Mein lieber Joey von Karma (Seto x Joey) ================================================================================ Loveletter ---------- Mein lieber Joey! Ich weiss, es wird Dir sicher mehr als seltsam vorkommen, dass ich Dir schreibe, aber Du kannst mir glauben, dass ich es nicht weniger verwunderlich finde als Du. Ich sitze hier in meinem Hotelzimmer, bin seit mehr als sechs Wochen nicht zu Hause gewesen und halte es vor Sehnsucht nach Dir kaum noch aus. Du fehlst mir so sehr, dass ich mir nicht anders zu helfen wusste, als Dir zu schreiben, denn immerhin befinde ich mich gerade am anderen Ende der Welt und ich möchte Dich keinesfalls durch einen Anruf wecken, falls Du schon schlafen solltest. Ausserdem glaube ich auch nicht, dass ich den Mut hätte, Dir das, was ich im Augenblick denke und fühle, persönlich zu sagen – auch wenn es nur über das Telefon ist. Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich diesen Brief überhaupt abschicken oder Dir zu lesen geben werde, wenn ich erst wieder zu Hause bin – Du kennst mich lange und gut genug, um zu wissen, wie sehr ich es hasse, über meine Gefühle zu sprechen –, aber jetzt, da ich mit dem Schreiben angefangen habe, werde ich auch weitermachen. Für heute ist schliesslich schon alles unter Dach und Fach und ich habe weder Wichtigeres noch Besseres zu tun, als Dir diesen Brief zu schreiben. Ich weiss, bis jetzt habe ich noch nicht wirklich viel gesagt, obwohl ich bereits so viele Worte zu Papier gebracht habe. Ich wusste gar nicht, dass ich auch zu der Sorte Mensch gehöre, die redet und redet – oder vielmehr schreibt und schreibt –, ohne wirklich zum Kern der Sache zu kommen und das auszudrücken, was sie eigentlich sagen beziehungsweise schreiben wollen. Eigentlich verachte ich solche Menschen – Du weisst, was ich von Schwätzern halte –, doch im Moment bin ich selbst, wie ich zu meiner Schande gestehen muss, keinen Deut besser. Weisst Du, Joey, eigentlich habe ich diesen Brief angefangen, um Dir endlich einmal zu sagen, wie viel Du mir bedeutest. Ich weiss, dass ich Dir hin und wieder – nicht sehr oft, dessen bin ich mir durchaus bewusst – sage, dass ich Dich liebe, aber diese drei Worte erscheinen mir jedes Mal, wenn ich sie ausspreche, viel zu banal und zu schwach für das, was ich Dir eigentlich sagen will. Verstehst Du, was ich meine? Sicher nicht, oder? Schon wieder mache ich zu viele Worte, wo ich sonst eher dazu neige, zu wenige zu machen. Bitte verzeih. In den vergangenen zehn Jahren bist Du für mich – neben meinem Bruder – der wichtigste Mensch in meinem Leben geworden. Ich weiss, dass es nicht immer leicht für Dich war, mich zu lieben und mit mir zu leben, und ich glaube, Du ahnst nicht im Geringsten, wie viel es mir bedeutet, dass Du trotz all meiner schlechten Eigenschaften – und ich habe viele, das weiss ich sehr wohl – immer für mich da gewesen bist und mir zur Seite gestanden hast. Ich weiss, dass Du meinetwegen oft schwere Zeiten und sogar hin und wieder Streit mit Deinen Freunden hattest, doch Du hast Dich nicht ein einziges Mal beschwert oder mir die Schuld dafür gegeben – und das, obwohl es doch meine Schuld war. Ich hätte es niemals für möglich gehalten, dass ausgerechnet Du so geduldig sein könntest. Schliesslich bist Du eigentlich eher ein entsetzlich sturer, chaotischer Hitzkopf, aber ich glaube, ich habe es zu einem nicht unbeträchtlichen Teil eben dieser Sturheit zu verdanken, dass Du auch nach all den Jahren noch immer bei mir bist und fest zu mir stehst. "Mich wirst Du nicht mehr los, Seto." Erinnerst Du Dich? Genau das hast Du nach unserem ersten Streit zu mir gesagt, als ich dachte, Du würdest Dich von mir trennen und mich nie wieder sehen wollen. Und auch wenn ich es damals nicht gezeigt und