Junischnee von Leira ================================================================================ Kapitel 2: Shigeru Katsuragi ---------------------------- Mesdames, Messieurs, es geht weiter… Wo im letzten Kapitel ein noch eher bekanntes Thema behandelt wurde… beginnt mit diesem Kapitel die eigentliche Geschichte. An dieser Stelle möchte ich auch noch herzlich Shi_ran-chan und Shellingfordw willkommen heißen! Und ja, man erfährt von Shinichis Telefonat mit Kogoro, sehr bald schon; und nein, über das, was Shinichi, während er in den Fängen der Organisation war, wird nichts erzählt. Er will darüber nicht reden und ich respektiere das *g* Nun… kurzer Rede langer Sinn… ich wünsche viel Vergnügen. Ach ja. *einenHaufenTaschentücheraufdenBodenwerf* Da einige von euch wohl etwas nah am Wasser gebaut sind… könnten die eventuell von Nutzen sein. Jetzt verzieh ich mich aber. Man sieht sich in ´ner Woche ;) Mit freundlichen Grüßen, Leira :) _________________________________________________________________________________ Shinichi lag auf seinem Bett, starrte die weiße Zimmerdecke über ihm an und dachte nach. Vor anderthalb Stunden hatte er Kogorô angerufen. Er hatte diesen Anruf ohnehin schon hinausgezögert, bis es nicht mehr ging; der Nachmittag im Park war jetzt schon eine Woche her. Heute hatte er Rans vorwurfsvollen Blick schließlich nicht mehr ertragen können. Sie hatte das Thema nicht wörtlich angeschnitten, nein… aber ihr Blick sagte alles. Also hatte er sich das Telefon gegriffen, die Nummer der Detektei gewählt und gebeichtet. Er befühlte vorsichtig sich sein rechtes Ohr. Shinichi hatte knappe fünf Minuten gebraucht, um Kogorô Môris ungefesselten Zorn auf sich zu ziehen, dem dieser dann auch lautstark Luft gemacht hatte. „Du kleiner, elender, dreckiger Bastard! DU WAGST ES…!!!“ Die ersten fünf Wörter hatten Shinichi noch in voller Lautstärke erreicht- dann hatte er den Hörer endlich auf Armeslänge von seinem malträtierten rechten Ohr entfernt und ließ die nächsten zwanzig Minuten von Kogorôs wort- und stimmgewaltigen Wutausbruch, nun in etwas gedämpfterer Version, über sich schwappen. Er hatte es ja verdient. Als dann aber nach eben diesen zwanzig Minuten immer noch kein Ende zu hören war, wurde es Shinichi schließlich zu bunt. Er nahm den Hörer an den Mund (nicht ans Ohr, wohlgemerkt. Sonst würde ihm womöglich sein Trommelfell doch noch platzen) und brüllte zurück, um auch gehört zu werden: „Jetzt halt mal die Luft an!!“ Stille in der Leitung. Dann kam ein sehr genervtes „Was?!?“. „Was ich noch sagen wollte, bevor du mir mein Ohr kaputtgebrüllt hast… war… Es tut mir Leid.“ Wieder Stille. Schließlich… „Was?“ Erstaunter Tonfall, diesmal. „Ich hab gesagt, dass es mir Leid tut.“ „Warum erzählst du mir das alles eigentlich? Wär’s für dich nicht viel bequemer, einfach die Klappe zu halten und den blöden alten Kogorô ins Messer laufen zu lassen…?“ „Ich hab nie gesagt, dass du blöd und alt bist. Außerdem, auch wenn du mir das nicht glaubst, hab ich so was wie ein Gewissen. Und ich hab’s dir gesagt, weil Ran…“ Shinichi biss sich auf die Lippen. Oha. Er hörte wie am anderen Ende tief Luft geholt wurde und beeilte sich, den Hörer wegzuhalten. Er ahnte, was jetzt kam. „DU LÄSST DEINE DRECKIGEN FINGER VON MEINER TOCHTER!!!