A Song for you! von DraySama ================================================================================ Kapitel 6: Weine nicht.... -------------------------- „Hast du schon mal die Rosinenfladen mit den Walnüssen gekostet? Die sind die reinste Wonne!“ Gackt wollte gerade nach einem Baguette greifen und fasste vor Schreck in die Verstrebung des großen Weidenkorbes, in dem das Brot des Supermarktes aufbewahrt war. Er zog sich am Zeigefinger eine kleine Risswunde zu, gerade als er ihn in den Mund steckte, erkannte er, wer ihn angesprochen hatte. Hyde. „Hast du dir wehgetan? Lass mal sehen…“ Gackt schüttelte widerspenstig den Kopf. „Du bist ja echt vom Pech verfolgt“, versuchte Hyde ihn zum Sprechen zu bringen „Wie geht es deinem armen Kopf? Was macht die Beule?“ „Alles okay“, murmelte er leise und griff mit der unverletzten Hand nach dem Brot „ Mein Kopf hat schon Schlimmerem standgehalten. Lässt du mich bitte mal durch, ich brauche noch Salat.“ „Gib mir den Korb, ich trag ihn für dich. Was brauchst du noch außer Salat? Die Fladen sind übrigens wirklich sensationell…“ Gackt wusste selbst nicht, warum er nach einem der empfohlenen Fladen griff und ihn gehorsam in den Einkaufskorb legte. Hydes Gegenwart verwandelte ihn in ein hirnloses Schaf ohne eigenen Willen. Ein Glück hatte er einen Einkaufszettel geschrieben, ohne diese Gedächtnisstütze wäre er vermutlich mit fünf Kilo Waschmittel und einer Dose Hundefutter nach Hause gegangen. „Ich trag dir auch die Tüten“, bot Hyde an. „Lieber nicht.“ „Sag mal, bist du mir böse wegen gestern?“, fragte er geknickt. „Nein, es war ja meine eigene Schuld.“ „Hast du Lust auf eine kleine Bootsfahrt?“, kam es nun hoffnungsvoll von dem kleinen Sänger, ehe er die Tüten nahm und den Supermarkt verließ. Gackt schüttelte heftig den Kopf. „Mit dir? Nein, es wäre gesünder wenn nicht.“ „Du bist echt ein Problemfall“, stöhnte Hyde. „Erklär mir, warum du mir ständig aus dem Weg gehst, wenn du nicht sauer bist. Ich habe noch nie solch einen komplizierten Menschen kennen gelernt!“ „Du kennst mich ja gar nicht“, stellte Gackt richtig. „Ein Punkt für dich“, gab der junge Sänger zu „Aber das kann man schließlich ändern. Verbring den Tag mit mir, bis heute Abend werde ich schlauer aus dir.“ „Lieber nicht“, wehrte er ab. Hyde schnaubte. „Siehst du, das meine ich. Kennst du Steckmuscheln? Von außen sind das grosse, tränenförmige, sandfarbene Dinger. Man findet sie beim Tauchen nur noch ganz selten. Aber wenn man Glück hat, dann sind sie offen und wirklich wunderschön. Aus der Innenfläche ist eine orangefarbene und silbrige Perlmuttbeschichtung und auf dem Fleisch sitzt ein kleiner glasklarer Muschelwächter wie ein Prinz in seinem Palast. Aber sobald man auch nur in die Nähe kommt, um die ganze Pracht anzusehen, sobald sich auch nur die Wasserströmung ein wenig wandelt, macht das Biest zu und ist mit dem stärksten Tauchermesser nicht mehr auseinanderzukriegen.“ Gackt blieb stehen und sah Hyde aus großen, erstaunten Augen an. „Was ich damit sagen will?“, las er ihm die Frage vom Gesicht ab. „Dass du mir wie eine von diesen Muscheln vorkommst. Sobald man dir zu nahe kommt, machst du dicht und stellst die Stacheln auf. Warum eigentlich? Wovor hast du solche Angst?“ „Ich hab keine Angst!“ „Und ob du die hast. Ich kapiere es nur nicht, ausgerechnet vor mir? Ich beiße doch niemanden!