie seine eigene klang und ihm doch so vertraut war. Er hatte sie in letzter Zeit häufiger gehört. Und jedes Mal hatte er das Gefühl, als würde er ein Stückchen seiner Seele an die Dunkelheit verlieren. Er fürchtete diese Stimme, doch gleichzeitig begrüßte er sie auch immer wieder aufs Neue, versprach sie doch die Erfüllung seiner Wünsche. ‚Ja, irgendwann wird dein Traum wahr werden, Aknadin. Nicht mehr lange...’ „Was soll ich denn machen?“, riss ihn plötzlich Seths leise Frage aus seinen Gedanken. „Ich bin mit dieser Situation ja auch nicht unbedingt glücklich. Aber soll ich mir denn alles bieten lassen? Ich will mir einfach nicht ständig von ihm sagen lassen müssen, wie wertlos…ich eigentlich bin.“ „Das ist doch gar nicht wahr“, widersprach Aknadin sanft. „Atemu behandelt andere Menschen oft wie Abschaum, das ist richtig, aber doch nur, weil er es nicht anders gelernt hat. Er wurde als Gott erzogen. Natürlich glaubt er, er wäre mehr wert als die anderen. Und damit hat er ja auch Recht. Der Pharao ist das höchste Wesen im Reich. Er benimmt sich doch nur seinem Status entsprechend. Du solltest also nicht alles so persönlich nehmen, was er tut oder sagt.“ „Leichter gesagt als getan“, brummte Seth missmutig und Aknadin seufzte tief. „Nicht, wenn du tust, was ich dir sage. Gib Atemu, was er verlangt. Nur vergiss dabei niemals, dass er der Pharao ist. Mach nicht den Fehler, ihn zu sehr in dein Herz zu lassen. Lass ihn in dem Glauben, spiel ihm was vor, doch entwickle niemals tiefe Gefühle für ihn. Und vergiss nicht: Atemu kann dir deine Ausbildung immer noch verweigern und selbst wenn du sie erfolgreich abschließt, woran ich keinen Zweifel hege, muss er dich dennoch nicht in seinen Priesterzirkel aufnehmen. Als der Hüter eines Millenniumsgegenstandes wärst du eine der Personen, denen er ganz besonders vertrauen...auf die er sich verlassen können muss. Und das ist im Moment nun wirklich nicht der Fall. Außerdem: Ein Befehl von ihm und du landest wieder im Verlies. Oder schlimmeres. Letztendlich hält Atemu die Fäden in der Hand und nicht du. Verstehst du, was ich dir sagen möchte?“ Der Junge nickte langsam. „Ja, aber gefallen tut es mir trotzdem nicht.“ Aknadin gab ein abgehacktes Lachen von sich. „Glaub mir, ich spreche aus Erfahrung, wenn ich sage, dass es mir genauso wenig behagt wie dir. Trotzdem, befolge meine Worte. Mach einfach, was er von dir verlangt und stell keine Fragen.“ „Das heißt also, wenn er sagt ‚Mach die Beine breit und lass mich ran’, dann habe ich das wortlos zu tolerieren?“, meinte Seth wie beiläufig und hob provozierend eine Augenbraue. Der Priester starrte ihn entgeistert an. „W-wie kommt du denn jetzt darauf?“, wollte er schließlich ächzend wissen. Seth zuckte hilflos mit den Schultern und winkte schnell ab. „Schon gut. Ist nur so ein Eindruck...“ Auf einmal war ein durchdringender Schrei zu hören und etwas sehr schnelles und lebendiges schoss über ihre Köpfe hinweg. Aknadin hatte zwar nichts Genaues erkennen können, doch Seth war das gefiederte Etwas wohl vertraut. Es war Horus, Atemus kleiner Falke. Und wo Horus war, war sicher auch Atemu nicht weit. ------------------------ Kapitel 18b – Verzeihen will gelernt sein Langsam schlenderte Seth den schmalen Pfad durch die Palastgärten entlang und folgte der Richtung, in die Horus geflogen war. Er würde Aknadins Rat befolgen und versuchen, sich wieder mit Atemu auszusöhnen. Nur besonders eilig hatte er es damit nicht. Also spazierte er in aller Seelenruhe durch die große Gartenanlage, betrachtete die exotischen Pflanzen, die großen, Schatten spendenden Palmen, die meisterhaft aus Stein und Granit gehauenen Götterstatuetten, die immer mal wieder auftauchten und als Zeugnis der ägyptischen Baukunst dienten. So vertieft war er in seine Betrachtung, dass er die schwer beladene Frau, die aus einem nahe gelegenen kleinen Gebäude kam, erst bemerkte, als es schon zu spät war und sie bereits keuchend am Boden lag. Der Kleidung nach zu urteilen, handelte es sich wohl um eine Palastangestellte und Seth beeilte sich, ihr wieder auf die Füße zu helfen. „Entschuldigt bitte meine Unachtsamkeit. Ich habe nicht darauf geachtet, wo ich hingehe. War keine Absicht“, versicherte ihr Seth schnell und machte eine kleine Verbeugung. Doch die Dienerin lachte nur. „Mach dir keine Sorgen. So etwas kann jedem Mal passieren. Außerdem ist ja nichts zu Bruch gegangen. Du könntest mir allerdings helfen den Sack aufzuheben, denn der sollte da eigentlich nicht liegen bleiben. Der ist nämlich für was anderes bestimmt.“ „Ah, natürlich“, nickte er schnell und reichte ihr das Gewünschte ohne Umschweife. „Aber ist der nicht ein bisschen schwer? Ich kann gerne helfen...“ Die Frau schüttelte entschlossen ihren Kopf, so dass ihr die langen Haare wie wild ins Gesicht flogen. „Ich schaffe das schon. Sieh her...“ Zum Beweis hob sie sich den Sack auf ihren Rücken, der sich unter der Last krümmte und bog und schenkte Seth ein strahlendes Lächeln. Der schaute skeptisch zurück. „Also, ich weiß ja nicht...“, meinte er zweifelnd, was ihm aber nur ein unbekümmertes Grinsen einbrachte. „Nein, nein. Ist schon in Ordnung. Ich hab es ja nicht mehr weit. Gleich da hinten ist ein Karren. Siehst du? Da muss ich hin. Das schaff ich schon alleine.“ Neugierig blickte Seth in die Richtung, in welche die Frau gezeigt hatte und erkannte, dass sie Recht hatte. Dort stand wirklich schon ein Wagen bereit. Zwei kräftige Pferde vorgespannt, wurde er gerade mit diversen Säcken, Körben und Krügen beladen. „Was ist da alles?“, erkundigte er sich interessiert und die Frau kicherte fröhlich. „Das ist ein Teil der Palastvorräte. Sie sind für die Menschen in der Stadt und die umliegenden Bauern bestimmt. Der Pharao hat verfügt, dass das Essen auf den Marktplatz gebracht und dort gerecht an die Menschen verteilt werden soll. Ist das zu glauben?!“, erklärte sie begeistert und machte sie dann wieder weiter auf den Weg. Seth nahm ihre Worte stillschweigend zur Kenntnis. --------------------- „Also, ein bisschen anstrengen musst du dich schon. Hier...meine Güte, du bist ganz schön träge geworden. Jetzt gib dir mal etwas mehr Mühe...“, murmelte Atemu und schwang das gelbe Küken einladend vor seinem Falken hin und her. „Es ist doch sogar schon tot. Du musst es dir nur noch holen.“ Bedauerlicherweise hatte Horus heute voll offenkundig seinen Jagdinstinkt zu Hause gelassen; statt sich auf die Beute zu stürzen, blieb er lieber mit weit geöffnetem Schnabel am Boden hocken und fiepte jämmerlich. Der Pharao seufzte. „Du wirst echt von Tag zu Tag fauler, hm? Na fein, hier hast du’s. Nur hör mit dem Gejammer auf.“ Geschlagen legte er das Küken vor Horus ab. Dieser beäugte es auch gleich sorgfältig, befand es für essbar und begann, kleine Stückchen aus seiner Mahlzeit herauszureißen; die weichen Flaumfedern des Kükens dabei wild durch die Gegend werfend. Atemu betrachtete das kleine Gemetzel zu seinen Füßen kritisch. „Das ist nicht besonders appetitlich“, stellte er unnötigerweise fest und wandte angewidert seinen Blick ab. Der direkt auf seinen zukünftigen Priester in spe fiel. Der ihn wohl schon eine ganze Weile beobachtet hatte und sich ihm nun zögerlich näherte. „Was willst du, Seth?“, fragte Atemu tonlos. „Ich habe dich nicht zu mir gebeten. Zudem ist dieser Teil des Gartens privat, besser gesagt, nur der königlichen Familie vorbehalten. Da gehörst du nicht dazu, also verschwinde.“ „Das weiß ich auch ohne dass du es mir sagst. Ich bin ja schließlich nur ein wertloser Sklave, Eure Hochwohlgeborenheit...“, dachte Seth säuerlich, zwang sich aber, zumindest äußerlich, Ruhe zu bewahren. Er war hier, weil er sich entschuldigen wollte...musste. Auch wenn er innerlich kochte; er würde jetzt keinen Rückzieher machen. Also ließ er sich langsam auf seine Knie sinken und verbeugte sich tief. „Ich entschuldige mich in aller Demut für mein Verhalten. Es war falsch und ich hatte kein Recht, Euch dermaßen bloßzustellen. Vergebt mir, mein König. Was auch immer meine Strafe sein wird, ich werde sie klaglos akzeptieren“, würgte er schließlich mühevoll hervor und hoffte inständig, dass Atemu nicht die Lüge seiner Worte heraushören würde. Es fiel ihm einfach so schwer, Reue für etwas vorzuheucheln, was ihm im Grunde nicht leid tat; ja, sogar ein Gefühl der Befriedung verschafft hatte. Atemu indes hatte sich Seths Worte erst mit Erstaunen, dann mit zunehmendem Ärger und aufkommender Enttäuschung angehört. Sein Blick verfinsterte sich und seine Stimme klang bitter, als er endlich antwortete. „Du bist ein ganz schlechter Lügner, Seth.“ Dessen Magen verkrampfte sich. Atemu strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. Dann stand er auf und ging langsam zu seinem Sklaven, der sich nicht rührte und wohl auf die Erlaubnis wartete, sich erheben zu dürfen. „Zumindest das hat er endlich mal begriffen...“ Der junge Pharao starrte bedrückt noch eine Weile länger auf seinen Priesteranwärter hinab. Schließlich kniete er sich zu ihm hinunter, so dass sie auf Augenhöhe waren und hob sein Kinn an. „Ich will eine ehrliche Entschuldigung, Seth. Und ich will, dass du mir dabei in die Augen blickst. Wenn du das nicht kannst, dann verzichte lieber auf weitere Worte. Steh auf, geh und komm nicht wieder. Also sage nur etwas, wenn du es auch wirklich ernst meinst. Nun, wie ist es?“ Seth schluckte und zwang sich, des Pharaos Blick standzuhalten. „Ich...“, fing er zögernd an, atmete einmal tief durch und probierte es erneut. „Ähm...ich...es tut...mir...also, ich...“ Schon wieder geriet er ins Stocken. So schwer hatte er sich die ganze Sache bei weitem nicht vorgestellt. „Du kannst es also nicht“, stellte Atemu treffend fest, seine Enttäuschung nicht verbergend. Seth blickte betrübt zur Seite. „Nein, ich kann es wohl wirklich nicht. Wie du schon sagtest: Ich bin ein schlechter Lügner.“ Damit erhob er sich und wandte sich zum Gehen. „Ich verschwinde dann jetzt wohl lieber...“, setzte er zögerlich hinzu und Atemu nickte. „Ist wohl das Beste“, war alles, was dieser dazu noch zu sagen hatte. „Das Beste...vielleicht kann ich meine Worte irgendwann auch glauben.“ Doch trotz seiner Zweifel hielt er Seth nicht auf, der sich langsam von ihm entfernte; dabei immer mal wieder einen Blick über seine Schulter warf; ganz so, als ob er hoffte, Atemu würde es sich vielleicht doch noch mal überlegen; ganz so, als er hoffte, dass ihn der Pharao noch einmal zurückrufen würde. Atemu stöhnte leise. „Wir sind beide Idioten. Beide zu stolz, um einen Fehler zuzugeben.“ „Warte!“, rief er schließlich, fast gegen seinen Willen und Seth blieb tatsächlich stehen. Sah ihn erwartungsvoll an. Und Atemu verstand. Sein Priester wollte dies hier genauso wenig wie er. Seth war laut, unhöflich und ließ sich ungern etwas sagen; sein Verhalten war meistens genauso gefühlskalt wie seine Augen; er war impulsiv und arrogant. Er war oft respektlos und fast immer so von sich und seinen Fähigkeiten überzeugt, dass es schon an Dummheit grenzte. Er hatte so viele Fehler. Und dennoch...er war auch ehrlich, loyal, klug und tat selten etwas, ohne einen Grund. Nicht nur Atemu war verletzt. Auch sein Sklave war es. Nur warum? „Ich will, dass du mir eine Frage beantwortest“, meinte Atemu langsam und Seth nickte gehorsam. „Ich höre“, entgegnete er knapp. Es war klar, dass er diese Situation so gar nicht einschätzen konnte. Was sollte er jetzt fühlen? Besorgnis? Hoffnung? Furcht? Abwartend schaute er Atemu an, der die Lippen zusammengepresst hatte und nur langsam sprach: „Warum hast du das getan, Seth? Das ist alles, was ich von dir wissen will. Nicht mehr. Nur, warum du so mit mir und meinen Gefühlen gespielt hast.“ „Bitte sag es mir, denn ich verstehe es einfach nicht. Ich verstehe dich nicht.“ Seth betrachtete ihn nur schweigend. Atemu spürte, wie sich seine Fingernägel tief in seine Handballen bohrten; der körperliche Schmerz kein Vergleich zu dem, was er innerlich fühlte. Und vor ihm stand Seth. Seth, der ihm immer noch nicht geantwortet hatte; der ihn nur wortlos studierte. Der Pharao fühlte den vertrauten Ärger in sich aufsteigen. „WARUM HAST DU DAS GETAN?“, schrie er schließlich, seine Stimme ein hysterischer Mix aus Wut, Verzweifelung und Trauer. „Was habe ich dir getan, dass du mich so verletzen musstest?!“ Und immer noch war Seths einzige Reaktion ein ausdrucksloser, fast kühler Blick. Mit zitternden Gliedern ließ sich der Pharao langsam auf den Boden sinken. Aus den Augenwinkeln sah er, wie sein Sklave sich ihm näherte und knapp vor ihm stehen blieb. Eine Weile lauschte er nur Seths leisem Atem, während er selbst mit dem Versuch beschäftigt war, sich wieder einigermaßen zu fangen. Endlich brach sein Priester die bedrückende Stille. „Ist nicht gerade angenehm, nicht wahr? Tut weh, herausfinden zu müssen, dass man nicht mehr ist als ein Spielzeug, ein Ding...ein wertloser Sklave.“ Er lachte lauthals. „Nun ja, das Letztere trifft ja wohl eher nur auf mich zu, wie du mich so gerne dran zu erinnern pflegst.“ Atemu blickte erschrocken auf. „Wovon redet er?“ „Wie meinst du das? Ich habe...ich...Du bist doch nicht mein Sklave. Du bist mein zukünftiger Priester! Wie kannst du so was nur behaupten?“ Seths Ruhe verflog. „Und warum behandelst du mich dann wie einen? Warum drohst du mir damit? Auf dem Schiff, erinnerst du dich? ‚Ein wertloser, kleiner Sklave’, DAS BIN ICH FÜR DICH!“ „Das ist nicht wahr! Ich war wütend und enttäuscht! Das war eine Affekthandlung, nichts weiter und das weißt du auch genau! Wenn du also schon mit solchen Behauptungen um dich wirfst, dann erklär mir mal wenigstens, wie du auf so einen Mist kommst, Seth! „Das ist kein Mist, sondern die Wahrheit!“ „Du spinnst doch total!“ „Oh ja, jetzt spinn ich! Wirklich ein überzeugendes Gegenargument, Atemu! Das erklärt natürlich alles!“ Ein lauter Schrei unterbrach sie plötzlich. Horus hatte seine Mahlzeit zwischenzeitlich beendet und warf nun vorwurfsvolle Blicke zwischen den beiden Krachmachern hin und her. Atemu streckte seine Hand aus und wollte den kleinen Falken beruhigend über das Gefieder streicheln, doch der hackte nur schwer verstimmt nach Atemus Fingern und krächzte missmutig. Dann flatterte er noch einmal kurz protestierend mit den Flügeln, bis er sich schließlich in die Luft erhob und davonflog. So ein furchtbarer Lärm war einfach nichts für zart besaitete Gemüter. Der Pharao indes sah ihm gedankenvoll nach, bis er sich wieder seinem Priester widmete, der sich inzwischen ebenfalls abgeregt hatte und ihn nun mit versteinerter Miene anstarrte. Atemu schüttelte den Kopf. „So bringt das doch nichts.“ Er atmete einmal tief durch. „Jetzt sag mir bitte in ruhigen, klaren Worten, warum du denkst, dass ich dich immer noch als meinen Sklaven betrachte.“ „Weil du niemals gesagt hast, dass ich keiner mehr bin“, stellte Seth endlich klar und betrachtete Atemu vorwurfsvoll. „Du hast niemals gesagt, dass ich frei bin. Du hast mir damals zwar freigestellt, ob ich ein Priester werden will, aber damit hast du mich nur von einer Gefangenschaft in die nächste gedrängt. Und wenn’s mal nicht so läuft, wie du es gern hättest, dann drohst du mir. Ich bin nicht frei. Ich stehe immer noch unter deinem Willen. Was wäre denn gewesen, wenn ich das Priestertum abgelehnt hätte? Hättest du mich gehen lassen? Hättest du mich mein eigenes, von dir unabhängiges Leben führen lassen? Oder hättest du mich nicht eher weiterhin in meinem Zimmer eingesperrt? Immer noch deinen Launen unterworfen; immer noch dein Sklave...“ Seths Stimme war nunmehr kaum mehr als ein Flüstern und Atemu fühlte einen Stich in seinem Herzen. So gerne würde er das alles abstreiten, sagen, dass sich der junge Mann irrte. Doch er konnte es nicht, denn es war wahr. Und bis jetzt war sich Atemu dessen nicht einmal bewusst gewesen. „Er hat Recht. Ich habe ihm niemals angeboten, ihn gehen zu lassen. Ich wollte es ihm niemals anbieten, denn ich hatte Angst...ich hatte Angst...“ „Dass du mich verlässt...“ Seths Augen schossen misstrauisch zu Atemus. „Wie war das? Du sprichst zu leise.“ An der Wange des Pharaos zuckte ein Muskel. Er konnte jetzt keinen Rückzieher mehr machen, auch wenn ihm die Wahrheit noch so schwer fiel. „Ich hatte Angst, dass du mich verlässt. Ich habe gedacht, dass, wenn ich dir deine Freiheit schenke, du dich von mir abwendest und mich allein lässt. Und wenn du durch die Priesterprüfung gefallen wärst, dann...ja, dann hätte ich dich wieder als meinen Sklaven in den Palast zurückgeholt“, erklärte er schließlich widerwillig und sah zögerlich zu Seth, der so gar nicht zu wissen schien, was er mit dieser Information anfangen sollte. Und als er endlich sprach, waren seine Worte so sanft, dass Atemu ihn kaum verstehen konnte. Und sein Gesicht voller Unverständnis. „Und warum kümmert dich das überhaupt? Du hast so viele Bedienstete und Sklaven. Auf mich kommt es da doch wirklich nicht an...“ Atemu atmete flach. „Ja, warum wohl? Ich glaube, ich kenne die Antwort. Und doch kann ich es ihm nicht sagen...noch nicht. Es ist zu früh. Aber anlügen will ich ihn auch nicht.“ Er entschied sich für die Halbwahrheit. „Du bist ein guter Freund und ich habe dich recht gerne. Wir sind etwa im gleichen Alter und irgendwie...ich mag dich gut leiden“, druckste er herum und verzog leicht die Mundwinkel. „So weit ist es mit mir nun schon gekommen. Verdammt, Seth, was tust du mir nur immer an?“ Etwas leiser fuhr er fort: „Auch wenn es dir schwer fällt, aber ich bitte dich, mir in dieser Hinsicht einfach zu vertrauen. Du bist mir wirklich wichtig und ich habe dich gern in meiner Nähe. Verstehst du das, Seth?“ Dieser seufzte hörbar auf und schüttelte verwirrt mit dem Kopf. „Nein...ja...ah...ich weiß es nicht. Noch nicht, jedenfalls. Aber, Atemu...“, und was er vorher nicht konnte, klappte diesmal. Er sah seinem Pharao fest und ehrlich in die Augen. „Nur weil du etwas gern bei dir hast, kannst du es doch nicht für immer wegsperren. Du kannst mir doch deswegen nicht meine Freiheit nehmen. Wenn ich bei dir bleiben soll, sollte ich das dann nicht aus freien Stücken tun? Weil ich auch gerne bei dir bin?“ „Dass dir meine Gegenwart angenehm ist, das habe ich ja nun nicht gerade bemerken können. Von daher sind die Aussichten, dass du mir nicht wegläufst, verschwindend gering. Oder denkst du nicht?“, lächelte Atemu schwach. „Und woher willst du das wissen“, hielt Seth dagegen und setzte sich nun neben Atemu, der überrascht zusammenzuckte. Eine Weile schwiegen sie sich nur an, doch dann: „Warum machen wir uns eigentlich ständig das Leben so schwer?“, meinte Seth ruhig und wohl eher zu sich selbst. Der König antwortete ihm trotzdem. „Weil wir beide schwierige Persönlichkeiten sind, vielleicht?“ Seth verzog das Gesicht. „Das ist wohl noch milde ausgedrückt.“ Seufzend ließ er sich auf die Wiese zurückfallen. „Weißt du, vielleicht ist es auch einfach so, dass wir ohne Streitereien gar nicht miteinander können? Vielleicht sind diese ständigen Zwiste die einzige, äußerst traurige Basis für unsere...uh...Beziehung. Könnte doch sein, oder?“ „Glaubst du das wirklich?“ „Weiß nicht. Sollte ich?“ „Nein. Und vergiss nicht. Ich bin der Pharao. Ich habe immer Recht.“ „Ah ja, natürlich hast du das. Keine Frage.“ Grinsend rollte sich Seth auf die Seite und schloss scheinbar entspannt seine Augen. Doch so ruhig wie er äußerlich wirkte, war er in Wirklichkeit gar nicht. Seine Gedanken und Gefühle überschlugen sich, drehten sich immer wieder um denselben, fragwürdigen Punkt. „Er hat gesagt, ich sei ihm wichtig. Aber wie wichtig genau? Wichtiger als Spielzeug, ein Priester…ein Freund? Ach, Atemu. Was willst du eigentlich von mir?“ Doch eins war klar. Was auch immer Atemu nun für ihn empfand, wie tief auch immer seine Gefühle waren, Seth glaubte nicht, dass er sie erwidern konnte. „Nein, auch Atemu bedeutet mir viel, obwohl wir uns noch gar nicht so lange kennen. Es ist auch mehr als Dankbarkeit...aber Liebe ist es nicht. Nein, ich liebe ihn nicht. Andererseits, auch Atemu sprach niemals davon, also...“ Entschlossen setzte er sich wieder auf. Er wusste nicht, ob er damit zu weit ging, aber er wollte es riskieren. Zaghaft drehte er Atemus Gesicht zu seinem und hob, wie auch Atemu es bei ihm getan hatte, leicht dessen Kinn an, damit sie sich in die Augen blickten. Der junge König ließ es wortlos zu. „Deine Freundschaft wäre mir eine große Ehre. Und auch, wenn es oft nicht so aussieht, aber eigentlich bin ich gerne bei dir. Ich werde nicht weglaufen und ich werde dich nicht alleine lassen. Doch wenn du mich noch lässt, dann werde ich ein großartiger Priester werden. Ich werde dir treu dienen und an deiner Seite stehen. Die Frage ist nur: Darf ich das noch? Möchtest du mich noch als deinen Priester?“ Seth blickte Atemu fest an; wollte, dass dieser sah, dass das jetzt weder Lüge noch Spiel war. Und der Pharao nickte. Seths Worte waren mehr, als er letztendlich erwartet und weniger, als er sich erhofft hatte. „Er hat nicht gesagt, was er empfindet“, stellte Atemu bedrückt fest. Dennoch, es war ein Anfang. „Ja, ich hätte dich gerne als meinen Priester und auch als einen Freund“, antwortete er schließlich schlicht. Seths Gesicht hellte sich augenblicklich auf. „Danke“, hauchte er glücklich und auch Atemu musste nun lächeln. Dann wurde Seth wieder ernst. Seinen Stolz für einen Moment vergessend, tat er endlich das, wofür er eigentlich hergekommen war. Beendete die Sache, die noch zwischen ihnen stand. Seine Stimme war klar und ehrlich, als er schließlich sagte: „Es tut mir leid, Atemu.“ Und dessen Lächeln war nun so strahlend hell, dass es selbst der Sonne Konkurrenz machen konnte. ---------------- Noch mehr AN (was? Guckt nicht so entsetzt): Re: Seths nachgeäffter Satz in Kapitel 18 "...mach die Beine breit und lass mich ran" Ich weiß, dass es etwas zu neuzeitlich klingt, aber mir ist nichts besseres eingefallen. Alle anderen Varianten, die ich hatte, klangen zu steif und formal, was nicht so klasse war, denn Seth legt es ja darauf an, zu provozieren. Re: Cassandra: Wer braucht Seth und Atemu, wenn es doch meine eigene Mary Sue auch bringt? AtemuxCassandra lebe hoch! XD Nicht? Banausen... Re: Seth, Atemu und Sklaven: Seth hat wirklich Recht. Atemu hat an keinem Punkt gesagt, dass er ihn freilassen würde. Man hätte es nur aufgrund gewisser Sätze von ihm vermuten können, aber eine klare Aussage dazu hat er nicht gemacht. Ach ja, sprachliche Spitzfindigkeiten sind doch was Feines. Re: schon wieder ne Entschuldigungsszene. Was soll ich sagen, außer: Ich bin ein Fan von Parallelen. Okay, das war es jetzt aber wirklich. Also dann: Danke an alle Leser fürs, ähm, lesen und noch mehr für die Kommentare. Bis zum nächsten Kapitel. Kapitel 19: Fremde Stimmen, Rivalitäten und andere Missgeschicke ---------------------------------------------------------------- Kapitel 19 – Fremde Stimmen, Rivalitäten und andere Missgeschicke Endlich durfte sich Seth auch an den Aufruf seines Ka-Monsters wagen. Aknadin hatte ihn lange warten lassen, länger als nötig, aber der Priester hatte nun mal nichts riskieren wollen und erst, als er sicher war, dass sein Sohn nicht die Kontrolle verlieren würde, unterwies er ihn in dieser Technik. Wie man es ihm gelehrt hatte, fokussierte der Junge nun seine ihm eigene Magie, trennte seine Energien von denen seines Ka-Monsters und endlich konnte er es fühlen. „Ich bin soweit“, informierte er Aknadin knapp. „Gut, dann versuche nun es zu rufen. Konzentrier dich nur auf deinen Wunsch, dass es erscheinen soll. Mehr nicht. Aber lass in deiner Konzentration niemals nach, sonst beherrschst du am Ende nicht dein Monster, sondern das Monster dich.“ Seth, seine Brauen in Konzentration gefurcht, tat wie verlangt; fühlte auch sogleich die fremde Energie seinen Körper verlassen und ein gleißendes, warmes Licht ihn umringen. Angespannt öffnete er seine Augen. Vor ihm stand sein Monster. Es war von menschenähnlicher Gestalt, seine dominierenden Farben blau und schwarz, ein großes Schwert in seiner Hand haltend und mit Flügeln auf dem Rücken. Seths Stimme zitterte leicht. „D-das ist es also?“ Aknadin schenkte ihm ein warmes Lächeln. „Hm, das ist es in der Tat. Ein gutes Monster. Ich bin stolz auf dich.“ Seths Wangen erwärmten sich. Lob von Aknadin bedeutete ihm viel; vor allem, da es so selten war. Aber trotz seiner Freude drängte sich ihm doch eine Frage auf. „Und...nun, wie heißt es denn eigentlich?“, warf er einen Blick zu seinem Lehrmeister. „Das frage ich dich“, entgegnete dieser nur. „Es ist dein Monster.“ „Danke. Das bringt mich weiter“, brummte Seth unwirsch und legte seinen Kopf überlegend zur Seite. Und plötzlich wusste er es. Er verstand nicht wieso, aber er wusste den Namen dieses Monsters. „Duos“, sagte er langsam. „Es heißt Duos.“ „Duos also“, wiederholte Aknadin. „Sehr schön. Wie wär’s? Willst du es ausprobieren?“ „Wie ausprobieren? Ihr meint mit ihm kämpfen?“ Der alte Priester grinste verhalten. „Oder traust du dir das noch nicht zu?“ „Doch, natürlich. Nur gegen was soll ich denn hier antreten? Hier ist doch gar nichts! Nun ja, jedenfalls nichts außer ein paar Steinen und Grashalmen. Oder wollt Ihr etwa Euer Monster rufen?“ Seths Stimme hatte einen interessierten Unterton angenommen und auch sein Gesicht spiegelte Neugierde wider. „Ich habe noch nie sein Monster gesehen. Ich frage mich, ob er überhaupt eins hat.“ Doch Aknadin dämpfte seine Vorfreude sofort. „Nicht ganz. Du sollst zwar kämpfen, aber nicht mit mir. Nein, ich habe da eine wesentlich bessere Idee. Nun komm, folge mir einfach.“ Etwas später fand sich Seth im Kellergewölbe des Palastes wieder. Vereinzelte Fackeln erhellten eher notdürftig die vorherrschende Dunkelheit und Seth hatte Mühe, überhaupt etwas zu erkennen. Gemeinsam stiegen sie eine weitere lange, schmutzige Steintreppe hinab und erreichten endlich eine große Halle. „Was ist das hier?“, fragte er leise und sah sich unbehaglich um. „Fast wie in einem Verlies. Wieso führt er mich an solch einen Ort?“ „Der ideale Ort zum Kämpfen“, antwortete ihm Aknadin. Bevor Seth weitere Fragen stellen konnte, ging zu seiner Linken eine versteckte Tür auf. Ein von zwei Palastwachen flankierter Mann wurde hineingeführt und vor Aknadin und Seth auf den Boden geworfen. „Und wer ist das?“, zeigte der junge Mann verunsichert auf den am Boden Liegenden. „Das...“, sagte Aknadin und lächelte breit. „...ist der ideale Gegner zum Kämpfen.“ Sein Sohn starrte ihn ungläubig an. „Ich soll mit dem da kämpfen? Der ist doch schon halbtot?!“ „Er ist noch kräftig genug. Außerdem kämpft nicht er, sondern sein Monster.“ „Ja, aber Ihr sagtet mir doch, dass, wenn das Monster Energie verliert, auch sein Herr schwächer wird. Und wenn ich es zerstöre, dann kann ich den Mann damit sogar umbringen. Das könnt ihr doch nicht von mir verlangen!“ Seth ging einen entschlossenen Schritt rückwärts. „Ihr könnt doch nicht erwarten, dass ich einen Menschen töte!“ „Bleib hier!“, befahl Aknadin laut und zog Seth grob zurück. „Bei diesem Mann handelt es sich um einen Mörder und nicht um ein unschuldiges Opfer, welches es zu beschützen gilt. Und trotzdem, ich verlange nicht von dir, dass du ihn töten sollst. Also beruhige dich wieder. Du sollst lediglich mit ihm trainieren. Lass die Monster ein wenig gegeneinander antreten. Lerne, Duos in einem Gefecht zu kontrollieren, Angriffe zu parieren und selbst anzugreifen. Du kannst den Kampf jederzeit abbrechen, wenn es wirklich zu brenzlig wird und du nicht zum Äußersten gehen möchtest. Oder willst du das alles erst lernen, wenn es bereits zu spät ist, hm? Seth...ich will dir doch nichts Böses. Vertrau mir einfach, ja?“ Seth starrte ihn wortlos an. Seine Aussprache mit Atemu, noch gar nicht so lange her, kam ihm wieder in den Sinn. „Vertrauen...das Wort verfolgt mich wohl bis in den Tod.“ Er warf noch mal einen prüfenden Blick auf seinen Gegner. Wenn er es Recht betrachtete, waren dessen Verletzungen eigentlich gar nicht so schlimm; sicher, hier und da hatte er ein paar Narben und Schrammen, doch wirklich ernsthaft schienen die nicht zu sein. Nein, der Mann war wohl eher erschöpft. Sicher, Seth dagegen war zwar topfit, aber dafür war er ein Anfänger. Neutral betrachtet hatte keiner der beiden einen wirklichen Vorteil. War doch alles fair. Außerdem, wenn er wirklich ein Mörder war, dann hatte er eine kleine Strafe doch sicherlich auch verdient... So versuchte sich Seth Mut zuzureden. Und doch, ein letzter Rest Zweifel blieb. Aknadin spürte dies. Und es gefiel ihm überhaupt nicht. „Hast du Angst, Seth?“, fragte er den Jungen leise, der kurz zusammenzuckte. „Angst...“, murmelte er, seine Stimme kaum hörbar. Ruckartig hob er den Kopf und blickte seinen Mentor kalt an. „Nein, ich habe keine Angst. Wieso auch? Ich will kämpfen!“ Aknadin lächelte zufrieden. Wenn auf eine Sache Verlass war, dann auf den Stolz seines Sohnes. Der Kampf war kurz und schmerzlos. Seths Duos hatte keine Probleme, das gegnerische Monster in Schach zu halten. Mühelos konnte er jedem Angriff standhalten, ausweichen und zum Gegenangriff übergehen. Und er gehorchte Seth perfekt. Ein paar kräftige Angriffe mit Duos Auraschwert und das gegnerische Monster war besiegt, der Mann bewusstlos, aber lebend, zusammengebrochen. Fast wünschte sich Aknadin, einen stärkeren Gegner ausgesucht zu haben. Seths Gegner...Sein Sohn glaubte, der Mann wäre ein Mörder und so ganz unwahr war das nicht. Aknadin hatte mit seinem Millenniumsauge in die Gedanken des Mannes geblickt und dieser hatte tatsächlich gemordet, wenn auch aus Notwehr und nicht aus Boshaftigkeit. Aber das war nicht der Grund, warum er im Palast war. Aknadin hatte diese Arena erst vor kurzem entdeckt oder besser gesagt wiederentdeckt, denn obwohl sie schon seit Urzeiten existierte, war sie nur selten benutzt worden und daher schnell in Vergessenheit geraten. Auch Aknadin hatte sich ihrer schon lange nicht mehr erinnert. Zumindest bis vor ein paar Tagen. Einer der Gefängnisaufseher war zu ihm gekommen; hatte wissen wollen, was er mit den Ka-Sklaven anfangen solle, die schon seit Monaten vom König ignoriert im Kerker hockten. Aknadins Gesicht verzog sich ob der Erinnerung vor Bitterkeit. „Das ist so typisch für meinen lieben Neffen. Erst legt er sich diese ganzen Sklaven zu, nur um einige Tage später wieder das Interesse an ihnen zu verlieren. Diese Menschen...sie sind für ihn nicht mehr als ein kurzweiliges Hobby, ein Zeitvertreib. Und wenn Seth nicht aufpasst, dann wird es ihm genauso ergehen.“ Er schauderte leicht. „Seth...er ist noch so jung. So naiv. Aber keine Sorge, mein Sohn. Ich werde mich um alles Nötige kümmern, ganz egal, wie weit ich dafür gehen muss!“ ‚Aaah...große Worte, alter Mann. Ich werde dich beizeiten an sie erinnern...’ Aknadin nickte beiläufig. Und störte sich diesmal auch nicht an der fremden Stimme in seinem Kopf, die durch seine Adern strömte und vom baldigen Tod des Pharaos flüsterte... ------------------------ „Mist, warum funktioniert das nicht?“ Leise vor sich hin fluchend krallte sich Seth seine Gewänder und schmiss sie grob zur Seite. Morgen sollte seine Abreise nach Memphis in die Priesterschule stattfinden, weshalb der Junge eigentlich nur vorgehabt hatte, friedlich sein Gepäck vorzubereiten. Aber dass sich dieses Unterfangen im Nachhinein als dermaßen schwierig herausstellen würde, war etwas, womit er gar nicht gerechnet hatte. Seine Bewegungen waren viel zu nervös zum ordentlichen Packen, aber anstatt sich zu beruhigen, wagte er lieber einen erneuten Anlauf, stopfte nochmals seine Kleidung ruppig in den Lederbeutel und bekam endlich mit etwas Nachdruck und viel roher Gewalt auch noch irgendwie einige seiner liebsten Schriftrollen eingesteckt. „Na also, geht doch“, brummte er zufrieden. „Ja, hast du wirklich ganz toll hinbekommen. Ich bin stolz auf dich“, kam sogleich die sardonische Antwort und Seth fuhr wütend herum. „Als ob du es besser könntest! Du hast doch bestimmt in deinem ganzen Leben noch nie selber was gepackt. Oder willst du mir da etwa widersprechen, oh großer Atemu?“, giftete er beleidigt und wünschte sich noch im gleichen Augenblick, er hätte den Mund gehalten. Denn nach dem Pharao betrat nun auch Mahaado das Gemach und der wirkte alles, nur nicht glücklich. Seth presste missmutig seine Lippen zusammen. „Klasse, der hat mir hier gerade noch gefehlt. Na fein, du verhinderter Wachhund von Priester. Dann leg mal los.“ Seine Erwartungen wurden nicht enttäuscht. Mahaado ging einen entschiedenen Schritt nach vorne und begann auch gleich mit seiner Tirade. „Sag mal, was erlaubst du dir eigentlich, du unverschämter Bengel? Ist das die Art, wie man seinem Herrscher begegnet? Mit Hohn und Spott? Wie undankbar bist du eigentlich?“ Autsch. Das saß. Jeder andere hätte vielleicht darüber hinwegsehen können, für Seth jedoch kamen diese Worte einer verbalen Ohrfeige gleich. Mühsam beherrscht presste er schließlich hervor: „Du redest mal wieder von Dingen, von denen du keine Ahnung hast, Mahaado. Bei dir ist das zwar nichts Neues, aber ich sage es dir trotzdem gerne noch mal: Ich bin nicht undankbar. Ich weiß, was ich dem Pharao schulde. Deine Kommentare sind also nicht nur völlig unsinnig, sondern überdies schlichtweg be…“ „Spar dir das! Und lass dir eins gesagt sein: Ich bin schon wesentlich länger an der Seite des Pharaos als du jemals zu träumen wagen würdest. Versuch dein Fehlverhalten nicht schönzureden, damit kommst du bei mir ohnehin nicht weit!“ „Ich habe nichts falsches gemacht!“, verteidigte sich Seth aufgebracht und knirschte frustriert mit den Zähnen. Immerhin wusste er sehr gut, dass der Pharao seine bissigen Kommentare nur selten persönlich nahm, Mahaado dagegen war ahnungslos und tat nur das, was er für richtig hielt. Nämlich jedem das Leben schwer machen, der seiner Meinung nach dem Pharao respektlos begegnete. Eigentlich löblich, trotzdem konnte Seth sicher von sich behaupten, dass er Mahaado nicht ausstehen konnte. Ein Gefühl, was wohl auf Gegenseitigkeit beruhte. Mahaado indes ließ zwar nicht locker, schien sich aber zumindest etwas beruhigt zu haben. „Eine Entschuldigung wäre wohl angemessen. Meint Ihr nicht auch, Seth?“, fragte er nun wesentlich leiser und Seth wollte gerade etwas Passendes erwidern, als Atemu endlich dazwischen ging. „Es ist genug, Mahaado. Ich danke dir für deine Umsicht, dennoch muss ich dir sagen, dass ich sehr wohl für mich alleine sprechen kann. Keine weitere Einmischung mehr, egal, wie gut gemeint sie auch sein sollte“, gebot der Pharao Schweigen und wandte sich dann an Seth. „Und du sei nicht so unverschämt gegenüber deinem König.“ Der Angesprochene nickte gehorsam, auch wenn das feine Lächeln um Atemus Mundwinkel ihm sagte, dass dieser ihm nicht böse und seine Worte nicht wirklich ernst gemeint waren. Auch Mahaado entging dieser kleine Austausch nicht und seine Gesichtszüge verhärteten sich augenblicklich. Zum Glück wusste er aber schon, wie er Seth den Tag noch vermiesen konnte... „Die Pferde stehen bereit. Also, wenn du endlich soweit bist, dann können wir aufbrechen“, murrte er düster Richtung Seth, der daraufhin überrascht aufblickte. „Jetzt sofort? Aber ich dachte, die Reise beginnt erst morgen früh? Mich hat keiner über irgendeine Änderung informiert!“, protestierte er verwirrt und fing sich ein süffisantes Lächeln von Mahaado dafür ein. „Nicht? Nun, das ist zwar bedauerlich, aber leider nicht zu ändern. Pech gehabt, fürchte ich.“ Atemu seufzte entnervt. „Mahaado. Schluss jetzt. Und zwar endgültig.“ Diese kleinen Querelen zwischen seinen zukünftigen Priestern gingen ihm so langsam aber sicher gewaltig auf die Nerven. Die letzten Tage war es besonders schlimm gewesen. Kein Zusammentreffen der beiden, bei dem nicht wenigstens eine böse Bemerkung gefallen wäre. Der Pharao schüttelte seinen Kopf. „Ihr zwei seid zusammen einfach nur unerträglich. Deshalb, Mahaado, muss ich dir leider befehlen draußen auf mich zu warten. Seth und ich kommen auch gleich nach.“ Für einen Moment wirkte Mahaado aufrichtig verletzt, dann jedoch gehorchte er unwirsch. Der Pharao sah ihm kurz nach, bevor er seine Aufmerksamkeit auf Seth richtete. „Ich weiß, dass es eigentlich erst morgen früh losgehen sollte. Aber Mahaado meinte, dass die Reise nur etwa einen halben Tag dauern würde und der Weg relativ ungefährlich wäre. Wenn ihr die Nacht durchreitet, so seid ihr vor morgen Mittag schon in Memphis. Damit würdet ihr auch der Mittagshitze entgehen, die weder euch noch den Pferden besonders gut tun würde. Deshalb habe ich Mahaados Vorschlag, heute noch aufzubrechen, auch zugestimmt“, erklärte er und trat an Seths Gepäckbeutel. „Schön, mir soll’s Recht sein“, zuckte Seth gleichgültig die Schultern. „Auch wenn mir die Vorstellung mit Mahaado zusammen reisen zu müssen, ein Gräuel ist.“ „Du wirst es überleben“, erwiderte Atemu gelassen. „Außerdem lernt ihr beiden dann vielleicht endlich mal die Gesellschaft des jeweils anderen zu tolerieren. Ihr sollt später mal nebeneinander arbeiten, oder hast du das etwa schon vergessen?“ „Nicht vergessen, eher verdrängt. Aber danke für die freundliche Erinnerung“, knurrte Seth ungehalten und beobachtete misstrauisch Atemu, der seinen Beutel geöffnet hatte und sich das Chaos nun eingehend betrachtete. Mit hochgezogener Augenbraue zog er die verbeulten Schriftrollen heraus und hielt sie Seth vor die Nase. Der guckte nur verwirrt. „Was soll das? Hast du eigentlich eine Ahnung, wie lange es gedauert hat bis ich...“ „Du wirst sie nicht brauchen“, unterbrach der Pharao ruhig und begann die Schriften zurück ins Regal zu den anderen zu räumen. „Die Schule hat eine ganz ausgezeichnete Bibliothek. Also schlepp nicht mehr Gepäck mit als nötig.“ Seth wollte erst aufbegehren, überlegte es sich dann aber doch noch anders und ließ Atemu gewähren. Als der König schließlich fertig war, gesellte er sich neben Seth und zog ihn an seinem Gewand etwas zu sich herunter. „Ich wünsche dir viel Erfolg, Seth. Und ich hoffe, dass du deine Ausbildung möglichst schnell beenden wirst. Ich lasse dich nur ungern gehen, aber ich vertraue dir. Du hast gesagt, dass du mir als mein Priester dienen möchtest und ich will dir das glauben.“ Seth nickte schlicht. Atemu zögerte kurz, doch dann gab er seinen Gefühlen freien Lauf und küsste Seth zum Abschied leicht auf die Lippen. Der Kuss war nur flüchtig und blieb von seinem Priester unerwidert, dennoch ließ er in Atemus Magengegend ein kribbeliges Gefühl zurück und sein Herz laut pochen. „Bis bald, Seth“, verabschiedete er sich schließlich schwermütig. Sein Priester indessen nahm nur schweigend seinen Beutel an sich und ging Richtung Tür. Dann drehte er sich jedoch noch einmal um und schenkte Atemu ein schiefes Grinsen. „Nur ich und Mahaado. Sei so gut und bete die Götter für mich an, auf dass sie mich diese Reise überleben lassen!“ Der Pharao lachte. „Du bist echt unmöglich.“ „Ich weiß. Das macht ja gerade meinen natürlichen Charme aus“, warf Seth noch kurz zurück und war damit auch schon verschwunden. Atemu schaute ihm lange hinterher. Seth weg. Mahaado weg. Und Shimon war ebenfalls schon lange fort. Er fühlte sich jetzt schon einsam. ------------- Ich habe das Kapitel nur überflogen, also wenn ihr irgendwelche Formatierungs- oder Rechtschreibfehler findet, dann sagt mir ruhig Bescheid. Nun zu Shimon: Ich hab gesehen, dass er im dt. Manga mit Simon übersetzt wurde und kurzzeitig überlegt, ob ich mich dem anpassen sollte. Letztendlich hab ich es aber doch gelassen, weil ich bei dem Namen "Simon" immer an dieses amerikanische (?) Nachmachspiel "Simon says" denken muss. Außerdem sind meine Namen ohnehin eine bunte Mischung aus den japanischen Schreibweisen und den "normalen". Wie auch immer: Danke fürs Lesen und kommentieren. Bis dann ^^ Kapitel 20: Und so es beginnt ----------------------------- Kapitel 20 – Und so es beginnt Die ersten Monate in der Priesterschule vergingen schnell. Seth lernte fleißig und kam gut mit seiner Ausbildung voran. Seine Lehrer lobten ihn in den höchsten Tönen und auch Aknadin, mit dem er schriftlichen Kontakt hielt, war äußerst zufrieden mit ihm. Nur bei seinen Mitschülern traf sein Lerneifer und Ehrgeiz auf wenig Gegenliebe. Keiner mochte den Jungen so recht, der immer so ernsthaft und kalt blickte und keinen an sich heran ließ. Der nie lächelte. Der lieber Tag und Nacht über seinen Übungen hing, im Gebet versank und seine Tempelriten absolvierte, anstatt mit Gleichaltrigen abends etwas Zeit zu verbringen, dem Gesang der Tempeldienerinnen zu lauschen oder auch einfach abends in der Stadt heimlich feiern zu gehen. Er hatte ja noch nicht einmal mithelfen wollen, an den Lehrern vorbei einen Weg in die Bäder der Mädchen zu finden, womit er bei seinen Mitschülern endgültig unten durch gewesen war. Seth indes störte dies alles reichlich wenig und schließlich mussten auch die hartnäckigsten seiner Mitschüler aufgeben. Es war ohnehin allgemein bekannt, dass dieser stille Junge in den Kreis der Priester des Pharaos aufgenommen werden sollte. Und wie auch alle anderen Anwärter vor ihm, denen diese Ehre zuteil geworden war, so führte auch Seth offenkundig die Tradition des Strebers und Einzelgängers fort. Genauso wie Mahaado, Shada, Karim und sogar Isis vor ihm, wobei diese alle zumindest wesentlich höflicher waren als Seth, der jeden böse anfuhr, der ihn beim Lernen störte. Und Isis war zudem noch eine wahre Augenweide. Schlank und wohlgeformt, große blaue Augen, ein hübsches Gesicht und glänzendes, tiefschwarzes Haar. Besagte Augenweide eilte gerade den kargen Gang der Schule zum Innenhof hinunter; bestrebt den Mann einzuholen, der mit weit ausholenden Schritten und angespannt geballten Fäusten vor ihr herlief. „Mahaado! Mahaado, so warte doch!“, rief sie schon ganz außer Atem und kam schließlich keuchend neben diesem zum Stehen. „Warum hast du nicht angehalten?“, fragte sie ihn vorwurfsvoll und Mahaado seufzte entnervt. „Verzeih mir, Isis. Ich habe es gerade nur ein bisschen eilig. Der Pharao kommt doch heute und ich habe noch so viel für seinen Besuch vorzubereiten.“ „Das versteh ich ja. Aber wir wissen doch beide, dass er im Grunde nicht wegen uns, sondern wegen Seth hier ist“, entgegnete Isis ruhig und handelte sich für ihre Bemühungen einen finsteren Blick ein. „Nur weil er wegen Seth hier ist, heißt das noch lange nicht, dass er uns nicht auch aufsuchen wird...“, begann er, doch Isis unterbrach ihn sofort. „Denkst du das wirklich? In all den Jahren vorher war er niemals hier. Nun aber geht Seth auf diese Schule und der Pharao macht einen überraschenden Abstecher nach Memphis. Auch wenn du es nicht wahrhaben möchtest und anderes behauptest, du weißt genauso gut wie ich, dass der König kein Interesse an uns hat.“ „Du hast doch keine...“ Schwer atmend stoppte Mahaado. Er würde nicht die Stimme erheben. Nicht gegen Isis. „Ich möchte das jetzt nicht mit dir besprechen“, bat er sie stattdessen langsam und Isis nickte. „Ganz wie du möchtest. Aber um dich etwas versöhnlicher zu stimmen: Der Pharao bleibt über Nacht. Es muss ein Zimmer für ihn vorbereitet und geweiht werden, um ihn vor bösen Geistern und Flüchen zu schützen. Man hat dich für diese ehrenvolle Aufgabe ausgesucht“, lächelte sie ihm aufmunternd zu. Ein Lächeln, welches Mahaado schließlich zögerlich erwiderte. ------------- Atemu war froh, als er sich endlich in sein vorbereitetes Zimmer zurückziehen konnte. Der Tag war überaus anstrengend gewesen. Man bestand darauf, ihm die ganze Schule, jeden noch so kleinen Raum, alle umliegenden Tempel, jeden bedeutenden Priester und die, die sich für bedeutend hielten, vorzustellen. Seinen eigentlichen Besuchsgrund, Seth, hatte er den ganzen Tag über noch nicht gesehen. Es hieß nur, er wäre in seine Studien vertieft. Atemu hatte ihn rufen lassen, doch er war nicht auffindbar gewesen. Was nicht zum ersten Mal vorkam, wie man ihm mürrisch erklärt hatte. Eigentlich hatte zu Ehren der Anwesenheit des Pharaos ein kleines Fest stattfinden sollen, doch nach der langen Rundführung und den vielen Empfängen hatte selbst er keine Kraft mehr dazu gehabt und die Feier absagen lassen. Dass er Seth nicht hatte sehen können, frustrierte ihn noch mal zusätzlich. Vielleicht würde man diesen wenigstens jetzt, wo sich alle eigentlich zur Ruhe begeben hatten, finden und ihn dann zu ihm bringen. Und er behielt Recht, denn ein zaghaftes Klopfen schreckte ihn schon bald darauf hoch. „Mein Pharao, darf ich eintreten? Ich bringe Euch den gesuchten Schüler“, ertönte es von außen und Atemu öffnete hastig die Tür, was zwar nicht gerade von königlicher Würde zeugte, ihm aber gerade so ziemlich egal war. „Huch“, rief der überrumpelte Priester überrascht und trat einen schnellen Schritt rückwärts, wo er auch gleich gegen Seth stieß. Dann besann er sich schließlich, wer da vor ihm stand, warf sich Atemu rasch vor die Füße und richtete sich ebenso geschwind wieder auf. „Der Schüler, mein König. Ihr wolltet Ihn doch sehen, nicht wahr?“, fragte er verunsichert und wagte es nicht, seinem Pharao in die Augen zu blicken. Dieser ignorierte das Unbehagen des Mannes, versuchte an ihm vorbei einen Blick auf Seth zu erhaschen und wedelte ungeduldig mit einer Hand. „Allerdings. Deine Aufgabe wäre damit erfüllt. Du kannst dich zurückziehen.“ Das war ein Befehl, dem der Priester nur zu gerne nachkam. Sich noch einmal kurz verbeugend, eilte er hastig davon. Er war zwar wesentlich größer als der Pharao, aber die mächtige Aura Atemus schlug im Allgemeinen nun mal auch den stärksten Mann in die Flucht. Der arme Priester war da keine Ausnahme. Nun wandte sich Atemu Seth zu. Studierte jeden einzelnen Gesichtszug, jeden Muskel, jeden Fleck sanft gebräunter, unbedeckter Haut. „Ich habe dich vermisst“, meinte er schließlich leise und blickte Seth in die strahlend blauen Augen. Seine Worte waren die Wahrheit, dennoch mochten sie kaum wiederzugeben, was Atemu wirklich fühlte. Seth hatte ihm furchtbar gefehlt und das in mehr als nur einer Hinsicht. „Er hat sich verändert...“ In den Monaten ihrer Trennung war Seth tatsächlich noch ein Stück gewachsen. Seine Gliedmaßen waren kräftig und lang; hatten jeglichen schlaksigen Charakter verloren. Nur sein Haar war noch gleich; fiel ihm wie üblich wirr ins Gesicht. Unter seinem dünnen Gewand spannten sich die Brustmuskeln und auch seine Schultern waren kräftiger geworden. Er wirkte nun weniger wie ein Junge, sondern eher wie ein junger Mann. Atemu wusste nicht, ob ihn das glücklich oder traurig stimmen sollte. Sicher, Seth war noch attraktiver als früher, aber dafür hatte er auch diese fast unschuldige Ausstrahlung verloren. Und seine Augen waren kalt. Das waren sie früher auch schon oft gewesen, doch zumindest Atemu gegenüber hatten sie zuletzt auch so viele andere Emotionen außer Überlegenheit und Arroganz preisgegeben. Davon war nun aber nichts mehr zu sehen. Zum ersten Mal kamen Atemu ernsthafte Zweifel, ob es wirklich gut gewesen war, Seth hier ausbilden zu lassen. „Tritt ein“, sagte er endlich und trat ein Stück zur Seite, um seinen Priester ins Zimmer zu lassen. Dieser gehorchte wortlos. Etwas unschlüssig stand er nun mitten im Raum, bevor er sich an Atemu wandte und plötzlich schief grinste. „Tja, jetzt steh ich hier. Und weiter?“, fragte er gespielt ahnungslos und Atemu atmete erleichtert aus. „Idiot“, brummte er und schlug Seth leicht gegen die Schulter. „Ich hab schon sonst was gedacht...“ Eigentlich war das eine Untertreibung erster Güte. Er hatte nicht nur ‚sonst was gedacht’. Nein, für einen Moment hatte er tatsächlich geglaubt, er hätte Seth verloren. Sein Vertrauen. Seine Zuneigung. Unbehaglich räusperte der Pharao sich. „Warum warst du nicht bei der offiziellen Begrüßung zu meiner Ankunft?“, fragte er schließlich vorwurfsvoll und Seth blickte ihn müde an. „Das war keine Absicht. Ich habe schlichtweg nicht gewusst, dass du kommst. Es hieß zwar, dass ein hoher Würdenträger heute der Schule einen Besuch abstatten würde, aber mit dir habe ich nicht gerechnet. Und da war ich eben in einem der Tempel und habe mich dort weiter meinen Studien gewidmet.“ Atemu stutzte. „Sag mal, was für eine schlampige Informationspolitik ist das hier eigentlich? Ich meine, wie kann man denn nicht mitbekommen, dass der Pharao erwartet wird?“ „Höre ich da eine leichte Beleidigung heraus?“ Seth hob spöttisch eine Augenbraue. „Aber zu meiner Verteidigung: Ich habe nicht viel Kontakt mit den anderen. Meistens ziehe ich mich zurück und bleibe für mich alleine. Und solange ich immer pünktlich zum Unterricht erscheine, kümmert das auch keinen. Du bist der erste, der sich beschwert.“ Atemu öffnete den Mund, als wollte er etwas sagen, schloss ihn dann aber doch schnell wieder, setzte sich kopfschüttelnd auf sein Bett und bedeutete Seth, es ihm gleichzutun. „Hast du irgendeine Idee, warum ich hier bin?“, fragte er schließlich ruhig und sah sein Gegenüber abwartend an. Der verneinte. „Das dachte ich mir“, meinte der König gelassen, bevor er sich zur Seite wandte und einen in Stoff gehüllten Gegenstand an sich nahm. Bedächtig entfernte er das Leinentuch und nun konnte Seth auch das ominöse Utensil näher in Augenschein nehmen. Was er sah, überraschte ihn. „Der Millenniumsstab?“, stellte er leise fest und Atemu nickte. „Ich will, dass du ihn an dich nimmst und ausprobierst. Eigentlich hätte dieser Test schon vor deiner Lehre hier stattfinden müssen und Aknadin hat mich auch mehr als einmal darauf angesprochen, aber ich hatte, nun ja, ich hatte Sorge, dass ihr...inkompatibel seid. Deswegen habe ich es so lange hinausgezögert“, erklärte der Pharao und versuchte erfolglos die Anspannung aus seiner Stimme zu verdrängen. Vorsichtig streckte Seth seine Hand nach dem Stab aus. „Aknadin hat mich gut auf diese Aufgabe vorbereitet, also kein Grund zur Sorge“, meinte er schließlich zuversichtlich und nahm das Artefakt behutsam aus Atemus festem Griff. Der Stab war schwer. Bedächtig fühlte er das Gewicht in seiner Hand, die Energien, die dem Gegenstand entströmten. Seths Finger zitterten leicht. „Eigentlich ist der Millenniumsstab dazu gedacht, Ka in Steinplatten zu versiegeln. Aber das geht hier schlecht. Deswegen möchte ich, dass du stattdessen versuchst, die Schatten zu rufen. Aber sei vorsichtig. Rufe nicht zu viele auf einmal, sonst verlierst du die Kontrolle.“ Atemu deutete auf sein Puzzle, das wie üblich um seinen Hals hing. „Wenn ich sehe, dass du damit nicht klarkommst, werde ich die Schatten sofort hiermit verbannen. Aber es wäre doch schön, wenn es gar nicht so weit kommen würde. Also, bist du bereit?“ Seth nickte. „Natürlich“, sagte er knapp. Die Augen zu Schlitzen verengt, konzentrierte er sich ganz auf den Stab; verdrängte alles andere um sich herum, fühlte nur noch die Magie seinen Körper durchströmen, wie sie sich in jeder Pore verteilte und von ihm Besitz nehmen wollte. Angestrengt hielt er dagegen und plötzlich erfüllte ein gleißendes Licht den kleinen Raum, blendete ihn so stark, dass er die Augen schließen musste. Schwach sah er die Schatten sich materialisieren und im Raum verteilen und er kämpfte angestrengt um Kontrolle. Ein furchtbarer Schmerz durchzuckte seinen Körper, fraß sich durch sein ganzes Wesen und er stöhnte qualvoll auf. „Nur nicht schreien. Nur nicht schreien. Atemu darf nicht dazwischen gehen, nicht jetzt. Ich muss es schaffen. Ich darf ihn nicht enttäuschen. Ich darf es nicht!“ Er biss sich auf die Lippen und fühlte des Pharaos besorgten Blick auf sich ruhen, doch es half nichts. Ein lauter Schrei entfloh seiner Kehle und ließ Atemu augenblicklich nach seinem Puzzle greifen. Dann war es plötzlich vorbei. Keuchend öffnete Seth seine Augen; stellte verwundert fest, dass er auf allen Vieren auf dem Boden hockte und fühlte den Schweiß sein Gesicht herunter rinnen. Atemu beugte sich zu ihm und strich ihm beruhigend über den Rücken, bis sich seine Atmung wieder normalisiert hatte. Wieder einigermaßen bei Kräften und Stimme blickte er Atemu fragend an. „H-habe ich es geschafft? Ich meine...ich habe es nicht vermasselt, oder?“ Er hasste, wie unsicher und zittrig er klang. Aber allein der Gedanke, dass er des Gegenstandes nicht würdig sein könnte, dass er versagt hatte, schickte einen Schauer durch sein Herz. Atemu schenkte ihm ein sanftes Lächeln. „Nein, du hast es nicht vermasselt. Ganz im Gegenteil“, meinte er schlicht und Seth atmete auf vor Erleichterung. Vorsichtig löste der Pharao das goldene Artefakt aus Seths klammen Händen und hüllte es sorgfällig wieder ein. Anschließend machte er sich daran, seinem Priesterschüler auf das Bett zu helfen, der sich sofort erschöpft nach hinten fallen ließ. „Das war ja heftig“, murmelte Seth müde und schloss die Augen. „Stimmt wohl. Schattenkontrolle war doch ein bisschen viel für den Anfang“, entschuldigte sich Atemu und mummelte sich neben Seth in die weichen Decken. Das Bett war nicht für zwei Personen konstruiert und der Pharao musste sich dicht an den warmen Körper Seths drängen, um nicht herunterzufallen. Der ließ sich wider Erwarten nicht davon irritieren; blieb ruhig liegen und Atemu wollte noch einen Schritt weitergehen. Prüfend fuhr er mit seinen Fingern über Seths Haut, erst die Arme, dann das Gesicht. Immer noch kein Protest. Stattdessen ein wohliger Schauer. Der Pharao grinste. Ermutigt ließ er seine Hände unter Seths Gewand wandern und streichelte dort die kräftige Brust mit zarten Bewegungen. Sein Priester seufzte zufrieden, so dass sich Atemu nun über ihn kniete und dabei seine Streicheleinheiten noch verstärkte. Dann schob er das Gewand des jungen Mannes nach oben, legte die samtene Haut frei, küsste Seths Schlüsselbein und verfolgte mit seinen Lippen die Konturen von dessen Muskeln. Seine Finger massierten die Nackenpartie; seine Zunge glitt über Seths flachen Bauch und dieser machte immer noch keine Anstalten, sich aus Atemus Griff zu befreien; genoss lieber die Zärtlichkeiten; sein Atem nur hin und wieder von einem verhaltenen Stöhnen unterbrochen. Doch weder erwiderte er Atemus Berührungen mit seinen eigenen, noch hatte er zwischenzeitlich die Augen geöffnet. Der Pharao stoppte. „Seth?“, fragte er leise, bangend, dass dieser zu erschöpft sei, um überhaupt noch klar registrieren zu können, was mit ihm geschah. „Hmmm....“, kam die gebrummte Antwort eine Sekunde später. „Was ist denn?“ „Verdammt, ich habe nichts von aufhören gesagt...“ Atemu betrachtete ihn nachdenklich. „Willst du das hier überhaupt?“, fragte er ruhig und Seth flüsterte etwas in Erwiderung, jedoch zu still für Atemu, als dass dieser es hätte verstehen können. „Sag das noch mal“, bat der König sanft und erntete einen lang gezogenen Seufzer. „Muss ich unbedingt darauf antworten? Dass ich dich noch nicht von mir heruntergeworfen habe, sollte eigentlich für sich sprechen, dachte ich...“, murrte Seth schließlich widerwillig. Bedrückt zog sich der Pharao daraufhin etwas von seinem Priester zurück und brach so ihren engen Körperkontakt. „Das ist aber nicht genug. Du sollst mir sagen, dass du mich auch begehrst, so wie ich dich begehre. Wenigstens einmal möchte ich diese Worte von dir hören.“ Doch er wusste, dass das, was Seth ihm gerade gab, dass er ihm willentlich seinen Körper darbot, alles war, was er für den Augenblick erwarten konnte. Seth würde die Worte nicht sagen. Zumindest nicht heute. Vielleicht auch niemals. Atemu erkannte dies jetzt. Trotzdem, Seths Verhalten sprach Bände. Auch wenn es er niemals zugeben würde, sein Priester wollte das hier auch. Dieser indes hatte seine Augen inzwischen geöffnet; verwirrt, dass Atemu von ihm abgerückt war und ihn nun unschlüssig ansah; verärgert über Atemu und sich selbst, dass er schon jetzt die Berührung des Pharaos vermisste. Verärgert über Atemu, weil er in ihm solche Gefühle geweckt hatte; verärgert über sich selbst, weil er solche Gefühle zuließ. Geduld gehörte wahrlich nicht zu Seths Stärken. Auch jetzt nicht. Er wollte nicht länger darauf warten, dass Atemu seinen über-was-auch-immer Monolog beendet hatte. Energisch zog er den jungen König zu sich herunter und Atemu zögerte zwar noch kurz, verwarf dann aber alle Bedenken und küsste sich langsam Seths Hals entlang; genoss die Art, wie sein Priester nun den Kopf zur Seite legte, ihm mehr Raum gab, sich ihm entgegenstreckte; betrachtete das Spiel von Seths Muskeln, die unter jeder Berührung zusammenzuckten. Schließlich ließ er seine Hände die Innenseiten von Seths Schenkeln hoch- und runterfahren; spreizte die schlanken Beine und setzte sich zwischen sie. Seth wehrte sich nicht. Grinsend öffnete Atemu Seths Schurz, begann kleine, federleichte Küsse auf der erhitzten Haut darunter zu verteilen, knabberte, leckte, saugte und arbeitete sich schließlich wieder hoch zum Brustbereich. Seine Hände fuhren über Seths Arme, seine Rippen, wanderten immer mal wieder zwischen die weit geöffneten Beine. Seth stöhnte; eine Mischung aus Lust und Ungeduld. Auch Atemu atmete tief, genoss jeden noch so kleinen, entrückten Laut seines Priesters; setzte sich auf ihn, drückte ihn weiter auf das Bett und rieb ihre Körper eng aneinander. Unter ihm bäumte sich Seth leise keuchend auf; seine Augen genüsslich geschlossen und seine Wangen gerötet. „Ah...Zeit für den nächsten Schritt...“ Hastig beugte sich Atemu über das nahe stehende Schränkchen neben dem Bett und förderte etwas Öl zu Tage, welches zwar eigentlich rituellen Zwecken diente, doch auch hier seinen Dienst tun würde. Erneut betrachtete er Seth, der immer noch bereitwillig dalag, ihn plötzlich jedoch an den Schultern packte und näher an sich heranzog. Seine Hände glitten über Atemus Rücken, erst sanft, beinahe zaghaft, dann zunehmend mutiger. Endlich öffnete er auch seine Augen, die vor Lust und Verlangen dunkel schimmerten. Der Pharao seufzte ob des Anblicks wohlig. Er hatte lange darauf warten müssen. „So lange...viel zu lange…“ Erneut küsste er Seth, entlockte ihm ein forderndes Keuchen und Atemu packte ihn leicht an den Haaren, zwang seinen Kopf nach hinten und wollte gerade Seths Becken anheben, sich in Position bringen, als ein energisches Klopfen sie unterbrach. Für einen Moment starrten sie sich nur erschrocken an, doch dann kam Bewegung in Seth. Entsetzt fuhr er hoch, schubste Atemu dabei kräftig von sich und griff nach seiner Kleidung. Seine Augen wirkten gehetzt, sein ganzer Körper angespannt und verkrampft. Nervös versuchte er seine zerwühlten Haare zu richten. Das Klopfen wurde währenddessen immer lauter. „Sitz da nicht nur rum, sondern tu was!“, zischte er Atemu an, der schließlich widerwillig nickte. Dass es Seth so zuwider war, gemeinsam mit ihm intim gesehen zu werden, schmerzte ihn. Doch auch er ordnete nun flink seine Kleidung, warf einen grimmigen Blick in Richtung Tür und verfluchte schon jetzt seinen mehr als ungebetenen Besucher. „Herein!“, rief er schließlich wütend und die Tür öffnete sich leise. Es war Mahaado. „Verzeiht die späte Störung, mein König. Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen...“ „Was willst du Mahaado? Du störst, und zwar gewaltig“, unterbrach ihn Atemu kühl. „Einen schlechteren Zeitpunkt hättest du kaum wählen können!“ Mahaado jedoch kümmerte sich nicht um Atemus Unmut. So reagierte der Pharao häufiger, meist immer dann, wenn er nicht bekommen hatte, was er wollte. Ein zwischen Seth und Atemu hin- und herwandernder Blick bestätigte Mahaados Vermutung. Der heftige Atem, das erregte Rot ihrer Wangen, das unordentliche Bett... Mahaado hatte keinen Zweifel daran, was er da gerade unterbrochen hatte. Äußerlich jedoch ließ er sich nichts anmerken. „Der Schulleiter wünscht Euch zu sprechen, mein König“, erklärte er mit flacher Stimme. „Er wartet draußen auf dem Gang auf Euch. Außerdem wurde Seth zum Gebetsdienst für den Tempel des Ptah eingeteilt. Der zuständige Priester ist nämlich plötzlich erkrankt.“ „Ein bisschen kurzfristig, findest du nicht auch? Aber mich nicht rechtzeitig zu informieren, ist ja eine deiner Spezialitäten“, giftete Seth unnötigerweise und ärgerte sich im gleichen Moment über sich selbst. Aber er konnte sich nun mal nicht helfen. Die Art, wie Mahaado ihn ansah, beunruhigte ihn und das machte ihn aggressiv. „Ich hätte dir ja früher Bescheid gesagt, aber ich konnte dich nun mal nicht eher finden. In deinen Gemächern warst du ja nicht...“, entgegnete Mahaado gelassen und heizte Seths schlechte Laune nur noch mehr an, was auch Atemu sofort bemerkte. „Genug jetzt, ihr zwei“, sagte er drohend und beide Priester verstummten auf der Stelle. „Ich habe keine Lust auf eine weitere eurer albernen Streitereien!“ Er seufzte entnervt. „Es passt mir zwar momentan überhaupt nicht, aber es ist nun mal nicht mehr zu ändern. Nun gut, ich werde mit ihm reden. Zumindest kann ich ihn dann auch gleich darüber informieren, dass Seth mit mir gemeinsam morgen früh abreisen wird. Das hatte ich wohl bisher versäumt zu sagen...“ Das ließ sowohl Seth als auch Mahaado aufhorchen. „Ich soll Euch begleiten?“, wollte Seth klarstellen und der Pharao nickte. Seth hob eine Augenbraue. „Aha. Und wohin? Und was ist mit meiner Ausbildung?“ „Mach dir darum mal keine Sorgen. Die Reise wird schon nicht allzu lange dauern. Es geht nämlich nur nach On. Das ist eine kleine Stadt, ein paar Tagesmärsche entfernt von hier in der westlichen Wüste. Wir treffen uns dort mit meinem Wesir. Shimon hat endlich seine Tempelbegutachtung beendet und wird mit mir in den Palast zurückkehren. Im Übrigen ist es auch nicht ungewöhnlich, dass ich meine zukünftigen Priester zu mir rufen lasse; häufiger in den Palast, seltener auch mal, um mit mir zusammen zu reisen. Mahaado wird dir dies bestätigen können.“ Dieser gab nur ein zustimmendes Brummen als Antwort von sich, offensichtlich nicht gerade glücklich mit der ganzen Situation. Atemu zupfte erneut notdürftig seinen Schurz zu Recht und stand langsam auf; leise seine deutlich sichtbare Erregung verfluchend. „Andererseits...es ist ja nicht so, als ob sich irgendwer trauen würde, dazu was zu sagen. So gesehen braucht es mich nicht zu kümmern. Trotzdem, ganz schlechter Zeitpunkt, Mahaado.“ Das einzige, was seine Laune nicht ganz absacken ließ, war die Hoffnung, dass er und Seth ihr kleines Techtelmechtel später würden fortsetzen können. Es war nicht mal unbedingt der Sex, den er misste; nein, viel eher war es die Tatsache, dass sein Priester bereit war, sich ihm willentlich hinzugeben. Dass er endlich Atemus Zuneigung zu erwidern schien. Er hatte so lange darauf gewartet und ausgerechnet jetzt, wo er Seth endlich so weit hatte, funkte man ihnen dazwischen. Es war wirklich nicht gerecht! Atemu jedenfalls beschlich so langsam das Gefühl, dass sich alle ägyptischen Götter gegen ihn verschworen hatten. Unwillig machte sich der junge König schließlich auf den Weg zum Schulleiter, der sich auch sogleich für die späte Störung entschuldigte und Atemu den nur spärlich beleuchteten Korridor entlang führte. Mahaado derweil blieb bei Seth und schloss, sobald der Pharao in angemessener Entfernung war, schnell die Tür. Dann bedachte er Seth mit einem abwertenden Blick. „Du hättest es wirklich getan, nicht wahr?“, fragte er ihn ruhig. Seths Augen verengten sich. „Das geht dich gar nichts an“, knurrte er missfällig und betrachtete Mahaado wachsam. „Nur weil bei dir nichts läuft, musst du nicht mir auf die Nerven gehen.“ „Wenn du den Pharao verletzen solltest, dann geht mich das sehr wohl was an. Denkst du etwa, ich wüsste nicht, was hier läuft? Ständig spielst du mit seinen Gefühlen für dich! Aber diesmal werde ich das zu verhindern wissen, so wahr ich hier stehe!“ „Der Pharao kann ganz gut auf sich alleine aufpassen. Dazu braucht er sicher nicht dich!“ „Das hat jemand wie du ganz sicher nicht zu entscheiden!“, schrie Mahaado aufgebracht, seine vorherige Ruhe mehr und mehr vergessend. „Jemand wie ich? Was soll das denn heißen?“, fragte Seth gefährlich leise. „Und ich rate dir, deine Antwort gut zu überlegen.“ „Es soll heißen, dass du ein wertloser Sklave bist! Wäre es nicht für des Pharaos Großmut, dich erst zu kaufen und dann zum Priester ausbilden zu lassen, würdest du jetzt stattdessen für irgendwen anders die Beine spreizen. Jemand wie du ist der Priesterweihe nicht würdig. Und Atemus Zuneigung noch weniger. Ich bete für den Tag, an dem auch er das endlich erkennt.“ „Pass auf, was du sagst!“, entgegnete Seth schneidend und ging einen drohenden Schritt auf Mahaado zu. „Du weißt gar nichts über mich! Gar nichts! Und dass du um den Pharao lediglich besorgt bist, kannst du wem anders erzählen. Ich glaube dir nämlich kein Wort!“ Mahaados Gesicht war nun wutverzerrt, doch Seth fuhr ungeniert fort. „Ah...ich verstehe. Du bist eifersüchtig, hm? Hat dich dein geliebter Pharao für mich fallen gelassen? Würdest du gerne das Bett mit ihm teilen? Ist es das?“, spottete Seth und beobachtete mit Genugtuung, wie Mahaados ohnehin wackelige Selbstbeherrschung immer mehr fiel. „Gut. Gegen eine kleine Prügelei hätte ich nichts einzuwenden. Vielleicht kann ich ihm wenigstens so endlich mal das Maul stopfen.“ Doch Seth wurde enttäuscht. Mit Mühe riss sich Mahaado schließlich zusammen und fixierte ihn eisern. „Ich diskutiere nicht mit einem Sklaven wie dir. Doch vergiss nicht: Verletze den Pharao und du wirst es bitter büßen müssen.“ Seth lachte hohl. „Oh, eine Drohung! Mutig, mutig, Mahaado! Nun, du siehst mich unbeeindruckt.“ Aber Mahaado ging nicht länger auf Seths Provokation ein. Wortlos drehte er sich um und verließ den Raum. ------------- Danke für die lieben Kommentare bisher. Es freut mich jedes Mal, eure Meinungen und Vermutungen zu lesen, die teilweise wirklich punktgenau sind, auf jeden Fall aber motivierend zum Weiterposten ^.^ Ansonsten mach ich noch ein bißchen Werbung für mich: Ich hab ein FA zu YGO hochgeladen und wer Lust hat, kann es sich ja mal anschauen (sobald es freigeschalten wurde, natürlich. Keinen Plan, wann das sein wird ^^°) Kapitel 21: Mahaado und Isis ---------------------------- ...und ein Atemu zwischendrin. Wer sich gefragt hat, was eigentlich mit Mahaado los ist, kriegt hier seine Antwort. Wer sich gefragt hat, was eigentlich mit Seth los ist, muss weiter grübeln, denn Seth hat für dieses Kapitel erst mal Sendepause ^^ ----------------- Kapitel 21a – Mahaado... „Was für eine Zeitverschwendung! Die Details meiner Abreise hätten wirklich morgen früh noch geklärt werden können“, dachte Atemu säuerlich und beeilte sich, zurück zu seinem Raum zu kommen. Dort angekommen öffnete er angespannt die Tür. Ein schneller Blick in den Raum ließ die Enttäuschung in ihm aufsteigen. Seth war schon gegangen; nur die zerwühlten Laken auf dem Bett zeugten noch von seiner einstmaligen Anwesenheit. Wütend schlug Atemu gegen die Tür. „Wieso weicht er mir jetzt aus? Ich verstehe das nicht.“ Am liebsten wäre er sofort zu Seth gegangen und hätte auf eine Aussprache bestanden; wollte sehen, wie dieser auf ihn reagierte. Aber aus eigener bitterer Erfahrung hatte er inzwischen gelernt, dass man Seth besser in Ruhe ließ, wenn er sich zurückgezogen hatte. Alles andere hatte in der Regel einen Streit zur Folge, etwas, worauf Atemu gut und gerne verzichten konnte. Seufzend strich er sich die Kleidung vom Leib, entledigte sich auch des Millenniumspuzzles und legte sich ins Bett. Er wickelte die Laken fest um seinen Körper; konnte immer noch schwach Seths Geruch in ihnen wahrnehmen; eine Mischung aus verschiedenen Salben und Ölen und atmete tief. Irgendwann schließlich schlief er auch endlich ein. Doch sein Schlaf war nur von kurzer Dauer. Von einem dumpfen Gefühl in der Magengegend geweckt, schlug er langsam die Augen auf. Er wurde beobachtet, das fühlte er. In einer dunklen Ecke seines Raums war eine schemenhafte Gestalt erkennbar. Dennoch blieb er ruhig liegen, studierte stattdessen jede noch so kleine Bewegung der Figur und griff währenddessen mit einer Hand zu seinem Millenniums Artefakt. Doch noch bevor er es in Händen hielt, wurde er von einer sanften Stimme unterbrochen. „Nein, das braucht Ihr nicht, mein Pharao. Ich bin es nur, Mahaado...“, erklärte die Gestalt und trat einen Schritt vor, so dass sie nun gut im fahlen, durch das Fenster herein scheinende Mondlicht zu sehen war. Und tatsächlich. Es war wirklich sein junger Priester. Atemu setzte sich überrascht auf. „Ist irgendwas passiert oder warum bist du hier?“, fragte er besorgt, was Mahaado sofort verneinte. „Es ist nichts. Ich wollte mich nur noch mal für meine Störung von vorhin entschuldigen.“ „Schon gut. Es war ja nicht absichtlich. Trotzdem finde ich dein Verhalten befremdlich. Immerhin hättest du mir das auch noch später sagen können. Wirklich kein Grund, mich aus meinem Schlaf zu reißen“, bemerkte Atemu leicht genervt. Er schlug die Decken zurück und stand auf. Es war ihm unangenehm, dass er im Bett lag, während Mahaado so dicht neben ihm stand und auf ihn herabblickte. Über sein Unbehagen vergaß er sogar seine momentane Nacktheit. „Ihr habt natürlich Recht, mein König“, erklärte Mahaado schnell und näherte sich Atemu noch ein Stückchen. „Aber ich dachte, weil ich Euch um Eure...ah...körperliche Befriedigung gebracht habe, dass ich das vielleicht für Euch nachholen könnte...“ Atemu starrte ihn ungläubig an und wich einen Schritt zurück. Mahaado folgte ihm schnell und griff dann mit seiner Hand zwischen Atemus Beine, brachte mit kräftigen, rhythmischen Bewegungen dessen Glied zur Härte. Der junge König stöhnte laut. „W-was soll das werden? Hör...ah...aaah.“ Er spürte bereits die Feuchtigkeit zwischen seinen Schenkeln und nur mit Mühe gelang es ihm, Mahaados Hände wegzudrücken. Doch sein Priester gab nicht auf. „Bitte, mein Pharao. Lasst mich dies für Euch tun. Es ist mein Wunsch“, flehte er regelrecht, kniete sich auf den Boden und umfing mit seiner Zunge Atemus Erektion, leckte sanft an ihr, umschloss sie schließlich ganz mit seinem Mund und saugte kräftig. Seine Hände legte er auf Atemus Schenkel, drückte sie leicht auseinander und fuhr mit den Fingerspitzen über die warme Haut, massierte und knetete sie. Atemu taumelte zurück, prallte gegen die Wand, legte den Kopf nach hinten und begann unbewusst sein Becken im Takt mit Mahaados Bewegungen nach vorne zu stoßen. Und jeder Laut, jedes Keuchen, schien Mahaado nur noch mehr anzuspornen. Das Stöhnen des Pharaos wurde lauter. Er hatte gar nicht gewusst, wie sehr er das vermisst hatte. Wie sehr er das hier brauchte. Und dennoch erschien ihm das Ganze irgendwie so surreal, so falsch. Mahaado hatte sich ihm gegenüber noch nie so benommen. Und nun dies. Gleich nachdem Atemu fast mit Seth geschlafen hätte… „Seth...“ Atemus Augen weiteten sich erschrocken. Seth war die Lösung. Mahaado wollte dies wahrscheinlich gar nicht. Das machte er bestimmt nur wegen Seth, auch wenn Atemu nicht verstand, was Mahaado sich davon eigentlich versprach. Laut aufkeuchend schob er seinen Priester von sich; seine Lust schlagartig vergangen. „Zieh dich aus und leg dich aufs Bett“, befahl er leise und Mahaado zuckte zwar kurz zusammen, gehorchte dann aber klaglos. Während er sich langsam seines Gewandes entledigte, heftete er jedoch seinen Blick die ganze Zeit über verunsichert auf den Boden, was Atemu nicht entging. „Es ist ihm unangenehm, dass ich ihn nackt sehe.“ Entschlossen trat er neben Mahaado, der sich inzwischen auf dem Bett ausgestreckt hatte, fuhr mit einer Hand über die breite Brust des Priesters und fühlte sofort, wie sich dessen ganzer Körper verkrampfte. Atemu schnaubte und stoppte seine Berührungen. „Du willst doch gar keinen Sex mit mir“, stellte er ruhig fest und legte überlegend den Kopf schief. „Also, warum tust du das hier?“ Sein Priester sah ihn unglücklich an. „Ich will Euch dienen, so gut ich kann. Mit meiner Seele und meinem Körper. Das ist alles“, flüsterte er schließlich mit aufkommender Panik und Atemu seufzte tief. „Eine bewundernswerte Einstellung. Aber so...will ich das einfach nicht. Wenn es mir nur um den Sex an sich gehen würde, könnte ich jeden haben. Jeden. Und ich will nicht, dass sich mein Priester dermaßen prostituiert. Noch nicht mal für seinen König. Dass du nur mit mir schlafen willst, weil du es für deine Pflicht hältst, ist ehrlich gesagt eine Beleidigung für mich.“ Mahaado wollte aufbegehren, doch Atemu kam ihm zuvor. „Kein weiteres Wort, Mahaado. Zieh dich an und geh. Und für die Zukunft: Ich will nicht, dass so etwas noch einmal vorkommt“, mahnte er drohend, woraufhin sein Priester kraftlos nickte. Während er sich wieder anzog, beobachtete ihn Atemu genau. Er hatte so etwas wie Erleichterung in Mahaados Gesicht erwartet, doch stattdessen sah er nur Verzweiflung und Trauer. Verwirrt runzelte er die Stirn. Plötzlich schnitt Mahaados Stimme in seine Gedanken. „Mein Pharao, wenn es nicht zu viel verlangt ist, dann möchte ich Euch gerne auf Eurer Reise begleiten.“ Atemu betrachtete ihn prüfend, doch nach einem langen Moment des Bangens nickte er schließlich. Mahaado atmete erleichtert auf. ------------ Kapitel 21b - ...und Isis Mit schnellen Schritten eilte Isis zu den Ställen, wo die Pferde für den Pharao und seine Begleiter vorbereitet wurden. Doch bis auf ein paar Stallburschen sah sie niemanden. Suchend blickte sie sich um und endlich entdeckte sie Mahaado, der mit versteinertem Gesichtsausdruck etwas abseits stand. Isis ging langsam auf ihn zu und stellte sich neben ihn. „Es stimmt also. Du begleitest wirklich den Pharao“, sagte sie ruhig und studierte Mahaados verhärtete Züge. „So ist es“, antwortete dieser knapp und widmete sich wieder seiner Aufgabe: Löcher in die Luft starren. Isis betrachtete ihn besorgt. „Ist irgendetwas passiert? Du bist so seltsam heute.“ Eigentlich hatte sie keine Antwort erwartet, doch Mahaado überraschte sie. „Er hat mich abgewiesen. Ich habe ihm meinen Körper dargeboten und er hat mich abgewiesen“, entgegnete er bitter und Isis gab einen kleinen, verblüfften Laut von sich. „Wen meinst du?“ „Den Pharao. Seth hätte er ohne Zögern genommen, aber ich bin offensichtlich nicht gut genug. Er zieht einen Sklaven mir vor! Ich habe mich bis auf die Knochen blamiert!“, erklärte Mahaado aufgebracht und Isis musste diese Information erst einmal in Ruhe verdauen. „Du wolltest wirklich...?“, wiederholte sie fassungslos. „Aber wieso? Das sieht dir doch gar nicht ähnlich. Oder begehrst du plötzlich unseren König? Ich verstehe das nicht. Seit wann hast du denn Interesse an Männern?!“ „Meine Gründe sind doch letztendlich egal. Das Ergebnis zählt und das besagt, dass er Seth mir vorzieht. Seit ich klein bin, wurde ich auf meine Aufgabe vorbereitet, dem Pharao zu dienen. Und dies hat mich auch immer mit Stolz erfüllt. Doch dann kommt plötzlich so ein dahergelaufener Bauerntrampel und schafft es innerhalb kürzester Zeit, den Pharao um seinen Finger zu wickeln.“ Mahaados Stimme hatte einen fast schon leidenden Ton angenommen. „Und damit nicht genug: Der Pharao will ihn zu einem Priester machen, ihn! Einen Sklaven! Und so einer soll den Göttern und dem Herrn Ägyptens dienen. Ich...!