es Dir auch niemals gesagt habe, ich war froh darüber, dass Du so gedacht hast und immer noch denkst. Ich hatte – und habe auch heute noch – entsetzliche Angst davor, Dich zu verlieren, Joey. Ich weiss, ich habe mich in der ganzen Zeit, die wir jetzt schon zusammen sind, nicht ein einziges Mal für all die Opfer bedankt, die Du meinetwegen gebracht hast. Bitte glaub nicht, dass ich nicht von den Beleidigungen und Anfeindungen weiss, denen Du Dich tagtäglich gegenübersiehst – nur, weil Du der Mann an meiner Seite bist. Ich bedaure zutiefst, dass ich Dir all diese Kränkungen und Gemeinheiten nicht ersparen konnte. Ich habe mich wirklich bemüht, unsere Beziehung nicht in die Öffentlichkeit zu tragen – nicht, weil Du mir peinlich bist, sondern weil ich nicht wollte, dass Du unter meiner Bekanntheit zu leiden hast. Unglücklicherweise ist mir das nicht gelungen, aber nicht einmal das wirfst Du mir vor. "Ist doch nicht Deine Schuld, Seto.", hast Du damals mit einem Achselzucken zu mir gesagt, als Du die Fotos von uns in der Zeitung gesehen hast. Ich erinnere mich noch daran, als wäre es erst gestern gewesen, dabei ist auch da inzwischen schon mehr als vier Jahre her. Beinahe volle sechs Jahre lang haben wir es geschafft, unsere Gefühle füreinander vor dem Rest der Welt zu verstecken. Wenn ich ehrlich bin, habe ich anfangs nicht damit gerechnet, dass Du es schaffen würdest, über uns beide zu schweigen – und das, obwohl Du mir Dein Wort darauf gegeben hast. Ich habe Dir nicht vertraut und das bedaure ich heute noch zutiefst. Schliesslich hast Du niemals eines Deiner Versprechen gebrochen – egal, wem Du es gegeben hast und was es Dich auch gekostet hat. Ich hätte Dir vertrauen müssen, aber ich konnte es nicht. Ich hatte einfach zu große Angst. Ja, es ist wahr. Und es fällt mir nicht leicht, das zuzugeben. Vielleicht ist es doch gut, dass ich mich entschlossen habe, Dir zu schreiben, anstatt Dich anzurufen. Ich könnte Dir all das, was ich geschrieben habe, niemals persönlich sagen. Du kennst mich ja, nicht wahr? So bin ich eben. Aber nur, weil ich nicht darüber spreche, heisst das nicht, dass es nicht die Wahrheit ist. Ich liebe Dich auch nach all der Zeit, die inzwischen vergangen ist, kein bisschen weniger als an dem Tag, an dem ich endlich all meinen Mut zusammengenommen und Dir meine Gefühle gestanden habe. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie nervös ich war. Kein Meeting, keine Konferenz und keine geschäftliche Verpflichtung hat mich jemals so aus der Bahn geworfen wie Du. Und daran hat sich bis heute nichts geändert. Im Gegenteil: Im Laufe der Jahre sind meine Gefühle für Dich nur stärker und tiefer geworden. Weisst Du eigentlich, wie glücklich Du mich gemacht hast, als Du mir gesagt hast, dass Du mich auch liebst? Ich weiss, ich habe es Dir nie gesagt, aber es ist so. Ich habe wochenlang darüber nachgegrübelt, ob Deine Blicke, mit denen Du mich in unserem letzten Schuljahr bedacht hast, eine Bedeutung hatten oder nicht. Wie oft habe ich mich damals in Deinen schönen braunen Augen verloren? Und wie oft habe ich mir gewünscht, dass Du auch etwas für mich empfinden würdest – etwas Anderes als den Hass, der früher zwischen uns war? Ich weiss es nicht mehr. Und heute ist das – zum Glück! – auch nicht mehr wichtig, denn jetzt weiss ich, dass Du mich liebst. Und auch, wenn ich es Dir nicht sehr oft sage – und es Dich wahrscheinlich noch sehr viel seltener spüren lasse –, hoffe ich, dass Du trotzdem weisst, wie sehr ich Dich liebe und wie froh ich bin, dass Du es immer noch mit mir aushältst. Weisst Du, woran ich mich gerade erinnert habe? An den ersten Abend, den wir gemeinsam und als Paar in der Öffentlichkeit verbracht haben. Normalerweise neige ich zwar dazu, diese