“ Der Schwarzhaarige wich seinem Blick verlegen aus, er konnte Hyde schlecht sagen, dass er nicht seine Person sondern die Gefühle fürchtete, die er in ihm wachrief. Ein One Night Stand haben oder eine Beziehung, die nur aus Sex aufgebaut war, konnte er locker führen, doch Liebe? „Ich weiß und wenn, dann könnte ich mich auch ganz gut dagegen wehren“, behauptete er und spielte den Coolen. „Um so besser“, Hyde ging auf ihn ein. „Das einzige, was ich nämlich akzeptieren würde, wäre unüberwindliche Abneigung. Also Hand aufs Herz, findest du mich zum Kotzen oder nicht?“ „Natürlich nicht“, gab Gackt zu und wurde beinahe wieder wie ein kleines Schulkind rot. Hyde hatte ihn in eine Situation hineinmanövriert, die über seine Beherrschung ging. Er starrte auf den roten Sandstaub zu seinen Füssen und malte verlegen mit der Schuhspitze ein Muster in den Pfad. „Prima“, sagte der Sänger grinsend „Damit wäre Punkt eins schon mal geklärt. Ich finde dich nämlich auch nicht zum Kotzen, auch wenn du manchmal ziemlich hochnäsig daherredest. Kommen wir zu Punkt zwei.“ Der Schwarzhaarige blinzelte verwirrt, sollte das eine Sympathieerklärung sein oder ein dummer Witz? „Punkt zwei ergibt sich automatisch aus Punkt eins“, dozierte Hyde, als befänden sie sich in der Schule. „Wenn sich zwei Leute nicht verabscheuen, macht es auch Spass, mehr Zeit miteinander zu verbringen. Was hast du für Hobbys, wenn du nicht gerade die Nase in eines der Bücher steckst, die du anscheinend in rauen Mengen mitgeschleppt hast?“ Dieses Mal ließ sich Gackt nicht überrumpeln, er ahnte, worauf Hyde hinaus wollte. „Wassersport ist mir zu nass, Tennis zu hektisch, Schach zu anstrengend und „Mensch ärger dich nicht!“ zu öde. Ach ja und Musik scheidet auch aus, das mach ich schon, wenn ich nicht Ferien habe. Sonst noch Fragen?“ Hyde grinste gequält. „Zurück zu Punkt eins, was hast du gegen mich?“ „Gar nichts“, gab Gackt erneut zu. „Aber was erwartest du eigentlich von mir? Ich mache hier nur zwei Wochen Ferien. Da hat es keinen Sinn, dass wir uns näher kennen lernen. Und außerdem kann ich mir kaum vorstellen, dass du mich interessant findest, es hat doch genug Mädels …“ Hyde liess ihn nicht ausreden. „Hör mir auf mit Frauen! Ich finde dich anziehender, ich mag die Tussen nicht, die aussehen, als wären sie in einen Farbtopf gefallen.“ Das ging eindeutig über eine Sympathieerklärung hinaus. Gackt blickte fassungslos mitten in Hydes strahlendes Lächeln. Dieser fasste sorgfältig nach der Haarsträhne, die Ga-chan über die Augen fiel und strich sie hinter sein Ohr. „Du hast mir auf den ersten Blick gefallen“, sagte er dann sanft. „Das geht nicht gut“, murmelte der Schwarzhaarige heiser, ganz im Bann der Worte und Gesten von dem Kleineren. Panik überflutete ihn. „Das gibt nur Kummer. You hat es auch schon gesagt, selbst wenn du nach Tokyo kommst, dort geht mein Leben wieder weiter und irgendwann magst du nicht mehr auf mich warten, bis die Arbeit erledigt ist, die getan werden muss.“ Hyde lachte gezwungen. „Dein Optimismus haut mich echt um! Warum gibst du uns beiden nicht erst einmal eine Chance, ehe du alles kaputtmachst?“ „Was nicht existiert, kann nicht zerstört werden“, entgegnete Gackt und drehte sich um. Er riss mit dieser Bewegung, die neue Haarsträhne, die Hyde in die Finger genommen hatte, aus ihnen, dann nahm er die Plastiktüten und lief davon, ohne sich auch nur einmal umzusehen. Im Bungalow versuchte er sich abzulenken, indem er endlich die Ansichtskarten schrieb, die er seinen Bandmitgliedern und den Freunden versprochen hatte. Aber er ertappte sich dabei, dass er auf jeder Karte von Hyde schwärmen wollte. Und als er für die kleine Clique die Sandwisches für das Mittagessen mit Schinken und Salatblättern belegte, konnte er nur daran denken, dass ER dieses Baguette schon einmal in den Händen gehabt hatte. Er ging wie ein Schlafwandler