I - Ino
Sie sah ihm nach, als er durch die Bäume davonhuschte. Ihr Herz war wie in zwei Teile gespalten. Wie sie, es hasste alleine zu sein. Oh ja… Viel zu oft war sie schon allein gewesen. Am Horizont sah sie schon die Sonne sinken, und das sanfte Rot der Dämmerung legte sich über den Wald. Missmutig und mit hängenden Schultern trat sie den Heimweg an.
Sie sah es wieder. Immer und immer wieder. Dieses scheußliche Gesicht. In ihren Albträumen… Sie konnte es nicht vertreiben. Und sie wusste genau, dass es sie nicht schlafen lassen würde, bis Shikamaru zurück war. Sie wachte auf, ihr Pyjama vom Schweiß getränkt. Hastig blickte sie sich um. Sie war allein. Natürlich war sie allein. Der Platz an ihrer Seite war leer, und sie war nass geschwitzt. Mühsam suchte sie mit der klebrigen Hand nach dem Wecker. Die Leuchtziffern schienen sie und ihr Schicksal auszulachen. Es war viertel vor eins in der Nacht und alles in ihr krampfte sich zusammen. Sie begann zu zittern, wie es die Kranken auch taten, die die Hokage Tsunade, heilen musste. Aber dies war kein Schüttelfrost, oder sonst eine andere Krankheit, die man hätte kurieren können. Es war die Angst… Die nackte Angst, vermischt mit der beißenden Eifersucht, dem triefendem Neid, dem nagenden Kummer und der wachsenden Sorge. Sie biss sich auf die Lippe, bis sie das warme Blut spürte, welches ihr Kinn herunter floss. Es vermischte sich mit den salzigen Tränen. Sie holte mit der Faust aus, und schlug in die Mitte des Nachttischchens. Diverse Steine und andere Glücksbringer, fielen runter, und das Holz bekam einen tiefen Riss. In diesem einen Schlag waren alle ihre Gefühle vereint: „Kuzo!“
Sie schrie in die Nacht, wissend, dass niemand sie hören, und schon gar nicht ihr helfen würde. Die Faust schmerzte, aber das Herz schmerzte mehr. Suna… Nur schon dieses Wort… Andere ließ es vielleicht an Konohas Verbündete im Osten denken, aber sie dachte bei diesem Wort nur an eine Person. Temari…
Sie konnte ihr Gesicht nicht aus ihrem Kopf verbannen. Es hatte sich eingebrannt, das schelmische Lächeln, umrahmt von den blonden Zöpfen. Ja, Shikamaru war mit ihr, Ino Yamanaka, zusammen, und sie vertraute ihm. Sie vertraute ihm sehr. Mehr als jedem anderen Menschen. Aber auch er war nur ein Mann. Und Temari eine Schlange. Das hingegen ließ sie an Orochimaru denken. Sie lächelte bitter. Welch hübscher und vor allem passender Vergleich… Sie ließ sich zurück ins Bett sitzen, und trotz den stechenden Augen, die sie keine Sekunde alleine ließen, schlief sie den Rest der Nacht durch.
Erst am nächsten Morgen, sah sie das Ausmaß der letzten Nacht. Das Zifferblatt des Weckers war blutverschmiert, der Nachttisch ernsthaft beschädigt, und all ihre kleinen Glücksbringer auf dem Boden. Sie sammelte alles auf, und wischte das Blut vom Zifferblatt. Ihre Hand schmerzte, doch die Wunde selbst war schon verkrustet. Auch über ihre Lippe zog sich eine Blutkruste und an ihren Wangen klebten getrocknete Tränen. Ihr Gesicht war gezeichnet von der Nacht. Tiefe Augenringe furchten sich durch ihre eigentlich so schöne und sanfte Haut. Sie fühlte sich alt, so alt… Und obwohl sie nach einiger kosmetischer Arbeit äußerlich wieder schön war, war ihre Seele von Hässlichem durchtränkt. Ja, sie war hässlich…
Sie schlenderte mit dem Korb am Arm über den Markt. Es war immer sie, die einkaufen ging, auch wenn Shikamaru da war. Sie ließ ihren Charme spielen, und bekam verschiedenste Dinge zu niedrigeren Preisen, vielleicht auch weil sie einen Großteil der Marktfrauen kannte. Auch heute gab sie sich alle Mühe, und bekam das, was sie wollte, für den Preis, den sie selbst zahlen wollte. Doch sie ging nicht wie sonst direkt nach Hause, um die Lebensmittel kalt zu stellen. Nein, sie setzte sich auf die Wiese. Auf dieser Wiese hatten sie und Shikamaru sich zum ersten Mal getroffen. Er hatte die Wolken betrachtet. Ja, das machte er immer noch gerne. Doch jetzt, seit er ein angesehener Shinobi war, blieb dafür kaum noch Zeit. Aber manchmal, nur manchmal, erwischte sie ihn noch hier, mit dem Kopf gen Himmel, in seinen Gedanken verloren.
Sie schlief etwas ruhiger, aber trotzdem war sie in ihren Träumen auch diese Nacht nie alleine. Als sie aufstand, um sich ein Glas Milch zu holen, überlegte sie sich, ob es Visionen waren… Grausame Visionen. Aber sie verwarf den Gedanken schnellstmöglich.
Sie beschloss ein neues Nachttischchen zu besorgen, damit Shikamaru sich keine Sorgen machte, wenn er zurückkam. Als sie schon fast wieder zu Hause war, mit dem schweren Möbel im Schlepptau, spürte sie einen leichten Stich, einen Stich in ihrem Herzen. Und der war ganz bestimmt kein Zufall, oder Einbildung. Nein, das spürte sie genau. Irgendetwas war mit Shikamaru… Für einen Moment war sie so verwirrt, dass ihr das Holzstück aus der Hand fiel. Es zerschellte auf dem Boden, und sie musste das alte Nachttischchen behalten…