Junischnee von Leira ================================================================================ Kapitel 5: Rückfall ------------------- Hallo allerseits! Danke für eure Kommentare zum letzten Kapitel! Na, Kilma, ich hoffe doch, du wirst deine Bratpfanne hier nicht brauchen… *lacht* Freu mich, dass du auch hier bist! Tja, dieses Kapitel… nun. Ich möchte an dieser Stelle mal nicht zuviel verraten, außer der Feststellung, dass ein paar von euch mit euren Vermutungen durchaus richtig lagen *g* Und ja, alle die sie schon vermisst haben… auch Ran ist hier mal wieder mit von der Partie. Also. Ich hoffe inständig, dass die jetzt keiner mehr braucht, aber… *TemposaufdenTischstellt* *Kopfschüttel* Na, ich geh dann wieder. Ich wünsch euch viel Spaß beim lesen! MfG, eure Leira :) PS: Ich hoffe doch, alle wissen, was ein Lockenstab ist *g* Das ist ein beheizbarer Metallstab, um den man die Haare wickeln kann und sie wie in einer Zange einklemmt … durch die Hitze werden dann Locken geformt. PPS: Jetzt ist es amtlich; nachdem ich gestern nochmal meine Kapitel überprüft habe, kann ich hiermit verkünden: Leute, es ist Halbzeit! ________________________________________________________________________________ Eine Fahrradklingel schrillte. Gleich darauf erschallte empörtes Gekreische. „Aaaah! Willst du mich umbringen, oder was? Nur weil du so ein bescheuerter Fahrradkurier bist, brauchst du nicht glauben, dass die Straße nur dir gehört!“ Shinichi stand am Balkon und betrachtete das geschäftige Treiben unter sich, ohne wirklich etwas davon wahrzunehmen. Es war halb sieben Uhr abends; der Feierabendverkehr hatte gerade eingesetzt. Gedankenverloren richtete er seine Fliege. Heute war Abschlussball. Und ob er wollte oder nicht, er musste dahin. Im Prinzip hätte er gut und gerne drauf verzichten können, aber… Er ging zusammen mit Danielle. Er seufzte müde. Unter ihm quietschten Reifen und jemand hupte laut. „Du verdammter Vollidiot, bist du farbenblind oder einfach nur lebensmüde!?“ Erneutes Gehupe und das unfreiwillige Aufheulen eines Motors waren zu hören, als der Fahrer das Gaspedal rüde bis zum Anschlag durchtrat. Shinichi ignorierte es. Szenen wie diese waren in der Rushhour nichts Ungewöhnliches. Seine Gedanken kreisten immer noch um den heutigen Abend. Er betrachtete das als reinen Freundschaftsdienst. Auch wenn er sich eigentlich vorgenommen hatte, keine Freundschaften zu knüpfen, verband ihn mit Danielle und David doch etwas mehr als eine einfache Bekanntschaft. Er war die beiden einfach nicht mehr losgeworden, seitdem er an jenem Tag mit ihnen Kaffeetrinken gegangen war. Also hatte er sich bereit erklärt, mit Danielle auf den Ball zu gehen. David ging in Begleitung seiner Freundin, Heather. Müde strich er sich übers Gesicht. Er war jetzt schon ein Vierteljahr weg von zuhause. Obwohl er unter dem laufenden Schuljahr hinzugekommen war, hatte er seine Prüfungen trotzdem mit Bravour bestanden. Da er nicht zuviel nachdenken wollte, sich beschäftigen, ablenken wollte, füllte er seine Zeit einfach mit Lernen. An und für sich eine sinnvolle Beschäftigung, die allerdings nur bedingt ihren Zweck erfüllte, denn… Immer noch verging kein Tag, an dem er nicht an sie dachte. An seine Familie, Freunde… an Ran. Ran… Wie es ihr wohl jetzt ging? Nach drei Monaten? Er drehte sich um und betrachtete den kleinen Bonsai auf seinem Schreibtisch. Nach einem Monat hatte er sich endlich dazu aufraffen können, es sich doch ein wenig einzurichten hier. Den ersten Schritt zu Verschönerung seines Zimmers war die Anschaffung des kleinen Bäumchens gewesen. Junischnee. Er hatte ihn im Supermarkt gesehen und an sie gedacht. Ohne zu zögern hatte er daraufhin den Baum gekauft. Seine gärtnerischen Talente hielten sich zwar mehr als in Grenzen, aber er wollte unbedingt diesen Baum durchbringen. Nur diese eine Pflanze. Weil er sie mit ihr verband. Seine Gedanken schweiften ab. Ironischerweise war an der Teitan Oberschule heute ebenfalls Abschlussball. Das hieß, mit ein paar Stunden Zeitverschiebung zwar, aber das gleiche Datum. Wie gern wäre er mit ihr dahin gegangen. Sie hatten schon darüber geredet, er und Ran… das Datum stand ja schon seit Schuljahresanfang fest. Er stellte sich vor, wie er sie von zuhause abholte. Wie sie wohl aussehen mochte, heute, an diesem Tag… Bestimmt trug sie ein Abendkleid. Ein richtiges Ballkleid. Und in diesem Kleid würde sie wohl atemberaubend schön aussehen. Nicht, dass sie das nicht immer tat. Sie sah immer atemberaubend schön aus. Aber am heutigen Abend… wahrscheinlich frisierte sie sich die Haare… vielleicht schminkte sie sich auch ein wenig. Legte ein Parfum auf. Gedankenverloren fragte er sich, welchen Duft sie wohl benützte. Wie gern hätte er mit ihr getanzt, gelacht und Pläne für ihre Zukunft geschmiedet, für das Leben nach der Schule… ihr gemeinsames Leben…? Sie