durch den kleinen Bungalow, da die anderen genug sprachen, fiel es gar nicht auf, dass er immer schweigsamer wurde. Nach der ersten Urlaubswoche hatte sich eine gewisse Routine eingespielt. Man traf sich zu den Mahlzeiten, aber ansonsten konnte jeder das tun, wozu er Lust hatte. You und Tetsu gingen tauchen und surfen, oder hingen mit Akeami rum. Ken und Yukio waren so oder so unzertrennlich und immer zusammen unterwegs, meistens sah man sie den ganzen Tag kaum. Und Hyde? Der war nur am Abend bei den Konzerten hier, sonst hatte er sich zu seinen Grosselten zurückgezogen. Gackt, der bisher das Faulsein genossen hatte, fühlte sich heute einsam und im Stich gelassen. Niemand kümmerte sich darum, was er tat, alle waren nach dem Mittagessen wieder verschwunden und gewährten ihm eine Freiheit, mit der er gar nichts anfangen konnte. Ratlos fragte er sich, was er tun sollte, er hatte einfach zu nichts wirklich Lust, nicht einmal auf das nächste Kapitel seines Liebling Buches. Er war zu unruhig, um sich in eine Phantasiewelt flüchten zu können. Aber es gab auch nichts mehr zu tun. Er hatte die Küche tipptopp in Schuss gebracht, alle herumliegenden Kleider aufgeräumt und auf der Süd und West Seite die Läden angelehnt, damit die Sonne nicht zu sehr herein brannte. Er war Einkaufen gewesen und hatte sogar den Salat für das Abendessen vorbereitet. Der Nachmittag dehnte sich öde vor ihm aus, er stand mitten im Aufenthaltsraum und bedauerte sich selbst. Draußen pfiff jemand einen geläufigen Hit, den die Band öfters mal auf Anfrage gespielt hatte. Unwillkürlich dachte er wieder an Hyde. In diesem Augenblick klopfte es an der offenen Balkontüre. „Gackt? Bist du da?!“ „Hyde!!“ Der Schwarzhaarige starrte ihn an, als wäre er eine himmlische Erscheinung. „Ich wollte dich zu unserer Bootsfahrt abholen. Hast du vergessen, dass wir verabredet sind?“ „Wir?“ „Wir!“, bestätigte er freundlich lächelnd. „Komm, ich hab das Boot für zwei Stunden. Ich verspreche dir auch, dass wir ganz nah am Ufer entlang gondeln, damit du keine Angst haben musst. Außerdem ist das Meer nach dem Mistral so glatt wie meine Lieblings CD!“ Gackt sank mit weichen Knien auf einen der Stühle am Esstisch, in seinem Kopf drehte sich alles. Eben noch hatte er sich total Elend gefühlt und schon Sekundenbruchteilen danach war er ein völlig anderer Mensch. In seinen Adern schien ganz neues, frischeres Blut zu pulsieren und seine Traurigkeit war mit einem Schlag wie weggewischt. Auch wenn er wusste, dass er und Hyde nicht verabredet gewesen waren, freute er sich über den Einfall des Jüngeren. „Nimm dir ein Shirt oder einen Pulli mit“, riet Hyde. „Die Sonne ist auf dem Wasser ganz schön gefährlich und den Fahrtwind unterschätzt man leicht.“ Gackt lief in das Schlafzimmer, schnappte sich ein Hemd, seine Sonnenbrille und den Fotoapparat. Innerhalb Sekunden war er zurück und baute sich vor Hyde auf. „Wir können.“ „D`accord!“, antwortete er und Gackt hatte das Gefühl, als versteckte er sich hinter der unverbindlichen, französischen Zustimmung und hätte eigentlich etwas anderes sagen wollen. Hyde brachte ihn zu einem schwarzgelben Schlauchboot, das statt der üblichen Holzbank zwei richtige Schalensitze und einen halbrunden Spritzschutz aus durchsichtigen Kunststoff vor dem Steuerrad hatte. Es ankerte neben den anderen Booten der Anlage und wurde manchmal von Wasserskifahrern gemietet, die in der weiten Bucht ihre Runden drehten. Vermutlich war es Hydes Beziehungen zum Direktor des Feriendorfes zu versanken, dass sie es für diesen Ausflug nutzen durften. Gackt sah ihm zu, wie er das Boot von der Boje löste