“ „Paps!“ Rans Stimme. Anscheinend war sie gerade nach Hause gekommen. Er hörte die Tür zufallen. „Schrei ihn gefälligst nicht an!“ Shinichi seufzte. Na klasse. Jetzt stritt sie wegen ihm mit ihrem Vater. „Ich schreie an, wen ich will, wie ich will, wann ich will!“ „Aber nicht Shinichi!“ Sie klang wirklich sauer. Shinichi schluckte. Er sah Kogorôs Gesicht förmlich vor sich, wie es in seinem Kopf arbeitete… wie sich sein Gesichtsausdruck langsam vor Wut verzerrte, als er die richtigen Schlüsse zog. „Mausebein, jetzt sag nicht…“ „Was soll ich nicht sagen?“ Ein herausfordernder Ton lag in ihrer Stimme. „Ihr beide seid nicht zusammen.“ Er war kaum zu verstehen. Shinichi vermutete, dass er den Hörer hatte sinken lassen, weil auch Rans Stimme im nächsten Moment sehr viel leiser klang. „Doch. Genau das sind wir. Und sehr glücklich damit.“ „Ich verbiete es dir! HÖRST DU! Das machst du nicht! Du wirst dich fernhalten von diesem Lügner, diesem dahergelaufenen…“ „Ich bin fast zwanzig Jahre alt und lass mir von dir bestimmt nicht verbieten, mit wem ich mich treffe! Ich liebe ihn nämlich, weißt du? Und er mich auch. Und außerdem versteh ich dein Problem nicht, schließlich konntest du ihn ja in den letzten drei Jahren besser kennen lernen und…“ „Nein! Ich erlaube das nicht.“ Plötzlich war Kogorôs Stimme wieder dichter an seinem Ohr. „Und wenn du weißt, was gut für dich ist, dann hältst du dich fern von meiner Tochter!“ Er hörte Ran im Hintergrund vor Wut tief Luft holen und zu einem weiteren Argument ansetzen. In der Hinsicht war sie genau wie Eri. Dann ertönte das Freizeichen. Er seufzte bei dem Gedanken daran entnervt auf. Na super. Einerseits fragte er sich, ob Kogorô wirklich dumm genug war zu glauben, er ließe sich von ihm den Umgang mit Ran verbieten, andererseits wollte er Ran, falls es dazu kam, nicht vor die Wahl stellen. Sie liebte ihren Vater nun mal auch. Er seufzte, fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, als es an der Haustür schellte. Seine Mutter öffnete; er erkannte es an ihrem Gang. „Guten Tag, Kommissar Meguré! Was kann ich für Sie tun?“ Ihre Stimme klang erstaunt. Shinichi war überrascht. Also stand er auf und ging zur Tür, auf den Gang und beugte sich leicht über Geländer, um besser hören zu können. Sein Verhör war, wie gesagt, eine gute Woche her; was konnte der Kommissar also jetzt noch wollen. „Hallo Yukiko. Darf ich vorstellen, das hier ist Herr Akai vom FBI. Wir müssten mit dir und Yusaku sprechen. Und mit Shinichi.“ Shinichi zog die Stirn kraus. FBI? Akai? Was zur Hölle wollte das FBI bitte jetzt noch von ihm? Das Gesicht seiner Mutter erschien unter der Treppe und blickte geradewegs in seins hoch. „Du hast den Kommissar gehört, nehm’ ich an…“ Shinichi nickte, stieß sich vom Geländer ab und ging nach unten, wo die anderen auf ihn warteten. „Yusaku ist in der Bibliothek, folgen Sie mir doch bitte.“, meinte sie höflich. Shinichi ging mit seiner Mutter voraus, allerdings nicht, ohne einen Blick in die Gesichter der beiden Männer zu werfen. Irgendetwas stimmte nicht. Sein Vater saß an seinem Schreibtisch in der großen Bibliothek und brütete über einem Manuskript. Er sah hoch, als er die Truppe hereinkommen hörte. „Jûzô, womit kann ich dir helfen?