Wohltätigkeitsbankette schnell wieder zu vergessen, aber an diesen einen Abend werde ich mich wohl für den Rest meines Lebens erinnern. Wer hätte gedacht, dass Du jemals freiwillig – nun ja, mehr oder weniger freiwillig zumindest – einen Anzug tragen würdest? Ich hätte nicht damit gerechnet. Und ich hätte weder erwartet, dass Mokuba Dich dazu überreden kann, noch dass Du darin so eine gute Figur machen würdest. Ich weiss noch sehr genau, dass ich nicht der Einzige war, der das so empfand. Die bewundernden Blicke, die Du auf Dich gezogen hast, werde ich wohl ebenso wenig vergessen wie meine Eifersucht. Am Liebsten wäre ich auf der Stelle wieder mit Dir nach Hause gefahren, als ich gesehen habe, wie viele Leute Dich angestarrt haben und welcher Art die Blicke waren, die sie Dir zugeworfen haben. Das hättest Du nicht gedacht, was, Joey? Noch ein Geheimnis, das ich all die Jahre vor Dir hatte. Ich war eifersüchtig – und das bin ich bis heute. Noch immer stört es mich, wenn Dich ein Anderer als ich so ansieht. Erinnerst Du Dich noch an das Foto von uns, das damals entstanden ist? Sicher wirst Du Dich noch daran erinnern – schliesslich hast Du es am nächsten Tag aus der Zeitung ausgeschnitten, eingerahmt und in mein Büro geschmuggelt. Mokuba hat zwar behauptet, er wäre es gewesen, aber ich weiss, dass Du es warst. Immerhin wird die Kaiba Corporation videoüberwacht. Und weder Du noch mein kleiner Bruder – obwohl ich ihn wohl nicht mehr so nennen kann, ist er doch inzwischen fast so groß wie ich – habt daran gedacht, das Video zu löschen. War das Absicht oder habt ihr es wirklich vergessen? Was es auch war, ich habe jedenfalls gesehen, wie Du Dich in mein Büro geschlichen und das Bild auf meinem Schreibtisch platziert hast – immer darauf bedacht, meinem Laptop ja nicht zu nahe zu kommen, um ihn nicht zu beschädigen. Damit hast Du nicht gerechnet, nicht wahr? Ich glaube fast, Dein erschrockenes Gesicht vor mir zu sehen, wenn Du diese Zeilen liest. Ja, ich habe es all die Jahre gewusst, aber ich habe geschwiegen, denn ich wollte euch Beiden den Triumph lassen, mich ein Mal hinters Licht geführt zu haben. Aber das ist noch lange nicht alles, was Du nicht von mir weisst. Da gibt es noch eine Sache, die ich Dir niemals erzählt habe: Ich habe dieses Bild immer noch – sicher verwahrt in einer Schublade meines Schreibtisches, zu der nur ich den Schlüssel habe. Roland weiss nicht, was ich dort aufbewahre, ja, nicht einmal Mokuba hat eine Ahnung, was sich darin befindet – obwohl er weiss Gott oft genug versucht hat, es herauszufinden. Aber der Inhalt dieser einen Schublade war mein kleines Geheimnis – bis jetzt. Von jetzt an ist es unser Geheimnis. Ich hoffe, Du behältst es für Dich. Mein Bruder muss nun wirklich nicht alles wissen. Wo ich gerade schon dabei bin, so ehrlich zu sein und Dir einige meiner am besten gehüteten Geheimnisse zu erzählen: Wann immer ich etwas Zeit übrig habe und ungestört bin zwischen meinen Meetings und Verträgen, öffne ich diese Schublade, nehme das Bild heraus und betrachte es. Und auch wenn es mir damals doch sehr unangenehm war, dass Du mich plötzlich vor all diesen Kameras und den Menschen, die um uns herumstanden, einfach so geküsst hast, so bringt mich die Erinnerung daran heute zum Schmunzeln. Du hast es immer wieder geschafft, mich zu überraschen, und daran hat sich bis heute nichts geändert. Noch immer bist Du so spontan und unberechenbar wie schon früher in der Schule warst – das genaue Gegenteil zu mir. Vielleicht ist das Sprichwort, das behauptet, Gegensätze würden sich anziehen, wirklich wahr. Auf uns beide trifft es zumindest zu, findest Du nicht auch? Auch wenn ich es niemals zugegeben habe: Für Deine Spontaneität habe ich Dich immer bewundert. Und auch wenn