und den Motor ins Wasser kippte, ehe er an einer Schnur zog, um ihn anzuwerfen. Wenig später schossen sie mit aufheulendem Motor auf das Meer hinaus, dass Gackts Haare sofort an ein Desaster erinnerten und Hydes langes Haar wie eine Fahne im Wind wehte. Der Schwarhaarigen war froh, dass er an seine Sonnenbrille gedacht hatte, hinter den dunklen Gläsern konnte er Hyde leichter beobachten. Dieser lenkte das Boot genau so selbstverständlich auf dem Kurs quer durch die Küste, wie er es mit seinem altes Cabrio auf den holprigen, steilen Strassen getan hatte. Da der laute Motor und der scharfe Wind eine Unterhaltung nur im Schreien ermöglicht hätte, zog es Gackt vor seinen Gedanken nachzuhängen. Er wusste, dass er eine Dummheit machte, aber es war eine wundervolle, es gefiel ihm neben Hyde über das Wasser zu flitzen. Es hatte einen Hauch von Abenteuer und sogar das kleine ängstliche Gefühl in seiner Magengrube war nicht unangenehm, es steigerte die Spannung und passte irgendwie dazu. In diesem Moment konnte er glauben, dass sie beide alleine auf der Welt waren. Dass er mit Hyde zusammenbleiben würde, dass er die Gefühle, die er bislang so tapfer bekämpfte, zulassen dürfte, ohne Angst enttäuscht zu werden. Der Sänger nahm die Geschwindigkeit etwas zurück und lenkte das Boot in eine kleine Bucht, die sich überraschend an einem steilen Küstenstück öffnete: Fünf oder sechs Meter feiner, goldener Sand, von schroffen, roten Felsen umgeben, nur vom Wasser erreichbar. „Möchtest du ein wenig an Land gehen?“, rief er fragend und deutete auf das winzige Paradies. Gackt schüttelte den Kopf, bloß nicht, solange Hyde das Boot steuern musste, war er ungefährlich. Was er aber auf einem einsamen, romantischen, uneinsehbaren Strandstück tun würde, daran wollte Gackt gar nicht erst denken. Merkwürdigerweise überlief ihn aber bei dieser Vorstellung ein eigenartiger Schauer, welcher ihm Gänsehaut verursachte. Hyde akzeptierte seine Entscheidung mit einem Grinsen, aber er hatte das Gefühl, dass er ihn durchschaute, dass er genau wusste, warum er abgelehnt hatte. „Ich fass es nicht!“, Yous Stimme kippte vor Ärger „Ich dachte, ich hab Tomaten auf den Augen, du hast eine Bootsfahrt mit Hyde gemacht? Warum zum Kuckuck? Erst macht ihr beide ein mega, riesen Theater und nun geht ihr Boot fahren?!“ „Warum?“, Gackt versuchte Zeit zu schinden, während sie nebeneinander auf dem Pfad vom Strand zu den Bungalows gingen. „Weil er mich eingeladen hat.“ „Und wie kommt er dazu dich nun doch einzuladen? Nachdem ihr euch beide so gestritten hattet?“ „Frag ihn doch und wir hatten nicht gezofft“, schnappte Gackt zurück. You suchte angestrengt nach einer Erklärung. „Sollte das eine Art Entschuldigung für die Beule sein, die er dir neulich verpasst hat?“ „Er hat nicht sehr viel gesagt, You, hör endlich auf mit dem Sorgen Machen. Ich bitte dich, ich bin Erwachsen und...“ „Sag mir doch endlich, warum er dich eingeladen hat, nachdem er einfach abgehauen ist für die paar Tage.“ Gackt hatte das Versteckspiel satt. „Ich glaube, er findet mich nett.“ „Wen? Dich?“ „Ja mich“, meinte er ein wenig kühl. Dann konnte er etwas seltsames beobachten, er sah You grinsen, dann lachte er beinahe hysterisch und rannte zum Haus hinaus, wo er die ratlose Akeami mit sich zog. Der Grosse schüttelte den Kopf, manchmal war sein bester Freund sogar für ihn ein Mysterium. Als er ins Haus kam, verstummte die kleine Clique, ausnahmslos alle grinsten ihn unschuldig an. „Was ist denn los mir euch?