hätten diesen Abend genossen… Er wäre mit ihr später raus gegangen, Arm in Arm, hätte sich mit ihr auf die Bank unter dem Baum auf dem Pausenhof gesetzt, über ihnen die Sterne, und dann… Shinichi spann den Gedanken nicht weiter. Er schloss die Augen und atmete tief durch. Sich auszumalen, wie schön alles hätte werden können, wenn er… ja wenn… wenn er bei ihr wäre… Darüber nachzugrübeln tat ihm nicht gut. Das wusste er. Er verbrachte Nächte damit sich zu quälen, indem er davon träumte, wie es wäre, wenn… wenn das alles nie passiert wäre. Immer und immer wieder wurde ihm dadurch nur umso deutlicher klar, wie sehr er sie vermisste… Sich danach sehnte, ihre Stimme zu hören, sie sehen zu können, den Duft ihrer Haare und ihrer Haut einzuatmen und sie zu berühren, zu küssen, ihr einfach nah zu sein… Er seufzte schwer und verbannte diese Gedanken aus seinem Kopf, fürs erste. Es tat zu weh. Stattdessen drängte sich ihm andere Frage auf. Ob sie wohl auch jemanden hatte, mit dem sie hinging? So wie er mit Danielle? Bevor er sich allerdings darüber das Hirn zermartern konnte, klopfte es an der Tür und er wurde aus seinen Gedanken gerissen. Shinichi schloss die Balkontür, ging mit langen Schritten durch sein Zimmer und öffnete. Wie erwartet waren es David und Danielle, hinter ihnen stand Heather. David trug wie er selber einen schwarzen Anzug. Danielle sah mit hochgesteckten Haaren in ihrem smaragdgrünen Taftabendkleid umwerfend aus. Aber nicht atemberaubend… „Können wir?“, fragte David. Shinichi nickte, trat auf den Gang und schloss ab. Ran stand vor dem Spiegel und drehte ihre Haare um einen Lockenstab. Warum zur Hölle sie sich das überhaupt antat, wusste sie nicht. Hinter ihr kam Sonoko ins Zimmer, mit zwei in Plastikfolie verpackten Ballkleidern über dem Arm. „Ran…“ „Nein. Sag nichts.“ Sie merkte, wie es in ihren Augen zu brennen anfing. Schon wieder. Das ging den ganzen Tag schon so… seit sie heute früh aufgewacht war… Und Shinichis Foto auf ihrem Nachttisch gesehen hatte. Da hatte sie dran denken müssen, wie auch schon ab und zu während den letzten Tagen und Wochen, als die Vorbereitungen für den Ball angelaufen waren, wie gern sie mit ihm dahin gegangen wäre. Als sie dann heut am Morgen sein Foto auf ihrem Nachttisch gesehen hatte, war es vorbei gewesen mit ihrer Selbstbeherrschung. Wegen jeder Kleinigkeit stiegen ihr jetzt die Tränen in die Augen. Zum Beispiel heute früh. Als ihr das verdammte Spiegelei in der Pfanne angebrannt war. Ein mittlerer Heulkrampf war die Folge gewesen; und Kogorô und Eri hatten alle Hände voll zu tun gehabt, sie zu beruhigen. Dann, als ihr die Einkaufstüte geplatzt war, im Treppenhaus zur Wohnung hoch. Als sie das Telefonat mit Kazuha beendet hatte, die gefragt hatte, ob sie mit ihr und Heiji einen Endlich-Schule-aus!-Urlaub auf Izu machen wollte. Sie hatte zugesagt, aufgelegt und war in Tränen ausgebrochen. Wie gern hätte sie mit ihm die freie Zeit zwischen Schulabschluss und Studienbeginn genossen. Seliges Nichtstun, unendlich viele Stunden, die man zusammen hätte verbringen können… Tja. Daraus wurde nichts. Also fuhr sie ohne weitere Begleitung mit Heiji und Kazuha nach Izu. Genauso, wie sie heute ohne Begleitung auf den Ball ging. Es war ihr egal, was die anderen sagten. Seit Shinichi weg war, machten ihr viele Jungs Avancen, und jeden hatte sie in die Wüste geschickt. Die wollten doch gar nicht mit ihr befreundet sein... Das einzige, auf das sie sich eingelassen hätte, wäre eine rein platonische, kumpelhafte Freundschaft gewesen. Aber die wollten alle mehr… und zu mehr war sie nicht bereit. Also ging sie allein. Man lebte ja schließlich im Zeitalter der Emanzipation. Sie wäre nur mit ihm gegangen… mit Shinichi. Ran ließ die Locke los, wickelte die Strähne um ihren Finger, dann steckte sie sie mit einer perlenverzierten Haarnadel am Hinterkopf fest. Nachdem sie befestigt war, wandte sie sich der nächsten Haarsträhne zu. Sie hörte es rascheln, als Sonoko die Kleider auf Rans Bett legte und sie auszupacken begann. „Ran, Süße… warum tust du dir das an. Bleib doch zuhause…“ Ran versuchte, Sonoko zu ignorieren und löste die Locke vom heißen Metall des Stabs. Locke eindrehen, festhalten, Haarnadel reinstecken… Nächste Strähne um den Lockenstab wickeln. „Ran, es nimmt dir keiner übel, wenn du daheim bleibst. Du bist doch mit den Gedanken gar nicht bei der Sache. Willst du den ganzen Abend über rumsitzen und dich mit Ananasbowle abfüllen, und dir ausmalen, wie schön es hätte sein können, wenn er da gewesen wäre?