“ Isis hatte genug gehört. „Mahaado“, unterbrach sie ihn ernst. „Ich verstehe, dass du enttäuscht und verletzt bist. Aber du verhältst dich Seth gegenüber unfair und wenn du ihm eine Chance geben würdest, dann könntest auch du erkennen, wie viel Mühe er sich mit seiner Ausbildung gibt. Wie ernst es ihm ist. Ich für meinen Teil glaube fest daran, dass er ein guter Priester werden wird, der dem Pharao genauso treu und gewissenhaft dienen wird, wie wir anderen auch. Statt uns zu streiten, sollten wir lieber alle zusammenarbeiten. Dieser Kleinkrieg zwischen euch ist wirklich lächerlich und unnötig. Denkst du denn nicht, dass es langsam genug ist?“ Mahaado presste seine Lippen zusammen und Isis wartete geduldig. Schließlich drehte er sich zu ihr um und berührte vorsichtig die Millenniumskette um ihren Hals. „Woher weißt du das? Woher weißt du, dass Seth einen guten Priester abgeben und nicht den Pharao verraten oder verletzen wird? Hast du mit deiner Kette in die Zukunft geblickt?“, flüsterte er und Isis lächelte leicht, legte ihre Hand auf Mahaados und drückte diese sanft. „Nein, kein Blick in die Zukunft hat mir das gesagt, sondern mein Gefühl. Und ich traue ihm. Seth ist kein schlechter Mensch, Mahaado. Außerdem, es ist doch auch sonst nicht deine Art, jemanden aufgrund seiner Herkunft zu verurteilen. Dass Seth ein Sklave war, ist doch unerheblich. Wichtig ist doch nur, was er jetzt ist. Ich jedenfalls glaube fest daran, dass die Dinge so geschehen, wie sie geschehen sollen. Dass Seth nun bei uns ist, hat sicher einen Grund. Also hör auf zu zweifeln.“ Mahaado antwortete zwar nicht, schien sich aber wenigstens Isis Worte durch den Kopf gehen zu lassen. Ermutigt setzte sie nach. „Seth ist gut für unseren König. Der Pharao hat sich verändert in den vergangenen Monaten. Er ist zwar immer noch irgendwie derselbe, aber weniger rücksichtslos und mehr auf das Wohl anderer bedacht. Nicht mehr nur länger auf sein eigenes.“ „Es steht uns nicht zu, den Pharao zu kritisieren“, entgegnete Mahaado leise und Isis zuckte schuldbewusst zusammen. „Aber ich...“, versuchte Mahaado fortzufahren, stoppte jedoch und sammelte sich kurz. „Dem Pharao zu dienen ist mein Lebensinhalt. Wenn er sich von mir abwendet, was bleibt mir dann noch? Ich habe doch nichts anderes.“ Isis lächelte schwach. „Des Pharaos Licht erstrahlt über allen anderen und es blendet die Menschen; macht sie blind für seine Fehler. Und manchmal wird man auch so von seiner überwältigen Präsens eingenommen, dass man alles andere um einen herum vergisst; den Überblick verliert, bis man am Ende niemanden mehr außer dem Pharao selbst sieht“, wisperte sie bedrückt, ließ Mahaados Hand los und schloss für einen Moment die Augen. „Unser König ist nicht der einzige Mensch, der dich braucht.“ Bevor Mahaado darauf etwas erwidern konnte, hatte sich Isis auch schon umgedreht und war davongerannt. Kapitel 22: Zwischen Hoffnung und Furcht ---------------------------------------- Kapitel 22 – Zwischen Hoffnung und Furcht Der Ritt durch die Wüste war hauptsächlich von Schweigen geprägt. Mahaado fühlte sich schuldig, schmutzig sogar und hielt deshalb respektvollen Abstand zum Pharao. Auch Seth, von Natur aus schon nicht sonderlich gesprächig, hatte noch kein Wort gesagt, während Atemu nur hin und wieder einen verwirrten Blick zu Mahaado und einen sorgevollen zu Seth warf. Lediglich ein paar undeutlich gemurmelte Gesprächsfetzen der Leibwachen des Pharaos und das Schnauben der Pferde durchbrachen die unangenehme Stille. So ritten sie nun schon einige Stunden. Mittlerweile stand die Sonne hoch am Himmel und brannte erbarmungslos auf den kleinen Trupp nieder, weswegen Atemu schließlich eine Rast befahl. Eilig wurde ein kleines Lager aufgeschlagen und, um dem Pharao wenigstens etwas Privatsphäre zu bieten, ein geräumiges Zelt gespannt. Atemu wollte auch gleich fleißig Gebrauch davon machen, allerdings nicht alleine, sondern in Begleitung netter Gesellschaft. Diese war gerade eher missmutig dabei, sich um die Verpflegung der Pferde zu kümmern, als Atemu dazu trat und sich leicht vorbeugte. „Wenn du hier fertig bist, dann komm in mein Zelt“, sagte er mit gesenkter Stimme und Seth nickte gehorsam, wenn auch offenkundig wenig begeistert. Atemu brauchte nicht lange zu warten. Schon kurze Zeit später fand sich sein Priester bei ihm ein und stellte sich abwartend vor ihn. Der Pharao deutete auf ein Kissen. „Setz dich. Ich will mit dir reden.“ In Seths Gesicht war keine Regung zu erkennen; etwas, was den Pharao nur wenig überraschte, war er doch von dem jungen Mann schon fast gar nichts anderes mehr gewohnt. Doch nicht nur diese Art der Reaktion, besser gesagt, Nichtreaktion seines Priesters war ihm inzwischen vertraut, viel mehr hatte Atemu inzwischen auch gelernt, dass Taten bei Seth von jeher mehr bewirkten als Worte. Und statt für ein klärendes Gespräch, entschied Atemu sich daher für die nicht nur schnellere, sondern auch wesentlich angenehmere Methode. Ohne das Seth rechtzeitig hätte reagieren können, hatte Atemu ihn bereits zu Boden gedrückt, wo er ihn nun heftig küsste. Eigentlich hatte der Pharao erwartet, dass sein Kuss erwidert werden würde, so wie es auch gestern Abend der Fall gewesen war, doch dem war leider nicht so. Einige Herzschläge lang starrte Seth ihn nur überrumpelt an, dann jedoch legte er seine Hände auf Atemus Brust und schob ihn sanft von sich weg. Er blieb zwar weiterhin liegen, wollte Atemu allerdings partout nicht in die Augen sehen, sondern blickte nur stur zur Seite und das selbst dann noch, als er schließlich leise zu sprechen begann. „Atemu, ich...“ Der Angesprochene schluckte bitter. Was auch immer jetzt kommen würde, er war sich sicher, dass er es nicht hören wollte. Doch Seth war unerbittlich. „Atemu, wenn ich mit dir schlafen soll; wenn du es mir befiehlst, dann werde ich es tun. Aber ich möchte, dass du eines dabei bedenkst: Ich begehre dich nicht. Und habe es auch nie.“ Der König fühlte sich, als hätte ihm jemand einen Schlag in die Magengrube verpasst. Dennoch riss er sich zusammen, wenn auch nur unter großen Mühen. „So ist das also? Ah, interessant. Unter diesem Aspekt: Wie erklärst du mir gestern Abend? Was da beinahe passiert wäre. Sag es mir, Seth!“ Der junge Priester atmete schwer. „Die Frage hatte ich befürchtet. Und dir die Antwort gerne erspart.“ Er wollte Atemu nicht verletzen, diesmal nicht, aber die Wahrheit sagen konnte er ihm auch nicht. Es wäre einfach zu demütigend, zu schwach. Und er war nicht schwach. Nicht mehr. „Ich weiß es nicht“, antwortete er schließlich tonlos. „Du weißt es nicht? Ist das alles?“, echote Atemu ungläubig und lachte mit einemmal schrill. „Er weiß es nicht…er weiß es nicht…ich fass es nicht. Aber was konnte ich Narr auch anderes erwarten, nicht wahr, Seth? Es ist ja schließlich meine eigene Schuld! Getrieben von falschen Hoffnungen und Wünschen. Und das als Pharao! Mein Vater wäre sicher so stolz auf mich, was glau--“ „Hör auf damit!“ Seths wütender Schrei ließ Atemu innehalten. „Hör auf so zu reden! Auf der Stelle! Sag mir doch lieber, wieso du es nicht einfach dabei bewenden lassen kannst? Wieso du ständig Antworten brauchst?! Aber gut, ohne geht es also nicht, hm? Fein, hier hast du sie: Ich will dich nicht, hab dich nie gewollt und werde es auch niemals. Das ist deine Antwort! Bist du jetzt glücklich? Wolltest du das hören? Sieh den Tatsachen endlich ins Gesicht und lass mich ein für alle mal in Frieden!“ Der Pharao starrte ihn nur wortlos an. Seth hatte ihn abgewiesen. Schon wieder. Seth hatte ihm nur etwas vorgemacht. Schon wieder. Atemus Enttäuschung mischte sich mit Trauer, wurde dann zu ungläubiger Verzweiflung und schließlich blinder Wut. Wie aus weiter Entfernung hörte er sich aufkreischen; seine Stimme laut und überschlagend; fühlte, wie sich seine Hände in Seths Gewand krallten und ihn grob zurück auf den Boden warfen; merkte, wie sich seine Finger immer tiefer und tiefer in dessen Schulter bohrten und schließlich den ersten Tropfen Blut forderten. Seth keuchte leise und Atemu drückte noch fester. Diesmal würde ihm Seth nicht davonlaufen können. Diesmal würde er Seth nicht davonlaufen lassen. „Du lügst, Seth. Das weiß ich. Ich habe deine Augen, habe dein Verlangen in ihnen gesehen. Du wolltest mich sehr wohl! Was du gerade sagtest…alles nur Ausreden! Ausreden!“, zischte er und packte grob Seths Kinn; wollte eine Emotion sehen, irgendeine, in diesem Gesicht, das er in diesem Moment so liebte und gleichzeitig hasste wie kein zweites. Doch sein junger Priester rührte sich nicht; sah auch sonst seltsam unbeteiligt aus und Atemus Schmerz vergrößerte sich noch mehr; zerfraß seine Seele und blendete alle anderen Sinne aus. Was übrig blieb, war nur maßlose Enttäuschung und Zorn auf denjenigen, der ihn so verletzt hatte. Und er schlug zu; traf seinen Priester mit der Faust so heftig ins Gesicht, dass Seths Kopf zur Seite ruckte. Doch Atemu kümmerte es nicht. Ein zweites Mal schlug er zu, wieder in Seths Gesicht und endlich keuchte Seth schmerzvoll, endlich zeigte er eine Regung und Atemu genoss die Befriedigung, die es ihm verschaffte; genoss, dass er es war, der dieses Spiel beherrschte, genoss diesen kleinen, einsamen Laut des Leids, der Seths Lippen entwichen war. Diesen weichen, zarten, blassen Lippen in einem sonst so ausdruckslosen Gesicht, das nur in diesem einen Moment endlich eine ehrliche Regung von sich preiszugeben vermochte. Und Atemu erkannte plötzlich erschrocken, dass dies eine Regung war, die er niemals mehr hatte sehen wollen... Seine Wut verraucht, fühlte er nur noch Scham und Abscheu vor sich selbst. Fest kniff er seine Augen zusammen. Er wollte Seth so gerne nahe sein, mehr nicht, doch selbst dies schien nun ein Ding der Unmöglichkeit geworden zu sein. Und Atemu hatte keine Ahnung, was er dagegen noch tun könnte. Er fühlte sich so elend; wusste, dass er kein Recht auf Seths Wärme unter sich hatte und war doch Egoist genug, um dennoch nicht auf sie verzichten zu können. Wie in Zeitlupe wurde sein Kopf immer schwerer, bis er schließlich auf Seths kräftiger Brust zum Liegen kam. Eine Weile lauschte er dem wilden Herzschlag seines Priesters und lächelte schließlich schwach. „Du hast dich nicht gewehrt, Seth. Es nicht einmal versucht. Und ich verstehe nicht wieso. Du bist stärker als ich. Du hättest meine Schläge so leicht stoppen können.“ Seths Reaktion bestand nur aus einem Zusammenzucken, trotzdem fuhr Atemu fort. „Verrat mir eines: Wolltest du am Ende vielleicht, dass ich dich verletze? Weil du mich verletzt hast? Denkst du etwa, dass wir jetzt quitt sind?“ Er lachte freudlos. „Du bist wirklich ein Dummkopf. Ein naives, unbedarftes Kind und ein Dummkopf. Genauso wie ich.“ Der junge Priester sog scharf die Luft ein und Atemu klammerte seine Hände fest in dessen Gewand, erlaubte sich, Seths Nähe und Wärme zu genießen und einzuprägen. Denn wahrscheinlich hatte er jetzt die letzte Gelegenheit dazu, dafür hatte er heute gesorgt. Er hatte solche Angst davor, Seth ins Gesicht zu sehen; davor, was er schon wieder getan, dass er wieder die Kontrolle über sich verloren hatte. „Wie damals, genau so, obwohl ich mir doch geschworen habe, dass das nie wieder passieren wird, ich ihm nie wieder wehtun werde. Wie konnte ich diese Vorsätze nur erneut brechen?“ Müde richtete er sich etwas auf. Er hatte eine Entscheidung getroffen. Er würde nicht davonlaufen; stattdessen würde er sich Seth stellen, so sehr er auch dessen Reaktion fürchtete. „Was ist, wenn ich ihn nun endgültig verloren habe?“ Die Vorstellung ließ Atemu erzittern. Er wollte aufstehen und sehen, wie weit er in seinem Zorn wirklich gegangen war, doch auf einmal schlangen sich Seths Arme um seinen Körper und hielten ihn unten. Atemu hatte keine Ahnung, was Seth damit bezweckte und noch bevor er näher darüber nachdenken konnte, hörte er auch schon Seths ruhige Frage: „Was denkst du gerade, Atemu?“ Der Pharao war zu verstört, um zu antworten, doch Seth fuhr unbeirrt fort. „Es ist schon seltsam, findest du nicht auch? Wie wir uns manchmal von den niedersten Instinkten leiten lassen, uns ihnen hingeben…selbst wenn wir es doch eigentlich hätten besser wissen sollen.“ Er seufzte. „Doch in bestimmten Momenten, da reicht schon ein einfaches Wort, grob oder liebevoll, eine sanfte Berührung…die Aussicht auf Nähe, so lang nicht mehr gespürt und deshalb vermisst, um alles Denken auszuschalten. Und wir lassen es zu. Diese Illusion von Zuneigung und Geborgenheit. Und dann, wenn wir plötzlich mit unseren Gefühlen konfrontiert werden, wir Zeit haben, über sie nachzudenken, da holt uns plötzlich die Reue ein, vielleicht auch die Furcht vor Veränderung. Und was bleibt, ist die Frage, wie man damit umgehen soll.“ Seths Griff lockerte sich und Atemu hätte aufstehen können, doch er tat es nicht. Endlich bekam er seine ehrliche Antwort von Seth, nicht unbedingt in klaren Worten, aber es war seine Antwort und er wollte nicht darauf verzichten. Vor allem jetzt nicht, wo der Preis für sie bereits so hoch war. Seth schien inzwischen sein Vokabular erschöpft zu haben, doch die nun herrschende Stille war weniger drückend als vielmehr erwartungsvoll und Atemu erkannte überrascht, dass nun er an der Reihe war. „Aber was ist, wenn diese Veränderung eine positive ist?“, murmelte er vorsichtig und Seth scharfes Einatmen verriet ihm, dass er einen Nerv getroffen hatte. „Nur weil Gefühle unerwartet kommen, müssen sie nicht schlecht sein“, provozierte Atemu weiter und wartete neugierig auf Seths Reaktion, die auch prompt kam. „Das mag sein, aber was ist, wenn es nicht an dem unerwartet liegt, sondern daran, dass sie einfach nicht erwünscht sind?“ Vorsichtig richtete Seth sich und Atemu auf und Atemu erkannte nun schuldbewusst Seths aufgeplatzte Lippe und seine gerötete Wange, konzentrierte sich aber dann auf die Worte seines Priesters, so ruhig, vor allem aber so uncharakterlich offen gesprochen, dass Atemu sich kurzzeitig wunderte, wie viel Schaden in Seths Kopf seine Schläge eigentlich wirklich angerichtet hatten… Seth indessen sprach bereits weiter: „Diese Gefühle für dich...ich...ehrlich gesagt, ich will sie nicht. Und doch werden sie mit jedem Tag stärker; überschlugen sich förmlich, als ich dich nach so vielen Monaten plötzlich wieder sah. Nur, dass ich mir das nicht erlauben kann. Wir werden niemals offiziell zusammen sein können. Das Volk erwartet eine Königin. Nein, Ägypten braucht eine Königin. Und ich würde es nicht ertragen, dich mit jemandem teilen zu müssen. Ich habe einfach keine Lust, nur an zweiter Stelle zu stehen. Nicht bei dir.“ „Aber“, wollte Atemu einwenden, doch Seth gebot ihm kopfschüttelnd Schweigen. Das hier war schon schwer genug für ihn, da konnte er irgendwelche Unterbrechungen nun wirklich nicht gebrauchen. Und wenn es nicht für Atemus gebrochenen, schuldbewussten Blick gewesen wäre, als er realisieren musste, dass er Seth geschlagen hatte, wenn Seth nicht genau gewusst hätte, dass er der Grund für diesen unglücklichen, angstvollen Ausdruck in Atemus Augen war, dann hätte er auch weiterhin geschwiegen. Doch nun zwang er die Wahrheit heraus, so demütigend er diese auch empfand. „Es ist ja nicht nur das. Versteh doch. Erst verlor ich meinen Vater, dann meine Mutter. Gute Freunde. Und noch etwas anderes, sehr wichtiges. Der Punkt ist der: Liebe ist eine sehr wankelmütige Angelegenheit. Je tiefer du für jemanden empfindest, desto mehr wirst du am Ende verletzt werden. Sei es, weil die Person stirbt oder weil sie dich irgendwie anders verlässt. Und gerade du solltest das nachfühlen können. Du hast selbst gesagt, dass du Angst hast, dass ich dich irgendwann allein lassen könnte. Und es stimmt. Auf welche Art auch immer, am Ende steht man immer alleine da. Und das will ich einfach nicht. Ich will das nicht riskieren.“ So langsam verstand der junge König. Nur Pech für Seth, dass verstehen nicht auch gleich akzeptieren hieß. Atemu jedenfalls wollte diese Meinung seines Priesters nicht einfach kommentarlos hinnehmen. Vor allem dann nicht, wenn Seth, wie Atemu fand, so gnadenlos im Unrecht war. Aufmerksam betrachtete er den jungen Mann. „Wahrscheinlich habe ich kein Recht, dir dies zu sagen. Wahrscheinlich…“ Er lachte hohl. „Wahrscheinlich habe ich nach heute kein Recht, dir überhaupt etwas zu sagen…Aber trotzdem. Es bringt doch nichts, wenn du alle Menschen, die dir emotional zu nahe kommen, von dir stößt. Du kannst doch nicht dein Leben nur in Einsamkeit verbringen. Daran gehst du doch kaputt!“ Seth warf ihm einen hitzigen, trotzigen Blick zu. „Nein, das gehe ich nicht. Ich weiß, was ich tue.“ „Das glaube ich dir nicht. Seth, ich will dich zu nichts zwingen. Aber tue mir bitte den einen Gefallen. Überdenke deine Ansichten noch einmal. Überlege, ob du wirklich so leben willst. Du wirst so viele schöne Dinge verpassen. Und was die Erwartungen des Volkes betrifft...es hält ohnehin nicht viel von mir, Königin hin oder her. Und letzten Endes kann ich sowieso tun, was ich will. Dennoch, ich werde deinem Wunsch nachkommen. So schwer es mir auch fällt, ich werde dir nie wieder auf sexueller Ebene begegnen. Stattdessen werde ich dir Zeit geben. Und ich werde hoffen, dass du zur Besinnung kommst und irgendwann deine Gefühle zulässt und die meinigen offen erwiderst. Doch merke dir: Sollte es soweit sein, dann wirst du auf mich zugehen müssen. Denn dass sich so etwas wie heute wiederholt ist ein Risiko, welches ich nicht bereit bin einzugehen. Du bist jederzeit bei mir willkommen. Aber der nächste Schritt wird der deine sein.“ Seth schluckte. „Das war doch, was ich gewollt hatte, oder nicht? Aber warum tun seine Worte dann so weh? Der nächste Schritt...kann ich das? Habe ich überhaupt den Mut dazu?“ „Liebe ist niemals von Dauer“, erklärte er schließlich laut. „Das stimmt nicht“, erwiderte Atemu sanft. Doch Seth schüttelte energisch den Kopf. „Liebe ist niemals von Dauer“, wiederholte er tonlos. Trotzdem, Atemus Worte ließen in ihm die ersten Zweifel aufkommen. Er wollte ihm so gerne glauben. Doch er konnte es nicht. Noch nicht. Liebe ist niemals von Dauer. Und tatsächlich sollte Seth noch die Wahrheit dieser Worte bestätigt bekommen. ------ AN: Mahaado ist nicht vergessen, sondern taucht bereits im nächsten Kapitel wieder auf. Tja, und Atemu hat Glück, dass sich wenigstens Seth unter Kontrolle (und einen gewisse Ruhe gelernt)hat, sonst wäre die Sache wohl nicht so glimpflich für ihn ausgegangen. Ansonsten noch: Feedback wie immer gern gesehen und bis nächste Woche ^^ Kapitel 23: Schmerzliche Erinnerungen ------------------------------------- Kapitel 23 – Schmerzliche Erinnerungen „Wirklich üble Viecher. Ganz, ganz übel“, knurrte der Mann verächtlich und trat etwas Sand in Richtung des näher kommenden Skorpions. „Kreaturen der Wüste; was erwartest du?“, entgegnete sein Kamerad sardonisch und versuchte angestrengt in der Dunkelheit der Nacht noch mehr dieser ungebetenen Gäste auszumachen. Solange die Skorpione weder ihnen noch dem Pharao zu nahe kamen, waren sie ihm eigentlich recht egal. Herzhaft biss er in seine rohe Zwiebel, kaute ein wenig auf dem Stückchen herum und spuckte es dann in einem hohen Bogen wieder aus. „Bah! Ich brauch mal wieder was Richtiges zwischen die Zähne! Nur Brot, Wasser und Zwiebeln! Was für ein scheiß Fraß ist das denn?!“ „Statt dich über das Essen aufzuregen, tue lieber was Sinnvolles und halte Wache. Das ist schließlich deine Aufgabe. Eure Aufgabe, um genau zu sein“, entgegnete Mahaado missmutig und blickte die beiden faulen Leibwachen des Pharaos mürrisch an. Diese schreckten hoch. „Mahaado, Sir! Wir, uh, wir hatten Euch gar nicht kommen hören.“ Mahaado verdrehte die Augen. „Sollte sich so was noch mal wiederholen, so werde ich das dem Pharao melden müssen. Ihr seid zum Schutz des Pharaos hier und ich erwarte, dass ihr eure Pflicht angemessen erfüllt. Und wo ist eigentlich Mehi?“ Die beiden Wachen wechselten einen kurzen Blick. „Der bewacht das Zelt des Pharaos.“ Mahaado runzelte die Stirn. „Das ist doch Seths Aufgabe.“ Nachdenklich strich er sich über sein Gesicht. Am liebsten wäre er sofort zum Pharao gegangen, um nach dem Rechten zu sehen, fürchtete aber zugleich, dass seine Sorge wie üblich von Atemu absolut unerwünscht war. Auf eine erneute Rüge jedenfalls hatte er überhaupt keine Lust, zumal Seths geschwollenes Gesicht schon darauf schließen ließ, dass der König heute nicht unbedingt seinen besten Tag hatte. Trotzdem hätte Mahaado nur zu gerne gewusst, was eigentlich genau zwischen Seth und dem Pharao vorgefallen war, denn erkennen konnte er nur, dass die beiden ihre wie auch immer gearteten Differenzen inzwischen wenigstens zeitweilig beilegt hatten. Sie schwiegen sich zwar immer noch an, aber im Gegensatz zu vorher schien diese Stille nicht mehr länger so unangenehm wie die am Vormittag zu sein. „Was auch immer passiert ist, Seth scheint der Leidtragende gewesen zu sein. Atemu jedenfalls hat nicht den kleinsten Kratzer. Für einen scheinbar ehrlosen Sklaven hat Seth manchmal eine wirklich beachtliche Selbstbeherrschung.“ Und das war etwas, wofür Mahaado dem jungen Priester nur seine Hochachtung aussprechen konnte, wenngleich es ihm aufs tiefste widerstrebte. „Ich wollte es Atemu Recht machen, ihm meinen Körper darbieten…ihm das geben, was er sich so offensichtlich von Seth wünscht. Und bin mit meinem Vorstoß jämmerlich gescheitert.“ Nachdenklich betrachtete er den blassen Mond über ihm, versuchte sich den Gesichtsausdruck des Pharaos in Erinnerung zu rufen, wann immer er Seth sah. Atemus Mimik…sie zeigte so viel. Ärger, Wut, Stolz und Verlangen…aber vor allem Zuneigung. Es war eine schmerzvolle Erkenntnis für ihn. Sonst war immer er es gewesen, dem der König mehr as allen anderen vertraute; eine der wenigen Personen, denen Atemu nicht nur als Pharao, sondern auch als Mensch begegnete. Doch nun hatte Seth diese Rolle in Atemus Leben inne und er, Mahaado, war zu einer Randfigur degradiert worden. „Obwohl Atemu und ich uns schon so lange kennen, wir zusammen aufgewachsen sind und ich ihm immer treu zur Seite stand…letztendlich war es nicht genug.“ Ein schwaches Lächeln erschien auf seinen Lippen und verschwand ebenso schnell wieder. „Ich kann einfach nicht mit Seth konkurrieren. Isis, ist es das, was du mir bei meiner Abreise sagen wolltest?“ Er schüttelte den Kopf. „Nein, das ist es nicht. Sie wollte…dass ich Seth eine Chance gebe.“ Er lachte humorlos. „Vielleicht wäre Seth wirklich einigermaßen erträglich, wenn ich ihn nur besser kennen lernen würde. Nur, wenn Isis mit ihm richtig lag, bedeutet das dann nicht auch, dass ihre übrigen Worte ebenfalls wahr sind? Stimmt es, dass ich von meinem Wunsch, dem Pharao zu gefallen und zu dienen, so geblendet bin, dass ich alle anderen Menschen um mich herum vergesse?“ „Mahaado, Sir?“, fragte einer der Wachmänner plötzlich zögerlich. Die Wachen! An die hatte Mahaado für den Moment gar nicht mehr gedacht, doch nun fixierte er die Männer eisern. „Keinen Laut über das, was ihr hier gerade gehört habt. Es war nicht für eure Ohren bestimmt. Und nun geht endlich.“ Die Wachen gehorchten, zwar nicht unbedingt begeistert, aber zumindest widerspruchsfrei. Und irgendwie erinnerte Mahaado dieses Verhalten der Männer an sich selbst. „Bedingungslose Treue. Auch ich habe mir dies geschworen.“ Er atmete leise. Ob Isis nun Recht hatte oder nicht, war letztlich unbedeutend. Er würde seinen Pflichten gegenüber dem Pharao nachkommen, ganz egal, was auch immer er dafür opfern musste; ganz egal, was auch immer dafür von ihm verlangt werden würde. Und wenn es ein Leben in Einsamkeit und Demut war, dann sollte es eben so sein. --------- Der kleine, bärtige Mann namens Mehi kratzte sich bedächtig am Kinn und gähnte dabei lauthals. Wache vor dem Zelt des Pharaos zu halten, war eine verdammt langweilige Angelegenheit. Und im Grunde genommen noch nicht einmal die seinige, sondern die des Priesters Seth. Doch der hatte sich lieber gemeinsam mit dem Pharao in dessen Zelt zurückgezogen. Eine Weile waren ihre tiefen, leisen Stimmen zu hören gewesen, doch so sehr Mehi sich auch angestrengt hatte, Worte hatte er keine verstehen können. Was schade gewesen war. Er hatte gehofft, dass er vielleicht den einen oder anderen delikaten Brocken aufschnappen und dann später seinen Kameraden hätte erzählen können. Als schließlich auch das Geflüster des Priesters und des Pharaos verstummt war, hatte Mehi seine Neugierde nicht bezähmen können und, auch wenn er wusste, dass es verboten war, einen hastigen Blick in das Zelt geworfen. Insgeheim hatte er fast erwartet, die beiden im gemeinsamen Liebesspiel vorzufinden, doch auch dies stellte sich als Enttäuschung heraus. Der Pharao war ruhig am Schlafen; der Priester in eine Schriftrolle vertieft gewesen. „Langweiler“, ärgerte sich Mehi und ließ ein erneutes Gähnen hören. So wie es aussah, würde der Priester sicherlich die ganze Nacht aufbleiben. Und in dem Fall, dachte Mehi, könnte doch vielleicht wenigstens er ein bisschen Schlaf finden. Vorsichtig legte er sein Krummmesser zur Seite, suchte sich eine einigermaßen bequeme Position und schloss müde die Augen. „Ohne Schlaf bin ich morgen früh mit meinen Kräften am Ende. Und dann kann ich bei Gefahr den Pharao nicht mehr beschützen. Also, dass ich mich jetzt hier ein wenig ausruhe, ist damit doch eigentlich nur in des Königs bestem Interesse gedacht. Genau, ich erfülle nur meine Pflicht...“ ---------- Seth hatte tatsächlich nicht vor zu schlafen. Nicht, weil er nicht müde war, denn das war er sehr wohl, sondern weil er sich einfach nicht gut in Gegenwart anderer entspannen konnte. Er mochte es nicht, im selben Raum, Zelt oder was auch immer mit einer anderen Person zu schlafen; selbst dann nicht, wenn es sich bei dieser anderen Person um Atemu handelte. Er fühlte sich einfach so verletz- und angreifbar. So vollkommen schutzlos. Er hasste dieses Gefühl und obwohl er ein leichter Schläfer war, bei dem kleinsten Geräusch innerhalb weniger Sekunden aufwachen würde, so war manchmal sogar eine Sekunde schon zu lange. Erschöpft rieb er sich seine juckenden Augen. Er hatte versucht, sich mit dem Studium einiger Schriftrollen von dem Gedanken an Schlaf abzulenken, was leider nicht unbedingt von Erfolg gekrönt gewesen war. Die Abhandlung über die richtige Aufteilung der Landparzellen unter den Bauern nach einer Nilflut war nicht wirklich spannende Lektüre. Wieso hatte er die eigentlich mitgenommen? Behutsam legte er das Schriftstück zur Seite. Er hatte ohnehin kaum noch eine Hieroglyphe erkennen können. Bei der Düsternis sahen alle Zeichen fast gleich aus. Langsam zog Seth seine Knie an, schlang seine Arme um sie und legte sein Kinn auf ihnen ab. Fast wie in Trance konzentrierte er seine Aufmerksamkeit auf die Kerze, die ein schwaches, tröstliches Licht spendete; beobachtete eine Motte, die unruhig um die Flamme hin und her flatterte. Immer dichter drängte sie sich an das Feuer, zog sich rechtzeitig wieder zurück und floh vor der gefährlichen Hitze. Eine Weile ging ihr Katz- und Mausspiel gut, doch schließlich verschätzte sie sich. Vielleicht war es nur ein unbedachter Augenblick gewesen, vielleicht auch hatte sie der kleinen Flamme einfach nicht länger widerstehen können; auf jeden Fall näherte sie sich ihr zu dicht. Ihre winzigen, glänzenden Flügel fingen Feuer. Kurz konnte sich die Motte noch in der Luft halten, doch dann fiel sie spiralenförmig nach unten, um dort ganz zu verbrennen. Seth sah gebannt zu. Feuer, sein Dorf, seine Mutter. Von den tödlichen Flammen verschluckt. Wie die Motte, so hatte auch sie keine Chance gehabt und bestimmt wäre auch er an diesem Tag gestorben. Doch dann war der Drache erschienen. Stark und majestätisch hatte er über den brennenden Gebäuden gethront; seine Flügel weit gespreizt, ihr Spann gewaltig; ein lautes Gebrüll in die Nacht schickend, das selbst die Angst- und Todesschreie der vielen Menschen übertönt hatte. Und er hatte Seths Peiniger, die Mörder seiner Mutter, getötet; hatte getan, wozu Seth selbst nicht in der Lage gewesen war – Rache zu nehmen. Von den Räubern war nicht mehr übrig geblieben als ein Haufen Asche. Ihre Körper konnten nie bestattet werden; ihre Seelen würden nie ins Totenreich finden. Keine Wiedergeburt und kein zweites Leben. Seth spürte eine seltsame Genugtuung bei dem Gedanken. „Sie haben es verdient, jeder einzelne von ihnen“, flüsterte er; sein Atem brachte die Kerze leicht zum Flackern und tauchte sein Gesicht in tiefste Schatten. Der Drache…und das Mädchen. Der weiße Drache und das Mädchen mit der blassen Haut. In letzter Zeit musste er häufig an sie denken. Und nicht nur an sie. Da war noch etwas, noch eine Erinnerung. Oder war es nur ein Traum? Seth wusste es nicht genau. Er war damals noch so jung gewesen. „Nein, es muss wirklich passiert sein. Denn sonst würde mich dieser Gedanke nicht so quälen. Sonst würde ich nicht diese Traurigkeit in mir spüren.“ Das war noch ein Grund, warum er nicht einschlafen wollte. Wenn er schlief, kamen die Erinnerungen. Und er wollte sich nicht erinnern. Er hatte mit diesem Teil seines Lebens abgeschlossen. Er würde Priester werden. Punkt. Aus. Sein altes Leben hatte da keinen Platz mehr. Nicht die Demütigungen, die er als Sklave hatte erfahren müssen und auch nicht die schrecklichen Verluste einer zu kurzen Kindheit. Seth fühlte, wie sich seine Augen schlossen und sich sein Körper entspannte. Er wollte wirklich nicht schlafen. Er wollte es einfach nicht. Außerdem musste er doch auf den Pharao aufpassen. Die Wache vor dem Zelteingang war bestimmt nicht mehr wach. Der Mann hatte ja kaum noch die Augen aufhalten können, als er einen schnellen Blick in das Zelt hineingeworfen hatte. Doch obwohl er sich bemüht hatte, möglichst unauffällig zu sein, hatte Seth ihn gesehen. Er hatte weder von seiner Schriftrolle aufgeblickt, noch hatte er irgendetwas gesagt, doch er hatte ihn gesehen. Irgendwie beruhigte Seth das. So müde er auch war, niemand, ob Freund oder Feind, würde sich ihm oder dem Pharao unbemerkt nähern können. Dafür würde er Sorge tragen. „Ich bin nicht schutzlos. Ich kann mich verteidigen, mich und Atemu. Ich...“, murmelte er, kämpfte vergeblich gegen die immer stärker werdende Müdigkeit, die Geist und Körper erschlaffen ließ; kämpfte einen Kampf, den er schließlich verlor. Sein Kopf sackte auf seine Knie, seine Atmung wurde ruhiger. Unbewusst ließ er sich zur Seite fallen und fiel in einen tiefen Schlaf. Die Kerze indes war schon lange abgebrannt. ------------------ AN: Der Teil mit den Räubern und Seths Mutter bezieht sich auf die jap. Version. In der Folge, in der Seth Kisara von den Räubern befreit, sieht er sein Dorf in Flammen stehen und rennt entsetzt zurück, wo er dann von den Räubern gepackt und, ich mein ein Knie in den Bauch gerammt bekommt, damit er ihnen verrät, wo er Kisara gelassen hat. Außerdem stecken sie sein Haus in Flammen, während der festgehaltene Seth verzweifelt nach seiner Mutter ruft, die wohl noch in dem Gebäude war und vergeblich versucht, ihr zu Hilfe zu eilen. Die Schreie nach seiner Mutter sind in der 4kids Version rauseditiert worden, weswegen ich es hier erwähne. Kapitel 24: Ehrlichkeit ----------------------- So, mit Verspätung (war im Klausurenstress) gibts hier das neue Kapitel ^^ Je nachdem, wie die Resonanz ist, werde ich Kapitel 25 entweder wie gewohnt Samstag oder Sonntag hochladen, ansonsten eher Montag oder Dienstag, da ich nicht weiß, ob vorm Wochenende überhaupt jemand dazu kommt -dieses- Kapitel zu lesen. ------------------------------ Kapitel 24 – Ehrlichkeit Ein qualvolles Stöhnen weckte Atemu aus seinen Träumen und es dauerte einen Moment, bis er wieder genug bei Sinnen war, um zu erkennen, wo er sich befand. Er war in der Wüste. In einem Zelt. Und es war Nacht. Er warf einen Blick auf den schwach zitternden Körper neben sich. „Seth?“, fragte er scharf, bekam aber keine Antwort und beugte sich voller Beunruhigung über den Schlafenden. „Hey, Seth. Bist du okay? Sag was!“ Sachte griff er den jungen Mann an den Schultern und rüttelte ihn leicht. Sein Priester stöhnte leise. Das Gesicht glänzend vor Schweiß und die Finger verkrampft, murmelte er unzusammenhängende Worte, warf sich von einer Seite auf die andere, schien immer mehr in die Fänge eines Alptraums zu geraten, aus dem er nicht mehr alleine erwachen konnte. Atemu fühlte die Panik in sich aufsteigen. „Seth, verdammt...jetzt reagier doch endlich. Hörst du? Du sollst aufwachen! WACH AUF!“ Atemus Schütteln wurde stärker, seine Stimme nahm einen fast schon hysterischen Unterton an. Auch Seths Stöhnen nahm zu. Seine Hände öffneten und schlossen sich unkontrolliert. Sein Atem ging schnell...viel zu schnell. „Er muss aufwachen! Er muss einfach!“ „Seth, du Idiot! Ich hab dir einen Befehl gegeben! Bist du taub? Du musst…WACH AUF HABE ICH GESAGT!“ Atemus Geschrei, so voller Sorge, Wut und Furcht, brachte Seth nur noch mehr auf. Seine Arme und Beine schlugen wild um sich; drohten ihn und den Pharao zu verletzen. Ein gequälter Schrei entwich seiner Kehle und Atemu wusste nur noch eins: Er musste das hier beenden. Und zwar sofort. Mit seinem Körper und aller Kraft drückte er Arme und Beine des jungen Priesters nach unten; hielt sie so fest, dass sich seine Finger tief in Seths Haut drückten. Er presste schuldbewusst die Lippen aufeinander, traute sich aber nicht, seinen Griff zu lockern. Endlich ließ das Schlagen und Treten nach und der Pharao wollte schon aufatmen, als sich Seth plötzlich unter ihm aufzubäumen begann, den Kopf zurückwarf und Atemu beinahe von sich herunter schleuderte. Der Pharao keuchte auf. Seth war viel stärker als er. „Aber wenn ich das Puzzle einsetze...nein, das kann ich nicht tun. Nicht gegen ihn! Nie wieder!“ „Beruhige dich, Seth! Niemand tut dir was, also beruhig dich doch endlich! Bitte, Seth. Beruhig dich!“ Für einen kurzen Moment überlegte Atemu, ob er vielleicht nach Mahaado rufen sollte. Der würde sicher wissen, was zu tun war... Ein leichtes Flattern von Seths Lidern nahm ihm die Entscheidung plötzlich ab. Körper und Atmung des jungen Mannes wurden ruhig und auch das Stöhnen verebbte. Verwirrt blinzelnd öffnete er seine Augen und erkannte dann den Pharao. „Atemu? Was ist passiert? Warum sitzt du auf mir? Was…?“ Der König lächelte erleichtert. „Du hattest wohl einen Albtraum. Du hast um dich geschlagen und ich wusste mir nicht anders zu helfen. Ich musste dich doch irgendwie ruhig stellen. Verstehst du?“ „Oh, okay.“ Seth war sich nicht sicher, ob er wirklich verstand; zu sehr schienen seine Gedanken noch immer unter einem grauen Schleier gefangen zu sein. Er atmete flach, schloss seine Augen wieder und versuchte angestrengt, sich zu konzentrieren. „Ein Alptraum. Ja, ich glaube, ich habe tatsächlich geträumt. Nur ein Traum. Nicht die Wahrheit. Nicht die Wahr…“ Unwirsch schüttelte er seinen Kopf, fühlte mit einemmal Atemus warme Hände auf seinen Wangen, hörte dessen leise Worte und ließ für einen Moment Atemus Nähe einfach zu. Er wollte jetzt nicht kämpfen; wollte sich nicht wehren, wollte nicht allein sein. Der Pharao betrachtete ihn besorgt. „Seth, ich möchte wissen, was los war. Wovon hast du geträumt? Sag es mir.“ Sein Priester drehte sich schnell von ihm weg, entzog sich so jeder weiteren Berührung und starrte stur überall hin, nur nicht auf Atemu. „Nein. Ich will nicht. Denn es ist meine Sache, nicht deine.“ Noch in dem Moment, in dem er die Worte sprach, wusste er jedoch bereits, dass es zwecklos war. Atemu würde ohnehin nicht eher Ruhe geben, bis er seine Neugier gestillt sah. Das Spielchen kannte Seth schließlich schon zu Genüge. „Seth...“ Mehr brauchte der Pharao nicht zu sagen. Seth verstand die unterschwellige Drohung auf Anhieb. Er seufzte. „Fein, ich rede. Aber nur, wenn du vorher von mir runtergehst. Nicht eher.“ Zu Seths Überraschung errötete Atemu leicht. „Natürlich. Verzeih, aber ich hatte wirklich keine Hintergedanken.“ Verlegen setzte er sich neben ihn und rutschte ein Stückchen zur Seite, so dass auch Seth sich nun aufrichten konnte. „Also? Ich warte immer noch auf eine Erklärung, Seth.“ Dieser schluckte. „Es war nichts. Nur ein dummer Traum, nichts weiter.“ „Das glaube ich dir nicht“, entgegnete Atemu entschieden und sah ihn durchdringend an. „Ich bin dein Pharao. Ich kann dir auch befehlen, mir die Wahrheit zu sagen. Ich würde es aber vorziehen, wenn du freiwillig mit der Sprache herausrücken würdest. Du weißt schon, öfter mal was Neues. Also, was ist jetzt?“ „Was ist jetzt, huh? Pah! Lachhaft, diese Frage. Als würde er mir überhaupt eine Wahl lassen.“ Verärgert ballte Seth seine Hände. Atemu entging dies nicht. „Wieso verstehst du nicht, dass ich dir nur helfen will? Lass doch nicht immer jede Situation eskalieren. Vor allem will ich nicht, dass du mich ständig anlügst. Du hast gesehen, wohin es dich führt. Wohin es uns führt.“ Leicht strich er mit seinen Fingerkuppen über Seths angeschwollene Wange; bemerkte, wie sein Priester zusammenzuckte und lächelte traurig. „Sieh dir doch mal an, was das letzte Mal passiert ist, als du nicht ehrlich zu mir warst. Ich bin unzweifelhaft zu weit gegangen, aber trotzdem beweist es doch, dass wir lernen müssen, einander mehr zu vertrauen.“ Es kam Atemu wie eine Ewigkeit vor, doch schließlich nickte sein Priester resigniert. „Ich habe von meinem kleinen Bruder geträumt“, gab er schwermütig zu und der Pharao horchte gespannt auf. „Deinem kleinen Bruder?“, fragte er erstaunt. „Du hast Geschwister?“ „Ja, habe ich. Hatte. Das Training in der Priesterschule, ich meine, die vielen Meditationen dort. Sie lassen längst vergrabene Erinnerungen wiederkommen. Nicht alle davon sind erwünscht.“ Beinahe scheu blickte Seth auf. „Eine dieser Erinnerungen ist die von meinem Bruder. Ich bin mir nicht sicher, ob sie real ist.“ Er lachte hohl. „Nein, noch eine Lüge. Ich weiß sehr wohl, dass sie wahr ist. Ich wünschte nur, sie wäre es nicht. Und wie ich mir das wünsche.“ Sein Lachen erstarb und er betrachtete den Pharao eindringlich. „Weißt du, was passiert ist? Kannst du es dir denken? Nein, kannst du nicht. Natürlich nicht. Du...“ „Seth, Was ist mit deinem Bruder passiert?“, unterbrach ihn Atemu barsch. Der Tonfall des jungen Mannes gefiel ihm nicht. Genauso wenig, wie das kalte Lächeln, das sich nun auf Seths Lippen stahl. „Sein Vater, das ist passiert. Mein Bruder und ich haben verschiedene Väter. Meiner ist ja schon lange tot. Und seiner hat uns verlassen, als er erfuhr, dass meine Mutter schwanger war. War auch kein tragischer Verlust. Jedenfalls, ein paar Tage, nachdem mein Bruder geboren worden war, stand er wieder vor der Tür; meinte er hätte einen Käufer für das Baby. Dass es nur Recht wäre, wenn er aus seinem eigen Fleisch und Blut Profit schlagen würde; dass meine Mutter doch noch eine junge Frau sei, die leicht ein neues Kind bekommen könne. Dann hat er uns beide niedergestreckt. Und als wir wieder zu uns gekommen sind, waren er und mein Bruder fort. Ich habe keinen der beiden je wieder gesehen.“ Er atmete leise; sein Blick war leer und sein Gesicht verhärmt. Atemu legte eine Hand auf Seths Arm und lehnte sich sanft an ihn. Endlich fuhr Seth fort, seine Stimme kühl und schneidend. „Ich kannte den Kleinen nur so kurz und auch meine Mutter sprach nach diesem Vorfall nie wieder von ihm. Deshalb habe ich lange Zeit geglaubt, dass ich ihn mir nur eingebildet habe, es ihn nie wirklich gegeben hat. Aber jetzt kann ich die Wahrheit nicht länger ignorieren. Diese Erinnerungen, egal wie schwach und undeutlich, sind wirklich wahr. Und ich will nicht mehr so tun, als wäre mein Bruder nur ein Teil meiner Imagination. Ich will ihn nicht länger verleugnen.“ Abermals lachte er voller Bitterkeit. „Es ist schon merkwürdig. Da vermisse ich einen Bruder, den ich im Grunde doch niemals wirklich gekannt habe. Ein Baby, dessen Namen ich nicht mal mehr weiß.“ „Das ist nicht merkwürdig“, wandte Atemu ein und streichelte sachte über Seths Handrücken. Eigentlich hatte er zugesagt, seinen Priester in Ruhe, ihn den nächsten Schritt machen zu lassen. Doch diese Berührungen hier hatten nichts Sexuelles an sich. Stattdessen sollten sie Trost spenden. „Vielleicht begehre ich Seth weniger, als ich dachte. Nein, das ist es nicht. Ich will ihn schon. Aber...“Der Pharao warf einen verstohlenen Blick auf den jungen, leicht zittrigen Mann neben sich. „...vor allem will ich ihm nahe sein. Körper und Geist. Warum habe ich solange gebraucht, um das zu verstehen?“ Atemu lächelte traurig. Er hatte keine Geschwister und wusste daher nicht, was er Seth hätte Nützliches sagen können. Also versuchte er es auch gar nicht erst. Er wollte da sein, wenn er gebraucht wurde und er würde zuhören. Nur einen Rat konnte er keinen geben. „Ich bin schon ein feiner Pharao“, dachte er sardonisch und seufzte tief. „Mein König?“, begann Seth auf einmal zögerlich und sah Atemu unschlüssig an. „Hm?“ „Ich möchte Euch um einen Gefallen bitten“, fuhr er ruhig fort und nun wurde Atemu doch hellhörig. „Und der wäre?“ „Sobald ich wieder zurück in Memphis bin, würde ich gerne Nachforschungen anstellen. Ich will wissen, ob mein Bruder noch lebt. Ich weiß, die Chancen stehen denkbar schlecht. Aber ich will es wenigstens versuchen.“ Innerlich stöhnte der Herrscher Ägyptens laut auf. So was hatte er schon befürchtet. „Hältst du das wirklich für eine gute Idee? Ich sage es nicht gerne, aber ich glaube, du verrennst dich da in was.“ Einige Sekunden Stille, dann jedoch: „Wirst du es mir verbieten?“, fragte Seth langsam; seine blauen Augen durchdringend und wachsam. Atemu stierte starr zurück. Ja, am liebsten würde er es Seth verbieten, schon allein, um ihm unnötige Qualen zu ersparen. Doch er wusste auch, dass dieser Atemus Sorge und Mitleid nicht nur als überflüssig, sondern vor allem auch als Beleidigung empfinden würde. Widerwillig gab er sich deshalb geschlagen. „Nein, ich werde es dir nicht verbieten. Solange dich deine Recherchen nicht bei deiner Ausbildung als Priester behindern, werde ich dir deine Suche gestatten.“ Seth atmete erleichtert aus. „Danke, Atemu“, erwiderte er leise, fast kaum hörbar und der Pharao nickte. „Eine Sache aber noch. Ich verbiete es dir zwar nicht, doch ich wünschte mir, dass du es trotzdem sein lassen würdest.“ Seth blickte ihn nur stumm an. ---- Atemu betrachtete gelangweilt die karge Gegend. Seit Stunden schon ritten sie durch diese unwirkliche Wüste, in der es nichts zu sehen gab außer Sand, Sand und noch mehr Sand. Sein Pferd unter ihm schnaufte und schüttelte den Kopf. Atemu klopfte ihm beruhigend den Hals. „Schon gut. Wir sind ja bald da“, sagte er sanft und griff nach seiner Wasserflasche. Seine Kehle kratzte unangenehm und er nahm einen großen Schluck. Sein Pferd indessen kam kurzzeitig aus dem Tritt und er musste sich schnell an der Mähne festhalten, um nicht herunterzufallen. Er runzelte die Stirn. Das war jetzt schon das vierte Mal in der letzten halben Stunde. „Wenn wir nicht bald irgendwo rasten, dann bricht der Gaul noch unter mir zusammen. Mist, ich kenn mich in dieser Gegend aber auch überhaupt nicht richtig aus. Vielleicht weiß...“ Plötzlich ließ ihn ein lautes Donnern und Grollen zusammenfahren. Sein Pferd bäumte sich auf und Atemu hatte so seine liebe Not, das Tier wieder einigermaßen zu beruhigen. Den anderen derweil ging es auch nicht viel besser. Mehi war prompt vom Pferd gefallen und rannte nun wild fluchend hinter dem verschreckten Tier her und auch die beiden anderen Wachen wirkten alles andere als hoffnungsfroh, wie sie da die grauschwarzen Wolkenmassen argwöhnisch betrachteten und immer enger zusammenrückten. Mahaado zeigte in den dunkel bewölkten Himmel. „Ich denke, wir haben den Wüstengott Seth schon lange genug mit unserer Anwesenheit gereizt. Am besten ziehen wir schnell weiter, mein Pharao. Meint Ihr nicht auch?“ Seth verzog das Gesicht. „Gereizt, huh? Und wie das? Wir haben doch überhaupt nichts gemacht“, knurrte er aggressiv und ritt trotzig weiter. „Außerdem wird schon nichts passi...“ Noch bevor er seinen Satz beenden und Atemu überhaupt zu Wort kommen konnte, durchzuckte unvermittelt ein greller Blitz das Himmelsgewölbe, so dass die Wachen nun endgültig in Panik verfielen und entsetzt aufschrieen. „Wir müssen hier weg, bevor uns Seth mit seiner Wut noch alle zerreißt!“, brüllte Mehi angsterfüllt und seine Kameraden nickten erst enthusiastisch, um dann ebenfalls in die Hysterie mit einzufallen. „Wir werden alle sterben!“ „Er wird uns umbringen! UMBRINGEN!“ „Oh großer Seth, was haben wir dir nur getan, dass du...?“ „RUHE JETZT!“, beendete Atemus herrische Stimme das Getöse der Männer, die ordnungsgemäß augenblicklich verstummten. „Mahaado, kennst du vielleicht einen nahe gelegenen Unterstand?“ Er hustete leicht und hielt sich schützend einen Arm vor den Mund. Die anderen taten es ihm gleich. Der Wind hatte inzwischen stark zugenommen, wirbelte den trockenen Wüstensand durch die Luft und erschwerte so Sicht und Atmung. „Ah, ja, da gebe es wirklich etwas“, entgegnete der junge Priester laut; seine Stimme fast gänzlich vom Wind verschluckt. „Etwas weiter nordöstlich von hier befindet sich ein kleines Dorf. Dort können wir Schutz suchen. Aber wir müssen uns beeilen. Wenn der Sturm noch stärker wird, wird es für uns und die Tiere zu gefährlich!“ „Gut. Mahaado, du übernimmst die Führung. Seth, du reitest dicht hinter mir. Ihr da...“deutete Atemu auf die Wachen. „...übernehmt die Nachhut. Und passt auf, dass ihr dabei nicht verloren geht! Wer sich von euch verirrt, wird zurückgelassen und nicht gesucht. Also seid vorsichtig.“ Die Männer nickten eifrig; wollten sie doch einfach nur schnell weg von diesem unwirklichen Ort, den Blitzen und dem Donner und der Wut des Gottes. Mahaado sollte Recht behalten, denn schon bald konnten sie in der Ferne die verschwommenen Umrisse eines kleinen Dorfes erkennen. Der Wind pfiff ihnen mittlerweile nur so um die Ohren und auch die Pferde waren völlig erschöpft, aber da ein Zusammenbruch in der Wüste den sicheren Tod für Mensch und Tier bedeutet hätte, konnte man keine Rücksicht auf sie nehmen. Barsch schlug einer der Wachmänner seinem Pferd die Füße in die Seite. Das Dorf war schon so nah. So nah. Atemu und seine beiden Priester indes waren wohl die einzigen, die den Wüstengott nicht fürchteten. Respektieren, ja. Aber nicht fürchteten. Nachdenklich betrachtete Seth die Wolkenmassen über ihm. Er hatte genug Zeit in der Wüste verbracht, um zu verstehen, dass sich gerade ein gewaltiges Gewitter ankündigte. „Seths Rache...die Wut des Wüstengottes. Seltsam, schon als Kind hatte ich nie Angst vor ihm. Liegt es daran, dass ich seinen Namen trage? Oder bin ich einfach nur töricht? Als Priester müsste ich es doch besser wissen.“ Auch der Pharao war unterdessen tief in seine Gedanken versunken. Und diese waren denen Seths gar nicht mal so unähnlich. Auch Atemu wusste, was dieser dunkle Himmel, das unheimliche Grollen, die Blitze, der starke Wind zu bedeuten hatten. Seths Zorn war Fluch und Segen zugleich. Er konnte sie alle töten mit seinem schweren Gewitter. Doch er würde ihnen auch den Regen schicken, auf den Ägypten schon so lange hatte warten müssen. Atemu musste lächeln. Ein zweischneidiges Schwert. Fluch und Segen zugleich. Sein Priester trug seinen Namen wirklich zu Recht. „Ja Seth. Deinen Namen habe ich wirklich passend gewählt.“ Kapitel 25: Die Verlorenen -------------------------- Kapitel 25 – Die Verlorenen Als sie kurz darauf im Dorf angekommen waren, hatte es auch schon angefangen zu regnen. Schwere Tropfen prasselten auf sie hinab, durchtränkten ihre Kleidung und ließen sie frösteln. Der trockene Wüstenboden sog gierig das Wasser in sich auf, verwandelte sich schließlich in eine schmierige Schlammmasse. Der kleine Trupp stieg von den Pferden ab und hielt Ausschau nach einem Ort, wo man sie würde unterbringen können. Schließlich steuerten sie auf ein großes Gebäude in der Nähe des Marktplatzes zu. Die Wachen öffneten unter Anstrengung die schweren, quietschenden Holztüren und Atemu trat, sich wachsam umblickend, als erster in die Finsternis ein. Der Rest folgte ihm. Die Pferde schnaubten unruhig und Seth tätschelte vorsichtig die Schnauze seines Rappen. Er fühlte sich hier genauso unwohl wie die Tiere. „Auf dem Weg hierher sind wir durch das halbe Dorf geritten. Trotzdem haben wir keinen einzigen Menschen gesehen“, machte er seinen Sorgen leise Luft und Atemu musste zustimmen. „Ich weiß, was du meinst. Diese Stadt kommt mir vor wie ausgestorben. Wie tot.“ Seine Stimme klang unnatürlich laut und die Wachen drängten sich verängstigt dicht zusammen. „Feiglinge. Und so was zählt zur Leibwache des Pharaos“, dachte Seth verächtlich und trat links neben Atemu, während sich Mahaado rechts vom König platzierte. Atemu ließ seinen Blick durch den Raum schweifen, bis er schließlich an einer gewaltigen Menge an der Wand aufgestellter, großer Tonkrüge hängen blieb. „Muss wohl eine Lagerhalle sein.“ „Na schön. Im Moment können wir nicht viel tun. Bindet die Pferde irgendwo fest und versorgt sie. Wir werden warten, bis sich das Gewitter verzogen hat“, befahl er barsch und die Männer nickten erleichtert, froh über die Ablenkung. „Die Atmosphäre hier ist wirklich bedrohlich“, mischte sich Mahaado mit einemmal dazwischen und versuchte angestrengt durch ein dreckiges Fenster zu spähen. Unbewusst klammerte er eine Hand um den Millenniumsring an seinem Hals. Das Artefakt leuchtete sanft und zog sofort alle Blicke auf sich. „Was...?“, fragte Atemu verwundert und sah auf sein eigenes Puzzle, das nun ebenfalls schwach glühte. Stirnrunzelnd hob er sein Hemd leicht an und Seth konnte den Millenniumsstab, am Schurz des Pharaos befestigt, erkennen. Der König löste den Gegenstand und reichte ihn Seth, der ihn zögerlich an sich nahm. Kaum in Seths Händen wurde auch der Stab von einem zarten Lichtschein umgeben, was Atemus Blick nur noch besorgter werden ließ. Er sagte jedoch nichts und obwohl Atemus Schweigen vor allem Seth irritierte, so übte sich selbst sein sonst so vorlauter Priester in unwilliger Geduld. Schließlich wurde das Toben und Peitschen des Windes draußen leiser, der Regen schwächer. Keiner von ihnen wusste so genau, wie lange sie hier schon ausgeharrt hatten. Doch nachdem der erste Sonnenstrahl durch die Wolken brach, eilten die Wachen gemeinsam gleich zur Tür und stießen sie auf. Endlich wurde auch der Schuppen etwas beleuchtet. Es war wohl wirklich nur ein Lager. Tonkrüge, Kisten, sonst gab es hier nichts. „Lasst uns nach draußen gehen“, bestimmte Atemu ruhig und seine Priester folgten auf dem Fuße. Die Millenniumsartefakte glühten immer noch und Atemu wollte der Sache auf den Grund gehen. Normalerweise reagierten sie so nur auf andere Millenniums Items oder wenn irgendwo in der Nähe Magie angewandt wurde. „Seth. Mahaado. Ihr durchsucht mit mir die Stadt. Mehi, Tausret und Amenmes. Ihr bleibt hier bei den Pferden“, waren seine knappen Befehle und während seine Leibwache zurück in den Schuppen trabte, ging er mit seinen Priestern auf die immer noch menschenleere Straße hinaus. „Ich werde mich ein wenig in den Gebäuden umsehen“, informierte Mahaado sie leise und sah sich unbehaglich um. „Vielleicht finde ich ja jemanden.“ „Viel Glück. Seth und ich gehen derweil zum Brunnen auf dem Marktplatz und füllen unsere Wasserbeutel auf“, antwortete ihm der Pharao genauso still, griff unbewusst nach Seths Ärmel und zog den jungen Mann hinter sich her. Dieser ließ ihn gewähren. Erst am Brunnen angekommen, löste er sanft Atemus Griff. „Merkwürdig. Der Brunnen ist ja abgedeckt“, stellte er verwundert fest und trat an die schwere Holzplatte, welche die Brunnenöffnung verschloss. Er legte die Wasserflaschen auf dem Boden ab und machte sich sofort daran, das Holz zur Seite zu räumen. Atemus Augen weiteten sich entsetzt. Er trat einen schnellen Schritt auf Seth zu und streckte seinen Arm aus, wollte seinen Priester packen und ihn zurückziehen. „Nein, Seth. Mach das nicht. LASS DAS!“, schrie er plötzlich, bekam Seth zu fassen und zog ihn grob nach hinten. Doch es war bereits zu spät. Mit einem dumpfen Knall fiel die Platte zu Boden. Sofort stieg ihnen ein beißender Gestank in die Nase, der ihnen die Mägen umdrehte und sie würgen ließ. „Was ist das? Was ist das für ein Geruch?“, stammelte sein Priester erschrocken und riss sich von Atemu los. Der Pharao keuchte auf. „Bleib hier, Seth. BLEIB HIER HAB ICH GESAGT!“ Er wollte nicht, dass Seth das sah. Er wollte es einfach nicht. Denn er kannte den Geruch. Den Geruch der Toten. Seth hörte nicht. Entschlossen ging er zum Brunnen, beugte sich trotz des Gestanks darüber und spähte hinein. Er gab einen undefinierbaren Laut von sich, irgendeine Mischung zwischen Entsetzen, Angst und Ekel. Einige Schritte zurücktaumeld fiel er zu Boden, wo er apathisch hocken blieb. Plötzlich jedoch wurde sein Körper von Krämpfen geschüttelt und Seth hielt sich schnell die Hand vor den Mund, allerdings vergebens. Qualvoll würgend übergab er sich. Nachdem er sich wieder einigermaßen beruhigt hatte, reichte ihm Atemu eine Wasserflasche, so dass er sich mit der restlichen Flüssigkeit den Mund ausspülen konnte. Er säuberte sich so gut es ging und kam dann schwankend wieder auf die Füße. Atemu stützte ihn, damit er nicht gleich wieder zusammenbrach. „D-da sind lauter Leichen drin. Ganz viele“, erklärte Seth schwach und Atemu strich ihm sanft eine verschwitzte, braune Haarsträhne aus dem Gesicht. „Ich weiß“, sagte er schlicht und führte den Priesterschüler zu einer nahen Bank, wo sich dieser ausruhen konnte. „Warte hier auf mich. Ich bin gleich wieder da.“ Seth murmelte eine unverständliche Erwiderung und der Pharao trat nun seinerseits an den Brunnen, sah nach unten und schluckte unbehaglich. „Kein Wunder, dass Seth so mitgenommen ist. Das ist wirklich schlimm. Aber wer war das? Wer kann so etwas getan haben?“ Bevor auch er sich übergeben musste, wandte er rasch seinen Blick ab. Er hatte bereits mehr als genug gesehen. Es war schwer zu sagen, wie viele Menschen dort unten im Brunnen übereinander gestapelt lagen, ihrer Glieder grotesk verrenkt, Augen weit aufgerissen, ihre Gesichter das blanke Grauen widerspiegelnd. Insekten schwirrten um sie herum, krabbelten aus ihren offenen Mündern, den Ohren; angezogen vom Verwesungsgeruch. Die Menschen wiesen klaffende Wunden auf, ganz so, als wären sie zerfleischt worden; bei manchen fehlten sogar Arme und Beine. Atemus Magen vollführte einen Salto vor Ekel. Er schmeckte Galle in seinem Mund und seine Augen tränten von der Anstrengung, das Würgen zurückzuhalten. Doch er konnte es sich nicht erlauben, jetzt umzukippen. Seths Zusammenbruch war schon schlimm genug. Wenigstens er musste jetzt durchhalten. Plötzlich durchzuckte ihn ein Angst einflössender Gedanke. Er hatte so was schon einmal gesehen. Er hatte so was schon einmal gerochen. Deshalb kam ihm das hier so bekannt vor. Deshalb hatte er den Gestank auch gleich zuordnen können. Einst war er mit seinem Vater gereist. Sie waren in einem Dorf untergekommen wie diesem. Und auch wie in diesem hatten sie keinen Einwohner mehr lebend entdecken können. Nur Tote…unendlich viele Tote... Atemus Blickfeld verschwamm. Er fasste sich an seine Stirn, fühlte die Hitze. „So was ist schon einmal geschehen. Ich kenne das...ich...“ Lautlos kippte er nach hinten. Doch noch bevor er den Boden berührte, fing Seth ihn auf und drückte ihn an sich. Eine Weile hielten sie sich nur fest. Schließlich fiel ein großer Schatten über sie. „Mahaado“, begrüßte ihn Atemu tonlos und sein Priester hockte sich zu ihnen; stellte keine Fragen und sagte auch sonst kein Wort, sondern setzte sich einfach nur schweigend dazu. Es war Seth, der schlussendlich die Stille durchbrach: „Ich bin mir zwar nicht ganz sicher. Aber ich glaube, ich habe weder Kinder noch Säuglinge unter den Toten entdecken können. Wo sind die alle hin? Verschleppt?“ Mahaado schüttelte den Kopf. „Das glaube ich nicht. Wer auch immer für das Massaker hier verantwortlich ist...es ging ihm wohl nicht um Gold oder Sklaven. Nein, hier ging es nur ums Töten. Auch ich habe nur Erwachsene in den Häusern finden können. Männer, Frauen, Alte. Einige waren sogar an ihre Betten gefesselt. Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, dass sie, nun ja, als hätte sich jemand einen Spaß daraus gemacht, ihren Tod möglichst qualvoll zu gestalten. Ich habe eine Frau gesehen, der hat man ganze Fleischstücke aus ihrem Körper gerissen. Sie war beinah nicht mehr als ein blutiger Klumpen. Nur ihr Kopf war noch intakt. Es scheint mir, als ob...als ob sie...angefressen worden ist. Als wäre ein wildes Tier über sie hergefallen.“ „Ein wildes Tier von Menschenhand gesteuert“, flüsterte Atemu und sah stur geradeaus. Er spürte die fragenden Blicke seiner Priester auf sich, doch ignorierte sich störrisch. „Wisst Ihr vielleicht etwas, mein Pharao?“, fragte Mahaado vorsichtig. „Wisst Ihr vielleicht, was mit den Kindern passiert sein könnte. Was hier passiert sein könnte?“ Statt einer Antwort schubste Atemu Mahaado nur zur Seite und stand dann auf, Seth grob mithoch ziehend. „Wir können nichts mehr tun. Die Bewohner sind tot und bevor es uns auch so ergeht, sollten wir lieber schnell verschwinden. Lasst uns zurück zur Lagerhalle gehen“, erwiderte er schließlich barsch. Er wollte sich nicht erklären. Er wollte nur weg von hier. Er hatte das schon einmal erlebt. Doch damals hatte er seinen Vater gehabt, der ihn stärkte und tröstete. Sein Vater aber war nun tot und er der Pharao. Jetzt war er derjenige, der stark sein musste. Und er konnte es nicht. Nicht jetzt und nicht in so einer Situation. Seth drückte fest Atemus Hand. Er hatte zwar keine Ahnung, was vor sich ging, doch er spürte das Unbehagen des jungen Königs und wusste, dass, wenn ein Pharao sich Sorgen machte, dass, wenn Atemu sich Sorgen machte, die Lage wirklich ernst sein musste. Außerdem, wenn er ehrlich war, so begrüßte er dessen Entscheidung. Doch dann fiel sein Blick wieder auf den Brunnen; kamen in Atemus Worte wieder in den Sinn. „Lager...halle...“, flüsterte er langsam, verstehend und der König drehte sich entsetzt zu ihm um. Mit einemmal rannte Seth los. Mahaado rief ihm irgendetwas hinterher, doch weder verstand, noch kümmerte es ihn. Es durfte nicht wahr sein. Er durfte nicht Recht behalten. Atemu sah ihm traurig hinterher. Seth war kein Dummkopf und der Pharao wusste ganz genau, was dieser nun vorhatte; hatte die grausige Erkenntnis im Gesicht seines Priesters dämmern sehen. „Manchmal Seth, ist deine Intelligenz ein wahrer Fluch.“ ----------- Wild atmend und keuchend kam Seth schließlich vor dem Schuppen zum Stehen. Er legte eine Hand auf seine Brust, wartete, bis sich sein Herz beruhigt und seine Atmung normalisiert hatte. Und er fragte sich, was er hier eigentlich wollte. „Ich weiß doch, dass ich Recht habe. Warum also muss ich die Wahrheit unbedingt mit meinen eigenen Augen sehen? Warum tue ich mir das an?“ Noch ehe er weiter darüber nachdenken konnte, wurde er bereits von Tausret in Empfang genommen. „Ist alles in Ordnung mit Euch?“, fragte ihn der Mann sofort und Seth betrachtete ihn finster. Unter dem kalten Blick trat Tausret einen unsicheren Schritt zurück. „Habe ich was falsch gemacht?“, fragte er verunsichert und Seth verneinte kopfschüttelnd. „Öffnet die Kisten und Krüge, die hier stehen!“, befahl er schneidend und die Wachen sahen ihn zwar verwundert an, gehorchten dann aber anstandslos seinem Befehl. Als Mehi laut keuchend vor einer geöffneten Kiste zusammenbrach, Tausret sich schluchzend auf den Boden hockte und auch Amenmes entsetzt den Deckel eines Tonkruges zu Boden fallen ließ, wo er sofort in Tausend kleine Scherben zerbrach, wusste Seth seine Annahme bestätigt. Er hatte die Kinder gefunden. ----------------- Tja, mit diesem Kapitel wäre die Hälfte der FF geschafft. Hat ja auch lange genug gedauert. Ansonsten noch wie immer ein Danke an alle, die sich die Zeit für einen Kommentar genommen haben bzw. nehmen ^^ Kapitel 26: Letzte Dienste -------------------------- Kapitel 26 – Letzte Dienste Als Atemu und Mahaado endlich in der Halle ankamen, stand Seth immer noch bewegungslos im Raum herum. Behutsam trat der Pharao hinter seinen jungen Priester, legte seinen Kopf auf Seths Rücken und schlang seine Arme um ihn. „Warum musstest du auch unbedingt nachschauen gehen?“, fragte er fast vorwurfsvoll und Seth versteifte sich. „Du hast es gewusst“, stellte er leise fest und Atemu seufzte. „Ja, das habe ich“, gab er müde zu und vergrub sein Gesicht in Seths Gewand. Eigentlich durfte er sich vor seinen Männern nicht so eine Blöße geben. Eigentlich musste er jetzt stark sein. Befehle geben, die Schuldigen suchen, die Toten bestatten… eigentlich, eigentlich, eigentlich. Eigentlich war er aber auch erst knapp 16 Jahre alt und nicht eigentlich, sondern sicherlich, fühlte er sich im Moment einfach nur hoffnungslos überfordert. Mahaado indes hatte sich zwischenzeitlich selbst ein Bild von dem Desaster um sie herum gemacht und näherte sie nun mit kreideweißem Gesicht Seth und Atemu. „Was sollen wir denn jetzt tun?“, fragte er seinen Pharao verunsichert und blickte dann zu Seth. „Wir müssten doch für die Toten beten, oder nicht? Wir müssen ihnen doch helfen in Anubis Reich zu finden, damit der ihre Herzen wiegt und die Toten ihre Ruhe finden. Wir müssen…“ Seine Stimme erstarb. Das hier war selbst für ihn zuviel. Auf so etwas war er nie vorbereitet worden. Plötzlich schien etwas in Seth auszusetzen. Mit leeren Augen löste er den Millenniumsstab von seinem Gewand, zog den goldenen Schaft vom unteren Ende und legte so den Dolch darunter frei. Sanft nahm er Atemus Hände von sich und steuerte zielstrebig auf die noch nicht geöffneten Kisten und Krüge zu. Atemu und Mahaado sahen ihm besorgt zu, hinderten ihn jedoch nicht. Seth brauchte das jetzt, er musste irgendwie seinen Zorn und seiner Trauer freien Lauf lassen. Mühelos brach er mit dem dolchartigen Ende des Millenniums Artefakts Kiste nach Kiste auf und warf die Deckel achtlos zu Boden. Das gleiche machte er mit den Tonkrügen. Und je mehr Tote er so freilegte, desto wütender und aggressiver wurden auch seine Bewegungen. Es dauerte nicht lange, bis der Boden mit Scherben übersät war; die einzigen Geräusche in der großen Halle das Aufschlagen und Zerbersten von Holz und Ton und Seths schweres Atmen. Erst als auch die letzte Kiste geöffnet, als auch der letzte Deckel vom Millenniumsstab zerstört worden war und Seth Hände schon ganz blutig waren und bedeckt mit tiefen Schnittwunden, weil er sich irgendwann völlig vergessen und wie wild auf die Scherben und Holzsplitter eingeschlagen hatte, erst da wurde Seth schließlich ruhiger. Eine Weile stand er nur stumm da, dann aber ließ er sich langsam auf den Boden sinken und schlug die Hände vors Gesicht. Er schluchzte nicht und er weinte nicht. Doch irgendwie war es gerade Seths beängstigende Stille, die Atemus Herz zusammenkrampfen ließ. „Amenmes, Mehi und Tausret. Kommt her“, wandte er sich an seine Wachen und die Männer stellten sich abwartend vor ihm auf. Auch in ihren Gesichtern war die Erschöpfung deutlich zu sehen, doch Atemu kümmerte es im Moment wenig. „Durchsucht die Häuser. Bringt mir alle Götterstatuetten, allen Weihrauch und alle Öllampen, trockenes Holz und Nahrungsmittel, die ihr finden könnt und stapelt sie vor dem Brunnen auf dem Marktplatz auf.“ Seine Männer nickten und verließen schnell den Schuppen. Sie konnten sich schon denken, was der Pharao vorhatte. Auch Mahaado atmete erleichtert. „Danke“, meinte er leise, doch Atemu winkte nur ab. Dann ging er auf Seth zu. Er runzelte die Stirn. Seth...ursprünglich hatte er ihn als seinen Sklaven, als ein neues Spielzeug gekauft. Und nun war er so viel mehr. Mehr als ein fähiger Priesterschüler, mehr als ein Vertrauter. Er war zu einem Menschen geworden. Einem Menschen mit Sorgen und Ängsten; mit Gefühlen vergraben unter einer starken Fassade; einem Menschen, der genauso Trauer und Freude fühlte wie jeder andere auch; einem Menschen, um den er sich nun sorgte. „Wann hat sich unsere Beziehung eigentlich so grundlegend verändert? Wann ist es so schwierig zwischen uns geworden?“ Eine Weile stand er nur neben Seth und starrte auf ihn herab, wartete auf eine Reaktion, die nicht kam. „Steh auf, Seth. Du verkühlst dich sonst noch“, sagte Atemu schließlich ruhig und hielt seinem Sklaven, seinem Spielzeug, seinem Priester, seinem Freund, die Hand hin, um ihm aufzuhelfen. Für einen langen, bangen Moment blickte Seth nur auf Atemus ausgestreckten Arm und dieser fürchtete schon, Seth würde seine Hilfe ablehnen, doch schließlich schulte sein Priester seine Gesichtszüge wieder in die ausdruckslose Maske zurück, die so typisch für ihn war und ließ sich widerstandslos vom Pharao hochziehen. Atemu betrachtete Seths blutige Finger, hob die verletzten Hände an seine Lippen und küsste sie sanft. Mahaado, der sie bis dahin beobachtet hatte, wandte schnell den Blick ab. Kurzzeitig starrte er unsicher auf seine Füße, dann jedoch ging er zu seinem Pferd, löste von dessen Decke den Beutel mit der Medizin und dem Verbandszeug und trat damit auf Seth und Atemu zu. Ersterer sah ihn verwundert, letzterer lächelnd an. „Reinige du ihm die Wunden und verbinde sie, Mahaado. Du kannst das nämlich besser als ich“, meinte der Pharao schlicht und drückte kurz aufmunternd Seths Schulter. Das gesagt, ließ er seine beiden Priester alleine und schritt auf die Tonkrüge zu. Er ignorierte den Geruch und vermied es, ihren Inhalt allzu genau anzusehen. Stattdessen hievte er einen der Krüge hoch und trug ihn aus dem Schuppen nach draußen, Richtung Marktplatz. Seth und Mahaado blieben zurück und sofort legte sich eine bleierne Stille zwischen sie, die keiner von ihnen zu durchbrechen vermochte. Seth ließ sich nur stumm verarzten und auch Mahaado schwieg beharrlich. Und obwohl sie beide wussten, dass es auf Dauer mit ihnen nicht so weitergehen konnte, so waren doch beide zu stolz, um den ersten Schritt zu tun. ------------ „Sei vorsichtig, Tausret. Die Dinger sind sperrig“, warnte Amenmes seinen Kameraden, der gerade mit ihm zusammen eine weitere der großen Kisten nach draußen schleppen wollte und dabei gefährlich schwankte. Tausret ächzte genervt. „Spar dir deine blöden Kommentare. Ich weiß schon selbst Bescheid“. Er ging einen abrupten Schritt vorwärts und geriet dabei prompt ins Wanken. „Tausret, du Trottel! Pass gefälligst besser...!“, wollte Amenmes erneut ansetzen, doch da war es bereits zu spät. Unter lautem Gepolter landete die Kiste auf dem Boden und kippte dort zur Seite. Tausret bückte sich, wollte die Kiste wieder aufheben, als ein Säugling aus ihr herausgerollt kam; seine kleinen Hände geballt, das winzige Gesicht blutverschmiert, die Augen weit und starr geöffnet. Entsetzt krabbelte Tausret nach hinten. „D-das Kind...Amenmes, sieh doch nur. Das Kind…wie meines. Das Gesicht, die dunklen Augen...genauso wie bei meinem. Wer kann das nur...wer...?“ Unter hysterischem Schluchzen brach er zusammen. Amenmes seufzte mitleidvoll. „Ist schon gut. Ruh dich etwas aus und bleib hier. Du hast genug getan.“ Er lächelte tröstlich; machte sich dann daran, zusammen mit Mehi das Lager zu Ende auszuräumen. Tausret derweil hockte die ganze Zeit über nur lethargisch da und rührte sich für die nächste Stunde nicht mehr. -------------------- Nachdem die Toten sorgsam auf dem Marktplatz nebeneinander abgelegt worden waren, verteilten die Wachen zwischen den Leichen alles trockene Holz und sonstige brennbare Material, welches sie hatten auftreiben können; vergaßen dabei auch die Körper im Brunnen nicht und überschütteten sie zusätzlich mit etwas Öl. Inzwischen begannen Mahaado und Seth mit ihrer rituellen Reinigung und tauschten ihre dreckigen Wüstengewänder gegen schlichte, aber immerhin saubere Priesterroben. Seth ließ seinen Blick dabei immer mal wieder über die vielen Leichen schweifen, die beinahe endlos erscheinende Aneinanderreihung der entstellten Körper. Wieder fühlte er die Übelkeit in sich aufsteigen. „In den Krügen die Säuglinge; die Kleinkinder in den Kisten. Die Erwachsenen im Brunnen und auf dem Platz davor verteilt.“ Finster sah er in den immer noch wolkenverhangenen Himmel. „So viele unnötig vergeudete Leben. So viel Tod und Leid. Wenn ich bedenke, dass hier die Einwohner eines ganzen Dorfes hingemetzelt zu meinen Füßen liegen...“ „Seth? Mahaados Stimme durchbrach seine düsteren Gedanken. „Wir müssen uns noch um die Opfergaben kümmern. Bist du soweit?“ Der Angesprochene blinzelte. Das war eine interessante Frage. War er soweit? Im Grunde nicht wirklich. Hatte er eine Wahl? Auch nicht wirklich. Zumindest nicht, wenn er jemals vollwertiger Priester werden wollte. Er seufzte leise, begann schließlich gemeinsam mit Mahaado diverse Nahrungsmittel zusammenzuschichten; daneben kleine Götterstatuetten abzustellen und die Gebete vorzubereiten. Alles, was jetzt noch fehlte, war der Pharao. Denn erst mit seiner Ankunft würden sie endlich anfangen können. Zu ihrem Glück mussten sie nicht lange warten. Nur wenig später stellte sich ein frisch eingekleideter Atemu zwischen seine Priester, blickte eine zeitlang nur nachdenklich ins Leere und schüttelte dann energisch den Kopf, ganz so, als ob er sich selber zurück in die Gegenwart zwingen wolle. „Wir können beginnen“, sagte er schließlich gefasst. Seine Priester nickten, zündeten ihre Weihrauchschälchen an und schwenkten sie hin und her, um den Rauch zu verteilen; dabei stetig ihre Gebetsformen vor sich hinmurmelnd. Atemu derweil kniete sich vor den Opfergaben nieder und atmete flach. Er verabscheute diese Zeremonien abgrundtief, doch anders als früher im Palast, so konnte er diesmal nicht einfach kneifen. Die Seelen der Verstorbenen verließen sich auf ihn; vertrauten darauf, dass sie der Pharao in Anubis Reich, den Sitz der Toten geleiten würde. Atemu konnte nur inständig hoffen, dass er sich dabei nicht völlig vor den Göttern und seinen Priestern blamierte. Krampfhaft versuchte er sich an die richtigen Formeln zu erinnern, ging im Kopf verschiedene Gebete durch und ärgerte sich maßlos, dass sein Gedächtnis ihn kläglich im Stich zu lassen schien. „Verdammt. Warum habe ich auch nie richtig aufgepasst? Ah, egal. Es wird schon irgendwie gut gehen. Es muss einfach!“ Er räusperte sich, begann schließlich mit schwacher Stimme seine Gebete; eine Stimme, die immer fester wurde, je mehr sich Atemu zu erinnern begann. Er fasste neuen Mut und warf einen schnellen Blick auf Seth. Der Pharao lächelte kurz. Wenn er es geschafft hatte, die Freundschaft eines starrköpfigen, unhöflichen, arroganten und vor allem unwilligen Spielzeugsklaven zu gewinnen, dann konnte er alles schaffen. Und alles beinhaltete auch diese Zeremonie hier. Während der Pharao und die Priester ihre Gebete sprachen, zündeten die Wachen zwischenzeitlich die Toten an; steckten jeden einzelnen in Flammen. Erst danach traten sie zurück, fern an den Rand des Platzes und betrachteten mit gemischten Gefühlen diesen letzten Totendienst. Im Grunde war es nicht üblich, ja, sogar verpönt, Leichen zu verbrennen. Doch in diesem Fall ging es leider nicht anders. Sie hatten nicht genug Zeit für eine angemessene Bestattung. Der für diesen Überfall Verantwortliche konnte sich sehr gut noch irgendwo in der Nähe aufhalten und sie beobachten. Schon dieses Feuerbegräbnis war riskant genug. Außerdem mussten sie einer eventuellen Seuchengefahr vorbeugen. Trotzdem fühlten sie sich unwohl, stierten mit unbehaglichen Gesichtern auf die meterhohe Flammensäule vor ihnen, sahen den stickigen, schwarzen Rauch und fanden nur bei dem Gedanken Trost, dass zumindest sie jetzt ihren Teil der Zeremonie erfüllt hatten. Der Pharao und die Priester dagegen würden wohl noch eine ganze Weile über ausharren müssen. Atemu ächzte. Seine Kehle war schon völlig ausgedörrt und schmerzte mit jedem Wort, doch er zwang sich, seine Gebete weiter zu sprechen. An seiner Seite hörte er jemanden husten und auch dem jungen König fiel das Atmen zusehends schwerer. Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Die Luft roch nach verbranntem Fleisch, Weihrauch und seinem eigenen Schweiß. Seine Kleidung war nass und klebte unangenehm an seinem Körper, sein Haar hing ihm in dicken Strähnen ins Gesicht. Auch Mahaado und Seth erging es nicht besser. Die Hitze des Feuers war kaum auszuhalten; sie hatten den ganzen Tag über fast nichts gegessen und getrunken und zu ihrer körperlichen Erschöpfung kam noch ihre eigene Trauer. Es war schon lange dunkel. Der Wind fuhr durch ihre dünnen Gewänder und mischte sich schließlich mit dem wiedereinsetzenden Regen. Allmählich brannte das Feuer aus. Und als auch die letzte Flamme erstickt war, ließen sie sich schließlich kraftlos und laut keuchend auf den Boden fallen. Sie hatten ihre Pflicht erfüllt. ------------- AN: Das nächste Kapitel ist sehr kurz, weswegen ich das wohl im Laufe der Woche hochladen werde (möglicherweise auch schon morgen) und nicht erst nächstes Wochenende. So, ich hab lange überlegt, ob ich es mal ansprechen sollte oder nicht, aber nachdem es mich doch ziemlich frustriert, wage ich es einfach mal, auch wenn es vielleicht der eine oder andere als "Kommentargebettel" abtut und mit "jetzt kommentiere/lese ich die FF erst Recht nicht" reagiert. Also, ich finde es toll zu sehen, dass die FF, wenn ich von der Favoliste ausgehe, immer mehr Leser bekommt. Weniger toll finde ich es jedoch, dass die Kommentare seltsamerweise immer weniger werden bzw. stagnieren. Ich kann verstehen, dass man nicht immer Lust/Zeit zum reviewen hat, aber es sind mittlerweile 25 (26 mit diesem hier) Kapitel und es gibt viele Leute, von denen ich noch nie was gehört habe. Das Ganze ist für mich eine ziemlich deprimierende Angelegenheit, da ich nunmal nur über Feedback genau weiß, wie euch die FF gefällt und es mir zudem auch hilft, noch Sachen zu verbessern bzw. zu ergänzen. Mag sein, dass mir diese AN in einigen Tagen schon wieder so unangehm sind, dass ich sie lösche, aber fürs erste bleiben sie. Nichtdestotrotz hoffe ich mal, dass ich jetzt niemanden auf die Füße getreten bin. Kapitel 27: Gierige Gelüste --------------------------- Kapitel 27 – Gierige Gelüste „Mein Herr! Seht dort!“ Gao drehte sich unwirsch um und warf seinem Lakai einen warnenden Blick zu. „Was? Wehe, wenn es nur wieder unnötiges Zeug ist. Du weißt, was dir dann blüht.“ Oh, ja. Das wusste sein Diener ganz genau, weswegen jetzt Schadensbegrenzung angesagt war. Einen schnellen Schritt zurückweichend, warf er sich auf den durchnässten Boden und kam ganz nah an seinen Herrn herangerobbt. Den Kopf gesenkt, küsste er demütig dessen Füße, was ihn aber nur einen heftigen Tritt einbrachte, der ihn vor Schmerzen regelrecht aufquieken ließ. Gao zischte ungehalten. „Ich will wissen, was los ist, du nutzloses Stück Dreck!“ Der Sklave kam zitternd wieder auf die Beine. „Da hinten ist eine Rauchsäule, mein Gebieter“, erklärte er leise und Gao gluckste vor Vergnügen. „Sieh mal einer an, du hast tatsächlich Recht. Hm, interessant. Ist das nicht das Dorf, aus dem wir gekommen sind?