“, meinte er beim Anblick des Kommissars und stand auf, um ihm die Hand zu geben. „Oh, Yusaku, mir gar nicht, denke ich. Darf ich dich auch noch bekannt machen, Shuichi Akai vom FBI. Ihr beide kennt euch ja bereits, nehme ich an.“ Damit schaute er von Shinichi zu Shuichi und wieder zurück. Der junge Detektiv und der FBI-Beamte nickten kurz. „Schön…“, murmelte Yukiko. „Dann setzen wir uns am besten, und ich geh uns Tee kochen…“ Sie wollte sich gerade umdrehen, aber Meguré hielt sie zurück. „Das wird nicht nötig sein, Yukiko, Danke. Ich schätze, es ist besser, wir setzen uns nur kurz.“ Yusaku warf ihm einen durchdringenden Blick zu und Shinichi spürte, dass sein Vater seine Unruhe teilte. Irgendwas war faul hier. „Nun“, begann der Kommissar, als alle saßen; Shinichis Eltern hatten links und rechts von ihm Platz genommen. „Es geht um die Organisation, der euer Sohn, Shinichi, das Handwerk gelegt hat.“ „Ja, und? Weiter?“ Shinichi wurde nervös. „Es…uhm…hat Probleme gegeben.“ Yusaku kniff die Augen zusammen. „Probleme, Jûzô? Welcher Art?“ Der Kommissar seufzte bedrückt. „Ja. Es konnten nicht alle gefasst werden, einigen gelang es, sich abzusetzen.“ Yukiko schaute ihn mit geweiteten Augen an. „Das heißt…“ „Dass Shinichi in Gefahr schwebt, ja. Er ist derjenige gewesen, der sie zerschlagen hat, und an ihm werden sie sich mit Sicherheit noch rächen wollen, das ist zumindest anzunehmen…deswegen…“ Er brach ab. „Deswegen was?“, fragte Shinichi drängend. „Deswegen haben wir vor, dich ins Zeugenschutzprogramm aufzunehmen.“ Shuichis Stimme war kalt wie Eis. Shinichi brauchte ein paar Sekunden, bis er realisiert hatte, was er gehört hatte. Yukiko ergriff seine Hand. Dann- „NEIN!“ „Shinichi…“, begann Meguré, „Das ist nur zu deinem Besten, die werden dich sonst umbringen…“ „Das ist mir egal…!“, brauste der junge Detektiv auf. „Ich geh ganz bestimmt nicht…“ „Das hast du nicht zu entscheiden.“, begann Akai, wurde aber von Yusaku unterbrochen. „Warum denn gleich das Zeugenschutzprogramm? Reicht es nicht, wenn wir umziehen? Nach Europa oder in die USA?“ „Nein, tut es nicht. Und zwar, weil diese Organisation weltweit operiert; egal wo sie sich mit ihm aufhalten, sie hätten Ihren Sohn innerhalb kürzester Zeit aufgespürt. Und entschuldigen Sie bitte, aber…“ Er lächelte ein winziges, kühles Lächeln, emotionslos, kalt… „Sie sind nicht gerade das, was man unauffällig nennt, Herr Kudô.“ Yusaku holte Luft und starrte sein Gegenüber verärgert an. „Aber…“ Meguré schüttelte betrübt den Kopf. „Ich fürchte, ihr habt da keine Wahl, Yusaku. Das Risiko, dass jemand euren Sohn auf offener Straße erschießt, oder wie auch immer tötet, ist zu hoch. Glaub mir, wir haben uns das genau überlegt, in der vergangenen Woche. Der einzige Grund, warum sie’s noch nicht versucht haben, ist der, dass sie momentan damit beschäftigt sind, unterzutauchen. Hätten sie’s jetzt schon probiert, dann hätten sie sich ja in kürzester Zeit hinter Schloss und Riegel wieder gefunden. Nein. Ich… Wir denken, dass sie, sobald sich die Wogen ein wenig geglättet haben und sie sich halbwegs wieder organisiert haben, als ersten Tagesordnungspunkt die Ermordung von Shinichi auf ihrem Plan haben. Wirklich, es fällt mir auch nicht leicht… Aber ich denke, es ist die beste Lösung ihn ins Zeugenschutzprogramm zu nehmen…“ In Shinichis Kopf herrschte Chaos. Zeugenschutzprogramm hieß umziehen, einen neuen Namen, eine neue Identität annehmen, alles, jeden zurücklassen, den er bis jetzt gekannt hatte, ein neues Leben ohne Vergangenheit… Ein Leben ohne seine Eltern, ohne Professor, ohne Heiji… Ein Leben ohne Ran… Er wollte nicht gehen. Er wollte nicht von hier weg. Er wollte nicht von ihr weg… „Nein.