“ Ananasbowle? Ran starrte in den Spiegel und runzelte die Stirn. Locke lösen, Locke eindrehen, festhalten, Haarnadel reinstecken… Nächste Strähne um den Lockenstab wickeln. Nein. So tief, dass sie ihr Selbstmitleid in Ananasbowle ertränken musste, war sie noch nicht gesunken. Sie lächelte zynisch. Warum sie allerdings auf den Ball gehen wollte, ahnte sie mehr, als dass sie es wusste, denn von hingehen wollen konnte nicht die Rede sein. Sie glaubte, es ihm zu schulden. Wenn er schon nicht da sein konnte, dann eben nur sie. Alleine da sitzen, und Pläne über eine Zukunft schmieden, die nicht nur in den Sternen stand, sondern wohl in den Sternen einer anderen Galaxie… Locke lösen, Locke eindrehen, festhalten, Haarnadel reinstecken… Nächste Strähne um den Lockenstab wickeln. Was für ein schöner, monotoner Arbeitsablauf. „Ran! Du willst doch gar nicht dahin. Du hast heut schon mindestens drei Mal geheult, das sieht man dir an. Shinichi hätte nicht gewollt, dass du dich zum hingehen zwingst…“ Ran schaute in den Spiegel. Für einen Moment dachte sie, sein Gesicht sehen zu können. Shinichi. Als sie dann ihre Haare vom Lockenstab lösen wollte, passierte es. Sie verbrannte sich die Finger, ließ den Lockenstab los und - fing zu weinen an. „Ran… hast du dir weh getan?“ Sonoko eilte heran und zog Rans Hand zu sich. „Ach… lass doch… die Hand…!“ Ran sank zu Boden und schluchzte. Sonoko seufzte, setzte sich neben Ran und zog sie in die Arme. „Dacht ich’s mir doch…“, flüsterte sie leise und streichelte ihrer Freundin beruhigend über den Rücken, als Ran sich ausweinte. Eine Weile sagte keine der beiden jungen Frauen etwas. Dann war es Ran, die das Schweigen brach. „Es hätte so schön sein können... wir wollten heut miteinander hingehen, weißt du?“, schniefte sie und wischte sich über die Augen, erfolglos. „Wir wollten hingehen, und tanzen, und unseren Schulabschluss feiern. Pläne für unsere Zukunft machen. Ich wollte umwerfend aussehen für ihn… so umwerfend, dass er sprachlos gewesen wäre. Ich wollte, dass es wunderschön wird. Ich wollte, dass es wie im Märchen wird. Und jetzt… muss das Märchen ohne Prinz auskommen…“ Sie lächelte hilflos. „Du hältst mich für verrückt, nicht wahr?“ Sonoko schüttelte den Kopf. „Nein, Ran. Ganz und gar nicht. Ich bin doch genauso… mit dem Unterschied, dass mein Prinz hier ist…“ Sie seufzte. „Es wäre bestimmt ein wundervoller Abend geworden. Voll Zauber und Romantik...“ Sonoko grinste und fischte sich das Foto vom Nachttisch. „Er hätte im Anzug bestimmt todschick ausgesehen. Ein Prinz wie er im Buche steht.“ Ran versuchte zu lächeln. „Mit Sicherheit hätte er das, Sonoko. Schwarzer Anzug, weißes Hemd, eine graue Fliege aus Satin. Hätte ihm bestimmt super gestanden.“ „Na, du hast dir das ja schon ganz genau ausgemalt. Jetzt musst du dir das für euere Hochzeit aufheben…“, murmelte Sonoko grinsend. Und damit hatte sie es geschafft. Ran lachte. „Hochzeit?!“ Dann wurde sie wieder ernst. „Dafür muss er erstmal wiederkommen…“ „Du vermisst ihn sehr, nicht wahr?“ Sonoko zupfte ihrer Freundin eine Locke aus den Augen. Ran nickte. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht wünsche, er wäre wieder hier. Ich kann an seinem Haus nie vorbeigehen, und nicht schauen, ob in seinem Zimmer Licht brennt. Ich kann nicht vergessen, wie es sich angefühlt hat… mit ihm zusammen zu sein…“ Sie angelte sich ein Taschentuch, wischte sich zuerst über die Augen damit und blies sich dann die Nase. „Und ich will auch gar nicht…vergessen…“ Sonoko drückte sie noch einmal an sich. „Ich bin mir sicher, ihm geht es genauso. Gib die Hoffnung nicht auf…“ Sie stand auf und zog dann Ran auf die Füße. „So, meine Liebe, wenn du immer noch wild entschlossen bist, da hin zu gehen, dann machen wir es folgendermaßen. Wir beide machen uns jetzt ganz unglaublich schick. Und ich mach Fotos, damit du Shinichi eines Tages zeigen kannst, was er verpasst hat. Später werden ich, du, meine Eltern, deine Eltern und Makoto einen Tisch miteinander nehmen und dann sehen wir zu, dass wir für diesen Abend das unter diesen Umständen beste Ergebnis erzielen!“ Sie stemmte ihre Hände in die Hüften schaute Ran herausfordernd an. „Also schön…“, murmelte Ran. „Versuchen wir’s.“ Sie wandte sich wieder ihren Haaren zu. Bevor sie jedoch wieder mit dem Eindrehen begann, wandte sie sich noch einmal Sonoko zu. „Danke…“ Sonoko schüttelte nur lächelnd den Kopf und begann Schminksachen zu sortieren. Er wusste, sie starrte ihn an. Und es war ihm verdammt unangenehm. Vor ihnen gingen Heather und David, eng umschlungen, und er ging mit Danielle hinterher. Shinichi seufzte leise. Er versuchte unbemerkt auf die Seite zu spähen, um seinen Verdacht zu bestätigen- und tatsächlich, sie schaute ihn an. Shinichi drehte den Kopf wieder weg, als er merkte, wie sie nach seiner Hand griff. Er war so perplex, dass er sie ihr erst nach ein paar Sekunden wieder entzog, woraufhin sie ihm einen – ja, was? Erstaunten, verwirrten, enttäuschten, verletzten? – Blick zuwarf. Shinichi rückte unwillkürlich ein paar Schritte zur Seite. Hatte er ihr in den vergangenen Monaten etwa irgendwelche Hoffnungen gemacht? Oder hätte er doch lieber „nein“ sagen sollen, als sie ihn gefragt hätte, ob er sie auf den Ball begleitete? Wahrscheinlich… Diese ewige Höflichkeit. In Gedanken verfluchte er seine Eltern für seine Erziehung. „Shigeru?