“ Eine große, kräftige Frau trat an seine Seite. „Ja, das ist es. Gao, was meinst du? Wollen wir zurückreiten und mal nachschauen?“, hauchte sie sanft, während sie ihre schlanken Finger über Gaos Brust gleiten ließ. „Ah...hat das kleine Weib etwa wieder Blut geleckt?“, grinste Gao wissend, woraufhin die Frau geheimnisvoll lächelte. „Wie kommst du denn darauf? Vielleicht will ich auch nur wissen, was das für ein Feuer ist?“ Sie legte ihren Kopf schief zur Seite, nahm eine Strähne ihres langen, schwarzen Haares und zwirbelte sie langsam. „Sag bloß, du bist gar nicht neugierig? Und mal ehrlich...“ fuhr sie neckisch fort, leckte sich leicht über die Lippen, nahm zwei Finger in ihren Mund und umspielte diese gekonnt mit ihrer Zunge. „...du willst mir doch diesen klitzekleinen Wunsch nicht ernsthaft abschlagen wollen, oder?“ „Ha! Was soll denn werden, Weib? Willst wohl verführerisch wirken, huh? Wie erbärmlich! Als ob dich jemals ein Kerl auch nur ansehen würde! Überlass das mal lieber den Frauen, die nicht so hässlich sind wie du.“ Die Frau stoppte augenblicklich. „Du bist so ein Arsch“, knurrte sie und drehte sich beleidigt um, wobei ihr Blick auf den immer noch vor Angst schlotternden Lakai fiel. Ihr Gesicht hellte sich augenblicklich auf. „Gao hat doch keine Ahnung, nicht wahr?“, fragte sie verspielt und zog den Sklaven dicht an ihre Brust. Sie schien einen Moment zu überlegen, hob eine Hand und der Sklave duckte sich bereits in Erwartung eines Schlages, doch Wunder über Wunder, statt ihm eine runterzuhauen, streichelte sie ihm stattdessen nur in falscher Freundlichkeit über die Wange und kicherte dabei amüsiert. „Aaaahh...du bist ja ein kleiner Feigling. Aber gut, vielleicht erweist du dich wenigstens anders als ein Mann.“ Der Lakai war zu verängstigt, um mehr als nur ein unverständliches Quietschen von sich zu geben und Gao ließ wieder dieses eigenartige Glucksen hören. „Siehst du Weib! Keine Reaktion, außer Ekel. Der bepisst sich doch gleich!“ „Hat dir deine Mutter keine Manieren beigebracht, Gao? Achte ein wenig auf deinen Ton. Wir sind hier nicht in der Gosse, in der du aufgewachsen bist“, entgegnete die Frau gelassen und begann auch gleich fröhlich mit der Entkleidung des Sklaven. Gao lief rot an. “Halts Maul, du Miststück!“, erboste er sich speichelsprühend, doch die Frau wischte sich nur die klebrige Substanz von der Wange und kümmerte sich ansonsten gar nicht weiter um den immer noch zeternden Gao. Der nun nackte Sklave in ihren Armen war ihrer Meinung nach ohnehin wesentlich interessanter als der tobende Verrückte ohne Frauengeschmack. Zumal sich ja jetzt auch noch die wichtige Frage stellte, was sie mit dem kleinen Sklaven denn nun genau anfangen sollte. „Tja, was mach ich nur mit dir...was mach ich nur? Hm, irgendwelche Ideen?“, fragte sie lächelnd und klatschte sich dann plötzlich in die Hände. „Ach ja. Ich wollte doch sehen, ob der Feigling zum Mann taugt.“ Der Lakai zitterte unkontrolliert und schloss die Augen. Er wusste ganz genau, dass er das hier nicht überleben würde. Er hatte diese Frau dafür schon zu oft in Aktion gesehen. Wie von ihm erwartet, ließ sie auch prompt ihre Hand zwischen seine Beine gleiten und massierte ihn so kräftig, dass er lustvoll aufstöhnen musste. Für so ein Mannweib hatte sie erschreckend weiche Hände. Gegen seinen Willen wurde er tatsächlich hart. Gao schnaubte. „Mach hin, Weib. Ich hab heute noch besseres zu tun“, brummte er ungehalten und die Frau beschleunigte gehorsam ihre Bewegungen. Der Lakai keuchte laut, fordernd; stieß sein Becken immer heftiger in die verwöhnenden Hände; alle Angst dabei zumindest zeitweilig völlig vergessend. Plötzlich jedoch ertönte ein ohrenbetäubender Schrei. Der Sklave taumelte erschrocken nach hinten, betrachtete seinen Bauch, aus dem in Strömen dunkles Blut lief. Für einen kurzen Moment konnte er sich noch auf den Beinen halten, dann trübte sich sein Blick und er brach zusammen. Sein Körper zuckte noch ein wenig und es war ein ersticktes Röcheln zu hören, welches aber immer leiser wurde und schließlich ganz erstarb. Auch die Krämpfe stoppten. Die Frau seufzte. „War dir das fix genug, Gao?“ Mit einem schnellen Ruck zog sie ihren Dolch aus der Bauchdecke des Sklaven und wischte ihn an der achtlos zu Boden geworfenen Kleidung des Toten sauber. „Huh, huh. Was ne Schweinerei. Herrlich!“ Plötzlich lachte sie. „Ah, was haben wir denn da? Hey, Gao, guck mal!“ Grinsend zeigte sie auf das immer noch steife Glied des Sklaven. „Und du hast behauptet, ich könnte keine Männer erregen“, erklärte sie feixend und fuhr dann mit einem süffisanten Lächeln fort. „Weißt du, Gao. Vielleicht solltest du dich mal fragen, ob ich möglicherweise nur dich nicht anmachen kann. Oder genauer gesagt, ob dich überhaupt eine Frau anmacht. In all den Jahren, in denen wir uns nun schon kennen, habe ich dich noch nie in weiblicher Gesellschaft gesehen.“ Gao verpasste ihr eine kräftige Ohrfeige. „Pass auf, was du da sagst, Weib!“, dröhnte er aufgebracht, bevor er auf den Leichnam zuging und diesem mürrisch in die Rippen trat. Ein kurzes Knacksen war zu hören und Gao gab dem Toten einen zweiten Stoß, nur sicherheitshalber, versteht sich, woraufhin der Sklave prompt zur Seite rollte. Gao grunzte. „Der ist hinüber. Ah, verflucht! Ich hab dir schon zigmal gesagt, du sollst diesen Scheiß lassen. Das war unser letzter Sklave, du dummes Ding. Man sollte meinen, du hättest dich in dem Dorf neulich genug austoben können!“ Die Frau stellte sich hinter Gao und knetete unbekümmert dessen Schultern. „Oh, du weißt doch, ich kriege nie genug davon. Außerdem hatte ja wohl Antaf den meisten Spaß und nicht ich. Der ist immer so gierig und mag gar nicht mit mir teilen. Und davon mal abgesehen...das ist doch jetzt schon Tage her. Gestern und vorgestern haben wir uns ja nur in der Wüste rumgetrieben...“ „Dann geh ein paar Tiere quälen oder was weiß ich. Aber lass meine Sklaven in Ruhe. Wer trägt denn jetzt unser Gepäck?! Ich bestimmt nicht!“ Die Frau pustete ihm leicht ins Ohr. „Das tut mir leid, Gao. Ich war ein ganz, ganz böses Mädchen. Ich tu’s auch nie, nie wieder...aber Tiere quälen will ich nicht. Mit denen kann man nicht so gut spielen. Die schreien nicht so schön und flehen auch nicht um ihr Leben...“ Fest drückte sie ihren Busen an seinen breiten Rücken, rieb sich an ihm und stöhnte vor Erregung. Gao verdrehte die Augen. „Hör auf mit dem Mist“, grunzte er genervt und stieß die Frau grob von sich weg, die ihm daraufhin beleidigt die Zunge rausstreckte. „Ja, ja, ist ja schon gut. Aber“, guckte sie fragend. „Was machen wir denn jetzt?“ „Wir…“, und er kitzelte dabei sanft ihr Kinn. „…reiten zurück ins Dorf. Ich glaube nämlich, ich habe jetzt auch Lust auf ein kleines Spielchen bekommen.“ Seine Kumpanin schnurrte bei diesen Worten wohlig. -------- AN: Juchuu ^^ 10 Kommentar für das letzte Kapitel; das hatte ich zuletzt für Kapitel 11. Also vielen Dank dafür! Was die beiden neuen Charas hier betrifft: Die sind auf den zweiten Blick noch genauso bekloppt wie auf den ersten; es lohnt sich also nicht, deren Charakter genauer zu analysieren XD Und wie immer freue ich mich über Kommentare ^^ Kapitel 28: Schwere Kämpfe -------------------------- Wers noch nicht getan hat: Bitte erst Kapitel 27 lesen. Hilft fürs Verständnis, denn ich hab Kapitel 27 und 28 gleichzeitig hochgeladen^^° Und ja, ich weiß, dass das Kapitel hier für meine Verhältnisse mörderisch lang ist, aber ich wollte das nun folgende nicht in zu viele kleine Kapitel aufteilen. ----- Kapitel 28 – Schwere Kämpfe Im Grunde waren sie alle viel zu erschöpft, um jetzt schon wieder weiterzureiten. Doch keiner von ihnen wollte mehr Zeit als nötig an diesem Ort verbringen. Die Luft roch nach Verbranntem und die Atmosphäre war bedrückend. Und so waren auch alle froh, dass der Pharao, obwohl es draußen immer noch dunkel war, den Befehl zum Aufbruch gab. Sie waren zurück im Schuppen, in dem sich nun außer den Pferden und ihnen nichts mehr weiter befand. Stillschweigend kümmerten sie sich um ihr Gepäck, säuberten es von Sand und Dreck und befestigten es dann wieder an den Decken auf den Pferderücken. Gähnend trat Mehi an Atemus Seite. „Wir wären dann aufbruchbereit, mein Pharao“, meinte er erschöpft und trotz seiner Müdigkeit war die Erleichterung in seiner Stimme deutlich hörbar. „Gut“, entgegnete Atemu. „Wir werden...“ Weiter kam er nicht, denn plötzlich fingen die Millenniumsartefakte wieder zu leuchten an. Der König warf einen schnellen Blick auf seine Priester. „Mehi, du und die anderen kümmert euch um die Pferde. Seth, Mahaado. Ihr kommt mit mir.“ „Sehr wohl, mein Pharao“, entgegnete Mahaado leise und auch Seth brummte zustimmend. Atemu hielt sein Puzzle fest zwischen seinen Händen und biss sich auf die Lippen. „Warum ausgerechnet jetzt? Wir waren doch schon so gut wie weg von hier...“ „Da, Schatten!“, rief Amenmes mit einemmal laut und tatsächlich krochen schwarze, dichte Nebelschwaben unter der Tür hervor, suchten sich einen Weg durch jede noch so kleine Spalte des Schuppens und verteilten sich im ganzen Raum. Die Pferde wieherten nervös und auch Atemus Leibwache drängte sich dicht zusammen. Tausret zog sein Schwert und hieb planlos auf die immer näher kommenden, wabernden Flecke; merkte, dass er keinen Erfolg damit hatte und schwang sich verzweifelt auf sein Pferd. Seine Kameraden versuchten noch, die Zügel des Tieres festzuhalten, doch Tausret trat ihm so heftig in die Rippen, dass sich sein Pferd aufbäumte und Amenmes und Mehi zurücktreten mussten, um nicht von den wild schlagenden Hufen getroffen zu werden. „Tausret, hör auf und bleib ruhig! Du gefährdest uns alle!“, brüllte Atemu, warf einen schnellen Blick zur Seite und versuchte gleichzeitig, mit seinem Millenniumsartefakt den schwarzen Nebel zurückzudrängen. „Ich denk nicht dran. Ich hab Frau und Familie! ICH WILL HIER NICHT STERBEN!“ „Das wirst du aber, wenn du jetzt nicht tust, was ich dir sage!“, schrie Atemu zurück, vergaß für einen Augenblick die Schatten und wurde auch gleich von ihnen an einem Bein gepackt und unsanft in die Luft gehoben. Mahaado musste entsetzt zusehen. „Pharao! Seid Ihr in Ordnung? Pharao!?“ Er versuchte durch die Schatten zu Atemu vorzudringen, wurde aber nur selber geschnappt und zu Boden gedrückt. Wie Tentakeln wickelten sie sich um seinen Körper, machten ihn bewegungsunfähig und raubten ihm den Atem Atemu baumelte kopfüber in der Luft, bekam sein Puzzle zu fassen und schaffte es endlich, die Schatten um sein Bein aufzulösen; fiel mit einem Schrei zu Boden und blieb dort keuchend liegen. Seth war der einzige, der noch stand, doch auch er wurde immer mehr von den Nebelschwaden eingekreist. Verzweifelt sah er zwischen Mahaado und Atemu hin und her. Der König hatte eigentlich Vorrang, aber Mahaado schien bereits dem Erstickungstod nahe... Mit seinem Millenniumsstab schlug Seth eine Bresche in den schwarzen Nebel; erreichte schließlich Mahaado, der laut röchelnd Luft in seine zugeschnürte Lunge zu pumpen versuchte und kniete sich neben ihn. Flink löste er die Tentakel um dessen Körper auf, doch statt ihm zu danken, packte ihn Mahaado nur am Gewand und schupste ihn wütend von sich. „Du Narr! Kümmere dich nicht um mich, sondern den Pharao! Das ist schließlich deine Aufgabe!“, zischte er bitter und stand schnell auf, um nach Atemu zu suchen. „Oh, bitte. Keine Ursache. Gern geschehen“, grummelte Seth beleidigt, folgte dann aber Mahaados Beispiel und blickte sich ebenfalls rasch um. Der ganze Schuppen war inzwischen vom schwarzen Nebel durchzogen und man konnte kaum noch etwas erkennen. Seth packte den Stab in seiner Hand fester. „Mist. Ich hätte Atemu nicht aus den Augen lassen dürfen. Verdammt, wo ist er?!“ Plötzlich konnte er ein schwaches, goldenes Leuchten erkennen. „Da! Das Puzzle!“, rief er aufgeregt und Mahaado lächelte erleichtert. „So ein Glück. Ich hatte schon die Befürch...AHHH!“ Entgeistert hielt sich Mahaado seine blutende Schulter. „Was war das denn?!“ „Keine Ahnung. Ich habe nichts gesehen“, entgegnete Seth leise und starrte angestrengt in die Dunkelheit. Plötzlich schrie Mahaado an seiner Seite wieder laut auf und fiel zu Boden. Seine Kleidung zerfetzt; sein Rücken blutig und zerkratzt. Und noch ein Schrei, noch ein Angriff, zu schnell, um irgendetwas zu erkennen. Wieder auf Mahaado, der nun nur noch reglos dalag und nicht mehr alleine aufstehen konnte. Sofort war Seth neben ihn und half ihm hoch. „Was auch immer das ist. Es scheint methodisch vorzugehen.“ Mahaado stöhnte vor Schmerzen und stützte sich schwer auf Seth ab. „Das heißt dann ja wohl, dass...dieses Ding...nicht eher aufhören wird, bis es mich erledigt hat, bevor es zum nächsten Opfer übergeht. Gut, dann ist zumindest der Pharao so lange in Sicherheit...Aaaahhh!“ Noch ein Schlag, noch eine blutige Wunde mehr und Mahaado lag schon wieder am Boden. Seth blickte sich verzweifelt um. „Wieso sehen wir nichts?!“ Mahaado keuchte auf. „I-ich hab eine Idee...“, würgte er kraftlos hervor und Seth beäugte ihn zweifelnd. „Was...was auch immer das ist...es ist offensichtlich, dass es uns töten will. Geh du einen Schritt weg...wenn ich auf dem Boden liege...wird es bestimmt noch mal angreifen...vielleicht...vielleicht bleibt es dann länger und versucht mich mit einem Schlag umzubringen...dann kannst du vielleicht was erkennen...“ Seth starrte ihn mit großen Augen an. „Das ist ein ganz blöder Plan. Außerdem sind mir da zu viele ‚vielleichts’ drin.“ „So? Hast du eine bessere Idee...?“ Seth schüttelte widerwillig den Kopf. „Nein, die habe ich nicht. Aber wenn du draufgehst, dann ist das deine eigene Schuld, nur um das mal klarzustellen.“ Mahaado lächelte schwach. „Aber natürlich ist sie das. Und nun g-geh…“ Seth passte es zwar nicht, aber gehorsam trat er etwas von Mahaado zurück. Und wartete. ---- „Ich muss von hier weg...weg...ganz schnell. Ah, wo ist der Ausgang?“ Immer schneller trieb Tausret sein Pferd an, streifte dabei Mehi, der zu Boden fiel und hätte beinah sogar den Pharao unter den donnernden Hufen des Tieres begraben. Bei dem Gedanken an seinen König fühlte Tausret die Schuld in sich aufsteigen. Allerdings nur kurz. „Was ich hier mache ist Verrat...das weiß ich genau. Aber ich will hier nicht sterben! Ich will es einfach nicht!“ Also setzte er seinen wilden Galopp fort. Doch ganz gleich, wie weit er auch ritt, er konnte und konnte den Ausgang einfach nicht finden. Nur Schatten um ihn herum, sonst nichts. „Der Ausgang muss hier irgendwo sein. Ich bin mir ganz sicher.“ Plötzlich stand Amenmes mit ausgebreiteten Armen vor ihm. „Du Idiot! Du reitest die ganze Zeit im Kreis!“, brüllte er Tausret an und im letzten Moment zog dieser an den Zügeln, brachte sein Pferd zum Stoppen, das sich überrascht aufbäumte und mit den Vorderbeinen ausschlug. Amenmes konnte nicht mehr rechtzeitig ausweichen und wurde getroffen. „Verdammt, Tausret! Spinnst du jetzt total?“, schrie er sauer und drückte seinen verletzten Arm fest an sich. Tausret achte nicht weiter darauf. „Du weißt, wo der Ausgang ist? Du weißt es, richtig? Sag’s mir! Wir können fliehen! Wir können unser Leben retten! WO IST DER AUSGANG?“ Doch Amenmes schwieg und betrachtete ihn nur gelassen. Tausret zog seinen Krummsäbel und hielt ihn Amenmes an die Kehle. „Ich will dich nicht umbringen, Amenmes. Also, zeig mir wo der Ausgang ist. So rettest du auch dein Leben!“ „Und was ist mit Mehi? Den Priestern? Was ist mit dem Pharao? Deinem König?“ Tausrets Augen weiteten sich. „Der Pharao? Der Pharao?“, wiederholte er ungläubig und musste dann lauthals loslachen. „Was kümmert mich der Pharao?! Hast du vergessen, was er zu uns in der Wüste gesagt hat? Ja? Hast du das schon vergessen? Also gut, ich sag’s dir. Er hat gesagt ‚und bleibt nicht zurück, denn ich werde euch nicht suchen’...ja, das hat unser werter Pharao gesagt. Er hätte uns dort verrecken lassen! Warum soll ich für so einen mein Leben riskieren? Ha, warum? Sag es mir!“ „Weil es deine Pflicht ist!“ Tausrets Lachen wurde lauter, wahnsinniger. „Meine Pflicht? Meine Pflicht?! Erzähl mir nichts von meiner Pflicht! Meiner Familie gegenüber habe ich eine Pflicht! Niemanden sonst! Niemanden sonst!“ „Hörst du dir eigentlich noch selber zu?“, fragte Amenmes und senkte traurig den Kopf. „Im Gegensatz zu dir, nehme ich meinen Treueid gegenüber dem Pharao ernst. Und ich kann dir nicht sagen, wo der Ausgang ist, denn ich weiß es selber nicht. Und wenn ich es wüsste, so würde ich es dir trotzdem nicht sagen.“ Tausrets Gesicht verzog sich vor Enttäuschung. „Amenmes, versteh mich doch. Ich will doch nur zurück zu meiner Frau und meinem Kind. Mehr nicht!“ „Und deine Familie wäre froh, einen Feigling wie dich begrüßen zu dürfen? Wohl kaum!“ Tausret kochte vor Wut. „Du hast doch gar keine Ahnung!“, tobte er aufgebracht, sprang dann von seinem Pferd und trat ganz nah an seinen Kameraden heran. „Gar.keine.Ahnung!“ Fest packte er Amenmes verwundeten Arm. Dessen Gesicht verzog sich schmerzvoll. „Was ist? Willst du mich jetzt umbringen?“ Tausret schüttelte den Kopf. „Nein“, flüsterte er bedächtig. „Ich will nur, dass du mir zuhörst. Amenmes, du hast es vielleicht nicht bemerkt, aber die Schatten greifen uns nicht an. Nur den Pharao und die Priester. Nicht uns. Wir haben keine Magie, wir stellen keine Gefahr für sie dar. Wir könnten bestimmt einfach hier so rausmarschieren. Außerdem, selbst wenn wir blieben...was könnten wir schon großartig tun? Nichts! Warum verstehst du das denn nicht?“ Amenmes schloss die Augen. Schließlich nickte er und Tausret lächelte erleichtert. „Ich verstehe dich sehr gut, Tausret. Und vermutlich hast du sogar Recht. Wir können hier nichts tun...“ „Ja, genau, meine Rede. Ach, Amenmes...“ „Und trotzdem werde ich nicht gehen!“, entgegnete Amenmes entschlossen. Tausret trat entsetzt einen Schritt zurück. Eine Weile starrten sie sich an. „Dann stirb hier doch! Stirb für deine tolle Pflicht!“, giftete Tausret schlussendlich, schwang sich wieder auf sein Pferd und ritt zurück in die Schattenwand. Amenmes sah ihm bedrückt hinterher. „Leb wohl, Tausret, denn in einem Punkt hast du Recht: Einer von uns beiden wird heute hier sterben. Und ich bezweifle, dass ich es sein werde.“ ----- „Das bringt nichts! Warum bringt das nichts?“, rief Mehi verzweifelt und schlug wie wild mit seinem Schwert auf die Schatten ein. „Weil die Schatten nicht aus fester Materie bestehen, darum!“, schrie Atemu zurück und löste magisch eine weitere dicke Schattenschwabe auf. „Mist. Ich kann noch so viele von diesen Dingern beseitigen. Es werden einfach nicht weniger. Und wo sind eigentlich Seth und Mahaado?!“ „Also, wenn sie einen packen, dann sind diese Schatten aber ganz schön fest“, jammerte Mehi und drosch weiter auf die Schwärze um sie herum ein. „Könnt Ihr nicht ein Monster rufen?“ „Liebend gerne! Aber gegen was sollte das denn kämpfen, hm? Hier hilft nichts außer Magie!“, antwortete Atemu genervt und sah sich schnell nach seinen Priestern um. „Hoffentlich sind sie noch am Leben...“ „Aber wir müssen doch was tun können!“, begann Mehi von vorne und trotz ihrer ernsten Lage musste Atemu lächeln. Sie hatten schon lange gemerkt, dass es der Nebel eigentlich nur auf ihn und nicht auf Mehi abgesehen hatte und obwohl Mehi Angst hatte und sich auch nicht wirklich wehren konnte, blieb er treu an der Seite seines Pharaos. „Wir können auch etwas tun“, murmelte Atemu schließlich düster und konzentrierte die Energien seines Puzzles. „Irgendwer ist für die Schatten verantwortlich. Und diesen jemand werden wir jetzt suchen.“ -------- Wie gebannt starrte Seth auf das riesige, schakalähnliche Monster, das sich auf Mahaado gestürzt hatte und ihn nun mit einer Pfote runterdrückte, damit er nicht weglaufen konnte. „Als ob Mahaado dazu überhaupt noch in der Lage gewesen wäre“, dachte Seth bitter und beobachtete, wie das Ungetüm seine Krallen tief in Mahaados Fleisch bohrte. Geifer tropfte aus seinem Maul und sein fauliger Atem schlug Seth sogar noch in einigen Metern Entfernung entgegen. Das Monster knurrte; hin- und hergerissen zwischen Seth und Mahaado. Dann entschied es sich für die leichtere Beute, riss sein Maul weit auf und wollte Mahaados Kopf zwischen seinem kräftigen Kiefer zerquetschen. Seth lachte höhnisch. „Hast du etwa Angst vor mir, du hässliches Scheusal? Traust dich wohl nicht, mich anzugreifen, was? Ich kann dich ja verstehen! Der Schwächling von Mahaado ist natürlich so viel leichter zu erwischen. Aaahh...aber ich muss sagen, ich bin enttäuscht. So einem großen Vieh wie dir hätte ich ja mehr Mumm zugetraut. Aber na gut. Nur zu, friss ihn doch. Du würdest mir einen riesen Gefallen damit tun. Zäher Priester, ein wahrer Leckerbissen!“ Obwohl Mahaado verletzt war und ihm der Sabber des Monsters auf den Schädel tropfte, schaffte er es dennoch seinen Kopf zu drehen und Seth einen missmutigen Blick zuzuwerfen. Der grinste. „Sehr schön, bewusstlos ist er immerhin noch nicht. Jetzt muss ich nur dieses Ding da von ihm weglocken.“ Der Schakal betrachtete ihn nun interessiert. Langsam ließ er von Mahaado ab und trat auf Seth zu, der, immer noch lächelnd, etwas nach hinten zurückwich. Das Monster verstärkte sein Knurren und beschleunigte seine Schritte. Seth packte den Millenniumsstab fester und zog den Dolch hervor. „Okay, weg von Mahaado ist das Monstrum ja jetzt. Aber ich hätte meinen Plan wirklich bis zu Ende denken soll...SCHEIßE!“ Mit einem lauten Brüllen stürzte sich der Schakal plötzlich auf den Priester, der sich augenblicklich nach hinten auf den Boden fallen ließ. Das Monster verfehlte ihn knapp; erholte sich aber schnell von seiner Überraschung und setzte zu einem erneuten Sprung an. Seth rollte zur Seite, das Monster erwischte ihn mit seinen spitzen Krallen, zerriss ihm das Gewand, aber verwundete nicht die Haut darunter. Er atmete erleichtert auf. Viel Zeit zum Ausruhen bekam er nicht. Das Ungetüm, wütend über den erneuten Fehlschlag, fletschte die Zähne und sprang schon wieder auf ihn zu. Seth machte einen Satz vorwärts, ließ sich wieder auf den Boden fallen, war nun unter dem Bauch des Schakals und stieß den Dolch des Millenniumsstabes nach oben; schlitzte dem Monster die Unterseite auf. Blut spritzte ihm entgegen und die Bestie jaulte laut. Mit ihren riesigen Pfoten verpasste sie Seth einen kräftigen Schlag, so dass dieser ein ganzes Stück über den Boden rutschte, sich aber flink wieder aufrichtete und die tiefen Krallenabdrucke auf seinem Arm betrachtete. Auch das Monster war mit seinen Verletzungen beschäftigt. Ungeschickt versuchte es, sich mit seiner großen Zunge das Blut vom Bauch zu lecken, hatte aber nur bedingt Erfolg und richtete seine Aufmerksamkeit schnell wieder auf Seth. Die gelben Augen des Schakals funkelten seinen Peiniger gefährlich an und Seth bekam zum ersten Mal Angst. Er brauchte einen Moment Ruhe, nur einen kleinen Moment, um sich konzentrieren zu können. Er hatte sein Ka-Monster schon so lange nicht mehr gerufen. Er brauchte Ruhe... Ein plötzliches Geräusch ließ sowohl den Schakal als auch Seth erschrocken herumwirbeln. Der Schakal knurrte tief und lief dann in Richtung des Krachs. Seths Augen weiten sich. „War das ein Quietschen? Ist das etwas die...?“ -------- Tausret lächelte erleichtert. „Die Tür. Ich hab sie gefunden.“ Er stieg von seinem Pferd ab, stemmte sich dann gegen das schwere Holztor und öffnete es so mehr und mehr. „Vielleicht...mit der Tür offen...vielleicht können dann auch die anderen fliehen“, überlegte er hoffnungsvoll und verstärkte den Druck. „Das glaube ich kaum!“, unterbrach ihn ein spöttisches Lachen und Tausret blickte überrascht auf. Vor der Tür stand ein wahrer Riese von Mann. Schwarze Haut, schwarze Augen, schwarze Kleidung. Hinter dem Hünen trat nun auch eine Frau hervor, auch sehr groß und muskelbepackt. Tausret griff zu seinem Schwert. „Wer seid ihr?“, verlangte er zu wissen und der Hüne gluckste. „Das braucht dich nicht zu kümmern“, antwortete er ihm amüsiert und zeigte auf etwas hinter Tausret. „Beschäftige dich lieber mit meinem süßen Schoßtier. Du musst wissen, er mag es nicht, wenn ihm Beute entwischt.“ Tausret erstarrte. Er wagte es nicht, sich umzudrehen. Er spürte heißen, stinkenden Atem und eine feuchte Zunge, die über seinen Nacken glitt. Unkontrolliert begann sein Körper zu zittern. Sein Pferd wieherte unruhig, scharrte mit den Hufen und lief davon. Tausret kümmerte es nicht; er hatte jetzt wahrlich andere Probleme. Etwas Scharfes, wahrscheinlich ein Zahn, ritzte ihm die Haut auf und Tausret stöhnte vor Schmerzen. „W-was ist…das?“, fragte er schließlich verängstigt und die Frau sah ihn gütig an. „Gleich zu Beginn unserer Bekanntschaft solch eine Frage, mein Kleiner? Nun, mach dir keine Sorgen, ich werde sie dir beantworten: Das da...“, zeigte sie auf die Gestalt hinter Tausret. „...ist dein Ende.“ Ein verzweifelter Schrei war das letzte, was Tausret noch von sich geben konnte, bevor ihm das Monster den Kopf abriss. ------- Atemu lauschte angestrengt. „Hast du das auch gerade gehört?“, fragte er beunruhigt und Mehi nickte. „Das klang wie Tausret“, erwiderte er leise und schluckte. Atemu richtete seine Konzentration wieder auf das Puzzle, das leicht vibrierte. „Ich glaube fast, dass unser ‚jemand’ endlich aufgetaucht ist...“, sagte er bemüht ruhig und spähte in die Finsternis. „Da müssen wir hin“, meinte er schließlich und Mehi folgte ihm gehorsam. Eine gewaltige Schattenwelle zog ihnen plötzlich den Boden unter den Füßen weg. Atemu versuchte zwar sofort wieder aufzustehen, doch etwas Großes streifte ihn an der Seite und er kippte wieder um. Der Pharao unterdrückte einen unflätigen Fluch. Mit einemmal hörte er links von sich ein Knurren und er ruckte den Kopf in die ungefähre Richtung. Erkennen konnte er nichts, doch was auch immer da war, es war ihm bestimmt nicht wohlgesonnen. „Geh zur Seite, bleib da und rühr dich nicht“, raunte er Mehi zu, der sogleich in, hoffentlich, Sicherheit kroch, bevor er sich flach ausstreckte und keinen Mucks mehr von sich gab. Das Knurren wurde lauter. Etwas sprang ihn an und Atemu duckte sich schnell. Das Etwas flog über ihn hinweg. Weiche Haare kitzelten flüchtig seine Haut und Atemu begriff, dass was auch immer dieses ‚Etwas’ war, es war kein Mensch. Plötzlich wurde er niedergestoßen, fühlte scharfkantige Krallen, die sich in seinen Rücken bohrten und ihn unten hielten. Das Monster brüllte ihm ins Ohr und blendete alle anderen Geräusche aus. Atemu schrie laut. Er konnte kaum noch etwas hören; die Schmerzen waren unerträglich und raubten ihm die Sinne. Einige Sekunden später war es auch schon vorbei. Mühsam rappelte er sich hoch. Doch noch bevor er sich neu orientieren konnte, traf ihn eine Schattenwelle in den Magen und er wurde nach hinten geschleudert. Diesmal aber landete er zu seiner gelinden Freude nicht wieder auf dem harten Stein, sondern in den Armen von etwas sehr warmen und lebendigem, was vor Anstrengung kurz aufkeuchte, ihn dann aber sanft umfangen hielt. Lächelnd blickte Atemu hoch. „Hallo, Seth.“ „Hm“, kam die ebenso knappe Antwort und der Pharao richtete sich mit Hilfe seines Priesters wieder auf. „Darf man erfahren, wo du warst?“, fragte er dann mit hochgezogenen Augenbrauen und betrachtete Seths zerkratzten Körper. Was auch immer ihn selbst angefallen hatte, hatte wohl auch Seth erwischt. „Ich habe Mahaado gerettet. Und bevor du fragst, ja, es geht ihm gut. Mehr oder weniger zumindest“, entgegnete sein Priester beleidigt und Atemu atmete erleichtert aus. „Und was ist mit dir? Bist du schwer verletzt?“, wollte er schließlich besorgt wissen, doch Seth winkte ab. „Nein, das meiste Blut ist sowieso nicht meins, sondern gehört diesem Vieh da“, zeigte der Angesprochene auf eine monströse Gestalt etwas links von ihnen und Atemus Augen weiteten sich flüchtig. „Diese Bestie...ich glaube, ich kenne sie...“ Dann bemerkte er auch das zweite, menschenähnliche Monster, mit dem sich der Schakal gerade einen erbitterten Kampf lieferte und welches ihm ebenfalls seltsam vertraut vorkam. „Das Monster besitzt Seths Aura...“ „Ist das deins?“, fragte er leise und ruckte seinen Kopf in die entsprechende Richtung. Seth nickte. „Das ist Duos“, erklärte er und in genau diesem Moment versetzte der Schakal seinem Ka-Monster einen heftigen Hieb mit der Pranke. Seth stöhnte und schlang die Arme um seinen Körper. Sofort war Atemu bei ihm. „Ruf ihn lieber zurück und lass mich das machen. Du hast noch nicht genug Erfahrung mit dieser Art des Kämpfens und...“ „Ich weiß das! Ich weiß, dass jede Verletzung meines Monsters auch mir die Energie raubt. Und trotzdem wird er bleiben. Ich kann genauso gut kämpfen wie du!“, entgegnete Seth aufgebracht und Atemu seufzte entnervt. „Elender Dickkopf“. „Na schön. Aber wenn’s zu viel wird, dann wirst du deinen Duos zurückrufen. Und das ist ein Befehl!“, knurrte er unwirsch und ließ den jungen Mann los. „Weißt du, was das andere Vieh für ein Monster ist?“, wollte er stattdessen wissen und sein Priester zuckte die Schultern. „Keinen blassen Schimmer. Auf jeden Fall ist das der hässlichste Köter, den ich je gesehen habe...“ „Hey, hey, hey! Keine Beleidigungen, ja?! Das mag unser Antaf nämlich gar nicht!“, war mit einemmal eine laute Frauenstimme zu hören und sowohl Seth als auch Atemu drehten sich zu ihr um. Auch das Monster, Antaf, ließ von Duos ab und trabte brav an die Seite der Frau, wo er seinen Kopf senkte und sich kraulen ließ. „Und wer ist das da?“, fragte Atemu Seth leise, der genauso ruhig antwortete. „Das da...ist die hässlichste Frau, die ich je gesehen habe.“ Kapitel 29: Siege und Niederlagen --------------------------------- Kapitel 29 – Siege und Niederlagen Gao betrachtete die Szene vor ihm mit unverhohlener Schadenfreude. Da hatten sie doch tatsächlich den kleinen Pharao gefunden. Und das hier, in diesem unwürdigen, toten Dorf, mitten in einem heruntergekommenen Lagerschuppen. Den anderen Mann bei ihm kannte Gao nicht. Er war großgewachsen, wenn auch bei weitem nicht so ein Riese wie er selbst, braunhaarig, noch recht jung und, wenn es nicht für die vielen Schwellungen und Kratzer und das Blut wäre, sicherlich ein hübscher Anblick. Doch wer auch immer er war, Gao war sicher, dass er keine Bedrohung darstellte. Genauso wenig wie der Priester, der dicht neben ihm bewusstlos auf dem Boden lag; genauso wenig wie die Wache des Pharaos, die das Pech hatte, ihm über den Weg zu laufen und die Gao mit einem kräftigen Genickschlag zu Boden geschickt hatte. Getötet hatte er sie nicht, denn das wollte er sich für später aufheben. Er hatte jetzt größere Beute im Sinn. Laut räusperte er sich und sicherte sich so die Aufmerksamkeit des Pharaos. --------------------------- Gebannt starrten Atemu und Seth auf den sich ihnen nähernden Mann, der belustigt gluckste. „Ah, seid mir gegrüßt, mein König. Wie ich sehe, seid Ihr offenkundig von mir begeistert. Tja, tja. Ich bin aber auch eine beeindruckende Gestalt! Und mal ehrlich: Ich finde mich selbst ebenfalls ganz toll.“ Atemu verzog das Gesicht. „Du hast eine ganz schön hohe Meinung von dir. Hast du vielleicht auch einen Namen?“, fragte er gelassen und der Mann schlug sich in gespielter Überraschung die Hand vor den Mund. „Ach, wo sind nur meine Manieren. Ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt. Nun, ich bin Gao. Vielleicht habt Ihr schon einmal von mir gehört?“ Atemu lächelte gefällig. „Nein, tut mir leid. Mit Leuten wie dir verkehre ich normalerweise nicht. Du wirst verstehen, dass das etwas unter meiner Würde ist.“ Gaos selbstgefälliges Grinsen verschwand augenblicklich. „Ihr seid wirklich so arrogant, wie man sagt“, sagte er leise und starrte düster in die tiefroten Augen des Pharaos. „Merkwürdig, ich könnte schwören ich habe diese Augen schon einmal gesehen. Dieses Rot...“ Der König ging nicht auf die Bemerkung ein. „Und was ist mit dir, hast du auch einen Namen?“, wandte er sich an die Frau, die immer noch Antaf streichelte und nun verwundert ihre Hand hob. „Nanu“, machte sie überrascht und zeigte Gao das Blut. „Die haben es doch tatsächlich geschafft, unseren süßen Antaf zu verletzen. Die ganze Bauchseite ist blutig.“ Gao winkte ab. „Er wird schon nicht dran sterben. Außerdem bekommt er noch seine Chance auf Rache, dafür werde ich persönlich sorgen.“ „Was abzuwarten wäre“, schnaubte Seth spöttisch und verschränkte ungeduldig die Arme. „Abgesehen davon schuldet ihr uns immer noch einen Namen. Also, wie heißt du?“ Die Frau glotze ihn nur dümmlich an. Dann lächelte sie. „Na, du bist ja ein ansehnliches kleines Kerlchen. Dich habe ich ja noch gar nicht richtig gesehen. Was ist? Willst du auch mitspielen? Nur du, und ich und der Pharao. Ach ja, und Antaf natürlich. Ne kleine Orgie gefällig?“ Seth lief vor Wut rot an und trat einen bedrohlichen Schritt vorwärts. Atemu streckte schnell seinen Arm aus. „Bleib hier, Seth“, befahl er mahnend und sein Priester blieb grummelnd stehen. „Aber, aber. Nicht streiten, ihr Süßen“, lächelte die Frau schadenfroh und kratzte sich am Kinn. „Ich reiche für alle. Nun gut, wenn ihr es unbedingt wissen wollt: Ich habe keinen Namen. Ich wüsste nicht, wozu einer gut sein sollte. Diese Anonymität ist doch so viel schöner und außerdem...“ „Genug Weib. Halt endlich dein Maul“, stoppte Gao ihren aufkommenden Redeschwall bereits im Ansatz und grinste dann hämisch den Pharao an. „Dich habe ich doch schon einmal gesehen; persönlich, mein ich. Ein bisschen kleiner warst du damals, na ja, noch kleiner als jetzt. Aber deine dämonischen Augen habe ich gleich wiedererkannt.“ Atemus Mund verzog sich zu einer dünnen Linie und er sah den Mann bitter an. „Dann warst du das also. Vor fünf Jahren habe ich schon einmal so ein Massaker miterleben müssen. Das warst du. Genauso, wie auch hier.“ „Ah...Ihr erinnert euch. Ich fühle mich geehrt!“, grinste Gao und verbeugte sich hämisch. „Ja, das war in der Tat ich. Leider hat mir Euer Vater dazwischengefunkt. Ich hatte nur halb soviel Spaß, wie ich eigentlich wollte. Schade, schade. An einem kleinen Balg wie Euch hätte ich sicherlich auch meine Freude gehabt. Doch bedauerlicherweise war Euer Vater etwas zu mächtig für mich und ich musste fliehen. Damals. Heute sehen die Dinge da schon ein bisschen anders aus.“ Bei der Erwähnung seines Vaters ballte Atemu seine Hände zu Fäusten zusammen. „Wie habt ihr die Schatten rufen können? Und wie kontrolliert ihr euer Monster? Es ist ein Ka-Monster, nicht wahr?“, knirschte er aufgebracht hervor. „Schattenkontrolle ist nur mit einem Millenniumsartefakt möglich und...“ „Ah, seid mal nicht so überzeugt von Euch! Das könnte nämlich furchtbar danebengehen. Habt Ihr ernsthaft geglaubt, nur Ihr und Eure Priester wären zu so etwas in der Lage? Ha! Was für ein Hohn! Nicht nur Ihr beherrscht Magie. Und Ihr würdet Euch wundern, was man alles so aus den alten Schriften vergangener Magier und Priester lernen kann. So viele Flüche und Sprüche. Die Magie ist uralt und keine neue Erfindung von Euch oder Eurem Vater!“ Atemu betrachtete Gao durchdringend. „Du bist ein Magier?“ „Nein, nicht ein Magier. Der Magier überhaupt!“ „Aber mich nennst du arrogant, ja? Na fein. Du willst spielen? Gut. Aber wisse, geschlagen hat mich noch keiner!“, drohte Atemu gelassen und sah dann zu Seth. „Was ist? Machst du mit? Dieser grinste in diebischer Vorfreude. „Natürlich, mein König.“ -------------------------------- „Duos, Aura-Schwert!“, rief Seth barsch und sein Monster gehorchte augenblicklich. Mit gewaltigem Schwung flog das Schwert auf Antaf zu, zerriss die Luft und streifte den Schakal an der Seite, der entsetzt aufjaulte. Seth grinste zufrieden, doch seine Freude war nur von kurzer Dauer. Ein harter Schlag traf ihn im Rücken und mit einem lauten Aufkeuchen fiel er nach vorne. Wütend drehte er sich um. Schon wieder einer von diesen verdammten Riesenskorpionen! Die Frau lachte. „Ich habe fast den Eindruck, als würdest du meine kleinen Lieblinge nicht mögen.“ Seth knurrte und rappelte sich wieder auf. Antaf war schon schlimm genug, aber das die Frau nicht nur ein, sondern gleich drei Ka-Monster beherrschte, machte einen ausgeglichenen Kampf mehr als unmöglich und die Chancen standen mehr als schlecht für ihn. Drei Skorpione, ein Riesenschakal und eine durchgedrehte Amazone auf der einen Seite; auf der anderen Seite Seth und Duos. Seth verzog die Mundwinkel. „Bei genauerer Überlegung, vielleicht stehen die Chancen ja doch nicht soo schlecht.“ Antaf hatte sich mittlerweile von Duos Schlag erholt und ihm nachgesetzt. Sein Maul weit aufgerissen, rannte Antaf blindlings hinter ihm her. Duos flog dicht hinter die Frau, machte dann eine abrupte Kehrtwendung, zischte auf Antaf zu und schlug ihm sein Schwert vor die Pfoten. Antaf machte einen Satz rückwärts, trat auf einen der Skorpione, der widerlich knackte und rutschte sogleich auf dem schleimigen Skorpionrest aus. Die Frau schrie vor Entsetzen. „Antaf, du idiotisches Vieh!“, zischte sie und ließ dabei Seth außer Augen, der nach vorne stürmte und mit Wucht die Frau und sich zu Boden warf. Kraftvoll rammte er ihr sein Knie in den Bauch. Die Frau stöhnte laut; versuchte Seths Arme zu erwischen und schaffte es dabei tatsächlich fast, ihm den Millenniumsstab zu entreißen, doch Seth verpasste ihr einen weiteren Tritt und gewann wieder die Kontrolle über das magische Artefakt. Er wollte ihr den Dolch ins Herz rammen, doch da näherte sich von hinten wieder einer der Skorpione und nur mit knapper Not konnte er sich vor dem tödlichen Giftstachel in Sicherheit bringen. Der zweite Skorpion indes fackelte nicht lange; packte Seth mit seiner Schere, hob ihn hoch in die Luft und schleuderte ihn dann einige Meter weiter zu Boden. Seth keuchte auf und blieb einen Moment atemlos liegen. Die Frau setzte ihm nach. Sie hatte keine Waffen mehr; ihren Dolch hatte sie bereits verloren, aber das spielte nicht länger eine Rolle für sie. Ihr Gesicht war grässlich verzerrt und ihr Körper wurde alle paar Sekunden von einem irren Lachkrampf geschüttelt. „Wegen diesem Bengel habe ich einen meiner Skorpione verloren. Und wenn ich ihn mit bloßen Händen erwürgen muss, dafür wird er büßen!“ Doch noch bevor sie Seth erreichen konnte, attackierte Duos einen ihrer zwei verbliebenen Skorpione, durchstieß mit seinem Schwert den dicken Panzer und durchbohrte das Tier in der Mitte, was es zwar nicht tötete, aber doch schwer verwundete. Die Frau brüllte erneut, fiel hin, krallte eine Hand in ihre schmerzende Brust und zog sich mit der anderen Stück für Stück vorwärts, immer weiter auf Seth zu. Antaf wollte ihr zur Hilfe eilen, wurde aber von Duos daran gehindert, der ihm wieder sein Schwert entgegenschleuderte und Antaf eine tiefe Wunde in die Seite riss. Der Schakal brüllte vor Wut. Sein Fell war blutverklebt, sein Blick getrübt. Aber aufgeben würde er nicht. Er gab einen erschreckend menschlich klingenden Schrei von sich und griff wieder Duos an. Atemu bekam von allem dem nicht viel mit. Er und Gao lieferten sich einen ebenso erbitterten Kampf wie sein Priester und die Frau. Nur kämpften sie nicht mit den Monstern, sondern mit reiner Magie. Gao war wirklich gut, das musste Atemu ihm neidlos zugestehen. Er beherrschte die Schatten perfekt. Sie gehorchten jedem noch so kleinem Wink, schlangen sich um Atemus Körper und schnürten ihm die Luft ab. Atemu war fast ausschließlich in der Defensive und immer, wenn es ihm für einen kleinen Moment gelang, die Oberhand zu erringen, richtete Gao sofort seine Angriffe auf den bewusstlosen Mahaado und Amenmes. „Verdammt. Wenn ich doch nur meine Götter rufen könnte. Gaos hätte keine Chance. Aber in dieser kleinen Lagerhalle ist das einfach zu gefährlich. Was, wenn das Dach einstürzt und alle unter sich begräbt? Was mach ich nur?!“ Gehetzt blickte er sich nach Seth um. „Verdammt, Seth! Steh auf!“, schrie er entsetzt als er ihn endlich entdeckte. Seth lag regungslos am Boden und die Frau kam ihm immer näher. Duos konnte ihn auch nicht beschützen. Der verteidigte sich gerade mehr schlecht als recht gegen zwei Skorpione und Antaf. „STEH AUF!“, brüllte er noch einmal und endlich rappelte sich der junge Priester schwankend hoch. Desorientiert blickte er sich kurz um, sah erst Atemu, dann die Frau, die plötzlich wieder auf die Beine kam und ihn mit einem gurgelnden Schrei und ausgebreiteten Händen angriff. Seth konnte noch in letzter Sekunde ausweichen, bekam die Frau am rechten Arm zu fassen und schleuderte sie kräftig gegen die Wand. Die Frau stöhnte und hielt sich das Gesicht. Blut strömte aus ihrer gebrochenen Nase und ihr Lachen wurde noch schriller und lauter. „Das wird du mir büßen...das wirst du mir büßen. Das verspreche ich dir, du kleiner Dreckskerl!“ Erneut lief sie manisch brüllend auf Seth zu, der wieder auswich, plötzlich hinter ihr stand und ihr kräftig in den Rücken trat. Ächzend fiel sie hin, versuchte sich hochzustemmen, schaffte es aber diesmal nicht und blieb geschlagen liegen. Seth atmete erleichtert auf. „Ausruhen kannst du dich später! Ich brauche deine Hilfe jetzt!“, schrie Atemu seinem Priester zu und drängte gleichzeitig die Schatten weg, die sich um seine Beine gewickelt hatten. „Halt mir Gao einen Moment vom Hals!“ Seth nickte. Atemu ließ die Schatten los und sofort stürzten sie sich auf ihn. Seth hielt mit dem Millenniumsstab dagegen und keuchte vor Anstrengung. Lange würde er das hier nicht durchstehen können. Auch der Pharao war sich dessen bewusst und er wollte gerade dazu ansetzen, eines seiner Monster zu rufen, als sein Priesterschüler aufschrie. Antaf hatte Duos an der Schulter gepackt und biss nun kräftig zu; seine Zähne durchbohrten das Fleisch, zertrennten Muskeln und Knochen. Die Skorpione traten auf Seth zu und Gaos Schatten näherten sich schon wieder bedrohlich Mahaado und den anderen. Atemu traf eine Entscheidung. „KURIBOH! ERSCHEINE!“ Sofort erschien sein Monster; klein und unbedrohlich flog es munter um Atemu herum und quiekte fröhlich. Für einen Moment konnte Gao nicht anders als mit großen Augen auf die merkwürdige Szene vor ihm zu glotzen und vergaß darüber sogar seine Schatten, die sich ohne seine Energie zu verflüchtigen begannen. Er lachte lauthals. „Wollt Ihr mich verarschen, oh mächtiger Pharao?! Wenn das Euer bestes Monster ist, dann seid Ihr ja noch armseliger, als ich ohnehin schon gedacht habe!“ Auch Seth starrte ungläubig zu Atemu. „Das ist sein Ka-Monster?! Ist der denn völlig irre?!“ Doch der Pharao lächelte nur geheimnisvoll und wackelte mit dem Finger. „Tsk, tsk, tsk. Gao, mein Guter. Du solltest mich nicht unterschätzen.“ Gao spuckte abfällig auf den Boden. „Verarschen kann ich mich alleine. Aber von mir aus. Euer Problem, nicht meins. Wenn ihr es so eilig mit Sterben habt: Ich helfe gerne! ANTAF!“ Der Schakal ließ augenblicklich von Duos ab und war mit einem Satz an Gaos Seite. Mit seinen vielen Wunden war es beachtlich, dass er überhaupt noch Stehen konnte, vom Kämpfen ganz zu schweigen. „Euer Priester wird für Eure Einfalt büßen“, drohte Gao leise. Dann streckte er seinen Arm aus und zeigte auf Seth. „ZERFLEISCHE DEN PRIESTER!“ Antafs mächtiges Heulen ließ die Halle erbeben. Seth ging sofort in Angriffsposition, doch ein unglaublich grelles Licht blendete ihn auf einmal und er hob unbewusst einen Arm, um seine Augen abzuschirmen. Antaf nutzte diesen Moment und ging auf ihn los; packte ihn am Gewand und verbiss sich in ihm. Seth fluchte lautstark, stach mit dem Millenniumsstab auf Antaf ein, der ihn verschreckt losließ, nur ihm dann einen heftigen Hieb mit den Pranken zu verpassen. Vergeblich versuchte Seth aufzustehen, doch da sprang Antaf schon wieder auf ihn zu und machte seine Bemühungen zunichte. Hilflos hob Seth die Arme über sein Gesicht und wartete auf einen Angriff, der nie kam. Zögernd blickte er sich um und erkannte, dass er nun von einer riesigen Mauer aus braunen, quietschenden Fellkugeln umgeben war. „Was zum...?“, schrie Gao entgeistert und betrachtete ungläubig die Armee von Minimonstern. Atemu grinste hämisch und Gao lief hochrot an. „ANTAF! ANGRIFF!“, brüllte er mit sich überschlagender Stimme und sein Monster tat sein Bestes. Wild um sich schnappend versuchte er einen der Kuribohs zu erwischen, doch sobald er endlich einen zu fassen bekam, löste sich dieser in seinem Maul sofort in Luft auf. Wieder und wieder probierte er es. Immer mit dem gleichen Ergebnis. Fassungslos schaute Gao sich um. Diese fiependen Viecher schienen überall zu sein. Überall. Um den Priester und dessen Monster herum. Um den Pharao herum. Um die anderen Männer des Königs herum. Und es wurden immer mehr. Frustriert biss sich Gao auf die Lippen. „Der hält mich völlig zum Narren!“ In einem letzten Versuch wollte er wieder seine Schatten rufen, doch Atemu, der sich nun nicht länger um seine Männer zu sorgen brauchte, kam ihm zuvor. Sein Puzzle leuchtete hell und unterband jeden Aufruf von Schattenmagie. Gao keuchte. „Ich bin völlig am Ende. Ich habe schon viel zu viel Magie verbraucht und auch Antaf ist bereits mehr tot als lebendig...“ Aus den Augenwinkeln sah er eine Bewegung und plötzlich gluckste er hämisch. Atemu runzelte die Stirn, doch noch bevor er sich Gedanken über Gaos eigenartiges Verhalten machen konnte, befahl dieser Antaf wieder den Angriff auf die Kuribohs. Doch diesmal war nicht Seth, sondern der junge Pharao direkt das Ziel. Kuriboh nach Kuriboh verschwand im gierigen Schlund des Schakals und Gaos Glucksen wurde lauter, bis es schließlich zu einem rauen Lachen wurde. „Ich weiß gar nicht, was du daran so komisch findest“, meinte der König verwirrt und verkreuzte seine Arme. „Du wirst es nie schaffen, alle Kuribohs auf einmal zu vernichten. Dafür vermehren sie sich viel zu schnell.“ „Ah, aber wenn ich das Originalmonster erwische, was meint Ihr, was dann wohl passiert? Dann verschwinden alle, nicht wahr?“, entgegnete Gao merkwürdig ruhig und betrachtete den Pharao fast schon gelangweilt. Dieser schnaubte verächtlich. „Schön, du bist also hinter den kleinen Trick mit den Kuribohs gekommen. Aber nützen wird dir das auch nicht viel, denn dafür müsstest du erst mal wissen, welcher der Echte ist.“ Gaos Augen funkelten gefährlich. „Das wird gar nicht mehr nötig sein“, flüsterte er siegessicher, richtete sich zu seiner vollen Größe auf und begann sogleich, irgendeinen Spruch vor sich hinzumurmeln. Wieder erschien dieses grelle Licht und Atemu schloss schnell die Augen. Angst vor einem Angriff Gaos hatte er nicht; die Kuribohs bildeten einen zuverlässigen Schutz und Seth... „Verdammt, Seth!“ Er keuchte auf. Er hatte die Kuribohs vor Seth und rechts und links von ihm platziert, damit sie eine sichere Barriere vor Gaos Attacken bildeten. Vor Seth und rechts und links... Als er endlich die Augen wieder öffnen konnte, sah er seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Sein Priester stand regungslos dar; hinter ihm die Frau, die ihre großen, kräftigen Hände um Seth Hals gelegt hatte und nun süffisant zu Atemu herüberlächelte. Dieser machte einen Schritt vorwärts, doch Gao schüttelte milde den Kopf. „Ich an Eurer Stelle würde das lieber lassen. Noch eine Bewegung und das Weibsstück wird Eurem Priester das Genick brechen.“ Zitternd vor Wut blieb Atemu stehen. Er warf einen Blick auf Seth, der die Augen zugekniffen hatte und schwer nach Atem rang. Die Frau verstärkte ihren Griff und der Priester ächzte leise. Widerwillig wandte sich Atemu an Gao. „Ich bin dir über. Töte Seth und ich werde dich töten“, sagte er düster, drohend und der Hüne sah ihn nachdenklich an. „Ja, das glaube ich sogar“, antwortete er schließlich ruhig. „Was meinst du, Süße? Irgendwelche gute Ideen?“ Die Frau grinste. Ihre Nase blutete immer noch und zähe, rote Tropfen fielen auf Seths blanke Schulter, wo sein Gewand nur noch in Fetzen von ihm herunterhing. Die Frau senkte leicht ihren Kopf und leckte ihr eigenes Blut von Seths Haut, stöhnte dabei genüsslich und schauderte wohlig. Gao knurrte. „Weiber...Also gut, Pharao. Dann müssen wir das wohl unter uns klären. Mein Vorschlag ist folgender: Ihr ergebt Euch alle und ich gestalte Euren Tod dafür möglichst schmerzfrei.“ „Abgelehnt“, zischte Atemu; seine Aufmerksamkeit hin- und hergerissen zwischen Gao und Seth. „Na schön, dann töte ich Euch trotzdem und ...“ Ein gellender Schrei zerriss die Luft. Sofort drehten sich Gao und Atemu um und sahen, wie die Frau sich an den Hinterkopf fasste, dabei sogar für einen Moment Seth losließ, jedoch nur eine Sekunde später ihren Griff wieder festigte und noch stärker zudrückte. Wütend warf sie einen Blick über ihre Schulter und starrte ungläubig auf die Gestalt hinter ihr. Auch Atemu konnte es nicht fassen. „Mehi?!“ -------------- Vorsichtig richtete sich Mehi auf. Todstellen hatte bisher zwar hervorragend geklappt, aber jetzt, wo er erkennen musste, dass Seth fast erwürgt wurde und der Pharao nichts tun konnte, sah er sich endlich zum Handeln gezwungen. Er war nicht gerade übermäßig glücklich darüber, aber nun ja, was tat man nicht alles für seinen König? Auf allen Vieren kroch er auf die Frau zu, dabei immer auf die Skorpione Acht gebend, die zum Glück immer noch von den Kuribohs in Schach gehalten wurden und näherte sich ihr langsam. Er atmete flach, richtete sich auf, schloss die Augen, zog sein Schwert und... ...haute es der Frau mit zittrigen Armen über den Schädel. Zugegebenermaßen nicht unbedingt die effektivste Methode, aber zumindest war Seth auf diese Weise unverletzt geblieben. Mehi jedenfalls war ganz schön stolz auf sich, öffnete seine Augen und erstarrte augenblicklich. Statt wie von ihm erwartet bewusstlos auf dem Boden zu liegen, drehte die Frau nur nasenflügelblähend ihren Kopf zu ihm herum und versprühte eine so große Mordlust, dass Mehi langsam aber sicher doch ziemliche Zweifel an der Genialität seines Planes verspürte. Er trat einen eiligen Schritt zurück; hörte, wie der Pharao verwundert seinen Namen rief und blickte sich verzweifelt um. „Mehi, hinter dir!“, brüllte Atemu und endlich sah seine Wache es auch. „W...wo kommen die denn jetzt her?!“, stammelte er verwirrt und hob zögerlich sein Schwert hoch; den beiden direkt vor ihm stehenden Skorpionen entgegen. Die Frau kicherte. „Du hast doch nicht im Ernst geglaubt, meine kleinen Lieblinge würden ihre Mami im Stich lassen, oder? Aaahh...ja, auf meine Schätzchen ist Verlass. Und diese braunen Pelzbälle sind zwar verdammt nervig, aber wirklich gefährlich sind sie nicht...“ Mehi achtete nicht weiter auf ihre Worte, zu beschäftigt mit der Gefahr vor ihm. Mit einemmal alle Vorsicht vergessend, stürzte er sich laut schreiend auf einen der Skorpione. Sein Schwert prallte harmlos vom Panzer des Monsters ab und er suchte sich einen neuen Winkel und schlug erneut zu. Diesmal mit Erfolg. Das Monster kreischte auf und auch die Frau schrie lauthals. Ihr Griff lockerte sich; Seth konnte sich wieder bewegen und stieß ihr kräftig den Ellbogen in die Rippen. Und in diesem Moment brach das Chaos los. Die Kuribohs flogen konfus durch die Gegend, wussten ohne Atemus Führung nicht, was sie tun sollten; Gao hetzte Antaf auf Atemu und der Pharao rief ein weiteres Monster. Sein Drachenfluch flog laute Schallwellen ausstoßend zwischen Gao und Antaf hin und her; stürzte sich dann auf den Schakal und verwickelte ihn in einen wilden Kampf. Die Frau derweil ging auf Mehi los, während Seth und Duos den Skorpionen gegenüberstanden. Mehi versuchte sich mit kräftigen Schwerthieben die Frau vom Leib zu halten, doch plötzlich musste er den Giftstachel eines Skorpions abhalten und obwohl es ihm gerade noch so gelang, den Angriff abzuwehren, büßte er dabei sein Schwert ein, das unbeachtet zu Boden fiel. Duos kam ihm zur Hilfe, kümmerte sich um den Skorpion und die Frau; verschaffte so Mehi die Möglichkeit zur Flucht. Der zweite Skorpion mischte sich in den Kampf ein, doch geschickt wich Duos den Stacheln aus. Einen weiteren Treffer konnten weder er noch sein Herr verkraften, trotzdem hob er sein Schwert und kämpfte weiter; schaffte es, einem der Skorpione den Schwanz abzuhacken. Drachenfluch kämpfte genauso verbissen. Seine Schreie waren markerschütternd und ließen die Halle erzittern. Der Boden bebte und brach an einigen Stellen sogar auf. Atemu machte einen Satz rückwärts, um nicht in eines der Löcher zu fallen. Die Kuriboharmee hatte sich Gao als ihr Ziel ausgesucht. Wie wild schwirrten sie um seinen Kopf, rammten ihn und trieben ihn mit ihrem wilden Quieken fast in den Wahnsinn. Gao fuchtelte wie besessen mit den Armen, übersah dabei das Loch hinter ihm und verdrehte sich den Fuß. Er schrie und das schien die Kuribohs nur noch mehr anzustacheln. Antaf schnappte wieder nach Atemus kleinen Monstern, doch wie schon zuvor, so lösten sie sich auch dieses Mal nur ständig in Luft auf, wenn er eins erwischte. Drachenfluch sah seine Chance gekommen und griff den abgelenkten Schakal an. Seth währenddessen kämpfte mit der Frau. Mehi, unbewaffnet und ohne Magie oder Monster, hatte sich schon lange in Sicherheit gebracht und nur Duos hielt nun noch die Skorpione auf Abstand. Mit einem kräftigen Schulterwurf zwang Seth die Frau zu Boden; doch in Windeseile stand sie wieder auf, trat mit ihren langen Beinen nach ihm und traf ihn in den Magen. Der junge Priester stöhnte vor Schmerzen und die Frau verpasste ihm eilig einen Schlag in die Seite. Seth schlidderte einige Meter nach hinten und blieb dicht neben Mehis Schwert liegen. Die Frau stürzte sich wieder auf ihn. Seth schloss die Augen, ergriff blindlings das Schwert und rammte es mit voller Wucht nach oben. Eine Weile nahm er nichts weiter wahr, außer seinem eigenen, harschen Atem; fühlte nichts, außer seinem eigenen Herzschlag, der wie wild gegen seinen Brustkorb schlug und in seinen Ohren pochte. Allmählich jedoch vermischten sich diese Eindrücke mit etwas neuem; mit etwas, was er nicht zuordnen konnte. Ein ersticktes Gurgeln war zu hören; zwar nicht sein eigenes, aber dennoch ganz nah und es war eine Feuchtigkeit zu spüren, klebrig und warm, die auf seine Wange tropfte und dabei so verdammt vertraut roch, dass es ihm den Magen umdrehte. Er blinzelte vorsichtig und keuchte vor Überraschung. Das Schwert hatte die Brust der Frau durchbohrt, war durch Haut, Knochen und Gedärme gegangen und spießte sie wortwörtlich auf. Und jetzt endlich konnte Seth auch ihr Gewicht fühlen, das auf seinen Armen lastete und sie zum Zittern brachte. Oder, und er mochte gar nicht näher darüber nachdenken, zitterte er doch wegen etwas anderem? Die Frau unterdessen blickte nur ungläubig an sich herab, röchelte mühevoll und spuckte Blut. Mit letzter Kraft hob sie ihren Kopf; streckte eine Hand nach ihren Skorpionen aus; musste zusehen, wie Duos ihnen nun auch die Scheren, die Beine abschlug, ihnen das Schwert in den Rücken stieß und sie fein säuberlich durchtrennte. Die Augen der Frau füllten sich mit Tränen. Sie streckte ihre Hand noch weiter aus, verstand nicht, warum sie ihre Monster nicht berühren, nicht erreichen konnte. Sie murmelte etwas, zu undeutlich und leise, als dass Seth es hätte verstehen können und eine salzige Träne tropfte von ihrem Kinn und landete auf seiner Haut. Die Frau atmete angestrengt; ließ ihre Hand erschlaffen und ihren Kopf nach unten sacken. Mit trübem Blick sah sie Seth noch einige Sekunden lang hasserfüllt an, bevor sie schließlich mit quälender Langsamkeit für immer die Augen schloss. Mühsam befreite sich Seth von ihrer Leiche. Er versuchte aufzustehen, doch seine Beine knickten immer wieder ein und schließlich blieb er einfach schwer atmend liegen. Seine Energie war am Ende und Duos, der seinem Herrn nicht noch dessen letzte Kraft mit seiner Anwesenheit rauben wollte, verschwand schnell. In diesem Moment schaffte es auch Drachenfluch Antaf zu besiegen. Der Schakal jaulte ein letztes Mal qualvoll und rührte sich dann nicht mehr. Gao schrie, packte sich an sein Herz und Atemu schickte ihm nun seinerseits die Schatten auf den Hals. Die Kuribohs brachten sich schnell in Sicherheit und Gao bekam die volle Wucht von Atemus Angriff ab. Erneut trat der schwarze Riese in eines der unzähligen Löcher, fiel hin und rappelte sich hoch, übersah die Gefahr, die sich ihm näherte. Drachenfluch schoss auf ihn zu und rammte ihm seinen spitzen, tödlichen Schnabel in den Rücken. Gaos Knochen barsten und er brach lautlos zusammen. Diesmal stand er nicht wieder auf. Völlig erschöpft befahl Atemu seine Monster zurück; nur ein Kuriboh, der Echte, blieb noch bei ihm. Mühsam robbte Atemu auf Seth zu, der gar nicht weit weg von ihm lag und sich schon eine ganze Zeit über nicht mehr bewegt hatte. Erst als der Pharao ihn sachte an der Schulter schüttelte, öffnete er leicht seine Augen. Atemu lächelte schwach. Hey, wie geht’s dir?“, fragte er leise und sein Priester knurrte ungehalten. „Bestens. Danke der Nachfrage.“ Atemu schnaubte müde und legte sich neben Seth auf den Boden; sein Kuriboh quietschte ihm derweil ins Ohr und er wedelte genervt mit einer Hand. „Das ist also dein Ka-Monster“, stellte Seth mit einemmal klar und Atemu nickte. „Ja. Warum fragst du?“ Seth drehte den Kopf zu ihm herum und betrachtete Atemu einen Moment. Dann grinste er. „Ach, nur so. Wollte nur mal sichergehen.“ Der König verzog das Gesicht und verpasste seinem Priester einen beleidigten Schlag in die Seite. -------- AN: Ich habe diesmal nicht viel zu sagen, außer: Wie immer sind Kommentare gern gesehen und bis zum nächsten Kapitel ^^ Kapitel 30: Das Ziel einer Reise -------------------------------- Kapitel 30 – Das Ziel einer Reise Ein beständiges Rütteln an seinem Arm weckte Atemu aus seinem erschöpften Traum. Schlaftrunken setzte er sich auf. „Bin ich etwa eingeschlafen?“ Eine vertraute Stimme drang an sein Ohr und er lauschte angestrengt. Nur mit Mühe konnte er die Worte ausmachen. „Verzeiht, dass ich Euch wecke, Majestät. Aber wir sollten wirklich so langsam aufbrechen.“ „Mahaado?“ Atemu blinzelte verwirrt. Er fühlte sich furchtbar schwach und orientierungslos. Der Kampf hatte ihn einfach zu viel Energie gekostet. Doch dann erkannte er endlich seinen treuen Priester. „Versteht Ihr mich, mein König?“, fragte Mahaado leise und Atemu nickte schließlich unmerklich. „Ich verstehe sehr gut“, log er und versuchte mit aller Macht, die schwarzen Flecken, die vor seinen Augen tanzten, zu ignorieren. „Wo ist Seth?“, wollte er mit einem mal besorgt wissen und Mahaado seufzte. „Er liegt direkt neben Euch“, erklärte er und Atemus Blick schoss augenblicklich zur Seite. Unsanft schüttelte er den schlafenden Priester wach. Er wusste natürlich, dass Seth sicherlich mindestens genauso erledigt war wie er selbst, doch zum einen wollte er einfach nur noch weg von hier; zum anderen missfiel es ihm gewaltig, den jungen Mann so regungslos daliegen zu sehen. Mit den ganzen Verletzungen, dem Blut, der aschfahlen Haut und den blassen Lippen sah er aus wie tot. Allein der Gedanke jagte Atemu einen kalten Schauer über den Rücken. „Ich hätte ihn verlieren können...Diese ganze Mission war nur als kleiner Test für ihn gedacht und ich bringe ihn gleich in Lebensgefahr. Und nicht nur ihn...“ Auch Mahaado sah schrecklich aus; genau genommen noch schlimmer als Seth oder Atemu selbst. Mahaados Körper war übel zerkratzt und blutig und dass er überhaupt noch in der Lage war zu stehen, beruhte wohl allein auf reiner Willenskraft. Endlich bewegte sich auch Seth. Langsam richtete er sich auf; betrachtete erst Mahaado, dann den Pharao. „Was ist los?“ „Wir wollen aufbrechen“, erklärte Mahaado knapp und griff nach einem kleinen Beutel neben sich. „Aber vorher sollten wir uns um unsere Verletzungen kümmern.“ Sorgfältig verarztete er ihre Wunden; half anschließend einem immer noch recht zittrigen Atemu aufzustehen und reichte auch Seth eine Hand, der immer noch auf dem Boden hockte und wohl zu stolz war, um von sich aus um Hilfe zu bitten. „Ich schaff das auch alleine“, blaffte er heiser; versuchte selbständig auf die Beine zu kommen und geriet dabei ins Wanken. Atemu blickte alarmiert auf. „Hey, mach langsam. Kipp mir hier nicht um.“ Er streckte seine Finger nach Seth aus, doch Mahaado war schneller. Seths protestierendes Gemurmel ignorierend, schlang er einen Arm um dessen schmale Hüfte und stützte ihn so vorsichtig. „Ich brauch keine Hilfe“, murrte Seth leise, wehrte sich aber zumindest nicht, wenngleich er die ganze Zeit über hartnäckig vermied, Mahaado auch nur anzusehen. Der seufzte. „Jetzt hör mir mal zu, Seth“, begann er, während er angestrengt versuchte, Seths skeptischen Blick zumindest zeitweise zu ignorieren. „Also...“ Mahaado räusperte sich unbehaglich. “Rückblickend muss ich zugeben, dass du gute Arbeit geleistet hast. Sehr gute sogar. Du hast den Pharao beschützt und auch...mich. Ich verdanke dir mein Leben.“ Der letzte Teil des Satzes ging in einem regelrechten Nuscheln über, aber Seth verstand trotzdem und grinste nun breit; sein Selbstvertrauen völlig wiederhergestellt: „Ah, ist das so? Interessant. Aber ich glaube, dass du da was missverstanden hast. Ich wollte dich nicht retten. Ich wollte bloß verhindern, dass sich diese Antaf-Töle wegen dir den Magen verdirbt. Mehr nicht. Das mit dir war bloß ein Nebeneffekt.“ „Du arroganter...!“ Mahaados nächste Worte erstarben auf seinen Lippen. Denn statt eines weiteren, bissigen Kommentars streckte ihm Seth nun schlicht eine Hand hin und auch sein Grinsen verschwand; wurde stattdessen zu einem vorsichtigen Halblächeln. Mahaado schnaubte resigniert; erwiderte dann aber die Geste und lächelte ebenfalls leicht. Eines hatten sie heute begriffen. Beste Freunde würden sie wohl nie werden. Doch vielleicht konnten sie lernen, einander zu respektieren und zu vertrauen. Leise Schritte in ihre Richtung ließen sowohl den Pharao als auch die beiden Priester plötzlich aufmerken. „Was ist denn, Mehi?“, fragte Atemu und runzelte irritiert die Stirn. „Was trägt er da bei sich?“ Mehi drückte ein blutbeflecktes Bündel an sich und kam nervös näher. „Was ist das?“, zeigte der Pharao auf das Ding in Mehis Armen und seine Leibwache zuckte zusammen. Zögernd sah er seinen König an. „Tausret...er ist tot“, sagte er traurig und drückte das Bündel noch fester an sich. Auch Amenmes stellte sich nun zu ihnen und übernahm, nachdem Mehi kein weiteres Wort mehr herausbekam, das weitere Sprechen. Behutsam nahm er Mehi den stoffverhüllten Klumpen ab. „Das hier ist Tausrets Kopf. Der Rest von ihm liegt da hinten bei den Pferden. Auch seinen Leichnam haben wir in Decken gehüllt“, erklärte er tonlos und sah den Pharao abwartend an. Dessen Blick verfinsterte sich. „Bedauerlich. In der Tat“, meinte er vorsichtig und ging mental in Abwehrstellung. Er konnte sich schon denken, was seine beiden Männer von ihm wollten. Auch Amenmes wusste ganz genau, dass seine Worte dem Pharao nicht gefallen würden. Dennoch zwang er sie über seine Lippen. Vielleicht, weil er das Gefühl hatte, dass er es Tausret schuldete. „Tausret hat Euch heute hier verraten. Er hat seine Pflicht Euch gegenüber vergessen und wollte feige fliehen“, gab er langsam zu und Atemu nickte angespannt. Amenmes fuhr grimmig fort. „Und dennoch bitte ich Euch, Majestät, dass Ihr Gnade zeigt. Lasst seine Leiche angemessen bestatten und gebt seiner Familie die Möglichkeit, Abschied zu nehmen. Ich weiß...mein Wunsch ist dreist. Und doch hoffe ich auf die Güte Eures Herzens. Darauf, dass...“ „Genug“, unterbrach Atemu ihn mit kalter Stimme. „Tausret hat mich hintergangen. Und zum Dank soll ich jetzt seiner Seele ins Jenseits helfen? Dein Wunsch ist unverschämt, Amenmes.“ „Das wissen wir, mein Pharao“, mischte sich Mehi nun zaghaft ein. „Und trotzdem bitten wir Euch um die Erlaubnis, seine tote Hülle mit nach On nehmen zu dürfen. Amenmes und ich werden für Tausrets Transport Sorge leisten. Wir ganz alleine! Ihr braucht nichts zu tun.“ „Das ist aber nicht der Punkt“, knurrte Atemu und spürte die Wut in sich aufsteigen. „Tausret hat mich betrogen. Mich! Seinen König! Wie können sich diese zwei nur so für ihn einsetzen?“ „Mein Pharao“, meinte Amenmes leise und sah Atemu dabei flehentlich an. „Bitte denkt nicht nur an das, was heute war, sondern auch an die Jahre gewissenhaften, loyalen Dienstes, die Tausret geleistet hat. Das entschuldigt natürlich nicht sein Fehlverhalten von heute. Aber...Tausret hat für seinen Treuebruch bereits mit dem Leben bezahlt. Bitte opfert nicht auch noch seine Seele. Bitte nehmt ihm nicht sein ewiges Leben. Lasst ihn bestatten und das Ritual der Mundöffnung durchführen; lasst ihm diese unverdiente Gnade zuteil werden.“ Atemu zögerte. Er warf einen schnellen Blick zu Mahaado, der ihm aber auswich und zu Seth, der den Eindruck machte, als kümmere ihn die ganze Sache nicht. Die Entscheidung lag allein bei Atemu. Nur welche war die richtige? „Aber...das...das…“ Er sah in die hoffnungsvollen Gesichter der Männer. Seine Wachen hatten ihn nicht aufgegeben, seine Priester hatten ihn nicht aufgegeben. Sie alle vertrauten ihm und würden tun, was er verlangte… Er gab sich geschlagen. „Also gut. Seht zu, dass ihr Tausret nach On schafft. Alles Weitere könnt ihr dann mir überlassen.“ Seine Wachen verbeugten sich tief. „Habt vielen Dank, Majestät“, entgegneten sie synchron und Atemu musste beinahe ob der Ehrlichkeit ihrer Worte lächeln, verkniff es sich aber im letzten Moment doch noch und wandte sich an seine Priester. „Seid ihr in der Lage zu reiten?“, fragte er und sowohl Seth als auch Mahaado nickten einstimmig. „Gut. Bereitet die Pferde vor und lasst uns aufbrechen.“ --------------- Der Ritt durch die Wüste nach On dauerte nicht lange. Schon nach wenigen Stunden konnten sie die Stadtmauer, den Tempel und die Dächer der Häuser in der Ferne sehen. Atemu war froh darüber. Es war eine anstrengende Reise gewesen und sowohl er als auch seine Männer waren müde, verletzt und hungrig. Hinzu kam, dass ihn auch Seths Verhalten beunruhigte, denn dieser wich ihnen konsequent aus, hielt sich abseits der Gruppe und sprach mit niemandem. Der Pharao verstand es nicht, nahm sich aber fest vor, dieser Sache auf den Grund zu gehen. Energisch trieb er sein Pferd an und atmete erleichtert auf, als sie endlich in die Stadt einritten und die große Tempelanlage erreichten. Endlich würde er Zeit haben für die wichtigen Dinge des Lebens. Ein Bad...und Seth. -------------------------- „Pharao! Wie seht Ihr denn aus?! Seid Ihr in Ordnung?!“, rief der kleine, alte Mann überrascht, kaum, dass er Atemu erblickt hatte. Der winkte müde ab. „Nur ein paar Beulen und Kratzer, Shimon; nichts Ernsthaftes. Mahaado wird dir alles berichten“, erklärte er matt seinem Großwesir, der immer noch nicht seine besorgten, großen Augen von Atemus zerschundenem Köper abwenden wollte. Schließlich sah er Seth. „Nun ja. Ich hoffe doch, dass Mahaados Erklärungen gut sind. Wir waren schon voller Sorge um Euch, weil wir schon längst mit Eurer Ankunft gerechnet hatten, Ihr aber nicht aufgetaucht seid. Und wer ist der junge Mann an Eurer Seite? Ich habe ihn noch nie gesehen.“ „Das ist Seth. Er ist Priesteranwärter und soll später mal das Amt als Hüter des Millenniumsstabes übernehmen“, erwiderte Atemu und unterdrückte ein Gähnen. „Aber genug davon. Ich bin müde und wünsche daher keine weiteren Fragen. Bereitet etwas Leichtes für mich und meine Priester zu Essen vor und bringt es in unsere Gemächer. Macht außerdem ein Bad für mich fertig und vergesst dabei die saubere Kleidung nicht. Alles verstanden?“ Shimon deutete eine Verbeugung an, wobei er ein kleines Ächzen nicht verbergen konnte. „Uh, mein Kreuz. Ich werde wohl langsam wirklich alt. Aber keine Sorge, mein König. Mein Gedächtnis ist noch topfit. Gesna...“, zeigte er auf einen ältlichen, aber sehr würdevoll auftretenden Mann, „Zeig dem Pharao sein Zimmer.“ „Sehr wohl, Großwesir. Bitte folgt mir, Majestät.“ Damit wollte er Atemu fortführen, aber der schüttelte bloß mit dem Kopf. „Einen Augenblick noch“, meinte der junge König und wandte sich erneut Shimon zu. „Zwei Männer meiner Leibeseskorte befinden sich noch in den Ställen bei den Pferden. Auch sie müssten versorgt werden. Außerdem...“, fuhr er etwas langsamer fort, „außerdem haben sie auch einen toten Mann bei sich. Lasst seinen Leichnam einbalsamieren und schickt seiner Familie eine Nachricht über seinen Tod, in der Ihr mein Bedauern über sein frühzeitiges Ableben zum Ausdruck bringt und seiner Frau eine Witwenrente zusprecht.“ „Das übliche Verfahren, natürlich, mein König.“, meinte Shimon verstehend. „Aber denkt bitte auch an Eure eigenen Wunden. Wir haben nur einen in Medizin bewanderten Priester. Soll ich diesen... ah...Arzt... gleich zu den Ställen schicken oder doch nicht lieber erst zu Euch?“ Atemu überlegte kurz. „Nein, erst zu mir und meinen Priestern. Die Soldaten sind nicht schlimm verletzt und können ruhig noch einen Moment länger warten. Ach ja, und noch eine letzte Sache. Seth“, sprach er nun diesen direkt an, der ihn skeptisch anblickte. „Wenn du gegessen und dich umgezogen hast, dann wünsche ich, dass du mir beim Baden Gesellschaft leistest.“ Seths Gesicht war ausdruckslos, als er gehorsam nickte und dem Pharao nachsah, bis dieser mit Gesna verschwunden war. Auch Shimon wartete bis der Pharao außer Sichtweite war, nur um sich anschließend vor Seth zu stellen und diesen voll unverhohlener Neugier anzustarren. „So, Ihr seid also ein neuer Priester? Nun, ich freue mich, Euch kennen zu lernen“, lächelte er und trat noch näher. „Euer Blick ist klar und wach. Ja, der Pharao hat mit Euch eine gute Entscheidung getroffen. Aber Ihr scheint mir noch recht jung zu sein. Wenn Ihr die Frage erlaubt, wie alt seid Ihr?“ Seth seufzte. Frage- und Antwortspielchen hatte er noch nie sonderlich gut leiden können. „Siebzehn“, erklärte er matt und Shimons ohnehin schon riesige Augen wurden noch größer. „Erst siebzehn? Und gleich so ein bedeutendes Amt? Andererseits, Mahaado hier ist ja auch nicht so viel älter. Aber wisst Ihr, was ich glaube?“ Er holte einmal tief Luft und beugte sich dann verschwörerisch zu Seth. „Also ich persönlich glaube ja, dass der Pharao junge Männer bevorzugt.“ Seth sah ihn verständnislos an. „Huh? Ihr meint als Priester?“ Der Wesir lachte leise. „Ja, als Priester auch. Aber nicht nur da. So...seid Ihr des Pharaos Geliebter oder täuscht das? Ich könnte schwören, dass...“ „Natürlich nicht!“, verteidigte sich Seth erbost und lief rot an. „Und so was ist Großwesir?“ Auch Mahaado war die Sache wohl etwas unangenehm und er hustete gekünstelt. „Nun ja, Shimon. Wir, und Seth wird mir da sicherlich zustimmen, sind momentan noch erschöpft von unserer anstrengenden Reise und daher keine sonderlich guten Gesprächspartner. Und ich für meinen Teil bin auch recht hungrig. Nicht zu vergessen, dass ich Euch noch Bericht erstatten muss. Also, was meint Ihr?“ Shimon klatschte in die Hände. „Stimmt ja! Das hätte ich fast schon wieder vergessen! Na gut, dann folgt mir mal...“, meinte er fröhlich und ging pfeifend voraus. Mahaado und Seth folgten ihm mit kleinem Abstand. „Lass dich von seinem Gehabe nicht täuschen. Der Großwesir ist vielleicht menschlich etwas seltsam, aber auch sehr fähig, wenn es um sein Amt geht“, erklärte Mahaado dabei dem düster dreinblickenden Seth, der praktisch mit seinem Blick Löcher in Shimons Rücken zu bohren versuchte. „Ich habe dich nicht um deine Meinung gebeten“, knurrte der nur gereizt, was Mahaado aber nicht wirklich kümmerte, war er doch inzwischen Seths Unhöflichkeiten mehr oder weniger gewohnt. Er zuckte nur kurz mit den Schultern, bevor er sich dran machte dem Wesir nachzueilen, der bereits flink um die nächste Ecke gehuscht war. Seth war das nur Recht. Immerhin konnte er sich so in Ruhe um den eigentlichen Grund seiner plötzlichen Aggressionen kümmern. Und wie üblich, so war Seths Laune auch diesmal ganz allein Atemus Schuld oder genauer gesagt die Frage, was besagter König nun schon wieder von ihm wollte. ------------------- „Sehr schön. Ich habe schon ungeduldig auf dich gewartet“, begrüßte Atemu Seth nur kurze Zeit später und fuhr damit fort, sich ungeniert vor dessen Augen zu entkleiden. Sein Priester war wenig angetan von dieser Schau, konnte sich nur mit Mühe eine unschöne Bemerkung verkneifen und übte sich eher widerwillig in Geduld. Schließlich aber obsiegte doch seine Neugier. „Darf ich erfahren, was ich hier soll?“, fragte er gespielt gelassen und sah vorsichtig in die Richtung des Pharaos. Dieser war inzwischen völlig nackt und ließ sich langsam in dem mit klaren Wasser und verschiedenen Blüten gefüllten Becken nieder. „Mir Gesellschaft leisten, was denn sonst?“, erklärte Atemu wie selbstverständlich und betrachtete seinen Priester erwartungsvoll. Seth schnaubte. „Du erwartest also von mir, dass ich jetzt zu dir ins Wasser steige?“ „Ja, das war so in etwa mein Gedanke. Also, worauf wartest du noch?“ Seth starrte ihn nur an und Atemu seufzte geschlagen; drehte seinem Priester den Rücken zu und richtete seine Aufmerksamkeit auf die hübschen Wandverzierungen, die verschiedene Szenen der Entenjagd darstellten. „Besser so?“, fragte er und Seth brummte irgendetwas, was wohl ein ‚ja’ sein sollte. Erst als er ein leises Platschen neben sich hörte, wandte Atemu sich wieder um. Und hob sogleich skeptisch eine Augenbraue. Eigentlich betrachtete er Seths Körper immer gerne, doch diesmal gefiel ihm das, was er sah, zur Abwechslung mal gar nicht, was nicht nur an den noch frischen Kampfverletzungen lag. Stirnrunzelnd streckte er einen Arm aus, fuhr damit leicht über Seths Brustkorb und fühlte die Konturen von dessen Rippen. Der junge Priester zuckte zwar kurz zusammen, hielt aber ansonsten ganz still. „Du bist viel zu dünn“, meinte der Pharao schließlich und Seth verspannte sich augenblicklich. „Ich habe nur etwas abgenommen, weiter nichts“, entgegnete er sachte, vermied es dabei aber, Atemu in die Augen zu sehen. Der König nahm seine Hand wieder weg. Einen Moment schien er mit sich selbst zu debattieren. „Hat das was mit deinen Träumen über deinen Bruder zu tun?“, harkte er schließlich behutsam nach und die Art, wie Seth nun die Lippen zusammenpresste und sich sein Körper nur noch mehr versteifte, bestätigte seine Ahnung. „Seth, ich weiß, dass du...“ Atemu stoppte unsicher. Vielleicht wäre es besser, die Sache auf sich beruhen, Seth seinen Willen zu lassen. Doch es gab schon so viel Unausgesprochenes zwischen ihnen, so viele Geheimnisse. Und er wollte einfach nicht, dass es noch mehr wurden. Mit neuer Entschlossenheit sah er seinen Priester an. „Warum hast du mich auf dem Weg nach On ignoriert, Seth?“ Der junge Priester schloss müde die Augen. „Muss das jetzt sein?“, fragte er rau, wenngleich seiner Stimme die gewohnte Härte fehlte und er immer noch Atemus Blick auswich. Doch der Pharao blieb hartnäckig. „Ja, das muss jetzt sein“, entgegnete er sanft und Seth zischte ungehalten. „Es war nichts persönliches, okay? Stell dir vor, aber nicht alles dreht sich immer nur um dich!“, giftete er bissig, offensichtlich auf Kampf aus, doch Atemu betrachtete ihn nur gelassen und konnte sogleich die vertraute Sturheit in Seths Augen aufblitzen sehen. Der Pharao grinste ob des Anblicks zufrieden. „So viel besser als dieser traurige, gebrochene Blick von vorhin.