“, wie aus einem Mund kam ein einstimmiges „Nichts“ zurück. Als Hyde eintraf, der das Boot noch an die Boje festgemacht hatte, setzten sie sich alle an den großen Tisch und genossen das Abendessen, keiner sprach Hyde auf die Bootsfahrt an, sondern übergingen beide einfach bei der Frage, was sie heute so getan hatten. Gackt war dies nur Recht, denn noch mehr so viel sagendes Gegrinse würde er einfach nicht aushalten können. Danach wollten die anderen in ein nahe gelegenes Kino und danach in irgendeinen angesagten Club. You sah seinen besten Freund erwartungsvoll an, doch Hyde mischte sich ein, ehe er ihm antworten konnte. „Gackt und ich werden einen Strandspaziergang machen, geht ihr nur alleine los.“ Der Grosse wartete nur auf jemanden, der einen super tollen Spruch vom Stapel ließ, oder dass jemand Beifall klatschte, doch das Leben ging einfach weiter und die Welt drehte sich in normalem Bahnen. Seine Bandkollegen zuckten mit den Achseln und Akeami lächelte fröhlich, ehe sie den vollkommen fassungslosen You hinaus führte. „He, mach mir keine Vorwürfe, irgendwann hätten sie es so oder so bemerkt“, sagte Hyde, der seine Gedanken durchschaute. Gackt vernahm diese Worte wie durch eine Wattewand und folgte dem Kleinen hinunter zum Strand, er passte sein Schritt dem seinen an und alle seine Empfindungen konzentrierten sich auf den Arm, der um seine Hüfte lag. Wärme strömte von dort durch seinen ganzen Körper, ihm kam es vor, als würde er schweben und das leise Glucksen des friedlichen Meeres klang aus einer anderen Welt hinüber. „Wärst du lieber mit den anderen mitgegangen?“ Die Frage riss Gackt aus seiner Erstarrung, er schüttelte den Kopf. „Wie kommst du auf diese Idee?“ „Ich dachte...nur so.“ Gackt blieb stehen und blickte zu dem vollen Mond, der am Himmel stand. Dann besah er sich den kleinen Sänger wieder, der bückte sich nach einer kleinen, hellen Muschel, die im Mondlicht schimmerte. „Es ist schön hier“, meinte er und griff vorsichtig nach der Muschel, die er ihm hinhielt. Sie fühlte sich noch ganz warm an von seiner Hand. Seidig, glatt und angenehm, aber auch mit messerscharfen Kanten, die sich gegen die Handballen drückte. Er schloss die Finger darum. „Machst du so etwas öfters?“ „Was?“ „Nächtliche Strandspaziergänge mit Touristen“, sagte er und fand es dumm und albern, sobald es heraus war. Warum fielen ihm ausgerechnet in wichtigen Situationen nie die richtigen Worte ein? „Natürlich ist es nicht das erste Mal“, gab Hyde zu. Gackt schluckte. So viel Ehrlichkeit hatte er nicht erwartet. „Es wäre ja auch reichlich dumm von mir dich anzulügen, meinst du nicht auch? Aber was interessiert dich die Vergangenheit? Gegenwart ist, dass ich mit dir hier stehe und dass es keinen anderen Mann gibt, der mich mehr interessiert. Ich habe auch keinen Lover, der irgendwo auf mich wartet. Es gab einen, doch wir haben uns vor einem Jahr getrennt. Und ich habe keinen Kontakt mehr zu ihm. Es ist aus.“ „Weshalb habt ihr euch getrennt?“, Gackt musste es einfach fragen. „Der übliche Irrtum“, brummte Hyde ein wenig verlegen. „Ich dachte, er mag nur mich und dann habe ich bemerkt, dass er meinen Kumpel anmacht. Nun kennen mich beide nicht mehr.“ „Tut mir Leid“, flüsterte der Schwarzhaarige befangen. „Vergiss es“, meinte der Kleine. „Ich bin längst über die Sache hinweg.