“ Gott, wollte sie jetzt darüber reden? Doch nicht, oder? „Shigeru?“ Sie stellte sich vor ihn, als er ihr offensichtlich zu lange mit einer Antwort gebraucht hatte. Er blieb stehen und sah auf. Sie blickte ihn an. Fragend, verwirrt. Ran… „Shigeru, was ist los mit dir? Du bist doch sonst nicht so… abweisend? Wenn dir das unangenehm ist, dann brauchst du es doch nur zu sagen, ich meine, wenn dir das mit uns deiner Ansicht nach zu schnell geht…“ UNS??? Welches „uns“, verdammt?! Wie kam sie denn darauf? Wie… Dachte sie etwa, sie wären ein Paar? Er hatte doch in den letzten drei Monaten bestimmt nicht mehr Zeit mit ihr als mit ihrem Bruder verbracht, noch dazu waren sie ohnehin meistens zu dritt gewesen. Wie kam sie darauf… Zu seiner anfänglichen Überraschung gesellten sich jetzt Schuldgefühle. Er schaute sie an. Sie blickte zurück, ohne zu blinzeln. Rückte wieder etwas näher… Offensichtlich hatte sich Danielle in ihn verliebt und er merkte es, wie immer, viel zu spät. Jetzt lag es an ihm, ihr einen Korb zu geben, und das so sanft wie möglich. Er wollte ihr ja nicht wehtun. Nichts weniger als das. Danielle war ein nettes Mädchen. Aber er liebte Ran. Nur Ran. „Danielle…“, begann er, in der Absicht, ihr zu erklären, dass sie darüber nach dem Ball reden würden. Er wollte ihr den Abend nicht verderben. Und währenddessen würde er sich ein wenig weniger nett verhalten. Einfach ein wenig… abweisender. Nicht verletzend, nein. Nur ein wenig abweisender, nur so, dass sie merkte, dass er nicht wollte. Nicht das wollte, was sie wollte. Gerade, als er weiterreden wollte, hörten sie ihn. Den Schrei. Shinichis Kopf fuhr herum, dann blickte er nach oben. Er sah sie fallen. Die Frau fiel vom Hochhaus neben ihnen. Er packte Danielle, die den Sturz der Frau mit schreckensgeweiteten Augen verfolgte und zog sie beiseite. Ein Schauer jagte ihm über den Rücken, als er den dumpfen Aufprall und das Brechen von Knochen hörte, als der Körper hinter ihnen auf dem Boden aufschlug. Innerhalb von Sekunden füllte sich die Straße mit Schaulustigen. Shinichi und die anderen standen da und starrten auf die Frau, die mit zerschmetterten Gliedern auf dem Gehsteig lag. „Noch so eine Selbstmörderin. Und so jung noch dazu. Passiert so häufig in diesen Tagen. Tragisch ist das.“, hörte er jemanden neben sich murmeln. Shinichi schluckte, ließ seinen geübten Blick über den Körper der Toten gleiten. Begann, in alte Verhaltensmuster zurückzufallen, ohne es überhaupt zu registrieren… Sie war wohl nur ein paar Jahre älter als er. Dreiundzwanzig, schätzte Shinichi. Sie hatte blonde, sorgfältig gestylte und hochtoupierte Haare, die jetzt etwas ungeordnet in der Gegend rumhingen… Sie trug ein lindgrünes Kostüm samt Blazer, darunter eine seines Erachtens nach für diese Tageszeit etwas zu offenherzige, verspielte, mit Volants und Rüschchen besetzte Bluse, getönte Seidenstrümpfe, die einige Laufmaschen aufwiesen und ebenfalls lindgrüne Lackpumps mit Riemchen. Dazu Ohrringe aus grüner Jade sowie eine dazu passende feingliedrige, silberne Halskette mit einem gleichfarbigen Jadeanhänger. Auf dem Revers steckte ein Schildchen. Nathalia McEvans Personal Management Assistant Eine nur allzu bekannte Anspannung nahm von ihm Besitz. Er war nervös und aufgeregt, merkte, wie seine Hände kalt zu werden begannen… Shinichi trat einen Schritt näher und fing an, Schlüsse zu ziehen. Sie blutete viel zu wenig. Ihr Schädel war eindeutig gebrochen und sie hatte eine große Platzwunde am Hinterkopf, aber sie blutete kaum. Die Frau war außerdem grell geschminkt; knallrote Lippen, viel Rouge, violetter Lidschatten. Auch die Fingernägel waren feuerrot lackiert. Auffällig. Eine Frau, die ihr Outfit so umsichtig abstimmte, ruinierte es doch nicht mit völlig übertriebenem Make-up… Er beugte sich nach vorn. Der Nagellack war an ein paar Stellen verschmiert. Welche Selbstmörderin lackierte sich die Nägel und sprang dann aus dem Fenster, bevor der Lack getrocknet war? Noch dazu, wenn man so auf sein äußeres Erscheinungsbild bedacht war? Das war doch hirnrissig. Er ging noch ein wenig näher ran. Und dann sah er es. Unter den Nägeln schimmerte es blau, an den Stellen, wo der Lack verschmiert war. Ein Verdacht keimte in ihm auf. Er zog ein sauberes Taschentuch aus seiner Sakkotasche und tupfte den Lippenstift am Mundwinkel ein wenig weg. Blau. Gift. Das deutete auf einen als Selbstmord getarnten Giftmord hin. Kein normaler Mensch nahm Gift und sprang dann noch aus dem Fenster. Die Frau war zuerst ermordet, dann grell geschminkt worden, um die Vergiftungszeichen zu überdecken und anschließend aus dem Fenster geworfen worden, um den Selbstmord vorzutäuschen. Das würde auch das wenige Blut erklären. Und bis die Polizei herausgefunden hätte, dass es sich um ein Täuschungsmanöver handelte, wäre der Täter unter Umständen schon längst über alle Berge. „Was zur Hölle machst du da?