“, wiederholte er noch einmal. Akai starrte ihn an. „Ich dachte, das wäre geklärt.“ „Dann dachten Sie falsch. Ich gehe hier nicht weg, ich will mich nicht verstecken, das alles zurücklassen, ich will…“ „Einen sehr frühen, unerwarteten Tod sterben, ja?“ Er schaute ihm in die Augen. Shinichi starrte zurück, ohne zu blinzeln. „Ich werde nicht ins Zeugenschutzprogramm gehen.“ „Shinichi…“ Yukiko schaute zuerst Yusaku, dann ihren Sohn an. „Ich lass dich ungern gehen…ich liebe dich, du bist mein einziger Sohn…“ Eine Träne rann ihr übers Gesicht. „Aber ich will nicht, dass du stirbst. Ich will nicht… ich könnte es nicht ertragen, eines Tages an deinem Grab zu stehen, Shinichi… das musst du doch verstehen…?“ Shinichi starrte sie entsetzt an. Sie wich seinem Blick aus und fing leise an zu weinen. Er wandte sich seinem Vater zu. Yusaku Kudô schwieg lange, dann… „Es tut mir Leid.“ Yusaku wandte sich ab, als er dem anklagenden Blick seines Sohns nicht mehr standhalten konnte. „Aber wie es aussieht, geht es nicht anders. Ich fürchte… Ich denke auch, es ist das Beste für dich…“ Shinichi schnappte nach Luft. Bitte, das darf nicht war sein. Das ist nur ein Alptraum… das ist nicht wahr… nicht wahr… „Aber ich will das nicht! Wisst ihr, was das heißt? Ihr seht mich wahrscheinlich nie mehr wieder!“ Er stand auf, blickte fassungslos von seinem Vater zu seiner Mutter. „Ich will hier nicht weg…“ „Shinichi… sie wird es verstehen…Ran wird…“ Yusaku war ebenfalls aufgestanden. „Wenn du es ihr erklärst, wird sie es verstehen…“ Shinichi blieb die Luft weg. „Ihr könnt mich nicht zwingen.“ „Doch, das können sie.“ Akai war ebenfalls aufgestanden. „Du bist noch nicht volljährig…“ „Ich werde nächste Woche zwanzig!“ „…und dein Flieger geht morgen um acht Uhr früh.“ Shinichi stand da, schluckte, blinzelte, fühlte sich, als wäre alles in ihm plötzlich zu Eis erstarrt. Morgen früh? „Ihre Unterschrift, bitte.“ Der Mann vom FBI war um den Tisch herum getreten und reichte Yusaku ein Formular und einen Kugelschreiber. Er starrte seinen Sohn an. „Glaub nicht, dass mir das leicht fällt…aber es ist das Beste für dich.“ Er setzte zu seiner Unterschrift an. „Nein!“ Das konnte doch nicht sein Ernst sein! Shinichi wollte ihm in den Arm fallen, ihn aufhalten, aber Akai hielt ihn fest. „DAS KÖNNT IHR MIR NICHT ANTUN! Das könnt ihr nicht… ihr könnt mir das nicht antun!“ Er merkte, wie sich ein Kloß in seinem Hals bildete und schluckte, blinzelte heftig. Er wollte hier nicht weinen… Ohnmächtig starrte er seine Mutter an. Yukiko unterschrieb ebenfalls und reichte das Blatt zurück. Dann eilte sie laut schluchzend aus dem Raum. Shuichi Akai ließ ihn los. Shinichi verlor das Gleichgewicht und wäre fast gestürzt. Er fing sich gerade noch ab, atmete heftig. Das hier gerade ist doch nicht passiert… es kann nicht passiert sein... Tatsache war allerdings, dass er genau wusste, dass das hier die Realität war, auch wenn er es nicht wahrhaben wollte. Er wusste es. Er konnte nicht entkommen. Der Kommissar starrte Shinichi mit einem um Verzeihung heischenden Blick an, dann wandte er sich an seinen Vater. „Wir finden alleine raus, Yusaku, Danke.