“ Ihre Hände hatten sich gefunden und jetzt gingen sie beide langsam am Wassersaum entlang. Keiner sagte ein Wort, aber es war kein ungemütliches Schweigen, im Gegenteil, das leise Geräusch ihrer Schritte mischte sich mit den Lauten der Nacht und machte sie zu einem Teil der Dunkelheit. Das Wasser murmelte sanft, ab und zu trug der Wind einen Melodiefetzen aus dem Strand Restaurant in ihre Richtung. Gackt hätte ewig so weiterlaufen können, leider erreichten sie nach etwa zwanzig Minuten die Felskante, die den Sandstrand beendete. Sogar bei Tag ging man hier besser nicht barfuss, es gab jede Menge scharfe Steine und manchmal leider auch Glassplitter. Hyde lehnte sich mit dem Rücken gegen einen übermannshohen Stein und zog den Größeren sanft näher an sich heran. Er sträubte sich ein wenig und als sich der Kleine auf die Zehenspitze stellen wollte, legte er den Kopf auf die Schulter von Hyde. Es war ein wenig unbequem, aber so machte er keine weiteren Dummheiten. „Ich mag dich sehr, weißt du das?“, flüsterte Hyde in das Haar. Der Schwarzhaarige lauschte den Worten nach, hatte er das wirklich gesagt, oder hatte er es geträumt? Er stand jetzt ganz dicht bei ihm, so eng, dass sie unwillkürlich beide im selben Rhythmus atmeten. Er fühlte sich so wunderbar und gut an, so dass Gackt keine Worte dafür fand. Er spürte sein Kinn an seinem Kopf, seine Hände auf seinem Rücken, seine Muskeln unter seinen Fingern, die er um seine Taille gelegt hatte. Beide bewegten sich nicht, Gackt kam es so vor, als müsse auch Hyde erst einmal in sich hineinhorchen und den Gefühlen nachspüren, die diese Berührung verursachte. Ein Scheinwerfer tastete sich über sie hinweg zur Bootanlegestelle, nächtliche Fischer kamen von ihrem Fang zurück. Der Lichtkegel warf für Sekunden den Umriss ihrer beiden Gestalten gegen die Felswand. Ein Liebespaar eng umschlungen. Lieber Himmel, was tat er hier? Er schrak bei dem Anblick zusammen. Gackt machte exakt die Dummheit, vor der You ihn gewarnt hatte! „Ey, was ist denn los?“, Hyde spürte, dass sich schlagartig etwas zwischen ihnen geändert hatte. Er konnte sich bloß nicht erklären, was. „Ich… ich bin müde. Ich möchte nach Hause“, Gackt hasste sich für die kindische Antwort. „Schade“, sagte Hyde leise „Ich fand es schön hier. Du nicht?“ Zu schön hätte der Schwarzhaarige erwidern können. Viel zu schön und viel zu gefährlich. Stattdessen sagte er trocken: „Vollmondnächte am Meer sind gezwungenermaßen schön. Das steht in jedem Reisekatalog.“ Hyde sparte sich die Antwort, beugte sich nach unten, zog sich die Turnschuhe aus und krempelte seine Jeansbeine hoch. Gackt tat es ihm nach. Sie gingen schweigend nebeneinander durch das Knöchel hohe, warme Wasser. Jeder für sich allein und ohne sich noch einmal zu berühren. „Machen wir morgen etwas zusammen?“, richtete Hyde das Wort an ihn, erst als sie vor dem Bungalow im nächtlichen Schatten der großen Steineiche standen. Das helle Geflecht der Hängematte war ein schwarzes Netzmuster in den Lichtstreifen des Mondes genau zwischen ihnen. Eine Barriere aus Licht und Einbildung: Nicht berühren, nicht betreten! „Wenn du möchtest“, wisperte Gackt wider jeder Vernunft. „Sonst würde ich nicht fragen. Ist es okay, wenn ich dich gegen halb elf abhole?“ „Warum schläfst du nicht hier?“ „Ich…ich hab meinen Grosseltern heute morgen versprochen wieder bei ihnen zu schlafen.“ „Ich bin gegen halb elf am Strand. Dann können wir uns sehen.“ „D`accord!“, stimmte Hyde zu. „Salut Gackt! Gute Nacht und träum was schönes.“ Ehe er begriff, was er im Schilde führte, hatte er die Barriere überwunden, er hielt sich an den Schultern von Gackt fest und küsste ihn blitzschnell auf die Nasenspitze. Mit Nachdruck aber sehr zärtlich. Dann verschwand er im Dunkeln, begleitet von einem seiner Lieblingsongs, er pfiff leise „Dont Cry“. Gackt erinnerte sich an eine Textzeile, weil sie genau zu seiner Stimmung passte. Give me a whisper, and give me a sigh. Give me a kiss, before you tell me goodbye… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)