“ Dann jedoch wurde er wieder ernst. „Ist es wegen dem, was in diesem Dorf passiert ist? Wegen der toten Kinder?“ Plötzlich dämmerte es ihm. „Du musstest an deinen Bruder denken. Richtig? Deswegen bist du auch in dem Lagerschuppen so ausgerastet.“ „...Ja...“ Seth straffte seine Schultern. Er hasste es, wie leicht Atemu ihn mittlerweile durchschauen konnte, dennoch, oder vielleicht auch gerade deswegen, zwang er die Worte über seine Lippen. „Ich habe plötzlich befürchtet, dass es ihm genauso ergangen sein könnte. Tot...gemeuchelt. Weil ich ihm in Stich gelassen habe. Weil ich ihn einfach vergessen habe. Weil ich...“ Seine Stimme erstarb. Der Pharao betrachtete ihn traurig, streckte eine Hand nach ihm aus, doch Seth wirkte mit einemmal so abweisend, dass Atemu schließlich seinen Arm unverrichteter Dinge wieder sinken ließ. Er wollte gerade etwas sagen, irgendwas, als Seth ihm zuvorkam. „Atemu, diese Frau...“ Seine Augen verdeckt von langen Strähnen, ließ er sich ein wenig tiefer ins warme Wasser gleiten. „Sie ist der erste Mensch, den ich jemals getötet habe.“ Der Pharao blinzelte überrascht. Er hatte mit vielem gerechnet, nur nicht damit. Und es ärgerte ihn maßlos, dass Seth sich überhaupt Vorwürfe deswegen machte. „Verdammt, Seth! Du hattest keine Wahl. Entweder sie oder wir. Du hast richtig gehandelt“, erklärte er scharf; hob Seths Kinn leicht an und lächelte aufmunternd. „Schuld oder Reue sind überflüssig. Zweifle nicht daran. Niemals wieder.“ Sein junger Priester nickte und Atemu nahm an, dass die Sache sich damit erledigt hatte, doch diesmal deutete er Seths Verhalten falsch. Denn diesen beunruhigte eher etwas anderes. „Schuld und Reue. Aber genau das ist es ja gerade, Atemu. Ich fühle diese Dinge eben nicht. Nicht wegen eines Mordes.“ Doch diesen Gedanken hielt er sogar vor seinem König geheim. ---------------- AN: Hat überhaupt noch einer damit gerechnet, dass Shimon jemals auftauchen wird (oder sich darum gekümmert ^^°)? Tja, da ist er also; ein bißchen senil vielleicht, aber was solls. Im nächsten Kapitel jedenfalls wird die Sache mit Seths Bruder geklärt. Dann kann Seth sich endlich auf andere Dinge konzentrieren (was für welche verrate ich aber noch nicht) ^^° Und wie immer ein herzliches Danke an alle Kommentarschreiber und Leser! Kapitel 31: Enttäuschte Erwartungen ----------------------------------- Kapitel 31 – Enttäuschte Erwartungen Es war eine aufwendige Suche gewesen, die viel Zeit und noch mehr Männer benötigt hatte. Gleich nach seiner Rückkehr in die Priesterschule hatte Seth, mit Atemus Erlaubnis, Kundschafter losgeschickt und auch selber recherchiert. Mit Erfolg, denn nun wusste er endlich, wo er seinen Bruder finden konnte. Und jetzt stand er hier, vor einem großen, prachtvollen Gebäude, dessen weißer Kalkstein in der untergehenden Sonne beinahe rosa schimmerte. „Der Käufer meines Bruders; ein reicher Kaufmann aus dem Norden. So hat man es mir jedenfalls berichtet. Ich hoffe nur, dass es dem Kleinen gut geht.“ Seth zögerte. Er war so besessen davon gewesen, seinen Bruder zu finden, dass er niemals darüber nachgedacht hatte, was er machen sollte, wenn sie sich endlich gegenüber stehen würden. Sein Bruder war irgendwo da drin...doch wie sollte er sich ihm gegenüber verhalten? Sollte er erzählen, dass sie verwandt waren? Sollte er den Jungen mit nach Memphis nehmen? Würde dieser das überhaupt wollen? Der junge Mann schauderte. Er konnte nur hoffen, dass das Schicksal gnädig gewesen und der Kleine nicht als Sklave großgezogen worden war. Trost fand er dabei nur bei dem einen Gedanken, dass sein Bruder damals noch ein Baby war und Menschen, die einen Sklaven suchten, sich normalerweise nicht für Säuglinge interessierten… Energisch schüttelte er den Kopf. „Das bringt doch nichts. Mein Bruder ist in greifbarer Nähe und ich stehe hier nur untätig rum.“ Mit neugewonnener Zuversicht betrat er den weitläufigen Garten des Anwesens. Eigentlich hatte er erwartet, dass ihm zumindest ein Diener des Hauses entgegenkommen würde oder vielleicht auch eine Wache, doch dem war nicht so. „Seltsam. Es ist niemand zu sehen. Aber das kann nicht sein. Der Garten ist gepflegt. Genauso wie das Haus. Irgendwer muss hier noch wohnen.“ Und tatsächlich. Seth hatte den Gebäudeeingang schon fast erreicht, als ihm eine kleine, gebrechliche Frau entgegenkam. Ihr Blick war ruhig und gefasst, als sie den näher kommenden Seth genau musterte. „Seid willkommen, mein Herr“, schenkte sie ihm ein herzliches Lächeln und eine ehrfurchtvolle Verbeugung. Seth brummte irritiert. „Begrüßt Ihr jeden auf Eurem Anwesen herumschleichenden Fremden so freundlich oder ist das nur mein Privileg?“, fragte er argwöhnisch und mit sich zusehends verfinsterndem Blick. „Wer sagt Ihnen denn, dass ich Sie nicht auf der Stelle umbringe und Sie dann ausraube? Außer Ihnen selbst scheint ja niemand hier zu sein. Ich hätte also leichtes Spiel.“ Das Gesicht der Frau nahm einen müden Ausdruck an. „Bei jemandem mit Eurer Kleidung kann es sich nur um einen Edelmann handeln. Außerdem sehe ich keine Waffen an Euch. Ich denke also nicht, dass ich mich in ernster Gefahr befinde.“ Sie blickte ihm in die Augen und hob ihre Stimme ein wenig. „Oder täuscht dieser Eindruck etwa, mein Herr?“ Seth schüttelte den Kopf. „Nein. Ich komme tatsächlich wegen etwas anderem“, erklärte er knapp. Er debattierte kurz mit sich selbst, überlegte, wie viel er der Frau erzählen sollte und entschied sich schließlich für die Wahrheit. „Ich suche meinen jüngeren Bruder. Ich weiß natürlich, dass das ein wenig seltsam klingt, aber der Junge wurde als Baby hierher verkauft. Er müsste jetzt so um die zwölf oder 13 Jahre alt sein. Seinen Namen kenne ich leider nicht, doch ich bin mir ganz sicher, dass er hier ist. Ich würde ihn gerne sehen.“ Die Frau starrte Seth lange an. „Nun, wir haben uns noch gar nicht vorgestellt. Ich heiße Idjema. Und ich schlage vor, dass Sie erst einmal mit ins Haus kommen. Dort können wir uns dann in Ruhe unterhalten“, meinte sie schließlich langsam und wandte sich bedächtig um. Trotz einem unguten Gefühl im Magen folgte Seth der Frau anstandslos. Idjema führte ihn in ein hübsch eingerichtetes Zimmer und ließ von einer Dienerin Getränke und etwas zu Essen vorbereiten. Zwischendurch fuhr sie immer mal wieder mit den Fingern durch ihr wirres Haar; wohl in dem vergeblichen Versuch, es wenigstens einigermaßen zu richten. Seth indes betrachtete sie ungeduldig; studierte ihre verhärmten Gesichtszüge und den mageren, fast skelettartigen Körper. Überlegend legte er seinen Kopf zur Seite. „Ist sie krank? Oder ist es nur das Alter? Nein, da steckt mehr dahinter...“ Idjema bemerkte seinen Blick und stoppte mit ihrer Schönheitspflege. Unruhig rutschte sie auf ihrem großen Sitzkissen hin und her, öffnete den Mund, schloss ihn aber schnell wieder und starrte zu Boden. Schließlich legte sie ihre Hände in den Schoß und sah Seth unglücklich an. „Ich weiß. Ich bin kein angenehmer Anblick. So ein hübscher junger Mann wie Sie ist da sicherlich wesentlich besseres gewohnt“, wisperte sie bedrückt, woraufhin Seth leise aufseufzte. „Idjema. Das mag jetzt unhöflich sein, aber deswegen bin ich eigentlich nicht hier“, versuchte er wieder auf das Wesentliche, seinen Bruder, zurückzukommen. Die Frau nickte schwach und strich sich sichtlich nervös über ihre Arme. Als sie endlich sprach, war ihre Stimme zittrig und voller Bedauern. „In diesem Haus lebte tatsächlich bis vor einigen Jahren ein kleiner Junge. Mein Mann war ein erfolgreicher Händler und wir führten eine glückliche Ehe. Nur Kinder waren uns nicht beschert. Jedenfalls, eines Tages brachte er ein Baby mit. Er hat mir erzählt, dass der Vater des Kindes es nicht mehr haben wollte und wir...ich wollte so gerne ein Kind haben. Mein Mann wusste das natürlich. Und er hat den Jungen gekauft. Ganz klein war er gewesen...noch nicht mal einen Namen hat er gehabt. Wir haben ihn großgezogen und an Kindesstatt angenommen. Und die Götter sollen meine Zeugen sein: Ich habe ihn wie einen Sohn geliebt. Er hat ein gutes Leben bei uns geführt.“ Während ihrer Erzählung musste Idjema mehrmals stoppen, ganz so, als verlöre sie sich in den Erinnerungen. Ihr Körper sank in sich zusammen und die Melancholie ihrer Worte war beinahe greifbar. Sie wirkte wirklich alt...und gebrochen. Seth atmete tief durch. Äußerlich versuchte er zwar ruhig zu bleiben, aber innerlich tobte ein Kampf zwischen Hoffnung und Furcht, Freude… und noch etwas anderem. „Bis vor einigen Jahren? Wieso redet sie in der Vergangenheit von ihm?“ „Wo ist er jetzt?“, fragte Seth leise und spürte, wie sich sein ganzer Körper vor Anspannung verkrampfte. Idjema zögerte einen Moment. Dann holte sie tief Luft, stand auf und stellte sich vor Seth. Behutsam legte sie ihre knöchrigen Finger auf dessen Knie und betrachtete ihn wehmütig. „Es tut mir leid“, flüsterte sie schließlich aufrichtig und bei ihren Worten wurde Seth fast schwarz vor Augen. „Er ist vor einiger Zeit gestorben. Es war eine Krankheit...eine Seuche. Die Ärzte konnten nichts für ihn tun. Und auch mein Mann ist tot. Sie sind alle tot. Meine ganze Familie. Nur ich bin noch übrig. Bis auf meine treue Dienerin habe ich niemanden mehr.“ Seths Herz zog sich vor Schmerz zusammen. „Mein Bruder...ist tot?“, fragte er brüchig, ungläubig. „Er kann nicht tot sein. Nicht jetzt...ich hatte doch noch gar keine Gelegenheit, ihn kennen zu lernen; seine Stimme zu hören; zu sehen, was für ein Mensch er geworden ist...Eine Lüge, ein dummer Scherz, aber nicht die Wahrheit. Das kann nicht die Wahrheit sein!“ Doch Idjemas ernstes Nicken nahm ihm auch diese letzte Hoffnung. „Es tut mir so furchtbar leid“, wiederholte sie und krallte ihre Hände fest in Seths Gewand; fürchtete, in ihrer eigenen Trauer versinken zu müssen, wenn ihr niemand Halt bot. Seth jedoch nahm dies kaum wahr. Sein Blick trübte sich. Mit aller Macht kämpfte er gegen seine eigene Verzweiflung an, versuchte sich zusammenzureißen, nicht die Kontrolle zu verlieren. Doch es hatte keinen Zweck. Mit einem wütenden Schrei packte er ihre dünnen Arme, hielt sie so fest, dass Idjema vor Schmerzen schrie, drückte sie tief in das Kissen und ließ sie nicht aufstehen. Idjemas Augen weiteten sich vor Schreck. Vergeblich versuchte sie, sich loszureißen, doch als Seth seinen Griff verstärkte, stoppte sie ihre Bemühungen und hielt ganz still. Lange Zeit war kein Laut zu hören außer Idjemas angestrengtem, röchelndem Atmen. Seth spürte sein Herz hart gegen seine Brust schlagen, fühlte das Blut in seinen Adern pulsieren und wusste sogleich, dass sein Verhalten nicht richtig war, dass er dabei war, die gleichen Fehler zu machen wie Atemu einst. Und trotzdem konnte er seinen harten Griff nicht lösen, konnte nicht von seiner Wut und seiner Enttäuschung ablassen. Denn der Schmerz saß einfach zu tief. Was er brauchte, war ein Sündenbock; jemanden, der für diese Pein, die sein Innerstes zerriss, büßte; jemanden, den er verantwortlich machen konnte. Jemanden wie Idjema. „Aber warum dann...? Warum fühle ich mich dann immer noch so leer? Und ihr Gesicht...ihre dunklen Augen, in denen fast kein Funken Leben mehr ist. Nein, diese Frau...ihr Leben bedeutet ihr nichts. Rache an ihr bedeutet nichts. Gar nichts…“ Plötzlich bäumte sich Idjema unter ihm auf. Von Krämpfen geschüttelt, ihre Glieder unkontrolliert zuckend, spuckte sie auf einmal Blut, dunkelrotes, mit Schleimbrocken vermengtes Blut. In zähen Tropfen über ihr Kinn laufend, hinterließ es eine klebrige Spur; bildete einen erschreckenden Kontrast zu ihrer aschfahlen Haut. Alarmiert ließ Seth sie los und trat einen schnellen Schritt rückwärts. Langsam verebbte Idjemas Hustenanfall. Beschämt blickte sie zur Seite, wischte sich mit ihrem Ärmel das Gesicht sauber und atmete tief durch. Seth sah ihr unsicher zu. „D-das wollte ich nicht“, meinte er leise; zaghaft auf ihre befleckte Kleidung deutend. Doch Idjema wehrte ab. „Ist schon gut. Es ist nicht deine Schuld“, erwiderte sie sanft und irgendwie tröstend. „Nicht deine Schuld.“ „Aber ich...“, wollte Seth einwenden, doch die Frau gebot ihm mit einer schwachen Handbewegung Schweigen. „Wenn du dich wirklich entschuldigen möchtest, dann tue mir bitte einen Gefallen und hör mir einen Moment lang zu. Nur zuhören. Bitte.“ Der junge Priester nickte zweifelnd, noch zu geschockt und verwirrt, als dass er zu einer klaren Antwort fähig gewesen wäre und Idjema verschwendete keine Zeit. „Ich werde bald sterben“, eröffnete sie ihm matt und Seths Augen weiteten sich flüchtig. Idjema lächelte gequält. „Schau nicht so entsetzt. Du musst es doch auch schon bemerkt haben. Mein Körper ist krank und schwach…und meine Seele ebenso. Deshalb ist es auch nicht deine Schuld. Und selbst wenn, du hättest ohnehin nur beschleunigt, was unausweichlich ist.“ Seth öffnete den Mund, wollte protestieren, doch bevor er etwas erwidern konnte, fuhr Idjema bereits fort; ihr Lächeln nun gänzlich verschwunden. „Der Tod meines Mannes war schon ein schwerer Verlust“, erzählte sie tonlos; die Monotonie ihrer Stimme nur von einem gelegentlichen, fast kaum hörbaren Schluchzer unterbrochen. „Aber als mir auch noch mein Sohn genommen wurde...ich habe einfach nichts mehr. Keinen Grund zum Leben. Keinen Grund morgens noch aufzustehen. Auch wenn ich vielleicht geheilt werden könnte...ich will es nicht. Ich bin so einsam. Für jemanden, der noch so jung ist wie du, ist es sicher schwer zu verstehen, aber mein Leben ist sinnlos. Alles, was ich jetzt noch möchte, ist zu sterben. Zumindest im Tod werde ich wieder mit meiner Familie vereint sein. Mehr wünsche ich mir nicht mehr. Daher… kann ich dir deine Tat nicht vorwerfen.“ „Das ist doch Unsinn“, wandte Seth ruhig ein und verschränkte herausfordernd die Arme vor der Brust. „Und feige noch dazu. Solange es Hoffnung gibt, muss man kämpfen. Du aber willst nur weglaufen. Und das ist es, was dich wahrlich schwach macht und dein Verderben sein wird. Nicht deine Krankheit.“ Idjema seufzte. „Ich frage ja auch nicht nach Sinn oder Unsinn. Ich frage dich überhaupt nicht nach deiner Meinung. Ich möchte nur, dass du versuchst, es zu verstehen. Und wenn du es nicht verstehen kannst, dann es wenigstens hinzunehmen. Ich will, dass du einsiehst, dass du keine Reue für deine Tat eben zu fühlen brauchst. Nicht für mich. Das Leben einer Fremden sollte dich nicht kümmern.“ Seth betrachtete sie eingehend; erkannte, dass Idjema sich selber schon lange aufgeben hatte; dass ihr kein Arzt der Welt mehr würde helfen können. Denn ihre Wahl war nicht das Leben, sondern der Tod. Ihre letzte Zuflucht. Nach einem langen Moment des Schweigens nickte er schließlich. „Du hast Recht. Es geht mich wirklich nichts an.“ „Nein…nein, das tut es nicht.“ Idjemas Blick war undeutbar und für einen Moment bereute Seth seine harschen Worte. Doch dann zuckte die alte Frau nonchalant mit den Schultern. „Wenn es...nun ja, ich würde dir gerne etwas von deinem Bruder erzählen. Natürlich nur, wenn du möchtest.“ Wenn er mochte…das war das Problem. Er wusste es nicht. Der endgültige Verlust seines Bruders war noch zu frisch, zu schmerzhaft. Aber andererseits war das hier vielleicht seine letzte Change, jemals etwas über ihn zu erfahren. Er konnte nicht einfach ausschlagen, was Idjema ihm anbot. Also hörte er zu. Hörte, wie Idjema von einer Welt erzählte, in der sie einmal glücklich gewesen war, einer Welt, in der ihre Familie noch lebte. Hörte, wie sie von seinem Bruder berichtete. Von seiner Kindheit, von seinem Lachen, von seiner ganzen, freundlichen Art; davon, was für ein großartiges Kind er gewesen sei und wie sehr sie ihn geliebt hätte. Und je mehr sie sich erinnerte, umso lebhafter wurde ihre Stimme, ihre Bewegungen, ihr ganzes Wesen. Und auch wenn Seth sich äußerlich nichts anzumerken versuchte, so konnte er sich dennoch eines kleinen Lächelns nicht erwehren. ------------------------------- Kapitel 32: Alte Bekanntschaften -------------------------------- AN: Ich habe Kapitel 31 und 32 gleichzeitig hochgeladen, da Atemu erst in Kapitel 34 wieder auftreten wird und die Wartezeit bis dahin wohl doch etwas lang wäre ^^° ------- Kapitel 32 – Alte Bekanntschaften Mürrisch klopfte sich Seth den Sand aus seinem Gewand, hielt sich eine Hand vors Gesicht und blickte in die untergehende Sonne. Er war etwa noch zwei Tagesmärsche von Memphis entfernt und wiewohl er es nur ungern zugab, so empfand er diese Reise alleine doch als recht bedrückend. Er seufzte tief. Am liebsten wäre er die ganze Nacht über durchgeritten, aber sein Pferd stand kurz vor dem Zusammenbruch und so hatte er wohl oder übel diese ungeplante Rast einlegen müssen. Nachdem er das Pferd getränkt und ihm den völlig überhitzen und verschwitzen Körper mit einem Tuch trockengerieben hatte, führte er es zu einer nahe gelegenen Oase, wo er seine Wasservorräte auffüllen und die Nacht verbringen konnte. Das Tier trottete müde hinter ihm her und Seth betrachtete es besorgt. „Ich hätte das Pferd nicht so antreiben sollen. Wenn es stirbt, bin ich aufgeschmissen. Was habe ich mir dabei nur gedacht? Nein, das ist es ja gerade. Ich habe nicht gedacht.“ Er schüttelte leicht mit dem Kopf. Es schien ihm, als ob sich seit dem Abschied von Idjema eine bleierne Schwere über seinen Körper und seinen Geist gelegt hätte, die jeden klaren Gedanken schon im Ansatz vereitelte. Was, so überlegte Seth sardonisch, vermutlich auch der Wahrheit entsprach. „Wenn ich ehrlich bin...ich will auch gar nicht denken. Gedanken führen mich immer nur wieder zurück zu… ihm.“ Sein Pferd stupste ihn in die Seite und Seth stolperte einige Schritte nach vorne. Er legte eine Hand auf die Nüstern des Tieres und streichelte es sanft. „Ich bin wohl keine besonders angenehme Gesellschaft, was? Was würdest du denn an meiner Stelle machen? Soll ich so tun, als ob es meinen Bruder nie gegeben hätte...oder soll ich an der Erinnerung an ihn festhalten? Eine schmerzhafte Erinnerung mehr; eine Erinnerung, die einst meine Familie ausgemacht hatte.“ Das Pferd schnaubte und stapfte unruhig mit den Vorderhufen. Seth musste widerwillig lächeln. „Die Hitze der Wüste scheint mir wirklich in den Kopf gestiegen zu sein. Jetzt frage ich schon ein Pferd um Rat.“ Noch während Seth tief in Gedanken versunken war, ließ ein plötzliches Geräusch sein Pferd die Ohren spitzen und nervös wiehern. Der junge Mann spürte das Tier an den Zügeln zerren und blickte überrascht auf. „Was ist denn, hm? Was hast du?“ Das Pferd verstärkte sein Ziehen. Seth murmelte einige beruhigende Worte und blickte sich suchend um. Erkennen konnte er nichts, doch auch er hörte nun mehrere Stimmen, die der Wind leise zu ihnen hinübertrug. „Scheint so, als ob wir nicht mehr lange allein hier wären. Vielleicht eine Gruppe Händler, die hier die Nacht verbringen will. Oder Banditen. Ich sollte mich wohl lieber erst einmal verstecken bis ich weiß, mit was für Leuten ich es zu tun habe.“ Zu seinem Glück war es inzwischen dunkel geworden, so dass er relativ gefahrlos seinen Rappen ein Stück weit zurück in die Wüste führen konnte. Es dauerte auch nicht lange bis er sein Ziel, eine kleine Gruppe von etwa mannshohen, aufeinander geschichteten Felsen, erreicht hatte. Die natürliche Steinformation bot die perfekte Deckung vor unerwünschten Blicken und zugleich auch noch Schutz vor allzu heftigen Wüstenwinden. Seth wartete noch einige Stunden, bevor er sich alleine zurück zur Oase schlich. Natürlich wäre es klüger gewesen, einfach die Nacht in seinem Versteck auszuharren und zu hoffen, dass der Trupp Fremder bei Morgen weiter zöge, doch diesen Gedanken verwarf Seth schnell wieder. Er wusste nicht wieso, aber irgendwie hatte er ein merkwürdiges Gefühl in der Magengrube; fast eine Vorahnung von etwas Bedrohlichem. Und es ließ ihm keine Ruhe. ------------ Der Schein des Lagerfeuers war weithin sichtbar und wies Seth zielsicher den richtigen Weg. Er kam nur langsam voran; immer darauf bedacht, sich möglichst bedeckt zu halten und unauffällig zu nähern. Angestrengt versuchte er den fremden Stimmen zu lauschen, doch so sehr er sich auch bemühte, bis auf einige vereinzelte Gesprächsfetzen konnte er nichts verstehen. Zumindest reichte es, um seinen unguten Verdacht zu bestätigen. Bei dieser Gruppe handelte es sich nicht um einfache Kaufleute oder Händler; zumindest nicht um Händler im gewöhnlichen Sinne. „Was bei allen Göttern treibe ich eigentlich hier?! Als hätte ich nichts aus der Vergangenheit gelernt...“ Verärgert über sich selbst, biss sich Seth leicht auf die Lippen. Das war so nicht richtig. Er hatte sehr wohl dazugelernt, was auch der Grund war, warum er sich jetzt stetig immer weiter den Männern näherte. „Wer auch immer ihr unglückseliges Opfer ist, es wird nicht so enden müssen wie ich. Die Demütigungen, die Erniedrigungen...nein, das lasse ich nicht zu! Wenn Atemu nicht gewesen wäre, wer weiß, wie dann mein weiteres Leben ausgesehen hätte.“ Endlich hatte er sich den Fremden bis auf wenige Meter genähert. Vorsichtig lugte er über den Busch und versuchte sich einen Überblick über die Situation zu verschaffen. Drei kräftige Männer; scheinbar alle keine Ägypter, obwohl Seth sich nicht ganz sicher war, saßen dicht gedrängt am Feuer und prosteten sich zu. Einer von ihnen rülpste laut und die anderen stimmten lachend mit ein. Etwas abseits auf dem Boden lag eine gefesselte Gestalt. Ob Mann oder Frau konnte Seth nicht erkennen, aber die völlige Regungslosigkeit des Gefangenen beunruhigte ihn. Es würde schwer werden einen Verletzten zu transportieren, zumal er weder Medikamente noch Verbandszeug dabei hatte. „Und mein Pferd wird kaum in der Lage sein, zwei Personen über so eine lange Strecke zu tragen. Zumindest nicht ohne häufige Pausen. Aber mit etwas Glück…“ Doch seine Hoffnungen wurden enttäuscht. Statt weiterer Pferde fand er nur drei schwer beladene Kamele vor. Für lange Reisen sicher sinnvoll; für eine schnelle Flucht jedoch denkbar ungeeignet. Seth verzog das Gesicht. Die Luft roch nach Alkohol und Schweiß. Er war ziemlich sicher, dass die Männer schon einige Krüge Bier intus hatten. „Gut. Das erhöht meine Chancen. Wenn ich noch ein wenig warte, schlafen sie eventuell ja ein. Das würde die Sache noch mal erleichtern. Und für den absoluten Notfall habe ich auch noch Duos. Obwohl ich das hier lieber alleine zu Ende bringen würde. Duos Beschwörung würde mich nur wertvolle Kraft kosten.“ Der Größte der Männer rülpste erneut. Seine Kameraden schlugen sich grölend auf die Schenkel und schenkten ihm noch mal einen kräftigen Schluck nach. Seths Blick verfinsterte sich. Die Burschen waren offenkundig ziemlich trinkfest. Leise setzte er sich ins weiche Gras und wartete. Er würde sich wohl oder übel in Geduld üben müssen. Hier, so nahe an den Menschenhändlern, kamen unerwünschte Erinnerungen in ihm hoch. Erinnerungen, die er lieber bis in alle Ewigkeit verdrängt hätte. Die fremden Hände auf seinem Körper, die Strafen, der Hunger und der Durst. Das Gefühl, der Willkür fremder Menschen, die einen wie Vieh behandelten, ausgeliefert zu sein. Er hatte Atemu erzählt, wie er damals in Gefangenschaft geraten war. Der Pharao hatte angesichts der Umstände gelacht und sich gewundert, wie kurz Seths Leben als Sklave gewesen war und obwohl der junge Priesterschüler es niemals laut gesagt hatte, so hatte ihn die Unbekümmertheit des Pharaos doch verletzt und bedrückt zugleich. „Auch wenn ich nur kurz Sklave war, macht das die ganze Sache nicht weniger erniedrigend und schmerzhaft. Zu sehen, wie andere Sklaven, andere Menschen, die einfach zu schwach waren, langsam vor sich hin siechten bis der Tod sie endlich erlöste. Zu fühlen, wie der Hunger einem langsam den Verstand raubt und die Schläge...alles erdulden zu müssen, ohne sich wehren zu können. Und dann, als man mich herrichtete...wie ein Tier auf dem Markt vorgeführt und zum Verkauf dargeboten. Dieser Mann, der mich haben wollte. Seine Hände...überall auf mir, in mir, um zu sehen, ob ich seinen Ansprüchen genügen würde. Nein, das wünsche ich keinem.“ Zitternd schlang er seine Arme um seinen Körper und kniff die Augen zusammen. Er atmete einige Mal tief durch. Ein ungebetenes Bild von einem kleinwüchsigen Pharao mit lächerlichem Haar kam ihm in den Sinn und er keuchte überrascht. „Letztendlich ist es doch egal, wie sehr mir die Berührungen anderer zuwider sind; diese Einsamkeit ist so viel schlimmer. Atemu, du Idiot. Da könnte ich dich jetzt einmal brauchen...und wo bist du? In Sicherheit, in deinem Palast, umringt von deinen Dienern, die der jeden Wunsch von den Augen ablesen. Verflucht, wie konnte ich dich nur jemals so weit in mein Herz lassen? Nein, ich darf jetzt nicht an ihn denken. Ich muss mich konzentrieren.“ Er blickte vorsichtig in Richtung der Händler, die inzwischen ein lautes und überaus schiefes Lied angestimmt hatten. Das Feuer war schon fast ausgebrannt, aber es dauerte trotzdem noch eine ganze Weile, bis der erste der Männer schließlich selig schnarchend einschlief. Und noch länger, bis auch der zweite endlich im Reich der Träume versank. Nur der dritte machte keine Anstalten, sich zur Ruhe zu begeben, sondern hatte wohl die Aufgabe der Nachtwache übernommen. Herzhaft gähnend stand der Mann auf, kratzte sich am Rücken und ging dann etwas abseits des Lagers auf eine kleine Palme zu, löste seinen Schurz und verrichtete seine Notdurft. Seth richtete sich langsam auf, näherte sich behutsam und mit gesenkter Haltung dem Händler, der mit dem Rücken zu ihm stand. Der Mann war zwar größer und stärker gebaut als Seth, doch dafür hatte dieser das Überraschungsmoment auf seiner Seite. Mit einem kräftigen Handkantenschlag setzte er den Mann außer Gefecht, der lautlos zusammenbrach. Seth warf einen gehetzten Blick nach hinten; vergewisserte sich, dass die anderen Männer immer noch schliefen und schlich sich dann zu dem Gefangenen. Besser gesagt zu der Gefangenen, wie er nun grimmig feststellen konnte. Das Gesicht der Frau war auf ihre Arme gebettet und lag im Schatten, so dass er es nicht genau erkennen konnte, doch ihre zerfetzte Kleidung gab ihre Beine und einen Teil ihres Oberkörpers frei und Seth konnte im fahlen Mondlicht gut die vielen Schürfungen und Quetschungen erkennen. Die Händler waren wohl nicht gerade zimperlich mit der Frau gewesen. Der Priester fühlte die Wut in sich aufsteigen. Mit fahrigen Händen machte er sich daran, die strammen Fesseln um die zierlichen Gelenke des Mädchens zu lösen. Die Stricke um ihre Handgelenke bekam er noch auf, aber bei ihren gefesselten Beinen musste er schließlich kapitulieren. Mit einer Hand wischte er sich den Schweiß von der Stirn. „So hat das keinen Zweck. Ich brauche ein Messer.“ Auf Zehenspitzen schlich er zurück zu den schlafenden Sklavenhändlern. Er musste nicht lange suchen. Jeder der Männer trug einen deutlich sichtbaren Dolch am Gürtel und Seth nahm schnell einen an sich. Nachdem er auch den letzten Strick durchtrennt hatte, warf er das Messer achtlos zur Seite. Die Haut an den vormals gefesselten Stellen war rau und blutig und Seth strich, tief in Gedanken versunken, sachte mit den Fingerspitzen über eine besonders schmerzhaft aussehende Wunde. Die Frau gab einen protestierenden Laut von sich und Seth zog schnell seine Hand zurück. Für einen Moment verharrte er bewegungslos. Dann jedoch beugte er sich über die stille Gestalt und schüttelte sie sanft. Es war ein Stöhnen zu vernehmen und endlich öffnete die Frau auch ihre Augen, blinzelte verwirrt und sog überrascht einen Schwall Luft ein. Seth legte ihr seinen Finger auf die Lippen und gebot ihr so Schweigen. Das Mädchen nickte zögerlich und ließ sich von Seth auf ihre wackeligen Beine ziehen; die ganze Zeit über ihn eingehend, fast prüfend, betrachtend. „Kannst du alleine gehen?“, wollte er leise wissen und die junge Frau schüttelte ihren Kopf; schien schon bei dem bloßen Gedanken daran unter ihrem eigenen Gewicht einknicken zu wollen. Seth verdrehte die Augen und legte vorsichtig ihren Arm um seine Schultern. Sie so stützend versuchte er einige Schritte mit ihr zu gehen, doch auch das erwies sich als zwecklos. Sie zitterte heftig und wäre, wenn Seth sie nicht fest umklammert hätte, kraftlos auf dem Boden zusammengesackt. Der junge Priester seufzte geschlagen. Langsam setzte er das Mädchen ab, kniete sich mit dem Rücken zu ihr und blickte sie über seine Schulter hinweg an. „Klettere auf meinen Rücken. Ich werde dich tragen. Und halt dich gut fest, okay?“ Das Mädchen nickte zwar unsicher, kam aber immerhin Seths Befehl nach und schlang ihre Arme um seinen Nacken und ihre Beine um seine Hüfte. Schwankend richtete er sich auf, trat einen ungeschickten Schritt nach vorne und errötete leicht. Es war einfach so ein ungewohntes Gefühl...Die Wärme der Frau, die er selbst durch sein Gewand hindurch auf seinem Rücken spüren konnte. Ihre weichen Brüste, die sich eng an seinen Körper schmiegten. Ihre langen Haare, die über seine Haut strichen. Ihr warmer Atem, der ihm im Nacken kitzelte. Und dabei dieses unbestimmte Gefühl der Vertrautheit... „Ist alles in Ordnung?“, riss ihn plötzlich die besorgte Stimmte des Mädchens aus seinen Gedanken und zurück in die Wirklichkeit. Seth brummte. Je schneller er die Frau wieder los sein würde, desto besser. Seine Gefühlswelt war schon das reinste Chaos; noch mehr Wirrwarr in seinem Leben konnte er nun wirklich nicht gebrauchen. Und dieses Mädchen bedeutete auf jeden Fall Ärger. Wenn er sich nur nicht auf so unerklärliche Weise zu ihr hingezogen fühlen würde... „Ich glaube, dass wir uns schon einmal begegnet sind. Ja, ich bin mir sogar ganz sicher. Aber wo? Und wann? Vielleicht ein Mädchen aus meiner Kindheit? Aus meinem Dorf? Nun gut, ich weiß nicht, wer du bist, aber das werde ich noch herausfinden!“ Sie schafften es problemlos zu Seths Versteck zwischen den Felsen. Sein Pferd wieherte freudig zur Begrüßung und der junge Mann klopfte ihm den Hals. Dann wandte er sich an die Frau. „Ich gehe noch mal kurz zurück. Du wartest solange. Es wird nicht lange dauern.“ Sie sah ihn gleichermaßen entsetzt wie ungläubig an. „Du willst wirklich noch einmal zurück? Aber warum? Das ist doch viel zu gefährlich!“ „Ach was. Ich bin schon vorsichtig. Außerdem bin ich gleich wieder da. Und wenn nicht...wenn ich nicht zurück bin, ehe der Morgen angebrochen ist, dann nimm mein Pferd und flieh. Reite Richtung Südosten. Memphis liegt dort. Da bist du in Sicherheit. Meine Vorräte reichen solange noch. Also mach dir keine Sorgen.“ „Aber...“, versuchte sie es erneut, stieß bei Seth jedoch nur auf taube Ohren. Die Befreiung des Mädchens hatte sich im Endeffekt als wesentlich leichter herausgestellt, als er gedacht hatte, doch jetzt wollte er noch sichergehen, dass auch ihre Flucht reibungslos klappte. Bei der Oase angekommen, war das Feuer mittlerweile völlig ausgebrannt. Die Männer lagen immer noch am Boden, zwei schlafend und der dritte bewusstlos. Seth hielt sich nicht lange mit ihnen auf, sondern steuerte zielstrebig auf die Kamele zu. Mit flinken Händen löste er die Knoten, welche die Tiere an einen Baum fesselten, als ihn plötzlich eine tiefe Stimme in seiner Arbeit unterbrach. „Was in Seths Namen tust du da?“ Ertappt zuckte der Priester unmerklich zusammen. „Mist. Warum konnte der nicht einfach weiterschlafen?“ Langsam drehte er sich um. Einer der Männer, natürlich ausgerechnet der größte und kräftigste von ihnen, stand nun direkt vor ihm. Der Blick des Händlers war vom Alkohol getrübt und sein Gang wackelig, doch in einer Hand hielt er ein kleines Messer, welches er nun auf Seths Herz richtete. Dieser hob abwehrend die Hände und setzte seine unschuldigste Miene auf. „Der Knoten hat sich gelöst. Ich wollte nur die Kamele wieder richtig festbinden; nicht, dass sie euch noch davonlaufen. In dem Fall säßest ihr hier nämlich rettungslos fest, und das will ja keiner, nicht wahr?“ Das musste der Mann erst einmal verarbeiten. „F-festbinden?“, fragte er staunend, woraufhin Seth bedächtig nickte. „Ja, festbinden“, bestätigte er und zuckte gelangweilt mit den Schultern. Der Mann betrachtete Seth aus zusammengekniffenen Augen und kam noch einen bedrohlichen Schritt näher. Er knurrte bösartig. „Ich bin zwar betrunken. Aber so betrunken nun auch wieder nicht!“ Seth seufzte in gespielter Enttäuschung. „Nicht? Schade aber auch.“ Noch ehe der Mann reagieren konnte, hatte ihm Seth schon sein Knie in den Bauch gerammt. Der Händler brüllte, ließ das Messer fallen und hielt sich seine schmerzende Magengegend; erholte sich aber rasch und schlug Seth mit der Faust so kräftig ins Gesicht, dass dieser laut aufschrie. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen und er funkelte den Mann racheverheischend an. Seine Nase blutete und Seth hoffte inständig, dass sie nicht gebrochen war. Er betastete sie vorsichtig. Es tat zwar höllisch weh, aber abgesehen davon schien sie soweit wohl in Ordnung zu sein. Dennoch war der junge Priester stinksauer. „Das kriegst du wieder“, flüsterte er bedrohlich und der Händler grinste hämisch und entblößte dabei seine gelblichen Zähne. „Versuchs doch, du kleine Ratte!“ „Das kannst du haben! DUOS!“ Mit gezücktem Schwert erhob sich das Monster über seinem Herrn. Der Händler gab einen krächzenden Laut von sich, doch sein Schrecken verflog schnell und Seth runzelte die Stirn. Etwas mehr Überraschung hatte er eigentlich schon erwartet... „So, so. Du hast also ein Ka-Monster. Hm, du kleine Ratte bist ja vielleicht doch nicht so wertlos, wie ich zuerst dachte...“ „Was soll das denn heißen?“ Der Mann feixte und legte sich eine Hand auf seine breite Brust. „Huh, huh, huh. Da ist die kleine Ratte ratlos, was? Nun denn, du kannst dich geehrt fühlen. Eigentlich wollte ich dich ja umbringen, aber dein Monster ändert alles. Lebend bist du um einiges wertvoller. Zwei Gefangene mit einem starken Ka an einem Tag. Die Götter scheinen mir wohlgesonnen zu sein.“ Der letzte Part war kaum mehr als ein Flüstern und das Gesicht des Mannes spiegelte einen eigenartigen, gierigen Glanz wieder. Seth schluckte nervös. Der Mann machte irgendwie den Eindruck, als wisse er ganz genau, dass er schon gewonnen hatte. Duos jedenfalls sah er offensichtlich nicht als Gefahr an. Stattdessen schnalzte er nur zufrieden mit der Zunge und musterte Seth von oben bis unten ganz genau. Dieser blickte nur kalt zurück, putzte sich mit dem Ärmel seines Gewands notdürftig das Blut ab und nahm unbewusst eine defensive Stellung an. Er hatte keine Ahnung, wovon der Mann sprach, aber es ließ ihn nichts Gutes erahnen. „Er hat noch nicht gemerkt, dass das Mädchen weg ist. Verdammt, ich sollte sie nicht hier mit reinziehen, aber ich muss einfach wissen, worum es eigentlich geht!“ Bemüht gleichgültig straffte Seth seine Schultern. „Hat dir das viele Bier die Sinne vernebelt? Bevor du den Göttern dankst, solltest du dich vielleicht erst einmal genau umschauen. Ich bin noch lange nicht dein Gefangener! Und was deinen anderen betrifft...der Hellste bist du wohl wirklich nicht, was?“ Der Mann beäugte Seth misstrauisch. „Wovon redest du?“, fragte er düster und sah sich wachsam um. Als sein Blick auf die Stelle fiel, wo sich einstmals seine Gefangene befunden hatte, schrie er laut auf. „Warst du das, du kleine Ratte?!“, spuckte er dermaßen heftig, dass ihm der Speichel nur so vom Kinn tropfte. Seth erlaubte sich ein spöttisches Lächeln und für einen Moment starrte ihn der Händler nur stumm an, dann aber warf er den Kopf zurück, lachte aus vollem Hals und grinste abartig. „Zugegeben. Du hast es geschafft, die Kleine zu befreien. Aber glaub nur nicht, dass du damit schon gewonnen hättest. Weit kann sie nicht sein. Erst besiege ich dich...und dann hole ich mir das Mädchen wieder!“ „Nur zu. Versuch dein Glück.“ Aus den Augenwinkeln beobachtete Seth verstohlen Duos, der immer noch beschützend neben ihm stand und nur darauf wartete, endlich angreifen zu dürfen. Der Mann bemerkte Seths Blick. „Dein Monster wird dir nichts nützen“, informierte er ihn gelassen und hatte dabei wieder diesen selbstgefälligen Ausdruck in den Augen. „Viel eher wird es dein Untergang sein. Du kannst also gleich aufgeben. Du wirst dir dadurch ne Menge Schmerzen ersparen.“ „Auf deine Ratschläge pfeif ich!“, giftete Seth zurück und wollte gerade Duos den Angriff befehlen, als der Mann einige Worte vor sich hin sagte, erst leise und dann immer lauter, bis sie fast einem Donnern gleichkamen. Zeitgleich fühlte Seth ein schmerzhaftes Reißen in seiner Brust, krümmte sich keuchend zusammen und hatte das Gefühl, als ob sein Herz zerquetscht werden würde. Er schrie gequält, ekelte sich vor sich selbst dafür und konnte dennoch nichts anders. Unsanft fiel er auf die Knie; sah verschwommen Duos an seiner Seite, der ebenfalls zu Boden ging; gehalten von Fesseln aus Licht, die sich mehr und mehr um seinen Körper schlangen und ihm jegliche Bewegungsfreiheit raubten. Ächzend versuchte Seth sich wieder aufzurichten, doch der Mann trat ihm kraftvoll gegen sein Knie und er knickte sofort wieder um; fiel flach hin und blieb schwer atmend liegen. Über sich hörte er ein zufriedenes Schnalzen. Der Mann beugte sich zu ihm herunter und betrachtete ihn interessiert. „Na, tut’s weh? Selbst schuld. Ich hatte dich ja gewarnt“, wisperte er vergnügt und Seth stützte sich auf seine Arme; konnte so wenigstens seinen Kopf heben und dem Mann ins Gesicht sehen. „W-was hast du gemacht?“, fragte er leise und unterdrückte einen erneuten Schmerzensschrei. Der Mann legte sich einen Finger auf sein Kinn und starrte Seth lange an. Dann grinste er, trat einen Schritt auf den gefesselten Duos zu und trat ihm in die Seite. Das Monster brüllte markerschütternd und auch Seth musste aufschreien. Der Händler trat nochmals zu; noch stärker als vorher und Seth konnte die Rippen seines Monsters knacken hören. Er selbst biss sich auf die Lippen, bis sie aufrissen; hustete qualvoll und schmeckte den metallischen Geschmack von Blut in seinem Mund. Keuchend lag er auf dem Boden; wollte erneut aufstehen und musste entsetzt erkennen, dass er sich vor Schmerzen kaum mehr rühren konnte. Gelassen setzte sich der Mann vor ihm ins Gras; packte den jungen Priesterschüler am Kinn und hob dessen Kopf an. „Verstehst du nun?“, verlangte er ungeduldig zu wissen und Seth nickte leicht. Der Händler schnaubte amüsiert. „Bist wohl ein ganz Schlauer, was? Also gut, was glaubst du denn?“ Er packte Seth noch fester, so dass dieser die Fingernägel des Mannes deutlich auf seiner Haut spüren konnte und leise stöhnte. Nur mit Mühe widerstand Seth dem Drang, seinen Kopf zur Seite zu drehen. „Du hast irgendetwas mit meinem Monster gemacht...einen...einen Spruch...und was Duos an Leid widerfährt, das fühle ich auch...so wie sonst auch…nur diesmal...so viel stärker als normalerweise.“ Der Mann betrachtete ihn zufrieden. „Sehr gut“, lobte er und ließ Seth wieder los. „In der Tat: Es handelt sich um einen Spruch. Ka-Monster selbst existieren nur aus der Magie heraus und diese kann man manipulieren. Man muss nur wissen wie. Die Fesseln um deinen Duos rauben ihm seine Energie und Kraft. Und damit auch dir. Daher die verstärkten Schmerzen. Also, wie wär’s, wenn du dein Monster nun wieder verschwinden lässt, hm? Sei ein braver Gefangener und hör auf, dich zu wehren. Am Ende tust du dir ja doch nur selbst weh. Und das wäre doch außerordentlich schade, denn immerhin musst du mir doch noch verraten, wo du die Kleine gelassen hast.“ Trotz seiner Schmerzen gelang Seth noch ein abgehacktes, freudloses Lachen. „Glaubst du im Ernst, dass ich dir einfach so das Mädchen ausliefern werde? Ha! Lieber krepier ich hier!“ „Das ist nicht komisch, du kleine Ratte!“ Der Mann hob drohend eine Hand in die Höhe, murmelte wieder diese merkwürdigen, fremden Worte und sofort löste sich ein Teil der Fesseln um Duos, schwebte noch kurz in der Luft, nur um dann mit einem gewaltigen Schlag auf das Monster zurückzupeitschen. Duos brüllte und auch Seth schrie gepeinigt. Er glaubte zu fühlen, wie warmes Blut seinem Rücken runter ran und kniff fest die Augen zusammen, um seine aufkommenden Tränen zu verbergen. „Und wenn er mir die Haut von den Knochen prügelt, ich werde mir keine Blöße geben! Nicht vor so einem!“ Ein erneuter Schlag zerpeitschte die Luft, zerfetzte Duos Flügel und raubte ihm und seinem Herrn für einen Moment die Sinne. Und es folgte noch einer. Und noch einer. Jedes Mal begleitet von einem lauten, schmerzgetränkten Schrei. Dann war es vorbei. Schwer atmend krümmte sich Seth zusammen und krallte seine Finger ins Gras. Viel Zeit zum Ausruhen bekam er nicht. „Wo ist das Mädchen?“, wiederholte der Händler wütend und packte erneut Seths Kinn. Plötzlich jedoch wurde sein Ton ruhiger, fast tröstlich. „Auch wenn du es mir vielleicht nicht glaubst, aber das hier...“, er berührte sachte Seths geschundenen Rücken, woraufhin dieser zusammenzuckte. „...macht mir wirklich keine Freude. Du bist nur lebend und möglichst unverletzt wirklich von Nutzen für mich.“ „Na, welch Glück für mich...“ Der Händler ignorierte Seths Einwurf, streichelte ihm stattdessen über eine Wange und lachte leichthin. Seth knurrte angewidert. „Nimm deine Finger von mir!“ „Hm, wie du willst.“ Grinsend trat der Mann zurück, hob seinen Fuß und stellte ihn auf Seths rechte Hand. „Ist es so genehm, der Herr?“ Er drückte leicht zu und beugte sich dicht an Seths Ohr. „Ich sage es dir zum letzten Mal: Wenn du nicht kooperierst, werde ich keine Gnade walten lassen. Also, gib endlich auf und verrat mir, wo die Kleine ist. Du musst dich doch nicht weiterquälen.“ Seth verzog das Gesicht. „Wer hier wohl wen quält...ich mich selbst bestimmt nicht.“ Trotzdem würde er das Spielchen mitspielen. Vorerst. „Was hast du eigentlich mit uns vor? D-dem Mädchen und mir?“, wollte er wissen und der Mann brummte tief. „Bist ja gar nicht neugierig, was? Na schön, es ist kein großes Geheimnis. Wir, also meine Kameraden und ich, sind Ka-Jäger. Keine einfachen Menschenhändler, nein, unsere Ware ist etwas spezieller geartet.“ „Ka-Jäger?“, echote Seth verständnislos und sah den Mann verwirrt an. „Davon habe ich noch nie gehört.“ „Richtig“, bestätigte der Mann und trat etwas Dreck in Duos Richtung. „Ich hasse diese Viecher“, murmelte er wohl mehr zu sich selbst und räusperte sich dann. „Ich jage und verkaufe Menschen mit einem starken Ka. Nicht ganz ungefährlich, das Ganze. Aber ich kann doch sagen, dass ich mein Fach recht gut beherrsche. Oder würdest du mir da etwa widersprechen wollen?“ Er sah Seth arrogant an, der sich jedoch ausschwieg. Da keine Antwort kam, übernahm wieder der Händler das Reden. „Wir hatten schon seit Monaten keine Beute mehr. Du und das Mädchen kamt wirklich im rechten Augenblick. Der Pharao wird gut für euch zahlen.“ Seths Augen weiteten sich vor Entsetzen. „Der Pharao? Atemu?! Nein, er hat doch nicht...er hat nie was von Ka-Jägern gesagt. Das kann doch nicht sein?! Er würde niemals…“ „Was ist jetzt? Rufst du dein Monster zurück?“, fragte der Mann ungeduldig und Seth starrte ihn nur für einen langen, bangen Moment wortlos an. Schließlich jedoch nickte er schwach. Der Mann gluckste. „Na siehst du. Geht doch. Bist ein braver Jun...“ „Verdammte Scheiße! Was ist hier los?! UMMAR!“ Sowohl Seth als auch der Ka-Jäger blickten sich verwirrt um. Ein weiterer der Ka-Jäger kam mit weit ausladenden Schritten auf sie zugesteuert und der junge Priester nahm mit Interesse wahr, wie sich die Stirn des Händlers neben ihm in tiefe Zornesfalten legte, bevor dieser schnell aufstand und entschlossen seinem Kameraden entgegenging. „Spinnst du, Khem? Was schreist du hier so rum?“, fauchte er sauer und richtete sich dann bedrohlich zu seiner vollen Körpergroße auf. Khem jedoch kümmerte das nicht. Sein Körper zitterte vor Wut und seine Augen spiegelten die pure Mordlust wider. „WAS SOLL DIESE SCHEIßE HIER?“, brüllte er aufgebracht und kam abrupt vor Ummar zum Stehen. „Was soll das? Das Mädel ist weg und Kham ist bewusstlos! KHAM!“ „Jetzt sei mal endlich ruhig! Und du da!“, wurde Seth vorwurfsvoll von Ummar angeglotzt. „Hast du zufälligerweise was damit zu tun?“ „Hm, lass mich mal überlegen. Was wäre denn wenn?“ Für den Augenblick sogar alle Gedanken an Atemu oder seine Schmerzen vergessend, legte Seth grinsend seinen Kopf zur Seite. Khem schnaubte. „Du Bengel hast meinen Bruder angegriffen? DU BENGEL HAST ES GEWAGT?! DAFÜR WERDE ICH DICH UMBRINGEN! HÖRST DU?! UMBRINGEN!“ Seth blieb gelassen; selbst dann noch, als ihn Khem am Gewand packte und unsanft hochzog. Doch noch bevor Khem mehr tun konnte als böse zu zischen, mischte sich auch schon Ummar ein. „Niemand darf deiner Familie was tun, Khem. Das weiß ich. Aber so gern ich dir auch deine Rache lassen würde: Ich kann es leider nicht. Den Jungen brauche ich lebend, also lass ihn los.“ „NEIN!“ Das ist nicht deine Sache, Ummar, sondern meine! MEINE! Ich bringe die kleine Drecksau um. Hörst du? Dazu brauch ich nicht deine Erlaubnis!“ „Hör auf mit dem Geschrei! Ich bin nicht taub!“ Bemüht ruhig deutete Ummar auf Duos. „Siehst du das? Das ist ein Ka-Monster. Unsere Aufgabe ist es, Leute mit Ka-Monstern zu fangen. Ergo, diesen Jungen hier. Also lass ihn los, bevor ich mich vergesse.“ Khem warf Seth achtlos zu Boden. „Soll das eine Drohung sein? Hä? Hast du wirklich den Mumm dazu?“ Grinsend befingerte er das Messer an seinem Gürtel und Seth, jetzt nicht mehr Mittelpunkt des Geschehens und äußerst froh darüber, warf einen kurzen Blick auf Ummar; erkannte, dass dieser sehr wohl den nötigen ‚Mumm’ besaß und diesen auch einzusetzen gedachte. Seth lächelte zufrieden. Mit ein wenig Glück würden sich die zwei Spinner gegenseitig umbringen oder zumindest schwer verletzen. Was ihm mehr als nur ein wenig gelegen kommen würde. Leider wurde er enttäuscht. Außer viel heißer Luft war von Khem nicht viel zu erwarten, denn nachdem er ein Weilchen unruhig von einem Fuß auf den anderen gewippt war, knurrte er schließlich geschlagen. „Schön. Ich werde ihn nicht töten. Aber büßen wird er trotzdem!“ Mit einem widerwärtigen Grinsen näherte er sich Seth, doch Ummar war schneller. Er packte seinen Kameraden flink an den Schultern und stieß ihn nieder, was Khem mit einem lauten Aufjaulen quittierte und dem Versuch, nach dem viel größerem Ummar zu schlagen und zu spucken. Der hatte genug von dem Elend und stellte seinen Partner mit der ihm eigenen, äußerst effektiven Methodik ruhig: Einem kraftvollen Tritt in den Rücken. „Ich brauche ihn unverletzt“, erklärte Ummar erneut und seine ohnehin schon dunklen Augen wirkten nun fast schwarz. Seth fühlte einen merkwürdigen Anflug von Dankbarkeit und hasste sich noch im gleichen Moment dafür. „Ohne diese Mistkerle wäre ich überhaupt nicht in dieser Situation!“ Doch so einfach wollte Khem nicht aufgeben. Er schrie und keifte, schlug und trat um sich. Ummar hatte sichtlich Mühe, den wild strampelnden Mann festzuhalten. Schließlich verbiss sich Khem in Ummars Arm. Der lockerte vor Überraschung seinen Halt und Khem nutzte die Gelegenheit, um ihm seinen Ellbogen in den Magen zu rammen. Ummar keuchte und Khem stieß ihn hart zur Seite; kämpfte sich frei und war in Windeseile bei Duos. Er grinste gehässig und schlug dem Monster seine Faust ins Gesicht. Duos Kopf ruckte zur Seite; er knurrte qualvoll und auch Seth stöhnte leise. Khems Augen weiteten sich vor Entzücken und er schlug noch mal zu, immer weiter angespornt von Seths Schreien, der verzweifelt darum kämpfte, nur nicht das Bewusstsein zu verlieren. „Wenn ich ohnmächtig werde, ist alles aus! Ich muss mich zusammenreißen! Ich muss mich unbedingt...“ Plötzlich stoppten die Schmerzen. Ein gewaltiges Brüllen ließ den Boden erbeben; tönte in seinen Ohren und ließ ihm fast das Trommelfell platzen. Mühevoll rappelte sich Seth auf die Knie. Und keuchte auf vor Schock. Ein großer, weißer Drache erhob sich über ihnen; zerpeitschte mit seinen riesigen Schwingen die Luft und zog mit seinem schuppigen Schwanz tiefe Furchen in den heißen Wüstensand. Erneut öffnete der Drache sein Maul; diesmal jedoch nicht um zu brüllen, sondern um anzugreifen. Ein blendend greller Lichtblitz schoss aus seinem Rachen hervor, riss die Erde noch weiter auf und verfehlte nur knapp die Ka-Jäger. Khem ächzte und quiekte gleichzeitig; versuchte vergeblich, sich in Sicherheit zu bringen, während Ummar bloß regungslos dastand und sich nicht rühren konnte. Auch Seth betrachtete das riesige Ungetüm nur staunend und voller Ehrfurcht. „Ich kenne diesen Drachen. Ich habe ihn schon einmal gesehen. Das ist der Drache, der mich auch damals schon gerettet hatte. Genau der!“ Khem fluchte und schleuderte blindlings seinen Dolch in Richtung des Monsters; traf aber nur Leere und sah sich hektisch nach einer anderen Waffe um. Sein Blick viel auf Ummar. „Mach was! Du bist doch hier der große Jäger!“, schrie er aufgebracht; doch sein Kamerad bewegte sich einfach nicht. Khem versuchte es alleine, sagte seinen Spruch auf und tatsächlich schlangen sich goldene Fesseln um den Körper des Drachens. Doch dieser knurrte nur ungehalten; schlug kräftig mit den Flügeln und schüttelte die Lichtfesseln wie lästige Fliegen einfach ab. Khem starrte ihn entsetzt an und versuchte dann zu fliehen. Der Drache folgte ihm mühelos und versetzte Khem noch im Flug mit seinem riesigen Kopf einen Schlag, so dass dieser mit einem dumpfen Geräusch lang gestreckt auf den Boden fiel. Die Krallen des Drachen hielten ihn bewegungslos auf der Erde fest. In Verzweiflung schlug Khem nach ihm und biss sogar in die ledernde Haut, doch der Drache schnaufte nur unbeeindruckt; nahm Khem schließlich zwischen seine kräftigen Kiefer und schüttelte heftig sein Haupt. Dann ließ er plötzlich los. Khem flog durch die Luft und schlug kreischend auf dem Boden auf. Sein rechtes Bein war gebrochen und mit letzter Kraft wollte er in Sicherheit robben, aber der Drache ließ ihm keine Chance und feuerte einen erneuten Lichtblitz ab. Khem winselte und tobte; stand in Flammen, versuchte vergeblich, das Feuer zu ersticken und das Monster kannte keine Gnade. Eine weitere Attacke später war von dem Ka-Jäger nichts mehr übrig als ein Häuflein Asche, welches sicher der nächste kräftige Windstoß davon wehen würde. Seth kümmerte es nicht. Gebannt starrte er auf den Drachen; nahm nur beiläufig, fast wie in Trance, Khems Tod zur Kenntnis. Erst als sich das Monster ihm zuwandte, kam er wieder zu Sinnen und trat einen unsicheren Schritt nach hinten. Der Weiße Drache brummte leise; machte aber keine Anstalten, sich Seth zu nähern. „Du willst mir nichts tun, oder?“, fragte Seth vorsichtig und das Ungetüm schnaubte sachte. Seth lächelte leicht. „Ich deute das einfach mal als Zustimmung, hm?“ Der Drache ließ ein beruhigendes Grummeln vernehmen; ruckte dann aber plötzlich seinen Kopf in die Höhe und fixierte einen Punkt hinter Seth. Dieser drehte sich neugierig um. Und sah es nun auch. Ummar war weg. Genauso wie eines der Kamele. Weit war der Ka-Jäger bestimmt noch nicht gekommen. Der Drache würde ihn problemlos einholen können... „Andererseits hat er mir geholfen, zwar nur aus Eigennutz, aber trotzdem. Na fein, Ummar. Dein Leben für das meinige.“ Müde blickte er den abwartend dreinschauenden Drachen an. „Lass ihn laufen“, meinte er knapp und der Drache schnaubte noch einmal, bevor er in einem Regen aus grellen Lichtfunken verschwand. Seth stand noch einige Minuten nachdenklich da, seufzte erschöpft und beorderte seinen, inzwischen von den Fesseln befreiten, Duos zurück. Der letzte verbliebene Jäger war immer noch bewusstlos, doch Seth hatte weder die Kraft noch die Lust, sich mit ihm zu befassen und ließ ihn einfach unbehelligt liegen. Das Mädchen hatte jetzt Vorrang und er hatte sie schon lange genug warten lassen. Außerdem ging die Sonne bereits auf und er wollte nicht riskieren, dass sie ohne ihn losritt. --------------------- Kapitel 33: Unsicherheiten -------------------------- AN: Die im letzten Kapitel angesprochenen Ka-Jäger tauchten das erste Mal in Kapitel 1 als Erwähnung des Händlers auf. Die nächsten Kapitel werden sich mit dem Aufklären diverser Punkte der vergangenen Kapitel beschäftigen, z.B. Aknadin und sein Stimmchen, Kisara, Cassandra und natürlich ganz allgemein Atemu und Seth und die Frage, ob ich die zwei jemals zusammenkriege XD --------------------- Kapitel 33 – Unsicherheiten Das Mädchen stieß einen entsetzten Schrei aus, als sie Seths geschundenem Körper Gewahr wurde. Der Priesterschüler konnte sich kaum noch auf dem Kamel halten und drohte bereits herunterzufallen, als sie ihn packte und vorsichtig von dem großen Tier hinunterzog. Seth stöhnte leise und die junge Frau betrachtete ihn besorgt. „Was ist denn nur passiert?“, fragte sie und fuhr mit zittrigen Händen sanft über sein Gesicht, um dort die schweißgetränkten Strähnen zur Seite zu streichen. Seth hustete und schob sie ein Stückchen von sich. „Die Ka-Jäger...sie...das ist alles nicht so gelaufen, wie ich gehofft hatte. Aber es ist okay jetzt. Mach dir keine Sorgen. Es ist ...okay.“ „Wirklich?“, entgegnete das Mädchen unsicher; der Zweifel in ihrer Stimme deutlich hörbar. Seth atmete erschöpft. „Ja, wirklich. Ich wurde gerettet.“ Plötzlich richtete er sich auf. Er schwankte immer noch gefährlich, doch das war ihm im Augenblick so ziemlich egal. Seine Gedanken waren ohnehin auf etwas anderes gerichtet. Aufmerksam betrachtete er die Frau vor ihm. „Wie ist dein Name?“, wollte er wissen und das Mädchen zuckte zusammen. Sie öffnete ihren Mund, doch statt Worte kamen nur undeutliche Laute heraus und auch ihre Augen waren furchtgeweitet. Dann senkte sie den Kopf. „Kisara“, flüsterte sie endlich. „Kisara.“ „Kisara...“, wiederholte Seth langsam, testete das Wort, den Klang, auf seiner Zunge und wurde dabei wieder von dieser seltsamen Vertrautheit übermannt. „Wir kennen uns, nicht wahr? Wir sind uns schon einmal begegnet, oder?“ Die Frau kaute nervös auf ihrer Unterlippe. „Ja“, gab sie schließlich zu und schenkte ihm ein unsicheres Lächeln. „Und du bist Seth. Ich habe dich gleich erkannt. Ich hätte dich überall erkannt. Du bist der Junge, der mich damals vor den Banditen gerettet hat…als ich gefangen genommen worden war. Und jetzt schon wieder. Ich....“ Ihre Stimme erstarb und sie begann zu zittern; schlang ihre Arme um ihre Knie und verbarg ihr Gesicht. Seth sah ihr betreten zu. Er hätte ihr so gerne geholfen, wusste aber einfach nicht wie. Frustriert ballte er seine Hände. „Verzeih mir.“ Diese Bitte kam so unvermittelt, dass Seth überrumpelt stutzte. „Was verzeihen?“ „Alles. Das hier. Einfach alles. Das ist nur meine Schuld. Schon wieder musstest du mich retten. Nur meinetwegen wurdest du verletzt. Weil ich so schwach bin. Was mit deinem Dorf passiert ist, das war auch meine Schuld. Die Menschen haben Recht. Ich bringe nur Unglück. Ich...“ „Hör auf damit! Niemand hat mich dazu gezwungen, dir zu helfen. Damals wie heute nicht. Es war ganz allein meine Entscheidung. Und die Menschen sind Idioten. Du bringst kein Unglück. Und schwach bist du auch nicht. Du..“, Er schluckte schwer und hob ihr Kinn gleichermaßen sanft wie ungeschickt etwas an. „Ein weißer Drache hat mich gerettet. Zum zweiten Mal jetzt. Und beide Male habe ich vorher dich getroffen. Kisara, sag mir bitte, ob dieser Drache deiner ist. Ist er dein Ka-Monster?“ „W-warum willst du das wissen? Das…“ Ihre Augen furchtgeweitet presste sie ihren Rücken dicht an den Stein hinter ihr und schüttelte heftig ihren Kopf. „Ich bin kein Monster. Das musst du mir glauben! Ich bin kein Monster!“ Seth betrachtete sie fassungslos. „Ich habe nie gesagt, dass du ein Monster bist! Ich will nur wissen, ob der Drache deiner ist. Ich mache dir doch keine Vorwürfe, ganz im Gegenteil!“ Behutsam packte er sie an den Schultern. „Dem Drachen verdanke ich mein Leben. Ich verurteile dich doch nicht.“ „Nicht?“, fragte Kisara hoffnungsvoll und Seth nickte ernst. „Nein, wirklich nicht.“ Als ob sie nur auf diese Worte gewartet hätte, zeigte sie ihm auf einmal ein strahlendes Lächeln, das sich auf ihrem ganzen Gesicht auszubreiten schien und auch in Seth ein warmes Gefühl zurückließ, welches er zwar nicht verstand, aber dennoch genoss. Und auch ihre Stimme, so ruhig und sanft, klang seltsam wohltuend in seinen Ohren; irgendwie beruhigend und machte es schwer, sich auf ihre nächsten Worte zu konzentrieren: „Ich bin nicht sicher, ob der Drache meiner ist. Ich glaube schon, aber ich kann ihn nicht kontrollieren. Wenn ich...also manchmal bei Gefahr, da erscheint er einfach. Ich sehe ihn dann deutlich vor mir, verliere jedoch immer kurz danach das Bewusstsein. Und wenn ich irgendwann wieder aufwache, ist der Drache bereits verschwunden.“ Sie legte sich eine Hand auf ihr Herz. „Ich fühle es tief in meiner Seele. Und es macht mir Angst. Die Ka-Jäger haben es auch gefühlt, doch ich konnte es nicht rufen. Aber bei dir...Du warst solange fort, dass ich Angst bekam. Deshalb habe ich mir gewünscht, dass der Drache kommt und dich beschützt. Ich habe es mir so sehr gewünscht.“ „Und er hat mich auch beschützt“, meinte Seth sachte und Kisara nickte. Eine Weile schwiegen sie sich an. Kisara strich sich eine Strähne ihres langen Haares hinter ein Ohr und Seth beobachtete sie fasziniert. „Habe ich was falsch gemacht?“, fragte sie verunsichert und Seth räusperte sich. „Nein, schon gut. Es ist nichts.“ Langsam stand er auf und schwankte dabei wieder bedenklich, so dass Kisara erschrocken ihre Arme nach ihm ausstreckte. „Deine Wunden. Bitte, lass mich dir helfen.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, machte sie sich auf der Suche nach Verbandszeug gleich an Seths Gepäck zu schaffen; fand dort aber nichts und ging als nächstes auf das Kamel zu, um die Beutel der Ka-Jäger nach etwas Brauchbarem zu durchwühlen. Ob ihres Treibens brummte Seth leise. Er war so lange bei den Ka-Jägern geblieben, dass er eigentlich fest damit gerechnet hatte, dass Kisara bereits weggeritten sei. Stattdessen jedoch war sie geblieben, hatte damit seinen ausdrücklichen Befehl allein zu Fliehen missachtet und sich zwischenzeitlich nicht einmal um ihre eigenen Verletzungen gekümmert. Und selbst jetzt gab sie Seths Wunden den Vorzug. „Ich möchte zu gerne wissen, wieso. Was hat sie davon?“ „Gefunden!“, rief Kisara plötzlich glücklich und hielt mit vor Freude strahlend roten Wangen etwas Verbandszeug in die Luft. Damit stolperte sie schnell zu dem verhalten grinsenden Seth zurück und zeigte ihm triumphierend ihre Beute, bestehend aus einigen Stoffbinden und einem Wasserbeutel. „Darf ich?“, fragte sie schüchtern und machte sich nach Seths Nicken auch gleich daran, ihm vorsichtig das Blut aus dem Gesicht zu waschen. Anschließend wollte sie ihm das Oberteil seines Gewandes ausziehen, als Seth plötzlich entschieden ihre Hände von sich wegdrückte. „Da ist nichts. Nur mein Rücken…“ Unsicher stoppte er. „Ich sollte sie das nicht sehen lassen. Die Schläge waren wirklich heftig. So etwas ist wahrlich kein Anblick für eine junge Frau.“ „Kisara...“, begann er langsam, doch diese, schon eifrig hinter ihn getreten, unterbrach ihn sofort. „Dein Gewand ist ganz sauber und heil. Keine Flecken zu erkennen. Kann ich den Stoff hochheben?“ Seth runzelte die Stirn. „Nichts zu sehen? Bist du sicher?“ „Eigentlich schon. Warte kurz“. Das gesagt, hob sie flink Seths Oberteil etwas an und betrachtete kritisch die Haut darunter. „Und?“, fragte Seth gespannt und drehte den Kopf soweit es ging nach hinten. Statt ihm zu antworten, ließ sie nur etwas Wasser über seinen Rücken laufen, wusch eine dünne Spur Blut ab und trat einen Schritt zurück. Sie lächelte. „Ein paar kleinere Kratzer. Nein, mehr Striemen. Aber nicht sonderlich tief. Das wird schnell heilen“, erklärte sie, doch Seth war trotzdem nicht beruhigt. „Das verstehe ich nicht. Duos wurde praktisch ausgepeitscht und ich mit ihm. Ich habe den Schmerz deutlich gespürt. Spüre ihn noch immer, wenngleich nicht mehr so stark. Und ich habe die Verletzungen auf Duos Körper gesehen. Warum also nicht auch bei mir?“ Kisara blickte ihn beschämt an. „Ich weiß es nicht. Tut mir leid. Ich bin dir wirklich keine Hilfe. Tut mir so leid“, flüsterte sie und Seth seufzte entnervt. „Wenn sie weiterhin alles so persönlich nimmt, dann werden wir noch ernsthafte Probleme miteinander bekommen. Ah, ich hasse so was. Was mache ich denn jetzt?“ Nervös zog er an seinem Ärmel. Kisara zu trösten wäre vermutlich ein guter Anfang, bloß dass Seth dummerweise überhaupt keine Ahnung hatte, wie er das am besten bewerkstelligen konnte. Versuchsweise tätschelte er ihre Hand, doch Kisara entzog sich ihm schnell, was Seth nur noch mehr verunsicherte und unbehaglich von ihr wegrutschen ließ. Also probierte er es mit der Ablenkungstaktik. Irgendwie musste es schließlich möglich sein, das Mädchen auf andere Gedanken zu bringen. „Vielleicht...ich habe zwar Duos Schmerzen geteilt, und durch den merkwürdigen Spruch der Ka-Jäger sogar noch um ein Vielfaches stärker, als es sonst der Fall gewesen wäre, aber letztendlich hat nur Duos die Schläge abbekommen und nicht ich. Wenn ein Ka-Monster bei einem normalen Kampf verletzt wird, so merkt man das zwar, aber äußerliche Wunden trägt man eigentlich nur sehr selten davon. Innere schon eher, aber auch das ist mehr Ausnahme als Regel. In erster Linie kommt es wirklich nur zu einem Energieverlust. Ich schätze mal, dass trotz ihrer Magie die Ka-Jäger daran nichts haben ändern können“, vermutete er laut und endlich zeigte Kisara auch eine Reaktion. Zwar nur ein kleines Nicken, aber selbst das war besser als nichts. Seth jedenfalls verlieh es neue Zuversicht. Behutsam nahm er ihr das Verbandszeug samt Beutel aus den klammen Händen und benetzte ein sauberes Tuch mit etwas Wasser, mit dem er dann auf Kisaras zerkratzte Arme und Beine zeigte. Sie verstand und rückte ein Stück näher. Schweigend kümmerte sich Seth nun seinerseits um ihre Verletzungen. Fing bei den Armen an und arbeitete sich langsam nach unten. Ihre Brustpartie ließ er außen vor, die Haut dort war mehr dreckig als wirklich verwundet, und widmete sich stattdessen ihren Beinen. „Komisch. Meine eigene Haut ist ja eigentlich für einen Ägypter schon zu hell, aber dieses Mädchen ist fast weiß. Genau wie ihr Haar. Nur ihre Augen geben ihr wenigstens ein bisschen Farbe. Dieses Blau; wie bei mir. Wo sie wohl herkommt? Sie trug damals nur Lumpen und nun ist es auch nicht anders.“ Fast geistesabwesend hatte er das Mädchen verarztet; erkannte erst jetzt die vielen Blessuren auf ihren Beinen und den Innenseiten ihrer Schenkel. Die Ka-Jäger kamen ihm in den Sinn; der gierige, lüsterne Ausdruck in Khems Augen. Und mit einemmal befürchtete er das Schlimmste. „Was ist wenn…?“ „Kisara, die Männer haben doch nicht...ich meine...“ Er atmete tief durch. „Sie haben dich nicht vergewaltigt, oder?“, wollte er schließlich rundheraus wissen und beobachtete ihre Reaktion genau; das nervöse Kneten ihrer Finger, ihr bebender Atem. Ihre Mimik, die sich, wenngleich nur für den Bruchteil einer Sekunde, vor Hass und Wut verzog. Schließlich aber fing sie sich wieder und schüttelte bedächtig ihren Kopf. „Nein, einer der Männer wollte zwar, wurde jedoch von den anderen gestoppt. Sie meinten, nur unverletzt sei ich etwas wert. Aber der Mann wollte nicht so Recht hören und sie mussten ihn von mir runterziehen. Dabei hat er sich gewehrt. Deswegen die ganzen Wunden und Quetschungen.“ Kisaras Worte waren fast schon gleichgültig gesprochen und auch der Ausdruck in ihrem Gesicht verriet nun, im Gegensatz zu vorher, weder etwas über ihre Gefühle noch ihre Gedanken. Seth presste irritiert seine Lippen aufeinander. Er wusste, dass Kisara ihm nur etwas vorspielte, wusste, dass ihr das Geschehene nicht so egal war, wie sie es sich selbst einreden wollte. Nein, in Wahrheit hatte sie einfach nur Angst. Und Seth erkannte sich selbst in ihrem Verhalten wieder. Trotzdem erwiderte er nichts; fuhr stattdessen damit fort, den Dreck und das Blut von ihrer blassen Haut abzuwaschen; strich mit seinen Händen vorsichtig über ihre Schenkel und fühlte, wie sich seine Wangen erwärmten. Mühsam riss er sich zusammen. Kapitel 34: Aussprachen ----------------------- AN: Kapitel 33 und 34 habe ich zusammen hochgeladen (wegen akuter Atemunot); das gleich werde ich vermutlich mit Kapitel 35 und 36 machen; danach plane ich aber nur noch Einzelkapitel hochzuladen. PS: Wie immer ein Danke an alle Leser und Kommentarschreiber ^^ --------------------------------- Kapitel 34 – Aussprachen Bemüht unauffällig betrachtete Seth die zierliche Gestalt, deren helle Haut von dem weißen Tempeldienerinnen Gewand kaum zu unterscheiden war. „Sie wirkt so unwirklich.“ Kisara sah ihn und winkte ihm lächelnd zu, bevor sie sich wieder in ihre Übungen vertiefte. Seth blickte sie noch einen Moment länger an, bevor er sich schließlich zum Gehen abwandte. Und prompt mit Isis zusammenstieß. „Was willst du?“, fragte er misstrauisch und ging sogleich in Abwehrstellung. Isis ignorierte seinen unfreundlichen Ton und starrte an ihm vorbei. „Das ist also das Mädchen, dass auf deinen, ah, ausdrücklichen Wunsch hin zur Tempeldienerin ausgebildet wird?“, wollte sie interessiert wissen und Seths Kiefer verhärtete sich. „Ja, das ist sie“, informierte er sie knapp und versuchte sich an ihr vorbeizudrängen. „Sie ist sehr hübsch“, lächelte Isis; dem ungeduldigen Seth absichtlich den Weg versperrend. „Was geht’s dich an? Geh jemanden anderen nerven!“ Isis schmunzelte amüsiert und Seth brummte unwirsch. Er hatte wirklich keine Lust auf dieses Spielchen, zumal er es nicht das erste Mal über sich ergehen lassen musste. Seit er Kisara nach Memphis gebracht hatte, war er mehr als einmal den neugierigen Blicken seiner Mitschüler ausgesetzt gewesen, vor allem als bekannt geworden war, wie vehement er sich für sie eingesetzt hatte. Sein Vorschlag, Kisara als Priesterin ausbilden zu lassen, war nur auf taube Ohren gestoßen. Man wisse nichts über ihre Herkunft, ihre Vergangenheit. Sie sei nicht reinen Blutes, nicht ägyptischer Abstammung... Doch Seth war hartnäckig geblieben, hatte seinen Unmut über Kisaras Ablehnung ziemlich aufdringlich und lautstark zum Ausdruck gebracht und so schließlich den Schulleiter dazu bewegt, es zumindest mit einer Ausbildung als Tempeldienerin zu versuchen. Und Kisara bewährte sich tadellos. Sie erledigte all ihre Pflichten korrekt und mit sichtbarer Freude und obwohl sie einen der niedrigsten Ränge hatte und nur eine Dienerin unter vielen war, genoss sie sichtlich jede Minute ihres neuen Lebens. Sogar ihre besonnene Art fand schnell Anklang bei den anderen; fast vergessen schienen ihre anfängliche Unsicherheit und Furcht. Einzig Mahaado hielt mehr als nur respektvollen Abstand zu ihr und auch mit Seth wechselte dieser kaum noch ein Wort; sah ihn stattdessen nur voller Skepsis und Vorwurf an. Seth konnte sich den Grund dafür zwar denken, und bis zu einem gewissen Grad durchaus nachvollziehen, allerdings war es ihm leider auch völlig egal. Auf ihren König war er ohnehin momentan nicht sonderlich gut zu sprechen; die Sache mit den Ka-Jägern noch lange nicht vergessen. Seth schnaubte leise. Er konnte es kaum erwarten, Atemu heute wieder zu sehen. ----------------- Erleichtert stieg der Pharao aus seiner Sänfte. Die Reise nach Memphis war die reinste Tortur gewesen und Aknadin alles andere als ein erwünschter Begleiter. Doch der alte Mann hatte nicht locker gelassen. Auch er wollte Seth unbedingt sehen, wenngleich Atemu nicht wirklich verstand, warum das seinem Onkel so wichtig war. Eine Horde Männer in feinster Priesterkleidung kniete sich zu seinen Füßen nieder. Mit einer gelangweilten Handbewegung und einem unwirschen Befehl bedeutete der junge König ihnen aufzustehen. Bevor einer der Männer etwas sagen konnte, ergriff Atemu bereits das Wort. „Bringt mich in mein Gemach und...“ Er verstummte. Etwas abseits stand Seth und sah ihn kalt an. Der junge Mann wirkte nicht unbedingt willkommensheißend und Atemu zog irritiert eine Augenbraue hoch. Die Begrüßung seitens seines Lieblingspriesters hatte er sich eigentlich anders vorgestellt. Irgendwie weniger mordlüstern. Lasst mich allein!“, befahl er barsch, denn wenn schon ein Streit mit Seth unausweichlich schien, so wollte Atemu wenigstens keine ungebetene Gesellschaft dabei haben. Die Priesterdelegation kannte diesen Gedanken seitens ihres Königs zwar nicht, zog aber dennoch nach einigen verwirrten Blicken gehorsam von dannen. Zurück blieben nur Atemu, Aknadin und Seth, letzterer immer noch düster den Pharao anstarrend. Der für seinen Teil hegte keinen Zweifel daran, dass er der Grund für Seths miese Stimmung war; er hatte den Jungen schließlich schon oft genug in diesem Zustand erlebt, nur was er nicht kannte, war das ‚warum’. Seth näherte sich ihm langsam; seine Haltung abweisend und verspannt; sein Mund zu einer dünnen Linie zusammengepresst. Kurz vor Atemu blieb er stehen, schenkte diesem ein kleines, falsches Lächeln und deutete eine Verbeugung an. „Seid gegrüßt, Eure Hoheit. Euer Besuch hier ist eine unerwartete Ehre und ein Privileg, welches die Götter in Ihrer unendlichen Güte und Weisheit zu schenken bereit waren.“ Atemu runzelte die Stirn. Seths Ton war honigsüß; seine Worte unterwürfig und voller Ehrerbietung. Und absolut nicht ehrlich gemeint, weswegen Atemu auch gleich störrisch sein Kinn in die Höhe reckte. Immerhin hatte er sich nichts vorzuwerfen und wenn Seth ein Problem mit ihm hatte, dann sollte er gefälligst den Mut haben, es ihm ins Gesicht zu sagen. Dieses ‚Demuts-Spiel’ kannte Atemu schließlich schon und er war fest entschlossen, so eine Episode wie auf dem Schiff mit den Griechen damals nicht zu wiederholen. Noch einmal würde er nicht in Seths kleine Falle tappen, da konnte sein Priester noch so sehr versuchen ihn zu provozieren. Seth selbst war inzwischen zu dem gleichen Ergebnis gelangt. Nachdem von Atemu offensichtlich nicht die gewünschte Reaktion kam, wandte er sich Aknadin zu und fixierte ihn aus klaren, blauen Augen. Auch seine Stimme war nun viel aufrichtiger und hatte ihren verlogenen Klang verloren. „Es ist schön, Euch wiederzusehen, Aknadin. Es ist lange her.“ Der alte Priester nickte. „In der Tat, das ist es. Wenn du später etwas Zeit für mich hast, dann könnten wir uns vielleicht mal ausführlich unterhalten. Es gibt bestimmt viel zu erzählen.“ „Aber natürlich. Ich würde mich jedenfalls sehr freuen.“ Atemu biss die Zähne zusammen. „Ich würde mich freuen, sagt er. Ha! Das Schlimme ist, dass er es vermutlich auch wirklich so meint. Nur mich...mich wieder loszuwerden könnte dir gar nicht schnell genug gehen, nicht wahr, Seth?“ Er sah verstohlen zu Aknadin hinüber. Sein Onkel wirkte hoch zufrieden und Atemu vermutete, dass die Tatsache, dass Seth Aknadins Gesellschaft vor der des Königs bevorzugte, einen nicht unerheblichen Anteil daran hatte. Er räusperte sich. „Nun, Aknadin. Auch ich hätte so einiges mit Seth zu besprechen, und zwar allein. Das heißt, dass deine Gesellschaft hier nicht mehr länger erwünscht ist.“ „Genau genommen war sie es von vornherein nicht.“ Wenn Aknadin davon betroffen war, so zeigte er es nicht. Er strich sich nur kurz über seinen Bart, warf Seth einen letzten Blick zu und entfernte sich gemächlich. Atemu sah ihm flüchtig nach und ging, als er sicher war, dass Aknadin außer Hörweite war, einen entschiedenen Schritt auf Seth zu. „Sag mir lieber gleich, was dir jetzt schon wieder an mir nicht passt. Denn eines ist ja wohl klar; ich werde es ohnehin so oder so herauskriegen.“ Seth grinste hämisch. „Aber natürlich, mein Pharao. Daran habe ich nicht den geringsten Zweifel. Alles, ob gut oder schlecht, kommt schließlich irgendwann einmal ans Tageslicht, würdet Ihr mir da nicht zustimmen?“ „Hör auf mich zu siezen!“, zischte Atemu verärgert und stach mit einem Finger auf Seths Brust ein. „Deine Worte, so gewählt sie auch sein mögen, sind ohnehin ohne jeglichen Respekt für mich gemeint. Also spar dir die Mühe so zu tun, als ob es anders wäre.“ „Aber gerne. Hm, interessant eigentlich, dass gerade du auf Ehrlichkeit bestehst.“ Atemus Augenbrauen zogen sich verwirrt zusammen. „Soll heißen?“, fragte er gefährlich leise, woraufhin Seth nur gelassen mit den Schultern zuckte. „Nichts Spezielles. Oder vielleicht doch? Ach ja, ich erinnere mich schwach. Weißt du, ich meine mich da an eine Bande Verbrecher zu erinnern, die mir in der Wüste über den Weg gelaufen ist.“ „Verbrecher?“, wiederholte der Pharao vorsichtig und beinahe schon besorgt. „Ich wusste, ich hätte ihm diese unsinnige Suche nach seinem Bruder nicht erlauben sollen. Da hätte sonst was passieren können...“ Seth gab ein kleines Kopfnicken. „Richtig, Verbrecher. Aber nicht die alltägliche Sorte. Weißt du, Atemu. Ich habe in dieser gewissen Nacht einige interessante Gespräche geführt. Von Ka-Jägern, war da die Rede. Und auch von dir.“ Bei Seths Worten hatten sich die Augen des Pharaos zusehends geweitet. Sein Mund war halbgeöffnet und sein Blick gequält. Seth verzog das Gesicht. Bis jetzt hatte er noch die minimale Hoffnung gehegt, dass die Jäger gelogen haben könnten, doch Atemus Reaktion war eindeutig. Schließlich fasste sich der Pharao und sah seinen Priester eindringlich an. „Was genau haben sie dir denn erzählt, diese...Ka-Jäger?“ „Versuchst du, auf Nummer sicher zu gehen, Atemu? Versuchst du abzuschätzen, wie viel ich wirklich weiß? Nun, ich weiß sicherlich nicht alles, aber doch genug. Keine Ausreden. Ich würde dir ohnehin kein Wort glauben, mein Pharao.“ „Schön. Ich stehe zu meinen Taten und werde sie auch nicht verleugnen. Das habe ich nicht nötig. Denn vergiss nicht, wer hier vor dir steht. Ich bin immer noch dein König und ob ich dir antworte oder nicht, ist allein meine Sache. Bei dir sieht das allerdings ein wenig anders aus. Also, was haben sie dir erzählt? Mein Priester.“ Seth grinste. „Hm, fein. Wie ich erfahren habe, gibt es diese Gruppe von professionellen Händlern, die Menschen mit Ka ausfindig machen, sie gefangen nehmen und dann an dich verkaufen. Glaube mir ruhig, wenn ich dir sage, dass ihre Methoden äußerst zweifelhaft und...schmerzhaft sind. Darf man erfahren, wie du auf diese wirklich glorreiche Idee gekommen bist? Warum du so was unterstützt?“ Seine Stimme war zum Schluss hin immer leiser, immer vorwurfsvoller geworden und Atemu spürte tatsächlich den Hauch eines schlechten Gewissens. „Dass ausgerechnet Seth davon erfahren musste…“ Der Pharao seufzte. Er könnte lügen. Er könnte die ganze Sache harmloser darstellen, als sie in Wirklichkeit war. Und damit seinen Priester endgültig beleidigen; Seths letzten Rest Vertrauen in ihn zerstören, wenn denn überhaupt noch welches da war. „Ich...Seth, ich verstehe, dass du wütend auf mich bist. Diese Ka-Jäger, ich habe sie nicht bewusst ins Leben gerufen. Doch es ist wahr, dass es sie wegen mir überhaupt erst gibt. Ich habe für eine Weile Gefallen daran gefunden, Sklaven mit mehr oder minder starken Monstern gegeneinander kämpfen zu lassen. Ein Zeitvertreib, nicht mehr. Ein dummer, kindischer Zeitvertreib...