“ Shinichi erschrak und drehte sich um. Hinter ihm stand ein Streifepolizist. „Das war kein Selbstmord.“, murmelte er. „Ach ja? Und woher kam der Schrei?“ „Selbstmörder schreien normalerweise nicht. Ihr Mörder muss geschrieen haben, als er sie aus dem Fenster warf. Die Frau war tot, bevor sie auf der Erde aufschlug.“ „Woher willst du das wissen, Grünschnabel? Dass sie schon tot war, meine ich?“ „Ihre Lippen und Finger… sie sind blau. Das deutet auf eine Vergiftung hin. Sie wurde vergiftet, und ihre Leiche anschließend aus dem Fenster geworfen, um es wie einen Selbstmord aussehen zu lassen…“ Der Polizeibeamte nahm ihm das Taschentuch ab und wischte nun seinerseits mehr Lippenstift weg. Seine Augen weiteten sich vor Erstaunen. „Nicht zu fassen. Du hast Recht! Sie sieht wirklich aus, als wäre sie vergiftet worden…“ Shinichi zog die Augenbrauen ungeduldig zusammen. „Natürlich habe ich Recht. Sehen sie in ihrem Büro nach, da finden sie sicher irgendwo Spuren von…“ Dann erst merkte er, was er hier eigentlich tat. Er spürte, wie ihm das Blut aus dem Gesicht wich. Shinichi schaute dem Polizisten erschrocken ins Gesicht, mit dem er gerade geredet hatte. „Entschuldigen Sie bitte! Ich… ich weiß nicht…was in mich gefahren ist…“ Das war eine glatte Lüge. Er wusste sehr wohl, was in ihn gefahren war. Sein altes Leben nämlich. Er ging rückwärts, starrte den Mann weiterhin an, als wäre er ein Gespenst. „Hey…! Wo willst du denn hin? Dir passiert doch nichts! Ich hätte nur gern deine Aussage, du scheinst ein schlaues Bürschchen zu sein…“ Doch Shinichi antwortete nicht mehr. Er drehte sich auf dem Absatz um, erhaschte einen Blick in die schockierten Gesichter seiner Freunde um und eilte davon. Rannte durch die Menschenmenge ohne Rücksicht auf Verluste. Weg hier. Weg, weg, weg… Und dann sah er sie. Sie winkte einem Taxi und der Fahrer öffnete ihr die Tür. Er sah sie nur schräg von hinten, sie drehte sich nicht um, aber er hegte keinen Zweifel, dass sie es war. Er blieb so abrupt stehen, als hätte er auf der Stelle Wurzeln geschlagen. Er musste ihr Gesicht nicht sehen, um zu wissen, dass sie es war, allein ihre pure Anwesenheit brachte sein Blut dazu, in den Adern zu gefrieren. Vermouth. Er war vielleicht fünf Meter von ihr entfernt. „Zum Kennedy-Airport, bitte.“, hörte er sie sagen. Shinichi ging rückwärts, sein Herz raste. Sie durfte ihn hier nicht sehen. Dreh dich nicht um. Dreh dich nicht um. Dreh dich bitte, bitte nicht um. Der Fahrer nickte, packte ihre kleine Reisetasche in den Kofferraum und setzte sich ans Steuer. Hinter ihr fiel die Taxitür zu und der gelbe Wagen jagte in die entgegengesetzte Richtung davon. Shinichi merkte, wie seine Knie langsam nachgaben. In ihm tobte es. Einerseits wollte er sofort das nächste Taxi anhalten und den Wagen verfolgen. Andererseits… riskierte er damit sein Leben. Und er hatte ihr doch versprochen zu versuchen, zurückzukommen… keine Dummheiten zu machen. Und nicht zu vergessen… Verhalte dich unauffällig, halte dich heraus aus allen Situationen, in denen du mit Verbrechen in Kontakt kommen könntest. Sein Blut rauschte überlaut in seinen Ohren, sein Mund war trocken und seine Hände zitterten vor Anspannung. Er wollte ihr nach. Sein Gefühl sagte es ihm, drängte ihn förmlich die Verfolgung aufzunehmen, ihr nach zu fahren… den Kampf gegen die Organisation wieder aufzunehmen. Sein Verstand sagte ganz klar Nein. Wenn er sich jetzt hinreißen ließ, machte er das alles vielleicht nur noch schlimmer. Wenn er jetzt diesem Drang nachgab, riskierte er damit sein Leben. Er wäre wahrscheinlich tot, bevor er auch nur widersprechen konnte… geschweige denn sich wehren, oder sie überwältigen. Sie hatte mit Sicherheit einen Revolver dabei. Ihre Treffsicherheit war legendär, ebenso wie ihre Skrupellosigkeit. Sie hätte ihn erschossen, ohne mit der Wimper zu zucken, in Sekundenbruchteilen, wenn es darauf ankam. Ihm war es ja fast schon egal, allerdings nur fast… solange er nicht tot war, solange er noch lebte, konnte er noch hoffen. Konnte Ran noch hoffen… Und… Wenn er sich zeigte, dann setzte er nicht nur sein Leben aufs Spiel, sondern auch das seiner Eltern, Rans Leben… denn wenn die Organisation wusste, wo er war, wer er war, dann würde sie nicht zögern, ihnen etwas anzutun, um an ihn heranzukommen. Solange niemand wusste, wo er war, konnte man ihn nicht erpressen… Wenn die Organisation seinen Lieben etwas antat, ohne ihn damit in der Hand zu haben, würden sie sich unter Umständen nur ins eigene Fleisch schneiden, weil sie das Risiko für ihre Festnahme drastisch erhöhten, ohne ihren eigentlichen Zielen näher zu kommen. So dumm war sie nicht. Wenn er jetzt nichts unternahm, blieb er