A Song for you! von DraySama ================================================================================ Kapitel 1: Meer ich komme! -------------------------- Gackt und Hyde und natürlich auch alle anderen gehören nur sich selbst, ich hab sie mir ausgeliehen und mit die Worte aus den Fingern gesaugt :-) Viel Spass beim Lesen! A Song for you… Endlich Ferien! Gackt konnte es nicht glauben, dass er sich von seinem besten Freund You überreden hatte lassen Ferien am Meer zu machen. Er blickte auf den Ozean hinaus, das Azurblau war gesprenkelt mit bunten Surfsegeln und unzähligen Booten, die weiße Schaumschleppen hinter sich herzogen. „Ein Ehebett, oh Gackto, willst du mein Mann sein in den Ferien?“ Der Schwarzhaarige hörte nicht hin, es war irgendwie logisch, dass You an allem herummeckerte, da der Größere von beiden nicht in ein Luxushotel gewollt hatte. Er hatte nicht erwartet, dass Gackt einen kleinen Bungalow mietete. „Links oder Rechts?“, erkundigte sich der Japaner gnädig, nachdem er beiden Seiten der Matratze ausprobiert hatte. „Mir egal“, antwortete Gackt, den Blick noch immer auf das Meer gerichtet. Zu Hause hatte es geregnet, als sie ins Flugzeug gestiegen waren. Es war einer dieser endlosen kühlen Landregen, die einen Augusttag in etwas Grässliches, Kaltes und Unangenehmes verwandeln konnten. Kaum zu glauben, dass hier die Sonne vom Himmel brannte und die Infotafel an der Rezeption Wassertemperaturen von 25 Grad versprach. „Ich nehme links“, verkündete You fröhlich. „Da ist eine Steckdose für meinen Mp 3 Player. Willst du nicht auspacken statt ein Loch in die Luft zu starren?“ Der Schwarzhaarige wandte sich zu seinem Freund um, der freudig abwartend auf dem Bett kniete, als er ihn endlich ansah, sprang er auf und fiel dem größeren Japaner um den Hals. „Danke, dass wir Urlaub machen, vor allem, dass du mit mir mitgekommen bist.“ „Ist schon gut.“ „Ich geh also an den Pool!“ Verwundert sah er seinem Freund nach, wie er das Hotelzimmer verließ, es war unglaublich, wie schnell dieser umgezogen gewesen war. Gut, wenn man bedachte, dass er den ganzen Flug von dem Pool geschwärmt hatte, was Gackt nicht verstehen konnte, denn das Meer sah viel einladender aus. Er packte also seine Kleidung ordentlich in den Schrank und räumte das Chaos von You zur Seite, dann zog er sich bequemere Sachen an und gab schlussendlich den Bungalowschlüssel an der Rezeption ab. Er wollte eine Runde durch das Dorf drehen, er mochte es nicht, dass der Strand so überfüllt war, er würde sich erst am Abend ein Sprung in das kühle Nass erlauben. Das Städtchen war romantisch, klein und verträumt. Richtig malerisch. Gackt liess sich in einem kleinen Cafe nieder, um einen Kaffe zutrinken und die Touristen dabei zu beobachten, wie sie die Souvenirläden plünderten. Gegen den Abend kehrte er gutgelaunt und relaxt in das Strandrestaurant ein, welches You bei der Ankunft gesehen hatte. Sein Freund saß schon am Tisch und hatte ein Glas Wein vor sich. „Ich habe mir erlaubt dir auch eines zu bestellen und ich habe gehört, dass die hier hervorragende Pizza haben.“ „Na dann, versuchen wir die doch mal, bestellst du mir eine mit?“ „Natürlich.“ Als die Kellnerin an ihren Tisch trat, bestelle You zwei von den runden Teigdingern. Der Abend blieb entspannt und Ga-Chan lauschte den Ausführungen von seinem Freund, der ihm erzählte, dass er ein Mädchen kennen gelernt hatte. „Außerdem spielt ihr Bruder in einer Band, ich dachte, wir könnten sie einmal anhören, zur Abwechslung mal?“ „Ich komme mit, wenn du willst.“ „Du bist der beste!“ Als sie den kleinen Club betraten, wünschte sich Gackt, er hätte nicht so schnell zugesagt, es war stickig und so klein, dass er beinahe Platzangst bekommen hätte, doch als sein Freund ihn an einen Tisch zog, der in einer Nische stand, fühlte er sich einigermaßen wohler. Die Bühne lag noch im Dunkeln, doch er konnte die Umrisse von einem Schlagzeug, einem Bass, einer Gitarre, er glaubte sogar eine zweite gesehen zu haben und einem einfachen Mikroständer erkennen... Er wollte seinem besten Freund den Gefallen machen, so versuchte er nicht zu nörgeln und er musste sich selbst eingestehen, dass die Band ja gut sein könnte, auch wenn er sich nicht die geringste Hoffnung machte. Als das Licht anging, musterte der Schwarzhaarige den interessanten Trupp genauer. Der Schlagzeuger hatte langes Haar, das ihm beinahe bis zur Hüfte reichte, was noch nicht speziell gewesen wäre, doch die Zöpfchen, die liebevoll hinein geflochten waren, sahen speziell aus. Er war schlank, aber man sah schon, dass er ein muskulöser Oberkörper hatte. Der Bassist hatte eine schreckliche Frisur, es sah aus, als hätte er in eine Steckdose gefasst, außerdem waren sie aufgebleicht, doch blond sah es nicht aus eher wie ein Orange, auch er hatte dunkle Augen und eine normale Statur. Der Gitarrist hatte eine typisch asiatische Frisur, trug sein schwarzes Haar glatt und hatte einen leichten drei Tage Bart. Doch am meisten fiel Gackt der Sänger auf, er war ein sehr schlanker, junger Mann, der konzentriert die Stirn kraus zog, als er die zweite Gitarre stimmte. Seine Lippen waren leicht geöffnet und als er aufblickte, um sich das Publikum anzusehen, konnte er das klare Blau sehen, was sich als Augenfarbe von dem Typen herausstellte. Um es in einem Satz zu sagen, fand Gackt in dem Sänger einfach einen attraktiven Mann. „Mach den Mund zu, Gackto.“ Verwirrt sah er zu seinem Freund und begriff, was dieser sagen wollte, er musste den kleinen Japaner angestarrt haben. Wie unhöflich! Er fragte sich, warum diese Band hier auftrat, hier an der Cote Azur? Nun, vielleicht waren sie hier geboren, doch war es ein gewaltiger Zufall, dass alle der Band Asiaten waren. Der Sänger strich sich sein Haar hinter das linke Ohr und räusperte sich leicht. „Guten Abend, wir sind Larc en Ciel und spielen euch ein paar Lieder vor, ehm, aber bevor wir anfangen, möchte ich euch die Band gerne noch vorstellen.“ Gackt, der schon wieder halb über den Tisch lag, schmolz dahin, diese wundeschöne, melodische Stimme, die einen leichten, melancholischen Unterton hatte, war einfach das berauschenste, dass er je gehört hatte. Er erfuhr, dass der Schlagzeuger Yukio, der Bassist Tetsu, der Gitarist Ken und der Engel, der der Sänger war, Hyde hieß. „Hyde…“ Er liess den Namen über seine Zunge rollen, als wäre es das köstlichste, was er jemals in seinem Leben genossen hatte. Als die Musik einsetzte und dieser göttliche Cherub anfing zu singen, war es um den großen, schwarhaarigen Japaner geschehen. You stieß ihn ein paar mal unsanft in die Seite, doch Gackt konnte es nicht lassen, diesen jungen Mann förmlich mit den Augen auszuziehen, ihn anzusehen, als wäre er ein Weltwunder. Sein Freund gab es schließlich auf und liess den Japaner in Ruhe, so konnte er ohne lästige Ablenkung das erste Lied genießen. Zu seinem Erstaunen hatte die Band nicht nur rockige oder punkige Stücke auf Lager, nein, sogar ein oder zwei schöne Balladen, wo die Stimme des Sängers einfach super zur Geltung kam. Dann erklang die rauchige Stimme des Bassisten, er forderte das Publikum auf sich einen Song zu wünschen, die einzige Bedingung war, dass es von einer Frau gesungen worden war. Da Gackt den Engel irgendwie aus dieser Misere herausholen wollte, überlegte er eine kurze Zeit und erinnerte sich, dass Bonnie Taylor Songs hatte, die nicht so hoch waren, außerdem hatte Rod Steward ein Lied einmal gesungen. So sagte er zu You: „Wünsch dir: “Have you ever see the Rain” von der Taylor.“ Zu seiner Überraschung erhob sich sein Freund tatsächlich, um sich dieses Lied zu wünschen und der grosse Japaner staunte nicht schlecht, als Hyde dieses Lied tatsächlich anstimmte und auch sang. Immer wieder rieselte es ihm eiskalt über den Rücken, er war auch Sänger, er wusste, wie schwer es war das Publikum in den Bann zu ziehen, doch das kleine Energiebündel schaffte dies mit einer Leichtigkeit, die sich Ga-chan des Öfteren selbst gewünscht hatte. Der Abend verging leider viel zu schnell, der Schwarzhaarige hatte beinahe Angst davor das Lokal zu verlassen, doch die Gründe konnte er nicht einmal seinem besten Freund erzählen. Er lächelte freundlich, als er die Schwester von dem Drummer kennen lernte, die ihnen sagte, dass sie alle an den Strand hinuntergingen. Da You ein schlechtes Gewissen gegenüber Gackt hatte, bat er seinen Ferienflirt darum ihn mitzunehmen. Der Dunkelhaarige hätte seinem Freund am liebsten den Hals umgedreht, nun war er schon ein Anhängsel, nicht mehr aber auch nicht weniger? Am liebsten hätte er ihm an den Kopf geworfen, dass er auch alleine was machen könne und ganz sicher nicht auf ihn angewiesen sei, doch die Aussicht Zeit mit der ganzen Band zu verbringen, veranlasste ihn dazu seinen Stolz hinunter zu schlucken. Er sagte seinem brünettem Freund, dass er schon mal alleine vorging hinunter an den Strand. Und You, der merkte, dass Ga-chan etwas beschäftigte, nickte nur still, um sich dann zu der Band zu gesellen. Der Dunkle dachte darüber nach, er war beinahe gezwungen worden Urlaub zu machen, die anderen von seiner Band waren alle zu der Familie gefahren. Malice Mizer hatte also offiziell Sendepause. Irgendwie machte es ihn wütend, dass selbst Mana seine Verwandten besuchen konnte und er? Er saß hier mit seinem besten Freund in Frankreich und war doch einsam. Wenigstens, so dachte er sich, würde er vollkommen ausgeruht und mit neuer Kraft nach Hause kommen, um weiter zu arbeiten. Er zog die Schuhe und Socken aus, das Wasser lief in winzigen, warmen Plätscherwellen zwischen seinen Zehen aus. Es fühlte sich kühl und seidig an die Füße gestreichelt zu bekommen. Es roch nach Meer und ein wenig nach dem Pizzaofen vom Strandrestaurant, aber in allem lag ein unverkennbares, würziges Aroma von irgendwelchen Kräutern oder Blumen. Der Mond warf einen glitzernden Streifen auf das Wasser, einen Silberbalken, der bis zu Gackt reichte. Neben dem nächsten Felsen standen ein paar Angler, die wohl auf einen guten Fang hofften. Er erkannte es an den phosphoreszierenden Blinkern auf dem Wasser und an den glühenden Zigaretten. Gackt befand sich in einer ganz eigenartigen Stimmung, traurig, ohne dass er sagen konnte, weshalb. Sehnsüchtig, ohne dass er wusste, wonach. Aufgeregt, ohne dass er einen Grund dafür gehabt hätte. Er beschloss sich nicht der kleinen Gruppe anzuschließen, er hätte eh nur einen schlechten Eindruck gemacht, er hoffte einfach, dass sie noch eine Weile hier sein würden, damit er sich möglicherweise auch mit ihnen anfreunden konnte. Kapitel 2: Erste Begegnung -------------------------- Es klang wie ein Tier, das qualvoll an Erstickungstod litt, oder wie ein Betrunkner, der sich herzhaft übergab, nach einiger Zeit hatte Gackt genug und schlug die Augen auf. Aus dem angrenzendem Bad hörte er seinen Freund husten. Er verdrehte die Augen, warum kannten die Menschen ihre Grenzen nicht? Er quälte sich mühsam aus dem Bett und klopfte leise an die Badezimmertüre. „Ist alles in Ordnung mit dir?“ Es dauerte eine Weile, doch dann öffnete ihm Akeami, der Urlaubsflirt von seinem Freund, die Badezimmertüre. „Ich wollte dich nicht wecken, es ist nur die übliche, morgendliche Übelkeit, die ich nicht steuern kann.“ „Es…ist schon okay.“ Von der Terrasse her drang ein fröhliches Lachen und er blickte unwillkürlich in die Richtung. Der Bungalow war nicht groß, er hatte ein relativ grosses Aufenthaltszimmer, ein Schlafzimmer und ein Badezimmer. Außerdem eine kleine Küche, aus der es gerade schepperte und You mit einer Ladung Besteck und Tellern kam. „Guten Morgen Gackt, komm und iss mit uns allen Frühstück!“ „Lass mir kurz Zeit wach zu werden.“ Die Dame machte ihm Platz und teilte ihm mit, dass er gerne ins Bad könne und lief dann zu ihrem Liebhaber, so dass beide zusammen auf die Terrasse hinaus schlenderten. Als beide außer Sicht waren, blickte der Schwarzhaarige auf die Uhr, es war halb neun. Warum in aller Welt war You schon auf? Und warum hatte er nicht bemerkt, wann der jüngere Japaner nachhause gekommen war? Nachdenklich ging er zurück ins Schlafzimmer, um sich anzuziehen, dann besuchte er das Badezimmer, um seine zerwuschelten Haare wenigstens etwas in Form zubringen. Nun, es gelang ihm sogar wenigstens etwas wacher auszusehen. Sein schwarzes, glattes Haar umschmeichelte sein Gesicht, seine braunen Augen blickten aufmerksam aus dem Spiegel zurück, dann verzogen sich seine geschwungenen Lippe zu einem Schmunzeln. „Na dann, auf in die Arena.“ Als er auf den Balkon trat, wurde er von der Sonne geblendet, er sah einfach gar nichts, so dass er einfach an der Türe stehen blieb. Ihm war bewusst, dass die Stimmen, die alle durcheinander geredet hatten, urplötzlich verstummt waren und ihm war das mehr als peinlich. „Da es eigentlich dein Bungalow ist für die zwei Wochen, solltest du nicht drauf warten, dass wir dich an den Tisch bitten.“ Gackt erkannte diese melodiöse Stimme sofort, es war Hyde, der die Stimmung aufzulockern versuchte und er schaffte es, alle stimmten in sein fröhliches Lachen ein, selbst Gackt. Er blinzelte und erkannte die Band, die sich um einen reich gedeckten Frühstückstisch versammelt hatte, und seinen Freund mit seiner Flamme. Alle lachten noch einmal herzhaft, als You seinem besten Freund die Sonnebrille reichte. So lernte er also die Band näher kennen und es stellte sich heraus, dass alle sehr nett waren. Doch zu dem Bedauern von Gackt war der kleine Sänger eine stille Person, die lieber auf das weite Meer hinaus blickte, als sich an einem Gespräch zu beteiligen, innerlich fluchte der Dunkle, er wollte Hyde doch in ein Gespräch verwickeln, wollte ihn näher kennen lernen. Doch als ihm eine Frage eingefallen war, die er ihm stellen wollte, war Hyde eingeschlafen. Er lag mit der Wange auf seinen verschränkten Armen und sah aus, als hätte man ihn gerade auf die Erde gesandt. Das schwarze Haar, welches so seidig in der Morgensonne glänzte, rahmte sein bildhübsches, weiches Gesicht ein. Er sah aus wie ein Engel. „Sollten wir ihn nicht ins Bett tragen?