ich mich immer wieder darüber beschwere, wenn Du mich plötzlich und ohne Vorwarnung überfällst: Bitte hör niemals damit auf! Das ist mein voller Ernst, Joey! In den letzten zehn Jahren habe ich festgestellt, dass es mir gefällt. Sicher glaubst Du jetzt, dass ich betrunken bin, weil ich so etwas schreibe, aber es ist die Wahrheit. Ich habe begriffen, dass ich Deine verrückten Einfälle brauche – und dass ich Dich brauche. Ich brauche Dich, Joey. Mir ist klargeworden, dass ich mir ein Leben ohne Dich einfach nicht mehr vorstellen kann. Und das will ich auch gar nicht. Ich will gar nicht daran denken, wie Alles wohl ohne Dich wäre. Du hast mein Leben auf so viele Arten bereichert und bist so sehr ein Teil von mir geworden, dass mir das Beste fehlen würde, wenn Du nicht mehr da wärst. Ich weiss, es klingt seltsam, wenn ausgerechnet ich das sage, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass ich ohne Dich nicht mehr leben will. Ich will nie wieder abends alleine ins Bett gehen oder morgens aufwachen, ohne dass mich Deine Haare in der Nase kitzeln, weil Du Deinen Kopf im Schlaf auf meiner Schulter gebettet hast. Weisst Du, wie oft ich morgens eine halbe Stunde oder länger wachliege und Dir beim Schlafen zusehe? Das hättest Du nicht erwartet, oder? Aber es ist wahr. Manchmal liege ich einfach nur neben Dir, sehe Dich an, lausche Deinem Atem und Deinem Herzschlag und beglückwünsche mich selbst dazu, dass ich der Mann bin, den Du liebst. Erinnerst Du Dich noch an unseren ersten Kuss? Damals, in der Schule, hinter der Sporthalle? Ich habe die ganze Zeit gefürchtet, dass jemand kommen und uns so sehen könnte – aber nur bis zu dem Moment, in dem ich plötzlich Deine Lippen auf meinen fühlte. Ich glaube, das war das erste Mal in meinem Leben, dass ich wirklich an nichts mehr gedacht habe. Ich habe zum allerersten Mal nicht nach meinem Kopf handeln können, weil mein Kopf wie leergefegt war. Ich konnte nur noch fühlen – Deine Wärme, Deine Lippen, Deinen Atem, Dich. Und es war unbeschreiblich schön Habe ich Dir jemals erzählt, dass dieser Kuss mein erster war? Sicher nicht, aber ich denke, Du weisst das – so, wie Du auch weisst, dass Du bei Allem der Erste für mich warst. Und Du bist bis heute auch der Einzige geblieben. Ich habe niemals das Verlangen danach gespürt, einen Anderen – oder gar eine Frau – so im Arm zu halten wie Dich. Ich bin mir sicher, Du weisst das, aber ich wollte es Dir trotzdem sagen. Ich liebe nur Dich und ich brauche nur Dich. Ich könnte Dich niemals betrügen, denn dafür bist Du mir zu wichtig. Ich will Dir nicht wehtun – auch wenn ich es sicher oft tue, egal ob bewusst oder unbewusst. Aber bitte glaub mir, Joey, dass ich Dich auf keinen Fall verletzen will. Dafür bedeutest Du mir viel zu viel. Inzwischen ist es schon weit nach Mitternacht – habe ich tatsächlich mehr als drei Stunden damit verbracht, Dir zu schreiben? Nun, zumindest scheint so, denn es war nicht einmal neun Uhr, als ich damit angefangen habe. Langsam sollte ich also zum Schluss kommen, denn ich habe morgen – oder eher nachher – einen langen, langweiligen Tag voller Konferenzen vor mir. Dabei wäre ich am Liebsten zu Hause bei Dir. Klingt seltsam, wenn ich das sage, nicht wahr? Trotzdem ist es so. Ich habe die letzten drei Stunden damit zugebracht, an Dich zu denken und mich an die vielen kleinen Dinge zu erinnern, die ich an Dir so liebe und soll ich Dir etwas sagen? Ich kann einfach nicht mehr aufhören zu lächeln. Das ist etwas, das mir immer passiert, wenn ich an Dich denke. Erinnerst Du Dich noch daran, wie Du mir vor Jahren – ganz am Anfang unserer Beziehung – gesagt hast, dass Du es magst, wenn ich lächle? Ich glaube, ich werde diesen Moment nie vergessen. Wir haben gemeinsam im Wohnzimmer