vielleicht auf ewig hier, weil Vermouth, wenn das Schicksal es wollte, unter Umständen als einzige nie gefasst werden würde. Wenn er nichts tat, war er ein Feigling, der lebte. Wenn er etwas tat und dabei draufging, was ziemlich wahrscheinlich war, war er ein Idiot, der tot war, weil er damit nichts erreicht hätte. Genauso gut könnte er sich jetzt gleich vor den nächsten Lastwagen werfen. Aber hier sitzen und nichts tun… nichts tun, wo er doch eine Spur hatte…! Das ging gegen seine Natur. Er wischte sich fahrig mit den Händen übers Gesicht. Wie er es auch drehte und wendete, er wusste nicht, was er tun sollte. Diese Entscheidung wurde ihm allerdings jetzt abgenommen. Danielle, David und Heather waren hinter ihm her gerannt und hatten ihn jetzt endlich eingeholt. „Hey! Shigeru!“ David packte ihn am Arm und drehte ihn herum. „Was zur Hölle war das gerade?!“ „Nichts... lass mich los, bitte.“ Er versuchte, überzeugend zu klingen. Es gelang ihm nicht einmal ansatzweise. In Shinichis Kopf herrschte immer noch Chaos. Er wich Davids Blick aus und versuchte, seinen Arm zu befreien, aber David ließ nicht locker. „Nach nichts sah das aber nicht aus! Weißt du, wie viele Leute sich weggedreht haben, weil ihnen schlecht wurde? Und was machst du? Du gehst noch näher ran! Und dann deinen Schlussfolgerungen über die Todesursache, die auch noch richtig zu sein scheinen, das ist…“ „Nichts weiter als ein verrücktes Hobby. Ich liebe Krimis. Ich lese zu viel. Und jetzt lass mich los. “ Ein leicht drohender Unterton schwang in seiner Stimme mit. Langsam wurde er ungeduldig… und nervös. „Ja, sicher!“ David drückte ihn gegen die Hausmauer. „Das kannst du jemand anderem erzählen, aber nicht mir, das da eben sah nicht so aus, als ob du das nur rein hobbymäßig machst! Und außerdem fassen selbst ganz harte Krimifans noch lange keine Leichen an, Shigeru!“ Shinichi holte tief Luft. „Und was bin ich dann deiner Meinung nach, Holmes?! Und du sollst mich loslassen, vedammt!“, zischte er erbost und schaffte es endlich, seinen Arm los zu bekommen und stieß David von sich weg. Er starrte ihn wütend an. David schluckte und sagte nichts mehr. Shinichi klopfte sich den Staub aus der Anzugjacke. „Im Übrigen sollten wir gehen, wir kommen sonst noch zu spät.“ Damit drehte er sich um und ging voran, mit versteinerter Miene, ohne noch mal in die fragenden Gesichter der drei anderen zu blicken. Nach außen hin sah er ruhig und abgeklärt aus, in ihm jedoch herrschte Aufruhr. Über ein Vierteljahr war sein letzter Fall jetzt her und er hatte wirklich geglaubt, das alles läge hinter ihm. Er wollte doch nichts mehr damit zu tun haben. Wirklich. Er wollte nicht… Warum konnte das nicht endlich ein Ende haben… seine blöde Angewohnheit, seine Nase in Sachen zu stecken, die ihn nichts angingen, brachte ihn nur in Schwierigkeiten. Immer und immer wieder fing es von vorne an. Immer und immer wieder schaltete sich irgendwas in seinem Gehirn ab, wenn er irgendwo das Wort Verbrechen auch nur hörte… Immer musste er damit anfangen, nachzuforschen… nach der Wahrheit zu suchen. Dabei… dabei hatte er doch die Nase voll davon. Oder nicht? Das alles war der Grund, warum er hier war. Warum er nicht bei Ran war. Seinen detektivischen Ambitionen hatte er sein Elend zu verdanken. Dieses Detektivsein machte ihn kaputt. Dieser eine Tag im Tropical Land hatte sein Leben zerstört, er sollte doch eigentlich seine Lektion daraus gelernt haben, aber nein, anstatt einmal brav die Hände in den Taschen zu lassen und sich umzudrehen, einfach wegzugehen, hatte er mal wieder den großen Meisterdetektiven raushängen lassen müssen. Es schien wie eine Droge zu sein. Er hatte keine Ahnung, wie lange es wohl noch dauern würde, bis er endlich los davon kam. Aber er musste doch. Egal ob er es nun wollte oder nicht. Um seinetwillen, um Rans Willen und… Er musste seine neue Identität aufrechterhalten, und Shigeru Katsuragi war kein Detektiv. Sollte herauskommen, wer er wirklich war, war er tot. Und mit ihm wohl auch alle, die ihm etwas bedeuteten. Dieses Mal war es wirklich knapp gewesen. Er hatte mehr von sich blicken lassen, als gut für ihn war. Viel mehr. David verdächtigte ihn eindeutig. Für wen er ihn jetzt hielt, konnte Shinichi nicht sagen, aber David sah in ihm nicht mehr den Shigeru, als den er ihn kennen gelernt hatte, das konnte er in seinen Augen lesen. Danielle war momentan einfach nur geschockt gewesen. Man würde sehen, was sie darüber dachte. Und natürlich konnte das nicht einfach nur ein Mordfall gewesen sein, nein… noch dazu kam jetzt die Sache mit Vermouth… wahrscheinlich war es sogar sie gewesen, die die junge Angestellte umgebracht hatte. Ein etwas plumpes Vorgehen zwar, aber sie war ja letzten Endes damit durchgekommen. Sie jetzt noch zu verfolgen machte keinen Sinn. Er würde sie am Flughafen nie im Leben finden, er war viel zu groß und