“, fragte er schließlich leise. Tetsu war der erste, der die Sprache wieder gewonnen hatte, er wollte die Hand ausstrecken und sein Bandmitglied aufwecken, doch Gackt fing ihn mitten in der Bewegung ab. „Es ist kein Problem, ich meinte das eigentlich nur so, dass er es doch bequemer haben könnte, wenn du aufstehst, trage ich ihn ins Schlafzimmer.“ „Wir wollen aber keine Umstände verursachen und er achtet immer am meisten darauf!“ „Es ist kein Umstand, hab keine Angst, wenn er ausgeschlafen erwacht, wird er dir bestimmt nicht den Kopf abreißen.“ Als die anderen die Stühle beiseite räumten, hob der Schwarhaarigen den kleinen Sänger sachte an, er wollte nicht, dass er aufwachte. So vorsichtig, als würde er einen wahrhaftigen Engel tragen, brachte er sein Gut in das Schlafzimmer, wo er ihn sachte auf das weiche Bett hinab legte und ihn liebevoll zudeckte. Dann schrieb er eine kurze Nachricht auf einen Zettel, in dem er ihn darum bat, den Schlüssel, welcher er auf die Notiz legte, einfach an der Rezeption abzugeben. Dann bedachte er den Schlafenden noch einmal mit einem warmen Blick, am liebsten hätte er ihn geküsst und sich nahe an ihn geschmiegt, doch dies stand ihm nicht zu. Gackt wanderte mit seinem Handtuch dem Schatten des Sonnenschirms nach. Der Strand um ihn herum war mit Schirmen, Liegen, Handtücher und Luftmatratzen belegt. Der Lärm aus Kindergeschrei, Wellenplätschern, Stimmen und den Geräuschen der Strandspielenden bildete eine Geräuschkulisse, die er kaum wahrnahm. Ehe er sich wieder in seinem Buch versenkte, vergewisserte er sich mit einem Rundblick, wo der Rest der kleinen Clique diesen herrlichen Tag verbrachte. You und Akeami saßen im kleinen Cafe am Strand und teilten sich lachend und turtelnd einen Eisbecher. Tetsu, der Bassist der Band, war mit dem Surfbrett draußen in der Bucht. Ken und Yukio spielten Beachvolleball. Und Hyde, der schlief wahrscheinlich noch seinen Schönheitsschlaf im Bungalow. Seufzend legte sich der grosse Japaner wieder in den weichen Sand und hob sein Buch an, gerade als er das Kapitel durchhatte, setzte sich jemand zu ihm. Verwundert ließ er sein Buch sinken und blickte den Besucher an. Dann huschte ein Lächeln über seine blassen Lippen. Kein geringerer als Hyde hatte sich zu ihm gesellt, sein schwarzes Haar war noch vollkommen zersaust. “Na, bist du ausgeschlafen?“ „Ja, danke, tut mir leid, ich wollte dir keine Umstände machen, doch wir hatten die Nacht durchgemacht…“ „Das machte mir doch nichts aus, wirklich nicht!“ Er blickte den jungen Sänger von der Seite an und grinste. Es war einfach zu süß, wenn sich jemand Sorgen machte nur wegen einer solchen Kleinigkeit. „Wo steckt Tetsu?“ „Surfen…Dort, das neongelbe Segel in der Bucht ist seins.“ Gackt blickte auf die Bucht hinaus. Die Sonne glitzerte auf dem Wasser und er musste die Augen zusammenkneifen, um das besagte Segel von Tetsu auszumachen. Es kreuzte unterhalb der kleinen Insel, auf der eine Ruine eines alten Turmes stand, die Bizarre Silhouette des Bauwerkes. Auf dem vorstehendem Felsen im Meer war das Wahrzeichen des Feriendorfes. Der Schwarzhaarige versuchte sich vorzustellen, wie es gewesen sein musste, wenn man als einsamer Wächter dort oben gestanden hatte. Die Männer hatten Tag um Tag den Horizont nach vermeintlichen Piratenschiffen abgesucht. Es lag in ihrer Verantwortung, die Dörfer rechtzeitig vor einem drohenden Überfall zu warnen. Einsam musste der Dienst auf dem Turm gewesen sein und auch reichlich zugig, denn die wenigen Surfer, die sich bis dort hinausgewagt hatten, schossen mit hohem Tempo vor dem Wind dahin. Tetsu verlor kein einziges Mal die Balance. Dass er die ganze Nacht am Strand gewesen war, schien seiner Kondition nicht geschadet zu haben. Für Sekunden beneidete Gackt ihn um die rasante Fahrt auf dem sonnenglitzernden Meer. Es musste ein tolles Gefühl sein, vollkommen schwerelos über das Wasser zu gleiten. Viele seiner Freunde hatte ihm oft angeboten, ihm das Surfen beizubringen, doch er hatte es immer wieder verschoben, angeblich aus Zeitmangel, doch in Wirklichkeit war seine tief sitzende Furcht vor dem Wasser stärker als die Neugier. Gackt konnte zwar schwimmen, aber es machte ihm nur in vernünftiger Uferentfernung Spass. Möglichst noch mit einer Luftmatratze. Sobald er jedoch mit dem Kopf unter Wasser geriet, wurde er von einer Panik ergriffen und wusste nicht mehr, wo oben oder unten war. Der bloße Gedanke, vom Brett zu müssen und vielleicht dort draußen mit dem Segel den Wellen und dem Wind zu kämpfen oder gar unter Wasser gedrückt zu werden, verursachte ihm selbst in der größten Hitze und am sicheren Strand eine Gänsehaut. Er drehte dem Meer energisch den Rücken zu, legte sich auf den Bauch und schlug sein Buch wieder auf. Aber eigenartigerweise konnte er sich plötzlich nicht mehr auf die Geschichte konzentrieren, die Buchstaben ergaben keinen Sinn. Die Kuhle, die er unter sich im Sand gegraben hatte, drückte auf den Hüftknochen, das tat so weh, dass er es kaum aushielt. Außerdem war es so heiß, dass sich der Schweiß tropfenweise im Nacken bildete und kitzelnd den Rücken hinab rann. Weshalb fühlte er sich mit einem Schlag so unwohl in seiner Haut? Gackt fand keine Antwort, er setzte sich wieder auf und schlug das Buch zu, zog die Beine an und schlang die Arme darum. „Ist alles in Ordnung mit dir?“ Der Dunkle blickte auf Hyde, der immer noch neben ihm saß, allerdings hatte er seine Sachen abgelegt, so dass Gackt eine schöne Aussicht hatte. Schmunzelnd stellte er fest, dass Hyde wirklich eine perfekte Figur besaß. Und er konnte sich das Tattoo, welches auf dem Rücken des Sängers war, genauer betrachten. Engelsflügel, was hätte es sonst sein sollen, dachte Gackt. Die Flügel für das himmlische Wesen, doch er dachte sich auch, dass es Hyde nicht nötig gehabt hätte, denn dass er ein Engel war, sah man auch ohne Flügel. „Ja natürlich, mir ist nur ein wenig heiß.“ „Lass uns eine Runde schwimmen gehen.“ „Lieber nicht, ich…ich sollte mal zuhause anrufen, ich lass dir den Sonnenschirm hier.“ Mit diesen Worten erhob er sich und wanderte hoch zu dem Bungalow, den er für die zwei Wochen angemietet hatte. Warum er regelrecht vor dem kleinen Japaner geflohen war, wusste er nicht, dennoch konnte er ahnen, dass es schlimm geendet hätte, wenn er mit ihm ins Wasser gegangen wäre. Vermutlich wäre so etwas peinliches passiert, wie das man durch die dünnen Badehosen gesehen hätte, wie sehr er Hyde begehrte. An dem kleinen Ferienhaus angekommen warf er sein Hemd und Hose in den Sand und legte sich in den Badehosen in die Hängematte, die hinter dem Bungalow zwischen zwei Korkeichen gespannt war und starrte in das Geflecht der Zweige hinauf. Das leise Flüstern des Windes in den trockenen Blättern hätte beruhigend sein können, aber er war so außer sich über seine eigene Dummheit, dass er am liebsten mit dem Eichenhäher um die Wette gekreischt hätte, der auf einem Zweig über ihm saß. Im Haus klingelte das Telefon, doch er überhörte es mit Absicht, er war nicht in Stimmung für ein Gespräch, so döste er schließlich irgendwann weg. Kapitel 3: Ausflug ------------------ Irgendwas tropfte auf sein Gesicht, so dass er die Stirn kraus zog. Doch das Gefühl ging einfach nicht weg, egal wie viele Male er sich über das Antlitz strich. Als er die Augen öffnete, blickte er in einen grauen Himmel, verwirrt wollte er sich aufsetzen und knallte auf den harten, mit Sand bedeckten Boden. Er musste in der Hängematte eingeschlafen sein. Dass ihn niemand geweckt hatte, machte ihn ein wenig wütend, doch da er sich gut fühlte, verflog dieses Gefühl bald wieder. Er genehmigte sich eine heiße Dusche, um nicht doch noch eine Erkältung einzufangen und trank einen warmen Tee. Es war früh am Morgen und Gackt schlich sich leise in das Schlafzimmer, um sich frische Kleidung zu holen. Er zuckte ein wenig zusammen, als er beinahe über jemanden gestolpert wäre. Er erkannte in dem schwachen Dämmerlicht, welches durch den Rollladen eindrang, dass Hyde am Boden lag und blickte unwillkürlich hinüber zu dem Bett, wo You mit seinem Urlaubsflirt lag. Er fragte sich natürlich, was das geben sollte, doch liess er alle weiterschlafen. Der Schlag traf ihn, als er den Aufenthaltraum sah. Er war voller Chipstüten und Getränkeflaschen, neben dem Sofa stapelten sich Dvds vor dem Fernseher und auf dem Sofa lag Tetsu leise schnarchend. Vor dem Sofa lagen Yukio und Ken eingerollt in Schlafsäcke. Leise schlich er sich in die Küche, um einen Sack zu holen, so leise, wie es in seiner aufwallenden Wut möglich war, begann er mit dem Aufräumen. Es konnte doch nicht wahr sein, dass You solch ein Chaos veranstaltete, obwohl er wusste, dass er es hasste. Gut, er räumte sich selbst ein, dass er wahrscheinlich heute selbst aufgeräumt hätte, dennoch war es kaum zu fassen. Und warum schliefen alle hier? Hatten die denn nicht selbst ein Zimmer?! Doch als er den Brief fand, der an ihn adressiert war, in welchem You ihm erklärte, dass der Band das ganze Geld gestohlen worden war, kam Mitleid bei ihm auf. Er überlegte einen Moment und beschloss dann, allen Frühstück zu machen. Er verließ den Bungalow in Richtung Rezeption. Vor der Anmeldung und dem großen Restaurant bog er in den schmalen Teerweg ab, der zu den Tennisplätzen führte und von hohen, uralten Pinien beschattet wurde. Schräg dahinter lag das flache Gebäude mit den Appartements, die in erster Linie von den Angestellten des Feriendorfes bewohnt wurden. Um diese Tageszeit war die Anlage wie ausgestorben. Lediglich ein rostroter, getigerter Kater schlich mit steil aufgerichtetem Schwanz um einen Blumentopf und stutzte, als Gackt vor ihm stehen blieb. „Hallo Tiger!“, sagte er und kraulte ihn hinter dem halb eingerissenen Ohr, das von seinen waghalsigen Kämpfen berichtete. „Ist dir das nicht zu heiß im Pelzmantel?“ Der Kater ließ sich auf die Seite fallen und bot ihm einen grauweißen verstaubten Bauch für weitere Zärtlichkeiten an, Gackt tat ihm den Gefallen und wurde mit einem zufriedenen Schnurren belohnt. „Du bist mir einer, haben sie dich als Portier angestellt?“, lachte er leise vor sich hin. „Sein Name ist Napoleon“, antwortete ihm in diesem Moment eine Stimme, die Gackt mit einem leisen „Huch!“ hochfahren ließ. Hyde lehnte an der Balustrade und sah ihm zu. Er trug eine schwarze Stoffhose und ein weißes Hemd, welches offen über seine Brust fiel. „Mann, hast du mich erschreckt“, hauchte Gackt atemlos und versuchte so cool wie You zu wirken. Napoleon fühlte sich vernachlässigt, er erhob sich und strich stattdessen Hyde um die Beine. „Wollte ich nicht…wo willst du hin?“ „Zum Einkaufen, ich wollte euch Frühstück machen.“ „Darf ich dich begleiten?“ Ihre Blicke trafen sich und als Gackt die winzigen goldenen Sprenkel in Hydes Augen sah, vergaß er, was er hatte sagen wollen. Er stutze und erinnerte sich an die erste Begegnung mit ihm zurück, waren da seine Augen nicht Blau gewesen? Dann rieselte es langsam in den Verstand von Ga-chan, natürlich waren dies Linsen gewesen, er benutzte sie schließlich auch. Und je länger er in diese warmen und sanften Augen blickte, um so mehr vergaß er sich selbst, es war wie Schweben und dennoch genau so gefährlich wie Ertrinken. „Oder wir gehen zu dem Turm draußen, warst du schon mal dort?“ Der Schwarzhaarige räusperte sich, fand keine Worte und schüttelte dann stumm den Kopf. Hyde warf einen Blick auf seine schwarze Armbanduhr. „In einer halben Stunde ist Ebbe, wenn du möchtest, können wir hingehen.“ Erst hier fand der Grosse seine Stimme wieder. „Du meinst wohl schwimmen“, verbesserte er ihn und bedauerte heimlich, dass er so unsicher war beim Schwimmen. „Von wegen!“, Hyde grinste. „Früher hing das mal alles zusammen, die Insel und das Festland. Irgendwann ist die Verbindung abgesackt, aber bei Ebbe steht das Meer an der schmalsten Stelle höchstens dreißig Zentimeter über den Sand. Man kann hinüberwaten, es lohnt sich wirklich, man hat vom Turm eine wahnsinnige Aussicht!“ „Okay“, sagte er zögernd „Aber nur, wenn du mir auf Ehre und Gewissen schwörst, dass wir nicht schwimmen müssen!“ „Bist du wasserscheu?“ „Nein, nur feige“, gab Gackt ehrlich zu. „Ich krieg schon die Krätze, wenn ich mit dem Kopf unter Wasser gerate.“ „Hört sich nach frühkindlichem Schwimmkursschaden an“, meinte Hyde mit einem freundlichen Grinsen. „Für feige halte ich dich deswegen noch lange nicht.“ „Du hast es beinahe erraten, doch es war nicht der Schwimmkurs, sondern dass ich beinahe ertrunken bin als Kind.“ „Du kannst mir vertrauen, hab keine Angst, wir haben ein paar Stunden Zeit bis zur Flut und wenn wir wirklich nicht zurückkommen, weiß ich, wo ein Boot versteckt ist, welches ich benutzen darf.“ Erstaunlicherweise hatte der Größere damit keine Schwierigkeiten, er erwiderte sein Lächeln. „Ich nehme dich beim Wort“, versprach er dem Sänger. „Wollen wir los?“ „Klar, gut dass du Turnschuhe anhast, der Weg ist ziemlich steinig!“ Gackt gefiel es, dass der Jüngere ihn an der Hand nahm und sie auch nicht mehr losließ, es war ein angenehmes Gefühl. „Ga-chan!!! Da bist du ja! Ich hab mir Sorgen um dich gemacht! Du warst die ganze Nacht und nun am Tag stundenlang weg!