“ Meguré, dicht gefolgt von Shuichi Akai, ging ebenfalls. Shinichi starrte seinen Vater an. Seine Augen brannten immer mehr. „Ich hasse dich.“, sagte er tonlos. Yusaku erwiderte nichts. Er stand da, schaute ihn nur mit einem sehr seltsamen Ausdruck in den Augen an und schwieg. Shinichi eilte nach draußen, überholte den Kommissar und Akai auf dem Gang, schlüpfte aus seinen Pantoffeln in seine Turnschuhe und stürmte nach draußen. Völlig außer Atem kam er bei der Detektei an, eilte die Treppen zur Wohnung hoch und klingelte Sturm. Kogorô öffnete die Tür. „Was willst du? Hab ich mich etwa nicht klar genug ausgedrückt?!“, grollte Kogorô und packte ihn am Hemdkragen, nur um ihn gleich darauf wieder loszulassen und ein erstauntes „Wie siehst du denn aus?“ anzufügen. Ran schaute um die Ecke. „Shinichi…?“ Sie zog ihn herein, warf ihrem Vater einen warnenden Blick zu und wartete, bis er seine Schuhe ausgezogen hatte. Schließlich schleifte ihn in ihr Zimmer, wo sie ihn auf ihr Bett drückte. Dann setzte sie sich neben ihn. „Du siehst aus, als ob du ein Gespenst gesehen hast, Shinichi… was ist los?“ Er starrte sie an. In seinen Augen brannten Tränen. Er wollte nicht weinen. Nicht vor ihr. Es würde, auch ohne dass er die Nerven verlor, schlimm genug für sie werden. „Ich muss weg.“, presste er hervor. Ran wurde bleich. „Warum? Wohin?“ Er schluckte. „Zeugenschutzprogramm. Keine Ahnung wohin.“ Er krallte die Hände in ihre Bettdecke. Rans Herz machte einen Aussetzer. „Ins Zeugenschutzprogramm? Heißt das nicht…“ „Dass ich irgendwohin gebracht werde, eine neue Identität bekomme und alle Brücken hinter mir abbrechen muss? Ja.“ Seine Stimme klang bitter. „Aber…“, wisperte Ran. „Ja, genau.“, antwortete er auf ihre unausgesprochene Frage. „Kannst du nicht…?“ „Nein. Ich bin noch minderjährig…meine Eltern haben unterschrieben. Eigentlich kann ich ihnen keinen Vorwurf machen, sie haben nur Angst um…“ „Dich.“ Die ersten Tränen begannen über ihr Gesicht zu laufen. „Ran…“ Sie fing an zu schluchzen. Er starrte sie hilflos an. Sie schon wieder weinen zu sehen machte ihn fertig. „Ran, bitte… bitte hör auf…“ Er schaute sie an, sah den Schmerz, die Verzweiflung in ihren Augen. „Wann?“, wisperte Ran mit tränenerstickter Stimme. Er schluckte. „Wann musst du gehen?“ Er antwortete immer noch nicht. Ihm wurde kalt. Sie packte seinen Hemdkragen, zog ihn näher an sich, zwang ihn, ihr ins Gesicht zu blicken. „Wann, Shinichi?! Wann? Sag schon! WANN?“ Immer mehr Tränen strömten über ihre Wangen. Er schaffte es nicht, ihr noch länger in die Augen zu sehen. „Morgen früh.“, murmelte er nur. Zu mehr war er nicht imstande. „NEIN!