“ Er schüttelte den Kopf. „Ich weiß, ich habe Fehler gemacht, die einem Pharao nicht hätten passieren dürfen. Menschen mussten leiden wegen mir, leiden noch immer. Und woher diese Menschen kamen...es hat mich, ehrlich gesagt, nie wirklich gekümmert. Ich habe mich durch mein Wegsehen schuldig gemacht. Ich kann es nicht mehr ungeschehen machen. Alles, was ich kann, ist dich bitten mir zu verzeihen.“ Seth sah ihn finster an. „Und wann war das letzte Mal, dass du so einen Sklaven gekauft hast?“ Atemu schaute starr zurück. Was er jetzt zu sagen hatte, würde Seth wahrscheinlich gar nicht gefallen. „An dem Tag, an dem ich auch dich gekauft habe.“ Der Pharao behielt Recht. Wie aufs Stichwort holte sein Priester scharf Luft und ballte seine Hände vor Ärger. „Was ist mit diesen Gefangenen passiert? Du wolltest sie gegeneinander antreten lassen. Und danach? Hast du sie sich alle gegenseitig niedermetzeln lassen oder schrubben sie jetzt irgendwelche Palastböden? Hm, Atemu? Was machen deine Ka-Sklaven jetzt?“, wollte er schließlich langsam wissen und der junge König zuckte unmerklich zusammen. Das war eine berechtigte Frage. Was taten seine Gefangenen eigentlich? Er hatte sich schon so lange nicht mehr um sie gekümmert... „Ich…ah…“ Er flüsterte beschämt. „Ich weiß es nicht, Seth. Ich weiß es wirklich nicht. Kurz nach deiner Ankunft bei mir habe ich das Interesse an ihnen verloren. Vermutlich sind sie immer noch irgendwo im Keller des Palastes. Im Kerker.“ „Du weißt es nicht? Du weißt es nicht?!“ Seth schrie fast und Atemus Unbehagen wuchs immens. Trotzdem versuchte er Ruhe zu bewahren. Mit einemmal lachte Seth bitter. „Also, lass mich das klarstellen. Nur so zum Spaß kaufst du dir ein paar Sklaven. Die werden dir dann langweilig, weil du in mir ein neues Spielzeug findest und prompt vergisst du sie; lässt sie in irgendeinem Verließ verrotten? Bravo, Atemu! Deine Brillanz als Pharao ist immer wieder erstaunlich. Was hast du gedacht? Ist doch egal, was mit denen passiert, sind ja doch nur Sklaven? Hm, was war es, oh mächtiger Herrscher Ägyptens?“ „Sprich nicht in so einem Ton mit mir! Nicht mal du hast das Recht dazu!“ „So, und wenn ich es doch tue? Was machst du dann? Sperrst du mich zu den anderen? Ist es das?“ „Du weißt, dass ich so etwas nicht tun würde. Nicht mehr! Und du bist kein Sklave, sondern ein Priester! Du gehörst nicht mehr zu denen! Also was soll das hier? Wieso spielst du dich jetzt als der große Menschenfreund auf? Woher das ganze Mitgefühl?“ Seth knurrte leise. „Mag sein, dass ich jetzt keiner mehr bin. Aber ich war mal einer, schon vergessen?“ „Zwei verdammte Monate lang, Seth. Zwei Monate!“ „Das macht es nicht weniger demütigend! Außerdem, wenn dir diese Sklaven so egal sind, wer sagt mir denn, dass du mich mit anderen Augen betrachtest? Und wenn, was macht den Unterschied? Welchem Umstand verdanke ich es, dass nicht auch ich in irgendeiner Zelle vor mich hinsieche, dass du nicht auch an mir dein Interesse verloren hast? Dass ich mehr deinen Geschmack treffe? Dass ich äußerlich vielleicht mehr hermache? Ist es das? Ist das der einzige, verdammte Grund?! Und was, wenn du jemanden findest, der dir noch mehr zusagt? Lässt du mich dann fallen? Versagst du mir deine Freundschaft und dein Wohlgefallen? Sag es mir, Atemu! Was macht den Unterschied?“ „Ich...“ Die Stimme des Pharaos erstarb. „Jetzt verstehe ich. Er ist so wütend, weil er denkt, dass ihm das gleiche Schicksal wie meinen anderen Sklaven hätte widerfahren können. Und er hat Recht damit. Sklaven...auch Seth war einer; auch ihn habe ich als einen solchen gekauft. Für einen bestimmten Zweck. Um meine Gelüste zu befriedigen. Um mir zu dienen. Als Mensch hat er mich damals nicht gekümmert. Es war wirklich sein Körper, der mich auf ihn aufmerksam werden ließ. Und später, als ich merkte, wie stur und ungehorsam er war, da war es auch die Herausforderung. Mein Spielzeug, mein kleines, störrisches Spielzeug. Das war er zu Anfang.“ Und heute? Was bedeutete ihm der junge Mann jetzt? War er immer noch ein Spielzeug; ein Ding? „Nein, er wurde, er ist mehr. Und das ist auch der Unterschied. Aber was wäre, wenn es diesen Unterschied irgendwann einmal nicht mehr gäbe? Würde ich ihn dann von mir stoßen, so wie ich es mit allen anderen Sklaven und Gespielinnen in der Vergangenheit getan habe?“ Vorsichtig blickte er auf; sah Seths übereinander gekreuzte Arme vor einer kräftigen Brust, das angespannte Gesicht, die kalten Augen, in denen eine unterschwellige Furcht schimmerte. Furcht. Und daneben die schwache Hoffnung, dass Atemu ihn nicht schon wieder enttäuschen möge. Der Pharao atmete erschöpft. „Nein, Seth wird mir nicht langweilig. Niemals. Ich kann es mir nicht erklären, aber…meine Gefühle für ihn sind beständig. Vielleicht werden sie mit der Zeit schwächer werden, sich abkühlen, doch ganz verschwinden werden sie nicht. Das weiß ich. Und daran glaube ich.“ „Ich denke, ich muss mich bei dir entschuldigen. Es stimmt, auch dir hätte das gleiche passieren können. Seth, es, ah, es gibt so viele Dinge, die ich getan habe und nun bereue. Und doch kann ich sie nicht mehr ändern, egal, wie sehr ich es mir auch wünsche. Ich kann versuchen, die Folgen zu begrenzen, aber rückgängig machen kann ich nichts.“ Unsicher trat er einen kleinen Schritt vor und legte seinen Kopf auf Seths Brust. Dieser zuckte zwar unter der Berührung zusammen, stieß jedoch den Pharao nicht von sich weg. Atemu wagte ein schwaches Lächeln. Noch war nichts verloren. „Ich habe schon lange keine Sklaven mehr von Ka-Jägern gekauft. Leider hat sich das anscheinend noch nicht überall herumgesprochen. Das ist zum Teil meine Schuld, denn ich habe es nicht offiziell verkünden lassen. Das werde ich nachholen müssen. Und wer nicht hört, wird festgenommen. Die Banden werden sich schnell zerschlagen und die Gefangenen freigelassen.“ „Siehst du das nicht ein klein wenig zu optimistisch?“ Seths Stimme war tief und ruhig. Atemu schloss die Augen und drückte sich ein wenig näher an ihn. „Vielleicht“, gab er schließlich zu und seufzte. „Seth, ich möchte, dass du eines verstehst. Es mag nur Zufall gewesen sein, dass ich dich damals auf diesem Markt gefunden habe und ja, es war dein Äußeres, was mich dazu bewogen hat, dich mitzunehmen. Doch was auch immer die Gründe waren, ich bin froh, dass ich dich getroffen habe. Und du wirst mir auch niemals egal sein. Das weiß ich ganz sicher.“ Er spürte, wie sich Seths Körper versteifte und wartete geduldig. Schließlich atmete sein Priester sachte aus. Seine Arme umschlagen den Pharao vorsichtig und in diesem Moment wusste Atemu, dass Seth ihm Glauben schenkte, dass er ihm immer noch vertraute. Trotz allem, was passiert war. Atemu schloss zufrieden seine Augen. „Er stößt mich nicht von sich. Obwohl ich es verdient hätte. Seth, eines verspreche ich dir heute: Dein Vertrauen…ich werde es nie wieder zerstören. Ja, bei allen Göttern, das verspreche ich.“ Wie viel sein Schwur letztendlich wirklich wert war, würde die Zeit zeigen müssen. Kapitel 35: Lehrstunden ----------------------- So, bevor es zum Kapitel geht, gibts erstmal wieder ein Vorwort von mir. Re: Atemu: Kommt leider in Kap. 35 u. 36 nicht vor, aber ab Kap. 37 ist Seth zurück im Palast und d.h., dass es wieder vermehrt Atemu gibt, aber auch Seth und Atemu Szenen allgemein. Deswegen wird das hier vermutlich auch der letzte Doppelupload sein. Re: Kisara + Seth: Ich spoilere nur höchst ungern, aber bevor mir verschreckt die Leser davonlaufen (^^°) äußere ich mich doch lieber mal dazu. Wer sich überraschen lassen will, der sollte das hier überspringen und direkt zum Kapitel gehen. Für alle anderen: Spoiler: Ich mag Kisara und ich mag auch KisaraxSeth. Aber, und das ist ein dickes aber, es hat schon seinen Grund, warum als einziges Pairing von mir "Scandalshipping" angegeben worden ist und auch, wenn es Szenen geben wird, die SethxKisara schreien, so ist und bleibt der Hauptfokus Atemu und Seth. -------------------- Kapitel 35 – Lehrstunden „Sag, Seth, wie gefällt dir das Leben in Memphis? Deine Priesterlehre kommt doch hoffentlich gut voran?“ Aknadin machte keinen Hehl aus seiner Neugier und Seth war ihm dankbar dafür; hatte er doch nach der gerade erst geklärten Sache mit Atemu wahrlich keine Lust auf irgendwelche Lügen oder Heucheleien. Er nickte. „Ja, sogar sehr gut. Und was mein Leben betrifft...nun ja, es ist ziemlich ruhig.“ Ob dieser Aussage musste der alte Priester schmunzeln. „Du bist unterfordert, hm? Freut mich zu hören, denn das heißt dann wohl auch, dass du auf deine Prüfung nächsten Monat bestens vorbereitet sein wirst. Ich erwarte gute Ergebnisse, Seth.“ Seth runzelte die Stirn. Es gab Momente, in denen er sich ernsthaft fragte, wem seine Ausbildung eigentlich mehr am Herzen lag. Ihm oder Aknadin? Nicht, dass er nicht für dessen Unterstützung dankbar war, aber manchmal fragte er sich doch nach dem Grund dafür. Und daneben gab es noch eine andere Sache, die ihm ebenfalls keine Ruhe ließ… Plötzlich schnitt Aknadins Stimme in seine Gedanken und ließ Seth zusammenzucken. „Ah…Könntet Ihr das bitte wiederholen? Ich war wohl gerade ein wenig abgelenkt.“ „Ich hatte gefragt, was der Pharao von dir wollte. Die Atmosphäre zwischen euch war ja recht angespannt.“ Das war ein weiterer Punkt, der Seth zunehmend irritierte. Aknadins ständiges Interesse an seiner Beziehung mit Atemu. „Aber vielleicht ist er auch nur besorgt? Nein, es ist mehr als das. Seine ganze Art hat sich verändert. Sie erscheint mir irgendwie dunkel. Oder war er schon immer so und ich habe es nur nicht bemerkt?“ Und diese andere Sache... Er sah Aknadin aus den Augenwinkeln verstohlen an. „Die Arena...mein erster Kampf mit Duos. Er hat mich in den Keller geführt; gab mir einen Gefangenen als Gegner; einen von Atemus Sklaven. Warum wusste Aknadin überhaupt von ihnen? Ist er nur zufällig über sie gestolpert? Ja, das wäre gut möglich. Doch warum dann hat er es toleriert und nie ein Wort darüber verloren? Wollte er ein Druckmittel gegen den Pharao? Oder waren ihm die Sklaven selber zu nützlich, als dass er etwas gegen Atemus Methoden einzuwenden gehabt hätte? Was war es, Aknadin? Was genau hattest du vor?“ Aknadin bemerkte Seths Blick auf sich und hob verwirrt eine Augenbraue. „Ist alles in Ordnung?“, erkundigte er sich wachsam und richtete sein Millenniumsauge durchdringend auf Seth. Der junge Mann wandte sich ertappt ab. „Es ist nichts. Aber um auf das Gespräch zwischen mir und dem Pharao zurückzukommen: Es war nicht weiter wichtig. Belanglos, wirklich.“ Aknadin glaubte ihm kein Wort, dennoch nickte er und ließ das Thema ruhen. Sein Sohn verhielt sich ihm gegenüber heute äußerst merkwürdig und das gefiel ihm überhaupt nicht. „Eigentlich ist er erst so, seitdem er mit meinem lieben Neffen gesprochen hat. Möglicherweise wirklich nur ein kleiner Streit zwischen den beiden. Doch ich sollte auf alle Fälle aufpassen. Seth darf mir nicht misstrauen. Nicht jetzt, wo auch noch die Sache mit Atemu so furchtbar schief gelaufen ist. Seit der Nil wieder Wasser führt, liegen ihm schon die Höflinge und das Volk zu Füßen. An seine vielen Fehlentscheidungen, auch seine jetzigen, denkt nun natürlich keiner mehr. Es wird ohnehin schon schwer, gegen Atemu anzugehen, doch es darf nicht sein, dass sich nun auch noch mein eigenes Kind gegen mich richtet. Das darf nicht passieren!“ Das Gesicht des alten Priesters wirkte gequält und das Lächeln, welches er nun zeigte, falsch und aufgesetzt. „Nun gut, lassen wir das. Wenn du nicht mit mir darüber sprechen möchtest, dann werde ich das selbstverständlich akzeptieren. Aber Seth, was würdest du denn stattdessen von einem kleinen Schwertkampf halten?“ Aknadin war nicht wirklich an einem Übungskampf interessiert, doch zum einen wollte er die Gelegenheit nutzen, um zu sehen, wie gut sein Sohn geworden war, zum anderen wollte er ihn auch ein wenig ablenken. Und es funktionierte. Seth schaute zwar erst verblüfft, doch schließlich breitete sich ein erwartungsvolles Grinsen auf seinem Gesicht aus. Aknadin verbarg seine Zufriedenheit. Seth glaubte wahrscheinlich jetzt schon, dass er den Kampf so gut wie gewonnen hatte, doch da irrte er sich gewaltig. „Oh ja, Seth. Du kannst noch viel von mir lernen. Sehr viel sogar.“ ----------------------------- Seth erschreckte ob der Berührung leicht. Die Heilsalben fühlten sich unangenehm kühl auf seiner Haut an und hinterließen ein schmieriges Gefühl. Seiner Meinung nach waren sie zudem unnötig; sicher, er hatte einige Schrammen und Kratzer davongetragen, doch da sie nur mit Holzschwertern gekämpft hatten, waren sie eher harmloser Natur. Doch Kisara hatte darauf bestanden; Augen und Stimme so voller Sorge, dass Seth schließlich nachgegeben hatte und sich nun widerstandslos von ihr verarzten ließ. So ganz zufrieden mit ihrer Behandlung schien Kisara jedoch nicht zu sein, denn nachdem sie fertig war, gab sie einen missmutigen Laut von sich und krabbelte energisch ein Stückchen auf ihn zu. Eine Weile sah sie ihn nur stumm an. „Du siehst angespannt aus“, bemerkte sie schließlich treffend und setzte sich hinter ihm auf das Bett; versuchte seinen verspannten Nacken und die überanstrengten Muskeln dort zu massieren und zu lockern. Sie war nicht unbedingt geschickt; dennoch ließ er sie gewähren. Eigentlich...wollte er dies hier nicht. Er wollte sich gar nicht entspannen; wollte die sanften Berührungen nicht genießen. Sich nicht nach ihnen sehnen. Doch er tat es. Widerwillig ließ er sich etwas nach hinten sinken; schloss seine Augen und seufzte. Es war ihm ein Rätsel, wie der alte Mann ihn hatte besiegen können. Vor allem, wie leicht es diesem gefallen war. Sicher, Aknadin war erfahrener, seine Schläge präzise und kraftvoll, doch Seth hatte den Vorteil der Jugend, war wendiger und allgemein stärker und trotzdem hatte er nicht die geringste Chance gehabt. Auch Aknadin war überrascht gewesen; nicht über seinen Sieg an sich, vielmehr über die Schnelligkeit desselben. Seth gab es nur ungern zu, aber er hatte wirklich körperlich abgebaut. Nicht nur die Suche nach seinem Bruder, auch die Nachricht von dessen Tod hatte ihn lange belastet. Und dies waren auch genau seine Gedanken gewesen, als er sich von seiner raschen Niederlage noch zu erholen versuchte. Seth biß sich auf die Unterlippe. Er war unachtsam gewesen; hatte Aknadin unfreiwillig Einblick in seine Erinnerungen und Gefühle gewährt. Und Aknadin hatte alles gesehen. Idjema, Seths unrühmliches Verhalten; dass er einen Bruder gehabt hatte, der nun tot war. Er brummte leise. Aknadins Reaktion auf diese Informationen war, gelinde gesagt, seltsam gewesen. Der alte Priester war kreidebleich geworden; Augen voller Entsetzen und unbändigem Zorn. Doch noch ehe ihn Seth zu seinem befremdlichen Verhalten hätte befragen können, war er auch schon davon gestürmt und hatte den völlig verwirrten Seth allein und ohne Antworten zurückgelassen. Kisara hatte inzwischen ihre Massage gestoppt, war zu ihm herumgekommen und legte zögerlich ihren Kopf auf Seths Schoss. Dieser registrierte es beiläufig. Es war noch gar nicht so lange her, da hätte sie ihn erst um Erlaubnis gefragt; genauso, wie es auch noch gar nicht so lange her war, dass er unter ihrer Berührung zusammengeschreckt wäre, sie zumindest aber als ungewohnt empfunden hätte. Er lächelte leicht. „Ich schätze man könnte sagen, dass wir beide seitdem dazugelernt haben.“ Kisaras fast schon tröstliche Nähe, ihre ruhige Stimme, ihre sanfte Art...dies alles wurde mehr und mehr zu einem festen Bestandteil seines Lebens. Seines neuen Lebens; eines Lebens, welches er unbedingt wollte. Und bevor er dieses bekommen konnte, musste er erst mit seinem alten abschließen. Das verstand er jetzt. „Mein Bruder wird für mich eine namenlose Erinnerung bleiben. Ich will nicht vergessen, dass es ihn einst gegeben hat, genauso wenig, wie ich je meine Mutter vergessen könnte; die Toten meines Dorfes, verlorene Freunde, sogar der Vater, den ich nie gekannt habe. Aber ich werde auch nicht länger zurückblicken. Was jetzt zählt, ist die Zukunft. Meine Vergangenheit ist so tot, wie die Menschen in ihr.“ Nur eine Sache drängte sich ihm immer wieder ins Bewusstsein zurück; ließ ihm einfach keine Ruhe, noch nicht mal in diesem Moment. Nein, speziell nicht in diesem Moment, in dem Kisara sich dicht an ihn schmiegte und er ihrem leisen Atem lauschte. „Atemu, welche Rolle wirst du in diesem neuen Leben spielen?“ Kapitel 36: Wahn und Wirklichkeit --------------------------------- Kapitel 36 - Wahn und Wirklichkeit So. Ein Bruder. Seth hatte einen Bruder gehabt. Aknadin lachte lauthals, seine Stimme rau und bitter. Eine in seiner Reichweite stehende Vase wurde genommen und mit Wucht gegen die Wand geschleudert. Mit Befriedigung sah Aknadin die Splitter durch die Luft fliegen, wie sich das Licht des hellen Mondes auf ihnen spiegelte und sie schließlich hübsche Muster auf dem Boden bildeten. Aknadins Lachen erstarb. Schwer atmend ließ er sich auf einem nahe stehenden Stuhl nieder; sein Körper bleiern mit Trauer und Müdigkeit, sein Herz geplagt von Erinnerungen an eine andere, unbeschwerte Existenz; Erinnerungen an seine erste und einzige Frau, die Mutter seines Sohnes. Es war eine arrangierte Heirat gewesen; Liebe niemals ein Kriterium und der Altersunterschied zwischen ihnen beträchtlich. Aknadin hatte sich bis dahin nie viel aus Frauen gemacht. Seine Loyalität gehörte Ägypten und auch als er Sheritra begegnet war, hatte sich an seiner Einstellung nichts geändert. Die Ehe hatte nur dem Zweck dienen sollen, ihm einen Erben zu schenken. Aknadin runzelte die Stirn. „Was Sheritra wohl damals gedacht hat? Sie war immer so still und zurückhaltend. Sheritra, in unserer ersten Nacht...was hast du da gefühlt? Du hast es mir nie gesagt, und ich habe die nie gefragt. War es Ekel? Angst? Ja, auf jeden Fall Angst. Du warst noch so jung und unerfahren damals. Dein Körper unberührt. War ich zärtlich zu dir? Doch, ich glaube, das war ich. Auch wenn ich dich nicht liebte, so habe ich immer versucht, dich gut und gerecht zu behandeln.“ Der Priester stutzte. War es wirklich so gewesen? Immer? Er schüttelte den Kopf. „Nein, nicht immer“, rief er sich selber zurück ins Gedächtnis und fühlte einen kurzen Moment der Schuld. „Nicht immer...“ Aknamkanon war damals noch kinderlos und bei Hofe munkelte man, dass seine Frau, die Königin Ägyptens, niemals mit einem Erben gesegnet werden würde. Und in Aknadin war die Hoffnung aufgekeimt, dass vielleicht, wenn sein Bruder es auch zukünftig nicht schaffen würde, einen Sohn zu zeugen, dass dann Aknadins eigenes Kind neuer Pharao werden würde. „Ich war von diesem Gedanken praktisch besessen gewesen. Und als Sheritra endlich schwanger wurde...sie hatte sich so auf das Kind gefreut. Genauso, wie auch ich. Aber dann...“ Der Himmel an diesem Tag war wolkenverhangen und in tiefes Schwarz gehüllt. Noch ehe der Diener, welcher ihm hektisch entgegenlief, auch nur ein Wort hatte sagen können, erkannte Aknadin bereits, dass etwas Furchtbares geschehen war. Und er behielt Recht. Nur ein Blick auf das tränenverschmierte Gesicht seiner Frau, auf die befleckten Laken unter ihr und er wusste, dass sie das Kind verloren hatte. Die nächsten Monate waren eine einzige Qual. Sheritra war am Boden zerstört, weinte bitterliche Tränen, ließ niemanden an sich heran und verweigerte sich sogar ihrem Mann... Besonders diese letzte Erinnerung ließ Aknadin, auch so viele Jahre später noch, vor Scham erschaudern. Er wusste, dass er mehr Verständnis hätte zeigen, ihr mehr Zeit hätte lassen müssen. Doch das hatte er nicht getan und nur kurz darauf war Sheritra erneut schwanger gewesen. Immer noch völlig verunsichert von ihrer Fehlgeburt, war sie nachts oft schweißgebadet aufgewacht, hatte ihren Bauch abgetastet und sichergehen müssen, dass alles in Ordnung war, dass sie das Kind noch immer in sich trug. Die folgende Zeit war von Angst geprägt gewesen und zum Schluss hatten die Ärzte Sheritra sogar mit verschiedenen Mitteln ruhig stellen müssen, damit sie in ihrer andauernden Panik nicht am Ende noch das Baby in ihr gefährdete. Aknadin ließ seine Augen durch den nur schwach beleuchteten Raum schweifen. Sheritra war in dieser Zeit kein angenehmer Anblick gewesen; immer schwankend zwischen Wahn und Wirklichkeit, Freude über das Kind und unbändiger Furcht. Und er, ihr eigener Ehemann, hatte ihr nicht geholfen; hatte es vielleicht auch gar nicht gewollt. Aknadin atmete schwer. Es hatte keinen Zweck, sich in Selbstvorwürfen zu ergehen. Die Vergangenheit ließ sich nun mal nicht ändern und außerdem war am Ende ohnehin alles gut gegangen. Sheritra hatte einen gesunden Knaben geboren und genauso wie damals schon, so ließ der Gedanke Aknadin auch heute noch lächeln. Seth war ein ruhiges Kind gewesen; ein Geschenk der Götter und sein ganzer Stolz. Das hatte sich noch nicht einmal geändert, als Aknamkanon schließlich doch noch Vater wurde und er mit Atemu den Erben Ägyptens gezeugt hatte. Sicher, Aknadin war nicht begeistert gewesen, doch mit Seth und seiner Frau hatte er auch diese erneute Niederlage gegen seinen Bruder verkraften können. Ein Bruder, der nur Pharao geworden war, weil er bei seiner Geburt der lautere der beiden Zwillinge gewesen war und ihr Vater ihm darum den Vorzug gegeben hatte. Lachhaft. Wirklich. Dennoch hatte selbst diese uralte Demütigung irgendwann ihre Bedeutung verloren; war zurückgetreten hinter Seth und Sheritra, die kurz nach der Geburt des Kindes so glücklich wie nie zuvor schien. Sie hatte Seth so geliebt. Und aus der verstörten, gebrochenen Frau war wieder die lebenslustige Sheritra geworden. Seine Sheritra. Plötzlich bemächtigte sich ein unbändiges Zittern seines Körpers. Diese Erinnerungen waren so schmerzhaft, zu schmerzhaft. Sein heiles, reales Auge fühlte sich feucht an. Langsam tastete er mit einer Hand über sein Gesicht; spürte die alte, faltige Haut unter seinen Fingerspitze und die warme Nässe, die seine Wangen benetzte. „Tatsächlich. Tränen. Wie lange ist es her, dass ich das letzte Mal geweint habe? Dass ich das letzte Mal um dich geweint habe, Sheritra? Habe ich geweint, als ich von deinem Tod erfahren habe? Als ich deine verbrannte Leiche gesehen habe? Ich weiß es nicht mehr...“ Seine Hand wanderte weiter; immer weiter bis dahin, wo sich eigentlich ein zweites, gesundes Auge hätte befinden sollen. Doch alles, was er fand, war eisige Kälte. Ein Fingernagel kratzte über die harten Konturen; ertastete jede noch so kleine Rille des Millennium Auges. Und seine Trauer, die Zuneigung zu seiner Frau, verwandelte sich immer mehr in Abscheu; der einstmals geliebte Mensch wurde zu einem Verräter. Die Enttäuschung zu Bitterkeit und Wahnsinn. „Ich habe soviel aufgegeben für mein Land, für meinen Bruder, für meinen Neffen. Sogar ein Auge habe ich gegeben! Ich habe gesündigt, meine Familie und mein Glück geopfert. Und wofür?! Sheritra, ich habe dich verlassen müssen und doch bin ich dir treu geblieben. In all den Jahren unserer Trennung habe ich niemals eine andere Frau begehrt. Und was tust du?! Du betrügst mich! Lässt dich von jemand anderem schwängern. Was ist, Sheritra? Hattest du Freude in dieser Nacht? Hast du für ihn geschrieen? Hast du es genossen? Alles, was ich getan habe, war für dich! Für unseren Sohn! Und wie hast du es mir gedankt? Mit einem Bastardkind! Indem du die Beine spreizt für einen anderen?!“ Aknadins Gesicht verzog sich fratzenhaft. „Doch die Götter haben dich für diesen Betrug an mir gestraft. Sie haben dir das Kind wieder genommen. Ja, Sheritra, dein Bastard ist tot. So wie du auch. Sogar darin hast du mich betrogen! Seth solltest du aufziehen. Ihm eine glückliche Kindheit geben. Doch jetzt quält er sich mit Erinnerungen an einen verstorbenen Bruder und leidet unter deinem Tod. In wahrhaft allem hast du mich hintergangen!“ Erneut fühlte er diesen Hass in sich, den Zorn, den Schmerz, den Verrat. Wie vertraut waren ihm diese Gefühle. Und er wusste, dass sich sein Herz und seine Seele immer mehr in seinen schwarzen Gedanken verloren. ‚Aber das macht dich auch stärker, nicht wahr, alter Mann? Die Menschen leben, um sich zu verraten; um sich gegenseitig zu quälen. Doch du hast einen Vorteil: Du weißt um diesen Umstand und kannst ihn dir zunutze machen. Selbst auf deine Frau war letzten Endes kein Verlass. Auch sie hat dich getäuscht. Wer sagt dir denn, dass es mit deinem Sohn nicht ebenso sein wird? Vielleicht wärst du ja besser dran ohne ihn. Nur wir zwei...und die Macht über Ägypten!’ Aknadin runzelte die Stirn. Die Stimme. Da war sie wieder. Aber was erzählte sie da? „Nein“, entgegnete Aknadin laut. „Nein, ich begehre den Thron nicht. Ich will ihn nur für meinen Sohn, für Seth. Ich bin alt und habe schon zu viele Sünden auf mich geladen. Ägypten aber braucht einen reinen Herrscher! Anubis wird mich sicherlich nach meinem Tod für meine Taten bestrafen. Doch es spielt keine Rolle. Solange mein Wunsch nur in Erfüllung geht.“ ‚Deinen Sohn als Pharao zu sehen?’ Der alte Priester nickte entschlossen. „Ja, mehr will ich im Leben nicht. Und du wirst mir helfen.“ Die Stimme schien beinahe zu kichern. ‚Ach, werde ich das? Nun ja, ich habe wohl tatsächlich mal so was gesagt. Doch dein Plan hat einen Fehler. Seth kann nur Pharao werden, wenn Atemu dafür stirbt. Wie soll dein Sohn rein bleiben, wenn der Tod eines Gottes auf seinen Schultern lastet?’ „Das wird nicht geschehen. Um meinen Neffen werde ich mich kümmern. Ich ganz allein. Seth braucht davon nicht zu erfahren.“ ‚Du ganz allein? Aaahhh...und was ist mit mir? Hast du mich etwa schon vergessen? Ich bin zutiefst verletzt. Und du ein Narr! Glaubst du denn wirklich, dass Seth nichts merken wird? Er misstraut dir doch jetzt schon.’ Aknadins Fäuste donnerten auf die Tischplatte. „Das ist nicht wahr“, knirschte er mühevoll hervor. „Er traut mir!“ ‚Das weißt du nicht. Sicher, bis zu einem bestimmten Punkt vertraut er dir und respektiert dich. Aber wenn er sich zwischen dir und dem Pharao entscheiden müsste, was glaubst du, wen er wählen würde? Dich etwa?!’ „Er wird sich nicht gegen mich stellen...“. Aknadins Stimme war kaum mehr als ein Flüstern und seine Finger bohrten sich schmerzhaft in seine eigene Haut. Ein lautes Lachen ließ plötzlich den ganzen Raum erbeben und zerriss die Stille der Nacht. Aknadin zuckte zusammen. ‚Wunschdenken, alter Mann! Wunschdenken! Ich werde deinem Sohn den Pharaonenthron beschaffen! Doch dazu musst du deine lächerlichen Vorstellungen aufgeben. Weißt du denn nicht, dass man die Menschen zu ihrem Glück nötigen muss? Dein Sohn ist zu unreif und dem Pharao viel zu sehr verfallen, als dass er ihn jemals von sich aus hintergehen würde. Also müssen wir ihn dazu zwingen. Es wäre besser, alter Mann, wenn du das endlich begreifen würdest!’ Die Stimme pausierte kurz, schien zu überlegen. Als sie schließlich fortfuhr, klang sie amüsiert und spöttisch. ‚Dein Leben ist fast ausgehaucht, Aknadin. Du hast nicht mehr viel Zeit. Um deine Wünsche zu verwirklichen, musst du jetzt handeln. Und auch, wenn es dir nicht passt, aber du brauchst mich. Also, wie sieht’s aus? Denn ob mit oder ohne dich, ich komme auf jeden Fall an mein Ziel. Das hier ist deine letzte Chance, alter Mann. Gib deine Zweifel endlich auf und bekenne dich zu mir, oder leb den Rest deines Lebens als Sklave deines verhassten Neffen und bürde deinem Sohn das gleiche Schicksal auf! Es ist deine Entscheidung.’ Aknadin atmete schwer. Er hatte solche Angst um seinen Sohn. Er wollte ihn nicht in Gefahr bringen und irgendetwas in ihm warnte Aknadin, dass man dieser Stimme nicht trauen könne, dass sie nur Verderben bedeuten würde. Doch in einer Sache hatte sie Recht: Es war seine letzte Chance. „Gut...gut. Ich werde tun, was du von mir verlangst. Meine Dienste im Gegenzug für die Erfüllung meines Wunsches.“ ‚Eine weise Wahl, alter Mann.’ „Doch eine Frage habe ich noch“, unterbrach Aknadin herrisch und richtete sich auf. „Wie ist dein Name? Verrate mir deinen Namen und wir sind uns einig!“ ‚Huh? Bedingungen, alter Mann?’ Aknadin biss sich auf die Lippen. „Dein Name!“, wiederholte er frustriert und die Stimme gluckste laut, sagte jedoch kein Wort. Erst als sich das Schweigen in die Länge zog, ließ sie sich schließlich zu einer Antwort herab. ‚Zork. Das ist mein Name.’ Kapitel 37: Der Hohepriester ---------------------------- AN: Seth ist zurück im Palast, d.h. wieder mehr Atemu, der übrigens mit der Ausnahme von drei Kapiteln ab jetzt wieder in jedem Kapitel dabei sein wird. Das Kapitel ist zwischendrin etwas sprunghaft, was aber daran liegt, dass viele zukünftige Ereignisse "angesprochen" werden, die zwar wichtig sind, aber kein eigenes Kapitel rechtfertigen. RE: "Warum/seit wann führt der Nil wieder Wasser?": In Kapitel 25 und 26 hat es jeweils geregnet und da es, wenn es denn in Ägypten mal regnet, dann meist richtig regnet, hat das den Nil wieder gefüllt. Ich hätte zugegebermaßen noch eine kleine Zwischenszene einbauen müssen, die sich damit noch näher befasst, aber na ja, ich dachte, Aknadins kurze Gedanken dazu würden reichen. Falsch gedacht ^^° ------------ Kapitel 37 – Der Hohepriester Es war eine feierliche Zeremonie, bei der nur die höchsten Würdenträger Ägyptens zugelassen waren. Einer davon war selbstverständlich der Pharao selbst, der nun zufrieden auf seine fünf neuen Priester hinabsah, ihre Treuschwüre entgegennahm und sich ihrer gewissenhaften Dienste versichern ließ. Karim, Shada, Mahaado, Isis und Seth hatten ihre Ausbildung mit Bravour bestanden und bildeten nun mit Aknadin Atemus sechsköpfigen Priesterzirkel. Somit waren sie nicht nur die offiziellen Hüter der Millenniumsartefakte, sondern gehörten auch zu den Menschen, die mit über Ägypten regierten und nur dem Pharao und seinem direkten Befehl unterstanden. Aknadin war die Freude darüber sichtlich anzusehen. Mit kaum verhohlenem Stolz blickte er immer mal wieder zu Seth und ließ es sich auch nicht nehmen, dem jungen Mann persönlich zu gratulieren. Etwas abseits der Menschenmenge stand eine Frau mit langen, weißen Haaren. Ihr schlichtes Kleid und ihre verunsicherte Haltung verrieten sofort, dass sie nicht zu den Höflingen gehörte und sich inmitten der vornehm gekleideten Leute sichtlich unwohl fühlte. Auch Atemus adelige Gäste spürten dies und straften die unbekannte Frau mit der hellen Haut entweder mit Nichtbeachtung oder wildem Getuschel. Unwirsch musste Atemu feststellen, wie die Frau ständig Richtung Seth sah und sich dabei ein sehnsüchtiger Ausdruck auf ihr Gesicht schlich, der dem König ganz und gar nicht behagte. Seth hatte ihm das Mädchen als ‚Kisara’ vorgestellt; offenbar eine Tempeldienerin, die noch ganz am Anfang ihrer Ausbildung stand und deshalb eigentlich gar nichts im Palast zu suchen hatte. Seth hatte sie einfach mitgebracht. Der Pharao hatte nicht schon wieder einen Streit mit seinem jungen Priester provozieren wollen und schließlich zugestimmt, Kisara in einem nahe liegendem Tempel unterzubringen, wo sie ihre Lehre würde beenden können. „Aber wenn ich gewusst hätte, dass sie sich statt im Tempel ständig in Seths Nähe aufhalten würde...“ Atemu atmete leise. Eigentlich gab es keinen Grund zur Eifersucht; weder teilten Seth und das Mädchen ein Zimmer, noch gab es irgendwelche andere Anzeichen, dass die zwei romantisch involviert waren. „Und trotzdem, dass Seth sie so dicht an seiner Seite duldet, spricht doch eigentlich schon für sich, oder nicht? Aber würde er wirklich eine dahergelaufene Fremde mir, dem Pharao Ägyptens, vorziehen?“ Frustriert kaute er auf seiner Lippe, erhob sich schließlich von seinem Thron und setzte ein gezwungenes Lächeln auf. Solche Gedanken waren momentan wirklich fehl am Platze und mussten auf später verschoben werden, denn nun hatte er Wichtigeres zu tun. Er räusperte sich und konnte sogleich alle Augenpaare erwartungsvoll auf sich ruhen fühlen. Sein Lächeln wurde breiter. „Ihr werdet mir sicherlich alle zustimmen, wenn ich sage, dass heute ein ganz besonderer Tag ist. Und auch die Götter werden einer Meinung mit mir sein, dass diese jungen Priester hier, die ihre Loyalität und ihre Fähigkeiten in meinen Dienst gestellt haben, eine Bereicherung für unser schönes Land sein werden.“ Atemu pausierte kurz in seiner Rede und sofort ging ein zustimmendes Raunen durch die Menge. Mit einer ruhig erhobenen Hand gebot er den Menschen Schweigen und fuhr fort. „Wie allgemein bekannt sein müsste, hat mich mein Wesir Shimon in der Vergangenheit immer mit Rat und Tat unterstützt. Er wird dies auch weiterhin tun, allerdings in einem kleineren Rahmen. Das Alter machte leider auch vor ihm nicht halt. Deshalb habe ich beschlossen, einen weiteren Mann an meine Seite zu holen, der mir in Zukunft als meine rechte Hand, als mein Hohepriester dienen wird. Aufgrund seiner hervorragenden Leistungen habe ich dazu den Priester Seth ausersehen.“ Er warf Seth einen erwartungsvollen Blick zu. Doch dessen Miene spiegelte erst Erstaunen, dann puren Ärger wider. Wortlos drehte er sich um, rempelte rüde die ihm im Weg stehenden Menschen an und stürmte davon. ------------------------------------- Mit sichtlichem Wohlgefallen legte sein Wesir einen weiteren Stapel Schriftrollen vor dem Pharao ab und nickte zufrieden. Atemu stöhnte innerlich auf. „Wäre das dann jetzt alles, Shimon? Oder hast du noch irgendwo irgendwelche Anträge versteckt, von denen ich wissen sollte?“, fragte er entnervt und beäugte voller Unlust den riesigen Papyrusberg vor ihm, der aus den unterschiedlichsten, und nach Atemus Meinung unsinnigsten, Bittschriften und Verordnungen bestand und fast den gesamten Tisch bedeckte. „Ja, mein König. Das wären alle.“ Shimon sah seinen jungen Pharao missbilligend an. „Es wären bei weitem nicht so viele, wenn ihr gestern bereits mit ihnen angefangen hättet. Das Fest hätte doch sicherlich noch etwas warten können...“ Atemu unterbrach ihn gereizt. „Immerhin ging es um die Weihe meiner Priester, da hätte ich als Pharao wohl schlecht fernbleiben können. Von ‚Fest’ kann man da wohl nur schwerlich sprechen.“ Shimon räusperte sich verlegen. „Nun ja, wie dem auch sei...ich habe natürlich bereits alles genau durchgelesen und soweit wie möglich bearbeitet. Ihr müsst im Grunde nur noch den Stapel da links von euch noch mal gegenlesen und gegebenenfalls unterschreiben. Die Antwortschreiben sind ebenfalls bereits vorgefasst; das wäre dann der rechte Haufen dort. Der junge Mahaado und auch Shada waren mir dabei eine große Hilfe. Ich muss schon sagen, Eure neuen Priester sind alle sehr fähig. Ihr müsst zufrieden sein.“ Der Pharao nickte beiläufig, auch wenn er Shimons Worten in Wirklichkeit nur bedingt zustimmen konnte. ------------------------------- Karim betrat das spartanisch eingerichtete Zimmer nur äußerst ungern. Er blickte sich schnell um, entdeckte als erstes Kisara, welche sich mehr schlecht als recht an einigen Schreibübungen versuchte und schließlich Seth, den eigentlichen Grund seines Besuchs. Der frisch ernannte Hohepriester war gerade damit beschäftigt, einen kleinen, braunen Falken zu streicheln und hatte Karim wohl noch gar nicht bemerkt. Das galt es schleunigst zu ändern. Laut Seths Namen rufend, trat Karim zu ihm auf den Balkon; fühlte sogleich einen unwirschen Blick auf sich ruhen und kam deshalb ohne Umschweife zur Sache. „Der Pharao will dich sprechen, und zwar sofort.“ ----------------------------- „Ankhmahor...Ankhmahor...den Namen habe ich doch schon einmal gehört…“ Angestrengt starrte Atemu auf die Schriftrolle; zerknitterte dabei das feine Pergament, das durch die unvorsichtige Behandlung leicht einriss. Die Stimmung des Pharaos verdüsterte sich zusehends; ein weiteres Mal las er sich den Text durch, in dem der Verfasser um Getreide für Theben bat, und plötzlich hellte sich sein Gesicht auf. „Natürlich. Der Gaufürst Ankhmahor, jetzt erinnere ich mich.“ Der thebanische Fürst hatte damals um eine Unterredung mit Atemu gebeten, die alles andere als in seinem Interesse ausgegangen war, als der Pharao die Hälfte von dessen Nahrungsreserven beschlagnahmt hatte. Atemu seufzte. Die Götter hatten wirklich kein Einsehen mit ihm; irgendwie rächte sich in letzter Zeit nämlich alles. Eine Heuschreckenplage hatte einen Großteil der Ernten in Theben vernichtet und da bereits fast alle Vorräte aufgebracht waren, drohte dort inzwischen eine Hungersnot. „Eins muss ich dem Fürsten ja lassen: Mut hat er, dass er sich noch mal an mich wendet. Nicht schlecht, Ankhmahor.“ Er hatte gerade das Gesuch bestätigt und unterschrieben, als es an der Tür zu seinem Gemach klopfte. „Und das wäre dann wohl Seth.“ ---------------------------- „Ihr habt nach mir verlangt, mein Pharao?“ Seths Stimme war ebenso gereizt wie sein Gesichtsausdruck. Die Arme vor der Brust verschränkt, stand er herausfordernd vor Atemu, welcher seinerseits nur ruhig seine Hände faltete und keinen Ton von sich gab. Sein Priester starrte ihn einen Moment irritiert an, bevor er schließlich tief ausatmete und sich ungefragt auf einen Stuhl gegenüber dem Pharao setzte. Er betrachtete kurz den Stapel Schriftrollen, ließ seinen Blick weiter durch den Raum schweifen; erkannte, dass sie allein waren und widmete sich dann endlich seinem König. „Spreche ich hier heute mit dem Pharao oder mit Atemu?“, fragte er schneidend, worauf dieser nur eine Augenbraue hob. „Macht das einen Unterschied?“ Seth nickte. „Für mich schon.“ „Dann ist es auch deine Entscheidung. Mir ist es gleich“, beschloss Atemu und fuhr sich mit einer Hand durch sein Haar. Er sah seinen Priester ernst an. „Bei der Zeremonie gestern...was sollte das, Seth? Weißt du eigentlich, wie blamiert du mich hast? Ich ernenne dich zum Hohepriester und das ist der Dank?“ Seth grinste spöttisch. „Du erwartest wirklich meinen Dank? Für was denn, bitte schön? Wir wissen doch beide, warum du mir eigentlich diese, nun, unverdiente Ehre hast zuteil kommen lassen.“ „Ach, und das wäre?“ Seths Kiefer verhärtete sich vor Frustration. „Erst dein kleiner Spielzeug-Sklave, anschließend dein Priester. Und jetzt das. Ziemlich steiler Aufstieg in gerade mal zwei Jahren, findest du nicht auch? Mit jedem Tag stehe ich mehr in deiner Schuld. Aber das ist es ja gerade, nicht wahr, Atemu? Ich hätte nie gedacht, dass du so tief sinken könntest. Dass du glaubst, nur so könntest du dir meine Treue sichern.“ Für einen kurzen Augenblick konnte der Pharao nicht anders, als verwirrt zu blinzeln. Dann jedoch knallte er wütend seine Hände auf den Tisch. „Weißt du, was die wahre Enttäuschung ist, Seth?“, fragte er langsam, worauf sein Priester störrisch sein Kinn reckte, sich aber ansonsten ausschwieg. „Was wirklich traurig ist, ist deine ständige Fehlinterpretation meiner Motive. Ob du es glaubst oder nicht: Ich weiß, dass ich nicht unfehlbar bin. Aber du bist einfach nur anmaßend. Was ich getan habe, hat nichts mit Schuld zu tun. Ich wollte dich als meinen Hohepriester, weil du deine Ausbildung in Rekordzeit und als Bester abgeschnitten hast. Weil ich dir vertraue. Aber so langsam zweifle auch ich an der Weisheit dieser Entscheidung.“ Atemus Stimme war so voller Bitterkeit, dass Seth daraufhin tatsächlich beschämt zu Boden starrte. Doch so einfach von seiner Meinung abrücken wollte er dennoch nicht. „Mag sein, dass ich ein wenig vorschnell geurteilt habe“, gab er schließlich mürrisch zu und Atemu wollte gerade etwas Passendes erwidern, als Seth fortfuhr. „Aber kannst du ehrlich sagen, dass diese merkwürdige Freundschaft zwischen uns rein gar nichts damit zu tun hat?“ Er wurde lauter. „Mahaado ist doch im Grunde viel geeigneter für ein Amt solchen Ausmaßes. Stattdessen hast du aber mich gewählt. Findest du das nicht ein wenig seltsam? Immerhin bin ich mit meinen knapp 18 Jahren nicht nur der Jüngste, sondern auch der Unerfahrenste!“ „Schon, aber...“ Atemu atmete einmal tief durch. „Ganz unvoreingenommen in meiner Entscheidung war ich nicht. Es stimmt, auch Mahaado hätte Hohepriester werden können. Doch letzten Endes will ich nun mal dich an meiner Seite.“ Dass er damit nicht nur das Amt meinte, verschwieg er wohlwissentlich. „Dies basiert zum Einen wirklich auf meinen vorhin schon dargelegten Gründen und ja, es liegt auch daran, dass du mir als Mensch wichtig bist und ich weiß, dass ich mich auf dich verlassen kann. Ich will dich zu nichts zwingen. Also Seth, möchtest du nun Hohepriester sein oder nicht?“ Auf Atemus Worte folgte ein langes Schweigen. Seth betrachtete ihn nur stumm aus zu Schlitzen verengten blauen Augen und der Pharao spürte zusehends, wie er unter dem kühlen Blick sichtlich nervös wurde. Dann aber entspannten sich Seths Gesichtszüge und er nickte langsam. „Ich denke, ich würde mich geehrt fühlen, dein Hohepriester zu sein.“ ------------------------------ „Mahaado, ist alles in Ordnung?“, wollte die hübsche Priesterin besorgt wissen und trat zögerlich an den edel verarbeiteten Tisch. Verärgert hob der Angesprochene seinen Kopf von der harten Platte, legte seine Fingerspitzen aneinander und sah Isis fast schon genervt an. „Was willst du, Isis? Siehst du nicht, dass ich gerade beschäftigt bin?“ „Aha. Beschäftigt also?“ Sie stemmte ihre Hände in die Hüfte. „Und womit? Zu schmollen wie ein beleidigtes Kleinkind?“, fragte sie spöttisch, was Mahaados Laune nur noch verschlechterte. „Ich schmolle nicht“, stellte er beleidigt klar und Isis konnte sich ein leises Kichern nicht verkneifen. „Aber natürlich nicht“, meinte sie milde und zuckte mit den Schultern. „Ich kann natürlich nur raten, aber hat dein Verhalten irgendetwas mit Seths Ernennung zum Hohepriester zu tun?“ Gegen seinen Willen umspielte nun ein amüsiertes Lächeln Mahaados Lippen. „Sagt dir das mal wieder deine weibliche Intuition?“ „Ja, das tut sie. Und so schwer war das nun wirklich nicht. Es gibt schließlich nicht viele Dinge, die dich aus der Fassung bringen. Und Seth und der Pharao gehören dazu.“ Der junge Priester seufzte. „Ich weiß, ich weiß. Mein Verhalten ist töricht. Es ist nur...ich hatte die Hoffnung, dass ich das Amt des Hohenpriesters erhalten würde.“ Seine Stimme wurde bitter. „Doch schon wieder wurden meine Erwartungen enttäuscht. Schon wieder wurde ich von Seth ausgestochen.“ „Ach, Mahaado…“ Isis legte ihm eine schmale Hand auf seinen Arm und betrachtete ihn traurig. „Ich verstehe dich ja und kann deinen Ärger nachvollziehen. Nur scheint mir, dass du in deiner Wut vergessen hast, dass die Zukunft nun mal ein festgeschriebener Pfad ist, dem wir blind zu folgen haben. Du musst den Dingen ihren Lauf lassen, selbst dann, wenn du sie nicht verstehst. Letzten Endes werden uns die Götter und der Pharao schon richtig leiten. Wir müssen ihnen nur vertrauen.“ „Hm.“ Leise brummend erhob sich Mahaado und trat hinaus auf den weitläufigen Balkon, der einen atemberaubenden Blick auf die Gärten des Palastes freigab. Eine Weile stand er einfach nur schweigend da und Isis wunderte sich schon, ob er überhaupt noch irgendetwas sagen würde, als schließlich seine besonnenen Worte den Raum erfüllten. „Die Hüterin der Millenniumskette. Die Priesterin, die in die Zukunft blicken kann. Ich bewundere deinen Glauben in dieselbe, Isis, doch teilen kann ich ihn nicht. Denn einer Sache bin ich mir sicher: Ich diene dem Pharao, weil ich es möchte und nicht, weil die Götter mir dieses Schicksal zugeteilt haben. Und alles, was ich will, ist, dass diese Loyalität von Atemu gewürdigt wird. Mehr nicht. Aber so langsam weiß ich einfach nicht mehr, was ich noch tun könnte.“ Darauf hatte Isis nichts zu erwidern. Sie sah verunsichert zu ihm, wollte so gerne an seine Seite treten und den seltenen Moment der Zweisamkeit nutzen. Doch gleichzeitig fürchtete sie dieses Verlangen in ihr auch; spürte, wie sich ihr Magen vor Angst zusammenzog. Schnell drehte sie sich um und eilte zur Tür. Dort angekommen, stoppte sie kurz. „Wir…wir sehen uns beim Abendessen, nicht wahr?“ Mahaados gemurmeltes ‚vielleicht’ war so still und monoton, dass Isis Mühe hatte, es zu verstehen. Ihre Enttäuschung herunterschluckend, öffnete sie die schwere Tür und war mit einem Fuß schon draußen, als Mahaado ihr hinterher rief: „Warte, Isis. Ich komme mit dir.“ Und wieder verkrampfte sich ihr Körper, diesmal jedoch vor stiller Freude. -------------- Gelassen verlas Aknadin die Schriftrolle und erst, als er geendet hatte, erlaubte er sich in Besorgnis die Stirn zu runzeln. Shada nahm ihm das Schreiben aus der Hand, überflog es kurz und wandte sich dann sogleich an seinen Pharao. „Das klingt nicht besonders gut. In letzter Zeit häufen sich die Beschwerden über Heqaib. Ich denke, es wäre das Beste, einen Kundschafter zu diesem fragwürdigen Grenzposten zu schicken, damit der sich die Sache mal genau ansieht.“ Atemu wollte dem gerade zustimmen, als Aknadin dazwischen ging. „Das reicht nicht. Dem Vizekönig von Nubien ist sein Amt schon seit langem zu Kopf gestiegen. Nur die Präsenz des Pharaos vermag hier etwas auszurichten. Die Goldvorräte zu stehlen, die eigentlich für den Palast bestimmt waren, ist kein Vergehen, über das der Herr Ägyptens so einfach hinwegsehen kann. Heqaib gehört bestraft, was eindeutig in den Aufgabenbereich unseres Pharaos fällt.“ Doch noch bevor besagter Pharao etwas erwidern konnte, wurde er erneut unterbrochen; diesmal von Mahaado. „Die Reise nach Nubien ist viel zu gefährlich. Es stimmt schon, die Angelegenheit mit Heqaib muss unverzüglich geklärt werden. Doch es wäre unverantwortlich, dass der Pharao sich persönlich auf den Weg macht. Ich bitte Euch, mein König. Geht nicht selber, sondern schickt einen anderen.“ Aknadin lächelte süffisant. „Wie wäre es denn, wenn Ihr den Pharao begleiten würdet, Mahaado? Wo Ihr doch offensichtlich so wenig Vertrauen in die Fähigkeiten des Königs habt...“ „Das hat nichts mit Vertrauen, sondern mit Vernunft zu tun!“, entgegnete Mahaado sichtlich erzürnt und Atemu spürte, wie ihm auch der letzte Geduldsfaden riss. „Es reicht! Wenn hier einer die Entscheidungen trifft, dann bin ich es!“ Er sah ernst in die Runde. „Ich kann Heqaibs Treiben nicht länger dulden. Doch die Lage ist auch nicht so bedenklich, als dass ich mich selbst darum kümmern müsste. Ich werde einen Botschafter samt einer kleinen Eskorte schicken. Das sollte genügen.“ Wenn Atemu genau hingeschaut hätte, so hätte er bemerkt, wie Aknadins Mund sich zu einer dünnen Linie verzog. So aber nahm er nur das zustimmende Nicken seiner Priester wahr. „Irgendwelche Vorschläge?“, wollte er schließlich wissen und sogleich trat Mahaado einen Schritt vor. „Schickt bitte mich, mein Pharao.“ Mahaados wirkte so selbstsicher, dass Atemu schlussendlich zustimmte, auch wenn ihm der Gedanke aus irgendeinem Grund gar nicht behagte und ein flaues Gefühl in seiner Magengrube zurückließ. ----------------------------------------- Kapitel 38: Hinterhalte ----------------------- Tut mir leid, dass es letzte Woche kein Kapitel gab, aber zwischen zwei Leistungsklausuren bin ich einfach nicht dazu gekommen. Aber jetzt habe ich fürs erste Ruhe und deshalb sollte das hoffentlich eine Ausnahme bleiben. ---------------- Kapitel 38 – Hinterhalte Gut geschützt von bunt bemalten, riesigen Säulen, die lange Schatten auf den Boden und die Wände warfen, schlich sich der Mann Zentimeter für Zentimeter vorwärts. Die Sonne stand tief am Himmel; tauchte den Thronsaal unter ihm in ein goldenes, warmes Licht, welches die umstehenden Wachen blendete und ihnen so die Sicht raubte. Es war perfekt. Ein plötzliches Geräusch ließ ihn zusammenzucken. Sich schnell umdrehend erkannte der Mann, dass er immer noch allein war und zumindest vorläufig nichts zu befürchten hatte. Beruhigt atmete er aus. Er war kein Narr. Er kannte die Strafe für sein geplantes Verbrechen; ahnte, dass er diese Aktion nicht überleben würde. Der Tod war ihm so gut wie sicher, ob nun durch die Hand eines Fremden...oder seine eigene. Kurz fragte er sich, warum er das hier tat, warum er bereit war, einen solchen Frevel zu begehen, doch dann fiel es ihm wieder ein. Er hatte eine Aufgabe zu erfüllen; hatte jemanden zu rächen. So viele Menschen würden ihm dankbar sein. Er würde als ein Held in die Geschichte eingehen; als der Mann, der das Volk von seinem tyrannischen, unfähigen Herrscher befreit hatte! Er schlich sich noch ein Stückchen weiter, lehnte seine Körper an eine Säule und versuchte, sein wie wild klopfendes Herz zu beruhigen. Dann suchte er sich eine günstige Position. Vorsichtig beugte er sich über die Brüstung und ging in Angriffsposition. Er hatte nur eine Chance. Nur diesen einen Schuss. Sorgfältig nahm er sein Ziel ins Visier; schluckte seine letzten Bedenken hinunter...und schoss. Sein Ziel, der Pharao. ------------------------------ Etwas Scharfes flog an seinem linken Ohr vorbei, streifte ihn und zerfetzte dabei die Haut. Er spürte, wie ihm warmes Blut, sein Blut, das Gesicht herunter lief; hörte, wie ein plötzlicher Tumult losbrach und seine Wachen wild auseinander stoben. Shada rief etwas; deutete auf die obere Ebene des Thronsaals und Atemu erkannte flüchtig einen sich schnell entfernenden Schatten. Der Pharao runzelte die Stirn; fuhr sich mit einer Hand über die Wunde an seinem Ohr und betrachtete verwirrt die rote Flüssigkeit, welche nun an seinen Fingern klebte. Ein Attentäter hatte gerade versucht, ihn umzubringen. Und fast damit Erfolg gehabt. Seine Wachen hatten nichts gesehen, seine Priester hatten nichts gesehen, er, der Pharao, hatte nichts gesehen. Am liebsten hätte Atemu lauthals losgelacht. Ein unsanftes Rütteln an seiner Schulter holte in die Gegenwart zurück. Jemand an seiner Seite fluchte etwas Unflätiges und Atemu blinzelte irritiert. Schließlich wurde seine Sicht wieder klar. „Seth, was...?“ Sein Hohepriester betrachtete ihn unruhig. „Mach dir keine Sorgen, Atemu. Wir werden den Kerl schon fassen. Er ist sicher noch nicht weit. Er kann nicht entkomm...“ „Wir haben ihn“, informierte ihn wie aufs Stichwort auch schon Shada, der, begleitet von einigen Wachen, einen wild strampelnden Mann vor den Pharao führte. Seth brummte zufrieden. Der Mann wurde vor dem Pharao auf den Boden gedrückt. Scharfe Speerspitzen waren auf seinen Rücken gerichtet und endlich gab der Mann seinen Widerstand auf und blieb stattdessen regungslos liegen. Shada hielt Atemu ein schmales, hölzernes Blasrohr und einen kleinen Pfeil entgegen. „Das haben wir bei ihm gefunden. Seht Ihr die Flüssigkeit auf der Pfeilspitze? Ich nehme an, dass es sich dabei um Gift handelt. Hätte der Schuss gesessen, wäre es sicher tödlich gewesen.“ Fast schon teilnahmslos nickte Atemu. Dann zeigte er auf den Attentäter. „Er soll mir ins Gesicht sehen. Ich will wissen, warum er das getan hat. Ob er allein gehandelt hat...oder ob es ein Auftrag war.“ Rüde zogen die Wachen den Mann auf seine Füße; packten dessen Kinn und zwangen ihn, den Pharao anzuschauen. Atemu sog scharf die Luft ein. Blut tropfte vom Kinn des Gefangenen und seine Augen waren vor Tränen und Schmerz getrübt. Betreten schaute Shada zu Boden. „Er kann nicht mehr reden. Denn er hat sich die Zunge abgebissen.“ ------------ „Und, Aknadin? Habt Ihr mit dem Millenniumsauge Eintritt in die Gedanken des Mannes erlangen können?“, fragte Atemu bemüht gelassen und blickte seinen Onkel abwartend an. Dieser nickte. „Ja, das habe ich. Doch was ich gesehen habe, wird Euch sicher nicht gefallen.“ Seufzend lehnte sich Atemu in seinem Bett zurück. Sein mit verschiedenen Salben eingeriebenes Ohr juckte furchtbar und er wollte gerade schon eine Hand heben, um sich zu kratzen, als ein missbilligendes Knurren von Seth ihn in seiner Bewegung stoppte. Er lächelte verschmitzt und widmete sich wieder Aknadin. „Erzähl weiter.“ „Sehr wohl.“ Der alte Priester zog sich einen Stuhl heran und ließ sich darauf nieder. „Wie es scheint, handelt es sich bei dem Mann um einen Auftragskiller. Er gehört zu einer Gruppe von Attentätern, die auf diese Art von Morden spezialisiert ist. Und sie sind nicht ganz billig. Wer auch immer ihn geschickt hat, ist sicher nicht arm.“ „Irgendeine Idee, in wessen Auftrag der Mann gehandelt hat?“, mischte sich Seth ein und warf Aknadin einen undeutbaren Blick zu. Dieser für seinen Teil betrachtete den jungen Priester sorgenvoll. „Nun ja, die habe ich in der Tat. Nachdem, was ich habe erkennen können, ist wohl Heqaib unser gesuchter Mann. Unser verehrter Vizekönig von Nubien hat offensichtlich Wind von unseren Verdächtigungen bekommen und in einem letzten, verzweifelten Aufbäumen versucht, sich unseres Königs zu entledigen. Ein finaler Racheakt, sozusagen. Und ein zum Glück fehlgeschlagener, wenn ich das so sagen darf.“ Atemus Augen weiteten sich. „Heqaib? Seid Ihr sicher? Der Vizekönig ist korrupt, das schon, aber ob er wirklich so weit gehen würde? Irgendwie bezweifle ich das. Ich meine, ich kenne den Mann nur flüchtig, aber trotzdem...“ „Ich kann dazu nicht viel sagen. Jedenfalls sind das die Gedanken des Attentäters. Und nicht nur das. Mein Pharao, es fällt mir wirklich schwer, das zu sagen, aber ich befürchte, dass sich Mahaado in großer Gefahr befindet.“ Das Gesicht des Pharaos zeigte Erschütterung, doch noch bevor er sich dazu äußern konnte, fuhr Aknadin auch schon fort. „Wie ich bereits sagte, der Mann arbeitet nicht allein. Die Attentäter wissen, dass Ihr Mahaado losgeschickt habt. Sie kennen seine Reiseroute, sein Ziel. Sie wollen ihn abfangen und töten.“ Der alte Priester pausierte kurz und zupfte gedankenverloren an seinem Bart. „Mahaado ist ein fähiger Priester und ein guter Magier, daran gibt es keinen Zweifel. Nur, ob er sich ganz allein gegen eine Gruppe professioneller Mörder behaupten kann?“ -------------------------------- Erschöpft schloss Atemu die Augen. Die Sache mit Mahaado beunruhigte ihn, doch vor Morgengrauen konnte er ohnehin nicht viel ausrichten. Eine Reise bei Nacht wäre einfach zu gefährlich. Außerdem war es nicht die erste Mission des Priesters; er hatte schon so manch brenzlige Situation überstanden. „Ein fähiger Priester und ein guter Magier. Damit liegst du nicht ganz richtig, Aknadin. Mahaado ist mehr als das. Er ist ein hervorragender Priester und ein großartiger Magier. Er wird auch mit dieser Sache fertig werden.“ Und dennoch. Ein letzter Rest Zweifel blieb. Plötzlich näherten sich ihm eilige Schritte. Atemu öffnete seine Augen einen kleinen Spalt und erkannte Seth, dessen ganze Haltung puren Ärger und Mordlust ausstrahlte. „Keinen Erfolg gehabt?“, fragte der Pharao, nun wieder hellwach, und richtete sich schnell auf. „Hm. So ist es“, war die geknurrte Antwort seines Priesters, der erst unschlüssig im Raum stand und sich dann neben Atemus Bett stellte, von wo aus er düster auf den jungen König hinabblickte. „Meine Befragung konnte ich vergessen. Ich meine, selbst ohne Zunge hätte er noch mit dem Kopf nicken oder ihn schütteln können, aber jetzt...“ Er brummte mürrisch und fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. „Der Kerl hat sich umgebracht, Atemu. Einfach umgebracht. Die Wachen haben ihn wohl nicht gründlich genug durchsucht. Auf jeden Fall musste er irgendwo ein Messer versteckt haben. Er hat sich die Kehle durchgeschlitzt. Und gründlich war er dabei, das muss ich zugeben. Der Feigling hat sich selbst getötet.“ Atemu nickte bedächtig. „Dann ist alles, was wir jetzt noch haben, Aknadins Schilderung. Das behagt mir ganz und gar nicht.“ Seth sah ihn scharf an. „Glaubst du, dass Aknadin gelogen hat?“ „Nein, ich wüsste nicht, was er davon hätte. Aknadin ist kein Mörder. Nur ein verbitterter, alter Mann, der einen unnötigen Groll gegen mich hegt. Mahaado hat nichts damit zu tun. Sein Tod wäre für Aknadin doch völlig bedeutungslos. Mein Onkel wird schon die Wahrheit gesprochen haben oder besser gesagt das, was er für die Wahrheit hielt.“ Atemu nahm interessiert wahr, wie sich auf Seths Gesicht fast so etwas wie Erleichterung widerspiegelte. Doch nur einen Moment später hatte sich sein Ausdruck auch schon wieder geändert; war erneut kühl und unnahbar. „Und was hast du jetzt vor?“ Der Pharao zögerte einen Moment. „Ich denke, ich werde Mahaado folgen“, beschloss er schließlich. „Ich vertraue ihm und seinen Fähigkeiten, doch ich will auch kein unnötiges Risiko eingehen.“ Er beugte sich ein Stück vor und betrachtete Seth ernst. „Wirst du mich begleiten?“, fragte er schließlich langsam und sein Priester erwiderte den prüfenden Blick zwar erst unsicher, nickte dann jedoch knapp. „Ja, das werde ich.“ Atemu lächelte dankbar. Kapitel 39: Gemeinsame Nächte ----------------------------- So, leider gibt es jetzt erst einmal ein längeres Vorwort: Re: Gift: Wie gefährlich das Gift wirklich ist, hängt in erster Linie natürlich erst einmal von der Art des Giftes ab. Das des Attentäters wäre tödlich gewesen, wenn es in den Blutkreislauf gelangt wäre, aber, wie Shada angemerkt hat, befand es sich nur auf der Pfeilspitze. Der Pfeil jedoch ging an Atemus Ohr vorbei; er wurde nur von der Pfeilseite, nicht der Spitze, gestreift. Sicherlich ist es möglich, dass Atemu trotzdem einige Tropfen Gift abbekommen hat, jedoch wurde seine Wunde, wie im Vorkapitel erwähnt, recht flott gereinigt und desinfiziert, so dass letztlich keine sonderlich große Gefahr für Atemu mehr besteht. Ich bin kein Experte, aber auf einer "erste Maßnahmen bei Verdacht auf Vergiftung"-Seite war der Ablauf in der Regel, insbesondere, wenn das Gift unbekannt war: Wunde reinigen und Betroffenen beobachten. Erst wenn der Vergiftete weitere Anzeichen, wie Krämpfe etc. zeigte, wirds kritisch, aber Atemu hatte ja keine weiteren Symptome. Okay, nun zum aktuellen Kapitel: Nochmal zur Erinnerung: Cassandra war die griechische Prinzessin, die Atemu von einigen griechischen Abgesandten "geschenkt" bekommen hat. Und auch wenn ich sicher bin, dass sich einige durch dieses Kapitel regelrecht quälen werden: Wer meinen kleinen Pairingspoiler von vor einigen Kapiteln nicht gelesen hat, kann nun auch so erfahren (insbesondere wenn er die letzen eineinhalb Sätze dieses Kapitels aufmerksam liest), welches Pairing schon mal -nicht- vorkommen wird. So, das wars. Viel Spaß mit dem Kapitel (und haut mich net dafür...) ------------------------------------- Kapitel 39 – Gemeinsame Nächte „Du wirst mit dem Pharao gehen, nicht wahr?“ Kisaras Stimme war frei von Vorwurf oder Trauer, doch in ihren Augen konnte Seth die Besorgnis erkennen. Er versuchte sie zu beruhigen. „Ja, allerdings erst bei Sonnenaufgang. Ein bisschen Zeit habe ich noch. Und es wird schon nichts schief gehen.“ Das gesagt, trat er auf Kisara zu; setzte sich zu ihr auf den Boden und hob eine ihrer Schriftrollen auf. „Du warst fleißig, hm?“ Die Wangen der jungen Frau verfärbten sich vor Verlegenheit und sie wandte schnell ihren Blick ab. „Meine Schrift ist immer noch furchtbar. Deshalb habe ich noch ein wenig geübt. Ich weiß, ich hätte das auch im Tempel machen können, aber...“ Abrupt geriet sie ins Stocken. Ihre Augen konnte Seth nicht erkennen, doch die hektischen roten Flecken auf ihren Wangen entgingen ihm nicht. „Stört es dich, wenn ich bei dir bin?“ Sie sprach leise und hielt ihren Kopf gesenkt und auch Seth vermied es, sie allzu genau anzusehen. Dennoch, lange überlegen musste er nicht, wenngleich ihm die Worte sichtlich schwer fielen. „Nein, das tust du ganz und gar nicht. Ich...“, er schluckte schwer; überwand aber schließlich seine Scheu und drehte Kisaras Gesicht zu seinem. Sie hatten in den letzten Wochen so viel Zeit miteinander verbracht; sich so oft berührt; manchmal zufällig, manchmal gewollt, aber jedes mal ohne Hintergedanken. Und Seth war sich unsicher, ob er diese letzte Grenze zwischen ihnen wirklich brechen wollte. Doch er konnte auch nicht vergessen, dass er schon in einigen Stunden mit Atemu zusammen aufbrechen würde. Er war der Hohepriester des Pharaos und als solcher war es seine Aufgabe Atemu vor allen Gefahren zu schützen, selbst wenn es ihm sein eigenes Leben kosten würde. Seth seufzte. Er hatte nicht vor zu sterben, aber außer Acht lassen durfte er diese Möglichkeit nicht. Und das hieß, dass er Kisara vielleicht niemals wiedersehen würde. Er sah sie offen an: „Genau genommen würde ich mir wünschen, dass du heute Nacht bei mir bleibst.“ Er hatte Schock oder sogar Scham erwartet, doch Kisara überraschte ihn. Statt mit Worten antwortete sie ihm auf ihre Weise; nahm lächelnd sein Gesicht zwischen ihre Hände und presste leicht ihre Lippen auf die seinigen. Seth erwiderte den Kuss langsam, ließ sich von ihr zum Bett ziehen; ließ es zu, dass ihre Hände unter sein Oberteil fuhren; sie seine Brust streichelte, sie ihre Körper dicht aneinander rieb. Doch so sehr Seth die Berührungen auch genoss, plötzlich waren sie nicht mehr genug. Er wollte mehr. Viel mehr. Sanft saugte er an Kisaras blasser, weicher Haut, drückte sie weiter nach unten und tief in die Kissen. Seine Lippen wanderten zu ihrem Hals, knabberten vorsichtig und Kisara keuchte kurz erschrocken auf, doch schon einen Augenblick später legte sie ihren Kopf zur Seite, präsentierte ihm bereitwillig ihren Nacken, ihre Schulterpartie; drückte ihn noch näher an sich. Ihre Brust hob und senkte sich mit jedem Atemzug, ihre Augen schimmerten dunkel und auch Seths Berührungen verloren jegliche Zurückhaltung. Sie schloss ihre Lider und drückte sich ihm leise stöhnend näher entgegen. Ihr Atem ging flach und schnell, wurde immer verlangender und ihre Hände, so weich und zart, wanderten zu Seth, entledigtem ihm rasch seiner Kleidung und kitzelten seine Haut. Und noch einmal küsste er sie; genoss ihr forderndes Keuchen, die Wärme, die sie ausstrahlte; ihren Körper, der vor Erwartung schauderte, ihre Arme, die ihn umfangen hielten; ihre schlanken Beine, die sich um seine Hüfte klammerten. Und doch...irgendetwas in ihren Bewegungen, ihrer Art, ihrer ganzen Fügsamkeit, besorgte und irritierte ihn. Er streifte ihr das Kleid ab, erkannte nun endlich das Zittern ihrer Hände, die Unsicherheit, die sich in ihre feinen Gesichtszüge stahl. Und zum ersten Mal verstand er, warum ihn Atemu niemals gezwungen hatte, mit ihm zu schlafen; warum er immer gehofft hatte, dass sich Seth ihm freiwillig hingab. Widerwillig löste er sich von ihr. Kisaras Augen öffneten sich augenblicklich. „Habe ich was falsch gemacht?“, flüsterte sie zaghaft, beinah schuldig und ihre Worte versetzten ihm einen Stich. Er schüttelte bedächtig den Kopf. „Sei ehrlich zu mir, denn die Wahrheit könnte mich nie so kränken, wie eine Lüge es täte.“ Kisara verstand zwar nicht, worauf er hinauswollte, dennoch nickte sie. „Ich werde dich niemals belügen, Seth.“ Vorsichtig packte er sie an den Schultern und fuhr dann fort; seine Stimme sanft und vorwurfsfrei. „Kisara, sag mir eins: Willst du das hier? Nein, mehr als das: Willst du mich?“ Die junge Frau war zu überrascht, um sofort darauf zu reagieren und Seths Frage, seine Worte, hingen noch immer im Raum, ausgesprochen und doch unbeantwortet. Schließlich überwand sie sich. Sie lächelte zaghaft und beugte sich zu ihm vor. „Ja, ich will dich. Mehr als alles andere.“ Die einzige Erwiderung, zu der Seth noch fähig war, war ein tiefer Kuss; ihr hingebungsvoller Atem das einzige Geräusch, was er noch wahrnehmen konnte; der sich unter ihm gleichmäßig bewegende Körper die einzige Sache, die für ihn noch von Bedeutung war. -------------------- Sie wusste nicht, was er so plötzlich von ihr wollte, warum er sie mitten in der Nacht aus dem Frauenhaus hatte hierher bringen lassen. Sie fröstelte. Schützend schlang sie ihre Arme um sich und wagte es nicht, den Blick zu heben und den Pharao anzusehen. „Er hat sich die ganze Zeit über nicht für mich interessiert, also warum gerade jetzt?“ „Zieh dich aus.“ Die herrische Stimme des jungen Königs riss sie jäh aus ihren Gedanken und ließ in ihr erneut die Furcht aufsteigen. Mit zitternden Händen entledigte sie sich ihres dünnen Schlafgewandes und legte sich dann zu ihm aufs Bett. Atemus Gesicht war ausdruckslos, als er sie begutachtete und seine Berührungen fühlten sich unangenehm kalt an. Zögernd spreizte sie ihre Beine, doch der König schüttelte nur mit dem Kopf. „Nein, nicht so. Dreh dich um. Ich will dein Gesicht nicht sehen.“ Nur mit Mühe konnte sie ein Schluchzen unterdrücken. Am Rande nahm sie wahr, wie der Pharao sich hinter sie setzte; krallte ihre Finger in die Laken und spürte, wie ihr ganzer Körper erbebte. Erneut versuchte sie sich zur Ruhe zu zwingen. „Ich habe dies hier doch die ganze Zeit gewollt, habe auf diese Ehre gehofft. Warum also fürchte ich mich jetzt davor? Warum nur?“ Sie biss sich auf die Lippen und senkte ihren Kopf noch tiefer. „Nein, ich habe es gewollt, aber doch nicht so! Er will mich nicht ansehen, redet kaum mit mir. Noch nicht einmal seine Kleidung hat er abgelegt. So will ich das nicht. So nicht!“ Das Zittern wurde stärker; aus Angst wurde Panik und schließlich schrie sie laut auf. ------------ Erschrocken wich Atemu zurück. Er hatte noch gar nichts gemacht; war lediglich hinter die Frau getreten und trotzdem fing diese wie wild zu brüllen und zu toben an. Die Frau wurde immer hysterischer. Der herbeigerufene Arzt befahl zwei von Atemus Wachen den Kopf der Frau festzuhalten; konnte ihr so ein Beruhigungsmittel einflößen, was endlich die Schreie verstummen ließ. Der Pharao atmete erleichtert aus. „Was ist mit ihr, Hori?“, wollte er schließlich wissen und sah seinen Arzt verwirrt an. Der zuckte unschlüssig mit den Achseln. „Von Euren Gespielinnen im Frauenhaus weiß ich, dass Cassandra wohl schon öfter solche Anfälle hatte. Allerdings waren diese nur selten so heftig, als dass ich hätte gerufen werden müssen. Man hat angenommen, dass sie von Dämonen befallen worden sei und hat Priester kommen lassen. Doch die konnten nichts ausrichten. Sie ist ja auch nicht bösartig, eher wie ein kleines Kind.“ „Mit anderen Worten: Sie ist verrückt“, entgegnete Atemu langsam und fuhr sich müde durchs Haar. Cassandra währenddessen lag immer noch auf dem Bett; murmelte hin und wieder etwas in ihrer Heimatsprache und kicherte leise. Hori seufzte. „Ich weiß nicht, ob man sie wirklich verrückt nennen sollte. Sie lebt eher in ihrer eigenen Welt. Die meiste Zeit über soll sie aber normal ansprechbar sein. Außerdem ist sie kein Einzelfall. So wir ihr ergeht es auf Dauer vielen im Frauenhaus. Trotzdem tut sie mir furchtbar leid, vor allem, weil ich nicht wüsste, was ich großartig für sie tun könnte, mein Pharao.“ „Aber ich. Sag, Hori, irgendeine Idee, wie gut sie mit den anderen Frauen zurechtkommt? Ist dort irgendjemand, der sich um sie kümmern würde?“ Der Arzt legte seinen Kopf zur Seite und überlegte lange, doch schließlich hellte sich sein Gesicht auf. „Ja, zumindest mit einer soll sie sich recht gut angefreundet haben. Ich weiß jetzt nicht den genauen Namen, aber Cassandra bedeutet ihr wohl viel und sie hatte schon mehrfach angeboten, sich um die Kleine zu kümmern, falls die Anfälle schlimmer werden. Aber warum wollt Ihr das wissen, Eure Hoheit?“ Einige Stunden später sollte Hori seine Antwort bekommen, zusammen mit dem größten Rest von Atemus Hofstab. Denn bereits bei Tagesanbruch gab der Pharao den Befehl, das Frauenhaus aufzulösen und dessen Bewohnerrinnen zu ihren Familien zurückzuschicken. Und auch, wenn außer Hori keiner so wirklich den Hintergrund für diese plötzliche Entscheidung verstand, so wagte dennoch niemand zu widersprechen. Aknadin war wohl der einzige, dem die versteckte Erleichterung in Gesicht und Haltung seines Neffen nicht entging und der Atemus Befehl eigentlich schon für lange überfällig befand. Der Pharao hatte noch nie sonderlich oft Gebrauch von seinen Gespielinnen gemacht; etwas, was seit Seths Ankunft im Palast sogar noch abgenommen hatte. Wundern tat Aknadin vielmehr eine andere Sache. Einem zufällig aufgeschnappten Erinnerungsfetzen Atemus zufolge, hatte dieser heute Nacht eine Frau zu sich rufen lassen. An für sich nicht weiter verdächtig, wenn Atemus Gedanken ihm nicht verraten hätten, dass Seth der Grund für die plötzliche Zurückbesinnung des Pharaos auf seinen Harem war. Und das war etwas, was dem alten Priester zu denken gab. Das und die Tatsache, dass Seth bei Atemus Befehlsverkündung nicht anwesend gewesen war... „Bisher habe ich diesem merkwürdigen Mädchen an Seths Seite keine große Beachtung geschenkt, doch vielleicht sollte ich das jetzt lieber mal nachholen. Wenn ich Atemus Erinnerungen richtig gedeutet habe, dann könnte sie mir gefährlich werden.“ Augenblicklich ertönte Zorks amüsierte Stimme in seinem Kopf. ‚Gefährlich, in der Tat. Und zwar mehr, als du glaubst.’ „Soll heißen?“ ‚Diese Frau, so ein schwacher, zerbrechlicher Körper, so ein unsicherer Geist. Und ein Monster von unglaublicher Stärke tief in ihrer Seele verborgen. Ich spüre es genau. Sie ist ein Risiko, das es zu beseitigen gilt. Doch vorher sollten wir uns ihre Kraft zu Eigen machen.’ „Ich soll sie töten?“ Für einen kurzen Moment fühlte Aknadin ehrliche Betroffenheit. Zork schnaubte ärgerlich. ‚Für ein höheres Ziel sind Opfer zu bringen. Das weißt du genauso gut wie ich.’ „Aber Seth...sie bedeutet ihm so viel.“ ‚Er ist jung. Er wird jemanden anderes finden. Oder erkennen, wie wertlos solche Gefühle eigentlich wirklich sind.’ Aknadin nickte und verdrängte jeglichen Zweifel. Am Ende hatte Zork schließlich Recht. Und im gewissen Sinne war sein Sohn auch selber schuld. „Seth, du Narr. Erst Atemu, dann diese Frau. Du solltest nicht so leichtfertig dein Herz verschenken.“ -------------- Kisara blinzelte gegen die blendende Helligkeit und drehte sich auf die Seite; weg von dem Licht und in die kräftigen Arme Seths. Dieser war bereits wach und betrachtete sie nachdenklich. Kisara kümmerte es nicht. Zufrieden kuschelte sie sich näher an ihn, lauschte seinem regelmäßigen Atem und ließ sich davon einlullen, bis sie kaum mehr unterscheiden konnte, ob dies wirklich geschah oder ob sie sich bloß einem schönen Traum hingab. Doch auch Träume hatten Fehler; das wusste sie jetzt. Und die Realität, die sie letzte Nacht verdrängt hatte, holte sie unbarmherzig ein. Behutsam löste sie sich aus Seths loser Umarmung und sah ihn vorsichtig an. „Ich möchte mit dir reden, Seth“, wisperte sie bedrückt und dieser nickte unmerklich; ganz so, als hätte er bereits damit gerechnet. „Bereust du es, mit mir geschlafen zu haben?“, fragte er leise und Kisaras Augen weiteten sich vor Schock und Überraschung gleichermaßen. Sie schüttelte energisch mit dem Kopf; ihre Haare flogen ihr wild ins Gesicht und irritiert strich sie diese mit ihren Fingerspitzen zurück. Dann blickte sie ihn fest an. „Nein, ich bereue nichts. Doch ich frage mich, ob dasselbe auch für dich gilt.“ Seth stutzte überrumpelt. „Wie kommst du denn darauf?“ „Weil du...Ach, Seth, ich weiß, dass ich dir nicht egal bin. Aber ich frage mich doch, wie viel ich dir wirklich bedeute. Wenn du den Pharao erblickst, Zeit mit ihm verbringst, selbst wenn ihr euch streitet, dann bist du so voller Leben. Mich schaust du nie so an. So…intensiv.“ Sie pausierte kurz und atmete tief durch. „Ich möchte gerne wissen, ob du mit mir um meinetwillen zusammen bist, weil du es aus vollem Herzen möchtest...oder ob es nicht doch der Pharao ist, den du begehrst.“ Das saß. Seth öffnete zwar zögerlich seinen Mund, doch kein Ton kam heraus und sein Ausdruck verzog sich zu einer schmerzlichen Maske. Kisara lächelte sanft. „Du musst es mir nicht sagen. Du hast wahrscheinlich noch nie darüber nachgedacht. Aber, Seth, ich bitte dich. Überlege dir, was genau du eigentlich für mich empfindest und was davon nur eine Projektion deiner Gefühle ist, die eigentlich dem Pharao gelten sollten. Ich habe...“ Die junge Frau schluckte schwer und presste ihre nackten Körper dicht zusammen. „Nein, ich glaube, dass du Angst hast.“ Sie hörte, wie Seth einen protestierenden Laut von sich gab und legte ihm schnell einen Finger auf die Lippen. „Du hast Angst, Seth. Angst vor einer Beziehung mit dem Pharao. Ich kenne eure gemeinsame Vergangenheit nicht; weiß nicht, was zwischen euch vorgefallen ist. Doch ich bin auch nicht blind. Ich sehe doch, wie er dich betrachtet, wie sehr er sich nach dir verzehrt. Ich spüre seine Eifersucht auf mich, die doch eigentlich so völlig unbegründet ist. Wenn hier einer neidisch ist, dann bin ich es. So schön sie auch war: Eines hat mir diese Nacht sicher gezeigt. Auf irgendeine Art und Weise liebst du mich, doch es nicht die gleiche, nicht diese tiefe Art der Liebe, von der ich glaube, dass du sie für den Pharao fühlst.“ „Du irrst dich. Ich liebe Atemu nicht.“ Seth zuckte zusammen. Liebe. Das Wort fühlte sich immer noch so seltsam, so fremd, irgendwie auch so falsch auf seiner Zunge an. Kisara seufzte traurig. „Denk einfach nur über meine Worte nach, okay? Und wie auch immer du dich entscheidest, ob nun für ihn und gegen mich, ich werde es verstehen und akzeptieren.“ Frustriert wischte sie sich mit ihrem Handrücken einige störrische Tränen fort und probierte ein tapferes Lächeln. „Es wird vielleicht nicht ganz einfach für mich, aber ich werde es verstehen. Nur um eines bitte ich dich.“ Sie blickte Seth aus immer noch feuchten Augen ernst an. Sachte nahm er ihr Gesicht in seine Hände und küsste vorsichtig die letzten Spuren ihrer Tränen fort. Ermutigt fuhr sie fort, auch wenn ihre Stimme immer noch brüchig und abgehackt klang. „Du bist der erste Mensch, der jemals gütig zu mir war, der mir gezeigt hat, dass Menschen nicht nur zu Hass und Abscheu fähig sind, dass man auch einen Menschen wie mich gern haben kann. Seth, ich möchte dich beschützen, so wie du mich immer beschützt hast. Das ist alles, um das ich dich bitte. Lass mich in deiner Nähe bleiben und auf dich aufpassen.“ Seth drückte sie fest an sich und nickte; spürte, wie sich Kisara in seine Umarmung lehnte und die Anspannung allmählich von ihr abfiel. „Dann wirst du auch über meine Worte nachdenken...über dich und Atemu?“, wollte sie schließlich nochmals sichergehen und Seth beugte sich etwas vor, packte ihre Arme und drückte sie in die zerwühlten Laken, welche ganz warm waren von den ersten Sonnenstrahlen und ihren eigenen Körpern; die noch ihren gemeinsamen Geruch in sich trugen und von den Ereignissen der letzten Nacht zeugten. Kisara ließ es geschehen, wenngleich sich irgendetwas in ihr gegen Seths zarte Berührungen sträubte. Denn obwohl Seth ihr noch nicht antworten konnte, es vielleicht auch einfach nicht wollte, so kannte sie bereits die Wahrheit. Und es schmerzte sie. Selbst, als er sie sachte auf den Mund küsste, seine Lippen dann weiterwanderten zu ihrem Hals, ihren Schultern, ihrem Schlüsselbein, ihren Brüsten...selbst als er leicht ihre Beine spreizte und vorsichtig in sie eindrang, sie ihren Kopf in den Nacken legte und genüsslich stöhnte...selbst als ihr Atem immer fordernder wurde, sie ihre Beine um ihn schlang und ihn näher an sich heranzog, sie ihr Becken im Takt mit dem seinigen bewegte...selbst als all dies passierte, wusste sie schon Seths Entscheidung. Und ein kleiner egoistischer Teil von ihr konnte einfach nicht anders, als sich zu wünschen, dass es anders wäre. Kapitel 40: Illusionen ---------------------- So, nachdem es beim letzten Kapitel einige Nachfragen gab, gebe ich hier mal eine Kurzerklärung: Frage: Warum hat Seth mit Kisara geschlafen? Antwort: Weil er ein Trottel ist, der nicht zwischen Freundschaft und Liebe unterscheiden kann. Er wusste, dass er -etwas- für sie empfindet, aber ob es nun romantische oder freundschaftliche Gefühle waren, wusste er nicht. Dass es letztendlich keine Liebe ist, haben sowohl er als auch Kisara erst gemerkt, als es "zu spät" war. Seth hat zwar übrigens Kisaras Aussage, dass er Atemu liebt, widersprochen, aber nicht ihrer Feststellung, dass er -sie- auf jeden Fall nicht romantisch liebt. (Und falls sich jemand wundern sollte, warum er zum Schluss erneut mit ihr schlief: Kisara hat wegen Atemu nicht lockergelassen und wie man nun Seths Verhalten zu diesem Zeitpunkt interpretiert, bleibt jedem selbst überlassen. Ich sehe es so, dass er sie einerseits einfach nur zum Schweigen bringen, andererseits aber auch durch körperliche Nähe trösten wollte). Puh, und nun endlich zum Kapitel (so viel zu "kurz"...). ------- Kapitel 40 – Illusionen „Bist du endlich soweit?