“ Gackt fiel aus allen Wolken, als sein Freund auf ihn zustürzte, sobald er das Haus betrat. Immerhin war es nicht zwei Uhr morgens, sondern heller Nachmittag. „Du lieber Himmel“, murmelte er betroffen, als er You ansah, der ehrlich besorgt aussah. „Darf man nicht einmal spazieren gehen?“ „Spazieren gehen?“, wiederholte der Brünette so ungläubig angewidert, als handle es sich bei dieser Tätigkeit um eine höchst ansteckende, schreckliche Krankheit. „Ich war beim Turm draußen.“ Er erholte sich von seiner ersten Verblüffung und begann sich zunehmend über die allgemeinen Vorwürfe zu ärgern. „Ist das vielleicht verboten?!“ „Willst du im Ernst behaupten, du wärst da rüber geschwommen?!“, staunte You. „Du, der untauglichste Schwimmerpel, der jemals durch das tiefe Mittelmeer gepaddelt ist?“ Dass sein bester Freund auf seinen mangelnden Wassersportkünsten herumhackte, kränkte den großen Japaner sehr. Er hob aufgebracht die Hand, in der er ein paar Zweige trug. „Und was ist das Mister Superschlau? Rosmarin! Der wächst in dieser Gegend nur noch auf der Insel drüben, glaubst du mir nun?!“ „Und wie hast du ihn so trocken rübergebracht?“ You fand den schwachen Punkt an der Geschichte heraus. Er glaubte Gackt kein Wort. „Seit wann lügst du mich an, Gackt?“, wunderte sich sein Freund nun. „ Das ist doch sonst nicht deine Art!“ Der Sänger von Malice Mizer umklammerte die kleinen Zweige so fest, dass sich die spitzen Nadeln und die rauen Äste in seine Handflächen bohrten. Er beachtete den Schmerz gar nicht, er war so wütend auf seinen Freund, der ihn hier von seiner Ferienclique runter putzte. Wie kam er eigentlich dazu, ihn als Lügner hinzustellen. Als kleines, dummes Kind, das sogar zu dämlich war, um sich sogar eine vernünftige Flunkerei auszudenken. „Mir ist es egal, ob du mir glaubst oder nicht! Und damit du es gleich weißt, Morgen mach ich einen Ausflug ins Landesinnere!“ Hätte er verkündet sich soeben mit Mana verlobt zu haben, hätte sein Freund nicht verdatterter drein blicken können. Er musste sich ein Grinsen verbeißen und hob sein Kinn mit frisch erworbener Stärke nach oben. „Ich bin eingeladen worden“, fügte er noch hinzu, bevor sein Freund auch nur auf den Gedanken gekommen war ihn zu fragen, weshalb er das tun wollte. Er blockierte den dreifachen Versuch von You mehr von ihm zu erfahren durch eine zugeworfene Tür und marschierte mitsamt seinem Sträußchen Rosmarin ins Bad. Dort drehte er sorgfältig den Schlüssel herum, ehe er sich mit geschlossenen Augen an die Türe lehnte und die Zweige an seine Nase hielt. Er sah Hyde vor sich, wie er sich auf der kleinen Insel bückte und den ersten Zweig von einem Busch abriss. „Da riech mal!“ „Hmm gut, was ist das?“ „Rosmarin. Wächst hier wie Unkraut…“ Gackt wusste, dass ihn dieser Duft künftig jedes Mal an die Stunden erinnern würde, die er heute mit Hyde verbracht hatte. Die Zeit war wie im Flug vergangen. Er hatte sich als fabelhafter Fremdenführer entpuppt und ihm die verrücktesten Geschichten über Seeräuber und Franzosen erzählt, von denen er schwor, dass sie sich tatsächlich so abgespielt hatten. Gackt hätte ihm ewig zuhören können. Dort im trockenen Gras, im Schatten des alten Turmes, dessen warmen Steine er in seinem Rücken gespürt hatte. Er hatte es bedauert, dass die Flut sie zum Rückweg gezwungen hatte. Das Wasser war jedoch bereits kniehoch gewesen und er hatte ängstlich gezögert, als die erste Welle sogar bis zu den Oberschenkel hochschwappte. „Alles okay, ich kenne den Weg wie meine linke Hosentasche.“ Hydes sanfte Stimme klang ihm immer noch im Ohr und mit ein wenig Phantasie spürte er auch den sanften, regelmäßigen Sog des Meeres um seine Knie. Es war aufregend gewesen, aber mit seiner Hand in der von ihm hatte er keine Hemmungen mehr gehabt das Abenteuer zu wagen. „Siehst du, du bist überhaupt nicht feige“, hatte er auf dem Festland gesagt und seine Hand ein wenig zaudernd wieder losgelassen. „Hättest du Lust morgen mit mir übers Land zu fahren? Ich würde dir gern mehr von dieser Insel zeigen. Meine Bekannten wohnen in einem kleinen Dorf inmitten von Kastanienwäldern, die die ganze Hügelketten bedecken. Das Auto ist nicht das neuste, aber es fährt.“ Mit Vergnügen hatte Gackt diese Einladung angenommen, nicht nur weil er die Gesellschaft von Hyde genoss, sondern auch weil er alleine mit ihm sein wollte. „He, andere Leute wollen auch mal ins Bad“, You schlug von außen mit der flachen Hand gegen die Tür und riss Gackt aus seinen Träumereien. Er blinzelte verblüfft, Tagträume waren normalerweise nicht sein Ding. Doch er hatte an diesem Tag schon so viele Dinge getan, die ihm gewöhnlich nie in den Sinn gekommen wären, dass es darauf auch nicht mehr ankam. Er steckte den Rosmarin vorsichtig in den Zahnbecher und drehte die Dusche auf, damit er nicht antworten musste. Ein prüfender Blick in den Spiegel zeigte ihm gerötete Haut und einen beginnenden Sonnenbrand. Er fluchte leise, er hatte nicht daran gedacht sie einzucremen, morgen würde er wahrscheinlich aussehen wie ein gekochter Krebs Kapitel 4: Ausflug nr 2 ----------------------- Obwohl es erst neun Uhr war, flirrte die Sonne, die von einem wolkenlosen, azurblauen Himmel strahlte bereits in ihren Hitzewellen über den Staub. Gackt trat aus dem Schatten der Rezeption und ging zum Parkplatz hinüber, wo er sich mit Hyde verabredet hatte. Ein Lieferwagen mit frischen Baguettes schepperte in einer atemberaubenden Kurve heran, gefolgt von einer Staubwolke und einem ursprünglich giftgrünen jetzt eher grauen Renault Caravelle Cabrio, das Faltdach war zurück geschlagen und im Radio lief „Power of Love“. Schwankend blieb das Gefährt einen Meter vor Gackt stehen und Hyde streckte den Kopf hinaus. „Taxi Monsieur.“ Gackt grinste und schritt zu der Beifahrertüre. „Wow, wo hast du denn die Limousine aufgetrieben? Die müssen doch irgendwelche Typen aus der Geschichte vergessen haben.“ Hyde stieß ihm die Türe auf und Gackt liess sich auf den Beifahrersitz gleiten, als er sich angegurtet hatte, besah er sich seinen Gastgeber genauer. Heute trug er eine enge Jeans mit einem ärmellosen Shirt. Und vor allem sah er verdammt sexy aus! „Eine alte Ente“, verkündete Hyde stolz. „Über fünfundzwanzig Jahre alt. Wird leider schon längst nicht mehr gebaut, aber ich sag dir, die Gute fährt und fährt.“ „Und was tun wir, wenn sich das ehrwürdige Stück mitten in der französischen Wildnis verschluckt und stehen bleibt?“, erkundigte sich Gackt ein wenig besorgt. Er fand die alte Gurke mehr für ein Automuseum als für einen längeren Ausflug geeignet. „Keine Angst, ich hab schon oft an dem Ding rumgeschraubt, ich bin mit diesem Auto aufgewachsen, es wird sich hüten mich zu enttäuschen!“ „Wehe, wenn du nicht recht hast!“, drohte er ihm leise. „Wohin fahren wir denn nun?“ „Erst Richtung Lorgues, dann von dort weiter nach Draguignan, meine Bekannten wohnen dort in der Nähe.“ Gackt sah auf die gemächlich vorbeiziehende Landschaft. Links schimmerte das Meer, auf dem ein paar Boote weiße Gischtfahnen hinter sich aufwühlten, während fast schon am Horizont eine der großen Autofähren wie ein massiger Berg davonzog. Das Blau des Meeres ging irgendwo nahtlos in den azurblauen Himmel über. Rechts war alles grün, braun und felsrot. Die Berge hatten gerade mal einen schmalen Streifen für die Strassen und den kleineren Küstenorte übrig gelassen. Überall blühten Oleander und Tamariskenbäume, kleine rosarote und weiße Winden überwucherten Randsteine und Felsbrocken. Wenn sie nicht gerade von einem Lastwagen überholt wurden, duftete es nach Blumen, Kräutern und Sommer. Der Fahrtwind zersauste das Haar von Gackt und irgendwie hatte er das Gefühl, dass seine Ferien erst richtig begannen. „Ich würde mich am Meer einquartieren, würde ich hier wohnen“, sagte er nachdenklich. „Warum sich dann in die Berge verkriechen?“ „Früher war das meiste Land an der Küste Sumpfgebiet“, erklärte Hyde. „Ein Traum für Malariamücken aber nicht für Menschen. Außerdem gab es jede Menge Piratenschlupfwinkel rund um die Insel. Die Einheimischen zogen sich deswegen lieber in die Berge zurück, besonders in den Kastanienwäldern, dort lebte es sich recht gut.“ „Von was denn? Felsragout und Dornengemüse?“, Gackt hatte einen Reiseführer gelesen, doch er zog den Kleinen gerne auf. Leider hatte ihn der Jüngere durchschaut und streckte ihm die Zunge heraus. Als sie durch den kleinen Ort fuhren, sah der MM Sänger auch den Grund, warum Hyde den Fuß vom Gaspedal genommen hatte. Der Ort war überfüllt mit Touristen, doch der kleine Schwarzhaarige pfiff vergnügt zu einem Song mit, ohne sich aus der Ruhe bringen zulassen. Da der Schwarzhaarige ihn die ganze Zeit angestarrt hatte, senkte er nun den Blick auf die sanften, feingliedrigen Hände, die das Lenkrad sachte hielten. Diese Hände, dachte sich Gackt, diese himmlischen Hände konnten alles, Gitarre spielen und durchs Wasser führen. Ob sie auch genau so wundervoll streicheln konnten? Bild dir bloß nichts ein, ermahnte er sich selbst. Es hatte nichts zu bedeuten, dass er auf diesen Ausflug eingeladen worden war. Der junge Japaner wollte doch sicher nur seine Ruhe von den anderen haben. Oder vielleicht hatte er einfach nicht alleine zu seinen Bekannten fahren wollen. „Huch, was war das?!“ Er hatte eine Gruppe von dunklen, merkwürdigen, gedrungenen Schatten in einem Seitenweg entdeckt. Aber bis er genauer hinsah, war der Wagen schon vorbeigesummt und er sah nur noch Gebüsch. „Piraten“, grinste Hyde lässigs „Spinn nicht rum!“ „Nein, das waren Wildschweine.“ „Bist du wahnsinnig? Die laufen hier einfach frei herum?“ „Das ist eine Sorte von wilden Hauschweinen, die wühlen nach Kastanien hier oben, sie sind nicht gefährlich, wenn die genug fett sind, macht man köstlichen Schicken oder Braten aus ihnen! Oh, ich hoffe meine Bekannten haben einen Ofen, die wissen, dass ich darauf steh!“ Gackt behielt seine Zweifel an dieser Delikatesse für sich. Er wollte Hyde nicht kränken. Die Strasse wurde nun steiler und er musste den Gang zurückschalten, damit das Auto den Aufstieg packte. Nach ein paar Kilometern weitete sich die löchrige Teerdecke sogar zu einem kleinen Aussichtspunkt und der Kleinere parkte das Auto neben der Begrenzungsmauer. „Komm! Steig aus, das musst du dir einfach ansehen!“ Er hatte nicht zu viel versprochen, kilometerweit erstreckte sich die Ozeanküste der Insel vor Gackts Augen. Ein Panorama, das ihm wie der Blick aus einem Flugzeugfenster vorkam. Winzige Spielzeugdörfer, durch graue und braune Strassenlinien verbunden, endloses Grün von den Wäldern, Weinbergen und Obstplantagen, begrenzt vom Meer und einem endlosen, tiefeblauen Himmel. Irgendwo ganz weit hinten in Richtung Süden, wo die Berge näher an die Küste rückten, überragte eine kleine, schwarze Wolke, die Gackt nicht so richtig einordnen konnte, das Bild. „Was ist das?“ „Wahrscheinlich wieder ein Feuer“, meinte der Angesprochene ärgerlich. „Es ist leider etwas ziemlich Alltägliches bei uns. Es vergeht kein Sommer, ohne dass die Brandstifter an der Küste Ärger machen, so sagten es meine Bekannten zumindest, ich bin ja nur den Sommer meistens hier.“ „Brandstifter?“, echote Gackt. Hyde nickte. „In den meisten Fällen seien es kriminelle Grundstückspekulanten. Seit Jahren wird davon geredet, dass es ein Gesetz geben soll, dass verbrannte Flächen vom Besitzer aufgeforstet werden müssen. Aber bisher ist nichts passiert. Bauträger kaufen das verbrannte Ödland auf und erhalten ohne Schwierigkeiten die Genehmigung, ihre Feriensiedlungen dort zu errichten. Das grosse Geld wird halt nicht mehr mit der Landwirtschaft sondern mit den Touristen gemacht, schade, wenn du mich fragst. Komm lass und weiter fahren, wir sind bald da.“ Gackt kroch in den Wagen zurück, aber die Rauchwolke, die er gesehen hatte, wollte ihm nicht mehr aus dem Kopf gehen. „Und wenn es hier oben brennt?“, platzte er mitten in das grosse Schweigen hinein. „Keine Angst“, Hyde lächelte über seine Besorgnis. „Wir sind zu weit von der Küste entfernt. In dieser Gegend würde man mit einer Feriensiedlung höchstens Pleite machen. Diese kleinen Lokalbrände, die du da gesehen hast, liegen meistens in unmittelbarer Küstennähe.“ „Wir Touristen sind schon eine Pest, nicht wahr?“, fragte Gackt kleinlaut. „Nicht alle“, erwiderte der junge Asiate und Gackt spürte, dass er rot wurde und verfluchte sich darüber. Warum wurde er wie ein kleines Mädchen in der Gegenwart von ihm bei jedem Kompliment rot? Immer wieder sagte er sich, dass es für Hyde ein Zwecksausflug war, weil dieser nicht alleine diesen Weg hochfahren wollte. „Definiere Bekannte“, meinte er dann leise und blickte hinüber zum Fahrer. Er sah, dass dieser noch mehr grinste als vorher. „Grosselten von der mütterlichen Seite.“ „Warum hast du das nicht gleich gesagt?!“ „Weil du dann nicht mitgekommen wärst, du bist genau wie ich Japaner, Gackt, wenn es um Familie geht, sind wir eben zurückhaltend, doch meine Grand-mère und mein Grand-père sind mehr Franzosen als Japaner, mach dir keine Sorgen, das gibt nur Falten.“ „Nun, ich werde bestimmt nicht zurücklaufen, daher kann ich dir ja nun nicht mehr abhauen.