“ Sie schrie gequält auf und vergrub ihr Gesicht an seinem Hals, ihre Hände krallten sich in seine Haare und sein Hemd. Shinichi schluckte. Ihr Schmerz, ihr Kummer machten es für ihn nur noch schlimmer. Die Verzweiflung schnürte ihm die Kehle zu. Ihm ging es doch selber nicht besser… Er hätte eigentlich auch jemanden gebraucht, der ihn tröstete, ihm Mut zusprach. Stattdessen musste er jetzt für Ran da sein. Versuchen, ihren Schmerz zu lindern, es ein wenig leichter für sie zu machen. Er hasste sein Leben. „Nein…nein…nein…“ Sie wimmerte. Er schluckte, strich ihr über Haar. „Schh… Ran bitte… bitte hör auf zu weinen Ran…“ „Ich will nicht dass du gehst… ich will dich… nicht verlieren, nicht schon wieder, nicht für… immer…“ Sie starrte ihn an. Er nahm ihr nasses Gesicht in ihre Hände, fühlte, wie jeder ihrer Schluchzer ihren Körper erbeben ließen. „Ich liebe dich. Das darfst du nie vergessen. Egal wo ich bin, egal wie’s mir geht, ich werde dich immer lieben... Egal was noch kommen mag.", murmelte er leise. Sie schloss die Augen, wurde wieder ein wenig ruhiger. Genoss seine Berührung…die sie heute wohl zum letzten Mal spüren würde. Sie fühlte wie er seine Stirn an ihre lehnte, zog ihn näher an sich heran, vergrub ihre rechte Hand in seinen Haaren, zog sein Hemd aus seinem Hosenbund, knöpfte es auf und berührte mit ihrer anderen seine Haut, schlang ihren Arm um ihn. Spürte seine Wärme… Sie öffnete die Augen wieder, schaute ihn an. Ihre Augen glänzten feucht. „Ich will nicht, dass du gehst. Ich will es nicht. Ich liebe dich, ich liebe dich doch, das können sie mir doch nicht antun… uns nicht antun...“ Eine Träne rollte ihr über die Wange. Shinichi strich sie weg. Langsam, zärtlich und vorsichtig. Sie spürte seinen Atem auf ihrem Gesicht. Dann küsste er sie. Sie erwiderte den Kuss, schmiegte sich an ihn, wollte ihm so nah wie möglich sein. Als sie sich trennten, schaute sie in seine Augen. In ihnen stand Trauer und Schmerz. Die Realität holte sie wieder ein, traf sie wie ein Schlag ins Gesicht. Er würde sie morgen verlassen. Sie konnte nichts tun, als neue Tränen über ihr Gesicht strömten. „Warum?“, hauchte sie, eine Ausdruck tiefer Verzweiflung auf dem Gesicht. Er seufzte auf. Er ertrug das nicht, sie so zu sehen… „Das weißt du doch.“ Seine Stimme klang rau. Als ob sie jeden Moment brechen, versagen würde… Dann schlang er seine Arme um sie, drückte sie an sich, ließ sich nach hinten aufs Bett kippen und hielt sie fest. So fest es nur ging. Er spürte, wie der Weinkrampf ihren Körper erneut zittern ließ und wusste nicht, wie er ihr helfen konnte. Was er noch sagen konnte, um sie ein wenig zu beruhigen. „Nein, nein, nein…“ In diesem Moment wurde ihm erst richtig bewusst, was er verlor. Wen er verlor. Was er ihr antat… Und was man ihm antat, indem man ihn zwang, sie zu verlassen. Seine Ran, seine erste und einzige Liebe… zu verlassen. Für immer. Stumm rannen ihm die Tränen übers Gesicht. Kogorô ging von der Tür weg. Eigentlich hatte er nur lauschen wollen, um sicherzugehen, dass da drin alles… „jugendfrei“ zuging. Mit dem, was er dann zu hören bekam, hatte er nicht gerechnet. Sie taten ihm Leid. Beide. Unsagbar Leid. Erst jetzt, wo Shinichi gehen sollte, wurde ihm erst klar, wie sehr er ihn eigentlich mochte. Trotz ihrer nicht weg zu diskutierenden Differenzen. Und erst jetzt, am heutigen Tag, wurde ihm eigentlich klar, wie viel dieser Kerl seiner Tochter bedeutete. Er und Ran hatten noch lange geredet, nachdem er den Hörer auf die Gabel gelegt hatte… und er musste zugeben, dass Ran es mit ihrer Wahl wohl tatsächlich schlimmer