“ Atemus Ton war knapp und gefährlich neutral. Seth betrachtete ihn zwar irritiert, schwieg sich aber vorsichtshalber dennoch aus. Stattdessen schwang er sich nur rasch auf sein Pferd, schlug diesem leicht die Fersen in die Seite und trieb es zur Eile an. Der Pharao tat es ihm gleich; dicht gefolgt von einer kleinen Eskorte. Der Weg nach Nubien war lang und beschwerlich und kam Seth wie eine verdrehte Wiederholung ihrer Reise nach On vor. Nur damals war er es gewesen, der Atemu gemieden hatte, nun aber war es genau umgekehrt. Der Pharao war distanziert und sprach kaum; sein Blick, wenn er denn überhaupt Seth mal ansah, bitter und enttäuscht. Der junge Priester verkniff sich einen missmutigen Laut. Fast wehmütig dachte er an Kisara zurück und ihren Abschied, der in gewisser Weise auch endgültig war. „Ich bin ein Idiot. Was kümmert mich Atemu überhaupt? Kisara sollte genug sein, aber warum dann...“ Er schüttelte den Kopf, als ob das die ungebetenen Gedanken vertreiben würde. Kisara hatte in ihrer kurzen, gemeinsamen Zeit bereits gespürt, was Seth erst jetzt so langsam wirklich erkannte. Und irgendwie war das ärgerlicher als die Tatsache, dass er sich die letzten zwei Jahre selbst belogen hatte. Plötzlich durchschnitt Atemus Stimme die Stille. „Aknadin...als er erfahren hat, dass du mich begleitest, war er außer sich vor Wut. Ich habe ja schon immer gewusst, dass meinem Onkel viel an der liegt, aber das Ausmaß dieser Zuneigung ist mehr selten dermaßen deutlich vor Augen geführt worden.“ Seths Mimik war undeutbar. „So?“, brummte er nur und starrte stur geradeaus. „Ja, so“, echote Atemu und zog die Stirn kraus. „Hat das einen bestimmten Grund?“ Seth zuckte lediglich mit den Schultern, woraufhin Atemu mit den Zähnen knirschte. „Bist ja mal wieder überaus informativ heute.“ „Und du überaus gereizt.“ „Woran du nicht ganz unschuldig bist.“ Seth hob eine Augenbraue. „Ich?“, fragte er verwirrt und stoppte sein Pferd. „Wieso denn ich?“ Auch der Pharao hielt an. „Reitet ihr weiter“, gebot er barsch seinen Wachen und wandte sich dann seinem Priester zu. „Ich habe dich gestern gesehen. Ich wollte mit dir noch etwas wegen Heqaib besprechen und da habe ich dich mit ihr zusammen gesehen.“ „Mit ‚ihr’? Meinst du Kisara?“ Mit einemmal zischte Seth vor Ärger. „Soll das heißen, dass du uns beobachtet hast?! Pharao hin oder her, dazu hattest du kein Recht!“ „Als ob ich mir das Schauspiel freiwillig antun würde! Ich habe euch aber nackt nebeneinander im Bett liegen sehen, und mal ehrlich, es braucht nicht viel Fantasie um sich zusammenreimen zu können, was zu diesem Umstand geführt hat! Im Übrigen ist das auch gar nicht der Punkt. Der Punkt ist der: Liebst du diese Frau, Seth? Ist es das? Hat sie geschafft, wozu ich nicht in der Lage war?“ „Du redest wirr, Atemu.“ „Das ist nicht die Antwort auf meine Frage!“ „Aber die einzige, die du bekommen wirst!“, giftete Seth zurück und versuchte, seinen vor Wut zitternden Körper unter Kontrolle zu bekommen. „Verdammt, Atemu, wie soll ich dir das mit Kisara erklären, wo ich es doch selbst noch nicht ganz verstehe?“ Atemu lachte bitter. „Fein...fein. Du hast Glück. Mahaado ist im Moment wichtiger, aber“, er betrachtete Seth mit einer Mischung aus Enttäuschung und Resignation, „ich möchte, dass du eines weißt: Meine Gefühle für dich haben sich nicht geändert.“ Er schloss die Augen und lächelte traurig. „Eigentlich...Seth, einst hattest du mir gesagt, du würdest es nicht ertragen können, mich zu teilen. Denkst du denn nicht, dass es mir vielleicht genauso ergehen könnte?“ Seths Gesicht spiegelte tatsächlich Überraschung wider und Atemu fuhr fort: „Ich will nicht, dass du noch einmal mit ihr schläfst. Besser gesagt will ich nicht, dass du überhaupt mit jemandem außer mir schläfst. Und das sage ich dir als Pharao.“ „Was zum...? Habe ich das gerade richtig verstanden? Du verbietest mir den Sex mit anderen?“ „Ja, das tue ich“, bestätigte Atemu und krallte seine Finger fester um die Zügel. Sein Priester schnaubte. „Das kannst du nicht“, beschloss er unbeeindruckt und trieb wieder sein Pferd an. „Ich meine, wie viele Frauen und Männer haben denn schon dein Bett geteilt, hm? Du bist keinen Deut besser als ich.“ Der Pharao starrte ihm frustriert hinterher. „Da waren aber nie Gefühle im Spiel.“ Seine Augen fest auf Seth gerichtet, rief er schließlich laut: „Ich habe das Frauenhaus heute Morgen aufgelöst. Und auch mit einem Mann habe ich schon seit Jahren nicht mehr geschlafen!“ Mit Befriedigung nahm er wahr, wie Seth zusammenfuhr und ihm einen kurzen, prüfenden Blick über die Schulter zuwarf. Schließlich seufzte sein Priester. „Atemu, ich…“, er zögerte, schüttelte dann mit dem Kopf. „Wir sollten dieses Gespräch wirklich für einen anderen Zeitpunkt aufheben, einverstanden?“ Widerwillig willigte der Pharao schließlich ein, wenngleich sich seine Gedanken überschlugen; er hin- und hergerissen war zwischen dem Wunsch, diese Sache zwischen ihnen auf der Stelle zu klären und seiner Sorge um Mahaado. Müde folgte er seinem Priester. Immer, wenn er glaubte, dass er und Seth einen Fortschritt gemacht hatten, dass es wirklich eine Chance für sie gab mehr zu sein als nur Pharao und Priester, sogar mehr zu sein als Freunde, immer dann kam irgendetwas dazwischen, was diesen mühevollen Prozess störte, stoppte oder gar zerstörte. Manchmal erschien ihm dies alles so hoffnungslos. Seine Gefühle für Seth waren schon anstrengend genug; die Erkenntnis, dass diese Zuneigung für immer unerwidert bleiben könnte, eine äußerst schmerzhafte. Seth hatte vor gar nicht allzu langer Zeit gesagt, er wolle für niemandem mehr tief empfinden, denn er glaube nicht an die Beständigkeit dieses Gefühls. So paradox es auch war, aber diese Worte hatten Atemu verletzt und getröstet zugleich. Denn wenn Seth auch nicht fähig war, ihn zu lieben, so doch zumindest auch keinen anderen. Doch nun, mit Kisara... Das Schlimme an der Sache war, dass er nichts tun konnte. Er hatte Seth damals geschworen, ihn den ersten Schritt machen zu lassen, seinen Priester zu nichts mehr zwingen zu wollen. Und Atemu wollte sich daran halten, so schwer es ihm auch fiel. „Seth hat Recht. Ich kann ihm nicht verbieten, mit Kisara zu schlafen. Ich kann ihm nicht verbieten, sich für sie zu entscheiden. Alles, was ich machen kann, ist zu hoffen, dass er irgendwann meine Gefühle erwidern wird. Aus eigenem Antrieb.“ ---------------- „Verdammt noch mal, was ist das für ein Zeug?! Verflucht, jetzt helft mir gefälligst!“ Das unflätige Geschrei eines der Männer seiner Leibwache riss Atemu aus dem Schlaf und auch Seth, der neben ihm gesessen und Nachtwache gehalten hatte, setzte sich alarmiert auf. „Natürlich. Wenn wir schon angegriffen werden, dann selbstverständlich im Schutz der Dunkelheit. Feiglinge“, knurrte er leise und trat vorsichtig aus dem Zelt. Die Schreie indes waren bereits verstummt. Seth sah sich flink um, konnte jedoch nichts erkennen und warf dem Pharao einen besorgten Blick zu. „Die Männer sind weg“, informierte er ihn und nahm misstrauisch den Millenniumsstab in die Hand. Atemu zeigte auf den Boden. „Was ist das da? Dieses schwarze Zeug?“ Nun bemerkte auch Seth die klebrige Masse zu seinen Füßen, die plötzlich ein Eigenleben zu entwickeln schien und Anstalten machte, sich um seine Beine zu schlingen. Er gab einen angeekelten Laut von sich und trat schnell einen Schritt zurück. Der schwarze Schleim folgte ihm, erhob sich und stürzte sich in einer jähen Bewegung auf ihn, doch Seth brachte sich gerade noch rechtzeitig mit einem kräftigen Sprung in Sicherheit. Er zielte mit dem Stab auf die sich windende Masse und auch Atemu blieb nicht untätig. Sein Puzzle fest umklammernd richtete er seine Magie auf den Schleim, der einen merkwürdigen Schrei von sich gab, langsam zurückwich; unschlüssig von einer Seite auf die andere zu wippen schien, bevor er schließlich spurlos im Sand der Wüste verschwand; ganz so, als hätte es ihn nie gegeben. Der Pharao trat an Seths Seite. „Ich weiß nicht, was das war, aber ich denke, wir sollten lieber von hier verschwinden. Vielleicht finden wir ja auch die Wachen wieder.“ Sein Priester ruckte mit dem Kopf. „Nicht nötig, sieh mal hinter dich.“ Wie aus dem Nichts waren die vermissten Männer wieder aufgetaucht; ihr Blick leer und tot; ihre Haut aschfahl und ihr Gang merkwürdig schlurfend. Einer der Männer hustete und würgte und plötzlich flogen schwarze Brocken aus seinem Mund; der gleiche Schleim, der Atemu und Seth gerade angegriffen hatte. Der Schlamm floss aus den Augen der Männer, ihren Mündern und Ohren; drang zurück in ihre Körper und steuerte offensichtlich ihre Bewegungen. Wie ein Ausschlag bildete der Schlamm dicke Blasen, die schmatzend platzten und immer mehr wurden, bis die Männer vollständig von ihnen bedeckt wurden. Für einen Moment war alles still. Dann, wie auf ein geheimes Kommando hin, das nur sie hören konnten, zückten die Wachen ihre Schwerter und gingen auf Atemu und Seth los; diese wollten ihre Magie einsetzen; erkannten, dass diese nichts mehr nützte, dass der Schleim irgendwie immun geworden war. Atemus Kiefer verhärtete sich. Mit Reden würde er hier nichts ausrichten können, so viel stand fest. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Seth Duos herbeirief und auch Atemu befahl seinen Geflügelten Drachen herbei. Die Monster stürzten sich auf die Männer, hatten keine Probleme sie zu entwaffnen und zurückzudrängen und der Pharao wollte sich gerade schon über die Leichtigkeit ihres Sieges wundern, als Seth ihn zur Seite stieß und so schützte vor dem Schleim, der aus dem Boden gekrochen kam. Der Schlamm verteilte sich um sie, verschluckte immer mehr vom Sand und ließ nur eine zähflüssige Masse zurück, die gurgelnde Geräusche von sich gab und einen so durchdringenden Schrei, dass er in den Ohren schmerzte. Eine der Wachen kam wieder auf die Füße, hob ihre Hände wie zum Gebet und Atemus Drache fackelte nicht lange. Er spie einen Feuerball, der den Mann sofort in Flammen aufgehen ließ. Doch der gab nicht auf. In einem letzten Kraftakt taumelte er nach vorne und zielstrebig auf den am Boden verteilten Schleim zu. Seth keuchte vor Schreck, nahm eines der am Boden liegenden Schwerter und wollte den Mann noch an seiner Tat hindern, aber es war bereits zu spät. Lautlos fiel die Wache zu Boden und versank in der schwarzen Masse. Der Schleim fing Feuer. Hohe Flammen schossen in die Höhe, umzingelten sie, schnitten jeden Fluchtweg ab; kamen immer näher und raubten ihnen die Atemluft. Seth hustete und hielt sich die Hand vor den Mund. Atemu tat es ihm gleich, doch beide wussten, dass sie dies nicht lange würden aushalten können. Atemus Drache kämpfte sich trotz des Feuers zu ihnen durch und auch Duos wollte seinen Herrn nicht im Stich lassen. Doch plötzlich griffen die Flammen auch sie an, versenkten ihnen Haut und Schuppen und der übrige Schleim formierte sich neu, schlang sich in Fesseln um die Körper der Monster und zog sie immer näher zur Hitze. Bevor die zwei verbrannten, riefen Atemu und Seth sie zurück. Und nun standen sie allein da, nur umgeben von den tödlichen Flammen und dem Schleim. „Ruf deine Götter!“ Seth blickte sich gleichermaßen erschrocken wie verwirrt um und Atemu tat es ihm gleich. „Wo kommt die Stimme her?“, fragte er leise und der Pharao packte ihn am Arm und drängte sich dicht an ihn, zeigte dann mit zusammengefurchten Brauen auf einen Punkt vor ihnen. Eine weitere Wache rappelte sich hoch und fixierte sie aus trüben Augen. „Ruf deine Götter!“, wiederholte sie laut und taumelte nach vorne. „Ruf sie!“ Atemu blieb unbeeindruckt. „Und wozu?“, wollte er gelassen wissen, worauf die Wache noch näher schlurfte, bis sie schließlich kurz vor Seth und dem Pharao zum Stehen kam. Der faulige Geruch des Mannes schlug ihnen entgegen; ein Potpourri aus abgestandenem, stinkenden Wasser, vermodernden Pflanzen und...noch etwas anderem. Seth verzog das Gesicht. „Ist das Öl?“ Doch noch bevor er länger darüber nachsinnen konnte, sprach der Mann erneut, Atemus Frage völlig ignorierend. „Ruf deine Götter!“ Der Pharao verschränkte die Arme. „Von einem wandelnden Schleimklumpen lass ich mir gar nichts befehlen. Verrat du mir lieber erst mal, was du denn mit meinen Göttern anzustellen gedenkst. Schickt dich etwa der Vizekönig?“ Das irritierte den Mann. „Vize...könig?“, wiederholte er langsam, krallte seine Finger in sein Gesicht und kicherte irre. „Vizekönig, Vizekönig, Vizekönig...“ Seth schnaubte entnervt. „Bravo, du hast ein neues Wort gelernt, aber so langsam wird’s lächerlich. Erst antworten, dann weitergackern. Verstanden?“ Der Mann stoppte augenblicklich. „Nicht der Vizekönig. Kein Vizekönig. Ich werde dich aus eigenem Willen heraus töten, Pharao!“ „Na, das ist ja mal was ganz Neues“, murmelte Seth kopfschüttelnd und bekam für seine Bemühungen auch gleich von Atemu einen Stoss in die Rippen verpasst. Der Wachmann derweil zischte verärgert. „Nun, es muss ja nicht nur beim Pharao bleiben...“ Mit diesen Worten hob er seine Arme, woraufhin die Flammen höher stiegen und Seth und den Pharao noch enger umschlossen. Dicht gedrängt standen sie nun beieinander; versuchten sich gegen das Feuer abzuschirmen, schnappten angestrengt nach Luft; sahen schemenhaft, wie sich auch die übrigen Männer erhoben, wie diese nach ihren Schwertern griffen; wie der Schleim immer näher kam, sich erst um Atemus, dann Seths Körper zu wickeln versuchte... und der Pharao wusste, dass er keine Wahl mehr hatte. Sein Blick schoss grimmig nach oben. „Du willst einen GOTT?! Den kannst du haben!“ Mit einem erstickten Schrei rief er Osiris herbei und der riesige rote Drache erschien sofort. Beide Mäuler zu einem Schrei weit aufgerissen, erhob er sich über ihnen und schien fast den ganzen Himmel einzunehmen. Seine Schwingen peitschten die Luft, wirbelten den Sand zu ihren Füßen auf und ließ sie husten. Seth betrachtete den Gott mit einer Mischung aus purer Faszination und Ehrfurcht und wenn die Situation nicht so ernst gewesen wäre, dann hätte Atemu angesichts der fast kindlichen Begeisterung seines Priesters lächeln müssen. So aber konzentrierte er sich auf den Mann vor ihm, der nun einen Schritt vortrat und ebenso abrupt wieder stehen blieb. Sein Kopf war gesenkt, doch als er ihn endlich hob, konnte Atemu ein hinterhältiges Grinsen sehen, das immer breiter wurde. „Ein Gott. Dein Gott. Gut, mit dem Sieg über einen Gott, werde ich selber einer. Nimm einem Gott die Unsterblichkeit und werde selber unsterblich. Das wird mein großer Triumph. Der Sieg über einen Pharao und einen Gott. Nun denn, jetzt wo alle da sind, können wir ja beginnen!“ Damit fing er wild zu zucken an und auch die übrigen Wachen wurden von Krämpfen geschüttelt; ihre Glieder verrenkten sich und schlackerten grotesk. Schließlich fingen sie zu würgen an; spuckten den Schleim in großen Brocken aus; der sich auf dem Wüstenboden sammelte und immer mehr anschwoll bis er über ihnen thronte. Die Männer indes waren kraftlos auf den Boden gesackt, ob nun tot oder nur bewusstlos, vermochte Atemu nicht zu erkennen. Plötzlich brach der Schlamm in einer riesigen Welle über sie hinab, wollte sie zerquetschen; wurde in letzter Sekunde aber von Osiris daran gehindert, der seinen mächtigen Körper zwischen den Schlamm und seinen Herrn und Seth warf. Mit brachialer Gewalt wurde der gewaltige Drache zu Boden gedrückt; seine Flügel waren von der zähen Masse verklebt, die in Bächen von ihm runterlief, sich verteilte und wie ein riesiger, windender Wurm über Osiris Leib lief und die raue Haut in blutige Fetzen aufriss. Der Drache brüllte; zerpeitschte mit seinem Schwanz die Luft und traf dabei fast Atemu, der nur knapp in Sicherheit springen konnte. Seine Krallen tief in den Wüstensand gebohrt und sein Leib vor Schmerzen gekrümmt, riss er seine beiden Mäuler auf, feuerte eine Attacke, die ins Leere ging und schnappte vergebens um sich. Der Wurm drängte sich noch dichter an ihn; entriss immer mehr Schuppen und versuchte Osiris Knochen zu zermalmen und nun schrie auch Atemu. Er schlang seine Arme schützend um sich, keuchte, würgte und verdrehte seine Augen. Schließlich kippte er um. „Atemu!“ Entsetzen machte sich in Seth breit und er schüttelte den Pharao unsanft. Energisch rief er dessen Namen und wurde dabei zunehmend panischer, doch Atemu reagierte einfach nicht. Gehetzt blickte sich Seth um. Das Feuer war weniger geworden; der Schlamm vollauf mit Osiris beschäftigt... „Duos könnte uns jetzt hier rausbringen!“ Doch er bekam keine Möglichkeit mehr, sein Ka-Monster zu rufen. So als ob der Schlamm seine Gedanken hatte lesen können, stürzte sich ein Teil von ihm mit einemmal auf Seth, traf ihn hart in den Magen und brachte ihn zu Fall. Mühsam kam er wieder auf die Beine; wurde erneut getroffen; schlug auf dem Boden auf und rang schwer nach Atem. Sein Blickfeld verschwamm; verzweifelt schüttelte er mit dem Kopf, blinzelte gegen die Finsternis an, die ihn zu überwältigen drohte. Schwach konnte er Umrisse erkennen, menschliche Konturen, die der Schleim nun bildete. Und eine Stimme hören, eine weibliche Stimme, die leise kicherte. „Erbärmlich. Ich hätte mehr von euch erwartet. Dieses unfähige Kind soll der Pharao sein? Der allmächtige Pharao mit seinen gefürchteten Göttern? Ha! Was für ein Reinfall!“ Die menschenähnliche Form kam kurz vor Atemu zum Stehen. Der Schleim, der die Figur bedeckte, wurde weniger, schien absorbiert zu werden. Seth kniff die Augen zusammen. Schließlich war der Schlamm ganz verschwunden. „Was...?“, entfuhr es ihm verblüfft. Ungläubig sah er die Frau an, die nun vor ihm stand und vom Schlamm preisgegeben worden war. „Du bist dieses schleimige Ding?“ Die Frau betrachtete ihn aus rötlich schimmernden Augen amüsiert und aus ihrer Hand trat sofort die schwarze Masse, die genauso flink wieder in ihrer Haut verschwand. Dann wandte sie sich Atemu zu. Mit einem belustigten Lächeln auf den Lippen trat sie diesem in die Seite und lachte genüsslich, als der Pharao aufstöhnen musste. Seth richtete sich schwankend auf und ergriff dabei etwas Sand, den er in einer Hand versteckte. „Du feiges Miststück“, knurrte er leise und ging einen Schritt auf die Frau zu. Diese drehte ihm irritiert ihren Kopf zu, ihr Lächeln gänzlich verschwunden. „Halt dich da raus, Kleiner“, mahnte sie und starrte ihn missmutig an. Seth lachte bitter. Auf einmal hob er seine Hand und schleuderte ihr den Sand ins Gesicht. Die Frau schrie und Seth packte sie sogleich am Arm und warf sie dermaßen kräftig über seine Schulter, dass sie erst in einigen Metern Entfernung zum Liegen kam. Doch nur Sekunden später stand sie wieder auf; näherte sich ihm zwar langsam, aber stetig; ihr Schleim wie eine Schutzmauer um sie gewickelt. Keuchend taumelte Seth nach hinten. Kraft, seinen Duos zu rufen, hatte er nicht mehr...seine Magie war gegen den Schlamm wirkungslos...kein Schwert lag in Reichweite... Sein Blick fiel auf Osiris. Jetzt, wo die Frau so auf Seth fixiert war, konnte sich das Monster wieder freier bewegen. „Ich weiß nicht, wie die Frau das macht; ob sie überhaupt ein Mensch ist, aber, eines ist klar. Der Schlamm bezieht seine Energie von ihr. Wenn die Frau weg wäre...“ Er presste seine Lippen zusammen. „Einen Versuch ist es wert!“ „Osiris!“ Der Drache hob den Kopf an und drehte ihn in Seths Richtung. „Osiris, greif die Frau an! Greif an!“, schrie Seth und deutete auf die Frau, die entsetzt die Luft einsog; sich wieder in ihrem sicheren Schleimkokon zu verstecken versuchte... „Osiris, jetzt mach schon! Bitte!“ Doch der Drache rührte sich nicht; weigerte sich, Seths Befehl nachzukommen und gehorchte selbst jetzt keinem anderen, als dem Pharao von Ägypten selbst. „Er greift nicht an, er greift nicht an!“ Verzweifelt ließ sich Seth auf die Knie fallen und hockte einfach nur fassungslos da; sah den gefallenen Gott vor sich liegen, den verletzten Pharao neben sich. Seine Augen wurden leer. „Das war meine letzte Chance...die letzte...“ Wie aus weiter Ferne nahm er noch wahr, wie das Lachen der Frau erneut ertönte und immer weiter anstieg, sie schließlich vor ihm stand, den Schleim zu sich rief, Seth unter dessen klebriger Masse wohl ersticken wollte...und dann hörte er nur noch Geschrei. Verwirrt blickte er nach oben. „Du hast mich reingelegt! Du hast mich betrogen!“ Wie von Sinnen brüllte die Frau und schlug dabei wild um sich; versuchte sich von dem Schlamm zu befreien, der unkontrolliert über ihren Körper lief, ihr in den Rachen kroch und ihre Atemwege verklebte. Die Schreie der Frau wurden leiser und zu einem Röcheln. Sie schnappte nach Luft, würgte zähe Brocken hervor, bis das Weiße ihrer Augen hervortrat, die Adern an ihrem Hals pulsierten, die Haut aufriss... Mit einem letzten erstickten Gurgeln brach sie zusammen. ---------------------------- Atemu hustete leicht und rieb sich seine schmerzende Kehle. Seth reichte ihm einen Wasserbeutel. „Danke.“ Vorsichtig nahm er einen großen Schluck, verschloss den Beutel wieder und gab ihn zurück. „Wie lange war ich bewusstlos?“, wollte er schließlich von seinem Priester wissen, der unschlüssig mit den Schultern zuckte. „Ein paar Stunden. Ich habe davon die meiste Zeit damit verbracht, unsere Pferde wieder einzufangen. Die sind wohl irgendwann während des Kampfes getürmt. Nicht, dass ich es ihnen verübeln könnte.“ Er zögerte kurz. „Ich habe übrigens auch nach den Wachen geschaut. Sie sind...sie sind alle tot.“ Atemu seufzte. „Das dachte ich mir schon“, meinte er bedrückt; rückte näher an seinen Priester und legte seinen Kopf auf dessen Schulter. Müde schloss er die Augen. „Hast du irgendetwas über den Schleim herausfinden können?“ Er hörte Seth leise ausatmen und dann irgendetwas hervorkramen. „Ja, habe ich, wobei das meiste davon ins Reich der Spekulation gehört. Es handelt sich wohl um einen Mix aus Sand, fauligem Schlamm und Öl. Daher vermutlich auch die Farbe und die Brennbarkeit.“ Er stupste Atemu an und hielt ihm ein schleimgetränktes Tuch unter die Nase. „Spürst du das auch?“, fragte er sachte und Atemu nickte. „Allerdings. Irgendjemand hat einen Spruch auf diesen Schlamm gelegt. Und er war für uns bestimmt. Aknadin sagte zwar etwas von professionellen Attentätern, aber ich hätte nie gedacht, dass sie zu so etwas in der Lage sein könnten.“ „Sind sie auch nicht. Du kannst das nicht wissen, aber der Schleim hat sich gegen die Frau gerichtet und sie getötet. Entweder hat sie ihre eigene Magie nicht unter Kontrolle gehabt oder, und das halte ich für wahrscheinlicher, jemand hat ihr diese Macht verliehen und die Frau, nachdem er keine Verwendung mehr für sie hatte, aus dem Weg geräumt.“ „Möglich wäre es, das stimmt. Aber mal ehrlich, hätte denn unser großer Unbekannter damit nicht warten sollen, bis wir, nun ja, tot sind?“ Seth erwiderte darauf nichts und Atemu deutete dies als Zustimmung. „Sie war unfähig, mehr nicht. Wir haben schon genug Probleme. Ich finde, wir sollten uns die Dinge nicht noch unnötig verkomplizieren“, fügte er mit fester Stimme hinzu, auch wenn er in Wirklichkeit gar nicht so sicher war, wie er Seth gern glauben machen wollte. Unsicher sah er zu seinem jungen Priester hinauf, doch dessen Gesicht war ausdruckslos. „Hm“, brummte Seth stattdessen nur undeutlich und fuhr sich mit einer Hand durch sein Haar. Einen Moment Schweigen. Dann jedoch: „Als du noch bewusstlos warst, habe ich die Leiche von der Frau untersucht und das hier gefunden.“ Seth hielt ihm eine kleine Götterstatuette und eine Tonscherbe hin. Stirnrunzelnd betrachtete Atemu die Dinge, nahm ihm die Scherbe ab und fuhr mit den Fingerspitzen über sie. „Das ist keiner von unseren Göttern und auf dieser Scherbe, ich meine diese Einkerbungen hier, das sind doch Hieroglyphen. Ziemlich undeutlich zwar, aber...“ „Ich habe keine Ahnung, wie man diese Gottheit nennt. Auf jeden Fall aber müsste es einer der hurritischen Götter sein. Damit hätten wir dann auch die Herkunft der Frau geklärt.“ Atemu schnaubte. „Wunderbar. Ich schicke dem König von Hurri eine meiner besten Gespielinnen als Frau und was ich krieg ich? Attentäter und stinkenden Schleim.“ „Ah ja, war wahrlich kein guter Tausch, huh?“, grinste Seth nonchalant und widmete sich wieder der Scherbe. „Hier, schau mal. Es ist ziemlich schwer erkennbar, aber dies müsste so eine Art Auftrag sein. Das Ziel unserer Reise ist vermerkt sowie unsere Route. Das Zeichen für ‚Pharao’ ist auch drauf. Und hier ist noch ein anderer Name: Ipui. Ich vermute, das ist der Name des Auftraggebers.“ „Dann hatte Aknadin also Recht. Wir haben es hier wirklich mit Auftragskillern zu tun. Ipui...der Name sagt mir gar nichts.“ Atemu schaute gedankenverloren ins Leere. Seth beobachtete ihn beunruhigt. Der Kampf hatte den Pharao ganz schön mitgenommen. Äußerlich waren kaum Wunden zu erkennen, doch die Erschöpfung stand Atemu deutlich ins viel zu blasse Gesicht geschrieben. Dieser bemerkte Seths Blick und lächelte ihm beruhigend zu. „Auch wenn ich vielleicht nicht so aussehe, aber mir geht’s gut. So im Großen und Ganzen zumindest. Ich bin nur ein wenig müde.“ „Willst du heute noch weiterreiten?“, fragte Seth leise und betrachtete argwöhnisch den aufklarenden Himmel, wo schon die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne zu sehen waren. „Vielleicht sollten wir lieber eine Pause machen.“ Atemu seufzte. „Normalerweise würde ich dir ja zustimmen. Aber wir wissen immer noch nicht, was mit Mahaado ist. Die Frau hat bestimmt nicht allein gearbeitet.“ „Also reiten wir sofort wieder los?“ Atemu schloss seine Augen und nickte dann kraftlos. ---- AN: Und schon wieder ein weiblicher Bösewicht. Na ja, aber in YGO gibt es ja selbst keine (außer ganz kurz Mai in DOMA), deshalb denke ich mal, dass das zu verschmerzen ist ^^ Kapitel 41: Erklärende Erkenntnisse ----------------------------------- Kapitel 41 – Erklärende Erkenntnisse Die weitere Reise verlief komplikationslos, so dass Atemu und Seth schon bald den Grenzposten erreichten. Dort wurden sie freudig von Mahaado in Empfang genommen, der zwar ebenfalls Opfer eines Überfalls geworden war, seine Angreifer aber mit ein wenig Hilfe seiner Wacheskorte problemlos hatte besiegen können. Und auch er hatte bei seinen Gegnern hurritische Gegenstände entdeckt, weswegen sie zu dem Schluss kamen, dass die Frau und Mahaados Feinde zusammengehört hatten. Als der Priester jedoch von Heqaibs angeblicher Verwicklung in die Sache erfuhr, widersprach er entschieden: „Meister Aknadin muss sich geirrt haben. Der Vizekönig ist vieles, von bestechlich zu dumm über hinterlistig. Doch den Schneid hat er nicht. Er würde keine Mörder engagieren, erst Recht nicht, um ausgerechnet den Pharao zu töten. Im Übrigen war er von meiner Ankunft hier selbst überrascht. Er wusste gar nicht, wer ich war. Nein, Heqaib hat damit nichts zu tun. Wahrscheinlich hat der Giftschütze damals um Meister Aknadins Fähigkeit, die Gedanken anderer zu lesen, gewusst, und diesen Umstand ausgenutzt. Ich nehme an, dass der Mann seine Erinnerungen bewusst verfälscht hat, um von dem wahren Auftraggeber abzulenken, ihn zu schützen.“ Das klang logisch genug für Atemu. Er nickte kurz und verkreuzte dann seine Arme. „Das wäre natürlich möglich. Nun gut, ich selbst traue dem Vizekönig so was auch nicht zu. Jedenfalls, wo ist der Gute denn überhaupt?“ „Ich habe ihn unter Arrest gestellt. Ich habe ihn noch gar nicht über den Grund meines Hier seins informiert, aber irgendwie hat ihn meine Anwesenheit allein schon nervös genug gemacht, dass er einen Fluchtversuch gestartet hatte. Deshalb habe ich ihn in den oberen, westlichen Teil der Festung sperren lassen. Dort kann er sich zwar relativ frei bewegen, aber zumindest nicht mehr unbemerkt abhauen. Er vertreibt sich die Zeit mit irgendwelchen Frauen, was mir nur Recht sein kann. Immerhin konnte ich so in Ruhe nach Beweisen für die Anschuldigungen seiner Männer suchen.“ „Und, sind sie gerechtfertigt?“ „Ja, er hat das Gold unterschlagen. Daran hege ich keinen Zweifel.“ „Fein, dann statten wir Heqaib doch mal unseren Besuch ab. Seth?“, wandte sich der Pharao nun an seinen Hohepriester, der die ganze Zeit über nur stumm dagestanden hatte. „Hm?“ Verwirrt blickte der Angesprochene hoch. Schließlich dämmerte es ihm. „Ah, natürlich, Heqaib.“ Er zögerte unmerklich. „Es ist nur...ich frage mich die ganze Zeit, woher die Frau wusste, wo sie uns finden konnte. Sie hat uns gezielt angegriffen. Und die anderen Attentäter...wenn Heqaib sie nicht beauftragt hat, wer dann? Wer ist dieser Ipui? Und woher wussten sie von unserer Reise nach Nubien, wo doch speziell der Aufbruch des Pharaos gar nicht geplant war? Irgendwoher mussten sie doch diese ganzen Informationen haben.“ Nun machte auch Atemu ein besorgtes Gesicht, wenngleich ihn die ganze Angelegenheit weniger beunruhigte als Seth. „Spionage und Intrigen am Hof sind leider keine Seltenheit. Vielleicht ein übereifriger Höfling, der sich irgendeinen Vorteil davon für sich erhofft...oder dem ich irgendwann einmal auf die Füße getreten bin. Wäre jedenfalls nicht das erste Mal.“ Seth war nicht überzeugt. „Denkst du das wirklich?“, wollte er leise wissen und Atemu seufzte. „Es ist zumindest möglich, aber im Moment kommen wir so einfach nicht weiter. Nach unserer Rückkehr in den Palast können wir uns damit auseinandersetzen. Augenblicklich laufen unsere Spekulationen ja doch nur ins Leere.“ Widerwillig musste Seth schließlich zustimmen, auch wenn er immer noch einen nachdenklichen, abweisenden Eindruck machte, was vor allem dem Pharao Sorgen bereitete. Mahaado betrachtete sich das Elend vor ihm eine Weile und hüstelte dann gekünstelt: „Wenn Ihr bereit seid, lasse ich Euch jetzt zum Vizekönig führen, mein Pharao. Ich selbst werde alsbald nachkommen, sofern Ihr gestattet.“ Atemu nickte schlicht und machte sich, gefolgt von Seth, auch gleich auf den Weg. Nur Mahaado blieb zurück und blickte ihnen lange nach, selbst dann noch, als sie schon längst außer Sichtweite waren. Und eines wurde ihm dabei klar: „Seth hat Recht. Da steckt mehr dahinter. Aber Atemu, was auch immer passiert, ich werde meine Pflicht erfüllen und dich beschützen. Was auch immer es mich persönlich kosten mag, ich bin bereit, es zu zahlen. Das schwöre ich dir.“ ----------------------- Hintereinander, Atemu vorneweg, begaben sie sich die steile Treppe hinauf, bis sie endlich vor einer großen und nur leicht angelehnten Holztür ankamen. Dumpfe Töne drangen undeutlich an ihre Ohren und gemeinsam betraten sie schließlich das dunkle und stickige Zimmer. Es roch nach Sex und altem Schweiß und Seth rümpfte angeekelt die Nase. Aus einer Ecke war ein angestrengtes Keuchen zu hören. Doch in der Finsternis konnte er nicht wirklich was erkennen, so dass Atemu ihm leicht in die Schulter stupste und in die ungefähre Richtung der Quelle dieses Geräusches deutete. Seth kniff die Augen zusammen. Dort, auf einem Stuhl, saß der Vizekönig, ein ältlicher, von zuviel Wein und reichhaltigem Essen stark aufgedunsener ergrauter Mann, dem der Schweiß über die fettige Stirn lief und in seinen Schnauzbart tropfte. Zwischen seinen unbekleideten Beinen hockte eine nackte Nubierin, die ihren Kopf rhythmisch auf und ab bewegte. Ein feuchtes Schmatzen war zu hören und der Vizekönig stöhnte laut. Atemu beschloss, dass sie sich dieses Schauspiel lange genug angesehen hatten. Er räusperte sich. Das Mädchen fuhr erschrocken hoch, wurde jedoch gleich wieder von Heqaib an den Haaren gepackt und grob zwischen seine Beine zurückgeschoben. „Mach weiter“, knurrte er ungehalten. Dann jedoch sah er den Pharao und dessen Priester und stieß die Frau schnell von sich. Das Mädchen landete mit einem dumpfen Knall in der Ecke, wo sie sich mühsam aufrappelte und etwas Unverständliches vor sich hin fluchte. Anschließend wischte sie sich den Mund ab und spuckte dem Vizekönig vor die Füße. Dieser lief vor Zorn puterrot an und holte seine Faust wie zum Schlag aus, doch Seth packte schnell und nicht gerade sanft sein Handgelenk und Heqaib schrie vor Schmerz. „Statt mit diesem Mädchen könntest du dich ja mal mit uns befassen“, schlug Atemu freundlich vor und Heqaib nickte schwach. Seth ließ ihn grimmig los. Heqaib warf noch einen letzten, racheverheißenden Blick auf die Nubierin, griff neben sich und band sich endlich einen Schurz um seine Blöße, bevor er sich schließlich seinem unerwünschten Besuch widmete. „Wer seid ihr?“, fragte er übelgelaunt und Atemu hob erstaunt die Augenbrauen. Mit der Frage hatte er ja nun gar nicht gerechnet. Der Mann war so dumm wie er hässlich war. „Sag bloß du erkennst nicht deinen eigenen Pharao?“, fragte er milde und Heqaib gab vor Schreck ein ersticktes Gurgeln von sich. „N-natürlich habe ich Euch erkannt, Eure Hoheit. Es ist nur...ja...das Licht...mehr Licht wäre gut...“, stammelte er und schlurfte so schnell er nur konnte zum Fenster, um die Vorhänge zurückzuziehen. Endlich erhellte sich der Raum. In diesem Moment trat auch Mahaado dazu, der sich neben Atemu gesellte und dessen Gesichtausdruck genauso ausdruckslos war wie der von Seth. „Weißt du, warum wir hier sind?“, wollte Atemu herrisch wissen, der schon längst beschlossen hatte, dass jedwede Förmlichkeit ohnehin nur Verschwendung wäre. „Nein, das weiß ich ehrlich gesagt nicht. Ich kann mir auch keinen Grund vorstellen. Seit mich euer Vater damals zum Vizekönig Nubiens bestimmt hat, habe ich diesen Posten immer korrekt geführt und im ägyptischen Interesse gehandelt. Selbst die sonst so störrischen Einheimischen haben schon lange keinen Angriff mehr gewagt. Meine Männer haben sie das letzte Mal so schwer getroffen...das sitzt denen immer noch in den Knochen. So schnell erholen sich die Nubier nicht davon.“ „Fein. Dann werde ich dir auf die Sprünge helfen. Erstens: Deine Berichte an den Palast lassen einiges zu Wünschen übrig. Sie sind sehr ungenau. Diese Auseinandersetzungen mit den Nubiern, von denen du gerade sprachst, erwähnst du dort zum Beispiel gar nicht. Zweitens: Ich habe einige Klagen ‚deiner’ Männer gehört. Sie sind unzufrieden, wie du sie behandelst und werfen dir vor, du würdest einen Teil des geförderten Goldes unterschlagen, was auch zu drittens passen würde, denn tatsächlich haben die gelieferten Goldmengen stark nachgelassen. Irgendwelche Erklärungen für das alles?“ Heqaib leckte sich unruhig seine Lippen. „Das mit den Berichten...mein Schreiber ist vor einiger Zeit verstorben und ich, nun ja, ich bin darin nicht ausgebildet. Mag sein, dass mir einige Fehler unterlaufen sind. Daher die Ungenauigkeit. Das kann ich ändern und was die Männer betrifft...viele sind schon lange hier, sie wollen bestimmt nur nach Hause, zurück nach Ägypten und ihren Familien. Die wollen mich verleumden, damit Ihr sie nach Hause schickt. Ganz bestimmt. Das dürft Ihr denen nicht glauben!“ „Und das Gold?“, harkte Atemu nochmals nach. „D-das Gold? Ah, richtig. Das ist nicht meine Schuld. Die Nubier leisten einfach nicht mehr Abgaben. Die Häuptlinge der umliegenden Dörfer behaupten, es sei kaum noch was da. Sicher eine Lüge“, erklärte Heqaib schnell und knetete nervös seine wulstigen, feuchten Hände. „ Aber wenn Ihr sie gefangen nehmen und foltern lassen würdet, dann sagen sie uns schon, wo das Gold versteckt ist“, setzte er noch hoffnungsvoll hinzu. Mahaado hatte genug gehört. „Du bist hier der Lügner, Vizekönig. „Ich habe mit den Nubiern gesprochen und alles genau überprüft. Es stimmt in der Tat, dass sich die Goldvorräte ihrem Ende zuneigen. Sicher hat das die Abgabenhöhe beeinträchtigt; aber wie erklärst du dir die Diskrepanz zwischen dem, was trotzdem von den Nubiern geleistet worden ist und dem, was du schließlich dem Palast schickst. Was ist mit dieser nicht unbeträchtlichen Differenz geschehen?“ Heqaib fing leicht zu zittern an und seine Augen huschten zwischen dem Pharao und seinen Priestern furchtsam hin und her. „Bevor du antwortest, überlege dir lieber genau, was du sagen willst“, riet ihm Atemu ernst und zeigte auf das Millenniumspuzzle, welches um seinen Hals hing. „Wir haben Mittel und Wege, die Wahrheit aus dir herauszuquetschen. Und sei versichert, dass sie nicht besonders angenehm sind.“ Der Vizekönig war sichtlich eingeschüchtert. Er sah sich schnell im Zimmer um, erkannte, dass sein einziger Fluchtweg von den Priestern und dem Pharao versperrt wurde und musste sich geschlagen geben. „Es kann sein, dass ich einen Teil für mich behalten habe“, quiekte er schließlich kleinlaut. „Die Lebensbedingungen hier sind nicht einfach. Ich habe mir doch eine Entschädigung verdient, dachte ich.“ „So, dachtest du, hm? Und mit behalten meinst du wohl eher ‚veruntreut’, ‚unterschlagen’, so was in der Art halt, was?“, stellte Atemu klar, für den Heqaibs Geständnis keine große Überraschung, sondern lediglich die allerletzte Gewissheit war. Jetzt galt es nur noch eine weitere Sache zu klären: „Heqaib, was sagt der Name Ipui dir?“, fragte Atemu den Vizekönig rundheraus und erntete ein verständnisloses Grunzen. „Huh? Ipui? Tja, ein hübscher Name. Wirklich nett. Worauf wollt Ihr hinaus, mein König?“ Seth knurrte leise. „Spiel hier nicht den Dummen. Die Attentäter, hast du die angeheuert?“ „A-Attentäter? Bei allem nötigen Respekt, aber wovon sprecht Ihr eigentlich?! Ich habe niemanden...i-ich...“ „Vergiss es“, murrte Seth unwillig, unterbrach so das wirre Gestotter und schüttelte in milder Resignation mit dem Kopf. „Der spielt nicht nur den Dummen, der ist tatsächlich so blöd. Aber zumindest spricht er wohl die Wahrheit. Für einen Angriff auf Atemu fehlt dem der Mumm. Doch wer war es dann?“ Angesichts von Seths frustriertem Gesichtsausdruck hatte Atemu Mühe, sich ein Grinsen zu verkneifen. Dann jedoch fiel sein Blick auf die Frau, die immer noch in einer Ecke am Boden kauerte. Vielleicht sollte er sich erst einmal darum kümmern. „Sprichst du unsere Sprache?“, fragte er die Nubierin, die eifrig nickte und behände auf die Füße sprang. „Ich kann nicht toll sprechen, aber verstehen kann ich ganz viel“, meinte sie in zwar gebrochenem, aber immer noch annehmbarem Ägyptisch. Atemu lächelte. „Das ist schön. Dann kannst du mir auch sicher sagen, wie du hierher gekommen bist, nicht wahr?“ „Ja-ah, das kann ich“, sagte sie freudig. „Also, hör zu. Der da“, deutete sie auf Heqaib und betrachtete ihn abfällig, „kam in Dorf; will Gold. Aber wir nicht genug haben. Also der wird wütend und schreit rum. Ich mir nicht bieten lassen! Ich gehe zu ihm und sage ihm Meinung! Der will mich mitnehmen. Aber meine Familie das nicht zulässt! Kämpfen um mich. Feindliche Soldaten kommen. Töten viele Krieger. Wir müssen aufgeben und ich gehe mit. Dann hier angekommen. Muss viele eklige Sachen machen...wie eben und...“ „Was sagst du da!? Du kleine, dreckige Barbarenhure! Dir stopf ich das Maul!“, brüllte der Vizekönig plötzlich aufgebracht und wollte der Nubierin an die Kehle. Doch ein energischer Schritt nach vorne von Seth ließ seinen Tatendrang erschlaffen und er ließ die Arme schnell wieder sinken. Atemu beachtete ihn nicht weiter. „Findest du in dein Dorf zurück, wenn wir dich gehen lassen? Brauchst du jemanden, der dich begleitet? Wasser? Nahrung? Vielleicht was zum Anziehen?“ Die Frau hob stolz ihr Kinn. „Ich keine Hilfe brauchen. Nur Wasser und Essen. Mein Volk tut mir nichts. Ich kann allein gehen durch Wüste. Ja, das kann ich. Kleider brauch ich nicht“, sie packte sie mit einer Hand an ihre linke Brust und drückte kräftig. „Hübschen Körper nicht verstecken müssen!“ Seth zeigte ein schiefes Grinsen. Die Frau war nicht unbedingt das, was man als Schönheit bezeichnen konnte. Lange, ungelenke Glieder, ein bisschen zu dünn und krauses, wirres Haar, das, obwohl es ihr in dicken Strähnen ins Gesicht hing, nicht über die zu kantige Gesichtsform hinwegtäuschen konnte. Doch sie war auch stark, selbstbewusst und lebensfroh. Seth gefiel sie auf Anhieb. „Ich werde sie nach draußen begleiten und mich um ihre Verpflegung kümmern, wenn Ihr erlaubt“, meinte er darum auch zu Atemu, der ein kleines Nicken von sich gab. Seth hatte zwar keinen Zweifel daran, dass die Frau sich in der Wüste allein zurechtfinden würde, aber nackt durch die Festung, vorbei an all den Männern, die monate-, oft auch jahrelang keine Frau mehr gehabt hatten, musste sie ja nicht unbedingt ohne Eskorte gehen. Er machte eine galante Handbewegung Richtung Treppe. „Wenn ich bitten darf, meine Dame.“ Das gefiel der Nubierin. „Meine Dame“, wiederholte sie kichernd, harkte sich vergnügt bei Seth ein und zog ihn gen Ausgang. „Groß und stark. Du mir gefallen. Nicht Lust haben, mit mir zu kommen?“, hörte man sie noch verspielt fragen, bevor sie und Seth außer Hörweite waren und nur Atemu, Mahaado und der Vizekönig zurückblieben. Letzterer hibbelte nervös von einem Bein auf das andere. Nach einigen endlos erscheinenden Minuten des Schweigens hielt er es dann auch nicht mehr aus. „Was geschieht nun mit mir?“, fragte er ängstlich. Der Pharao zuckte die Schultern. In Wahrheit hatte er selber noch keine Ahnung, was er mit Heqaib anfangen sollte, aber das musste der ja nicht unbedingt wissen. „Deine Sünden wiegen schwer. Was auch immer deine Strafe sein wird, sie wird nicht angenehm“, meinte er darum nur ausweichend und betrachtete den alten Mann missfällig. Der Vizekönig glotzte ihn furchtsam an. Schließlich senkte er den Kopf und ging langsamen Schrittes auf eine nahe am Fenster stehende Kommode zu. Mahaado runzelte die Stirn. Wollte sich der Vizekönig jetzt aus dem Fenster stürzen und Selbstmord begehen oder was sollte das werden? Heqaib jedoch blieb nur an dem kleinen Schränkchen unschlüssig stehen. „Darf ich einige persönliche Sachen mitnehmen?“, wollte er leise wissen und warf dem Pharao einen bettelnden Blick zu. Diesen kümmerte es kaum. „Wenn es denn sein muss“, meinte er lediglich abweisend und mehr daran interessiert, dass Seth bald wiederkommen möge. Ihm war nicht entgangen, wie sein Priester auf die Frau reagiert hatte und noch mehr weibliche, oder überhaupt irgendwelche Konkurrenz, konnte er nun wirklich nicht gebrauchen. „Außerdem, Seth, schuldest du mir noch ein klärendes Gespräch.“ Heqaib indes zog stumm die oberste Schublade auf und entnahm dieser einen kleinen Gegenstand. Damit ging er zielstrebig auf den Pharao zu und blieb einige Meter vor ihm stehen. Mahaado beäugte ihn misstrauisch. Plötzlich stürzte sich Heqaib mit einer Geschwindigkeit, die ihm keiner, am wenigsten Atemu, zugetraut hätte, auf den Pharao. In seiner Hand einen Dolch fest umklammert stieß er zu, doch Atemu konnte knapp ausweichen, so dass der Vizekönig sein Fleisch verfehlte und nur etwas von seinem Umhang aufschlitzte. Mahaado packte Heqaib am Arm; dieser drehte sich wild um seine eigene Achse, versuchte den Priester abzuschütteln und schließlich fielen beide zu Boden, wo sie noch einen Moment ineinander verkeilt weiterrollten, bis Mahaado endlich das Messer zu fassen bekam und zur Seite warf. Auch Heqaib blieb nicht untätig, rappelte sich schnell wieder auf und rammte dem Priester kräftig sein Knie zwischen die Beine. Mahaado keuchte vor Schmerzen und sackte zusammen. Heqaib nutzte seine Chance und floh die Treppe herunter. Er warf einen gehetzten Blick hinter sich, achtete nicht darauf, wo er hintrat, verfehlte eine Stufe und purzelte mit einem lauten Schrei nach unten. Schließlich war ein hässliches Knacken zu hören. Heqaib blieb regungslos liegen und gab keinen Ton mehr von sich. In der Zwischenzeit war auch Mahaado wieder auf die Füße gekommen und humpelte nun breitbeinig auf die Treppe zu. „Ich glaube kaum, dass er noch lebt. Der Kopf ist in einem ganz komischen Winkel verdreht“, informierte er Atemu, der sich neben ihn stellte und sich das Ganze mal selber anschauen wollte. In diesem Moment tauchte auch Seth wieder auf, der verwirrt vor dem Vizekönig stehen blieb. „Was war denn hier los?“, fragte er; statt einer Antwort aber ruckte Atemu nur sein Kinn in Heqaibs Richtung. „Sieh mal nach, ob er noch lebt“, bat er seinen Priester und Seth kniete sich gehorsam nieder. „Kein Puls“, sagte er schließlich. „Der ist hinüber. Genickbruch wahrscheinlich.“ Atemu seufzte. „Nun gut, so war das zwar nicht geplant, aber zumindest hat sich das mit der Bestrafung jetzt erledigt.“ „In der Tat, zumindest etwas Positives“ bemerkte Mahaado und konnte sich ein Stöhnen nicht verkneifen. Heqaibs Tritt hatte Spuren bei ihm hinterlassen, mit denen er sich sicherlich noch einige Tage herumplagen durfte. Das noch zusätzlich zu Seths Schadenfreude und seine Pein war perfekt. Der junge Hohepriester wusste zwar immer noch nicht, was denn eigentlich geschehen war, doch er hatte sofort Mahaados Unbehagen bemerkt und betrachtete ihn mit unverhohlener Neugier. Atemu währenddessen plagten ganz andere Sorgen: „Leider stellt sich jetzt aber auch die Frage, wer Heqaibs Posten zukünftig übernehmen soll...“ Nachdenklich kaute er auf der Innenseite seiner Wange; ging in Gedanken ein paar Menschen durch, die vielleicht geeignet wären, verwarf sie aber schnell wieder und wollte schon fast aufgeben, als ihm doch noch ein passender Kandidat einfiel. Er lächelte. „Ich glaube, ich weiß den perfekten Mann für dieses Amt. Sagt euch der Name ‚Ankhmahor’ etwas?“ Mahaados Augen weiteten sich. „Der Gaufürst von Theben? Der Ankhmahor?“ „Genau der“, bestätigte Atemu, was ihm zwei verwunderte, priesterliche Blicke einbrachte. ------------------- Die Luft Nubiens war extrem staubig und trocken und Seth nahm dankbar den kühlen Krug Wasser entgegen, der ihm von einem Diener gereicht wurde. Sie befanden sich noch immer in der Festung, denn wenngleich die Sache mit Hegaib bereits geklärt war, so sah Atemu dennoch keinen Grund sofort wieder aufzubrechen. Der Kampf in der Wüste hatte sie viel Kraft gekostet, und sowohl Atemu als auch Seth konnten diese kleine Pause gut gebrauchen. Der junge Priester warf seinem Pharao einen verstohlenen Blick zu. Atemu aß gerade einige Früchte und starrte gedankenverloren ins Leere, doch Seth wusste, dass diese Ruhe nur vorgetäuscht war. Soviel zeigte ihm zumindest Atemus verkrampfte Haltung und die abweisenden Art, mit der er ihm begegnete. Seth presste die Lippen zusammen. Atemu erwartete immer noch eine Erklärung von ihm; etwas, worauf Seth gut und gerne verzichten konnte. Er strich sich eine störende Haarsträhne aus den Augen. Mit Mahaados Missfallen konnte er leben; mit dem von Atemu dagegen weniger. Er stellte den Krug ab und baute sich herausfordernd vor dem König auf. „Du wolltest reden, also reden wir“, meinte er bissig, worauf Atemu ihn zwar tonlos ansah, sich aber ansonsten ausschwieg. Sein Priester gab einen unwirschen Laut von sich. „Meine Gefühle für Kisara...ich kann sie dir nicht erklären, Atemu. Sie ist mir wichtig, sehr wichtig sogar, aber inwiefern...“ „Wichtiger als dein Pharao?“ Seths Miene verfinsterte sich merklich. „Die Frage ist nicht fair.“ Atemu zuckte mit den Schultern. „Ob fair oder nicht kümmert mich, ehrlich gesagt, im Moment reichlich wenig.“ Bedächtig erhob er sich und stellte sich Seth gegenüber. „Ich warte immer noch auf deine Antwort.“ Betreten wandte sich Seth ab und Atemu glaubte schon nicht mehr, dass sich sein Priester überhaupt noch äußern würde, als dieser ihn schließlich aus Augen so intensiv blau anschaute, dass es fast schon unheimlich war. „Warum finden wir es nicht einfach heraus? Hier und jetzt“, fragte Seth ruhig und beinahe eine Spur herausfordernd. „Dann wissen wir endlich beide bescheid.“ Vorsichtig hob er Atemus Kinn an und dieser runzelte die Stirn. „Was soll das werden?“, erkundigte er sich leise und versuchte angestrengt, sein wie wild schlagendes Herz zu beruhigen. Er wollte sich keine Hoffnungen machen, nicht schon wieder. Er war bereits oft genug enttäuscht worden; ein weiteres Mal brauchte er nun wirklich nicht... Doch als sich Seths Gesicht dem seinigen immer mehr näherte, er dessen sanften Atem, den warmen Körper spürte, da konnte Atemu dennoch nicht anders, als seine Augen zu schließen; seinen Mund leicht zu öffnen und zu warten, bis er endlich die weichen Lippen, noch feucht und kühl vom klaren Wasser, auf seinen fühlte, schmeckte, und schließlich gierig zurückküsste. Viel zu schnell war es jedoch schon wieder vorbei, denn nur einen Moment später trat Seth erneut aus seiner Reichweite und brach so ihren Kontakt. Atemu unterdrückte seine Enttäuschung. „Hast du deine Antwort?“, wollte er sachte wissen und wagte es kaum, Seth anzusehen. Dieser betrachtete ihn lange. „In der Wüste dachte ich für einen Moment, er würde sterben. Was hätte ich dann getan? Was wäre, wenn ich ihn für immer verlieren würde?“ Unbewusst ballte er seine Hände, doch schließlich nickte er. „Eine Antwort. Ja, ich glaube, die habe ich in der Tat.“ Er lächelte schwach. „Nur ob ich auch für die daraus resultierenden Konsequenzen bereit bin, das weiß ich noch nicht.“ „Kisara zu verletzen?“, vermutete der Pharao und obwohl Seth sich nur stumm von ihm abwandte, so verriet ihm das Schweigen seines jungen Priesters auch so, dass er richtig lag. --------------------------- AN: So, Mahaado geht's für Erste gut. Dem Vizekönig weniger. Aber selbst ohne Genickbruch wäre der, spätestens nach dem Angriff auf Atemu, hingerichtet worden. So gesehen habe ich ihm bloß schlimmere Qualen erspart. Ich weiß, ich bin so gütig zu meinen eigenen Charas. Ähem, also bis zum nächsten Kapitel ^^ Kapitel 42: Zerstörungen und Zweifel ------------------------------------ AN: Es müsste eigentlich im Kapitel selbst deutlich werden, aber um Verwirrungen auf jeden Fall zu vermeiden: Dieses Kapitel spielt zeitgleich zu Kapitel 40 (also zu Atemus und Seths Wüstenkampf) Ansonsten noch bedanke ich mich an dieser Stelle nochmals bei allen, die sich die Zeit für einen Kommentar genommen haben ^^ Viel Spaß! ----------------------- Kapitel 42 – Zerstörungen und Zweifel Es war...interessant. Das war der erste Gedanke des Mannes, als er einen Blick auf die aus ihrem Schlaf gerissene und in Panik geratene Menschenmenge warf, die wie wild auseinander stob. Die Luft war erfüllt vom Monstergebrüll; von den ängstlichen, verzweifelten Schreien der Leute und dem Brennen des riesigen Feuers. Er konnte sehen, wie Alte und Schwache umgeworfen und niedergetrampelt wurden, Mütter nach ihren Kinder schrieen, einige unter hysterischem Schluchzen die verbrannten Körper ihrer Angehörigen in die Arme nahmen… Seltsam unbeteiligt fühlend wandte er sich ab. Es war merkwürdig, aber seit einiger Zeit fühlte er fast gar nichts mehr, außer Wut, Hass...manchmal auch Furcht. Seltener Freude, wenngleich von Bösartigkeit zerfressene. Und nun waren selbst diese Gefühle verschwunden. Was blieb, war eine Leere, so dunkel und trostlos, dass noch nicht einmal der Hilferuf einer Frau, der jetzt an seine Ohren drang, irgendeine Regung in ihm auslöste. Er horchte noch kurz, lauschte angestrengt, bis auch der letzte Schrei der Unbekannten schließlich verstummt war. Früher...ja früher, da hätte es ihn noch gekümmert, da lebte er, um den Menschen zu helfen. Doch jetzt... Er sah hoch in den Nachthimmel; musste aber erkennen, dass das schöne Sternenzelt von emporragenden Rauchsäulen verdeckt wurde. Eigentlich bedauerlich. Er hatte den Anblick der Sterne früher immer sehr gemocht. Bedauerlich, aber letztlich völlig unbedeutend. Die Monsterscharen nahmen immer weiter zu. Die Stadt brannte, Häuser stürzten ein, Menschen starben, überall nur Leid und Elend; herumrennende Wachen und die Priester des Pharaos, die angestrengt versuchten zu retten, was noch zu retten war. Chaos pur. Die Gelegenheit, auf die er gewartet hatte. Zielstrebig steuerte er auf den kleinen Tempel zu, der nun verlassen war, da selbst dessen Wachen gebraucht wurden, um die Stadt vor den Ka-Monstern zu beschützen. Der Tempel, der Ort, wo die Monstersteintafeln des Pharaos aufbewahrt wurden. Und nun völlig ungeschützt. Der Mann erlaubte sich ein kleines Lächeln. ------------------------------------------- Sein zweiköpfiger Schakal hatte keine Probleme, das gegnerische Monster zu besiegen. Aber, wie Shada frustriert feststellen musste, das Problem war weniger die Stärke ihrer Gegner, als vielmehr deren schieren Menge und Zerstörungswut. Ein weiteres Ka-Monster näherte sich im kampfbereit, ein weiterer Gegenangriff seines Schakals und auch das nächste Ungetüm gehörte der Vergangenheit an. Shada atmete schwer. Die halbe Stadt war in Brand gesteckt worden; es war erbärmlich heiß; das Geschrei der Menschen klingelte in seinen Ohren; die Einwohner der Stadt versuchten zu fliehen, rempelten ihn ständig an und einander um. Und dann noch der viele Rauch, der seine Lunge zum Brennen und seine Augen zum Tränen brachte. Shada hatte alle Mühe, nicht die Orientierung zu verlieren. Hastig blickte er sich um und erkannte in einiger Entfernung Karim und Shimon. Auch sie kämpften tapfer gegen die Monster und wehrten sich nach Leibeskräften, doch gegen das plötzlich auftauchende schlangengleiche Ungetüm vermochten sich kaum etwas auszurichten. Die Schlange riss ihr Maul auf; spie ihre Giftstacheln auf Karim und den Wesir und obwohl ihr erster Angriff noch fehlschlug, schaffte sie es bereits mit ihrem zweiten Shimon am Arm zu streifen. Der alte Mann taumelte einige Schritte rückwärts, hielt sich das verletzte Fleisch und blickte entschlossen auf seinen Feind. Shada knirschte mit den Zähnen. „Das schaffen die doch nie!“ Er rief seinen Schakal zu sich und zeigte mit grimmigem Gesicht in die Richtung der anderen beiden Priester. „Hilf ihnen!“ Sein Schakal knurrte bestätigend. Zu dritt schafften sie es schließlich, die Schlange zu besiegen, kämpften immer weiter, dezimierten so langsam aber sicher Monster für Monster. Doch obwohl sich ihre Lage allmählich zu bessern schien, ebbte die Panik der Menschen immer noch nicht ab. Viele weigerten sich, ihre Häuser zu verlassen, mussten von den Palastwachen mit Gewalt herausgezerrt werden und erst als plötzlich eines der Luftmonster, von Speeren und Pfeilen getroffen, zu Boden und auf eines der Gebäude stürzte, es zum Einsturz brachte, da mussten auch die hartgesottensten Einwohner einsehen, dass sie keine andere Wahl mehr hatten. Fliehen...oder sterben. Wie eine Heuschreckenplage liefen sie durcheinander, erfassten dabei ein junges Mädchen, welches grob zu Boden gestoßen und dort liegengelassen wurde. Jemand trat auf das Bein des Kindes; das Mädchen schrie laut und Shada wollte ihr gerade zu Hilfe eilen, als ein Mann sich der Kleinen näherte, den Arm ausstreckte, irgendetwas in der Hand hielt, was kurz aufblitzte... Entsetzt erkannte Shada den Dolch in der Hand des Mannes; sah, wie das Mädchen ängstlich die Augen aufriss, befahl seinem Schakal den Angriff, musste zusehen, wie der Mann das Kind an den Haaren packte und hochzog, ihren Hals nach hinten riss... Doch im letzten Moment, kurz bevor die scharfe Klinge die Kehle des Kindes aufschlitzen konnte, brach der Mann, von Shadas Monster getroffen, tot zusammen. Sein Dolch fiel achtlos zu Boden. Shada trat an die Seite des Mannes, erkannte dessen Gesicht und ächzte erschrocken. „Das ist doch einer unserer Ka-Gefangenen; einer der Männer, die der Pharao damals auf dem Sklavenmarkt gekauft hat...als er auch Seth fand. Aber, das kann doch nicht sein?! Was macht der hier?“ Seine Mine spiegelte immer noch Unglauben wider, als er endlich behutsam auf das Mädchen zuging und sich vor sie kniete. Für einen Moment stand die Kleine nur apathisch da, dann, wie in Zeitlupe, kauerte sie sich auf den Boden, zog ihre Knie an und vergrub ihr Gesicht. Leises Schluchzen war zu hören und der schmale Körper zitterte furchtbar. Unschlüssig sah Shada auf das Kind herab. Er legte ihr seine Hand auf die Schulter, murmelte einige tröstliche Worte, doch das Mädchen zuckte bloß zusammen und entzog sich ihm. Am Rande nahm Shada wahr, wie um sie herum auch die letzten Monster vernichtet wurden, das Feuer gelöscht werden konnte und sich langsam sogar die Panik legte. Und er selbst hockte nur regungslos da, das verängstigte Kind vor ihm und das Gebrüll der Menschen noch immer in seinem Gedächtnis hallend. Seufzend hob er das Mädchen auf und wollte es in Sicherheit bringen, als eine arg mitgenommene Frau auf ihn zugetaumelt kam. „Nubnefret!“ Die Stimme der Frau war voller Erleichterung und obwohl ihr Gesicht und ihre Beine schlimme Verbrennungen aufwiesen und sie sicherlich starke Schmerzen zu erleiden hatte, entging Shada nicht der Hoffnungsschimmer, der sich nun in ihre Züge schlich. Er ging der Frau, vermutlich die Mutter des Kindes, schnell entgegen und kaum, dass er sie erreicht hatte, nahm sie ihm auch schon das Mädchen aus den Armen, presste es dicht an ihren eigenen Körper und wiederholte immer wieder, fast ungläubig, den Namen des Kindes. Nubnefrets Schluchzer waren immer noch nicht verstummt und nun füllten sich auch die Augen der Frau mit Tränen. Sie vergrub ihr Gesicht im Haar der Kleinen und weinte bitterlich. -------------------------------------------------------------------------- Wie erwartet war der Ka-Tempel des Pharaos gänzlich verlassen. Die Fackeln an den Wänden tauchten den Raum in ein warmes, einladendes Licht und erhellten die vereinzelten Heiligtümer, erleichterten ihm seinen Auftrag so nochmals zusätzlich. In seinem Umhang versteckt, holte er einen großen Meisel hervor und ging damit zwischen all den unbedeutenden Steintafeln auf sein eigentliches Ziel zu. Leise Schritte hinter ihm schreckten ihn auf. Er spähte über seine Schulter und nahm den ungebetenen Besuch näher in Augenschein. Eine zierliche Frau sah ihn nun überrascht wie misstrauisch aus blauen Augen aufmerksam an. Eine goldene Kette um ihren Hals. Weiße Kleidung. Eine Priesterin. Er kannte sie. „Isis.“ Auch Isis Gesicht spiegelte mit einemmal Erkenntnis wider. „Ihr...? Was macht Ihr hier? Ihr seid doch...?“ Weiter kam sie nicht. Der Mann feuerte plötzlich eine mächtige Energiewelle ab; traf sie damit frontal und ließ sie vor Schreck und Qual gleichermaßen laut aufkeuchen. Eine weitere Energiewelle raste auf sie zu, schleuderte sie nach hinten...direkt auf die Wand zu. Mit einem dumpfen Schlag prallte ihr Kopf gegen den kalten Stein. Aus den Augenwinkeln nahm sie noch die schattenhaften Konturen des Mannes wahr, dann wurde ihr vollends schwarz vor Augen und sie fiel bewusstlos zu Boden. Der Mann trat auf sie zu; streckte seine Hand aus und fuhr mit seinen Finger über ihr Gesicht, streichelte ihre Wange, roch ihre Haare und betastete ihre Lippen. „Isis.“ Nein, nicht Isis. Er konnte sie nicht bei ihrem Namen nennen. Das würde sie zu menschlich machen, ihn zu menschlich machen. Nein, kein Name, er brauchte eine andere Bezeichnung...ja, ‚die Frau’, das war besser. Neutraler. Sicherer. Nicht Isis, sondern ‚die Frau’, vielleicht auch noch ‚die Priesterin’. Aus leeren Augen betrachtete er sie, ‚die Frau’. Dann gab er ihr einen Stoss in die Seite. Die Priesterin stöhnte, gab jedoch sonst keinen weiteren Laut mehr von sich. Eine kleine Blutlache hatte sich um ihren Kopf gebildet. So rein, so klar... Der Mann lächelte. Er konnte sich fast darin spiegeln. Es war schon seltsam, diese krankhafte Faszination mit Blut. Hatte er die eigentlich schon immer gehabt? Er wusste es nicht mehr genau. Hatte er es überhaupt jemals gewusst? Und die Priesterin, mit ihren feinen Zügen und dem zierlichen Körper. Irgendwie hatte sie frappierende Ähnlichkeit mit... Er schüttelte den Kopf. Er hatte eine Aufgabe zu erfüllen, er konnte sich jetzt nicht damit befassen. In der Gewissheit, dass die Frau so bald nicht wieder aufstehen würde, drehte er sich um und stand nun direkt vor den drei großen Steintafeln, in denen die Götter Ägyptens versiegelt waren. Die Schutzpatrone des Landes und des Pharaos. Ra, der geflügelte Götterdrache. Osiris, der Himmelsdrache. Obelisk, der große Kriegsgott. Doch welchen von ihnen musste er schänden? Er krallte seine Finger fester um den schweren Meisel in seiner Hand; lauschte, wartete...wartete auf diese Stimme, die ihn leiten, die ihm sagen würde, was er zu tun hatte. Ja, da war sie wieder... 'Der Zeitpunkt, fast ist er da. Ich kann es sehen. Fast...’ Jetzt sah er es auch. Eine Szene erschien in seinem Kopf, so real und nah, als würde er direkt daneben stehen. Der Pharao; der Mann erkannte ihn genau. In der Wüste, umgeben von Feuer und schwarzem Schleim, verwickelt in einen Kampf; bereit, einen Gott zu rufen. Aber welchen? Eine Sekunde später hatte der Mann seine Antwort. Vor seinem geistigen Auge erschien ein roter Drache, willig, Ägypten und seinen Herrn zu verteidigen. „Osiris.“ Mit einem letzten Blick auf die Steintafel des Monsters schlug er zu; brach Stückchen für Stückchen aus dem harten Material, das in achtlosen Staub- und Steinkörnchen zu Boden rieselte. Und schon kurz darauf, konnte er den Gott und den Pharao vor Schmerzen schreien hören. ----------------------------------- Nur langsam näherte sich Aknadin dem Ka-Tempel des Pharaos. Der Kampf mit den Monstern, welche die Stadt in Schutt und Asche zu legen gedroht hatten, war wirklich kräfteraubend gewesen, und das, obwohl sich der Priester nicht mal von Anfang an beteiligt hatte. Sein Alter machte sich stetig immer mehr bemerkbar. Und dann war da auch noch Zork... Aknadin spürte diese dunkle Macht in ihm mit jedem Tag stärker, wie sie langsam aber sicher seine gesamte Seele in Besitz zu nehmen drohte; wie es ihm stetig schwerer fiel, Zork noch Einhalt zu gebieten und nicht die volle Kontrolle über seinen Körper zu verlieren. Dieser Kampf in seinem Inneren…er war so schrecklich ermüdend und kostete ihm eine Kraft, die er kaum noch besaß. „Früher oder später werde ich Zork unterlegen sein, aber vorher muss er mir noch meinen Wunsch erfüllen. Ich darf Seth nicht gefährden. Zork darf mich nicht völlig beherrschen, noch nicht. Ich muss weiter gegen diese Bestie ankämpfen. Mit allen Mitteln!“ ‚Das sind aber unfeine Gedanken, alter Mann.’ Der Priester ächzte und sofort war Zorks amüsierte Stimme zu hören. ‚Ich habe dir gesagt, du sollst dich aus dem Kampf heraushalten. Aber du wolltest ja nicht hören.‘ Aknadin ballte seine Hände. „Hätte ich etwa alle diese Menschen sterben lassen sollen? Es sind bereits zu viele Unschuldige gestorben. Weitere werden folgen. Soll mein Sohn denn sein Königreich auf Ruinen und Toten aufbauen? Soll er über ein zerstörtes Ägypten regieren? Das ist nicht die Art von Herrschaft, die ich mir für ihn erhofft habe“, knirschte er und Zork verstummte, wenngleich der Priester sicher war, dass dieser Zustand sicherlich nicht von Dauer sein würde. Schwer atmend hockte er sich schließlich neben Isis. Ihre Haut war fast weiß; sie lag in einer Pfütze ihres eigenen, angetrockneten Blutes und ihr Atem war so unregelmäßig und schwach, dass sie ohne Hilfe sicher bald gestorben wäre. Aknadin spürte eine Traurigkeit in sich, die ihn überraschte und ängstigte zugleich. „Noch ein unschuldiges Opfer, das nur zwischen die Fronten geraten ist.“ ‚Wahrlich ein Fall von zur falschen Zeit am falschen Ort. Würdest du mir da nicht zustimmen, alter Mann?’ Aknadin ignorierte die spöttische Stimme und machte sich wortlos daran, Isis schlaffen Körper hochzuheben. ‚Lass sie liegen.’ „Das wäre ihr Tod.“ ‚Ich weiß.’ Für einen Moment war Aknadin versucht, dem Monster in ihm nachzugeben, einfach zu tun wie verlangt, doch er überwand dieses Gefühl, hob die ohnmächtige Priesterin entgegen Zorks Befehl auf und trug sie nach draußen. Weit kam er nicht. ‚Oh nein, mein Freund. Das wirst du nicht!’ Eine klauenhafte Hand schien sich um Aknadins Herz zu krampfen, es zu zerquetschen und der Priester schrie. ‚Bedenke die Folgen deines Tuns. Das ist meine erste und letzte Warnung.’ Die Stimme war nur ein Flüstern und trotzdem ließ sie Aknadins Blut gefrieren. Keuchend stützte sich der Priester an einer Wand ab. „E-egal was du sagst: Ich kann sie hier nicht sterben lassen. Sie ist bewusstlos und verletzt. In der nächsten Zeit…ah…sie w-wird sicherlich keine Gefahr mehr darstellen“, stieß er mühevoll hervor und entgegen seiner Erwartungen hörten die Schmerzen tatsächlich auf. Zork lachte donnernd. ‚Du bist immer noch viel zu sentimental, du alter Narr. Eines Tages wird das dein Untergang sein.’ Aknadin biss sich auf die Lippen. „Vermutlich“, war schließlich seine tonlose Antwort. ------------------------------- „Und, was hat Hori gesagt?“, fragte Shada besorgt, kaum dass Karim das Krankenquartier verlassen und sie sich in ein nahe liegendes Zimmer zurückgezogen hatten. „Isis hat eine Platzwunde am Kopf; wissen die Götter woher. Jedenfalls, Hori hat sie untersucht und meinte, dass sie wohl noch einige Zeit ohne Bewusstsein bleiben wird. Wir müssen warten und hoffen, dass sie bald wieder aufwachen wird. Mehr können wir momentan nicht tun.“ Karims Blick verdüsterte sich. „Wenn Meister Aknadin sie nicht gefunden hätte...ich mag mir gar nicht ausmalen, was ohne ihn passiert wäre.“ „In der Tat. Isis hat großes Glück gehabt“, stimmte Shada zu und legte die Finger aneinander. Er schwieg einen Moment, bevor er Karim aus ernsten Augen fixierte. „Und wie steht es um dich und Shimon? Was ist mit Meister Aknadin?“ Karim seufzte. „Shimon hat sich gar nicht erst untersuchen lassen. Er meinte, Ärzten könne man nicht trauen und wenn einer wüsste, was das Beste für ihn wäre, dann ja wohl er selber.“ Shada schüttelte milde mit dem Kopf. „Keine weise Entscheidung von ihm. Aber letztlich seine Sache. Oder die des Pharaos. Nun gut, ich wollte dich nicht unterbrechen. Erzähl weiter.“ „Da gibt es nicht viel zu erzählen. Dass Meister Aknadin kurz nachdem er Isis zu uns gebracht hatte zusammengebrochen ist, hast du ja schon selbst mitbekommen. Er hat keine äußerlichen Wunden, weswegen der Arzt auf starke Erschöpfung tippt. Aknadin liegt jetzt in seinem Gemach und wird von einigen Dienern betreut. Er hat sich einfach zu sehr verausgabt.“ Er schluckte und setzte müde hinzu: „Shimon wollte heute sein mächtigstes Monster, seine Exodia, rufen, doch ich habe ihn daran gehindert. Ich hielt es für das Klügste, doch im Nachhinein bin ich mir nicht mehr so sicher. Exodia hätte den Kampf sicher schnell beenden können.“ „Nein, du hast richtig gehandelt. Exodia wird nicht umsonst ‚die Verbotene’ genannt. Sie zu rufen hätte Shimon viel zu viel Kraft gekostet. Wahrscheinlich würde es ihm dann jetzt genauso ergehen wie Aknadin, wenn nicht sogar schlimmer.“ Ein beruhigtes Lächeln erschien auf Karims Gesicht, bevor er wieder ernst wurde: „Was glaubst du, woher diese Monster auf einmal kamen? Die Stadt wurde ohne jede Vorwarnung angegriffen.“ „Erinnerst du dich an diese Gefangenen des Pharaos, diese Sklaven mit dem Ka? Der König hat uns doch befohlen, die Monster von diesen Männern zu bannen und die Sklaven freizulassen.“ Karim nickte. „Stimmt. Nur leider sind wir bei dem ganzen Durcheinander der letzten Zeit völlig davon abgekommen. Erst unsere Priesterprüfung, anschließend die Weihe und die Sache mit Heqaib. Die Sklaven sind dabei vollkommen untergegangen.“ „Und unverhofft wieder aufgetaucht“, ergänzte Shada bitter. „Ich habe einen von ihnen erkannt. Nachdem wir alle Monster zerstört hatten, haben die meisten von ihnen versucht zu fliehen, wurden jedoch dabei von unseren Wachen getötet. Einen jedoch haben sie lebend festnehmen können.“ Shada schien einen Moment zu überlegen und fuhr dann mit belegter Stimme fort. „Leider war der Mann schwer verwundet und ist schließlich seinen Verletzungen erlegen. Vorher aber konnten die Wachen zumindest noch einige Informationen aus ihm...herauspressen. Nach der Aussage des Mannes hat irgendjemand alle Sklaven und Gefangenen, die ein Ka in sich trugen, aus dem königlichen Verlies befreit. Gemeinsam haben sie die Stadt in Brand gesetzt und die Monster gerufen. Nur warum sie das getan haben, das hat er nicht verraten. Ich vermute aber mal aus Rache für ihre Gefangennahme. Und den Namen ihres Befreiers hat er bedauerlicherweise auch nicht genannt. Gar nicht erst zu Reden davon, dass dieser ominöse Unbekannte die vor den Zellen positionierten Wächter umgebracht hat.“ Während seines Berichts wurde er immer nervöser, bis er sich letztlich von seinem Stuhl erhob und unruhig auf und ab zu laufen begann. „Die Nummer der gegnerischen Monster hat die der tatsächlichen Ka-Gefangenen bei weitem übertroffen. Ich wüsste zu gerne, wieso. Eigentlich besitzt doch jeder Mensch nur ein Ka-Monster, wenn überhaupt. Mehrere sind selten. Und fremde Kas extrahiert und so für sich nutzbar gemacht haben, können sie auch nicht. Dazu sind doch im Grunde nur wir in der Lage. Wie haben die das also gemacht?“ „Ich habe nicht die geringste Ahnung“. Karim faltete seine Hände und senkte bedrückt seinen Kopf. „Der Pharao ist gerade mal einen Tag weg, und gleich so was. Er wird nicht sonderlich erfreut sein, wenn er zurückkommt.“ „Das wird er bestimmt nicht. Ich kann nur hoffen, dass es ihm, Mahaado und Seth besser ergangen ist als uns.“ Nach diesen Worten herrschte erst einmal Stille. Schließlich löste Karim einen kleinen Beutel von seinem Schurz und entnahm ihm ein rundliches Gefäß, welches er nun öffnete. Shada betrachtete ihn fragend. „Was ist das?“ „Eine Kräutermischung von Hori. Ich leide unter Schwindelanfällen. Der Kampf hat auch mich erschöpft und das hier soll helfen. Magst du etwas?“ Shada besah sich die grünliche Pampe genau und rümpfte angeekelt mit der Nase. „Nein danke“, erwiderte er schließlich knapp, woraufhin Karim nur gleichgültig mit den Schultern zuckte. Shada derweil rieb mit einer Hand müde seine Stirn. „Nein, der Pharao wird wohl wirklich nicht sehr zufrieden mit uns sein“, wiederholte er matt. „Ganz und gar nicht zufrieden.“ Kapitel 43: Des Pharaos Wiederkehr ---------------------------------- Kapitel 43 – Des Pharaos Wiederkehr So hatte sich Atemu seine Rückkehr in den Palast wahrlich nicht vorgestellt. Die halbe Stadt war niedergebrannt, es gab viele Verwundete und Tote und drei seiner Priester waren effektiv außer Gefecht gesetzt worden. Und bisher kannte er noch nicht einmal die ganze Geschichte. Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit massierte er sich den Nasenrücken und fluchte leise. „Verdammt. Wer auch immer hierfür verantwortlich ist, hat wirklich gründliche Arbeit geleistet. Und keinen passenderen Zeitpunkt wählen können. Isis bewusstlos, Karim im Fieberwahn...sogar mein Onkel ist ans Krankenbett gefesselt. Seth hatte Recht, ich hätte die Sache nicht so leicht nehmen dürfen. Ein neidischer Höfling ist sicher nicht für dies alles hier verantwortlich. Ich war so ein Idiot.“ Einen Augenblick starrte er nur stumpf auf den Boden, erging sich in Überlegungen, was er alles anders, was er alles besser hätte machen müssen. Dann jedoch straffte er seine Schultern. „Selbstvorwürfe bringen jetzt auch nichts mehr. Es wird Zeit zu handeln.“ Seth war bereits auf dem Weg zu Aknadin und Kisara; Mahaado wollte unbedingt nach Isis schauen. „Bleibt also nur noch einer übrig...“ ------------------- Etwas unschlüssig näherte sich Seth dem alten Priester. Dieser schien tief zu schlafen; den Dienern zufolge in den letzten Tagen ein Dauerzustand, und Seth war unsicher, ob er den betagten Mann einfach so wecken sollte. Eigentlich hatte er sich fest vorgenommen, Aknadin einige Fragen bezüglich des Giftschützen zu stellen, doch unter den gegebenen Umständen... „Ich gebe es nicht gerne zu, aber als Shada meinte, Aknadin wäre zusammengebrochen, da hatte ich wirklich Angst um ihn.“ Er betrachtete Aknadin noch einen Moment länger und wollte sich gerade zum Gehen wenden, als ein Rascheln hinter ihm ihn in seiner Bewegung stoppte. Er drehte sich wieder um. Ganz so, als ob er Seths Gegenwart hatte spüren können, öffnete Aknadin seine Augen und rang sich ein kraftloses Lächeln ab. „Den Göttern sei Dank, dir geht es gut. Ich war voller Sorge“, flüsterte er dermaßen leise, dass Seth sich vornüber beugen musste, um überhaupt etwas verstehen zu können. Seth nickte. „Ja, ich bin in Ordnung. Aber ich frage mich, wie es Euch geht. Wurdet Ihr verletzt? Eure Diener waren in der Hinsicht nicht sonderlich gesprächig.“ „Ich bin momentan ein wenig schwach. Es ist aber nichts Ernstes.“ Langsam setzte er sich auf, wobei er von Seth gestützt werden musste. Auch das Sprechen schien ihn ermüdet zu haben, denn er keuchte schwer und seine Haut war von einem leichten Schweißfilm überzogen. Trotzdem streckte er eine zittrige Hand nach Seth aus; legte sie ihm auf die Wange und schloss seine Augen, ließ sich erneut nach hinten in die Kissen sinken. Seth schreckte kurz zurück; fremde Berührungen, von Kisara und Atemu mal abgesehen, waren ihm nämlich immer noch zuwider, doch da er seinen Mentor nicht kränken wollte, zwang er sich schließlich stillzuhalten und Aknadin gewähren zu lassen. Er musste nicht lange warten. Einige Sekunden später war der alte Priester bereits wieder eingeschlafen. Mit einem letzten, traurigen Blick auf Aknadin verließ Seth leise den Raum. „Ich hoffe, dass wenigstens Kisara nichts passiert ist. Außerdem gibt es da ja noch diese andere Sache, die ich erledigen wollte.“ Eilig machte er sich auf die Suche nach dem Mädchen. ---------------------------- Atemu musterte bedrückt die schwer atmende Gestalt vor ihm. Schweiß tropfte von Karims Schläfe; verklebte dessen Haare und ließ sie ihm in dicken, fettigen Strähnen in das blasse Gesicht hängen. Unvermittelt bäumte sich der Priester auf, stöhnte qualvoll und krallte seine Hände fest in die Laken, bevor er endlich wieder ruhiger wurde und auch das Wimmern verstummte. Isis, Aknadin und nun auch noch Karim. „Was passiert hier?!“ Mit Mühe wandte der Pharao seine Augen ab. „Was ist mit ihm?“, fragte er Hori, der zu ihm an das Bett trat und Karim etwas Medizin einflößte. „Es tut mir leid, mein Pharao. Er hat seit vorgestern ein starkes Fieber. Völlig unerwartet und bisher ist es mir noch nicht gelungen herauszufinden, woran das liegen könnte. Ich gehe momentan davon aus, dass ihn der Kampf körperlich einfach zu sehr geschwächt hat. Ich gebe ihm mehrmals am Tag ein fiebersenkendes Mittel. Es geht ihm sicherlich bald besser.