“ Hyde brach in ein fröhliches Lachen aus und der Grosse musste schmunzeln, es stand dem Kleinen, wenn er so glücklich aussah. Seine Augen funkelten dann in einem solch intensiven Braun, dass die goldenen Sprenkel in ihnen förmlich zu glitzern begannen. Schon von weitem sah er das dreistöckige, grosse Steinhaus, das Hydes Grosseltern bewohnten, es lag in der Nähe eines kleinen, namenlosen Dorfs. Oberhalb von den terrassenförmigen, angelegten Gemüsegärten, von wild gewucherten Brombeerehecken umgeben, erhob es sich in allen Schattierungen der groben, felsgrauen Steine, aus denen es gebaut war. Auch das mit Schiefern gedeckte Dach passte dazu. Gackt hoffte, dass niemand zuhause war, er hatte im letzen Moment Lampenfieber vor der Begegnung mit wildfremden Menschen bekommen. Doch auf das kurze Hupen von Hyde flog die schwere Holztüre auf und eine ältere Dame rannte beinahe hinaus. Sie war so groß wie ihr Enkel und begrüßte ihn, in dem sie ihn auf beide Wangen küsste. Gackt verstand keine einzige Silbe von dem, was die beiden sprachen, das lag wahrscheinlich daran, dass er kein Französisch sprach. Langsam schob er sich aus dem Auto und hielt sich höflich im Hintergrund. Es dauerte eine ganze Weile, bis Hydes Großmutter ihn entdeckte, der Kleine antwortete ihr auf ein paar schnelle Fragen in der unverständlichen Sprache, dann wurde auch Gackt in die Arme genommen, nach unten gezogen und abgeküsst. Er lächelte überrumpelt und während die alte Dame ins Haus ging, zupfte Hyde an seinem engen Shirt, bis es wieder an seinem Platz lag. „Das war aber kein Japanisch, mein Lieber“, meinte Gackt. „Nein, das war Französisch, ich kann es auch nicht gut, ich spreche es einfach zu wenig“, gestand er. Der Grosse fand das komisch, der Kleine lebte hier, war wahrscheinlich in der Nähe geboren und hatte einen französischen Pass, aber konnte kaum die Landessprache? Aber Japanisch sprach er fließend? Doch er hatte keine Chance auf weitere Fragen, die Großmutter von Hyde führte beide in die riesige Küche, die fast das ganze Erdgeschoss einnahm. Die Platten des Steinbodens waren so oft gewischt und gesäubert worden, dass sie wie Marmor glänzten und die wenigen, großen Möbelstücke sahen aus, als würden sie ihren Platz schon seit Jahrhunderten an den Wänden behaupten. Ein gewaltiger, rechteckiger Tisch mit hochlehnigen, geschnitzten Holzstühlen beherrschte den Raum. Teller, Gläser, Karaffen und Schüsseln standen bereit und von den zugedeckten Töpfen auf dem riesigen, altmodischen Herd stiegen Dampfwolken und Düfte auf. Es roch einfach himmlisch und Gackt spürte, dass ihm das Wasser im Munde zusammenlief. „Setz dich“, sagte Hyde und deutete auf einen Stuhl mit einem handbestickten, weißen, Kissen. „Wir essen, sobald mein Großvater auftaucht. Er ist noch im Garten um frische Tomaten für den Salat zu holen.“ Gackt nahm ein wenig verlegen auf der vorderen Kante des Stuhles Platz und versuchte die neugierigen Blicke der alten Frau zu ignorieren, die mit schneller, heiserer Stimme auf ihren Enkel einredete. Er sah sich weiter in der Küche um und bemerkte, dass kein einziger, elektrischer Gegenstand in ihr stand. „Nicht zu vergleichen mit einer modernen Einbauküche, was?“, meinte Hyde grinsend, der seine Gedanken las. „Meine Großmutter weigert sich standhaft hier etwas zu ändern. Und mein Großvater redet ihr da nicht rein. Ah, da kommt er ja.“ Die hagere Gestalt mit der Mütze musste sich unter dem niedrigen Türstock ein wenig bücken. Die brummige Begrüßung für Hyde wie auch für Gackt fiel kurz und knapp aus. „Keine Sorge“, beruhigte der Kleine ihn, als er ihn beinahe ängstlich anblickte „Er freut sich, dass du mitgekommen bist. Er kann es nur nicht so zeigen.“ Gackts Zweifel verflogen im Verlauf des Mittagsessen, dieses wurde auch umgehend in Angriff genommen, sobald der Hausherr seinen Platz an der Stirnseite einnahm. Dass Hydes Großvater seine Mütze abnahm und ein Gebet sprach, ehe die dicke Gemüsesuppe in die Teller kam, berührte ihn ganz eigenartig. Mittagessen war für ihn etwas Selbstverständliches, etwas, was auf dem Tisch stand, sobald Zeit dafür war. Doch wenn eine Mahlzeit unter diesen vorsintflutlichen Bedingungen gekocht wurde und die Zutaten auf diesen kargen Terrassen dem Boden abgemüht wurde, dann gehörte es sich vielleicht sogar, ein Danke für den vollen Teller auszusprechen. So faltete er ebenfalls die Hände und griff erst zum Löffel, als es auch die beiden älteren Leute taten. Danach sorgte Hydes Großvater persönlich dafür, dass er von jedem der Gericht kostete und bis er sich endlich durch die grünen Bohnen mit den Knoblauchscheiben, den Wildschweinbraten, die Salate, die Polenta aus Kastanienmehl und den in Rosmarinnadeln gewälzten Schafskäse gegessen hatte, konnte er sich nicht mehr rühren. „Ich habe noch nie soviel gegessen“, stöhnte er leise. Hyde grinste bis hinter beide Ohren. „Du hast dich tapfer geschlagen, Grand-père ist schwer beeindruckt von dir.“ Gackt blickte zu dem alten Mann hinüber, der mit einem Lächeln auf den Lippen plötzlich nicht mehr finster, sondern sehr verschmitzt aussah. Unwillkürlich erwiderte er sein Lächeln und plötzlich wurde ein gemeinsames, fröhliches Gelächter daraus. So unbeschwert, voll gefuttert und zufrieden hatte sich Gackt noch nie gefühlt. Irgendwie hatte er plötzlich den Eindruck, dass er Hydes Grosseltern ohne Worte verstand. Der kleine Japaner grinste fröhlich vor sich hin, Gackt spürte sein Grinsen wie eine Berührung, obwohl er ihn nicht ansah. Der Großvater machte eine Bemerkung, worauf seine Frau in ein heiseres aber fröhliches Lachen ausbrach. „Was hat er gesagt?“, erkundete er sich bei seinem Freund. „Das du ein netter und wohlerzogener Mann bist.“ Der Schwarhaarigen glaubte ihm kein Wort. Er hatte den Eindruck, dass sich Hydes Grosseltern außerordentlich gut amüsierten, aber es sah ganz danach aus, als würde er nie erfahren, worüber. Er akzeptierte seine Niederlage und suchte etwas, wo er den Fruchtsaft an seinen Fingern von der Feige, die er eben gegessen hatte, obwohl er vor ein paar Minuten geschworen hätte, er würde platzen, wenn er noch was zu sich nahm, abwischen konnte. Als Hyde seine Finger, die ebenfalls voller Feigensaft waren, dann einfach in den Mund steckte, tat er ihm das nach. Er wusste, seine Mutter hätte einen Tobsuchtsanfall bekommen, aber hier in einer alten, französischen Küche mitten auf dem Land, schien das vollkommen normal und selbstverständlich zu sein. Gackt half danach der Großmutter das schmutzige Geschirr zu reinigen, während Hyde mit seinem Großvater nach draußen ging. Es war eine friedliche, halbe Stunde, in der sie beide kein Wort sprachen, aber ab und zu ein Lächeln austauschten. Gackt fiel auf, dass der jüngere Japaner die gleichen warmen, braunen Augen besaß wie die alte Frau. Natürlich hätte er sie gerne über ihren Enkel ausgefragt, doch außer „ja“ und „nein“ konnte er kein Wort auf Französisch. „Schade, dass ich mich nicht mit deiner Großmutter unterhalten konnte“, meinte der Grosse, als er wieder in das Auto stieg. Er bedauerte dies wirklich. „Freut mich, dass es dir gefallen hat“, sagte Hyde, der noch einmal hupte und dann die steile Strasse in Angriff nahm. Gackt kurbelte das Fenster hinunter, hielt die Hand in den Fahrtwind und liess sich den kühlen Wind ins Gesicht wehen. Doch dann sah er den abschüssigen Hang unmittelbar neben der Strasse, schnell zog er die Hand zurück, es kam ihm vor, als könnte die kleine Gewichtsverlagerung das Gefährt in die Schlucht stürzen lassen. Hyde schien die abenteuerliche Strasse nicht aus der Ruhe zubringen, er kannte sie schließlich lange genug, doch für Gackts Geschmack düste er viel zu knapp an zottigen Wildschweingruppen, vereinzelten Kühen und entgegenkommenden Motorrädern vorbei. Er überholte Lastwagen, Traktoren und breite Wohnmobile. Das alles ohne ein einziges Mal aus dem Takt zu kommen, während er „Every breath you take“ pfiff. Gackt schüttelte den Kopf und versuchte sich zu entspannen, es machte allen Anschein, dass Hyde die Karre im Griff hatte, doch wenn er nicht selbst fuhr, litt er ein wenig an Panik. Aber er vertraute dem Kleinen, so schloss er nun die Augen und liess sich den Wind weiterhin in das Haar blasen. Kapitel 5: Von neuen und alten Freunden --------------------------------------- „Was möchtest du trinken?“, fragte Hyde, ehe er dem Ober die Bestellung weitergab. Gackt entschied sich für den giftgrünen „Sirop de menthe“. Seit er ihn im Supermarkt der Ferienanlage entdeckt hatte, stand er auf das intensive Pfefferminz Aroma und die schrille Farbe. Da sie beide Durst hatten, war Hyde hinter dem kleinen Dorf auf eine kleine Küstenstrasse abgebogen und jetzt saßen sie unter dem schattigen Strohdach eines Strassencafes und sahen auf das Meer hinaus. „Santè! Auf unseren kleinen Ausflug“, prostete ihm der Sänger zu und Gackt hob ebenfalls das Glas. „Danke für die Einladung“, entgegnete er und rührte mit seinem bunten Strohhalm die Eiswürfel in der grünen Flüssigkeit um. „Sag mal, wie kommt es eigentlich, dass du so gut Japanisch sprichst?“ „Keine Kunst“, winkte Hyde bescheiden ab. „Ich bin ja in Japan zu Schule gegangen.“ „Du?! Wie ist das möglich?“ „Ich besitze die japanische Staatsbürgerschaft. Ich bin schließlich Japaner!“ „Wie kommt es dann, dass du hier bist?“ „Ich bin nur jeden Sommer hier, danach fliege ich wieder nach Tokyo, was hast du denn geglaubt?!“ „Das du… nun-“, Gackt blickte verlegen auf das blaue Meer hinaus, auf dem nun, nach dem die ärgste Mittagshitze vergangen war, viel mehr Boote als zuvor schwammen. „Dass du irgendwo sonst wohnst, Paris zum Beispiel.“ Hyde lachte leise, ehe er antwortete „Nein, nein, ich wohne in Tokyo genau wie die anderen der Band, ich komme zwar jedes Jahr hierher, da meine Grosseltern, nachdem meine Eltern geheiratet haben, ausgewandert sind, doch die anderen sind genau wie du das erste Mal hier. Sie sind mitgekommen, da ich die Möglichkeit hatte, dass wir hier auftreten können.“ „Weit weg von zuhause… Macht ihr da auch Musik?“ „Ja…und ich weiß auch, dass du in einer Band bist, Gackt, ich bin nicht dumm, ich weiß, dass du der Sänger von Malice Mizer bist. Schließlich macht ihr die Art von Musik, die mir gefällt.“ „Dafür verhältst du dich aber sehr normal…“ „Ich weiß, wie es ist nicht einmal Luft holen zu können, du hast Urlaub und bist hier nicht Sänger sondern Gackt.“ Der Grosse grinste und nippte an seinem Sirup. Wie konnte er dem Kleinen nur klar machen, dass er mit diesen Wort einen Weg geebnet hatte, der schon längst geteert und bereit für ihn war? Mehr als ein leises aber dankbares „Danke“ perlte dann nicht mehr von Gackts vollen, geschwungenen Lippen. „Wie alt bist du eigentlich, Kleiner?“ „Warum sagen eigentlich alle immer, dass ich klein bin?!“ „Vielleicht, weil dem so ist?“, grinste der Grosse nun unverhohlen. „Hast du das nie bemerkt?“ „Du Duhuuu“, Hyde fing an zu lachen und verschluckte sich an seiner Cola, die er gerade wieder absetzen wollte. Nach dem Hustenanfall blickte er den Größeren offen an. „Ich bin fünfundzwanzig, wenn es dem Herr recht ist.“ „Noch relativ jung, hmm?“ „Stört es dich, du bist ja auch nicht älter…“ „Nur ein bisschen, ich bin neunundzwanzig.“ „Bald also ein alter Sack“, stichelte der Sänger. „Warts ab, irgendwann bist du auch so alt und arm wie ich.“ Das brachte sie beide zum Lachen. Und als sich wieder die Stille zwischen ihnen senkte, die nicht unangenehm war, blickte der Sänger auf seine Armbanduhr. „Langsam sollten wir wieder zurück, sonst bekommt dein Freund seinen nächsten Anfall.“ „Er macht sich nur Sorgen, dass ich etwas Unüberlegtes tue.“ „Hat er den einen Grund dazu?“ Braune Augen blickten Gackt fragend an, so weich und warm. Hatte You einen Grund sich Sorgen um seinen Freund zu machen, der sich so oder so schon Hals über Kopf in den kleinen, beinahe zierlichen Japaner verliebt hatte? Natürlich! You verging fast vor Sorge, dass es Gackt nach dem Urlaub schlecht ergehen könnte, wenn er die Liebe seines Lebens verlor. Doch er konnte schlecht zu Hyde sagen, dass er in ihn verliebt war und seinen Freund allen Grund dazu hatte sich Sorgen zu machen. „Nein, hat er nicht.“ Wenig später waren sie wieder an der Ferienanlage angekommen, die Sonne war schon dabei wieder hinter den Bergen zu verschwinden und als Gackt den Bungalow betrat, lag dieser still, dunkel und verlassen vor ihm. Hyde war gleich zu seinem Auftritt gegangen und dort war mit Hundertprozentiger Sicherheit auch der Rest der Band. You und seine Flamme waren sicher auch mit von der Partie und Gackt genoss die Stille, die sich um ihn legte. Er nutzte diese Zeit, um sich ausgiebig zu duschen und wollte sich dann auf das Sofa setzen, um noch ein wenig fernzusehen. Doch das Sofa war feinsäuberlich auf die Seite gestellt worden, auf ihm lagen ein Kissen und eine Decke und ein Nachthemd, das zweifellos von Akeami war. Auf der freien Fläche waren zwei grosse Schlafmatratzen aufgeblasen worden und mit je zwei Schlafsäcken versehen. Gackt schüttelte ein wenig den Kopf, doch er hatte nichts dagegen, wenn die Band hier schlief. Er ging ins Schlafzimmer und liess sich auf seine Seite des Bettes fallen, der Ausflug hatte ihn mehr erschöpft, als er geglaubt hatte, so war einschlafen nicht wie sonst ein Kampf sondern ein Vergnügen. „Das muss ja eine wahnsinnige, anstrengende Tour gewesen sein“, lästerte You beim Frühstück. „ Als wir nach Hause gekommen sind, hast du im Schlaf ständig geseufzt, als würdest du zentnerschwere Felsbrocken sortieren.“ Gackt aß schweigend weiter, doch er erwiderte das leichte Grinsen von Hyde. „Außerdem siehst du übernächtigt aus, wenn ich nicht wüsste, dass du geschlafen hast, würde ich behaupten, dass du durchgemacht hast, wahrscheinlich hast du wieder nur über Mizer nachgedacht, anstelle auszuruhen und die Band mal aus deinen Gedanken verbannen!“ „Bist du bald damit fertig mir zu erklären, dass ich beschissen aussehe?“, murrte er, als es ihm zu viel wurde. „Bist du mies gelaunt, weil der Ausflug ein Reinfall war?“, zog You seine eigenen Schlüsse. „Gluthitze und schreckliche Leute, stimmt`s? Ich hab dir gleich gesagt, bleib lieber am Strand!“ „Du irrst dich“, giftete Gackt. „ Es war wunderbar. Ich habe so viel gegessen, wie noch nie in meinem ganzen Leben und ich habe mich blendend amüsiert, obwohl ich kein Wort verstanden habe!