sie eine viel zu gute Verwandlungskünstlerin. Er schluckte. Außerdem würden ihn David und Danielle mit Sicherheit nicht abhauen lassen, so wie er sich eben benommen hatte. Das FBI zu informieren, selbst wenn er Akais Nummer hätte, brachte ebenfalls nichts mehr. Die würden sie am Flughafen auch nicht mehr finden. In der Reisetasche waren zweifellos alle Utensilien, die man für ein neues Aussehen und eine neue Identität brauchte, vorhanden gewesen. Sie würden sie nicht finden. Sie würde in einen Flieger steigen und sonst wohin reisen. Verschwinden. Eher noch würden sie ihn wieder umsiedeln, wenn er ihnen von ihr erzählte, und dazu hatte er keine Lust. Wirklich nicht. Shinichi stöhnte frustriert auf. Er war zu langsam gewesen. Die Chance seines Lebens vielleicht auf immer vertan. Der Rest des Abends schien normal zu verlaufen. Weder David noch einer der anderen schnitt das Thema noch einmal an, und Shinichi hütete sich davor, sich verdächtig zu benehmen. Er versuchte, sich wie alle anderen hier zu verhalten, tanzte mit Danielle, lachte, plauderte belangloses Zeug und fühlte sich mies dabei. Die jüngsten Ereignisse wollten ihm einfach nicht aus dem Kopf gehen. Aber er versuchte, nicht aus der Rolle zu fallen. Der Abend war schon ziemlich weit fortgeschritten, als er sich allein im Park der Schule wieder fand. Ihm war drinnen alles zu laut und zu heiß geworden, und als er weder David noch Heather oder Danielle sehen konnte, ging er nach draußen. Ein kühler Wind wehte, blies raschelnd durch die Blätter. Shinichi vergrub seine Hände in seinen Jackentaschen, seufzte leise, schloss die Augen kurz und hing seinen Gedanken nach. Ran… wenn du wüsstest… wie schwer das alles für mich ist. Ich hoffe, du hast es leichter. Er reagierte fast zu spät. Sie stand so plötzlich vor ihm. Danielle. Schlang ihren Arm um seinen Hals und zog ihn zu sich runter. Shinichi konnte es nicht fassen. Vorsichtig, um ihr nicht wehzutun, aber dennoch bestimmt entzog er sich ihrer Umarmung, stolperte ein paar Schritte zurück und starrte sie fassungslos an. Er stand da, schluckte, atmete heftig… er konnte es kaum glauben, was gerade fast passiert wäre. Sie hatte ihn küssen wollen. Danielle hatte ihn tatsächlich küssen wollen. Sie schaute ihn an, ihre Unterlippe zitterte, in ihren Augen glitzerte es verdächtig. Er schaute betreten weg, fuhr sich mit den Händen über die Augen und durchs Haar. Dann sah er sie an. „Wir müssen reden, Danielle.“ Eine Träne rollte ihr übers Gesicht. Er legte ihr eine Hand in den Rücken und führte sie ein wenig abseits, fand eine Bank, drückte auf die Sitzfläche und ließ sich neben ihr nieder. „Du liebst mich nicht.“, wisperte sie. „Nein.“, flüsterte er betroffen. Das hier war ihm sehr unangenehm. Er hasste es, jemandem einen Korb geben zu müssen. „Wenn ich dir jemals Hoffnungen gemacht habe, so tut mir das wirklich sehr Leid. Das wollte ich nicht.“ Sie schniefte. „Du warst immer so nett. So hilfsbereit. So ganz anders als die anderen.“ „Ja, das wird mir regelmäßig zum Verhängnis.“ Er schaute sie an und grinste schief. „Es… es tut mir so Leid…!“ Sie wurde rot und eine Träne rollte über ihre Wange. „Schon gut. Solange du’s nicht wieder versuchst…“ Ein Lächeln huschte ihr über die Lippen und sie nahm das Taschentuch an, das er ihr anbot. Sie tupfte sich vorsichtig die Tränen weg, um ihr Make-up nicht zu verwischen und blies sich dann die Nase. Eine lange Zeit saßen sie einfach nur da und sagten gar nichts. Gedämpft drang der Verkehrslärm von der Straße zu ihnen hinüber, leise wehte die Musik aus dem Ballsaal zu ihnen herüber. Schließlich war es Danielle, die das Schweigen brach. „Du bist mir also nicht sauer?“ Er seufzte. „Nein. Es ist ja nichts weiter passiert.“ Sie beugte sich nach vorn und schaute ihm ins Gesicht. Er sah so müde aus. Und irgendwie… traurig. „Du hast vorhin so geschockt ausgesehen. Um ehrlich zu sein…“, begann sie. „Hm?“ „… du hast ausgesehen, als hättest du Angst, was Schlimmes getan zu haben. Was in dieser Situation eigentlich nur bedeuten kann, du hast Angst, jemanden betrogen zu haben. Ich kann dich beruhigen, das hast du nicht. Und jetzt sei so ehrlich und sag mir, ob es da eine andere gibt.“ Er seufzte gequält. „Sieht man mir das an?“ Er hatte sich tatsächlich kurz schuldig gefühlt. Was absurd war, schließlich hatte er sie nicht geküsst, nicht mal küssen wollen. Aber der erste Gedanke, der ihm in den Sinn gekommen war, war Ran. Ran. „Also?“ „Hmm…“ „Shigeru…“ „Ja.“, murmelte er schließlich. „Du bist in eine andere verliebt?“, wisperte Danielle. Sie schaute ihn neugierig an. „Sag mal, macht dir das Spaß?“, fragte Shinichi mit hochgezogenen Augenbrauen. „Was? Dich mit Fragen zu löchern, bis ich eine zufrieden stellende Antwort kriege? Ja.“ Sie grinste. „Also?“ „Ja.“ Er seufzte leise. Ran... „Und? Liebt sie dich auch?