“ „Ist das alles? So langsam beginne ich stark an deinen Kompetenzen zu zweifeln, Hori.“ „Bitte, mein König. Ich tue alles, was in meiner Macht steht. Ich wüsste wirklich nicht, was ich sonst noch für ihn tun könnte...“ Atemu betrachtete den Arzt finster. „Den Spruch höre ich auffallend häufig von dir. Und ich bin ihn leid. Sieh zu, was du für Karim tun kannst, und wehe dir, wenn er stirbt!“ Mit dieser Drohung wandte sich Atemu von dem bestürzten Hori ab und wollte sich gerade in sein Gemach begeben, als ihm Shimon entgegenlief. Auch der alte Wesir machte einen erschöpften Eindruck, doch als er Atemu sah, hellte ein merklicher Anflug von Freude sein altes Gesicht auf. „Es ist also wahr. Ihr seid zurück. Ach, mein Pharao, seit Ihr und der Hohepriester nach Nubien aufgebrochen ward, hat hier eine Katastrophe die nächste gejagt. Der arme Karim. Er...“ „Ich weiß. Ich war gerade bei ihm“, unterbrach ihn Atemu müde. „Was ich aber immer noch nicht weiß...was bei allen Göttern ist hier eigentlich genau passiert?“ Mit bleierner Stimme begann sein Großwesir ihm alles zu berichten. ---------------------------- Mahaado wusste nicht genau, womit er eigentlich gerechnet hatte, als er das abgedunkelte, stickige Zimmer betrat, doch auf Kisara war er definitiv nicht eingestellt gewesen. Die junge Frau stand am Kopfende des Bettes, tauchte ein Tuch in eine Schüssel mit Wasser und tupfte damit vorsichtig über Isis Stirn. Als sie Mahaado sah, entwich ihr ein überraschter Laut und sie deutete flink eine Verbeugung an. Mahaado beäugte sie misstrauisch. „Was soll das hier werden?“, fragte er barsch, woraufhin Kisara merklich erbleichte. Mühevoll rang sie sich zu einer Antwort durch, traute sich aber nicht, ihren Kopf zu heben. „Seit Seths Abreise hat sich Isis um mich gekümmert, auf mich aufgepasst. Ich wollte mich gerne erkenntlich zeigen.“ Sie stockte kurz und ihr Gesicht verfärbte sich. „Mir ist klar, dass ich nicht viel tun kann, aber ich dachte, weil es doch heute so heiß ist...“ Verunsichert hielt sie das feuchte Tuch hoch und blickte zögerlich auf. „Ich habe gedacht, dass...“ Mahaado versuchte sich an einem freundlichen Lächeln. „Das war wirklich eine liebe Geste von dir. Isis würde sich sicher sehr darüber freuen.“ Er ging einige Schritte auf Kisara zu und stoppte kurz vor ihr. „Aber vielleicht solltest du jetzt gehen. Seth sucht dich schon überall“, meinte er betont ruhig und nahm interessiert wahr, wie die Augen der jungen Frau kurz freudig aufleuchteten, bevor sie sich mit einem hastigen Nicken verabschiedete. Und obwohl der Priester gehofft hatte, dass sie endlich verschwinden möge, fühlte er sich mit einemmal merkwürdig einsam. Fahrig ließ er seinen Blick durch den Raum schweifen, besah sich jeden Winkel, jedes noch so unwichtige Detail. Alles, um nur nicht die fahle, regungslose Frau vor ihm betrachten zu müssen. Schließlich blieb seine Aufmerksamkeit auf der Wasserschüssel haften und seine Stirn legte sich in nachdenkliche Falten. „Dieses Mädchen...“ Von Anfang an hatte er Kisara keine Chance gegeben. Er wusste, wie viel dem Pharao an Seth lag, und dass es dieser nun wagte, diese Frau über Atemu zu stellen, dass sich diese über den Pharao stellen ließ, war etwas, was Mahaado nicht akzeptieren wollte. Doch konnte er wirklich Seth dafür hassen? Konnte er wirklich das Mädchen dafür hassen? Hatte er überhaupt das Recht dazu? Immer noch starrte er auf die Schüssel. „Ich bin ein Priester. Ich lebe, um Atemu zu dienen. Ich werde meine Loyalität zu ihm niemals durch andere Gefühle beeinflussen lassen. Aber irgendwie...“, und endlich blickte er auch auf das Bett, sah in das vertraute, lieb gewonnene Gesicht von Isis und lächelte schwach. „Irgendwie...kann ich deine Entscheidung schon verstehen, Seth.“ Zaghaft nahm er Isis schmale Hand zwischen seine eigene; streichelte behutsam über sie und fühlte dabei eine unendliche Verzweiflung in sich aufsteigen. Erschrocken ließ er sie wieder los; trat etwas zurück und fühlte, wie sich sein Gesicht schmerzhaft verzog. Es gab so viele Dinge, die er ihr sagen, ihr erzählen wollte, doch so sehr er sich auch bemühte, letztendlich kam kein Laut über seine Lippen. -------------------------------------- Vorsichtig blickte Kisara von ihrer Schriftrolle auf und sah verstohlen nach Seth. Der junge Mann war, selbst für seine Verhältnisse, äußerst wortkarg und abweisend. Er hatte seit seiner Rückkehr kaum mit ihr gesprochen; sie stattdessen nur hier in das Archiv des Palastes geführt und ihr einige Papyrusrollen gegeben, die sie nach einem Namen durchforsten sollte. „Ist irgendetwas?“ Seths ruhige Stimme riss sie aus ihren Überlegungen und sie schreckte zusammen. „N-nein, es ist nichts.“ Schnell senkte sie ihren Kopf in der Hoffnung, dass er ihre vor Scham rotglühenden Wangen nicht sehen würde und bemerkte ihn daher auch erst, als er unmittelbar vor ihr stand. Sachte hob er ihr Kinn an, zögerte kaum merklich und drückte ihr einen zärtlichen, doch unsicheren Kuss auf die Lippen. Der Kuss war kurz, viel zu kurz für Kisaras Geschmack und schon bald schob Seth sie wieder von sich und konzentrierte sich erneut auf die Schriftrollen. „Du fragst dich, warum ich dich diese Unterlagen hier nach einem ‚Ipui’ durchforsten lasse, richtig?“, fragte er schließlich und bemerkte dabei nicht den verletzten Ausdruck in ihren Augen; begriff nicht, wie sehr sie sich nach seiner Nähe verzehrte und sehnte. Sie zwang sich, ihre Gefühle herunterzuschlucken, stattdessen ein Lächeln aufzusetzen und zu Nicken. Seth seufzte. „Ich glaube, dass dieser Ipui sowohl den Wüstenangriff, als auch den mit dem Giftpfeil in Auftrag gegeben hat. Was ich brauche, sind Beweise.“ Er nahm eine Schriftrolle in die Hand und überflog sie schnell; legte sie dann zur Seite und griff sich eine neue. „Dieser Mann damals muss sich im Palast ausgekannt haben, sonst hätte es ihm nicht so leicht fallen dürfen...“ Er stockte und legte überlegend seinen Kopf schief. „Eigentlich...je mehr ich darüber nachdenke, umso stärker gehe ich davon aus, dass der Gift-Attentäter nicht angeheuert worden war, sondern aus eigenem Willen heraus gehandelt hat; dass er selbst der gesuchte Auftraggeber ist. Ipui. Für einen professionellen Mörder jedenfalls wirkte er mir bei seiner Festnahme zu, nun ja, ängstlich, überhaupt nicht abgeklärt.“ „Und du glaubst, dass Ipui in der Armee des Pharaos gedient hat?“, wollte Kisara, allmählich verstehend, sichergehen und zeigte auf eine der vielen Schriftrollen, in denen die Namen der königlichen Soldaten verzeichnet waren. „Ja, der Mordversuch hätte fast Erfolg gehabt. Ein Koch oder Stallbursche wäre dazu sicherlich nicht in der Lage gewesen.“ Kisara stimmte zu, auch wenn sie sich kaum auf Seths Worte konzentrieren konnte. Schließlich sah sie ihn bittend an. „Seth?“, fragte sie leise und knetete nervös ihre Hände. „Hm?“ „Ich wollte dir etwas sagen.“ „Was denn?“ Kisara schluckte. „Als der Angriff begann...ich wollte helfen, aber ich konnte mein Monster nicht rufen.“ Sie ballte ihre Hände so fest, dass sie anfingen zu zittern und auch ihre Stimme wurde brüchig. „Schließlich habe ich mich alleine in die Stadt aufgemacht, ohne den Drachen, doch Isis hat mich zurückgeholt. Sie meinte, sie würde sich schon um die Bevölkerung kümmern und ich solle mir keine Sorgen machen.“ Traurig wandte sie sich ab. „Nur wegen meiner Unfähigkeit wurde Isis verletzt. Wenn ich den Drachen doch nur kontrollieren könnte...Ich will nicht immer nur schwach sein und von allen beschützt werden. Ich möchte selber helfen können! Was soll ich denn nur machen!?“ Die Verzweiflung in ihrer Stimme war unüberhörbar und bedrückte Seth schwer. „Du bist nicht schwach, nur...unerfahren.“ Er berührte sachte ihre Schulter. „Du lernst schon noch, dein Monster zu kontrollieren. Mach dir nicht allzu viele Gedanken. Und vor allem gib dir nicht die Schuld an Isis Zustand. Du hast sie schließlich nicht so zugerichtet. Niemand macht dir Vorwürfe.“ Er biss sich auf die Unterlippe. Seine Worte waren ehrlich gemeint. Weder glaubte er, dass Kisara schwach war, noch machte er sie für irgendetwas verantwortlich. Und dennoch konnte er sich eines ungebetenen Gedanken einfach nicht erwehren. „In der Wüste, als Osiris mir nicht gehorchen wollte und Duos schlichtweg nicht stark genug war, was wäre wohl gewesen, wenn ich den Weißen Drachen beherrschen würde? Diese Kraft. Die Macht des Drachen...“ Schuldbewusst zuckte er plötzlich zusammen. Er wollte, nein, mehr noch, er durfte so etwas nicht denken; durfte sich nicht diese Stärke wünschen, die nicht die seine war und es auch niemals sein würde. Verärgert und beschämt über sich selber, widmete er sich schnell wieder dem Papyrusberg vor ihm. Kisara betrachtete ihn besorgt. Seth wirkte auf einmal regelrecht düster; seine Augen verschlossen und kalt. Ihr Magen verkrampfte sich und sie legte eine schmale Hand auf ihren Bauch, atmete ruhig und zwang sich, die leichte Übelkeit, die in ihr hochstieg, zu ignorieren. Sie hatte das Gefühl, als würde sie den weißen Drachen, der in ihrer Seele wohnte, brüllen und toben hören, so, als ob er sie vor etwas warnen, ihr etwas sagen wollte und eine ungute Vorahnung machte sich in ihrem Inneren breit. Frustriert starrte sie auf das Pergament vor ihr. „Ich will Seth beschützen und doch weiß ich einfach nicht wie und vor allem vor was. Und wenn dieser Augenblick kommt, werde ich dann wieder völlig hilflos sein? Werde ich wieder nur untätig daneben stehen? Ich...“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Für Seth werde ich kämpfen können. Genau, ich habe ihn schon einmal gerettet, zweimal sogar, das hat er mir selbst gesagt. Und ich werde es wieder schaffen. Ich will und werde ihm helfen!“ Entschlossen nahm sie sich die nächste Schriftrolle vor. ----------------------- Nachdenklich kraulte Atemu seinen kleinen Falken, der ruhig auf seiner Schulter saß und nur hin und wieder eine blonde Strähne in den Schnabel nahm, um vorsichtig daran zu knabbern und zu ziehen. Abgesehen von Horus war der Pharao allein. Keine Wachen, keine Sklaven. Nur eine angenehme Stille, die er auch dringend brauchte. Plötzlich zog Horus etwas zu kräftig an seinem Haar und Atemu gab einen protestierenden Laut von sich. „Du solltest den Vogel besser füttern, Atemu. Meinst du nicht auch?“ Auch ohne hinzusehen, erkannte der Pharao die tiefe Stimme sofort. Behutsam befreite er seine Haare aus Horus Schnabel, der daraufhin beleidigt und unter wildem Gekreische davonflog. Atemu sah ihm kurz nach und wandte sich dann an seinen Priester. „Wo warst du, Seth? Ich habe dich schon überall suchen lassen.“ „Beschäftigt.“ „Und womit?“ „Nachforschungen.“ Atemu verzog das Gesicht. „Geht das jetzt die ganze Zeit so weiter oder kannst du auch noch in ganzen Sätzen antworten?“ Seth brummte und legte dann eine Schriftrolle vor ihm ab. Der Pharao betrachtete sie verwirrt. Dann fiel sein Blick auf einen Namen, der dick eingekreist war und sein Atem stockte kurz. „So, du hast also unseren Ipui gefunden“, stellte er schließlich leise fest. Sein Priester setzte sich neben ihn und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich habe bereits seine Unterkunft durchsuchen lassen. Dabei fand man ein ähnliches Blasrohr wie das, was er bei dem Angriff gegen dich benutzt hatte sowie einige Pfeile, wenngleich ohne Gift. Damit ist wohl klar, dass Ipui der Attentäter von damals war. Und nicht ich, sondern Kisara hat ihn gefunden“, entgegnete er ruhig und bemerkte dabei nicht, wie der Pharao leicht zusammenzuckte und sich dessen Augen kurzzeitig verdunkelten. Atemu fing sich jedoch schnell wieder. „Sehe ich das hier richtig?“, fragte er und deutete auf einen kleinen Eintrag neben dem Namen. „Hier, diese Verwandtschaftsverhältnisse. Demnach ist Ipui der Bruder von Tausret.“ „Tausret, meine Wache, die mich damals verraten hatte und dann getötet wurde. So ist das also. Jetzt verstehe ich.“ „Ipui hat dich für den Tod seines Bruders verantwortlich gemacht und wollte deshalb Rache“, meinte Seth tonlos. „Ich habe ein wenig unter den Soldaten herumgefragt. Ipui hat wohl immer zu seinem großen Bruder aufgesehen und auch nur wegen ihm überhaupt die Soldatenausbildung aufgenommen. Tausrets Tod war ein schwerer Schlag für ihn. Er hat sich danach ziemlich zurückgezogen und sich dabei wahrscheinlich immer mehr in seinen Hass gegen dich hineingesteigert...“ „Bis es schließlich zu viel für ihn wurde und er versucht hat, mich zu töten“, beendete Atemu den Satz bitter. „Sicher, Tausrets Tod hat mich nicht sonderlich berührt, denn immerhin wollte er mich in diesem Lagerschuppen sterben lassen, aber trotzdem habe ich ihm ein Begräbnis zugestanden und seine Familie finanziell absichern lassen.“ Seine Stimme hatte einen fassungslosen Klang und Seths Gesicht verzog sich schmerzhaft. „Als ich vom Tod meines Bruders erfahren habe, habe ich nicht anders gehandelt; brauchte auch jemanden, dem ich die Schuld geben konnte. Ipui hat wohl genauso gefühlt. Rationales Verhalten kannst du da nicht erwarten“, entgegnete er bedächtig; sein Kopf gesenkt und die Augen von braunen Strähnen bedeckt. „Seth, das...“ „Vergiss es einfach. Es spielt keine Rolle mehr“, unterbrach Seth schroff und wirkte dabei so abweisend, dass Atemu widerwillig seinen Worten nachkam. „Dann war Ipui also kein weiterer Auftragsmörder, sondern unser gesuchter Auftraggeber. Aknadin hat sich geirrt“, meinte er stattdessen nur und fühlte auch sogleich Seths argwöhnischen Blick auf sich ruhen. Der junge König unterdrückte ein Seufzen. „Wenn es denn ein Irrtum war. Die Millenniumsgegenstände sind eigentlich nicht so leicht zu täuschen. Aber auch wenn er mich als Pharao für unfähig hält, er ist immer noch mein Onkel. In all den Jahren hat er mir treu gedient, wollte immer nur Frieden für Ägypten. Ich kann nicht glauben, dass er mich absichtlich...“ Sein Kiefer verhärtete sich. „Ja, Aknadin hat sich geirrt“, wiederholte er laut, auch, um sich selbst zu überzeugen und obwohl er seine Zweifel für sich behielt, verstand sein junger Hohepriester auch so. „Geirrt. Oder gelogen“, wisperte Seth bedrückt. Eine Weile starrte er nur gedankenverloren ins Leere, schloss schließlich die Augen und lehnte sich leicht an Atemus Schulter. Diesem ächzte verblüfft. Zaghaft sah er zur Seite; direkt in Seths ruhiges Gesicht. Ein kleines Lächeln huschte über Atemus Lippen. „Aknadin, Attentäter...selbst Kisara. Im Moment könnte es mir nicht gleichgültiger sein.“ Wohlig aufseufzend lehnte auch er sich zurück. ---------------------------------------- Sehr zu Atemus Bedauern währte seine Ruhe nicht lange. Nur kurze Zeit später betrat Shimon sein Gemach; bestand darauf, dass ihm der Pharao die Verfügung unterschrieb, die den thebanischen Gaufürsten offiziell zum neuen Verwalter der Grenzfestung bestimmte und sorgte allein durch seine Anwesenheit dafür, dass sich Seth hastig verabschiedete. Der alte Wesir schwitzte furchtbar; seine Haut glänzte vor Nässe und hatte fast die gleiche ungesunde Farbe, wie auch Karim sie aufwies. Atemu nahm dies besorgt zur Kenntnis. „Du solltest besser zu Hori gehen. Karims Zustand ist schon bedenklich genug und ich möchte nicht, dass es dir am Ende genauso ergeht.“ „So schlimm ist es nicht.“ Shimon streckte ihm seinen Arm entgegen, auf dem ein angeschwollener, rötlicher Schnitt zu sehen war. „Ich bin bei dem Kampf neulich nur etwas verletzt worden. Seht Ihr? Ist nicht tief, hat sich aber entzündet. Ich schätze, ich hätte die Wunde besser säubern lassen müssen. Aber tragisch ist es wirklich nicht. Wird schon wieder werden.“ Doch zu seinem Pech sah Atemu das ein wenig anders. „Dann mache ich meine Bitte eben zu einem Befehl: Geh zu meinem Leibarzt und lass dich richtig untersuchen. Und damit du nicht auf dumme Gedanken kommst, komme ich mit.“ Murrend folgte ihm der alte Mann. Der Krankenbereich war normalerweise oft von jammervoll stöhnenden Höflingen belegt, die sich entweder überfressen oder auch einfach zu sehr dem guten Wein des Palastes hingegeben hatten, doch heute war außer seinem Arzt und einem flink hin- und herhuschenden Diener niemand zu sehen. Die Augen des Arztes weiteten sich ob des unerwarteten Besuchs erschrocken und er lächelte gequält. Atemu verzog das Gesicht. „Wahrscheinlich ist er immer noch verängstigt wegen meiner Drohung. Ich sollte mir wirklich einen neuen Arzt anschaffen. Hori wird mehr und mehr zu einer Enttäuschung.“ Schwankend ließ sich Shimon auf einem Stuhl nieder; murmelte, auch während ihn Hori schon überall untersuchte, nur die ganze Zeit davon, wie unnötig dies alles wäre und dass es ihm doch prima ginge. Atemu blendete die Meckerei seines Wesirs problemlos aus, doch Hori wurde zusehends unruhiger. Erst als er seine Diagnose beendet hatte, entspannten sich seine Gesichtszüge wieder. Mit geschickten Bewegungen reinigte er erst die entzündete Wunde auf Shimons Arm und verband sie dann sorgfältig. Anschließend ging er zu einem Tisch und holte aus einigen dort verteilten Holzkisten vereinzelte Sachen heraus. Während er damit beschäftigt war, warf er immer mal wieder einen missbilligen Blick auf den Wesir. „Ihr seid einfach schon zu alt für solche Kämpfe“, tadelte er und stapfte dabei einige Kräuter und Pflanzen zu einem grünen Brei zusammen, den er mit etwas Pulver sowie Flüssigkeit in einer kleinen Schale vermischte und diese schließlich Shimon reichte. „Esst das. Das wird Euch helfen.“ Misstrauisch tippte der Wesir einen Finger in die zähe Masse, leckte vorsichtig daran und schluckte dann den Brei anstandslos herunter. Hori lächelte. „Es geht Euch sicher bald besser, aber vielleicht solltet Ihr Euch trotzdem zusätzlich noch ein wenig Ruhe gönnen“, schlug er vor; ein Ratschlag, dem Atemu nur uneingeschränkt zustimmen konnte. Immer noch wackelig auf den Beinen bedankte Shimon sich bei Hori und ließ sich von dem inzwischen hinzu geeilten Diener zu seinem Gemach bringen. Atemu indes blieb noch bei Hori und wollte diesem gerade seine Anerkennung aussprechen, als sein Blick auf eine der halbgeöffneten Kisten fiel, aus der ein kleines Stück Stoff herausragte, an dem deutlich die getrockneten Spuren von Blut erkennbar waren. Der Pharao zog die Stirn kraus, alle Gedanken seinen Arzt zu loben auf der Stelle verflogen. „Ich kenne dieses Tuch; dieses hässliche Muster und die grässliche Farbe. Mit dem Fetzen hat Hori damals doch mein Ohr abgetupft. Wieso hat er das noch?“ Innerlich mit dem Kopf schüttelnd und in seinem Entschluss, sich einen neuen Arzt zu suchen bestärkt, folgte er schließlich seinem Wesir. „Widerlich, Hori. Einem Arzt hätte ich ja etwas mehr Hygiene zugetraut.“ Und während der Pharao noch immer über unfähige Mediziner sinnierte, wachte etwa zur gleichen Zeit auch Aknadin wieder auf und es wurde die beschädigte Steinplatte von Atemus Osiris entdeckt. ---- AN: Tja, und ab da fängt auch genau das nächste Kapitel an. Darauf, dass Ipui Tausrets Bruder ist, konnte keiner kommen; ich habe schließlich keinerlei Hinweise dafür gegeben. Für die Sache, wer wohl Osiri zerstört hat (sowie einige andere Dinge), allerdings schon ^^ Nicht unbedingt das spannendste Kapitel, aber es war halt nötig, um die Handlungsstränge wieder zu verknüpfen. Außerdem hatte das letzte Kapitel einen Kampf und das nächste wird auch wieder einen haben, und zwar keinen folgenlosen. Ich habe die letzte Zeit zwar mit dem Hochladen etwas geschlampt, aber das nächste Kapitel wird hoffentlich pünktlich am Sonntag hochgeladen. Kapitel 44: Ein Verräter wird enttarnt -------------------------------------- AN: Ich weiß, ich hatte was von Sonntag geschrieben für das neue Kapitel, aber ich habe im September Vorabiturprüfung, im Oktober dann die richtigen Abiturprüfungen (und ich das Gefühl, dass ich noch gar nichts kann) und mein Stundenplan ist auch unterste Schublade, so dass meine Freizeit arg begrenzt ist. Deshalb werde ich auf weitere Prognosen für neue Kapitel in Zukunft (erstmal) verzichten und stattdessen wie gewohnt jedem, der einen Kommentar hinterlassen hat, Bescheid geben, wenn ein neues Kapitel hochgeladen ist (wer das nicht möchte, muss es mir nur sagen). Apropos Kommentare: Ich danke allen, die sich trotz eigenem Stress die Zeit genommen haben, mir einen zu hinterlassen. Ich freue mich wirklich darüber und auch, wenn ihr was zu meckern habt, könnt ihr mir das ruhig sagen, denn das ist mir allemal lieber als völliges Schweigen, denn zumindest zeigt es mir, dass die FF wenigstens gelesen wird. Und bisher habe ich noch niemanden den Kopf abgerissen. So, genug gelabert, viel Spaß mit dem Kapitel ^^ ----------------------- Kapitel 44 – Ein Verräter wird enttarnt „Wer kann das nur getan haben?! Ich verstehe das einfach nicht.“ Fassungslos starrte Shimon auf den schwer lädierten Osiris. „Wer wagt es einen Gott zu schänden? Das ist ...“ Atemu konnte dem nur beipflichten. Er legte eine Hand auf den bröckligen Stein und streichelte vorsichtig darüber. Er hatte schon versucht Osiris zu beschwören, doch außer einem schmerzhaften Reißen in der Brust hatte ihm das nicht viel eingebracht. Die Platte diente als Verbindung zwischen dem Pharaoh und dem Gott; mit ihr in diesem Zustand würde es unmöglich sein, Osiris noch zu rufen. Atemu biß sich leicht auf die Unterlippe. „Kann man das reparieren?“, fragte er schließlich leise und sein alter Wesir antwortete mit schwacher Stimme. „Ja, kann man. Es wird jedoch einige Zeit in Anspruch nehmen und einen außerordentlich guten Steinmetz brauchen. Nur sind die besten Handwerker momentan auf diversen königlichen Baustellen verteilt. Ich werde mich aber sofort darum kümm...“ Der Rest des Satzes ging in einen lauten Hustenanfall unter und Atemu drehte sich alarmiert nach Shimon um. Der Zustand des Wesirs hatte sich rapide verschlimmert; er konnte zeitweise kaum noch atmen; seine Augen waren trübe und ein merkwürdig süßlich penetranter Geruch ging von ihm aus. Den Pharao beschlich ein mulmiges Gefühl. „Du gehörst ins Bett, Shimon. Hör endlich auf dich meinen Anweisungen zu widersetzen und leg dich hin.“ Der Wesir wollte protestieren, musste sich aber nach Atemus strengen Blick doch geschlagen geben. „Wie Ihr wünscht, Eure Hoheit.“ Sich schwer an einer Wand abstützend, machte er sich auf wackeligen Beinen Richtung Tempelausgang, als ihm Seth entgegenlief. „Wartet, Shimon. Ich helfe Eu...“ „Lass mich das machen.“ Sowohl Seth als auch Atemu sahen überrascht auf. Vor ihnen stand Aknadin, der den Wesir nun wachsam betrachtete. Das Millenniumsauge des alten Priesters wurde von Schatten und einigen langen Haarsträhnen fast gänzlich verborgen; doch in dem gesunden Auge glaubte Seth ein unheimliches rotes Schimmern zu entdecken. Er presste seinen Mund zu einer dünnen Linie zusammen. „Bilde ich mir das nur ein? Wahrscheinlich eine Lichtrefflektion.“ Wie um seine Vermutung zu bestätigen, verschwand die rötliche Färbung auf der Stelle. Dennoch war Seth nicht wirklich beruhigt. „Aknadin, geht es Euch wieder besser?“, wollte er langsam wissen und der Alte schenkte ihm ein schmales Lächeln. Doch noch bevor jemand mehr sagen konnte, war plötzlich ein furchtbares Keuchen zu hören. Entsetzt sah Atemu, wie sich sein Wesir mit einemmal zusammenkrümmte, schwer nach Atem rang, ihm einen tränenverschmierten Blick zuwarf; sah, wie sich Shimons Mundtuch rot verfärbte; wie sein Wesir, der Mann, der ihm von Anfang an zur Seite gestanden hatte, schließlich ohne einen weiteren Laut zu Boden sank und dort bewegungslos liegen blieb. Und in diesem Moment wusste der Pharao, dass jede Hilfe für seinen Wesir zu spät kommen würde. ---------------------------------------- Wäre Atemu irgendjemand anderes gewesen, ein Bauer, ein Soldat...ein Fischer vielleicht, Hauptsache irgendjemand anderes und nur nicht der Pharao, so hätte er sich jetzt auf den Boden gehockt und geweint; hätte um seinen Freund und Wesir getrauert, wie es Shimon verdient hätte, wie es bei dem Tod eines nahe stehenden Mensches angemessen gewesen wäre. Aber er war nun mal nicht irgendjemand anderes. Er war der König von Ägypten. Und als solcher stand er jetzt nur stumm da; so gut wie keine Regung auf seinem ebenmäßigen Gesicht erkennbar. Seth hielt sich dicht neben ihm auf und dafür war Atemu dankbar, auch wenn ihn die tröstliche Präsenz seines jungen Priesters dennoch nicht von dem einen Gedanken abhalten konnte: „Das kann doch nicht wahr sein. Das kann doch nicht...“ „Atemu. Atemu.“ Erst Seths besorgte Stimme holte ihn zurück in die Wirklichkeit und verwirrt blinzelnd blickte er endlich zu seinem Priester hinauf. „Aknadin hat was gefunden. Das solltest du dir mal ansehen“, sagte Seth leise und der Pharao nickte nur stumm; ließ sich dann widerstandslos und beinahe wie in Trance zu seinem Onkel und der toten Hülle seines Wesirs führen. Aknadin hatte Shimons Gesichtsschutz entfernt und deutete nun auf einen kleinen Fleck am Mundwinkel des Toten. „Seht Ihr das, mein Pharao?“, fragte er ruhig und jetzt bemerkte auch Atemu die grüne Substanz, die sein Onkel mit einem herausgerissenen Zipfel seines Gewandes abtupfte und ihm dann auffordernd entgegenhielt. „Erkennt Ihr diesen Geruch? Diese seltsame Mischung aus süß und würzig?“ Der Pharao schüttelte den Kopf und auch Seth musste verneinen. Der Priester schnalzte mit der Zunge. „Das solltet ihr aber.“ Fast vorwurfsvoll richtete er sich auf und faltete den Stoff dabei sorgsam zusammen. „Das ist Gift. Das gleiche wie an dem Pfeil, von dem der Pharao vor einigen Wochen verletzt wurde. Es war auch zu Zeiten meines Bruders unter den Höflingen sehr beliebt, die sich damit gegenseitig umgebracht haben, um dann die Position ihres Widersachers einnehmen zu können. Aknamkanon hat das jedoch schließlich unterbinden können.“ Seth runzelte die Stirn. „Dass wir das nicht wussten, könnt Ihr uns aber schlecht vorhalten. Außerdem hatte das Gift an der Pfeilspitze doch eine andere Farbe, oder nicht?“ Aknadin seufzte ungeduldig. „Natürlich hatte es das. Trotzdem ist es dasselbe. Ich erkenne doch diesen Geruch wieder.“ Er schwenkte den Stofffetzen ein wenig durch die Luft. „Dieses Gift hier ist lediglich zusätzlich mit irgendwelchen Pflanzen präpariert worden. Außerdem ist die Dosis vermutlich sehr viel geringer, wodurch auch die Wirkung verlangsamt worden ist. Sehr geschickt. Es wäre zweifelsohne schlecht für den Täter gewesen, wenn der Tod seines Opfers sofort eingetreten wäre. Bleibt nur die Frage: Wer hatte sowohl die Möglichkeit als auch die Zutaten, um das Gift unbemerkt herstellen und ohne Verdacht zu erregen an Shimon verabreichen zu können?“ „Hori“, flüsterte Atemu plötzlich, Augen schreckgeweitet und furchtsam. Ohne ein weiteres Wort rannte er unvermittelt los. Seth, der ihm verzweifelt nachrief, hörte er schon gar nicht mehr. ------------------------------ Eigentlich hatte die Priesterin schon im Tempel sterben sollen. Dieses verfluchte Weibsbild, das ihn so sehr an seine geliebte Cassandra erinnerte; an die Frau, welche, obwohl nun aus seiner Reichweite, Hori immer noch mit allen Sinnen begehrte. Ein Verlangen so stetig und fordernd, dass er glaubte, es raube ihm langsam aber sicher den Verstand. Wie auch Cassandra selbst durch die Schuld des Pharaos dem Wahnsinn zum Opfer gefallen war. Der König würde dafür büßen müssen. Doch vorher wollte Hori noch Isis beseitigen. Sie setzte nur ungebetene Erinnerungen frei und außerdem diente sie Atemu. Allein dafür verdiente sie schon den Tod. Hori spürte, wie er vor Wut zu Zittern begann. Er hatte nicht damit gerechnet, dass die Priesterin rechtzeitig gefunden und gerettet werden würde... Ein Fehler sondergleichen, den er nun zu korrigieren beabsichtigte. Die Wache vor dem Eingang zu Isis Gemach stich er präzise nieder; jagte ihr einen Dolch in die Kehle und erstickte so jeglichen Ruf nach Hilfe schon im Ansatz. Mit einem gleichgültigen Blick stieg er über den Leichnam; stieß rüde die Tür zum Gemach der Priesterin auf und trat ein. Vorsicht war überflüssig geworden, denn die Stimme hatte ihm bereits gesagt, dass der Pharao über ihn Bescheid wusste. Aber wenigstens diese Frau, Isis, wollte Hori vorher noch beseitigen. Erst Isis, dann Atemu. Alles andere war unwichtig. Das galt auch für Mahaado, der sich noch immer an Isis Bett aufhielt, sich nun umdrehte; den blutbefleckten Dolch in Horis Hand sah und sofort angriffsbereit den Millenniumsring um seinen Hals packte. Hori fletschte die Zähne. „Aus dem Weg, Priester“, knurrte er ungehalten und schritt bedrohlich weiter, doch Mahaado musterte ihn nur abschätzig und ließ sich ansonsten nicht weiter beirren. „Nein. Was immer du vorhast, ich werde es zu verhindern wissen“, antwortete der Priester ernst und Hori, blind vor Wut und Ungeduld, warf ihm sein Messer entgegen, verfehlte Mahaado jedoch und streckte ihm eine Faust entgegen. „Ich werde dieses Weib töten und keiner, erst Recht kein dahergelaufener Priester, wird mich aufhalten können! Hast du verstanden?! Ich werde mich von dir nicht aufhalten lassen!“ „Aber von Mahaado und mir zusammen ganz sicher!“ Entsetzt fuhr Hori herum. Über die tote Wache gebeugt stand Shada, der sich nun aufrichtete und ebenfalls den Raum betrat. Mahaado verschränkte die Arme und sein Gesicht nahm einen gelassenen Ausdruck an. „Du solltest dich lieber ergeben, Hori. Gegen uns beide hast du keine Chance.“ Der Arzt zischte verärgert. Die Priester hatten Recht. Allein hatte er keine Möglichkeit zu gewinnen. Aber vielleicht, mit Hilfe der Stimme... „Was soll ich jetzt machen? Hilf mir!“ Die Stimme erschien tatsächlich und für einen Moment fühlte Hori eine Welle der Erleichterung in sich, die sich aber nur einen Augenblick später in Schrecken umwandelte, als er die Worte der Stimme vernahm: ‚Ich habe keine Verwendung mehr für dich. Ab jetzt bist du auf dich allein gestellt.’ „Was?! Nein, bleib!“ Doch Horis Einwand blieb unbeachtet. Die Stimme verschwand so schnell wie sie gekommen war und mit ihr auch jegliches Geräusch. Was blieb, war Stille. Hori konnte erkennen, wie sich die Lippen von Mahaado bewegten, Worte formten, doch so sehr er sich auch bemühte, hören konnte er sie nicht. Er runzelte die Stirn; er verstand nicht, warum die Stimme ihn taub zurückgelassen hatte, warum sie ihm das antat. Aber andererseits... ‚Ich habe keine Verwendung mehr für dich.’ Wollte die Stimme etwa, dass er hier heute starb? War es das? Weil er versagt hatte? Weil er, wenn er die Stimme nicht mehr hören durfte, auch keinen anderen Ton mehr warnehmen sollte? Hori kicherte leise. Er brauchte weder die Stimme noch sein Gehör. Er brauchte niemanden. Er würde es auch so schaffen, und zwar ganz allein. Dennoch war ihm eine Sache klar. Er war den zwei Priestern eindeutig unterlegen; der Sieg in weite Ferne gerückt. Jetzt ging es nur noch ums Überleben, denn sollte er hier unterliegen, so könnte er auch den Pharaoh nicht mehr töten. Die Vorfreude darauf ließ ihn grinsen. So klar wie jetzt hatte er sich schon lange nicht mehr gefühlt. Keine Stimme in seinem Kopf, kein Geräusch überhaupt. Nur diese angenehme Stille. Und seine Gedanken. Seine eigenen Gedanken. „Zwei Priester...sie werden bestimmt von verschiedenen Seiten angreifen. Ich muss mich irgendwie verteidigen!“ Er sah sich schnell um. Mahaado stand schützend vor der bewusstlosen Isis; Shada angriffsbereit nahe der Tür. „Die Tür, mein Fluchtweg“, murmelte er sachte, bevor er Mahaado hämisch fixierte. „Na, was ist? Zu feige ein Monster zu rufen?“ Sein Grinsen weitete sich. „Ah, ich verstehe. Eine verirrte Attacke könnte die Frau erwischen. Ist es das? Zögerst du deshalb? Zögert ihr deshalb?“ Mit Genuss beobachtete er, wie sich die Augen der Priester verengten. Unbeirrt setzte Hori nach: „Nun, zu eurem Pech bin ich frei von solchen Bedenken. KELDA!“ In einer blitzschnellen Bewegung konzentrierte er seine Energien, rief sein Monster und befahl ihm den Angriff. Kelda fuhr herum; versuchte mit spitzen Krallen Shada aufzuschlitzen, doch dieser konnte knapp ausweichen. Hori fluchte, vergaß über seinen Ärger für einen Moment Mahaado und büßte für seine Fahrlässigkeit auch gleich mit einer Magieattacke in die Seite, die ihn von den Füßen riss. Kelda öffnete sein Maul; der Raum füllte sich mit undurchsichtigem Rauch und Hori wollte die Gelegenheit nutzen und durch die Tür in Sicherheit entwischen, als er von Shada am Ärmel gepackt und zurück in den Raum geschleudert wurde. Hori rappelte sich schnell wieder hoch; doch offenbar nicht rechtzeitig, denn prompt bekam er eine weitere magische Attacke zu spüren, diesmal stärker als vorher und wesentlich schmerzvoller. Hori war es egal. Seine Zeit würde schon kommen, das wusste er. Sein Monster spie weiter den Nebel und endlich war der ganze Raum erfüllt. Hori biss sich auf die Zunge. Er würde weder Shada noch Mahaado besiegen können. Aber vielleicht konnte er für ein wenig zusätzliche Ablenkung sorgen. Hori hatte die Technik von der merkwürdigen Stimme gelernt; hatte diese Methodik auch den Ka-Gefangenen gezeigt, damit diese die Priester des Pharaos bei ihrem Angriff auf die Stadt ein wenig länger hatten hinhalten können. Genauso wie die Ka-Sklaven vor ihm, so erfühlte nun auch Hori die Energie seines Monsters, sammelte und zerteilte sie. Keldas Maul verzog sich zu einem stummen Schrei, dann begann er in der Mitte zu zerreißen; spaltete sich in zwei Hälften, von denen nun jede einen der Priester angriff. Keldas Verdoppelung hatte die Kraft des Monsters halbiert; so wie auch jede weitere Teilung zu einem erneuten Stärkeverlust geführt hätte, doch das kümmerte Hori im Augenblick wenig. Der Nebel bildete zwar keinen perfekten Schutz, sorgte jedoch immerhin dafür, dass die Priester leichter von den unerwarteten Angriffen der beiden Keldas verletzt und zu Boden geworfen wurden. Shada blieb bewusstlos liegen und Hori lächelte glücklich. „Einer erledigt, einer noch übrig. Nicht schlecht, wenn ich mich mal selber loben darf!“ Doch nur eine Sekunde später erwischte ihn Mahaado; verbrannte ihm mit seiner Magie den Rücken und Hori schrie. Er roch sein verbranntes Fleisch und fuhr wütend herum. Der Priester gab jegliche Vorsicht auf, rief ein Monster herbei, ein gesichtsloses, von schweren Umhängen bedecktes, menschliches Monster, welches nun den Ableger Keldas angriff und innerhalb kürzester Zeit vernichtete. Die andere Hälfte Keldas wollte das Bett attackieren, wurde von Mahaado daran gehindert, griff dann den Priester direkt an und riss ihm eine tiefe Wunde in die Brust. Der junge Priester sackte zusammen; presste eine Hand auf die klaffende Verletzung und warf Hori einen hasserfüllten Blick zu. Auch Hori konnte nicht mehr. Mit schmerzverzerrtem Gesicht rang er angestrengt nach Atem, zog eine schiefe Grimasse und bleckte die Zähne. „Die Vergänglichkeit und Schwäche des Fleisches ist doch immer wieder erstaunlich, nicht wahr? Wir beide haben ein Ziel. Du willst dieses wertlose Weibstück und den noch wertloseren Möchtegernpharao beschützen, und ich...ich will Rache. Und doch stoßen wir hier an unsere Grenzen. Menschen sind im Grunde genommen wirklich erbärmliche Kreaturen.“ Langsam kam er wieder auf die Beine und torkelte einige Schritte nach hinten; ließ Mahaado dabei nicht aus den Augen und näherte sich Stück für Stück dem Ausgang. Auch der Priester versuchte sich wieder aufzurichten, wobei er Hori irgendeine Erwiderung entgegen warf, die dieser jedoch nicht verstand. Doch das machte nichts. Hori vermutete stark, dass der junge Mann ohnehin nichts Nettes zu sagen gehabt hatte. Amüsiert fuhr der Arzt fort: „Lass dir eins gesagt sein, Priester. Ich werde weder aufgegeben, noch werde ich hier draufgehen. Nein, vorher werde ich den Pharao umbringen. Ich werde ihm meine Hände um seinen kleinen Hals legen und langsam, gaaanz langsam zudrücken. Ich werde zusehen, wie die Luft in seinen Lungen immer weniger wird; er wie ein Fisch auf dem Trockenen nach Sauerstoff schnappt, nur um dann festzustellen, dass es vergebens ist. Und ich werde die Erkenntnis in seinem Gesicht genießen, wenn es ihm dämmert, dass das sein Ende ist. Ich werde mich an seinem Todeskampf ergötzen. An jeder einzelnen Sekunde. Und du wirst wissen, dass du versagst hast! Dass der Tod des Königs auf deinen Schultern lastet. Und auch der Pharao wird in seinen letzten wachen Augenblicken erkennen, was für eine Enttäuschung als Priester du eigentlich wirklich warst!“ ----------------------------- Behutsam nahm Mahaado seine Hand von der Brust. Zähflüssiges Blut floss sogleich über seine Finger und er stöhnte leise. „Die Schwäche des Fleisches…Schwäche…Schwäche…“, hallten Horis Worte immer wieder in seinem Kopf und Mahaado versuchte sie zu verdrängen, schaffte es jedoch nicht und schloss müde die Augen. „Vielleicht spricht er ja sogar die Wahrheit. Ich hätte nicht so lange zögern, hätte angreifen, hätte nicht auf Isis Sicherheit Rücksicht nehmen sollen...“ Er richtete sich auf und erkannte Hori, der sich mit schweren, langsamen Schritten der Tür näherte. Mahaado ächzte qualvoll. Die Fortsetzung des Kampfes würde ihm vermutlich selbst die letzten Kraftreserven kosten und könnte ihm sogar den Tod bringen. Dennoch, er musste weiter machen, durfte nicht aufgeben und hatte zu gewinnen, denn einen Feind entkommen zu lassen, bedeutete auch Verrat am Pharao. Und das konnte Mahaado nicht zulassen. „Ich bin keine Enttäuschung für Atemu. Weder jetzt noch in Zukunft. Ich darf keine sein!“ Also befahl er seinem Monster den erneuten Angriff, beobachtete, wie Kelda endlich besiegt werden konnte, wie Hori noch auszuweichen versuchte, Obszönitäten brüllte und am Ende doch getroffen wurde. Er sah Horis entgleiste Gesichtszüge, seine aufgerissenen Augen; spürte noch in dem Moment, als Horis Leiche auf den Boden aufschlug, dass er Recht gehabt; er fast seine gesamte Energie verbraucht hatte. Er schleppte sich zu Isis und ließ sich neben ihr auf das breite Bett sinken. Das Blut aus seiner Wunde sickerte immer noch durch seine gespreizten Finger und er zitterte am ganzen Leib. Aber er hatte Hori besiegt und überlebt, wenn auch nur knapp. Oder etwa nicht? „Irgendwann wird der nächste Feind auftauchen...wird es wieder jemand auf den Pharao abgesehen haben. Ich kann Atemu nicht ewig beschützen. Was ist, wenn ich getötet oder schwer verwundet werde? Ich werde ihm dann nicht mehr länger dienen können, werde meinen Schwur brechen. Ich...“ Mahaados Lippen verzogen sich zu einer dünnen Linie. „Hori hat Recht. Als Mensch werde ich früher oder später den Pharao enttäuschen. Als Mensch...“ Sachte streichelte er Isis fahle Wange. „Verzeih mir, Isis.“ Er nahm ihre Hand zwischen seine eigene, konzentrierte sich und sofort entstand ein sanftes Glühen, ein schwacher, goldener Strom der Mahaados Lebensenergie anzeigte, die nun auf Isis überging. Und als ihre Lider leicht zu flattern begannen, da wusste Mahaado, dass er Erfolg gehabt hatte. Traurig lächelnd beugte er sich ganz dicht an ihr Ohr. „Ein treuer Diener über den Tod hinaus. Sag das bitte Atemu. Hörst du? Sag es ihm. Ein treuer Diener über den Tod hinaus.“ Er tat einen letzten, bebenden Atemzug, dann verließ ein heller Lichtblitz seinen Körper und Mahaado brach lautlos über Isis schmaler Gestalt zusammen. Und Atemu, der in diesem Augenblick Hori endlich gefunden hatte, verstand sofort. Kapitel 45: Verluste -------------------- Kapitel 45 - Verluste Blindlings rannte der Pharao in die Richtung, in die das Licht geflogen war, vorbei an den wie wild auf den Gängen umherlaufenden Dienern, vorbei an der großen, prächtig bemalten Wand, wo die Herrscher vergangener Dynastien verzeichnet waren, vorbei an den überall im Palast verteilten Götterstatuen, die grimmig auf ihn herabblickten und sogar vorbei an Seth, der ihn schon überall verzweifelt gesucht hatte und ihm nun entgegenkam. Sein Blick vom Schmerz getrübt, stolperte Atemu plötzlich, rappelte sich schnell wieder auf und eilte weiter. Endlich. Endlich war er an Mahaados Ka-Tempel angekommen. Grob schob er die vor dem Eingang postierte Wache zur Seite. Erst im Tempel stoppte er seinen wahnsinnigen Lauf. Schnell sah er sich um, prüfte jede Steintafel. Und dann sah er ihn. Ein mächtiger Magier, für immer in Stein gebannt. Atemu kannte ihn nicht. Den einzigen Magier, den Mahaado besessen hatte, war sein Magier der Illusionen, aber der hatte kein Gesicht. Doch dieses Monster hier trug menschliche Züge, Mahaados Züge. Langsam ging Atemu auf die Steinplatte zu, fuhr mit den Fingern über die raue Oberfläche und spürte jede Kontur. „Mahaado?“, flüsterte er verzweifelt, doch bekam keine Antwort. „Mahaado, sprich mit mir“, wiederholte er sanft. Alles, was ihm begegnete, war bedrückende Stille. Er ließ sich auf die Knie fallen, lehnte sein Gesicht an den Stein, aber keine Tränen fielen. Atemu lächelte schwach. „Noch nicht mal mehr die Kraft zum Weinen habe ich. Ach, Mahaado...du bist so ein Idiot. Das hättest du nicht tun dürfen. Warum hast du ihn nicht mir überlassen? Ich hätte ihn doch problemlos besiegen können. Also, warum?“ Wütend schlug er mit den Fäusten gegen die harte Platte. „Warum, du Idiot?!“ „Pharao?“, drang plötzlich Seths besorgte Stimme in Atemus Bewusstsein. Langsam aufblickend zeigte Atemu auf die Steintafel. „Mahaado ist tot, Seth. Er ist für immer weg.“ „Ich weiß. Ich konnte fühlen, wie seine Energie erst schwächer wurde und dann ganz verschwand“, erwiderte Seth und näherte sich vorsichtig seinem König. „Deswegen bin ich dir auch gefolgt.“ Zaghaft legte er eine Hand auf Atemus Schulter; setzte sich hinter den Pharao, der seine Augen schon wieder abgewandt hatte und umschloss dann mit seinen Armen dessen zittrigen Körper. Sein Gesicht auf Atemus Rücken gelegt, presste er ihn fest an sich, beinahe so, als ob er fürchtete, Atemu würde sich jeden Moment in Luft auflösen, wenn nicht festgehalten. So blieben sie eine Weile sitzen. Atemu war dankbar für die tröstliche Wärme, die Seth ihm spendete und lehnte sich leicht zurück. Seth war der erste, der wieder sprach. „Dieses Monster da. Ist das Mahaado?“, wollte er zögerlich wissen und Atemu nickte. „Ja, das ist er. Ich glaube, dass er seine Seele mit seinem Illusionsmagier verbunden und in der Steintafel versiegelt hat. Er ist so ein verdammter Idiot...“ Seth keuchte vor Entsetzen. „Er hat sich selbst versiegelt? Aber warum? Wenn seine Seele nun für ewig da drin gefangen ist, dann kann er doch nicht wiedergeboren werden? Er muss für immer dieses Monster bleiben! Wieso geht er so ein Risiko ein?“ „Ich weiß es nicht“, entgegnete der junge König leise, unverständig und schüttelte verzweifelt mit dem Kopf. „Erst Shimon und jetzt Mahaado. Ich verstehe das nicht…“ Er stoppte und seine Augen weiteten sich. „Ein treuer Diener über den Tod hinaus“, flüsterte er plötzlich und löste sich aus Seths Griff, um ihm ins Gesicht sehen zu können. Dieser betrachtete ihn verwirrt. „Wie meinst du das?“, wollte er vorsichtig wissen, während er Atemu sanft aber mit Nachdruck zurück in seine Arme zog. „Das waren seine Worte. Kurz bevor ich Isis Raum betreten hatte, habe ich Mahaados Stimme in meinem Kopf hören können und das waren seine Worte!“ Abrupt setzte er sich auf. Der Grund, warum Mahaado dieses scheinbar unnötige Opfer gebracht, warum er dies getan, den Tod gewählt hatte...diese Frage, die Atemu nicht aus dem Sinn ging...deren Antwort er noch nicht wusste... Ein treuer Diener über den Tod hinaus. Der junge Pharao lächelte schwach. „Über den Tod hinaus. Das ist der Grund, nicht wahr, Mahaado? Über den Tod hinaus…“ -------------------------- Atemu hatte sich schon lange zurückgezogen und auch Kisara war nirgendwo auffindbar, wenngleich Seth die starke Vermutung hegte, dass sie sich in einem der umliegenden Tempel aufhielt. Er seufzte ungehalten. Je mehr Zeit er mit Atemu verbrachte, umso rarer machte sich Kisara, ein Umstand, über den er zwar nicht unbedingt glücklich war, aber dennoch wortlos tolerierte. Zudem hatten momentan ohnehin andere Sachen Vorrang. Ipui, zum Beispiel, Hori. Oder auch Aknadin. Das rote Aufblitzen in den Augen des alten Priesters, welches er in Atemus Tempel beobachtet hatte, war keine Einbildung gewesen, dessen war sich Seth nun sicher. Er hatte es nämlich schon einmal gesehen, und zwar damals bei der Frau, die ihn und Atemu in der Wüste angegriffen hatte. Die gleiche Farbe und merkwürdige Ausstrahlung. Seth konnte es nicht mehr länger leugnen, das hatte er lange genug getan. Es war Zeit für eine Aussprache, die bereits überfällig war. -------------------------------------------- ‚Gute Arbeit, alter Mann. Ich hatte schon Zweifel, ob du es jemals durchziehen würdest.’ Aknadin nickte geistesabwesend, auch wenn ihn Zorks Worte nicht wirklich kümmerten. Die Zerstörung der Tafeln von Ra und Obelisk, der letzten verbliebenen Göttermonster Ägyptens, hatte ihn doch mehr mitgenommen, als ihm lieb war. So leicht, wie er gehofft hatte, ließen sich die vielen Jahre als Priester eben doch nicht vergessen und mit dieser Tat hatte er sich endgültig gegen den Pharao und die Götter des Landes gestellt. Er hatte für immer verraten, woran er geglaubt und was er einst mit seinem Leben verteidigt hatte. An seiner Wange zuckte ein Muskel vor Ärger. „Wenn Hori damals doch nur genug Zeit gehabt hätte, um alle drei Steinplatten zu zerstören und nicht nur Osiris. Zumindest wäre dann mir diese Schande erspart geblieben.“ Mit einem tiefen Seufzer wandte er sich ab und verließ den Tempel, die toten Wachen vor dem Eingang dabei nicht weiter beachtend. Trotzdem würde der Schaden wohl bald bemerkt werden, spätestens dann, wenn der Pharao eines der Monster zu rufen versuchte. Wäre er momentan nicht so von seinem Schmerz über den Verlust von Shimon und Mahaado geblendet, hätte er die Schwächung seines Kas vermutlich schon jetzt gespürt. ‚Es ist fast alles vorbereitet. Es gilt nur noch den Pharao zu beseitigen und deinen Sohn zum neuen Herrscher zu krönen. Und doch fühle ich deine Unsicherheit. Ich frage dich: Wirst du es ihm nun sagen?’ Aknadin schwieg und Zork schnaubte amüsiert. Der alte Priester mochte vielleicht immer noch mit seinem selbstgewählten Schicksal hadern, doch letztendlich spielte es keine Rolle mehr. Auch der letzte Rest Zweifel würde früher oder später verschwinden. Immerhin lag es in der Natur der Menschen, sich gegenseitig zu verraten. Und Aknadin hatte sich in dieser Hinsicht bisher glänzend bewährt. Die Schutzgötter Ägyptens waren zerstört. Shimon und Mahaado tot; Shada aufgrund Horis Angriff immer noch bewusstlos; Karim bettlägerig; Isis ebenfalls keine Gefahr mehr. Das Land war schutzlos. Genauso, wie der Pharao. Zork lachte leise. Das lange Warten hatte endlich ein Ende gefunden. ---------------------------------- Mit versteinerter Miene beobachtete Seth den alten Mann, der tief über einen Papyrus gebeugt an dem niedrigen Tisch saß und konzentriert etwas niederschrieb; Seth dabei entweder einfach nicht bemerkend, oder, was der junge Priester für wahrscheinlicher hielt, ihn einfach nur konsequent ignorierend. Seth unterdrückte seinen Ärger, verschränkte seine Arme vor der Brust und lehnte sich entspannt an die Tür. Endlich blickte Aknadin auf. „Du machst mich nervös. Gibt es irgendetwas, was du von mir möchtest?“, wollte er irritiert wissen und Seth zuckte mit den Schultern. „Wenn Ihr mich schon so fragt: Ja, da gäbe es wirklich so einiges.“ Aknadin entging der lapidare Tonfall seines Sohnes nicht. Er legte die Schriftrolle zur Seite und stand langsam auf; Seth dabei nicht aus den Augen lassend. „Sprich. Ich höre.“ „Wisst Ihr, wo der Pharao gerade ist?“ „In seinen Gemächern, nehme ich doch mal an.“ Seth lächelte. „Exakt.“ Er trat einige Schritte vor, das schmale Lächeln auf seinen Lippen immer noch präsent. „Die Sache mit Shimons und Mahaados Tod hat ihn nicht unberührt gelassen. Und dann noch Osiris...Die Götter sind unserem Pharao in letzter Zeit wirklich nicht wohlgesonnen.“ Aknadin starrte ihn durchdringend an, versuchte, mit dem Millenniumsauge einen Gedanken Seths zu erhaschen, irgendeine Emotion, doch genauso wie Seths Gesichtsausdruck undeutbar war, so blieb ihm auch die Seele seines Sohnes verschlossen. „Nein, unser König hat es momentan wahrlich nicht leicht“, entgegnete er letztlich vorsichtig, wachsam, und Seth nickte ernst. „Wohl wahr. Über die ganze Aufregung wäre sogar Ipui beinahe in Vergessenheit geraten. Sowie einige andere Dinge.“ Fast desinteressiert nahm er den Papyrus in die Hand, betrachtete ihn kurz und legte ihn dann sorgfältig wieder fort. „Ich verrate Euch was, Aknadin“, meinte er schließlich wie beiläufig und drehte dem alten Mann den Rücken zu. „Ihr habt oft mit mir trainiert...mich die Kontrolle über den Millenniumsstab gelehrt. Ich kenne Eure Fähigkeiten. Und aus diesem Grund finde ich es auch äußerst seltsam...“, er warf dem Priester einen Blick über die Schulter zu. „...dass es einem dahergelaufenen, einfachen Soldaten, Ipui, problemlos gelungen ist, Euch, ausgerechnet Euch, zu täuschen.“ Aknadin antwortete ihm nicht, worauf Seth verbittert fortfuhr. „Ihr habt gelogen. Ipui wollte sich an Atemu für seinen Bruder rächen. Und er hatte vorgesorgt. Für den wahrscheinlichen Fall, dass sein Attentat fehlschlagen würde, hatte er im Voraus einige Auftragsmörder engagiert, die Mahaado töten sollten. Irgendwie, vermutlich von den anderen Soldaten, hatte er von Mahaados Reise nach Nubien Kenntnis erlangt. Und er wusste, wie nahe sich Mahaado und der Pharao standen. Das war schließlich nie ein großes Geheimnis. Falls Ipui versagen sollte, so wollte er zumindest sichergehen, dass Mahaado für Atemus Taten büßen würde. Das sind alles Dinge, die Ihr in Ipuis Gedanken hättet lesen müssen. Und uns verschwiegen habt.“ Der alte Priester betrachtete ihn eine ganze Weile schweigend. Schließlich seufzte er geschlagen. „Ich könnte das alles abstreiten, Seth. Denn du hast zwar Mutmaßungen, aber keine Beweise. Und damit auch keinerlei Handhabe gegen mich. Jedoch...“, er trat ganz nah an seinen Sohn heran. „Vielleicht schulde ich dir inzwischen wirklich meine Ehrlichkeit. Ganz abgesehen mal davon, dass ich dieser Farce schon lange müde bin.“ Er grinste. „Keine Versteckspiele mehr.“ Seths Fingernägel bohrten sich tief in seine Handballen. Er wollte doch von Aknadin die Wahrheit hören, wollte doch seine Worte vom Priester bestätigt bekommen. Nur warum schmerzte ihn dann diese Gewissheit nun so dermaßen? Aknadin legte ihm eine Hand auf die Schulter und drückte sie leicht. „Sei nicht bedrückt. Du wirst schon sehen, alles wird sich in Wohlgefallen auflösen.“ Unwirsch trat Seth von ihm zurück. „Das bleibt abzuwarten“, zischte er wütend und sah stur zur Seite. Er wollte nicht, dass Aknadin ihm ins Gesicht sah, wollte nicht, dass der Alte wusste, wie verletzt, wie hintergangen er sich fühlte. Und tatsächlich, Aknadin betrachtete ihn zwar traurig, sagte jedoch nichts und richtete stattdessen seine Aufmerksamkeit Richtung Tür. „Noch nicht da...“, flüsterte er und schüttelte milde mit dem Kopf. „Wer oder was ist noch nicht da?“, fragte Seth scharf, doch sein Mentor ignorierte ihn geflissentlich. „Das braucht dich nicht zu kümmern“, meinte er lediglich und setzte sich gelassen wieder auf seinen Stuhl. „Das mit Ipui war nicht geplant, Seth. Ich wollte lediglich, dass Atemu allein nach Nubien aufbricht, denn auf dem Weg durch die Wüste wäre er ein leichtes Ziel gewesen. Doch leider hat mir Mahaado in der Hinsicht dazwischengepfuscht.“ Aknadin schüttelte seinen Kopf und grinste schief. „Glücklicherweise ist wenig später Ipui aufgetaucht und, nachdem ich seine Gedanken gelesen hatte, bot sich mir eine neue Chance Atemu loszuwerden.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ipui hat in der Tat diese Gruppe von Mördern beauftragt. Er war mit einer der Wachen, die Mahaado nach Nubien begleitet hatte, befreundet gewesen und hatte so von der Reise erfahren. Allerdings wollte er Mahaado auf jeden Fall tot wissen und nicht nur, falls sein Mordanschlag auf den Pharao fehlschlagen sollte. Die Frau, die dich und Atemu in der Wüste angegriffen hat, hatte vor den Toren des Palastes auf Ipui gewartet, um ihm gegebenenfalls zur Flucht verhelfen zu können. Ich habe sie dann dort abgefangen und...“ Das leise Knarren der Tür unterbrach ihn plötzlich. Herein trat eine zierliche Gestalt, welche mit vor Überraschung weit aufgerissenen Augen schnell an Seth herantrat und seinen Arm kräftig umklammerte. Seth keuchte entsetzt. „Kisara?! Was machst du hier?“ Das Mädchen wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als ihr Aknadin zuvor kam. „Ich habe sie eingeladen. Ich wollte nicht, dass sie das hier verpasst.“ Er machte eine schnelle Geste mit der Hand und nur einen Augenblick später verschwand der Raum völlig, wurde alles um sie herum tiefschwarz, die dunkle Leere nur von vereinzelten nebligen Schwaden aufgelockert. Diese sammelten sich schließlich hinter Aknadin und wurden zu einer großen, flachen Steintafel, die weit über dem alten Priester thronte. Kisara an Seths Seite zuckte zusammen und sah angstvoll zu ihm hinauf. Aknadin grinste breit. „Was hältst du von meiner neuen Kraft, Seth? Beeindruckend, nicht wahr?“ Seth schluckte. „Wirklich reizend...“, meinte er schließlich leise und warf dann einen Blick auf den Stein. Er wusste, wofür dieser gut war. Er hatte diese Tafeln schon oft genug gesehen. Es war eine der Steintafeln, in die ein Ka-Monster gebannt werden konnte. Und sie war leer. Beunruhigt drückte er Kisara noch fester an sich. -------- AN: So, einige Fragen geklärt bzw. halb geklärt, einige andere noch offen. Ich weiß, dass es nicht immer ganz einfach ist, der Story zu folgen, weil die Kapitel momentan sehr viel aufeinander Bezug nehmen und Einzelheiten wichtig werden, die man nach einer Woche und mehr, nachdem man das vorherige Kapitel gelesen hat, schon längst wieder vergessen hat. Aber keine Panik: Die FF wird mit 50 Kapiteln abgeschlossen sein und das hier ist immerhin schon Kapitel 45. Und wie immer bedanke ich mich für all die lieben Kommentare! Kapitel 46: Sehnliche Wünsche ----------------------------- Halli, hallo. Ohne langes Vorgeplänkel gibt's hier das neue Kapitel. Nächste Woche wird es auf jeden Fall keines geben, weil da die Connichi ist. Ich bin zwar nicht da, aber scheinbar viele andere, deswegen werde ich ne Woche ausetzen ^^ --------------- Kapitel 46 – Sehnliche Wünsche Seths schlimmste Befürchtungen schienen sich zu bewahrheiten. Kaum dass sie in dieser merkwürdigen Leere gefangen genommen worden waren, hatte sich Aknadins Gestalt zu ändern begonnen. Seine Fingernägel waren länger, klauenähnlich geworden, sein heiles Auge leuchtete nun rot, aus seiner Gesichtshaut schien sich eine Art Maske zu formen, seine Haare wurden länger... Er sah aus wie ein Monster. Seth fluchte leise. Er wusste nicht, was er da vor sich hatte, aber Aknadin war das sicherlich nicht mehr. Unsicher griff er nach seinem Millenniumsstab, doch die Gestalt seines ehemaligen Mentors lachte nur unbeeindruckt. „Lass es bleiben, Kleiner. Das Teil wird dir ohnehin nicht weiterhelfen.“ Ruckartig wurde Seth das Artefakt aus der Hand gerissen, welches mit einem metallischen Klang in einiger Entfernung auf dem Boden landete. Frustriert knirschte der junge Mann mit den Zähnen. „Wer bist du?“, knurrte er gereizt und schob Kisara hinter sich, während er vorsichtig ebenfalls etwas zurücktrat. „Was soll die Frage? Du kennst mich doch genau.“ Seth schüttelte energisch mit dem Kopf und reckte dann störrisch sein Kinn. „Du bist nicht Aknadin“, stellte er klar, worauf eine lange Pause folgte. Endlich war ein Seufzen zu hören. „In gewissem Sinne hast du sogar Recht. Ich bin wirklich nicht mehr Aknadin. Zumindest nicht mehr ausschließlich.“ „Sondern?“ „Ich habe einen Pakt geschlossen.“ Er zeigte auf sein magisches Auge. „Weißt du, wie die Millenniumsgegenstände erschaffen wurden?“ Seth, ob des sonderbaren Themenwechsels irritiert, machte eine verneinende Kopfbewegung. „Wie solltest du auch...“, fuhr die Gestalt leise fort und ließ seine Hand wieder sinken. „Ein Ritual war notwendig, eine uralte Prozedur, die vor Ewigkeiten bereits niedergeschrieben, doch nie durchgeführt wurde.“ Er blickte Seth durchdringend an. „Ägypten war in Gefahr, mein Bruder, der alte Pharao, schwach und nicht in der Lage, das Land zu beschützen. Also musste ich es tun. Es gab keinen anderen Weg. Die Millenniumsartefakte waren unsere letzte Chance.“ Seine Stimme war nun kaum noch hörbar und hatte einen entrückten Klang angenommen. „Ich schuf die magischen Gegenstände, rettete mit ihnen das Königreich...und setzte damit auch ein Monster frei. Viele Jahre lang hatte ich meine Ruhe, doch seit deinem Auftauchen im Palast...“ „...ist das Monster wieder aufgetaucht“, vermutete Seth dunkel und Aknadin nickte, während er sich zu seiner vollen Größe aufrichtete. „Ja, das Monster...Zork. Er ist auch jetzt bei mir.“ Für einen Moment glaubte Seth Bedauern im Tonfall des alten Priesters zu hören, doch Aknadins nächste Worte erstickten jede Hoffnung bereits im Keim. „Es gibt noch mehr zu erzählen, Seth, doch nun ist nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Zuvor gibt es noch etwas anderes zu erledigen. Ich habe dieses Mädchen schließlich nicht umsonst dazugeholt.“ Plötzlich schossen Blitze aus Aknadins Fingerspitzen und trafen Seth hart an der Brust. Er prallte gegen Kisara und schlug mit ihr zusammen auf den Boden auf. Noch beim Aufstehen rief er Duos zu sich, befahl dem Monster den Angriff, musste jedoch sogleich erkennen, dass es sinnlos war, dass Duos keine Chance hatte. Mit nur einer Attacke Aknadins war sein Monster bereits besiegt. Seth keuchte; versuchte angestrengt die Schmerzen zu ignorieren und nicht aufzugeben. Ein weiterer Blitz traf ihn und diesmal konnte er einen Schrei nicht unterdrücken. Seine Sinne trübten sich. Verzweifelt wollte er sich wieder aufrappeln, doch seine Beine knickten ein und er sackte erneut zusammen. Undeutlich sah er, wie Kisara ihn zu stützen versuchte, wie Aknadin nun auch sie angriff; wie sie von ihm weggeschleudert wurde, wie der alte Priester unvermittelt vor ihm stand... Grob packte Aknadin Seths Kinn, hob dessen Kopf an, zwang Seth ihm ins Gesicht zu sehen und wurde mit einemmal von einem hellen Schein umgeben, der sich immer weiter ausbreitete, schließlich auch Seth einhüllte; sie in seinem Licht gefangen nahm... Seths Bewusstsein schwand augenblicklich. Als er seine Augen das nächste Mal wieder öffnete, war er allein. Nur Dunkelheit um ihn herum. Dann jedoch erschienen vereinzelte Szenen, fremde Stimmen, die in seinem Kopf hallten, Gespräche, Ereignisse, die er nicht kannte, die er nicht zuordnen konnte. Und endlich verstand er. Was er hier sah, waren Erinnerungen. Erst alte und beinahe schon vergessene; kaum mehr als ein undeutliches Gewirr von Stimmen und Gefühlen; völlig verblasste Bilder. Anschließend kamen die neueren, deutlicheren; Erinnerungen, die erst kurze Zeit zurücklagen; die nicht ihm gehörten... „Das sind Aknadins...“ Angestrengt versuchte Seth, sich auf die fremden Gedanken zu konzentrieren. ...wird nützlich für uns werden... ...ich kann doch nicht... Alles nur Wort- und Gedächtnisfetzen, aus denen Seth nicht schlau wurde und er wollte schon aufgeben, einfach nur noch die Augen schließen und alles ausblenden, als ein Bild erschien, das Bild eines Mannes, den er kannte. „Ipui.“ Eine weitere Gestalt, Aknadin, tauchte auf, beugte sich über Ipui und schnalzte mit der Zunge. Seth runzelte die Stirn. „Das muss der Moment sein, in dem er Ipuis Gedanken gelesen hat.“ Plötzlich waren zwei Stimmen zu hören. Eine davon erkannte er sofort als die von Aknadin, die andere, tiefe, bedrohliche dagegen... „Zork...?“ Seine Komplizin wartet vor den Stadttoren; weitere sind bereits auf der Jagd nach Mahaado. Wir sollten uns diesen Umstand zu Nutze machen, alter Mann. Und wie? Ich werde die Frau unter meine Kontrolle bringen; ihr eine Macht verleihen, von der sie nicht zu Träumen gewagt hätte. Bringe du nur den Pharao dazu, seinem Priester zu folgen. Sobald er allein in der Wüste ist, werde ich die Frau ihn angreifen lassen und sie dann hinterher ebenfalls töten. Es wird keine Beweise geben, keine Zeugen. Alles, was zurückbleiben wird, sind zwei Leichen. Eine davon wird die des Pharaos sein. Kannst du die Frau wirklich so mächtig machen? Zweifelst du etwa an mir? Ein lautes Lachen war zu hören und Seth schreckte kurz zusammen. Zork indes sprach schon weiter: Du amüsierst mich, alter Mann. Natürlich kann ich das. Es besteht also kein Grund zur Sorge.Mir wird schon rechtzeitig etwas einfallen... Damit wurde es mit einemmal wieder ganz still und dunkel. Seth unterdrückte die wiederaufkommende Panik und sah sich schnell um. Doch es war immer noch kein Ausweg sichtbar. Nur Schwärze. Trotzig trat er einen Schritt vor; merkte zu spät, dass er ins Leere trat und fiel mit einem dumpfen Geräusch auf kalten Boden. Verwirrt blickte er sich um. Er war wieder in Aknadins Gemach. Erleichtert setzte er sich auf, nur um einen Augenblick später enttäuscht feststellen zu müssen, dass er sich immer noch in Aknadins Erinnerungen zu befinden schien. Dieser tobte gerade; wischte mit einer Hand einen Stapel Schriftrollen vom Tisch und lief unruhig in seinem Zimmer auf und ab. Zork war wieder zu hören. Nun beruhige dich wieder. Sicher, es ist ein Ärgernis, aber letztlich ändert es nichts. Wir... Mich beruhigen? Mich beruhigen?! Mein verfluchter Neffe wird mit meinem Sohn zusammen reisen und ich soll mich beruhigen? Seth stutzte. „Sohn? Was meint er?“ Viel Zeit zum Überlegen bekam er nicht. Unsere Attentäterin wird nur den Pharao angreifen. Wenn ihre Kraft denn überhaupt dafür wenigstens reicht...Ich muss ihre Magie irgendwie noch weiter vergrößern. Vielleicht durch die Zerstörung der Göttertafeln? Nun, wir werden sehen. Jedenfalls, selbst wenn ich ihr mehr Macht verliehen habe, so kann ich dir versichern, dass Seth nichts passieren wird. Das garantiere ich dir, Alterchen. Ich kann die Frau jederzeit töten. Der Priester fuhr wütend herum. Das rate ich dir auch. Sollte Seth irgendetwas passieren, so ist unser Vertrag nichtig. Hast du verstanden, Zork? Mit dem Tod meines Sohnes endet auch unsere Abmachung. Also sieh bloß zu, dass es nie soweit kommen wird. Wie du wünschst... Wieder verschwamm die Szene und Seth musste sich unwillig in Geduld üben. Sein Kopf fühlte sich erschreckend matt an und das Denken viel ihm schwer, trotzdem warnte ihn etwas in seinem Inneren, Aknadins Worte nicht zu vergessen. „Er hat Sohn gesagt. Meint er etwa...? Aber das kann nicht sein. Mein Vater ist doch...“ Hori wird uns eine große Hilfe sein. Ihn zu kontrollieren, wird nicht schwer werden. Dafür ist sein Herz bereits von zu viel Bösartigkeit zerfressen. Seth zuckte überrascht zusammen. Noch während er über Aknadins kryptische Worte nachgedacht hatte, war bereits ein neues Bild erschienen. Nun war Hori zu sehen, der zu Füßen des alten Priesters hockte und mit leerem Blick zu diesem hinaufsah. Die Hände des Arztes hielten ein Stück Stoff fest umklammert, welches Aknadin ihm nun abnahm. Zork feixte genüsslich. So, so. Unser Arzt hat bereits seine eigenen Ideen entwickelt. Dieses Tuch ist mit dem Blut des Pharaos getränkt. Sehr gut. Damit kann ich einen Spruch herstellen, der die Magie unserer Attentäterin stärken und das Ka des Königs schwächen wird. Das kleine königliche Balg sollte sich geehrt fühlen. Soviel Aufwand nur für ihn. Zu Schade, dass meine eigene Macht allein noch nicht ausreicht, um ihn zu töten. Dann wären diese Umwege gar nicht erst nötig. Ah, aber nicht mehr lange... Plötzlich streckte Hori seine Finger aus, versuchte nach dem Stoff zu greifen und jammerte dabei elendig vor sich hin. Er wusste nicht, warum er das Tuch aufbewahrt hatte; wusste nicht, was er eigentlich damit sollte. Nur einer Sache war er sich gewiss: Das Blut des Pharaos klebte daran und er wollte es wiederhaben. Blut, der Beweis, dass selbst der Herrscher Ägyptens, wiewohl von den Göttern auserkoren, immer noch menschlich, immer noch sterblich war. Mit einemmal klammerte sich Hori fest an Aknadins Bein, versuchte sich hochzuziehen, doch der alte Priester schubste ihn sogleich angewidert von sich weg und betrachtete den Arzt voller Ekel. Dann war wieder Zorks Stimme zu vernehmen. Oh, beruhig dich und lass das Gejaule, Hori. Sobald wir das Tuch nicht mehr brauchen, wirst du es gleich wiederbekommen. Er lachte laut. Das Doktorchen weiß es vermutlich noch nicht mal selber, hat keine Ahnung, wozu er fähig ist. Ach ja, es gibt so wenig wirklich gute Menschen auf dieser Welt. Das macht unsere Arbeit gleich so ungemein leichter. Alles, was Hori braucht, ist ein kleiner Anstoß in die richtige Richtung. Sag, mein priesterlicher Freund, was siehst du in seiner Seele? Wut und Enttäuschung. In seinem Unterbewusstsein macht er Atemu für Cassandras Wahnsinn verantwortlich. Er hat die Griechin sehr gemocht. Ja, das hat er. Liebe, auch unerfüllte, ist ein starkes Motiv, ein starker Antrieb...mit Hori werden wir es leicht haben. Es ist aber nicht Liebe, was er fühlt. Noch nicht. Die nächsten Szenen liefen in rasender Geschwindigkeit ab. Seth konnte kaum noch etwas erkennen oder verstehen. Er sah Hori, der unter Zorks Einfluss Osiris Steintafel zerstörte; Aknadin, der Zork anschrie, er müsse seinen Sohn vor der Auftragsmörderin beschützen, ihn retten...dann Zork und Aknadin, beide überrascht über Hori, der selbständig den Plan gefasst hatte, die jungen Priester des Pharaos zu vergiften. Aknadin, der diese Entwicklung mit Sorge betrachtete, der zunehmend mehr unter Zorks Kontrolle geriet, der sich immer schlechter gegen das Monster in ihm wehren konnte, fast nur noch von seinem Wunsch vorwärtsgetrieben wurde, seinen Sohn, Seth, als Pharao zu sehen... Und Seth spürte, wie auch er sich immer mehr in seinen eigenen Ängsten, seiner eigenen Unsicherheit verlor, wie Zork seine Seele einnahm; sie zerstörte… „Seth! Bitte, mach die Augen auf. Seth!“ Undeutlich nahm er wahr, wie sein Körper grob geschüttelt wurde, hörte er verzweifelte, schwache Rufe, sah eine schemenhafte Figur, die sich über ihn beugte und fühlte lange Haare, die über seine Haut strichen. Ruckartig setzte er sich auf. Die fremden Gedanken in seinem Kopf verschwanden, seine Sicht wurde wieder klarer, seine Kraft kehrte langsam wieder zu ihm zurück. Er blinzelte verwirrt und blickte dann auf die vor Erleichterung lächelnde Gestalt vor ihm. Es war Kisara. ----------------------------- „W-was ist passiert?“ Seth ächzte leise und schüttelte leicht mit dem Kopf. Sein Schädel brummte und vor seinen Augen drehte sich alles. Dennoch versuchte er aufzustehen, schwankte jedoch gewaltig dabei und wurde von Kisara sanft wieder zu Boden gedrückt. „Beweg dich bitte nicht“, meinte sie besorgt und streichelte mit einer Hand sachte über seine Wange. „Ich werde mich um ihn kümmern. Mach dir keine Sorgen.“ „Aber...“ „Nein, kein aber.“ Sie grinste. „Du hast gesagt, du würdest mir vertrauen...dass ich nicht schwach wäre. Und das will ich dir jetzt beweisen.“ Sie zögerte kurz und setzte kaum hörbar hinzu: „Ich habe mir geschworen, dich zu beschützen. Und das werde ich auch tun. Ich will und werde kämpfen. Für dich.“ Unter anderen Umständen hätte Seth protestiert, hätte niemals zugelassen, dass sich Kisara allein Aknadin stellt. Doch er litt immer noch unter den Nachwirkungen dieser merkwürdigen Gedankenverbindung zum alten Priester; fühlte sich immer noch so seltsam losgelöst von seinem eigenen Körper und Geist; war kaum mehr in der Lage, sich auf das Geschehen vor ihm zu konzentrieren. Und so musste er untätig zusehen, wie Aknadin, nein, das Monster, zu dem er mutiert war, wie Zork, plötzlich angriff, erst Kisara, dann wieder Seth direkt, wie das Mädchen ihren Drachen rief, dieser sich zwischen Seth und Zork stellte, die Attacke abfing, um seinerseits sein Maul weit aufzureißen und einen Lichtblitz abzufeuern. Der Angriff erwischte Zork am Arm, doch dieser zischte nur ärgerlich, ließ sich nicht weiter beirren, rief stattdessen einen Bannkreis auf, der den Drachen schwächen und immer weiter auf die Steinplatte zutreiben sollte. Es erschien Seth alles so irreal und unecht. Der weiße Drache, der im Bannkreis gefangen war, sich kaum mehr rühren konnte, sich vor Verzweiflung wand und brüllte; Kisara, die sich unter Schmerzen krümmte und doch nicht aufgeben wollte, die in einigen Metern Entfernung höhnisch lachende Gestalt Zorks... und um sie herum nur Schwärze; eine tiefe Dunkelheit, die alles zu verschlucken drohte. Seth versuchte noch aufzustehen, Duos zu rufen, um Kisara zu helfen...irgendetwas zu tun, doch letztlich war es zu spät. Der Drache wurde hart auf den Stein gepresst, verschwand immer mehr in diesem bis von ihm nicht mehr übrig blieb, als ein totes, bewegungsloses Abbild seiner selbst. Entsetzt raffte sich Seth auf die Beine, stolperte einige Schritte nach vorn, hatte Mühe, das Gleichgewicht zu halten...sah, wie Kisara, von ihrem Ka-Monster getrennt, mit einemmal zu taumeln begann, nach hinten kippte, auf den Boden zu prallen drohte... Im letzten Moment noch gelang es ihm, das Mädchen aufzufangen, fiel mit ihr in seinen Armen unsanft auf den Boden und drückte sie beschützend an sich. Doch Aknadin gönnte ihnen keine Atempause. Eine erneute Attacke folgte und Seth konnte sich und Kisara nur knapp in Sicherheit rollen, wollte gerade aufstehen, als er hart an der Schulter getroffen wurde und vor Schmerz und Schreck gleichermaßen gelähmt regungslos liegen blieb. Neben ihm rappelte sich Kisara mühsam auf die Füße. Aknadin lachte hohl. „Was soll das werden, Mädchen? Dein Monster ist nicht mehr und mit dessen Versiegelung naht auch Stück für Stück dein Ende. Du hast kaum noch Kraft, kaum noch Leben in dir. Wieso ersparst du dir nicht weitere Qualen und hörst auf dich zu wehren? Was ist es, was du noch willst?“ Kisara blickte ihn aus trüben Augen an. „Was ich will? Das frage ich Euch. Ihr hättet uns schon lange töten können, stattdessen aber treibt Ihr Spielchen mit uns. Ich will wissen warum. Warum tut Ihr uns das an? Bringt Euch das Leid anderer solche Freude?“ Aknadin ließ einen seltsamen Zischlaut vernehmen und baute sich drohend vor der jungen Frau auf. Diese indes zeigte keine Regung und gegen seinen Willen war der alte Priester fast schon beeindruckt, doch er verdrängte das ungebetene Gefühl schnell. „Was weißt du schon? Du bist nur ein kleiner, unbedeutender Stolperstein auf einem vorbestimmten Weg. Meine Ziele haben dich nicht zu interessieren. Aber in einer Sache hast du Recht. Zu lange schon habe ich gezögert. Doch damit ist es nun vorbei!“ Er hob eine klauenähnliche Hand; spürte die tödliche Energie in ihr fließen. „Es wäre so einfach. Sie hat mir nichts mehr entgegenzusetzen, keine Möglichkeit mehr, sich zu wehren. Aber zuerst muss ich es noch wissen, will ich es verstehen...Den Grund, warum sie nicht aufgeben will.“ Er packte ihren Arm und bohrte seine langen Fingernägel in die zarte Haut. „Ich frage dich noch einmal. Was willst du?“ Kisaras Antwort war augenblicklich. „Seth beschützen. Mehr nicht.“ „Auch mit deinem Leben?“ Das Mädchen lächelte sanft. „Nicht nur mit meinem Leben. Sondern mit allem, was ich habe.“ Aknadin betrachtete sie eingehend, legte ihr dann eine Hand auf die Brust, genau an die Stelle, wo er ihr wild pochendes Herz spüren konnte. Er schnaubte leise. „Du bist ein törichtes kleines Ding. Doch wenn es dein Wunsch ist...“ Unter seiner Maske versteckt, erlaubte er sich ein Grinsen. „...dann stirb.“ ----------------------------- Kapitel 47: Die Menschen, die sie zurückließen ---------------------------------------------- Kapitel 47 – Die Menschen, die sie zurückließen Mit versteinerten Gesichtszügen starrte Seth leer vor sich hin; sprach mit niemanden und reagierte auf nichts. Sein Blick war verhärmt und seine Augen rotgerändert. Atemu beobachtete ihn besorgt, ließ seinen Blick über Seths blasse Haut schweifen, auf der immer noch schwach Spuren von Blut zu erkennen waren. Unter seinen Fingernägeln. In seinen Haaren. Auf seiner Kleidung. Kisaras Blut. Bedrückt schlang der Pharao seine Arme um sich. Seth hatte kaum ein Wort über das Geschehene verloren, aber zumindest war es genug für Atemu gewesen, um das Nötigste zu verstehen. „Dass dieses Mädchen ein so machtvolles Ka hat...und ich habe es nicht bemerkt. Wie ich auch Zork nicht bemerkt habe. Aber was bezweckt dieses Monster eigentlich? Wieso hilft es Aknadin? Aknadin, der mich verraten hat, mein eigener Onkel. Und Seth…was hat Aknadin mit ihm vor? Was will er von ihm?“ Das war etwas, was er einfach nicht nachvollziehen konnte. Aknadins Interesse an Seth. Er war sich sicher, dass der junge Priester den Grund hierfür kannte, doch alle Nachfragen diesbezüglich hatte Seth eisern ignoriert. Und Atemu wollte ihm seinen Willen lassen, denn Seths Anblick war ohnehin schon schmerzhaft genug. Wie auch sein Anblick, als Atemu ihn gefunden hatte. Die Art, wie er auf dem Boden in Aknadins Gemach lag, völlig bewegungslos...leblos. Und neben ihm Kisara, die eine schmale Hand auf sein Bein gelegt und im ersten Moment so ausgesehen hatte, als ob sie nur tief schlafen würde. Die Erinnerung daran ließ Atemu schaudern. Genauso wie alles andere, was danach gefolgt war... ************************** Erst im Näherkommen fiel dem Pharao die klaffende Wunde in Kisaras Brust auf; die Leichenblässe ihrer Haut. Schnell beugte er sich über sie; versuchte einen Puls zu fühlen, ihrem Herzschlag zu lauschen. Doch da war nichts, nur Stille. Für einen Moment rührte er sich nicht. Dann krabbelte er auf seinen Priester zu. Atemus Bewegungen waren bang und fahrig und erst, als er den sanften Luftzug von Seths Atem spüren konnte, gestattete er sich ein schwaches, erleichtertes Lächeln. Nur einen Augenblick später öffnete sein Hohepriester die Augen, setzte sich vorsichtig auf und blickte sich verwirrt um; bemerkte, dass er sich wieder in Aknadins Zimmer befand; dass sein Millenniumsstab fort war; dass auch von dem alten Mann selbst nirgendwo eine Spur zu sehen war. Dafür aber stand immer noch die riesige Steinplatte im Raum. Nur, dass sie nun nicht mehr länger leer war, sondern die Seele eines mächtigen Drachen in sich verschloss. Seths Augen weiteten sich. Er kannte diesen Drachen! „Kisaras Drache....Kisara!“ Gehetzt wollte er aufstehen, stieß dabei mit den Fingerspitzen an etwas Weiches, an etwas Vertrautes... Er erstarrte mitten in der Bewegung. Auch ohne hinzublicken wusste er, was ihn erwarten würde. Und er wollte es nicht sehen. Wenn er es sah, würde es Gewissheit werden. Und das konnte, nein, das durfte es einfach nicht. „Ihr darf nichts passiert sein. Bitte nicht...“ Er wusste nicht genau, wie lange er einfach nur bewegungsunfähig dasaß, wie lange er einfach nur ins Nichts starrte...wie lange es dauerte, bis er sich schließlich doch umwandte, Kisaras toten Körper sah, ihr verbranntes Fleisch roch, ihre immer noch warme Haut fühlte, die bald erkaltet sein würde...wie lange er stumm niederkniete, Kisara an sich drückte; sein Gesicht in ihren Haaren verbarg... Er hörte nichts mehr, sah nichts mehr, fühlte nichts mehr. Nicht mal Trauer. Und doch...irgendetwas störte seine Ruhe und wollte ihn einfach nicht allein lassen. „Hör...mich? Se...!