gesessen – Mokuba und Du auf dem Boden und ich hinter Dir auf der Couch – und ich habe euch beiden dabei zugesehen, wie Du bei irgendeinem Videospiel gegen meinen Bruder gespielt und verloren hast. Du hast die Arme vor der Brust verschränkt und Deine Unterlippe vorgeschoben – ich liebe es, wenn Du das tust! – und ich habe euch schmunzelnd beobachtet. Ich habe nicht bemerkt, dass Du mich angesehen hast – bis Du mich angesprochen hast. "Mach das noch mal, Seto.", hast Du verlangt und ich habe Dich irritiert angesehen. "Was denn?", habe ich Dich gefragt und Du hast mich angegrinst. "Na das, was Du eben gemacht hast! Du hast gelächelt. Mach das noch mal. Das steht Dir.", hast Du geantwortet, bist aufgestanden und hast Dich auf meinen Schoss gesetzt. Dann hast Du mich geküsst und mir genau in die Augen gesehen. "Ich liebe es, wenn Du lächelst, Seto. Und ich liebe Dich.", hast Du leise gesagt und in diesem Moment war ich so unglaublich glücklich, dass ich die ganze Welt hätte umarmen können. Es gibt so unendlich viele Dinge – kleine Dinge –, an die ich mich jetzt, wo ich Dir schreibe, ganz plötzlich wieder erinnere. Vielleicht liegt das daran, dass ich gerade einfach nichts Anderes zu tun habe, als an Dich zu denken. Und wenn ich ehrlich bin, gibt es im Augenblick auch absolut nichts, was ich lieber tun würde. Doch, wenn ich genau darüber nachdenke, gibt es eine Sache, die mir jetzt lieber wäre als an Dich zu denken. Ich wäre jetzt lieber bei Dir, würde Dich in den Arm nehmen, küssen und – ja, mit Dir schlafen. Das ist auch etwas, das ich vermisse. Ich weiss, wir sprechen nicht oft darüber – es ist erstaunlich, wie sehr wir uns inzwischen auch ohne Worte verstehen –, aber es ist immer wieder schön, Dir so nah sein zu können – eins mit Dir zu sein. Ja, ich bin mir dessen bewusst, dass ich heute eine Menge seltsame Dinge schreibe, aber ich kann nichts daran ändern. Vielleicht sind wir inzwischen einfach schon zu lange voneinander getrennt und ich werde deshalb melancholisch, aber ich vermisse Dich wirklich. Ich habe mehrmals in den letzten Tagen ernsthaft in Erwägung gezogen, meine Geschäftsreise abzubrechen und auf dem schnellsten Weg zu Dir zurückzufliegen, aber Du kennst mich und weisst, wie ich dazu stehe. Trotzdem – alleine die Überlegung, alles stehen und liegen zu lassen, nur um wieder bei Dir sein zu können, ist so absolut und vollkommen untypisch für den Seto Kaiba, der ich früher war, dass ich mir ein kurzes Lachen nicht verkneifen kann. Siehst Du, wie sehr Du mich verändert hast? Früher habe ich meinen Bruder oft wochenlang nicht gesehen, aber erst seit Du bei mir bist, weiss ich wirklich, wie schön es ist, nach Hause zu kommen. Das bedeutet keinesfalls, dass ich Mokuba nicht vermisse, aber das ist doch etwas völlig Anderes. Mokuba ist mein Bruder und war lange Zeit meine einzige Familie, aber das ist er lange schon nicht mehr. Inzwischen ist meine Familie größer geworden, denn Du – und auch Deine kleine Schwester – gehörst einfach dazu. Früher hätte ich das niemals für möglich gehalten, aber heute geniesse ich es. Und auch wenn es bei den Geburtstagen immer sehr voll bei uns wird und sehr laut zugeht, so möchte ich doch auch das nicht mehr missen. Du siehst, ich habe mich in den letzten zehn Jahren an viele Dinge gewöhnt, die früher für mich undenkbar gewesen wären. Aber ich bin nicht der Einzige von uns, der sich verändert hat. Auch Du hast Dich verändert. Du hast Dich nicht nur im letzten Schuljahr aufgerafft und Dir Mühe gegeben, einen guten Abschluss zu machen, sondern Dich danach auch noch entschlossen, zu studieren. Ehrlich gesagt war ich anfangs etwas überrascht, als Du mir davon erzählt hast, was Du beruflich machen willst – die Vorstellung von Dir als Lehrer war, wie Du