“ Shinichi blickte vom Boden auf, lehnte sich zurück, legte den Kopf in den Nacken und betrachtete die Sterne. Ran… „Ja, das tut sie.“ „Wie heißt sie? Wie ist sie? Wo wohnt sie?“ „Das geht nur mich was an.“ „Ach… so ist das. Es geht mich also nichts an. Schön. Warum hängst du dann hier allein rum? Warum gehst du mit mir zum Ball, anstatt dass du sie mitnimmst?“ Danielle schmollte. „Weil es nicht geht.“ „Warum?“ „Hör bitte auf zu fragen, Danielle. Ich kann dir darauf keine Antwort geben.“ „Kannst nicht oder willst du nicht?“ Er biss sich auf die Lippen. „Oder darfst du nicht?“ Shinichi zuckte zusammen. Wie kam sie darauf? Sie sog scharf die Luft ein. Er hatte sich verraten. „Du darfst nicht. Du darfst es nicht sagen. Nicht sagen, wer sie ist, und warum ihr nicht zusammen seid, stimmt’s? Warum nicht?“ Shinichi wandte den Kopf ab. Er merkte, wie ihm heut schon zum zweiten Mal alle Farbe aus dem Gesicht wich. Dieses Gespräch entwickelte sich in eine sehr gefährliche Richtung. „Wer bist du wirklich?“ Er kniff die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. Danielle seufzte. „Du verhältst dich öfter mal seltsam. Du lachst fast nie, bist sehr verschlossen, erzählst so gut wie nichts über deine Vergangenheit... nichts über deine Eltern, oder Freunde, andere Verwandte… über deine alte Schule, nichts. Es ist, als verheimlichst du was. Du gibst vor jemand zu sein, der du nicht bist, das ist meine Meinung. Also… Wer bist du?“ Er schloss die Augen und schüttelte erneut, hilflos, den Kopf. Es ging nicht. Er durfte nichts sagen. Und wollte auch nicht. Es ging keinen was an. „Als du heute diesen Selbstmord untersucht hast… das warst du… wirklich du, nicht war?“ Er schwieg weiterhin beharrlich. Sie stand auf, ging um die Bank herum und starrte ihn an. Waren ihre Worte vorher noch von eher fragender Natur, so stellte sie ihn nun vor vollendete Tatsachen. „Du bist nicht der, der du vorgibst zu sein. Das dachte ich mir schon lange.“ Sie ging um ihn herum, bis sie ihm in die Augen sehen konnte. „Ich möchte, dass du weißt, dass ich nichts, was wir hier beredet haben, je weitererzählen werde. Auch David nicht. Wenn du mir nicht sagen willst, was mit dir los ist, dann ist das deine Entscheidung und ich akzeptiere das. Wer auch immer du bist… ich hoffe nur, wir bleiben befreundet, ja? Nachdem ja jetzt die Missverständnisse unter uns ausgeräumt sind.“ Sie lächelte entschuldigend. Shinichi atmete innerlich erleichtert auf. Sie hatte gewusst, wann sie aufhören musste. „Sicher.“, meinte er leise. „Dann lass ich dich jetzt mal allein. Du siehst nicht eben aus, als wäre dir nach Gesellschaft.“ Sie wandte sich zum Gehen. Dann drehte sie sich doch noch einmal um. „Ich hoffe, deine Freundin, wer sie auch ist und wo immer sie sich befindet, weiß, was sie an dir hat. Ich wünsch es dir, von ganzem Herzen, denn du scheinst sie wirklich zu lieben. Sie sollte so schlau sein und auf dich warten, so jemanden wie dich findet man nicht oft.“ Damit ging sie. Er seufzte, stand auf und machte sich auf den Heimweg, durch die immer noch vor Leben und Licht pulsierende Stadt. New York schlief nie. Er sollte Danielle nur noch ein einziges, weiteres Mal sehen. Nämlich zwei Tage später am Flughafen, als er sie, David und Heather verabschiedete, die zu dritt eine Reise nach Europa machen wollten um ihre neu gewonnene Freiheit genießen. Er, der zurückbleiben musste, winkte ihnen nach, bis sie im Gate verschwunden waren, schaute dann aus dem Fenster dem Flugzeug hinterher, bis er es nicht mehr sehen konnte, ehe er sich schließlich umwandte. Sie kamen nie zurück. Sie kamen in Europa nicht einmal an. Aus den Nachrichten sollte er am nächsten Tag erfahren, dass ihr Flugzeug über dem Atlantik abgestürzt war. Ran stand am Fenster ihres Zimmers und starrte in die Nacht. Ihre kunstvoll getürmte Frisur verlor langsam ihren Halt und begann sich dem Gesetz der Schwerkraft wieder zu beugen. Sie strich über ihr Kleid, azurblauer Taft, passend zu ihren Augen. Ein Traum von einem Kleid. Sie war mit Komplimenten gerade zu überschüttet worden. Aber eigentlich hatte sie nur von einer Person ein Kompliment hören wollen, und genau diese Person… war nicht da, um ihr Komplimente zu machen. Der Abend auf dem Ball war dank Sonokos Mühen doch noch, wie sie es ausdrückte, zu einem „unter diesem Umständen bestmöglichen Ergebnis“ gelangt. Makoto hatte sie sogar ein paar Mal zum Tanzen aufgefordert, damit sie nicht immer allein am Tisch saß. Sie hatten gelacht, geredet… und Ananasbowle getrunken. Sonoko deutlich mehr als sie selbst. Ran lächelte. Ja, doch, es war an und für sich ein schöner Ballabend geworden... Nichtsdestotrotz war sie während des ganzen Abends in Gedanken nur bei ihm gewesen. „Shinichi…“, seufzte sie, während der Wind mit einer Locke, die sich bereits aus ihrer Frisur gelöst hatte, sanft spielte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)