“ „Klingt ja wunderbar“, stellte You gähnend fest und schnappte sich das letzte Croissant, ehe es sich ein anderer nahm. Der Wind frischte auf und eine Papierserviette flog im hohen Bogen über die Terrassenbrüstung zwischen die Bäume. You blickte Gackt an und meinte dann zu Tetsu: „Lass uns gehen, ich denke, es wird ein toller Tag zum Surfen.“ Beide verschwanden so schnell, wie sie nur konnten, um auf das Wasser zu kommen. Seine Freundin, Ken und Yukio wollten an den Strand und so kam es, dass Hyde und Gackt sich wieder alleine gegenüber saßen. „Du siehst auch nicht besser aus als ich“, neckte er den kleinen Sänger. Dieser nickte leicht und grinste. „Ich konnte nicht besonders schlafen, mir ist was im Kopf herumgegeistert.“ „Kannst dich ja noch ein wenig hinlegen“, meinte er leise und beinahe klang er wie eine Mutter, die mit ihrem Kind sprach. „Ja Mama, das mach ich, aber erst räum ich dir den Tisch ab und du gehst dich entspannen, abgemacht?!“ Gackt blickte ihn mit erhobener Augenbraue an. „ Na gut… Na gut, ich werde auch an den Strand gehen.“ Als Gackt wenig später mit seiner Strandtasche unter dem Sonnenschirm der Clique tauchte, sah er, dass auch noch eine Menge anderer dieselbe Idee wie You und Tetsu gehabt hatten. Der Wind hatte dem kobaltblauem Meer weißschaumige Wellenstreifen aufgesetzt und die bunten Segel flitzten über das Wasser hin und her. Obwohl die Sonne von einem wolkenlosen Himmel brannte, war der Wind kühl und Gackt behielt sein Hemd an, unter dem er so oder so nichts trug. Er bemerkte auch, dass niemand zum Schwimmen ging. „Dieser Mistral ist nur was für geübte Surfer, sonst landet man nur noch auf Timbuktu!“, meckerte You, der sich beleidigt auf sein Badetuch fallen liess. Gackt antwortete nicht, sondern beobachtete das neongelbe Segel, das immer weiter hinausfuhr. „Du musst es halt lernen, You!“ „Aber das wollte ich doch, aber Tetsu ist es zu gefährlich!“, meinte er und verdrehte die Augen. „Sei doch froh, dass er sich um dich Sorgen macht, weißt du, wie schwer es ist vom offenen Meer wieder an ein Ufer zugelangen? Womöglich würdest du von einem Hei gefressen.“ „Ja, ich weiß. Kannst du dir vorstellen, dass die Band noch nicht einmal eine Cd aufgenommen hat? Von Marketing haben die keine Ahnung!“ „Willst du den Manager für sie Spielen?“, neckte Gackt seinen Freund. „Der Wahnsinnsmann mit dem Demo Band für „Larc en Ciel““. „Du brauchst gar nicht so zu lästern“, beschwerte sich sein Freund nun. „Hyde hat eine Stimme, die geht einem richtig unter die Haut. Solch ein Typ kann die Band mit Leichtigkeit tragen.“ „Was du nicht sagst, auf mich macht er einen zu schwachen Eindruck für das“, grinste Gackt nun. „Sag mal, muss man dir alles erklären?“, You schoss hoch, dann sah er Gackts Grinsen und liess sich wieder fallen. „Das war ein blöder Witz!“ „Warum bist du in letzter Zeit nur so empfindlich?“ „Ich habe Angst, dass er dich enttäuscht, bis jetzt hat keiner der Band irgendwas gesagt, dass der Kleine auf Männer steht und außerdem würdest du ihn nie mehr wiedersehen nach unserem Urlaub.“ „Shhh, die anderen kommen“, meinte er leise. Die kleine Clique wollte die beiden abholen, um Eis essen zu gehen, doch der Grosse hatte keine Lust und wollte lieber alleine sein. In unkontrollierter Stimmung hielt er es nicht länger an Land aus. Er streifte das Hemd von den Schultern und marschierte trotz des kühlen Windes ins Wasser. Die Bucht war ideal für Kinder und Ballspieler, da man bis weit hinaus noch stehen konnte. Er fixierte einen Punkt am fernen Horizont, auf den er zulief. Dabei hielt er sich ein wenig nach rechts, um dem größten Gewühl aus dem Weg zugehen und übersah dabei, dass er die orangefarbenen Bojen kreuzte, welche die Ein- und Ausfahrt für Surfer markierte. Er hörte weder den Warnschrei noch den Fluch, der ausgestoßen wurde, er spürte nur einen unerwarteten Schlag vor die Stirn und kippte nach hinten um. Ehe er reagieren konnte, schlossen sich die Wellen über ihm. Wasser drang in Nase, Mund und Ohren und sein Hilfeschrei erstickte in seiner Gurgel. Er bekam keine Luft mehr, schlug unbeholfen um sich. Während er in heller Panik erkannte, dass sein schlimmster Alptraum zur Wirklichkeit wurde: Er ertrank! „He! Moment! Bitte beruhige dich doch, es ist alles okay! Es geht nicht schneller, wenn du mich verprügelst! Ich kann nichts dafür, dass du mir auf dem abgesperrten Stück direkt vor mein Brett gelaufen bist.“ Irgendwann drang die warme Stimme in Gackts Bewusstsein, er fühlte, dass jemand ihn an den Schultern hielt und dass er wieder frei atmen konnte. Spuckend und keuchend wischte er sich das nasse Haar aus dem Gesicht und versuchte sich zu orientieren. Er saß auf einem Surfbrett, das mit abgelegtem, dunkelviolettem Segel im seichten Wasser schwamm und Hyde klopfte ihm vorsichtig auf den Rücken. Er trug einen langärmligen, schwarzen Surferanzug und auf der Wange hatte er zwei feuerrote Kratzer. „War ich das?“, fragte er erschrocken. Er nickte. „Du hast in deinem ersten Schock wohl gedacht, dass zu ertrinkst.“ „Sorry!“, Gackt wich seinem Blick aus „Ich hab nicht darauf geachtet, wo ich war.“ „Hast du dir schon mal überlegt, wozu diese Bojen dienen?“, fragte er ein wenig schroff. „Tut mir leid“, entschuldigte sich Gackt erneut und rieb sich die Beule an der Stirn, die er der eigenen Dummheit zuschreiben konnte. „Ich hab nicht darauf geachtet“ „Das war mein Mast“, erklärte Hyde kleinlaut „Komm, ich bringe dich zur Sanitätsstation. Wenn man ein wenig Eis auf die Beule legt, geht sie schneller vorbei und tut nicht so höllisch weh.“ „Mach dir keine Umstände, es ist nicht schlimm.“ Gackt rutschte von dem Surfbrett, er fröstelte im scharfen Wind. „Du bist reif für den Titel „ Mister Gänsehaut““, sagte Hyde grinsend. „Komm an Land, du schnatterst ja vor Kälte.“ Kaum hatte der Grosse festen Sand unter den Füssen, kam auch schon You auf ihn zugestürzt. „Mensch, was ist passiert? Kannst du denn nicht aufpassen?!“ Letzteres hatte Hyde gegolten, der das Surfbrett eben abgelegt hatte und den Klettverschluss seines Anzugs öffnete. „Ich war schuld“, griff Gackt ein, ehe der Kleine antworten konnte. „Ich bin blöderweise direkt vor sein Brett marschiert. Reg dich ab, You, es ist alles okay!“ „Von wegen, wir gehen zum Erste Hilfe Posten“, mischte sich der Sänger nun wieder ein. „Kommst du, Gackt?!“ Obwohl sein Kopf wie ein Hornissennest brummte, hatte er Mühe sich ein Grinsen zu verkneifen. Da Hyde den fassungslosen You einfach stehen liess und sich ausschließlich um Gackt kümmerte. Strandposten und Sanitätsstation befanden sich neben dem Restaurant und Hyde liess nicht locker, bis der Arzt, der dort seinen Dienst absaß, die Beule untersucht hatte, danach übersetzte er die kurze Diagnose: „Nichts Ernstes, glücklicherweise. Du hast einen ziemlich dicken Schädel. Er gibt dir ein paar Schmerztabletten mit, falls du Kopfschmerzen bekommst, aber sonst haben wir beide Glück im Unglück gehabt.“ „Warum du?“, fragte Gackt und drückte sich die Eiskompresse vor die Stirn, die ihm der Doc gegeben hatte „Vermutlich fluchst du im geheimen ganz schön über meine Dämlichkeit.“ „Unsinn! Hast du Lust auf ein Eis?“ „Noch mehr Eis? Mir ist so oder so schon ganz kalt!“ „Cappuccino?“, der Kleine liess nicht locker. „Wir gehen in die Pizzeria neben dem Supermarkt. Dort ist die Terrasse windgeschützt und der Kaffe erste Sahne!“ „Nein, lieber nicht, Hyde. Mir ist kalt, außerdem muss ich mich umziehen. Ich gehe in unseren Bungalow hinauf und lege meinen Brummschädel für den Rest des Tages auf ein Kissen.“ „Okay…“, der Jüngere blickte auf seine Füße und liess Gackt schweren Herzens gehen. „Du gehörst ehrlich verprügelt!“, meinte You, als er ihn hinter dem Bungalow in der Hängematte liegend aufgestöbert hatte. Er knallte ihm seine Badetasche so heftig hin, dass die Vögel in den Bäumen zeternd davon stoben. „Es geht nichts über eine liebevolle Freundschaft“, entgegnete Gackt trocken und ließ sein Buch sinken. „Ist doch wahr!“, vereidigte sich sein Freund säuerlich. „Warum bist du nicht mit Hyde Eis essen gegangen? Ich sehe doch, wie du ihn anhimmelst! Und dann ziehst du den Schwanz ein?!“ „Danke!“, Gackt hielt das Buch wieder vors Gesicht, obwohl er nun schon zum vierten Mal dasselbe Kapitel begann, machte es ihm nichts aus, doch konzentrieren konnte er sich trotzdem nicht. Vor allem nicht, da sein Freund nicht vorhatte ihn in Ruhe zulassen, er sprach immer mehr auf ihn ein, sodass der Schwarzhaarige an ihm vorbei ins Haus lief. Drinnen versuchte er sich abzulenken, er wusch sich das Salzwasser aus den Haaren und anstelle sie wie sonst in den Ferientagen von Wind und Sonne trocknen zu lassen, fing er an sie sorgfältig zu föhnen. Dann schmiss er sich auf den Liegestuhl, der auf der Terrasse stand und versuchte zu arbeiten, seinen Orgagnizer neben sich und ein leeres Blatt vor sich. Doch er war viel zu aufgewühlt, um einen Song zu schreiben. Beinahe war er wütend auf sich, warum konnte er in den Ferien nicht tun und lassen, was er wollte? Warum musste You ihn beinahe überwachen? Dann hieß es erst, lass dich nicht auf einen Ferienflirt ein, du bist so empfindlich, wenn es um solche Dinge geht und wenn man sich nicht drauf einlässt, wird man angeschnauzt. Er pfefferte das zusammengeknüllte Blatt von sich. „Hast du dich mit deinem Freund gestritten?“ Als der Grosse hoch sah, bemerkte er Tetsu, der an der Balkontüre stand und ihn aufmerksam musterte. „Nein, das habe ich nicht.“ „Manchmal habt ihr schon einen rüden Ton untereinander.“ „Er macht sich nur Sorgen um mich…“ „Weil …“, er machte eine Pause und setzte sich neben Gackt. „Wegen Hyde?“ „Ich…“, der Grosse konnte nur nicken, er schaffte es nicht den Bassisten anzulügen. „Er mag dich auch…Sonst wäre er nicht mit dir zu seinen Grosseltern hochgefahren, er liebt die beiden, nicht einmal uns hat er sie vorgestellt.“ „Aber...“, er seufzte leise, „Ich glaube, ich habe mich total in ihn…nun...“ Tetsu nickte mitfühlend. „Er ist mein bester Freund und ich will nicht, dass ihm irgendwer Leid zufügt. Doch ich glaube, dass du der erste bist, dem ich das nicht erklären muss. Verkriech dich nicht hier…Genieße die Ferien.“ „Und was genau sollte ich nun tun?“ „Ganz einfach, kümmere dich nicht um deine Laune, das ist nur der Mistral, der wirkt sich wie Föhn auf das Gemüt aus. Zieh dich um, sieh dir unseren Auftritt an und leihe dem armen Tetsu das geile Hemd, das du am ersten Abend getragen hast.“ „Okay, ich komme hin, aber das Hemd trage ich selbst.“ „Typisch“, maulte Tetsu gespielt beleidigt. „Da gibt man sich Mühe dich aufzumuntern und das ist dann der Dank dafür?“ „Meine Gesellschaft natürlich.“ „Waaaaahnsinn!“, frotzelte der orangeblonder Japaner. „Dein Hemd wäre mir lieber.“ „Zu Spät…“, Gackt fing an zu grinsen. „Du wirst mit Konkurrenz leben müssen.“ Der Club war voller als sonst, wahrscheinlich da alle, die am selben Tag gekommen waren, bemerkt hatten, wie gut die kleine Band war und es an andere weitergegeben hatten. Gackt setzte sich an den Tisch, wo You und seine Freundin saßen. Beide blickten kurz aus dem innigen Kuss auf und nickten ihm zu. Tetsu, der ihn begleitet hatte, verzog das Gesicht und machte ein würgendes Geräusch, welches den Malice Sänger zum Schmunzeln brachte. Der beste Freund von Hyde hatte ihm Gesellschaft geleistet, als er sich umzog und die Haare stylte und zum Dank hatte er ihm sein Hemd geliehen, welches ihm hervorragend stand. Nun schloss Gackt die Augen und genoss die Atmosphäre, die Luft war von einem erwartungsvollen Prickeln erfühlt und die Menschen sprachen durcheinander, so dass man kein Wort verstand, weil man sich nicht wirklich konzentrieren konnte, doch Gackt folgte dem Rat von Tetsu, nichts sollte ihn heute wütend machen oder stören. Das Konzert war heute von Unglücken gespickt, dass Gackt sich wirkliche Sorgen um den Sänger machte, dieser stolperte, vergaß den Text und sah aus, als würde er schrecklich leiden. Der Schwarzhaarige fühlte sich schuldig, schließlich war er es gewesen, der dem kleinen, zerbrechlich wirkenden Hyde einen Korb gegeben hatten. Und das nachdem sie einen Unfall gehabt hatten, er wusste, wie schrecklich sich der Kleine fühlen musste. Und seine erst gute Laune wandte sich zu tiefer Traurigkeit. Er drängelte sich durch die Tanzenden und lief nach draußen, doch die melancholische Stimme von Hyde folgte ihm. „Verdammt, verdammt, verdammt!!“, schrie Gackt gegen den Wind, er rannte zum Meer hinunter und rieb sich mit der Hand den Nacken, auf dem er den Blick von Hyde immer noch spürte. Unwillkürlich verlangsamte er seine Schritte und die Dunkelheit schloss sich um ihn, heute waren ein paar Wolken am Himmel und der Wind jagte sie in durchsichtigen, graublauen Schleiern vor dem Mond dahin. Gackt stolperte über eine Sandburg und ließ sich im Schatten eines dickwulstigen Gummibootes im Sand nieder. Er bemühte sich nicht länger die Tränen zurückzuhalten, so einsam und unglücklich hatte er sich noch nie in seinem Leben gefühlt. Schöne Ferien waren das, beschissene Ferien um genau zu sein! Kapitel 6: Weine nicht.... -------------------------- „Hast du schon mal die Rosinenfladen mit den Walnüssen gekostet? Die sind die reinste Wonne!“ Gackt wollte gerade nach einem Baguette greifen und fasste vor Schreck in die Verstrebung des großen Weidenkorbes, in dem das Brot des Supermarktes aufbewahrt war. Er zog sich am Zeigefinger eine kleine Risswunde zu, gerade als er ihn in den Mund steckte, erkannte er, wer ihn angesprochen hatte. Hyde. „Hast du dir wehgetan? Lass mal sehen…“ Gackt schüttelte widerspenstig den Kopf. „Du bist ja echt vom Pech verfolgt“, versuchte Hyde ihn zum Sprechen zu bringen „Wie geht es deinem armen Kopf? Was macht die Beule?