selbst zugeben musst, wirklich etwas seltsam –, aber ich bin wirklich stolz darauf, dass Du es geschafft hast. Und ich werde sicher nie die Gesichter Deiner Freunde vergessen, als Du ihnen erzählt hast, dass Du auf Lehramt studieren willst. Ich bin noch heute froh, dass ich dabei war, als Du es ihnen gesagt hast. Ich glaube, ich habe selten etwas Lustigeres gesehen. Und denk nicht einmal daran, mir jetzt einen Vorwurf zu machen – Du warst Derjenige von uns, der laut gelacht hat, nicht ich! Inzwischen ist es zwanzig Minuten vor zwei Uhr morgens. Ist es nicht erstaunlich, wie schnell die Zeit vergeht? Ich hätte nie gedacht, dass ausgerechnet ich einmal Stunden über Stunden damit verbringen würde, einen Brief zu schreiben, aber es ist so. Je mehr ich schreibe, desto mehr Dinge aus unserer gemeinsamen Vergangenheit fallen mir ein. Wahrscheinlich könnte ich bis zu meinem nächsten Termin einfach weiterschreiben und würde nicht einmal bemerken, wie viele Stunden ich bereits damit beschäftigt bin, diesen Brief zu schreiben. Aber ich denke, es wäre besser, das nicht zu tun. Weisst Du, was ich wirklich bedaure? Ich bedaure es, dass im Augenblick keine Ferien sind. Wären jetzt Ferien, würde ich Dir schnellstmöglich ein Ticket schicken, damit Du herkommen kannst. Siehst Du, wie sehr ich Dich vermisse? Eigentlich sollte ich schon seit ein paar Stunden schlafen, aber mir graut davor, mich in das leere Bett zu legen. Seit sechs Wochen habe ich nicht mehr richtig geschlafen. Ich weiss, was Du jetzt denkst, aber es liegt nicht an den Hotelbetten. Nein, es liegt an Dir. Ich schlafe nie besonders gut, wenn Du nicht bei mir bist. Das hast Du nicht erwartet, oder? Aber es ist die Wahrheit. Ich schlafe nur wirklich gut und entspannt, wenn ich Dich dabei im Arm halten kann. Vielleicht sollte ich es trotzdem wenigstens versuchen. Kannst Du Dir die Schlagzeile vorstellen, wenn ich unausgeschlafen oder gar zu spät zu meinem nächsten Termin morgen – nein, heute – komme? Das wäre ein Skandal! Ich weiss nicht, ob es an der voranschreitenden Zeit oder an meiner Müdigkeit liegt oder eben daran, dass ich Dich so unglaublich vermisse, aber der Wunsch, einfach meine Koffer zu packen und nach Hause zu kommen, wird immer größer. Ich will Dich endlich wiedersehen, Dich wieder in die Arme schliessen und Dich wieder küssen können. Ich will bei Dir sein! Kommt es mir nur so vor oder höre ich mich tatsächlich an wie ein trotziges Kleinkind? Egal ob es Einbildung ist oder nicht, es ist in jedem Fall ein deutliches Zeichen dafür, dass ich jetzt wirklich ins Bett gehen und versuchen sollte, wenigstens noch ein paar Stunden Schlaf zu bekommen, bevor ich zu meinem nächsten Meeting muss. Dabei sollte ich die Tatsache, dass ich noch mindestens zwei Wochen unterwegs sein werde, in den hintersten Winkel meines Bewusstseins verdrängen, denn wenn ich darüber nachdenke, dass ich Dich so lange nicht sehen werde, weiss ich, dass ich ganz sicher keinen Schlaf finden werde. So schwer es mir auch fällt, an dieser Stelle aufzuhören, habe ich doch beschlossen, es zu tun. Je länger ich schreibe, desto größer wird meine Sehnsucht nach Dir, also werde ich diesen Brief jetzt beenden und versuchen, noch etwas zu schlafen. Sei Dir sicher, dass ich von Dir träumen werde, denn das tue ich immer, wenn ich nicht bei Dir bin, Joey. Das ist schon immer so gewesen und ich glaube nicht, dass sich das jemals ändern wird. Nicht, dass ich das wollen würde. Ich träume gerne von Dir. Das Einzige, was besser ist als diese Träume, ist, wenn Du bei mir bist. Und ich freue mich jetzt schon auf den Tag, an dem ich endlich wieder bei Dir sein kann und Dich nicht mehr vermissen muss. Seto P.S.: Ich liebe dich! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)