“ Da war es schon wieder. Aber hatte es auch was zu bedeuten? „ Ver...“ Nein, es war unwichtig. Nur Wortfetzen, nicht mehr. Und sie klangen so weit weg, so schrecklich weit weg...so bedeutungslos in seinen Ohren. Dennoch wollten sie nicht verschwinden, wurden stattdessen immer lauter, immer eindringlicher, immer deutlicher. Und dann verstand er. ‚Diese Worte...mein Name. Jemand ruft mich.’ „Seth, verdammt noch mal! Reagier endlich, du starrköpfiger Idiot!“ ‚Starrköpfiger Idiot?’ Langsam hob er den Kopf und öffnete seine Augen; erblickte Atemu, dem die Verzweiflung sichtbar ins Gesicht stand; der nun aber langsam zu lächeln begann und ihn vorsichtig umarmte. Dann beugte sich der Pharao ein Stückchen zurück; lockerte Seths festen Griff um Kisara und redete dabei beruhigend auf ihn ein. Seth hörte ihm nicht zu. Erst, als er Atemus Hand auf seinem Gesicht spürte, kam wieder Leben in ihn und er zuckte überrascht zusammen. „Was soll das?“, fragte er leise und Atemu hielt ihm seine Finger entgegen, die feucht glitzerten. Seth blinzelte verwirrt. ‚Sind das...?’ Unsicher tastete nun auch er über seine Haut, fühlte die Nässe auf seinen Wangen, schmeckte das Salz auf seinen Lippen... Ohne den Pharao noch einmal anzusehen, stand er mit Kisara in seinen Armen auf und verließ den Raum. Der junge König indes folgte ihm langsam. ******************* Erschöpft strich sich Atemu mit beiden Händen über sein Gesicht. Er sollte nicht mehr darüber nachdenken. Was nun zählte, war das Hier und Jetzt. Kisara war tot. Zork noch nicht. Sie hatten keine Zeit zum Trauern. Und trotzdem, dieser geschlagene Ausdruck in Seths Augen, die eigentlich ein klares Blau hätten sein sollen, nun aber nur dunkel und trüb wirkten. Dieser Blick, den Atemu nicht mehr gesehen hatte, seit... Sein ganzer Körper verkrampfte sich. Es war schon so lange her. Fast zwei Jahre und noch immer fühlte er bei dem Gedanken daran die Schuld in sich aufsteigen. „Zwei Jahre...und doch, manche Dinge verjähren einfach nie.“ Er sah flüchtig in Seths Richtung und seufzte leise. „Vielleicht wäre er mit Kisara besser dran gewesen. Sie hätte ihm bestimmt geben können, woran ich immer wieder gescheitert bin: Ihm die Art völliger Freiheit zu schenken, die ich ihm trotz aller Versuche nie wirklich gewähren konnte. Kisara ist bereit gewesen, Seth selbst entscheiden zu lassen, wen er am Ende wollte. Ich dagegen bin ihr immer nur mit Eifersucht begegnet. Und nun ist sie tot. Ich kann mich nicht mal mehr bei ihr entschuldigen. Was für ein Pharao bin ich eigentlich?“ Eine Weile rührte sich keiner von ihnen. Dann jedoch fasste Atemu Mut und trat an seinen Priester heran. Doch wie schon zuvor, so wurde er auch jetzt nicht weiter beachtet und der Pharao stand erst unschlüssig da, bis er schließlich sachte Seths Arm berührte; sein Gesicht; seine Brust, um anschließend mit leicht zittrigen Fingern über die blutbefleckte Kleidung des jungen Mannes zu gleiten. „Willst du dich nicht umziehen? Etwas Sauberes und Frisches...“ Keine Reaktion. Enttäuscht wandte er sich ab; sah eine kleine Schale mit Obst und versuchte es erneut. „Oder möchtest du vielleicht was essen? Oder trinken?“ „Nein, aber ich will wissen, was du in Aknadins Zimmer zu suchen hattest.“ Überrascht drehte sich der Pharao um und sah direkt in Seths anklagende Augen. „Ich habe die Energie meines Onkels, nein, wohl eher Zorks, gespürt und bin ihr gefolgt“, antwortete Atemu vorsichtig und atmete einmal tief durch. „Vergib mir. Wäre ich nicht mit meiner eigenen Trauer beschäftigt gewesen, dann hätte ich bestimmt viel früher reagiert. Aber so...“ Zögerlich blickte er in Seths Gesicht. „Ich habe auch die Schwächung meines Kas gefühlt und ich...die Göttermonster sind alle zerstört.“ Ein gebrummtes „Hm“ war die einzige Antwort, die der Pharao bekam. Einige Minuten war alles ganz still. Schließlich stand Seth auf und stellte sich vor Atemu; streckte seine Hand aus und fuhr sanft mit den Fingern über dessen linkes Ohr, wo sich inzwischen eine kleine Narbe gebildet hatte, die von Ipuis missglücktem Attentatsversuch auf den Pharao zeugte und immer noch nicht vollständig verblasst war. Vielleicht würde sie das auch nie. Seth seufzte, ließ seinen Arm wieder sinken und ging wortlos an Atemu vorbei. Dessen Miene verfinsterte sich augenblicklich. „Verdammt, Seth. Du...“ Weiter kam er nicht, denn plötzlich drehte sich sein Priester wieder um, zog ihn zu sich und presste seine Lippen hart auf die seinen. Und für einen Moment wusste Atemu nicht, wie er jetzt reagieren sollte. Der Kuss war nicht zärtlich, nicht liebevoll. Er war stürmisch und verzweifelt; Seths Hände, die nun Atemus Schurz lösten, zittrig und unkoordiniert. Der Pharao wusste, warum sein Priester dies hier tat, verstand, warum Seth ausgerechnet jetzt mit ihm schlafen, ihm nahe sein wollte. Die Trauer über Kisara, der Schock über Aknadin, die Angst, auch Atemu zu verlieren. Und obwohl er dies alles wusste; er bereits ahnte, dass sie es hinterher vermutlich bereuen würden, Seth ihn vielleicht sogar verachten würde, so wollte, so konnte er einfach nicht mehr länger warten. Denn das hatte er bereits die letzten zwei Jahre getan. Grob küsste er Seth zurück, half ihm nun seinerseits aus dem Gewand, legte seine Hände auf die Schultern seines Priesters und drückte ihn widerstandslos nach unten; ließ seine Finger und seine Lippen über die warme Haut unter ihm gleiten; liebkoste Seths Gesicht, seinen Nacken, seine Brust; entlockte ihm Laute, die Atemu eigenes Herz wie wild zum Schlagen brachten. Seth bäumte sich unter ihm auf, zog ihn dann näher an sich heran, drückte ihre nackten Körper eng aneinander und warf leise stöhnend den Kopf zurück und auch Atemu keuchte fordernd. Doch so sehr er den Anblick auch genoss, jede kleine Veränderung in Seths Mimik, seinen Bewegungen, seiner Stimme in sein Gedächtnis einbrannte, so konnte sich Atemu eines unguten Gefühls in seiner Magengrube trotzdem nicht erwehren. Fast so, als ob er dabei war, einen Fehler zu begehen. Als ob er Seth nur ausnützen würde... Mühevoll verdrängte er die unliebsamen Gedanken. Er konnte nur hoffen, dass Seth ihm später würde verzeihen können. ------------------------------------ Seine Glieder waren schwer und schmerzten und allein die Erinnerung an den Grund dafür ließ Seth erschaudern. Schwaches Mondlicht erhellte den Raum notdürftig und gab ihm einen hellblauen, unwirklichen Schimmer. Plötzlich fühlte Seth, wie sich zwei Arme von hinten um ihn schlangen, ihn drückten, und unsicher drehte er den Kopf und sah Atemu, der sich im Schlaf dicht an ihn gekuschelt hatte und zufrieden vor sich hin murmelte. Vorsichtig, um den Pharao nicht zu wecken, befreite er sich aus der Umarmung und stand leise auf. Sein Kopf schwirrte vor Überlegungen, eine unerwünschter als die andere und er hatte Mühe, sich nicht völlig in ihnen zu verlieren. Er atmete einmal tief durch und zwang sich, sich auf das Jetzt, auf das Wesentliche zu konzentrieren. Seine Gefühle trübten nur sein Urteilsvermögen und wurden hinter einem ausdruckslosen Gesicht verschlossen. Dann fiel sein Blick auf einen großen, goldverzierten Spiegel nahe des Bettes und er zischte ungehalten. Prüfend betrachtete er sich, fuhr sich zaghaft mit einer Hand über seine Brust, die von Atemus Küssen immer noch mit blassroten Flecken übersät war; strich sich mit den Fingern über den Mund, der sich unter der Berührung heiß und geschwollen anfühlte. Atemu hatte effektiv sichergestellt, dass Seth diese Nacht nicht so schnell vergessen würde. Der junge Priester biss sich sachte auf die Unterlippe. Er war sich nicht sicher, ob er überhaupt vergessen wollte. Er starrte noch einen Moment länger auf sein Spiegelbild, griff schließlich nach seinem Gewand und verbarg damit seine Haut; versteckte so jedes einzelne rote Mal, das verraten könnte, was hier geschehen war; dass Atemu am Ende doch noch gewonnen hatte. „Aber...“, Seth warf einen kurzen Blick auf den immer noch schlafenden Pharao. „...ist dies wirklich eine Niederlage gegen ihn, die ich bereue?“ Er trat einen unsicheren Schritt vor, überwand sich schließlich und strich behutsam eine Haarsträhne aus Atemus Gesicht. Der Pharao lächelte im Schlaf und auch Seth musste grinsen. „Sentimentaler Quatsch, und das ausgerechnet von mir“, rügte er sich selber in einem Anflug von Spott; doch letztlich gab er seinen Impuls nach, beugte sich über Atemu und küsste ihn leicht auf die Stirn. Und obwohl es ihm zutiefst widerstrebte, so konnte er nicht leugnen, dass ein Teil von ihm schwer versucht war zurück ins Bett zu krabbeln, Atemu zu halten, sich halten zu lassen und Aknadin einfach zu vergessen. Nur mit Mühe überwand er schließlich diesen unsinnigen Drang. Wenn er warten würde, bis Atemu erwachte, würde der Pharao sicherlich mit ihm zusammen Aknadin stellen wollen oder, was noch schlimmer war, ganz alleine. Und das war inakzeptabel. „Atemu, Kisara, sogar Aknadin. Sie alle behaupten, sie würden mich beschützen und nur das Beste für mich wollen. Und keinen von ihnen habe ich darum gebeten. Keiner von ihnen hat verstanden, dass ich ihre Hilfe weder will noch brauche. Und was ist das Ergebnis? Kisara hat für mich ihr Leben, Aknadin seine Seele geopfert. Aber jetzt ist Schluss. Zumindest Atemu werde ich ein ähnliches Schicksal ersparen. Zumindest ihn werde ich nicht auch noch verlieren.“ Zielstrebig steuerte er auf das Kellergewölbe des Palastes zu, in Richtung des Ortes, an dem Aknadin auf ihn wartete. Er wusste nicht, warum er sich dessen so sicher war, ob vielleicht sogar sein alter Mentor selbst ihm diese Eingebung geschickt hatte, aber letztendlich war es ihm auch egal. Alles was zählte, alles was er zu wissen brauchte, war, dass sein Vater dort sein würde. „Vater. Ich hätte nie geglaubt, dass dieses Wort so bitter auf meiner Zunge schmecken würde.“ Doch so sehr ihm der Gedanke auch zuwider war, es änderte nichts daran, dass er Aknadin Glauben schenkte. Dessen Erinnerungen hatten einfach viel zu echt gewirkt, um bloß eine Täuschung gewesen zu sein. Und Seth wollte sich nicht länger selbst belügen, denn das hatte er schon viel zu oft getan. Nur, was sollte er jetzt mit diesem Wissen anfangen? „Was, wenn es für ihn keine Hoffnung mehr gibt? Wenn Zork schon zu mächtig ist, als dass ich ihm überhaupt noch helfen könnte? Kann ich ihn dann wirklich töten?“ Es wäre vermutlich das Richtige. Aus Rache für Kisara, aus Pflichtgefühl gegenüber Atemu, aus Enttäuschung über einen Vater, der nicht verstand, dass seine eigenen Wünsche nicht auch die seines Sohnes waren und nun alles zerstören wollte, was Seth sich in den vergangenen Monaten mühevoll aufgebaut hatte. Er wollte nicht Pharao werden. Was er wollte, war die Chance, sein Leben führen zu dürfen, wie er es sich vorstellte. „Ich brauche niemanden, der mich beschützt, niemanden der meint, er müsse über mein Leben bestimmen. Ich treffe meine eigenen Entscheidungen und keiner hat das Recht, mir diese Freiheit zu nehmen!“ ----------- AN: Hi, hi. Erstmal bedanke ich mich bei allen, die das letzte Kapitel kommentiert haben und entschuldige mich gleichzeitig dafür, dass es diesmal keine vernünftigen Reviewantworten gab (vielleicht hole ich das nach meiner Klausur diese Woche nach). Ich habs zeitlich einfach nicht geschafft, wollte andererseits aber auch nicht das Update noch länger verschieben. Außerdem werden alle Fragen, die in den Kommentaren gestellt wurden, in diesem und in den nächsten Kapiteln beantwortet. Okay, jetzt aber zurück zu diesem Kapitel: Re: Kisara: Ich fands schön zu sehen, dass doch einige Kisara lieber lebend gesehen hätten, obwohl sie ja eigentlich vorher nicht unbedingt zu den beliebtesten Charas gehörte. Allerdings stand ihr Tod von vornherein fest; nicht um Seth und Atemu zusammen zu bekommen, sondern wegen der Sache mit dem Weißen Drachen, der ja in Seths und später Setos "Besitz" übergeht (ehrlich gesagt hatte ich zeitweilig auch noch den fiesen Einfall, dass sie schwanger ist und Zork/Aknadin sowohl sie als auch das ungeborene Baby tötet und Seth daraufhin völlig durchdreht (und Aknadin an die Sache mit seiner Frau erinnert wird, die ja auch ihr erstes Kind verloren hat), aber das hätte doch zu sehr den Fokus von Seth und Atemu genommen. Außerdem konnte ich das Kisara nicht antun, dafür mag ich sie zu gern.) Re: Atemu und Seth: Ähm, ich weiß, hat laaannngeeee gedauert, und dann habe ich die eigentliche "Szene" noch nicht mal genauer beschrieben, aber 1. soll das hier jugendfrei bleiben, 2. hätte es bei mir eh wie ne Gebrauchsanweisung geklungen, so ala "Stecken sie Part a in Part b". Nicht sonderlich lesenswert also... Kapitel 48: Konfrontationen --------------------------- Kapitel 48 – Konfrontationen Ein Pfeiler, eine Statue, noch ein Pfeiler, noch eine Statue und wieder ein Pfeiler... „Seltsam, mir ist vorher nie aufgefallen, wie eintönig dieser Palast doch wirkt. Nein, nicht nur eintönig. Vor allem wie einsam.“ Mit gesenktem Kopf durchquerte Isis langsam den langen Gang; das hallende Geräusch ihrer Schritte auf den kalten Fließen der einzige Begleiter, den sie hatte. Sie wusste, dass sie nicht ewig davonlaufen konnte, doch zumindest für den Moment wollte sie einfach nur allein sein. Eher früher als später würde jemand nach ihr suchen; würde ihre verweinten Augen sehen, ihr aufgequollenes Gesicht...würde sie mit belanglosen Worten zu trösten versuchen, ihr mit, vielleicht ehrlich gemeintem, vielleicht aber auch nur verlogenem Mitleid begegnen. Würde über sie tuscheln. Würde sagen, dass sie nun mit Mahaados Tod auch ihre einzige Chance verloren hatte, jemals wirklich glücklich werden zu können. Ihre Schritte wurden schneller; hektischer. Ihr Atem ging flach und unregelmäßig. Das vormals noch begrüßte Gefühl von Einsamkeit erschien sie plötzlich zu erdrücken. „Ich muss hier weg. Weg...“ Unvermittelt kollidierte sie mit jemandem vor ihr und blickte überrascht auf. Direkt in das Gesicht eines überaus gereizten Hohenpriesters, der sie aus blaublitzenden Augen verärgert anfunkelte. Sie wollte gerade zu einer Entschuldigung ansetzen, als Seth sich auch schon an ihr vorbeizudrängen versuchte. Dabei streifte er sie leicht, so dass sein Gewand ein wenig verrutschte und mehrere rote Flecken freilegte, die sich über seine gesamte Nacken- und Halspartie zu verteilen schienen. Und auch der schwache Geruch von kostbaren Salben und Ölen stieg Isis in die Nase. Düfte, die nur eines Pharaos würdig waren. Isis lächelte wissend. „Nun, wie ich sehe, hast selbst du dich letztlich nicht der Anziehungskraft unseres Pharaos entziehen kön…“ „Behalt es für dich, klar?“, unterbrach Seth sofort unwirsch und wollte sich abwenden, als ihn Isis ruhiges ‚Warte’ stoppen ließ. Er warf ihr einen abwartenden Blick über die Schulter zu und die Priesterin holte einmal tief Luft. „Wirst du mir verraten, wo du hinwillst?“, fragte sie schließlich und beäugte ihn misstrauisch. „Nein.“ Die Priesterin verzog das Gesicht. „Das überrascht mich nicht. Aber“, fügte sie etwas leiser hinzu. „bevor du gehst, gibt es noch etwas, was ich dir sagen will.“ Vorsichtig löste sie die Millenniumskette von ihrem Hals und drückte sie an ihre Brust. „Seit Mahaados Tod funktioniert sie nicht mehr. Die Zukunft bleibt mir nun verschlossen“, erklärte sie wehmütig und für einen Moment wirkte Seth ehrlich erstaunt, doch dann hatte er auch schon wieder seine Züge in die ausdruckslose Maske zurückgeschult, die so typisch für ihn war. Isis fuhr bedrückt fort: „Dennoch, ich brauche keine Magie, um dir zu sagen, dass du dabei bist, einen großen Fehler zu begehen.“ Ob dieser Aussage zuckte Seth zwar gelangweilt mit den Schultern, aber Isis kümmerte sich trotzdem nicht um sein scheinbares Desinteresse. Er wartete immer noch und schien zuzuhören. Das war fürs erste genug. Sie lächelte traurig und unterdrückte die erneut aufkommenden Tränen. „Ich habe meine Chance auf Liebe und eine gemeinsame Zukunft mit dem Menschen, der mir neben dem Pharao am wichtigsten war, ungenutzt vertan.“ Unvermittelt sah sie Seth ernst in die Augen. „Mache du nicht den gleichen Fehler. Laufe nicht vor dem weg, was sein könnte, nur weil du es fürchtest. So viele Entscheidungen und Irrtümer im Leben sind nicht mehr korrigierbar. Und am Ende wartet stets die Reue. Also überlege dir deine nächsten Schritte gut.“ Seth schnaubte. „Das habe ich bereits", informierte er sie grimmig und wandte sich endgültig ab. Isis gemurmeltes ‚Das hoffe ich für dich’ verschwand von ihm ungehört in den Weiten des großen Palastganges. ------------------------------------------- Ehrfürchtig fuhr Aknadin mit seinen Fingern über den goldglänzenden Millenniumsstab; verglich dessen makellose Oberfläche mit seinen eigenen, knochigen und von Altersflecken gezeichneten Händen. Er wusste nicht einmal, warum er eigentlich das magische Artefakt mitgenommen hatte, denn behalten wollte er es ohnehin nicht. „Nicht mehr viel Zeit“, murmelte er gedankenverloren und fühlte eine merkwürdige Schwermut in sich aufsteigen. „Seth sollte mittlerweile schon an meiner Seite kämpfen; mit mir gemeinsam die Zukunft Ägyptens planen.“ Stattdessen aber stand er nun allein hier im Kerker des Palastes, nur umgeben von Einsamkeit und Staub, während Seth, wie er von Zork wusste, beim Pharao Zuflucht gesucht hatte. Aknadin seufzte. In gewisser Weise konnte er seinem Sohn nicht einmal Vorhaltungen deswegen machen. „Er hat meine Erinnerungen gesehen, hat gehört, dass ich sein Vater bin. Doch hat er es auch akzeptiert? Hat er es verstanden?“ ‚Wir werden es bald wissen. Als ich eure Gedanken miteinander verband, habe ich auch einen kleinen Teil meines Bewusstseins mit dem seinigen verknüpft. Er ist bereits auf dem Weg hierher.’ Zorks geisterhafte Silhouette erschien neben ihm und Aknadin blickte flüchtig auf. Ein freudloses Lächeln erschien auf seinem Gesicht. „Von einer Stimme in meinem Kopf zu einer Kontur, die immer fester wird. Wenn es so weiter geht, wirst du bald einen eigenen Körper haben.“ Er lachte hohl. „Meine Lebensenergie scheint dir gut zu bekommen.“ ‚Selbst Schuld, denn immerhin warst du es doch, der mich zusammen mit den Millenniumsartefakten überhaupt erst erschaffen hat. Wer mit dem Feuer spielt, sollte sich über Verbrennungen nicht wundern. Das hätte dir von Anfang an klar sein müssen. Ah, aber ich verstehe schon. Du bist wütend, dass ich Seth deine Erinnerungen gezeigt habe...’ „Es ist mehr als das“, unterbrach ihn der Priester kalt. „Du hast mir die Chance genommen, mich Seth zu erklären. Er weiß, was ich getan habe, aber das warum kennt er nicht. Und schlimmer noch: Du hast auch mit meinen Händen das Mädchen umgebracht. Wir hatten den Drachen bereits. Ihr Tod war überflüssig!“ ‚Solange sie lebte, hätte sie ein unnötiges Risiko bedeutet. Das wussten wir beide. Ich habe nur getan, wozu du zu feige warst.’ „Und doch bin ich es, der ihr Blut an sich kleben hat! Was ist, wenn mir Seth diese Tat niemals verzeihen wird? Was ist, wenn ich für ihn nun nicht mehr als ein Mörder bin? Was dann? Das ist nicht, was ich wollte!“ ‚Nicht mehr als ein Mörder. So, so. Wieso fragen wir ihn nicht einfach selber, was genau er von dir hält? Was meinst du, alter Mann? Immerhin wirst du eine bessere Gelegenheit vielleicht nie mehr bekommen.’ „Was soll das denn heißen?!“ Zork schnaubte belustigt. ‚Es soll heißen, dass der Junge endlich hier ist.’ --------------------------------- Beiläufig nahm Seth wahr, wie die schemenhafte Kreatur neben Aknadin verschwand, kaum dass er einen Fuß in das düstere Gewölbe gesetzt hatte. Zurückblieben nur er und Aknadin. Seth grinste unmerklich. „Was nun...Vater?“ Zum ersten Mal seit langem fühlte Aknadin eine beängstigende Unsicherheit. Mit dem Millenniumsauge versuchte er in Seths Gedanken einzudringen, musste aber schon bald erkennen, dass es zwecklos war. Die Seele seines Sohnes blieb ihm verschlossen. Er seufzte leise. Er hatte hier nicht mehr das kleine Kind vor sich, welches er einst verlassen hatte; nicht mehr den aufbrausenden Jungen, der Jahre später zu ihm zurückgekehrt und dessen Mentor er geworden war; auch nicht mehr den Priester, der ihm bis zuletzt vertraut hatte. Was er jetzt vor sich hatte, war ein ernstzunehmender Gegner. Aknadin lächelte leicht; eine Mischung aus Stolz und milder Resignation. „Ich habe dich erwartet“, verkündete er schließlich ruhig. Seth hob eine Augenbraue. „Ach ja? Wieso habt Ihr mich dann überhaupt erst zurückgelassen? Ich war bewusstlos; ihr hättet also leichtes Spiel gehabt.“ „Ich...“, er zögerte. „Ja, warum eigentlich? Vielleicht weil ich Angst hatte, mich deiner Reaktion sofort zu stellen; weil ich Abstand von dir brauchte. Vielleicht auch, weil ich dachte, dass ich es dir...dass ich dir einen Moment der Ruhe schuldig war.“ Laut sagte er jedoch nichts und Seth presste enttäuscht die Lippen aufeinander. „Dann eben eine andere Frage“, versuchte es der junge Priester schließlich matt und mit gesenktem Kopf. „Warum habt Ihr gelogen? Ihr habt behauptet, Heqaib wäre Ipuis Auftraggeber. Wozu? Ihr hättet doch ruhig sagen können, dass Ipui allein gehandelt hat. Heqaib in die Sache mit einzubeziehen, war völlig unnötig. Allein die Tatsache, dass Mahaado durch die Attentäter bedroht wurde, hätte schon ausgereicht, damit Atemu ihm zu Hilfe eilt. So aber haben wir Euch letztlich nur der Lüge überführt und Ihr euch selbst verdächtig gemacht. Dachtet Ihr, Ihr könntet Euch herausreden? Was hat es Euch gebracht, Aknadin?!“ Der Angesprochene schauderte. „Es stimmt. Am Ende habe ich mich selbst verraten. Warum habe ich mich damals so verhalten? Mir war doch klar, dass, sobald sie mit Heqaib sprechen, sie wissen würden, dass ich ihnen nur etwas vorgemacht habe...“ ‚Weißt du es wirklich nicht, alter Mann?’ „Zork?“ ‚Ich sage es dir: Du suchtest nach einem Ausweg vor mir. Du hast gehofft, dass sie dich erwischen und unsere Pläne rechtzeitig vereiteln würden. Du wolltest ihnen eine Chance geben, dies alles hier zu verhindern.’ „Du wusstest es und hast mich trotzdem nicht daran gehindert?“ ‚Ich habe nichts getan, weil es egal war. Immerhin hätte der Pharao bereits in der Wüste sterben sollen und Seth hätte früher oder später ohnehin alles von dir erfahren. Nun gut, die Dinge sind letzten Endes ein wenig anders gekommen, als ich gedacht hatte, aber nichtsdestoweniger wird das Ergebnis dasselbe bleiben.’ „Könnt oder wollt Ihr mir nicht antworten?“, fragte Seth plötzlich leise und schreckte Aknadin aus seinen Gedanken. Dieser wandte sich beschämt ab. Sein Sohn schnaubte. „Verstehe. Und was ist mit dem Weißen Drachen? Wieso habt Ihr ihn nicht mitgenommen?“, wollte er stattdessen wissen und diesmal bekam er seine Antwort. „Weil es deiner ist“, erklärte ihm sein Vater schlicht und hielt ihm den Millenniumsstab entgegen. „Genauso, wie auch dies hier.“ Seths Augen verengten sich. „Ihr gebt ihn mir einfach wieder? Keine Bedingungen?“ Aknadin besah sich das Artefakt lange. „Bedingungen...?“, murmelte er und zog das dolchartige Ende des Stabes hervor. „Doch, möglicherweise habe ich tatsächlich eine.“ Damit drückte er seinem Sohn den Gegenstand in die Hand. Seth starrte ihn gleichermaßen überrascht wie entgeistert an. „Was soll das?!“ Aknadin lächelte spöttisch. „Was ist, Seth? Verwirrt? Oder immer noch geblendet von der Trauer um dieses Mädchen? Fühlst du Schuld?“ Ist es das?“ Er schnaufte verächtlich. „Wie unnötig! Sie war schwach. Beherbergte so ein starkes Monster in ihrer Seele und war doch unfähig, es zu kontrollieren. Verschwende deine Gefühle nicht an so ein...“ Eine heftige Attacke mit dem Stab riss ihn unerwartet von den Füßen und als Aknadin keuchend hochsah, erkannte er Seth, der mit kaum kontrollierter Wut grimming auf ihn herabblickte. „SEI STILL! Sei still. Du hast doch keine Ahnung. Nicht die geringste!“ Seths Griff um den Millenniumsstab wurde fester. „Sie war nicht schwach. Das war sie nicht. Aber du bist natürlich zu blind, um das zu erkennen!“ Aknadin lächelte voller Hochmut und erhob sich langsam. „Aah, große Worte. Groß… und dabei doch so schrecklich unüberlegt.“ Er klopfte sich den Staub von seinem Gewand und fixierte seinen Sohn wachsam. „Mach die Augen auf, Seth und erkenn endlich die Wahrheit! Dieses Mädchen war ein Nichts.“ Die Wahrheit. Am liebsten hätte Seth lauthals losgelacht. Die Wahrheit war, dass sein Vater ein Monster und ein Mörder war. Die Wahrheit war, dass es keine Rettung mehr für ihn geben schien. Die Wahrheit war, dass wenigstens einer von ihnen noch in dieser Nacht sterben würde. Seth lächelte bitter. „Und das kommt ausgerechnet von Euch. Ihr seid wahrlich ein Dummkopf, Aknadin. Einfach nur...“ Ein plötzlicher Angriff seines Vaters streckte ihn zu Boden und Seth konnte sich nur mit Mühe wieder aufrappeln. Er unterdrückte ein Stöhnen. „Ich Blödmann. Mit der Retourkutsche hätte ich eigentlich rechnen müssen.“ Er hätte wirklich bei Atemu im Bett bleiben sollen. Da war es warm und weniger…schmerzhaft. Er zwang sein Gesicht in einen neutralen Ausdruck und betrachtete Aknadin voller Argwohn, der bebend vor Zorn und schwer atmend zurückstarrte. „Rede nie wieder so mit mir, Seth. Nie wieder“, zischte er schließlich und Seth grinste ob seiner Worte leicht. „Ich soll also schweigen? Nun, da habt Ihr leider Pech gehabt. Was Ihr wollt oder nicht wollt kümmert mich nämlich einen Dreck, Aknadin.“ Für einen Moment sah es so aus, als ob ihn der alte Priester erneut attackieren würde, doch letztlich schüttelte er nur sachte den Kopf. „Unwichtig“, winkte er fast schon gelangweilt ab. „Du kannst mich nicht provozieren. Denn wir sollten reden, nicht kämpfen.“ Er ging einige Schritte nach hinten. „ Es gibt etwas, was du verstehen musst, Seth. Atemu ist unfähig. Er hätte nie Pharao werden dürfen. Ägypten braucht einen starken Herrscher und kein selbstsüchtiges Kind. Doch...“, und sein Gesicht nahm einen sonderbar verklärten Ausdruck an. „Dieser neue Herrscher werde nicht ich sein.“ Seth schnaubte verächtlich. „Ach nein?“ „Nein. Mein eigener Sohn hat das gleiche Anrecht auf den Thron, wie es der meines Bruders hat.“ „Meint Ihr mich damit?“ Es war keine Frage. Sie beide kannten bereits die Wahrheit. Seth blickte seinen Vater lange an. „Warum erzählt Ihr mir das?“, fragte er langsam, vorsichtig und Aknadin trat auf ihn zu, bis er ganz dicht vor ihm stand. „Weil ich will, dass du es verstehst. Weil ich will, dass du siehst, wie weit ich für dich gegangen bin. Weil ich will, dass du all dies weißt, all meine Sünden und trotzdem zu mir stehst. Seth, alles, was ich getan habe, war für dich. Ich...!“ „Wälz deine Schuld nicht auf mich ab! Ich habe dich um nichts gebeten, um gar nichts! Du hast kein Recht so zu tun, als ob es anders wäre!“ Seths Körper zitterte vor Enttäuschung und Aknadin streckte eine Hand nach ihm aus, fuhr mit ihr über Seths Wange, doch dieser zuckte unter der Berührung nur zusammen; packte Aknadins Arm und drückte ihn grob von sich. „Fass mich nicht an!“ Sein Vater blieb wie erstarrt stehen. „Wie du willst“, sagte er leise und trat etwas zurück. Lange Strähnen fielen in sein Gesicht und verdeckten seine Augen, trotzdem entging Seth nicht der schwachrote Schimmer, der kurz in ihnen aufflackerte. Die Luft um ihn herum knisterte bedrohlich. Seth grinste erwartungsvoll. „Noch mal falle ich nicht darauf rein, Vater.“ Nur eine Sekunde später schoss ein greller Blitz auf ihn zu, doch diesmal war Seth vorbereitet und wich aus. Aknadin zischte vor Wut, aber noch bevor er erneut angreifen konnte, ließ sich Seth auf den Boden fallen, stützte sich mit den Händen ab und trat dem alten Priester kräftig gegen den Oberschenkel. Aknadins Beine klappten unter ihm weg und er sackte keuchend zusammen. Er wollte sich gerade wieder aufrichten, als er etwas Kühles und Spitzes an seinem Hals spürte. Der Millenniumsstab. Aknadin sah lächelnd zu Seth hinauf. „Kannst du wirklich deinem eigenen Vater die Kehle aufschlitzen? Wirst du mich wirklich töten?“ Seths Gesicht war versteinert und das Lächeln auf den Lippen des alten Priesters wurde noch breiter. „Eine Bedingung, Seth. Erinnerst du dich?“ Der Angesprochene nickte zwar, sagte jedoch nichts und Aknadin fuhr grimmig fort. „Ich will, dass du Pharao wirst und wir gemeinsam für dieses Ziel kämpfen. Jedoch, wenn du dich weigerst, wenn dir Atemu wichtiger ist, als ich es bin, so bin ich bereit zu sterben. Und zwar durch deine Hände. Durch mein eigen Fleisch und Blut.“ Seth knirschte mit den Zähnen. „Ich werde Atemu ganz sicherlich nichts tun. Wenn du das von mir verlangst, dann kennst du mich noch schlechter, als es ohnehin schon der Fall zu seien scheint.“ „Und wenn der Tod des Königs gar nicht nötig wäre? Atemu hängt sehr an dir. Er will bestimmt nicht gegen dich antreten müssen. Vielleicht verzichtet er ja freiwillig auf seinen Thron. Zumal die Göttermonster Ägyptens ohnehin zerstört sind.“ Sein Sohn schien sich diese Worte tatsächlich durch den Kopf gehen zu lassen und Aknadin fühlte für einen Moment sogar schon so etwas wie Triumph und Erleichterung, als Seth plötzlich bitter auflachte. „Was Ihr getan habt, war alles nur für mein Wohl bestimmt, huh? Ich schätze, ich sollte mich ob solch einer Gnade geschmeichelt fühlen. Nur frage ich mich, ob Kisara das auch so sehen würde. Oder Mahaado. Oder Shimon. Sagt es mir, Aknadin!“ Sein Vater erhob sich schwerfällig. „Dein Sarkasmus ist wirklich fehl am Platz. Ja, es stimmt. Was ich tat, das tat ich für dich. Glaubst du etwa, all diese Opfer wären leicht für mich gewesen? Glaubst du das im Ernst?! Ich hätte nie gedacht, dass du meinen Bemühungen so undankbar gegenüberstehen würdest! “ Seth schüttelte traurig seinen Kopf. „Welche dieser Worte stammen wirklich noch von Euch, Aknadin...und welche sind von dem Monster, das Eure Seele und Euren Verstand zerfrisst, bis es Euch schließlich völlig beherrscht?“ „Zork beherrscht mich nicht! Er beherrscht mich nicht! ER BEHERRSCHT MICH NICHT!“ Aknadin verstand nicht, warum Seth solche Wut und Angst in ihm auslöste, wenn er doch genau wusste, wie Recht sein Sohn hatte; verstand nicht, warum seine Finger plötzlich kribbelten, er die tödliche Energie in ihnen spürte, die nur darauf wartete, losgelassen zu werden... Erschrocken über sich selbst riss er die Augen auf und taumelte eiligst nach hinten. „Nein, nein! Ich kann doch nicht mein eigenes Kind angreifen?! Das war nicht, was ich wollte! Das war nicht, was ich mir wünschte! Das bin nicht ich...ich...“ Verwirrt packte er sich an den Kopf; sein Atem vibrierte in seinen Ohren und sein Blut brannte schmerzhaft in seinen Adern. Seine Stirn fühlte sich furchtbar heiß an. „Ich verliere die Kontrolle...“ „Aknadin?“ Der alte Priester zuckte zusammen. Es kostete ihm einige Mühe, sich auf seinen Sohn zu konzentrieren und sein Arm zitterte stark, als er ihn nach dem jungen Mann ausstreckte. Er packte Seth am Ärmel und zog ihn näher zu sich. „Deine Entscheidung! Sag sie mir! Wirst du dich gegen mich richten und das Erbe verweigern, das dir rechtmäßig zusteht oder wirst du dich mit mir verbünden und den Weg gehen, der dir von Geburt an bestimmt war?“ Seth musterte ihn aufmerksam, löste sich dann vorsichtig aus Aknadins Griff und wandte sich von ihm ab. „Der Mann, den ich einst kannte, ist offensichtlich tot. Es gibt nichts mehr, für was ich mich entscheiden müsste“, sagte er langsam und Aknadin fühlte sogleich eine Welle der Enttäuschung über sich hereinbrechen. „Du bist mein Sohn“, flüsterte er bedrückt. „Ich kann dich nicht einfach gehen lassen.“ „Sohn“, echote Seth leise. „Nein, Aknadin, das Recht mich so zu nennen, habt Ihr schon lange verwirkt.“ „Du irrst dich! Wieso verstehst du das nicht? Ich gab dir dein Leben, deinen Namen. Du schuldest mir deine Treue!“ Seth fuhr wütend herum und fixierte ihn eisern. „Ja, Aknadin, du hast mir mein Leben gegeben. Aber was bedeutet das schon? Warst du jemals ein Teil dieses Lebens? Nein! Wo warst du denn, als ich aufgewachsen bin? Als Mutter elendig verbrannte? Als ich gefangenen genommen worden war? Wo warst du da? Überall, nur nicht bei mir! Ich schulde dir überhaupt nichts! REIN GAR NICHTS!“ „Mein Sohn, bitte...“ Mit einemmal wirkte Aknadin schrecklich alt und gebrechlich. Sein zusammengesunkenes Gesicht, die faltige Haut und das Beben seines Körpers. Seth betrachtete ihn traurig. „Im Gegensatz zu dir will ich nicht zu einem kaltblütigen Mörder werden. Und auch, wenn ich dich nicht töten kann, so werde ich dich genauso wenig davonkommen lassen. Doch dich zu richten ist nicht meine Aufgabe und deshalb...“ Langsam drehte er Aknadin den Rücken zu und näherte sich der Treppe zum Ausgang. „...deshalb hoffe ich für dich, dass Atemu und die Götter gnädig zu dir sein werden. Und dir vergeben können. Denn ich kann es nicht.“ Aknadin sah ihm verzweifelt hinterher. „Ich will dich doch nicht umbringen...bitte, Seth, lass es nicht soweit kommen. Bitte...“ Er keuchte auf; spürte, wie ihm allmählich auch der letzte Rest Kontrolle entglitt. Seth...er hatte ihn schon einmal als verloren geglaubt, hatte sich geschworen, es nie wieder soweit kommen zu lassen; seinen Sohn nicht noch einmal zu verlieren. Ein schmerzverzerrter Schrei zerriss plötzlich die Luft. Aknadin biss die Zähne zusammen; versuchte das Tränen seiner Augen, das Knirschen seiner Knochen, das Brennen seines Körpers zu ignorieren... Und er schrie noch einmal, noch durchdringender; konnte kaum noch einen Gedanken fassen. Aus den Augenwinkeln sah er verschwommen Seths Gestalt. Seth, der sich überrascht und geschockt zu ihm umgedreht hatte, hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch zu helfen und seinem Instinkt, einfach nur so schnell wie möglich zu fliehen. Verzweifelt versuchte Aknadin noch Worte zu formulieren, seinen Sohn zu warnen, doch außer einem bluterstickten Röcheln entwich einfach kein weiterer Laut mehr seiner Kehle. „Nein, so wollte ich das nicht. So nicht. Es darf ihm nichts passieren. Seth, flieh...bitte verschwinde einfach nur von hier. Verschwinde!“ Doch es war zu spät. Er spürte noch, wie sich sein Körper ein letztes Mal aufbäumte, bevor er endgültig die Kontrolle, den Kampf gegen Zork, verlor. Und als Seth einen Moment später in die Augen seines Vaters sah, erkannte auch er, dass von Aknadin nichts mehr übrig war. Kapitel 49: Die Entscheidung ---------------------------- So, nur noch dieses Kapitel und der "Epilog" und das wär's dann ^^ In diesem Sinne: Viel Spaß mit dem Kapitel! Ist auch extra lang und hat extra viel Atemu. -------------- Kapitel 49 – Die Entscheidung Als Atemu aufwachte und sah, dass Seth nicht mehr neben ihm lag, wusste er bereits, dass etwas nicht stimmte. Ein Gefühl, welches noch stärker wurde, während er auf der Suche nach Seth durch die verzweigten Gänge des Palastes eilte und selbst vor Aknadins Zimmer nicht Halt machte. Müde kehrte er schließlich in sein eigenes Gemach zurück, in der Hoffnung, dass Seth inzwischen von allein wieder aufgetaucht war, doch auch das stellte sich als eine Enttäuschung heraus. Atemu schluckte schwer. Seine bedrohliche Vorahnung wuchs immer weiter an, drehte ihm den Magen um und schnürte ihm die Luft zu. Und nach wie vor keine Spur von Seth. „Irgendetwas ist passiert. Seth ist nicht einfach abgehauen, um mir auszuweichen. Da steckt mehr dahinter. Und auch Aknadin ist nirgendwo mehr aufzutreiben. Hat er Seth etwa...?“ Nein, der Gedanke, sein Onkel könne Seth etwas angetan haben, war einfach absurd. Soweit Atemu das beurteilen konnte, war sein junger Hohepriester der letzte Mensch, der Aknadin noch wirklich etwas bedeutete. „Aber was ist, wenn auch diese Zuneigung letztlich ein Ende gefunden hat?“ Eine Dienerin reichte ihm einen Becher Wein, den er nachdenklich zwischen seinen Fingern kreisen ließ. Etwas der klebrigen Flüssigkeit schwappte über den Rand und befleckte seinen Schurz. Für einen langen Moment starrte Atemu wie hypnotisiert auf seine ruinierte Kleidung. „Seid Ihr in Ordnung, mein König?“ Die Sorge in der Stimme der Dienerin klang echt genug und doch fühlte Atemu nicht mehr als Abscheu für diese Frau, wie sie da so demütig neben ihm stand und nur darauf wartete, ihm gefällig sein zu können. Nur mit Mühe konnte er sich zusammenreißen. Es war nicht ihre Schuld, dass trotz intensivster Suche weder Seth noch Aknadin auffindbar waren; nicht ihre Schuld, dass er sowohl Mahaado als auch Shimon verloren hatte, dass er von seinem eigenen Onkel verraten worden war, dass er seine Göttermonster nicht mehr rufen konnte, dass er sein Herz verloren hatte an einen Sklaven, von dem er immer noch nicht wusste, ob dieser seine Gefühle jemals erwidern würde. Plötzlich knallte er seinen Becher mit solcher Wucht auf das nebenstehende Tablett, das die Dienerin verschreckt von ihm zurückwich und ihn mit großen Augen unsicher anstarrte. „Raus“, knurrte Atemu ungehalten und die Frau zuckte noch mehr zusammen. „RAUS habe ich gesagt!“ Für eine endlos scheinende Sekunde sah sie ihn nur ängstlich an, bis sie sich schließlich schnell verbeugte und hastig davonlief. Der Pharao seufzte und vergrub schuldbewusst sein Gesicht in seinen Händen. Er hätte nicht so die Beherrschung verlieren dürfen, musste rational bleiben, aber die Wahrheit war, dass ihn die ganze Situation schon lange schlichtweg rettungslos überforderte. „Shimon tot, Mahaado tot, Aknadin unauffindbar und Seth ist auch weg“. Langsam hob er sein Gesicht und blickte starr auf eine Wand, ohne wirklich etwas zu sehen. „Wenn ihm nun doch etwas passiert ist…was…was soll ich denn dann machen?!“ Er lachte heiser, fast schon hysterisch und strich sich grob mit einer Hand durch seine Haare, zog fest an ihnen und hieß den Schmerz gierig willkommen. Sein Gesicht verzog sich grimassenhaft. „Körperlicher Schmerz…viel besser als dieser emotionale, der mich zu ersticken droht. So viel besser.“ Erschrocken über sich selbst zog er seine Hand schnell wieder zurück und betrachtete einige abgerissene lose Strähnen, die an seinen Fingern klebten. Ein Laut voller Ekel entwich seiner Kehle und er ballte die Faust. „Drehe ich jetzt völlig durch?! Nein…nein, ich muss mich fassen. Ich muss nur ruhig bleiben, ich muss…“ Der Gedanke verlor sich so schnell, wie er gekommen war. Schwerfällig erhob er sich und trat auf den Balkon. Die letzten Tage hatte er versucht stark zu bleiben, für sich, aber vor allem auch für Seth, der momentan genauso geschafft war, wie er selbst; hatte versucht, nicht allzu viel darüber nachzudenken, was passiert war, was noch passieren könnte, hatte sich sogar die Tränen verboten, die ihm auch jetzt wieder in den Augen brannten. Ein Pharao durfte sich nicht unterkriegen lassen. Es war seine Pflicht bis zum bitteren Ende zu kämpfen und Seth…Seth brauchte ihn. So einfach war das, denn wenn sich Atemu einer Sache gewiss war, dann der: Seth mochte es abstreiten, mochte toben und schreien und ihm ausweichen, aber letztendlich bedeutete Atemu ihm genauso viel, wie Seth auch Atemu bedeutete. Tief in seinem Herzen spürte Atemu das und er wollte daran festhalten, ganz egal, wie trostlos die Lage gerade aussah. Entschlossen drehte er sich um und steuerte auf den Ausgang seines Gemaches zu. Bisher war er immer in der Rolle des Abwartenden gewesen, der immer erst erfahren hatte, was eigentlich um ihn herum geschah, als es bereits zu spät war. Doch damit war nun Schluss. Er war der Pharao dieses Landes. Und diesmal hatte er auch vor, wie einer zu handeln. ----------------------- Das Beben war kurz, aber stark; erschütterte den Palast und versetzte Höflinge wie Angestellte gleichermaßen in Panik. Atemu war es egal. Sein Interesse richtete sich einzig auf den Weißen Drachen, der hoch über den Dächern der Stadt thronte und für die Erdstöße verantwortlich war. Und doch, so schrecklich dessen Angriffe im ersten Moment auch wirkten, der Pharao erkannte schnell, dass das Monster nicht auf wirkliche Zerstörung aus war, denn die Attacken waren ungenau und nicht auf die Menschen gerichtet. Hier ging es wohl eher um eine Warnung...oder eine Botschaft. Kurz verweilte der Drache noch an seiner Stelle, dann jedoch setzte er sich mit kräftigen Flügelschlägen in Bewegung und verschwand Richtung Wüste; zu einem entfernter gelegenen Ort, an dem nur noch die Priester und der König selbst Zugang hatten. Atemu lächelte grimmig. Er kannte das Ziel des Monsters. „Der Tempel der Maat also. Meinetwegen, ich werde dich dort treffen, Onkel. Dich...und hoffentlich auch Seth.“ --------------------------- Der Tempel, obschon er eigentlich von Leben hätte erfüllt sein sollen, schien gänzlich verlassen zu sein und begrüßte ihn nur mit unheimlicher Stille. Die Atmosphäre war bedrückend und nicht zum ersten Mal wünschte sich Atemu, dass er nicht allein hergekommen wäre. Er bog um eine Ecke, die fünfte bereits, doch noch immer war weit und breit keine Menschenseele zu sehen. Auf dem Boden lagen qualmende Weihrauchschalen verteilt, Fackeln brannten und warfen ihre Schatten voraus und die Fließen waren bedeckt mit zertrampeltem Obst und Insekten, die sich an ihm labten; ein einziger bunter und surrender Matsch, der zwar schrecklich fehl an diesem ehrbaren Ort wirkte, doch auch davon zeugte, wie überstürzt die Priester verschwunden sein mussten. Ein heulender Wind pfiff durch den Korridor; das Abbild der Maat, überall an den Wänden verteilt, schien wissend und streng auf Atemu herabzublicken und mit angezogenen Schultern und uncharakterisch scheu eilte er schnell an ihr vorbei. Warum, wusste er selbst nicht so genau. Vielleicht, weil sie Aknadins Lieblingsgöttin war, vielleicht aber auch, weil sie die Gerechtigkeit und Wahrheit verkörperte und Atemu diese Werte nur noch einen dicken Klumpen in der Kehle bescherrten. „Gerechtigkeit und Wahrheit…das Einzige, was mein Leben gerade bietet, sind Lügen und Verlust. Du bist eine schauderhafte Göttin Maat. Kein Wunder, dass mein Onkel dich so verehrt.“ Mit einem flauen Gefühl im Magen betrat er schließlich den großen Innenhof. Und dort, auf der gegenüberliegen Seite des Platzes stand Seth; ein unförmiges Stoffbündel zu seinen Füßen und seine Augen seltsam rötlich schimmernd und entrückt. Langsam ging Atemu auf den jungen Priester zu; sein Magen vollführte Purzelbäume vor Erleichterung, dass Seth noch lebte, doch wirklich freuen konnte und wollte Atemu sich noch nicht. Der Sand knirschte unter seinen Schritten und sein angespannter Atem hallte laut in seinen Ohren. Kurz vor Seth blieb er stehen. „Ich habe dich gesucht“, meinte er schließlich und blickte seinem Priester mit bemühter Gelassenheit ins viel zu bleiche Gesicht. Seth grinste bösartig. „Und ich auf dich gewartet. Ich habe was für dich. Hier!“ Er versetzte den in Leinen gehüllten Klumpen einen kleinen Tritt. Schweigend kniete sich Atemu auf den Boden nieder und hob ein Stück des Stoffes an. Und keuchte ob des Anblicks sofort erschrocken. Das Gesicht seines Onkels glich einer Fratze; Augen und Mund weit aufgerissen und seine Glieder verdreht. „Aknadin...“ Bitter blickte er auf. Aknadin war ein Verräter gewesen...und sein Onkel. „Nun habe ich also auch das letzte Mitglied meiner Familie verloren.“ Doch wenn er in Seths Gesicht sah, war alles, was er erkennen konnte, Häme und Spott. Keine Reue, kein Mitleid und keine Güte. Für einen kurzen Augenblick spürte Atemu einen unbändigen Hass in sich aufsteigen. Er schluckte mühevoll. Sein Zorn auf Seth war unbegründet. Das durfte er nicht vergessen. Sein Priester konnte nichts dafür. „Nein, nicht Seth ist verantwortlich für dieses Desaster. Nicht Seth, sondern das Monster, das seinen Körper und seine Seele beherrscht.“ Er zischte voller Wut. „Ich weiß, dass du das bist, Zork! Also, was hast du nun vor? Wo sind die Priester dieses Tempels? Wieso hast du Aknadin getötet? Und was willst du mit Seth, du elendes Mistvieh?!“ Der letzte Teil seines Satzes war ein einziges Schreien und ließ Zorks Belustigung nur noch weiter wachsen. „So neugierig, kleiner König?“, griente er freudig und in diesem Moment hatte Atemu genug. Die Macht seines Millenniumspuzzles konzentrierend, griff er an, doch seine Attacke erreichte Zork nicht einmal. Die Energie des Artefakts verflüchtigte sich augenblicklich, kaum, dass er sie gerufen hatte. Zork schüttelte nahezu milde mit dem Kopf. „Na, na, na. Du wolltest mich gerade nicht wirklich ernsthaft verletzen, oder?“ Er lachte laut. „Ich war bei der Erschaffung der Artefakte dabei! Ich weiß ganz genau, wozu sie in der Lage sind! Immerhin bin ich aus derselben Energie wie sie. Du kannst mich nicht mit ihnen besiegen!“ Er löste den Stab von seinem Gewand und warf ihn auf den Boden. „Diese Dinger sind wertlos. Vielleicht solltest du...“ „Beantworte mir meine Fragen!“ Atemus Worte stoppten Zork augenblicklich. Gelangweilt nahm er wahr, wie sich die Fingernägel des Pharaos tief in dessen Fleisch gruben und der Körper des Königs vor Anspannung bereits zu zittern begann. Das Monster seufzte. „Also gut, wenn du es so eilig mit Sterben hast.“ Er verschränkte die Arme und sein Tonfall nahm einen geschäftsmäßigen Klang an. „Deine feigen Priester sind geflohen. Zogen ihr ungewisses Schicksal in der Wüste mir vor.“ Ein Lächeln umspielte seine Lippen. „Wenn ich so was wie Gefühle hätte, könnte ich das glatt persönlich nehmen.“ „Was ist mit Aknadin und Seth?“, unterbrach ihn Atemu ungeduldig und widerstand nur schwer der Versuchung, Zork erneut anzugreifen; wiewohl er ohnehin keine Idee hatte, wie er das Monster letztlich überhaupt besiegen konnte. Seine Magie versagte und seine Götter waren zerstört. Er trug kein Schwert bei sich und selbst wenn...konnte er wirklich Seth verletzen, ihn vielleicht sogar töten, auch wenn dies gleichzeitig Zorks Vernichtung bedeuten würde? Zorks Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. „Ich bin zu mächtig für Aknadin geworden. Seele und fleischliche Hülle des Alten konnten meinem Geist und meiner Energie nicht mehr länger standhalten. Er ist gestorben. Doch dieser Körper hier...“ Er legte eine Hand auf Seths Brustkorb. „...ist jung und stark. Der perfekte Wirt.“ Seine Zähne gebleckt fuhr er grinsend fort: „Nun, zumindest solange, bis ich meinen eigenen Körper erschaffen habe.“ Atemu stutzte. „Erschaffen?“, echote er und Zork nickte. „So ist es. Menschliche Lebensenergie nährt auch meine eigene; gibt mir Kraft. Oder dachtest du, ich wäre zufrieden mit einem so kümmerlichen Dasein wie diesem hier? Nein, ich habe größere Pläne.“ „Laß mich raten: Die Welt beherrschen und alles in Dunkelheit hüllen“, schnaufte der Pharao verächtlich. „Wie überaus berechenbar. Nicht, das ich was anderes von dir erwartet hätte.“ Eigentlich hatte Atemu gehofft, Zorks selbstsichere Fassade mit ein wenig Spott ins Wanken zu bringen, doch den Gefallen wollte ihm das Monster leider nicht tun. Mit einem gleichgültigen Achselzucken tat Zork seine Worte ab. „Die Götter, an denen ihr Ägypter so hängt…an denen du so hängst…nach eurem Glauben haben sie alles erschaffen. Die Erde, die Menschen, jede unbedeutende Kreatur“, erklärte Zork müßig und, zum ersten Mal, wie es Atemu schien, mit etwas anderem als dieser entnervenden Amüsiertheit in seinem Tonfall. „Ist es nicht natürlich, dass ich, ihr Gegenpol, danach strebe ihr Tun zu zerstören?“ Er grinste. „Mein Schicksal, sozusagen.“ „Klasse. Ich bin begeistert“, antwortete Atemu flach, während er gleichzeitig fieberhaft nach einem Ausweg aus dieser Misere suchte. Blöderweise schien da, wo sich eigentlich sein Gehirn befinden sollte, momentan nur eine große, tiefe Leere zu herrschen. „Verdammt, warum fällt mir einfach nichts ein?! Ich muss…“ Sein Atem stockte. Ohne, dass er es mitbekommen hatte, war Zork plötzlich vor ihm erschienen und strich mit seinen Fingern fast schon zärtlich über Atemus Wange. Auch seine Lippen kamen denen des Pharaos beunruhigend nahe. Atemu wusste, dass er dies nicht zulassen, dass er wieder mehr Abstand zwischen ihnen bringen sollte, aber seine Beine gehorchten ihm nicht und schienen praktisch festgefroren zu sein. Zork küsste ihn sachte auf den Mund und Atemu glaubte sein Grinsen ob Atemus mangelndem Widerstand praktisch spüren zu können. Doch noch immer rührte er sich nicht. „Sag mal, kleiner Pharao. Solltest du nicht am besten verstehen, was ich will? Die Herrschaft über Leben und Tod. Menschen, die dich fürchten und gerade darum tun, was du von ihnen verlangst…alleinige Macht. Ist es nicht genau das, was gerade dich, den Pharao, ausmacht? Und sei mal ehrlich, du würdest es doch auch gar nicht anders haben wollen. Du bist wie ich.“ Atemu erstarrte. Er sollte wie Zork sein? Wie dieses Monster, das alles zu vernichten drohte, was Atemu je lieb und teuer war? Bloß weil er Pharao war?! „Das…“, er schluckte ein paar Mal und schmeckte bittere Galle in seiner Kehle. Bilder von Sklaven und Verhungernden, von Zwang, Gewalt und Exekutionen, Leichen und Blut schwirrten ungebeten durch seine Erinnerungen, bis er nicht mehr sicher war, was davon wirklich sein Verschulden war und was nicht. Er hatte Fehler gemacht, schwere Fehler, aber doch niemals so. „Das ist totaler Schwachsinn“, gelang es ihm schließlich zwischen zittrigen Lippen hervorzupressen, doch selbst in seinen eigenen Ohren klangen die Worte schrecklich schwach und hohl. Zork entging dies nicht. „Wenn du meinst“, erwiderte er jedoch zu Atemus Überraschung lediglich nonchalant und ließ es darauf beruhen. Endlich nahm er auch seine Hände von Atemus Körper, der die Chance nutzte und eiligst nach hinten stolperte. Zork betrachtete ihn nachdenklich. „Weißt du, kleiner Mann, ich würde unsere Unterhaltung ja gerne fortsetzen, aber ich habe immer noch das Problem mit dem fehlenden eigenen Körper.“ Unerwartet erschien ein breites Grinsen auf seinem Gesicht. „Du opferst den Göttern, um sie gnädig zu stimmen und ich muss zugeben, die Taktik hat was.“ Er ließ einen Fingernagel tief über sein Handgelenk streifen, bis die ersten Blutstropfen flossen und langsam auf den Boden tropften. Atemu sog scharf die Luft ein und zwang sich zur Ruhe, obwohl ihm zum ersten Mal, seit er Zork gegenübergetreten war, richtig bewusst wurde, dass Zork nicht nur ihn mit einem Wimpernschlag töten konnte, sondern auch Seth. Noch brauchte das Monster Seth lebend, aber das war nicht unbedingt gleichbedeutend mit unverletzt und unverstümmelt. Seine Sorge musste sich in seinem Gesicht widerspiegeln, denn mit einemmal stoppte Zork und beobachtete Atemu prüfend. Er presste einen Finger tief in die Wunde und weiteres Blut quoll hervor. Der Pharao ballte seine Fäuste und Zork lächelte leichthin. „Du magst nicht, wenn ich das tue, hm?“, fragte er sachte und nahm sich absichtlich Seths anderes Handgelenk vor. Diesmal jedoch ließ er die Haut unverletzt, auch wenn Atemu überzeugt war, dass Zork dies nicht unbedingt aus Menschenfreundlichkeit tat. „Blutopfer, Lebenssaft. Nenn es wie du willst“, fuhr Zork seinen Monolog fort und schien Atemu dabei bereits wieder vergessen zu haben. „Starke Magie fließt durch diese Venen…“ Plötzlich starrte Zork Atemu an, als hätte er nie etwas Interessanteres gesehen und der Pharao brachte unsicher noch einige Zentimeter mehr Abstand zwischen ihnen. „So viel zu er hat mich vergessen“, dachte Atemu bitter und verfluchte sich im Stillen dafür, immer noch nichts Produktiveres getan zu haben als dumm rumzustehen. Er war hier, um Seth zu retten und nicht um diesen größten Quatschkopf aller Zeiten zuzuhören. Bloß, dass er sich nicht helfen konnte. Es war Zork, der diese Dinge sagte, doch Seths Lippen, aus denen sie kamen. Seth hätte niemals so geredet, hatte niemals diese verdrehte, dunkle Aura, und doch, nein, gerade deshalb, fand Atemu die ganze Situation auf eine makabere, geradezu perverse Weise faszinierend. Außerdem war da auch noch die nicht unwichtige Kleinigkeit, dass Atemu nach wie vor keinen Plan hatte. „Was habe ich eigentlich gedacht?! Dass ich hier herkomme, Seth ein wenig zurede und alles wird wieder gut? Wieso fällt mir einfach nichts Gescheites ein?!“ Zork seufzte theatralisch. „Aknadin war nicht mehr als schmückendes Beiwerk; geistig und körperlich schwach und viel zu alt, doch zumindest hat er mir seinen Sohn ausgeliefert. Und wie gesagt, Seths Körper ist stark und bringt mich unzweifelhaft ein gutes Stück voran, aber an deine Magie kommt er dennoch nicht ran.“ Er gluckste leise. „Nicht, dass dir deine Magie gegen mich irgendwie helfen könnte, wie du bereits feststellen durftest. Aber…“, sein Glucksen wurde zu einem rauen Lachen und Atemu ging flüchtig der Gedanke durch den Kopf, dass diese Stimmungsschwankungen nicht gesund sein konnten, „…zumindest, mein verehrter Pharao, wird dir dadurch die Ehre zuteil, mein erstes offizielles Opfer zu werden. Nein, mehr als das.“ Zork betrachtete Atemu nun mit einem schiefen Lächeln. „Nicht nur das erste, sondern sogar was noch besseres. Ein königliches!“ Mit einemmal schien Zork genug von seinen Spielchen zu haben. Flink reckte er einen Arm in die Höhe und der Weiße Drache erschien auf der Stelle. Sein Gebrüll erfüllte die Luft und seine Schwingen durchzogen den Himmel, als er dicht über Atemu hinweg flog, ihn hart mit einer Flügelspitze streifte und ihn problemlos zu Fall brachte. Zork lachte laut und Atemu rappelte sich wütend hoch, ließ den Drachen fürs Erste unbeachtet und starrte Zork hasserfüllt an. Das Monster erwiderte seinen Blick unberührt und grinste erneut. „Ein königliches Opfer; und doch nicht mein einziges, denn immerhin...“ Seine Augen blitzten vor hämischer Vorfreude. „...wird Seth, sobald ich meinen eigenen Körper habe, für mich unnütz geworden sein. Und mit seinem Tod werde ich ein weiteres Mal königliches Blut vergießen.“ „Was soll das heißen?“ Atemu setzte sich langsam auf und trat auf Zork zu. „Was meinst du damit?“ „Was ich meine? Nun, was glaubst du denn, warum Aknadin eigentlich so sehr an Seth interessiert war. Sich um ihn kümmerte, seine Ausbildung übernahm...“ Eine beunruhige Gewissheit machte sich im Pharao breit. „Weil Seth sein Sohn ist“, antwortete er schließlich leise und schloss für einen Moment bedrückt seine Augen. Er hegte keinen Zweifel an seinen Worten. Es machte einfach zu viel Sinn. Zu viel schrecklichen, unleugbaren Sinn. „Ich bin von klein auf im Palast aufgewachsen; umsorgt, verehrt und umgeben von Luxus. Seth dagegen...Welcher Fügung der Götter ist es zu verdanken, dass das Leben meines Cousins so unterschiedlich von dem meinigen verlaufen ist, obwohl wir doch der gleichen Abstammung sind? Und wenn es mir, anstatt ihm so ergangen wäre?“ „Kein Protest, oh mein König? Kein ungläubiger Schrei von wegen, dass das alles nur eine dreiste Lüge sei? Nicht mal das kleinste Aufbegehren?“ Zork kam Atemu nun erneut so nahe, dass dieser den Atem des Monsters auf seiner Haut spüren konnte. Zork in Seths Körper. Der Körper, das Gesicht, die Lippen, welche Atemu noch vor wenigen Stunden geküsst und geliebkost hatte… Erschrocken stolperte der Pharao nach hinten. Er hatte sich schon einmal davon einlullen lassen, noch mal würde ihm das nicht passieren. Unerwartet durchzuckte ihn ein Gedanke. „Zork in Seths Körper.“ Eigentlich war es ganz einfach. Ohne Wirt würde auch Zork sterben. Und dazu musste noch nicht einmal zwangsläufig Seth getötet werden. „Wenn Seths Seele stark genug ist, dann müsste er Zork besiegen können.“ „Schwer am Überlegen, Atemu? Das wird auch nichts mehr ändern. Ich weiß ohnehin nicht, warum ich mich überhaupt so lange mit dir aufgehalten habe. Am Anfang war es ja ganz amüsant, aber nun...“ Ein kräftiger Tritt in den Magen ließ den Pharao aufstöhnen und auf die Knie sinken. Zork beugte sich zu ihm runter. „Seth hat dir nicht erzählt, dass ihr blutsverwandt seid. Fragst du dich nicht, warum? Hielt er es einfach nicht für nötig...oder hatte er andere Gründe? Was meinst du, was das über eure Beziehung aussagt?“ Atemus Hände krallten sich tief in den Sand und er knirschte mit den Zähnen. Er wusste, dass Zork ihn nur provozieren, ihn unachtsam machen, mit ihm spielen wollte...und das frustrierende war, dass er ganze Arbeit leistete. Trotzdem versuchte er ruhig zu bleiben. „Reden…“ Ein Hustenanfall unterbrach ihn und trieb ihm die Tränen in die Augen. „Reden eigentlich alle Dämonen und Monster so viel Müll wie du, oder bist du die traurige Ausnahme?“, wollte er dann wissen und kam auf wackligen Beinen wieder zum Stehen. „Außerdem kann ich dir eines versichern: Ich vertraue Seth und nichts, was du sagst, kann das ändern. Und noch etwas...“ Diesmal war er es, der sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte. „Du unterschätzt Seth. Er wird sicher nicht gegen dich verlieren.“ Plötzlich packte er Zorks Arme und drückte sie fest. „Hörst auch du meine Worte, Seth?! Wenn ja, dann beweise mir, dass ich Recht habe! Tu endlich was und wehr dich!“ In einer ruckartigen Bewegung löste Zork Atemus Griff und stieß ihn weit von sich. Das Monster taumelte zurück, schüttelte wild mit dem Kopf und fluchte leise. Doch nur einen Moment später hatte er sich bereits wieder gefangen. Er knurrte ärgerlich. „Mir reicht es mit dir! Ich hätte dich schon längst umbringen sollen. Schon längst!“ Seine Stimme schwoll zu einem Donnern an, als er schließlich rief: „Weißer Drache! Ich befehle dir, den Pharao für mich zu töten!“ Atemu hatte kaum Zeit zu reagieren. Nur knapp konnte er der Lichtblitz-Attacke des Drachens ausweichen. Schnell sprang er zur Seite, kam in dem Sand nur schwer vorwärts, wich wieder aus, knickte ein und fiel zu Boden. Sein Gewand war versenkt und der grobkörnige Sand hatte ihm stellenweise die Haut aufgeschlitzt, doch alles in allem hielt sich der Schaden in Grenzen. Das Monster attackierte ihn abermals; Zorks Lachen und das Gebrüll des Drachens ließen die Luft vibrieren und kurz überlegte Atemu, ob er nicht lieber auch ein Monster benutzen, nicht lieber auch angreifen sollte... „Mahaado...er würde sich wünschen, mich zu beschützen. Aber kann ich ihn wirklich rufen?“ Er warf einen schnellen Blick auf das weiße Ungetüm über ihm. „Nein, der Drache ist stärker. So viel stärker. Mahaado soll sich nicht ein zweites Mal für mich opfern. Das darf nicht sein!“ Die nächste Attacke des Drachens traf ihn am Arm und der Pharao schrie laut, presste seine Hand auf die blutige Wunde und trat in Richtung des Monsters. Es war eine reine Verzweiflungstat, nicht mehr und völlig nutzlos. Blitzschnell drehte sich der Weiße um seine eigene Achse, ließ seinen schuppigen Schwanz auf Atemus Beine knallen und zog tiefe Striemen über dessen Körper. Der junge Mann hatte Mühe, vor Schmerz nicht das Bewusstsein zu verlieren und nur die Wut über Zorks irres Lachen, das in Atemus Kopf dröhnte und Seths Gesicht in eine hässliche Fratze verzog, vermochte ihn noch wach zu halten. Er riss das Millenniumsartefakt von seinem Hals und stieß die Spitze des pyramidenförmigen Puzzles tief in das Fleisch des Monsters. Dieses brüllte qualvoll, verpasste ihm erst einen Schlag mit seiner Flügelspitze, der Atemus Gesicht zur Seite rucken ließ und dann einen weiteren Hieb so kraftvoll, dass der Pharao über den Sand schlitterte und schließlich still auf dem Bauch zum Liegen kam. Schwerfällig hob er den Kopf und hustete. Sein Mund war voll mit Sand und Blut und es dauerte einige Sekunden, bis er alles ausgespuckt hatte. Erst danach stützte er sich leicht mit den Armen nach oben, sah Zork in einem Mix aus Spott und arroganter Selbstsicherheit an und grinste. „Ohne das Monster bist du ein Nichts, kann das sein? Der mächtige Zork scheint mir ohne die Hilfe seines Schosstiers gar nicht so mächtig.“ Sein Grinsen wurde breiter. „Und du, Seth, lässt du dich wirklich von so einem kontrollieren? Gegen so einen gibst du kampflos auf? Du enttäuscht mich!“ Die Amüsiertheit in Atemus Gesicht verschwand augenblicklich; machte stattdessen Platz für Bitterkeit und Vorwurf. „Ich habe dich für stärker gehalten.“ „Schweig!“ Zorks, oder war es Seths Stimme?, war von Wut zerfressen und für einen Moment fühlte Atemu Befriedigung. Unbeirrt fuhr er fort. „Ich weiß ganz genau, dass du Zork besiegen kannst! Also, warum tust du es nicht endlich? Bist du am Ende doch zu schwach? Zu feige? Was ist es, Seth?! Was...“ Ein plötzlicher Schmerz durchzuckte seinen Körper und Atemu keuchte fürchterlich. Doch noch bevor er sich wieder aufrichten konnte, fiel bereits ein Schatten über ihn und er erkannte Seth, der den Millenniumsstab fest in den Händen hielt. Der Pharao verzog das Gesicht. „Die Artefakte sind also wertlos für dich, huh? Davon sehe ich gerade aber nicht so viel. Genau genommen gar nichts.“ Zork fletschte die Zähne. „Zugegebenermaßen sind sie selbst für mich manchmal ganz nützlich. Insbesondere wenn es darum geht, einen lausigen Käfer zu zertreten, der zufälligerweise die Krone Ägyptens trägt. Und sobald deine Leiche erst einmal vor meinen Füßen liegt, werde ich mit Freuden zusehen, wie sich die Aasfresser an deinen kümmerlichen Überresten laben.“ Ein seltsames Gefühl machte sich in Atemus Inneren breit, eines, das nicht auf die Krämpfe zurückzuführen war, welche seinen Leib zum Schütteln brachten; eines, das auch nicht auf seinen Blessuren, Kratzern und Blutungen beruhte...nein, dieser Schmerz war nicht körperlich. „Dass er mich wirklich angreifen würde...nicht nur der Drache, aber auch er selber. Ich...Nein, diese Person hier ist nicht Seth. Nicht Seth erfreut sich an meinen Qualen. Nicht er wünscht sich meinen Tod. Nicht er....“ Nur warum dann tat ihm Seths Anblick trotzdem so furchtbar weh? „Seth...bitte. Ohne dich schaffe ich das hier nicht. Seth...“ „Och, wie rührend! Hat der kleine Pharao etwa immer noch nicht begriffen, dass es zwecklos ist? Wie naiv kann man eigentlich sein, hm?“ „H-hör auf...“ Trotzig reckte Atemu sein Kinn in die Höhe. „Hör auf von Dingen zu sprechen, von denen du keine Ahnung hast. Zork.“ Er stemmte seine zittrigen Arme in den Sand, richtete sich mühevoll auf und fixierte Seth eisern. „So behandelst du also Kisaras Opfer? Indem du ihr Ka, ihre Seele zu einem willenlosen Werkzeug machen lässt, das nur noch Tod und Zerstörung kennt? Bedankst du dich so für ihre Treue?! Ich dachte, sie würde dir mehr bedeuten. Vor allem aber dachte ich, du würdest dir mehr bedeuten! Stattdessen lässt du dich benutzen wie ein kleiner, dreckiger, wertloser Sklave!“ „SEI STILL, ATEMU!“ Mit einemmal stand Seth vor ihm; nicht mehr länger Zork, sondern wirklich Seth. Seine Augen waren erfüllt mit Zorn und dem Wunsch nach Rache; dennoch erlaubte sich Atemu den Luxus eines Lächelns. „Sieh mal einer an. Du kannst dich ja doch gegen Zork zur Wehr setzen. Bist gar nicht so schwach, wie ich schon angenommen hatte...“ Ein kräftiger Schlag ins Gesicht brachte ihn zum Schweigen. Seine Wange schmerzte und sein Kopf schwindelte, doch das war es Atemu wert gewesen. Denn zumindest für den Moment schien Zorks Kontrolle gebrochen. Jetzt musste Atemu nur dafür sorgen, dass das auch so blieb. „Nur noch ein bisschen...“ Sich ein letztes Mal aufraffend trat er gegen Seths Knie; sein Priester schwankte, fiel aber nicht hin und packte den jungen König am Kragen. Auch der Weiße Drache ging wieder in Angriffsstellung. Atemu biss sich auf die Lippen. Er wollte nicht schreien, doch irgendetwas in Seths Gesicht, vielleicht die Art, wie es so nüchtern und gleichgültig auf ihn herab starrte, ließ ihn seine Beherrschung völlig vergessen. „Tu es oder lass es, Seth! Entweder töte mich jetzt oder versuche es nie wieder. Aber dieses Hin und Her habe ich satt! Also, was darf es nun sein?!“ Seths Mimik spiegelte erst puren Ärger wider, dann Zweifel; das Blau seiner Augen wich wieder einem mörderischen Rot und Atemu verstand, was dies zu bedeuten hatte. Und dennoch schwieg er. Er hatte gesagt, was er wollte. Der Rest lag nun bei seinem Cousin und er hoffte inständig, dass Seth das Vertrauen, welches Atemu in ihn setzte, am Ende trotz allem nicht verraten würde. Einige Herzschläge lang rührte sich keiner und selbst der Drache schien wie mitten in der Bewegung erstarrt zu sein. Dann aber brüllte das Monster laut, öffnete sein Maul und auch Seth löste sich aus seiner Erstarrung. Atemu sah, wie Seth erneut zum Schlag ausholte, spürte den Luftzug der Bewegung, hörte seinen Priester vor Frustration und Rage undeutliche Worte zischen; beobachtete so viele verschiedene Gefühle in Seths Gesicht, dass er sie kaum noch benennen konnte. Und obwohl ihm bewusst war, dass Seths Schlag ihm den Kiefer brechen konnte, dass vielleicht gerade Zork selbst ihn zu töten versuchte, weigerte sich Atemu, auch nur die Augen zu schließen. Seths erster Hieb streckte ihn wieder zu Boden, der zweite brachte seine Unterlippe zum Platzen, der dritte ließ ihn schmerzvoll schreien. Doch noch immer wehrte er sich nicht. Nochmals hob Seth seine Hand, nochmals ließ er diesen seltsamen verärgerten Laut vernehmen; nochmals näherte sich seine Faust in rasender Geschwindigkeit Atemus Gesicht...und stoppte. Der Pharao atmete erleichtert auf. Es war vorbei. Kapitel 50: Das Ende, das ein Anfang war ---------------------------------------- AN: So, nach etwas längerer Pause melde ich mich mit dem letzten Kapitel zurück. Vornweg möchte ich anmerken, dass es nicht ganz kitschfrei (aber dafür recht ruhig) sein wird, aber nach den ganzen Toten und Kämpfen der letzten Kapitel, muss das jetzt mal erlaubt sein ^^° Ich habe auch einige Dinge bewusst offen gelassen, unter anderem bin ich nicht mehr tiefer auf die Cousinsache eingegangen. Zum einen, weil die Beiden momentan Dringeres zu bewältigen haben, zum anderen, weil Inzest (und Cousin/Cousine sind nach meinem letzten Wissensstand selbst nach dt. Recht erlaubt) damals die Norm war. Das Wichtigste aber: Ich möchte mich hiermit noch mal bei allen Lesern und vor allem für die tollen Kommentare bedanken! Ich weiß, die FF war lang, und umso mehr habe ich mich über das Feedback gefreut. ---------------------------------------------------- Kapitel 50 - Das Ende, das ein Anfang war Das Zimmer des Pharaos war dunkel und von der kalten Brise der Nacht erfüllt. Nur Seth bemerkte die Kühle auf seiner Haut kaum und obwohl er nach außen hin ruhig und gelassen wirkte, sah es in seinem Inneren dagegen völlig anders aus. „Ich hätte mich schon viel früher gegen Zork wehren müssen. Und das nicht nur zu Atemus Wohl. Auch Kisara habe ich hintergangen. Ich hätte nie den Drachen auf solch eine Art einsetzen dürfen. Aber was tat ich? Ich ließ mich von der fremden Macht blenden, von ihr leiten und verführen. Wie töricht ich doch war!“ Ein bitteres Lächeln legte sich auf seine Lippen. „Fast hätte ich den Pharao umgebracht und ohne ihn, ohne seine Worte, wäre ich immer noch unter der Kontrolle dieses Monsters. Verdammt dazu zuzusehen, ohne wirklich etwas sehen zu können; zu hören und sich doch so taub zu fühlen. Es war ein merkwürdiges Gefühl...diese Leere und Trostlosigkeit in meiner Seele.“ Allein die Erinnerung daran drehte ihm den Magen um. Er war sich vorgekommen wie tot. Wobei er nicht sicher war, ob es ihm jetzt wirklich besser ging. Immerhin, geplagt von Scham und Gewissensbissen, traute er sich kaum, den Pharao auch nur anzusehen, geschweige denn mit ihm zu reden. Und das Schlimmste war, dass Atemu ihm noch nicht einmal Vorwürfe machte. „Ich wünschte fast, es wäre anders. Mit Beschuldigungen kann ich leben, mit seiner stillschweigenden Vergebung aber nicht. Dabei wissen wir doch beide, dass meine Taten unverzeihlich sind. Und doch siehst du mir meine Fehler nach. Warum nur, Atemu?“ „Warum was?“ Erschrocken sah er auf und genau in Atemus lädiertes wie neugieriges Gesicht. Beschämt wandte er sich schnell wieder ab. „Ich frage mich, wie du mir so einfach vergeben konntest. Ich habe dich angegriffen, dich verletzt und doch klagst du mich nicht an.“ Seths ganze Gestalt schien in sich zusammengesunken und Atemu spürte ob des Anblicks einen Stich im Herzen. Seufzend und von den Nachwirkungen seines Kampfes mit Zork immer noch humpelnd, ließ er sich neben seinem Priester nieder. „Ich habe dir nicht verziehen, damit du dich nun von deinen Zweifeln und Unsicherheiten zerfressen lässt“, meinte er schließlich sachte und beobachtete aus den Augenwinkeln Seths leichtes Zusammenzucken. Eine Weile schien sich Seth die Worte des Pharaos durch den Kopf gehen zu lassen, doch offensichtlich kam er zu keinem befriedigenden Ergebnis, denn nur einen Moment später wiederholte er seine Frage, wenngleich diesmal etwas sicherer: „Aber warum hast du mir vergeben? Mehr will ich ja auch gar nicht wissen. Nur das ‚warum’.“ Atemu atmete tief. „Ich könnte dir jetzt so viele Dinge sagen; nur, dass ich das nicht tun werde. Stattdessen aber stelle ich dir eine Gegenfrage und hoffe, dass du dadurch deine Antwort selber findest.“ Er sah seinen Priester offen an. „Hast du mir verziehen, dass ich mit dir geschlafen habe?“ Er deutete auf das prunkvolle, große Bett vor ihnen und ließ sich darauf nieder. Seth folgte ihm nach einigem Zögern. Der Pharao lächelte schwach. „Es sind keine Wachen da. Du kannst also ehrlich mit mir sein. Ich...in gewissem Sinne habe ich dich ausgenutzt. Deine Trauer...“ Er seufzte. „Ich weiß es doch. Und trotzdem möchte ich von dir wissen: Hältst du mir das vor?“ Seth überlegte lange, doch schließlich hatte er seine Antwort gefunden. „Nein, keine Vorwürfe“, meinte er langsam und seine Augen weiteten sich vor Überraschung. Es war das erste Mal, dass er es sich selber eingestand, aber er bereute diese Nacht wirklich nicht. Niemand, dem er die Schuld zuweisen wollte; nicht sich selbst und auch nicht Atemu. Niemand, vor dem er sich für das, was geschehen war, rechtfertigen musste; niemand, den er um Verzeihung zu bitten hatte. Denn es gab nichts zu entschuldigen. Er spürte ein Gefühl aufrichtiger Verwunderung in sich. „Ich habe dich mindestens genauso ausgenutzt, wie du mich.“ Er grinste matt. „Ich würde sagen, wir sind quitt. Aber was ist mir dir, bereust du es?“ „Nein, das tue ich nicht.“ Das war prompt und Seth beschlich das Gefühl, dass sich der Pharao schon vorher diese Frage gestellt hatte. Lächelnd fuhr Atemu fort: „Ich bereue die Umstände, die zu unserer ersten, vielleicht auch letzten gemeinsamen Nacht führten. Doch was ich niemals bedauern könnte, ist diese Nacht an sich, was zwischen uns passiert ist.“ „Ich habe versucht, dich zu töten. Das ist auch passiert“, warf Seth leise ein und Atemu unterdrückte ein Seufzen. Noch während er über die beste Erwiderung nachdachte, kamen ihm plötzlich Zorks Worte in den Sinn und ließen ihn schaudern. „Bin ich wirklich wie Zork? Wie er habe ich Leben auf dem Gewissen und werde es vermutlich auch zukünftig haben.“ Aber hörten da nicht ihre Gemeinsamkeiten auf? Zork tötete aus Lust und Laune und obwohl es vieles gab, auf das Atemu rückblickend nicht stolz sein konnte, so hatte er doch niemals dabei das gleiche kranke Vergnügen gespürt wie dieses Monstrum. Davon aber mal abgesehen, wartete Seth auf eine Antwort. Seine Überlegungen würde Atemu auf später verschieben müssen. „Wir haben beide schlimme Fehler begangen und ich kann nicht garantieren, dass sie unsere letzten sein werden. Wir sind leider nicht perfekt“, antwortete er und spürte, wie sich Seth an seiner Seite versteifte. „In dem Fall“, brummte sein Priester schließlich, „und wenn man bedenkt, dass du der Pharao bist und ich dein oberster Berater, bin ich geneigt für Ägyptens Zukunft schwarz zu sehen.“ Seths Tonfall war so trocken, dass sich Atemu ein Lachen nicht verkneifen konnte. „So schlimm wird es schon nicht werden“, beruhigte er und legte seine Hände in Seths, wobei er den hässlichen roten Einschnitt auf dessen Handgelenk bewusst ignorierte. „Ich glaube fest daran, dass wir beide lernfähig sind. Und zur Not sind auch noch Shada, Karim und Isis da. Zumindest von letzterer bin ich überzeugt, dass sie uns schon die Leviten lesen wird, wenn wir über die Stränge schlagen.“ „Mm...“ Ein wenig hilflos zuckte Seth mit den Schultern. „Und, nun ja, wie geht es jetzt mit uns weiter?“ Der Pharao beugte sich vor, nahm Seths Gesicht zwischen seine Hände und küsste ihn sachte. „Ich weiß es nicht“, murmelte er bedächtig. „Aber ich will nicht, dass es vorbei ist.“ Erneut presste er ihre Lippen aufeinander, die Berührung federleicht und zärtlich und so ganz anders als die Küsse aus der Nacht, als sie miteinander geschlafen hatten. Dieser hier war ehrlicher, intensiver und vor allem voller Gefühl. „Ich will nicht, dass es vorbei ist“, wiederholte er ruhig. Seth schnaubte. „Ich doch genauso wenig.“ Aber was er laut sagte, war stattdessen nur: „Und warum nicht?“ Eigentlich wusste er, warum. Das änderte aber nichts an der Tatsache, dass er es trotzdem hören wollte. Nicht gleich die ganze Wahrheit, aber zumindest doch die halbe. Die ganze Wahrheit wäre zu gefährlich, zu endgültig und Seth glaubte nicht, dass er jetzt damit umgehen konnte; nicht so kurz nach Kisaras Tod. Und Atemu durchschaute ihn sofort. „Weil du mir wichtig bist und weil du...mir sehr viel bedeutest.“ Er drehte sich etwas von Seth weg; konzentrierte sich auf den Nachthimmel und den Mond, der schwach leuchtete und bläuliche, geisterhafte Schatten in das Zimmer warf. „Weil du mir sehr viel bedeutest. Nein, mehr noch, weil ich dich liebe. Hoffentlich habe ich irgendwann den Mut, dir diese Worte zu sagen. Und du die Courage, sie dir auch anzuhören.“ Dann wiederum...möglicherweise waren diese Worte gar nicht mehr nötig. Sie wussten auch so bereits Bescheid. Langsam ließ er sich nach hinten sinken, direkt in Seths Arme, die ihn fest umfingen und an sich drückten und den Eindruck machten, als würden sie ihn nie wieder loslassen wollen. Und dann noch Seths warmer Körper, das sanfte Heben und Fallen von seiner Brust, sein leises, zufriedenes Seufzen...Lächelnd schloss Atemu die Augen. Nur Seth betrachtete weiterhin die Nacht; lauschte dem nun einsetzenden, sanften Plätschern und den herab fallenden Tropfen. „Er weiß nun, dass Aknadin mein Vater ist...war; dass ich ihn, wenn auch gegen meinen Willen, hintergangen habe. Hat am eigenen Leib spüren müssen, wie schwach ich sein kann und dass ich ihn aufgrund dieser Schwäche fast getötet hätte. Und es ist ihm egal.“ Sein Gesicht nahm einen verklärten Ausdruck an. „Ja, er hat meinen Namen wirklich passend gewählt. Seth, der den Horus, den Pharao zu töten versuchte. Wie er wohl reagiert, wenn er erfährt, dass Seth auch mein wirklicher Name ist; der Name, den mir Aknadin gab?“ Er schnaubte. Das war eine Unterhaltung, von der er nicht sicher war, dass er sie überhaupt jemals führen wollte. Und doch: „Irgendwann werde ich es ihm sagen. Aber nicht heute. Nein, für heute...ist es gut, so wie es ist.“ Sein Gesicht in Atemus Haaren vergrabend, ließ nun auch er sich von seiner Müdigkeit übermannen; das schwache Geräusch von Wasser, welches von den Steinen des Palastes und der Brüstung des Balkons abprallte noch lange in seinen Ohren klingend. Ein stetiges, leises Platschen, das allmählich stärker wurde. Es regnete. - Ende - Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)