“ „Alles okay“, murmelte er leise und griff mit der unverletzten Hand nach dem Brot „ Mein Kopf hat schon Schlimmerem standgehalten. Lässt du mich bitte mal durch, ich brauche noch Salat.“ „Gib mir den Korb, ich trag ihn für dich. Was brauchst du noch außer Salat? Die Fladen sind übrigens wirklich sensationell…“ Gackt wusste selbst nicht, warum er nach einem der empfohlenen Fladen griff und ihn gehorsam in den Einkaufskorb legte. Hydes Gegenwart verwandelte ihn in ein hirnloses Schaf ohne eigenen Willen. Ein Glück hatte er einen Einkaufszettel geschrieben, ohne diese Gedächtnisstütze wäre er vermutlich mit fünf Kilo Waschmittel und einer Dose Hundefutter nach Hause gegangen. „Ich trag dir auch die Tüten“, bot Hyde an. „Lieber nicht.“ „Sag mal, bist du mir böse wegen gestern?“, fragte er geknickt. „Nein, es war ja meine eigene Schuld.“ „Hast du Lust auf eine kleine Bootsfahrt?“, kam es nun hoffnungsvoll von dem kleinen Sänger, ehe er die Tüten nahm und den Supermarkt verließ. Gackt schüttelte heftig den Kopf. „Mit dir? Nein, es wäre gesünder wenn nicht.“ „Du bist echt ein Problemfall“, stöhnte Hyde. „Erklär mir, warum du mir ständig aus dem Weg gehst, wenn du nicht sauer bist. Ich habe noch nie solch einen komplizierten Menschen kennen gelernt!“ „Du kennst mich ja gar nicht“, stellte Gackt richtig. „Ein Punkt für dich“, gab der junge Sänger zu „Aber das kann man schließlich ändern. Verbring den Tag mit mir, bis heute Abend werde ich schlauer aus dir.“ „Lieber nicht“, wehrte er ab. Hyde schnaubte. „Siehst du, das meine ich. Kennst du Steckmuscheln? Von außen sind das grosse, tränenförmige, sandfarbene Dinger. Man findet sie beim Tauchen nur noch ganz selten. Aber wenn man Glück hat, dann sind sie offen und wirklich wunderschön. Aus der Innenfläche ist eine orangefarbene und silbrige Perlmuttbeschichtung und auf dem Fleisch sitzt ein kleiner glasklarer Muschelwächter wie ein Prinz in seinem Palast. Aber sobald man auch nur in die Nähe kommt, um die ganze Pracht anzusehen, sobald sich auch nur die Wasserströmung ein wenig wandelt, macht das Biest zu und ist mit dem stärksten Tauchermesser nicht mehr auseinanderzukriegen.“ Gackt blieb stehen und sah Hyde aus großen, erstaunten Augen an. „Was ich damit sagen will?“, las er ihm die Frage vom Gesicht ab. „Dass du mir wie eine von diesen Muscheln vorkommst. Sobald man dir zu nahe kommt, machst du dicht und stellst die Stacheln auf. Warum eigentlich? Wovor hast du solche Angst?“ „Ich hab keine Angst!“ „Und ob du die hast. Ich kapiere es nur nicht, ausgerechnet vor mir? Ich beiße doch niemanden!“ Der Schwarzhaarige wich seinem Blick verlegen aus, er konnte Hyde schlecht sagen, dass er nicht seine Person sondern die Gefühle fürchtete, die er in ihm wachrief. Ein One Night Stand haben oder eine Beziehung, die nur aus Sex aufgebaut war, konnte er locker führen, doch Liebe? „Ich weiß und wenn, dann könnte ich mich auch ganz gut dagegen wehren“, behauptete er und spielte den Coolen. „Um so besser“, Hyde ging auf ihn ein. „Das einzige, was ich nämlich akzeptieren würde, wäre unüberwindliche Abneigung. Also Hand aufs Herz, findest du mich zum Kotzen oder nicht?“ „Natürlich nicht“, gab Gackt zu und wurde beinahe wieder wie ein kleines Schulkind rot. Hyde hatte ihn in eine Situation hineinmanövriert, die über seine Beherrschung ging. Er starrte auf den roten Sandstaub zu seinen Füssen und malte verlegen mit der Schuhspitze ein Muster in den Pfad. „Prima“, sagte der Sänger grinsend „Damit wäre Punkt eins schon mal geklärt. Ich finde dich nämlich auch nicht zum Kotzen, auch wenn du manchmal ziemlich hochnäsig daherredest. Kommen wir zu Punkt zwei.“ Der Schwarzhaarige blinzelte verwirrt, sollte das eine Sympathieerklärung sein oder ein dummer Witz? „Punkt zwei ergibt sich automatisch aus Punkt eins“, dozierte Hyde, als befänden sie sich in der Schule. „Wenn sich zwei Leute nicht verabscheuen, macht es auch Spass, mehr Zeit miteinander zu verbringen. Was hast du für Hobbys, wenn du nicht gerade die Nase in eines der Bücher steckst, die du anscheinend in rauen Mengen mitgeschleppt hast?“ Dieses Mal ließ sich Gackt nicht überrumpeln, er ahnte, worauf Hyde hinaus wollte. „Wassersport ist mir zu nass, Tennis zu hektisch, Schach zu anstrengend und „Mensch ärger dich nicht!“ zu öde. Ach ja und Musik scheidet auch aus, das mach ich schon, wenn ich nicht Ferien habe. Sonst noch Fragen?“ Hyde grinste gequält. „Zurück zu Punkt eins, was hast du gegen mich?“ „Gar nichts“, gab Gackt erneut zu. „Aber was erwartest du eigentlich von mir? Ich mache hier nur zwei Wochen Ferien. Da hat es keinen Sinn, dass wir uns näher kennen lernen. Und außerdem kann ich mir kaum vorstellen, dass du mich interessant findest, es hat doch genug Mädels …“ Hyde liess ihn nicht ausreden. „Hör mir auf mit Frauen! Ich finde dich anziehender, ich mag die Tussen nicht, die aussehen, als wären sie in einen Farbtopf gefallen.“ Das ging eindeutig über eine Sympathieerklärung hinaus. Gackt blickte fassungslos mitten in Hydes strahlendes Lächeln. Dieser fasste sorgfältig nach der Haarsträhne, die Ga-chan über die Augen fiel und strich sie hinter sein Ohr. „Du hast mir auf den ersten Blick gefallen“, sagte er dann sanft. „Das geht nicht gut“, murmelte der Schwarzhaarige heiser, ganz im Bann der Worte und Gesten von dem Kleineren. Panik überflutete ihn. „Das gibt nur Kummer. You hat es auch schon gesagt, selbst wenn du nach Tokyo kommst, dort geht mein Leben wieder weiter und irgendwann magst du nicht mehr auf mich warten, bis die Arbeit erledigt ist, die getan werden muss.“ Hyde lachte gezwungen. „Dein Optimismus haut mich echt um! Warum gibst du uns beiden nicht erst einmal eine Chance, ehe du alles kaputtmachst?“ „Was nicht existiert, kann nicht zerstört werden“, entgegnete Gackt und drehte sich um. Er riss mit dieser Bewegung, die neue Haarsträhne, die Hyde in die Finger genommen hatte, aus ihnen, dann nahm er die Plastiktüten und lief davon, ohne sich auch nur einmal umzusehen. Im Bungalow versuchte er sich abzulenken, indem er endlich die Ansichtskarten schrieb, die er seinen Bandmitgliedern und den Freunden versprochen hatte. Aber er ertappte sich dabei, dass er auf jeder Karte von Hyde schwärmen wollte. Und als er für die kleine Clique die Sandwisches für das Mittagessen mit Schinken und Salatblättern belegte, konnte er nur daran denken, dass ER dieses Baguette schon einmal in den Händen gehabt hatte. Er ging wie ein Schlafwandler durch den kleinen Bungalow, da die anderen genug sprachen, fiel es gar nicht auf, dass er immer schweigsamer wurde. Nach der ersten Urlaubswoche hatte sich eine gewisse Routine eingespielt. Man traf sich zu den Mahlzeiten, aber ansonsten konnte jeder das tun, wozu er Lust hatte. You und Tetsu gingen tauchen und surfen, oder hingen mit Akeami rum. Ken und Yukio waren so oder so unzertrennlich und immer zusammen unterwegs, meistens sah man sie den ganzen Tag kaum. Und Hyde? Der war nur am Abend bei den Konzerten hier, sonst hatte er sich zu seinen Grosselten zurückgezogen. Gackt, der bisher das Faulsein genossen hatte, fühlte sich heute einsam und im Stich gelassen. Niemand kümmerte sich darum, was er tat, alle waren nach dem Mittagessen wieder verschwunden und gewährten ihm eine Freiheit, mit der er gar nichts anfangen konnte. Ratlos fragte er sich, was er tun sollte, er hatte einfach zu nichts wirklich Lust, nicht einmal auf das nächste Kapitel seines Liebling Buches. Er war zu unruhig, um sich in eine Phantasiewelt flüchten zu können. Aber es gab auch nichts mehr zu tun. Er hatte die Küche tipptopp in Schuss gebracht, alle herumliegenden Kleider aufgeräumt und auf der Süd und West Seite die Läden angelehnt, damit die Sonne nicht zu sehr herein brannte. Er war Einkaufen gewesen und hatte sogar den Salat für das Abendessen vorbereitet. Der Nachmittag dehnte sich öde vor ihm aus, er stand mitten im Aufenthaltsraum und bedauerte sich selbst. Draußen pfiff jemand einen geläufigen Hit, den die Band öfters mal auf Anfrage gespielt hatte. Unwillkürlich dachte er wieder an Hyde. In diesem Augenblick klopfte es an der offenen Balkontüre. „Gackt? Bist du da?!“ „Hyde!!“ Der Schwarzhaarige starrte ihn an, als wäre er eine himmlische Erscheinung. „Ich wollte dich zu unserer Bootsfahrt abholen. Hast du vergessen, dass wir verabredet sind?“ „Wir?“ „Wir!“, bestätigte er freundlich lächelnd. „Komm, ich hab das Boot für zwei Stunden. Ich verspreche dir auch, dass wir ganz nah am Ufer entlang gondeln, damit du keine Angst haben musst. Außerdem ist das Meer nach dem Mistral so glatt wie meine Lieblings CD!“ Gackt sank mit weichen Knien auf einen der Stühle am Esstisch, in seinem Kopf drehte sich alles. Eben noch hatte er sich total Elend gefühlt und schon Sekundenbruchteilen danach war er ein völlig anderer Mensch. In seinen Adern schien ganz neues, frischeres Blut zu pulsieren und seine Traurigkeit war mit einem Schlag wie weggewischt. Auch wenn er wusste, dass er und Hyde nicht verabredet gewesen waren, freute er sich über den Einfall des Jüngeren. „Nimm dir ein Shirt oder einen Pulli mit“, riet Hyde. „Die Sonne ist auf dem Wasser ganz schön gefährlich und den Fahrtwind unterschätzt man leicht.“ Gackt lief in das Schlafzimmer, schnappte sich ein Hemd, seine Sonnenbrille und den Fotoapparat. Innerhalb Sekunden war er zurück und baute sich vor Hyde auf. „Wir können.“ „D`accord!“, antwortete er und Gackt hatte das Gefühl, als versteckte er sich hinter der unverbindlichen, französischen Zustimmung und hätte eigentlich etwas anderes sagen wollen. Hyde brachte ihn zu einem schwarzgelben Schlauchboot, das statt der üblichen Holzbank zwei richtige Schalensitze und einen halbrunden Spritzschutz aus durchsichtigen Kunststoff vor dem Steuerrad hatte. Es ankerte neben den anderen Booten der Anlage und wurde manchmal von Wasserskifahrern gemietet, die in der weiten Bucht ihre Runden drehten. Vermutlich war es Hydes Beziehungen zum Direktor des Feriendorfes zu versanken, dass sie es für diesen Ausflug nutzen durften. Gackt sah ihm zu, wie er das Boot von der Boje löste und den Motor ins Wasser kippte, ehe er an einer Schnur zog, um ihn anzuwerfen. Wenig später schossen sie mit aufheulendem Motor auf das Meer hinaus, dass Gackts Haare sofort an ein Desaster erinnerten und Hydes langes Haar wie eine Fahne im Wind wehte. Der Schwarhaarigen war froh, dass er an seine Sonnenbrille gedacht hatte, hinter den dunklen Gläsern konnte er Hyde leichter beobachten. Dieser lenkte das Boot genau so selbstverständlich auf dem Kurs quer durch die Küste, wie er es mit seinem altes Cabrio auf den holprigen, steilen Strassen getan hatte. Da der laute Motor und der scharfe Wind eine Unterhaltung nur im Schreien ermöglicht hätte, zog es Gackt vor seinen Gedanken nachzuhängen. Er wusste, dass er eine Dummheit machte, aber es war eine wundervolle, es gefiel ihm neben Hyde über das Wasser zu flitzen. Es hatte einen Hauch von Abenteuer und sogar das kleine ängstliche Gefühl in seiner Magengrube war nicht unangenehm, es steigerte die Spannung und passte irgendwie dazu. In diesem Moment konnte er glauben, dass sie beide alleine auf der Welt waren. Dass er mit Hyde zusammenbleiben würde, dass er die Gefühle, die er bislang so tapfer bekämpfte, zulassen dürfte, ohne Angst enttäuscht zu werden. Der Sänger nahm die Geschwindigkeit etwas zurück und lenkte das Boot in eine kleine Bucht, die sich überraschend an einem steilen Küstenstück öffnete: Fünf oder sechs Meter feiner, goldener Sand, von schroffen, roten Felsen umgeben, nur vom Wasser erreichbar. „Möchtest du ein wenig an Land gehen?“, rief er fragend und deutete auf das winzige Paradies. Gackt schüttelte den Kopf, bloß nicht, solange Hyde das Boot steuern musste, war er ungefährlich. Was er aber auf einem einsamen, romantischen, uneinsehbaren Strandstück tun würde, daran wollte Gackt gar nicht erst denken. Merkwürdigerweise überlief ihn aber bei dieser Vorstellung ein eigenartiger Schauer, welcher ihm Gänsehaut verursachte. Hyde akzeptierte seine Entscheidung mit einem Grinsen, aber er hatte das Gefühl, dass er ihn durchschaute, dass er genau wusste, warum er abgelehnt hatte. „Ich fass es nicht!“, Yous Stimme kippte vor Ärger „Ich dachte, ich hab Tomaten auf den Augen, du hast eine Bootsfahrt mit Hyde gemacht? Warum zum Kuckuck? Erst macht ihr beide ein mega, riesen Theater und nun geht ihr Boot fahren?!“ „Warum?“, Gackt versuchte Zeit zu schinden, während sie nebeneinander auf dem Pfad vom Strand zu den Bungalows gingen. „Weil er mich eingeladen hat.“ „Und wie kommt er dazu dich nun doch einzuladen? Nachdem ihr euch beide so gestritten hattet?“ „Frag ihn doch und wir hatten nicht gezofft“, schnappte Gackt zurück. You suchte angestrengt nach einer Erklärung. „Sollte das eine Art Entschuldigung für die Beule sein, die er dir neulich verpasst hat?“ „Er hat nicht sehr viel gesagt, You, hör endlich auf mit dem Sorgen Machen. Ich bitte dich, ich bin Erwachsen und...“ „Sag mir doch endlich, warum er dich eingeladen hat, nachdem er einfach abgehauen ist für die paar Tage.“ Gackt hatte das Versteckspiel satt. „Ich glaube, er findet mich nett.“ „Wen? Dich?“ „Ja mich“, meinte er ein wenig kühl. Dann konnte er etwas seltsames beobachten, er sah You grinsen, dann lachte er beinahe hysterisch und rannte zum Haus hinaus, wo er die ratlose Akeami mit sich zog. Der Grosse schüttelte den Kopf, manchmal war sein bester Freund sogar für ihn ein Mysterium. Als er ins Haus kam, verstummte die kleine Clique, ausnahmslos alle grinsten ihn unschuldig an. „Was ist denn los mir euch?“, wie aus einem Mund kam ein einstimmiges „Nichts“ zurück. Als Hyde eintraf, der das Boot noch an die Boje festgemacht hatte, setzten sie sich alle an den großen Tisch und genossen das Abendessen, keiner sprach Hyde auf die Bootsfahrt an, sondern übergingen beide einfach bei der Frage, was sie heute so getan hatten. Gackt war dies nur Recht, denn noch mehr so viel sagendes Gegrinse würde er einfach nicht aushalten können. Danach wollten die anderen in ein nahe gelegenes Kino und danach in irgendeinen angesagten Club. You sah seinen besten Freund erwartungsvoll an, doch Hyde mischte sich ein, ehe er ihm antworten konnte. „Gackt und ich werden einen Strandspaziergang machen, geht ihr nur alleine los.“ Der Grosse wartete nur auf jemanden, der einen super tollen Spruch vom Stapel ließ, oder dass jemand Beifall klatschte, doch das Leben ging einfach weiter und die Welt drehte sich in normalem Bahnen. Seine Bandkollegen zuckten mit den Achseln und Akeami lächelte fröhlich, ehe sie den vollkommen fassungslosen You hinaus führte. „He, mach mir keine Vorwürfe, irgendwann hätten sie es so oder so bemerkt“, sagte Hyde, der seine Gedanken durchschaute. Gackt vernahm diese Worte wie durch eine Wattewand und folgte dem Kleinen hinunter zum Strand, er passte sein Schritt dem seinen an und alle seine Empfindungen konzentrierten sich auf den Arm, der um seine Hüfte lag. Wärme strömte von dort durch seinen ganzen Körper, ihm kam es vor, als würde er schweben und das leise Glucksen des friedlichen Meeres klang aus einer anderen Welt hinüber. „Wärst du lieber mit den anderen mitgegangen?“ Die Frage riss Gackt aus seiner Erstarrung, er schüttelte den Kopf. „Wie kommst du auf diese Idee?“ „Ich dachte...nur so.“ Gackt blieb stehen und blickte zu dem vollen Mond, der am Himmel stand. Dann besah er sich den kleinen Sänger wieder, der bückte sich nach einer kleinen, hellen Muschel, die im Mondlicht schimmerte. „Es ist schön hier“, meinte er und griff vorsichtig nach der Muschel, die er ihm hinhielt. Sie fühlte sich noch ganz warm an von seiner Hand. Seidig, glatt und angenehm, aber auch mit messerscharfen Kanten, die sich gegen die Handballen drückte. Er schloss die Finger darum. „Machst du so etwas öfters?“ „Was?“ „Nächtliche Strandspaziergänge mit Touristen“, sagte er und fand es dumm und albern, sobald es heraus war. Warum fielen ihm ausgerechnet in wichtigen Situationen nie die richtigen Worte ein? „Natürlich ist es nicht das erste Mal“, gab Hyde zu. Gackt schluckte. So viel Ehrlichkeit hatte er nicht erwartet. „Es wäre ja auch reichlich dumm von mir dich anzulügen, meinst du nicht auch? Aber was interessiert dich die Vergangenheit? Gegenwart ist, dass ich mit dir hier stehe und dass es keinen anderen Mann gibt, der mich mehr interessiert. Ich habe auch keinen Lover, der irgendwo auf mich wartet. Es gab einen, doch wir haben uns vor einem Jahr getrennt. Und ich habe keinen Kontakt mehr zu ihm. Es ist aus.“ „Weshalb habt ihr euch getrennt?“, Gackt musste es einfach fragen. „Der übliche Irrtum“, brummte Hyde ein wenig verlegen. „Ich dachte, er mag nur mich und dann habe ich bemerkt, dass er meinen Kumpel anmacht. Nun kennen mich beide nicht mehr.“ „Tut mir Leid“, flüsterte der Schwarzhaarige befangen. „Vergiss es“, meinte der Kleine. „Ich bin längst über die Sache hinweg.“ Ihre Hände hatten sich gefunden und jetzt gingen sie beide langsam am Wassersaum entlang. Keiner sagte ein Wort, aber es war kein ungemütliches Schweigen, im Gegenteil, das leise Geräusch ihrer Schritte mischte sich mit den Lauten der Nacht und machte sie zu einem Teil der Dunkelheit. Das Wasser murmelte sanft, ab und zu trug der Wind einen Melodiefetzen aus dem Strand Restaurant in ihre Richtung. Gackt hätte ewig so weiterlaufen können, leider erreichten sie nach etwa zwanzig Minuten die Felskante, die den Sandstrand beendete. Sogar bei Tag ging man hier besser nicht barfuss, es gab jede Menge scharfe Steine und manchmal leider auch Glassplitter. Hyde lehnte sich mit dem Rücken gegen einen übermannshohen Stein und zog den Größeren sanft näher an sich heran. Er sträubte sich ein wenig und als sich der Kleine auf die Zehenspitze stellen wollte, legte er den Kopf auf die Schulter von Hyde. Es war ein wenig unbequem, aber so machte er keine weiteren Dummheiten. „Ich mag dich sehr, weißt du das?“, flüsterte Hyde in das Haar. Der Schwarzhaarige lauschte den Worten nach, hatte er das wirklich gesagt, oder hatte er es geträumt? Er stand jetzt ganz dicht bei ihm, so eng, dass sie unwillkürlich beide im selben Rhythmus atmeten. Er fühlte sich so wunderbar und gut an, so dass Gackt keine Worte dafür fand. Er spürte sein Kinn an seinem Kopf, seine Hände auf seinem Rücken, seine Muskeln unter seinen Fingern, die er um seine Taille gelegt hatte. Beide bewegten sich nicht, Gackt kam es so vor, als müsse auch Hyde erst einmal in sich hineinhorchen und den Gefühlen nachspüren, die diese Berührung verursachte. Ein Scheinwerfer tastete sich über sie hinweg zur Bootanlegestelle, nächtliche Fischer kamen von ihrem Fang zurück. Der Lichtkegel warf für Sekunden den Umriss ihrer beiden Gestalten gegen die Felswand. Ein Liebespaar eng umschlungen. Lieber Himmel, was tat er hier? Er schrak bei dem Anblick zusammen. Gackt machte exakt die Dummheit, vor der You ihn gewarnt hatte! „Ey, was ist denn los?“, Hyde spürte, dass sich schlagartig etwas zwischen ihnen geändert hatte. Er konnte sich bloß nicht erklären, was. „Ich… ich bin müde. Ich möchte nach Hause“, Gackt hasste sich für die kindische Antwort. „Schade“, sagte Hyde leise „Ich fand es schön hier. Du nicht?“ Zu schön hätte der Schwarzhaarige erwidern können. Viel zu schön und viel zu gefährlich. Stattdessen sagte er trocken: „Vollmondnächte am Meer sind gezwungenermaßen schön. Das steht in jedem Reisekatalog.“ Hyde sparte sich die Antwort, beugte sich nach unten, zog sich die Turnschuhe aus und krempelte seine Jeansbeine hoch. Gackt tat es ihm nach. Sie gingen schweigend nebeneinander durch das Knöchel hohe, warme Wasser. Jeder für sich allein und ohne sich noch einmal zu berühren. „Machen wir morgen etwas zusammen?“, richtete Hyde das Wort an ihn, erst als sie vor dem Bungalow im nächtlichen Schatten der großen Steineiche standen. Das helle Geflecht der Hängematte war ein schwarzes Netzmuster in den Lichtstreifen des Mondes genau zwischen ihnen. Eine Barriere aus Licht und Einbildung: Nicht berühren, nicht betreten! „Wenn du möchtest“, wisperte Gackt wider jeder Vernunft. „Sonst würde ich nicht fragen. Ist es okay, wenn ich dich gegen halb elf abhole?“ „Warum schläfst du nicht hier?“ „Ich…ich hab meinen Grosseltern heute morgen versprochen wieder bei ihnen zu schlafen.“ „Ich bin gegen halb elf am Strand. Dann können wir uns sehen.“ „D`accord!“, stimmte Hyde zu. „Salut Gackt! Gute Nacht und träum was schönes.“ Ehe er begriff, was er im Schilde führte, hatte er die Barriere überwunden, er hielt sich an den Schultern von Gackt fest und küsste ihn blitzschnell auf die Nasenspitze. Mit Nachdruck aber sehr zärtlich. Dann verschwand er im Dunkeln, begleitet von einem seiner Lieblingsongs, er pfiff leise „Dont Cry“. Gackt erinnerte sich an eine Textzeile, weil sie genau zu seiner Stimmung passte. Give me a whisper, and give me a sigh. Give me a kiss, before you tell me goodbye… Kapitel 7: Zeit die wie Sand zwischen meinen Händen zerinnt ----------------------------------------------------------- Am nächsten Tag hatte Gackt einen handfesten Streit mit seinem besten Freund, der ihm gedankeloses Handeln vorwarf und ihn einfach nicht mehr verstand. Als Gackt dann meinte, dass er doch auch einen Urlaubsflirt hatte, war die Stimmung so abgekippt, dass der Grosse beinahe fluchtartig das Haus verlassen hatte, selbst als er bei Hyde am Strand ankam, hatte er sich noch nicht ganz beruhigt. „Vergiss es“, schlug Hyde trocken vor. „Es gibt überall mal Krach, warum willst du dir damit den Urlaub verderben? Surfen wir eine Runde zum Turm?“ Gackt blinzelte. „Wie stellst du dir das vor? Ich habe keine Ahnung vom Surfen!“ Hyde grinste. „Das Surfen erledige ich. Du legst dich einfach mit auf das Brett und lässt dich fahren. Wir haben eine ganz leichte Brise, kaum Wellen, genau der richtige Tag für einen gemütlichen Surfausflug! Aber vergiss nicht dich gut einzucremen.“ Der Gedanke, einfach vom Strand zu verschwinden, wo jeden Moment auch You und die anderen auftauchen konnten, war äußerst verführerisch und der Knatsch am Morgen mit You erleichterte ihm seine Entscheidung. Wenig später lag er mit dem Bauch auf dem hinteren Teil des Surfbrettes und liess die Füße gemächlich im Wasser treiben, das Gesicht entspannt auf die Arme gelegt, blinzelte er über die türkise Wasserfläche. Über ihm blähte sich das dunkelviolette Surfsegel im Wind und Hyde hielt mit beiden Händen den Bügel, während sie leise über die Wellen zischten. Aus seiner Perspektive konnte Gackt jeden seiner Handgriffe beobachten, er meisterte das Wenden, ohne dass das Brett auch nur ins Wanken geriet. Heute trug er keinen Neoprenanzug, sondern ein Paar weite, schwarze Boxerbadehosen. Wenn er den Kopf ein wenig drehte, konnte er auch seinen bloßen Oberkörper sehen, leicht gebräunt und obwohl er nicht muskulös war, sah man ihm die Stärke an, die in dem kleinen Körper steckte. Am liebsten hätte er ihn berührt und liebkost. Er schloss die Augen und versuchte sich zu fassen. „Hast du Lust, ein bisschen an Land zu gehen?“ Gackt wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als Hyde das sagte, aber der Strand lag ziemlich weit entfernt. Die Menschen im Wasser und unter den Sonnenschirmen glichen kleinen Strichmännchen und die Insel mit dem Piratenturm lag direkt vor ihnen. Diesmal hatte Hyde die Antwort nicht abgewartet, schon wenige Augenblicke später sprang er auf der wind abgewanden Seite vom Brett und ließ das Segel sanft ins Wasser gleiten, ohne dass der kleinste Wassertropfen auf Gackt spritzte. Dann kam er zu ihm und streichelte in einer Schlangenlinie über seinen Rücken. „Endstation Monsieur! Der grosse, gefährliche Pirat Schwarzhaar, hat den Prinzen auf seine geheime Insel entführt, um ihn dort vor seinem wütendem Freund in Sicherheit zubringen.“ Gackt kicherte und rutschte vom Brett, das Wasser an dieser Stelle war höchstens einen halben Meter tief und gasklar. Er konnte die kleinen, silbernen Fischchen sehen, die davon stoben, als er den Boden berührte und die vielen Muscheln, die auf dem Sand lagen und sich leicht in der Dünung bewegten. Als er den Blick hob, blickte er direkt in die warmen, samtigen, braunen Augen von Hyde. So genau wusste Gackt selbst nicht, wie plötzlich seine Hände auf die Schultern von Hyde kamen. Seine Haut fühlte sich warm und seidig an, er hielt ganz still, als dieser sein Gesicht mit beiden Handflächen umfasste und sich zu ihm hinaufzog. Diesmal sorgte Hyde dafür, dass er nicht im letzen Moment den Kopf wegdrehen konnte. Aber Gackt wollte diesen Kuss ebenso wie Hyde. Hier auf der kleinen Insel, im Schatten des Turmes, wo er zum ersten Mal erkannt hatte, dass Hyde der einzige war, den er begehrte. Der Dunkle hielt unwillkürlich den Atem an, bis er endlich seine Lippen auf den seinen spürte. Sehr vorsichtig zuerst, als erwartete der Kleinere, dass er jeden Moment protestieren würde. Zaghaft erwiderte er den sanften Druck. Und dann wurde es plötzlich ein richtiger Kuss. Ein erwartungsvoller, prickelnder, wunderbarer Kuss, der ihn vergessen liess, dass sie beide bis zu den Knien im Wasser standen und dass er You geschworen hatte sich nicht in einen Ferienflirt zu verlieben. „Gackt.“ „Sag es nicht“, wisperte er leise. Hyde schob ihn ein klein wenig von sich, damit er ihm in die Augen blicken konnte. „Woher weißt du, was ich sagen wollte?“ Der Dunkle merkte, dass der Sänger zwischen Verblüffung und plötzlich aufkommendem Misstrauen schwankte, er begriff nicht, was in ihm vorging, aber das tat Gackt selbst auch nicht. „Sei nicht böse“, versuchte er ihn zu besänftigen. „Ich meinte doch nur, dass du nichts erklären musst.“ Er sah, dass sich Hydes Zähne für ein paar Sekunden in die Unterlippe gruben, dann gab er sich einen sichtlichen Ruck und versuchte zu lächeln. „Du hast nicht gerade sehr viel Vertrauen zu mir, was?“, sagte er und wand sich spielerisch eine Haarsträne von Gackt um den Finger, damit der ihn wieder näher an sich heranziehen konnte. „Und wenn ich dir nun sage, dass du dir völlig umsonst Sorgen machst? Dass alles in Ordnung ist und dass du an mich glauben sollst?“ „Tu ich doch“, sträubte sich Gackt ein wenig scheu. „Weißt du, dass ich bisher noch bei niemandem auf dem Surfbrett mitgefahren bin?“, es war deutlich zu erkennen, dass er sich bewusst ahnungslos stellte. Hyde ließ die Haarsträhne los und Gackt kam es vor, als habe sich mit dieser winzigen Geste die Stimmung zwischen ihnen geändert. Die Zärtlichkeit war verflogen. „Du bist mir doch böse“, stellte er fest. „Bin ich nicht“, seufzte Hyde und hielt das davon treibende Surfbrett fest. „Lass uns zurückschippen, okay?“ Gackt wusste, dass dies ein vernünftiger Vorschlag war, trotzdem tat es weh. Er sehnte sich nach einem weiteren Kuss. Er wollte noch einmal seine warmen, weichen Lippen spüren und seine Hände auf seiner Haut, am liebsten hätte er sich in seine Arme geworfen. Aber der verzauberte Moment war vorbei, jetzt hatte die Angst wieder die Oberhand. Die Angst vor dem Abschied, die Furcht vor dem verletzt Werden. Die Angst zu weit zu gehen und etwas zu tun, was er später bereuen könnte. „Was ist das denn? Eine Muschel? Seit wann sammelst du die Dinger?“ You hielt das cremefarbene Perlmuttgehäuse zwischen den Fingern und wollte es gerade achtlos auf das Bett schnipsen, als Gackt sich darauf stürzte. „Die gehört mir! Gib sie sofort her!“ „Keep Cool, was ist denn mir dir los?“ You runzelte die Stirn „Du bist ehrlich total von der Rolle, seit du dir Hyde gekrallt hast. In dieser Bude sieht es aus wie nach einem Hurrikan, du bist ständig unterwegs und niemand darf auch nur eine halbe Silbe sagen, ohne dass du gleich an die Decke gehst. Findest du das normal für einen harmlosen Ferienflirt?“ Gackt schloss die Finger um die weiße Muschel, die bei Tageslicht einen sanften, rosèfarbenen Schimmer hatte. Er spürte die ovale, harte Kante in seiner Handfläche und versuchte sich zu beruhigen. Dass You eine sehr zutreffende Beschreibung der Situation gab, machte die Sache nicht leichter. Zwei Tage vor Ferienende musste er zugeben, dass er bis zum Hals in Problemen steckte. Jede Stunde, die er mit Hyde verbrachte, vertiefte seine Gefühle für ihn, er war einfach der Freund, nach dem er sich immer gesehnt hatte, und ausgerechnet diesen Traummann musste er hier lassen und, wenn er nachhause kam, im Großstadtdschungel verlieren? Alles wäre hier so perfekt gewesen, wäre da nicht dieser drohende Abflugtermin, der mit jeder Sekunde näher rückte. „Ich übertreibe nicht“, sagte Gackt aus diesen Gedanken heraus und fügte stumm hinzu: „Es ist noch viel schlimmer, als du denkst.“ „Na, man könnte sowieso rappelig werden“, gab You zu, der jetzt am Fenster stand und hinaus in den Regen starrte. „Seit gestern Abend gießt es wie aus Kübeln, das muss dem stärksten Optimisten auf die Laune schlagen. Von Unwettern stand kein Piep in diesem blöden Reiseprospekt. Ich möchte wissen, wie lange dieses ätzende Tiefdruckgebiet noch über dem Mittelmeer hängt, nicht mal auf das Wetter ist Verlass!“ Gackt stopfte die Muschel in die Hosentasche, während You einen hektischen Trommelwirbel gegen die Scheibe pochte. Doch seinem Freund wurde es bald langweilig, so warf sich dieser über das Bett und angelte nach seinem mp3 Player. Der Schwarzhaarige öffnete den Schrank und holte die leichte Jacke heraus, die er als einziges Kleidungsstück für kühleres Wetter im letzten Moment in seinen Koffer gestopft hatte. „Ich geh trotzdem eine Runde spazieren“, verkündete er. „Hier drin fällt mir die Decke auf den Kopf“, bevor sein Freund noch etwas erwidern konnte, war der Grosse auch schon nach draußen geschlüpft. Bis auf ein paar wetterfeste Feriengäste, die in Gummistiefeln und Windjacken über die aufgeweichten Wege stampften, schien diesem Nachmittag das Leben im „Village du Soleil“ erstorben zu sein. Gackt sprang mit weiten Schritten über die großen Pfützen und nahm zwei Stufen auf einmal, als er das Apartmenthaus hinter dem Tennisplatz erreicht hatte. Nachdem Hyde und er den Wunsch verspürt hatten, öfters Mal alleine zu sein, um ungestört kuscheln zu können, war der Kleine einfach vom Bungalow in ein kleines Zimmer hier gezogen. Hydes Tür war unversperrt, aber von ihm selbst keine Spur zu entdecken, nur der Kater Napoleon lag auf dem Fußende seines Bettes und öffnete verschlafen die Augen, als der Grosse den Raum betrat. „Salut, alter Pirat“, grüsste er ihn, bückte sich und vergrub die Finger in seinem dicken Fell. „Sag mal, Dicker, wo hast du denn unseren gemeinsamen Freund Hyde gelassen?“ Napi schnurrte genüsslich und schloss die Lider wieder, während sich Gackt neugierig umsah. Er befand sich zum ersten Mal ganz alleine in der Bude. Hydes Gitarre lag quer über dem Schreibtisch, auf dem sich Papiere, Bücher, Schreibzeug und Cds in einem geordneten Durcheinander lagen. Was las er eigentlich, wenn er Zeit dafür fand ein Buch aufzuschlagen?. Gackt trat gerade an den Tisch, als Hyde hereinplatzte, er kam nicht mehr dazu einen der Buchtitel zu lesen. Fast hätte er den Kleinen nicht erkannt. In seiner schwarzen Hose und dem grob gestrickten, weißen Rollkragenpullover sah er so seltsam „angezogen“ aus. In seinen Haaren glitzerten Regentropfen und er hielt ein kleines Päcken und ein paar Briefe in der Hand, die er nun achtlos zu dem übrigen Kram auf dem Schreibtisch warf und ihn ansah. „Schön, dass du da bist. Musstest du warten? Ich habe mich extra beeilt…“ Hyde ließ Gackt gar nicht zu Wort kommen, schloss ihn in die Arme und begann ihn zu küssen. Überall, wo der Kleine gerade traf, das Kinn, den Hals und nach einigem Strecken auch die Lippen. „Hast du deine Liebesbriefe abgeholt?“, machte er einen flauen Witz. „Ich werd erst Liebesbriefe bekommen, wenn du mir welche schreibst“, widersprach Hyde ernsthaft. „Du hast mir gefehlt.“ „Seit gestern Abend? Das gibt es doch nicht…“, zweifelte er. Die Kante seines Bettes drückte sich von hinten gegen seine Kniekehlen, als Hyde ihn in diese Richtung drängte, er ließ sich einfach fallen, die Matratze quietschte, als er sich halb über ihn legte und ihn zärtlich musterte. „Du fehlst mir immer, weißt du das denn nicht?!“ Gackt spürte seinen Zeigefinger, der seine Wangenknochen nachzeichnete und schloss die Arme um seine Schultern. „Du kommst mir vor wie ein Postpaket, total verpackt und zugeschnürt“, meinte er in einem beleidigtem Tonfall. „Gleichfalls“, grinste Hyde und begann die Knöpfe seiner leichten Jacke zu öffnen. Gackt setzte sich auf und zog die Jacke aus, darunter trug er nur ein eng anliegendes Shirt ohne Ärmel. Dann ließ er sich wieder nach hinten zwischen die Kissen fallen. Hyde schob seine Hände unter jenes dunkle Shirt und fing an die Brust von dem großen Japaner zu liebkosen. Gackt keuchte auf, als er die kühlen Fingerspitzen auf seiner erhitzten Haut spürte. Ein wohliger Schauer lief durch seinen ganzen Körper. Schmetterlinge mit Seidenflügeln, die empfindliche Nervenenden berührten. „Keine Angst, ich tu dir nicht weh…Ich…will dich nur ansehen“, flüsterte Hyde, der seinen Pulli über den Kopf zog. Sie beide verloren sich in einen Strudel der Lust, der feurige Bahnen über die beiden Körper zog, bald lagen sie nackt nebeneinander, um sich zu streicheln, zu küssen und sich wortlos anzusehen. Gackt sah das Feuer in den braunen, samtweichen Augen, sah die Begierde in ihnen brennen, doch er sah auch, dass Hyde vor dem letzten großen Schritt zögerte. Als Gackt ihn schlussendlich auf ihn zog, ihm signalisierte, dass er mehr wollte, fing er einen undefinierbaren Blick von dem Kleineren auf. „Nein Gackt“, sagte er mit rauer Stimme. „Nicht heute und nicht hier. Ich liebe dich sehr und ich könnte mir nichts Schöneres vorstellen, als mit dir eins zu werden, aber es ist nicht der richtige Zeitpunkt. Vielleicht solltest du…dies nur mit jemanden tun, den du genau so liebst wie ich dich.“ Gackt wusste nicht mehr, was er denken sollte, er war enttäuscht, verwirrt, erregt und traurig zugleich. Vielleicht auch deswegen, weil er Hyde im Grunde seines Herzens recht geben musste und das schien ihm ein Verrat an seinen eigenen Gefühlen. Verlegen griff er nach seinen Kleidern und zog sich wieder an, während Hyde nur in ein Hemd schlüpfte und seine Shorts anzog. Er räsuperte sich und sah hinaus in den Regen. „Willst du mir nicht endlich deine Adresse geben, damit ich dir schreiben kann?“ Gackt unterdrückte ein Seufzer. Dieses Thema wurde mehr und mehr zum Streitpunkt zwischen ihnen. Er hatte Hyde seine Gründe genannt. Nein, er wollte nicht Woche für Woche und Tag und Tag auf seine Briefe warten, die anfangs regelmäßig dann immer seltener und später gar nicht mehr kommen würden. „Ich will nicht, dass du mir schreibst, wie oft soll ich dir das noch sagen?“, erkläret er. „Ich werde dir auch nicht schreiben. Hyde, es hat keinen Sinn, am Samstag reise ich ab, lass uns die Zeit bis dahin vergessen. Reden wir bitte nicht mehr von Adressen und Telefonnummern, okay?“ „Warum kannst du mir nicht glauben, dass wir uns wieder sehen werden?!“ Gackt schwieg betrübt. Wie sollte es ein Wiedersehen geben, wenn über tausend Kilometer die ersten Monate zwischen ihnen liegen würden? Und auch wenn Hyde dann in derselben Stadt zu Hause war, war da noch immer die Malice Mizer Tour und dergleichen. Es würden immer endlose Distanzen zwischen ihnen liegen. Gackt machte sich da nichts vor. Er betrachtete die Regentropfen, die die Scheibe hinunter rannen. Das trostlose Wetter passte wenigstens zu seiner Stimmung, am liebsten hätte er geweint, der Abschied war noch ganze zwei Tage entfernt, doch er fing jetzt schon an weh zu tun. Kapitel 8: Adieu Hyde... ------------------------ Die zwei Tage waren, wie Gackt befürchtet hatte, viel zu schnell um. Er sass in dem schwach beleuchteten Club und rieb sich die Tränen aus den Augen. Er war froh, dass er ausnahmsweise alleine an ihrem Stammtisch sass, denn You und seine Flamme tanzten eng umschlungen zu einem langsamen Liebeslied. Und er sass hier alleine und verzweifelt. Sein Leben würde heute in die Brüche gehen, warum konnte er nicht wie You sein? So sorg- und manchmal auch gedankenlos? Als Hyde zwischen zwei Songs eine kurze Ansprache hielt, verschlug es ihm beinahe die Sprache. Er wollte ihm „Don’t cry“ widmen und alle blickten zu ihm, als Hydes samtweiche Stimme sagte: „Weil ich ihn einfach über alles liebe!“ „You gotta make it your own way, but you’ll be allright now sugar. You’ll feel better tomorrow.” Die Worte beschrieben so genau seine Gefühle, dass ihm beim Gedanken daran die Tränen in die Augen stiegen. Auch er suchte diesen eigenen Weg. Er wusste, dass er ihn gehen lassen musste und dass er sich irgendwann wieder besser fühlen würde. Aber momentan tat es einfach nur höllisch weh. Er hätte jedes Opfer auf sich genommen, nur um nicht nach Hause fliegen zu müssen, um bei Hyde bleiben zu können. Sie verabschiedeten sich im Dunkeln vor Bungalow 14. Gackt wusste nicht, was er sagen sollte. Dass Hyde ihm ein kleines Packet als Abschiedsgeschenk in die Hand legte, nahm er kaum wahr. „Wir sehen uns wieder, ich schwöre es dir“, flüsterte er dicht an seinem Ohr. „Ich liebe dich!“, Gackt blieb stumm. Schade, dass er im letzten Moment glaubte, ihn mit einer Lüge trösten zu können. „Adieu Hyde“, wisperte er heiser. Dann riss er sich los und lief ins Haus. You war wie erwartet noch nicht da und so hatte er das breite Bett noch eine Weile für sich alleine. Gackt machte kein Licht, er legte sich angezogen auf seine Matratzenhälfte und versuchte sich nur auf das schrille Grillengezirpe, das nach dem Unwetter nun wieder mit doppelter Lautstärke eingesetzt hatte, zu konzentrieren. Auf die dunklen, gurrenden Käuzchenrufe, das Rauschen des Meeres, das mit einem letzten Rest von Sturmgewalt lauter als sonst an den Strand und die Felsen rollte. Er atmete den Geruch nach frischer Erde, nach Blumen und Kräuter ein. Nie wieder würde er diesen Duft wieder vergessen. So wenig wie er Hyde je wieder vergessen würde. Hyde, der Kleine … Verrückterweise hatte er niemals danach gefragt, wie er richtig hiess. Hätte er sich seine Adresse geben lassen, hätte er es erfahren, doch wozu? Die Ferien waren vorbei… „Don’t cry tonight, i still love you baby.“ Gackt hielt es nicht mehr aus, riss sich die Ohrstöpsel aus dem Ohr und schaltete den CD Player aus. Er blickte aus dem ovalen Fenster mit der etwas zerkratzten Scheibe. Unter ihm verschwand nach und nach Frankreich. Ein blasser werdender, grün rot brauner Fleck im azurblauen Meer. Das Flugzeug legte sich in eine sanfte Kurve und statt des Meeres sah Gackt nun den Himmel. Eine Nuance hellblauer aber ebenso endlos und weit. „Was hörst du denn die ganze Zeit?“, erkundigte sich You, der neben ihm sass und griff nach dem Player. Doch Gackt war schneller und riss ihn wieder an sich, so dass sein Freund das Nachsehen hatte. Er wollte sein Geheimnis mit niemandem teilen, schon gar nicht mit You. „Das geht dich nichts an!“ „Oh oh, Abschiedsschmerz“, stellte You fest und wedelte übertrieben mit den Fingern, als habe er sich verbrannt. „Dir scheint auf jeden Fall die Trennung von deinem Hofstaat und der Madame Akaemi nichts ausgemacht zu haben“, knurrte Gackt. „Sollte es denn?“, grinste sein Freund fröhlich. Der Schwarzhaarige blickte ihn vollkommen verwirrt an. „Was gibt es da zu grinsen?“ „Weißt du, ich wollte mich noch bei dir entschuldigen, weil ich dir Hyde ausreden wollte…“ „Du wolltest nur helfen, dass ich mich nicht so wie jetzt fühle“, meinte er leise und blickte wieder aus dem Fenster. „Gackto, du hast Trübsal gar nicht nötig.“ Nun war es mit der Beherrschung des grossen Japaners vorbei. Er brauste auf und meinte mit zusammengebissenen Zähnen: „Hör mir gut zu, wenn du so ein gefühlskalter Klotz bist, ist es deine Sache, doch ich liebe Hyde wirklich und kann ihn nicht vergessen wie du deine Ferienbekanntschaft.“ Hinter ihm hörte Gackt nun ein leises Kichern, das zu einem fröhlichen Lachen anschwoll. Aus erstem Reflex hätte er sich am liebsten umgedreht, um der Person hinter ihm zu sagen, dass sie gefälligst den Mund halten sollte. Aber noch während sich in ihm ein seltsames Gefühl im Bauch breit machte, legten sich sanfte Finger auf seine Lider. „Shhht, ich sagte doch, wir würden uns wieder sehen…“ „Hyde!“ Hyde lachte: „Stirb mir bitte nicht an einem Herzinfarkt!“ „Was machst du denn hier?“ „Ich sagte dir doch, dass ich nur die Sommer in Frankreich verbringe. Nun stell dich nicht quer und sei mit mir zusammen…“ „Aber meine Arbeit...“ „Ich werde immer auf dich warten!“ „Ich-“, der Schwarzhaarige schluckte, „liebe dich.“ „Hai. Ich dich auch!“ Hyde lehnte sich wieder in seinen Sessel und fing an „Don’t cry“ zu summen. „Mein Lied“, meinte Gackt leise und schloss glücklich die Augen. Als er sie wieder öffnete, sass Hyde neben ihm. „Nein. Unser Lied“, wisperte Hyde leise und zog den Grösseren zu sich, um ihn zärtlich zu küssen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)