hätte treffen können. Er hatte Conan ja schließlich wirklich gemocht. Er war fast der Sohn für ihn gewesen, den er nicht hatte. Das einzige, was ihn jetzt eigentlich hinderte, auch Shinichi zu mögen, war die Sorge jedes Vaters; nämlich sein kleines Mädchen an einen anderen Mann zu verlieren. Tatsache war allerdings auch, dass er erst jetzt, nachdem er die beiden belauscht hatte, wirklich verstand, dass Shinichi Kudô seine Tochter liebte. Er liebte Ran. Er liebte sie so, wie Ran wohl keinen Zweiten mehr finden würde. Und nun war sie im Begriff, ihn für immer zu verlieren und keiner konnte etwas dagegen tun. Nach zwei Stunden öffnete sich die Tür und ein sehr blasser Shinichi kam heraus. Er traf auf Kogorô, der in der Küche am Tisch saß, vor sich eine Tasse Kaffee, und auf ihn gewartet hatte. „Wie geht’s ihr?“ Shinichi seufzte. Ein leicht gequälter Ausdruck erschien auf seinem Gesicht. „Beschissen, denke ich. Sie schläft jetzt. Sei so gut und lass sie schlafen… Sie wollte zwar morgen mit zum Flughafen fahren, aber…ich wär’ ihr nicht böse, wenn sie nicht kommt. Am besten sie vergisst alles. Vergisst, wer ich war und was wir hatten.“ Er wischte sich unwillig eine Träne aus dem Augenwinkel. Kogorô starrte ihn an. „Und wie geht’s dir?“ Shinichi schaute überrascht auf. „Noch beschissener als Ran, wenn das möglich ist.“ „Du… du liebst sie wirklich, nicht war?“ Shinichi blinzelte. Was war den hier los. Dann nickte er. „Ja.“ „Willst du eine Tasse Kaffee?“ Kogorô schaute ihn fragend an. Shinichi überlegte kurz, dann schüttelte er bedauernd den Kopf. „Nein… danke. Ich… Ich würde mich gern noch mit dir unterhalten, ehrlich. Ich schätze das sehr, dass du jetzt doch versuchst, dich mit mir zu arrangieren, aber…“ „Du musst gehen.“ „Ja. Leider. Und… falls wir uns nicht mehr sehen… Leb wohl, Kogorô.“ Damit ging er. Yusaku Kudô sah von seinem Skript auf, als er die Haustür zuschlagen hörte. Er war also wieder da. Er hörte, wie sein Sohn die Treppe rauf ging, und dabei nicht im Geringsten versuchte, seine Frustration und seine Wut zu verstecken. Yusaku sah auf, als Yukiko ihm von hinten ihre Arme um den Hals schlang, ihren Kopf an den seinen lehnte. „Was tun wir ihm an, Yusaku?“ Oben wurde eine Tür lautstark zugeknallt. „Ich weiß es nicht.“ Yusaku schob seine Blätter auf einen Haufen, packte sie und ließ sie in eine Schublade gleiten. „Aber ich will nicht, dass man ihn umbringt. Das Risiko ist zu groß.“ Yukiko schniefte leise. Er stand auf, drehte sich um und nahm sie in die Arme. „Das wird schon wieder werden, Yuki. Bestimmt…“ Yukiko klammerte sich an ihren Ehemann und begann hemmungslos zu weinen. Shinichi schrie auf und schlug mit den Fäusten gegen die Wand. Den pochenden Schmerz, der sich einstellte, ignorierte er. Er war frustriert… und verzweifelt. Zeugenschutzprogramm. Himmel, wie hatte es soweit kommen können? Er wollte hier nicht weg. Er hätte alles gegeben, um die Zeit zurückdrehen zu können… Gedankenverloren streckte er sich, um den Koffer vom Schrank herunter zu ziehen. Er ließ ihn aus der Hand fallen und starrte ihn an. Voller Abscheu. Als sei dieser Koffer sein persönlicher Feind. Als wäre allein der Koffer Schuld an seiner Misere. Er stieß ihn mit dem Fuß auf, zog die Schranktüren auf, und begann wahllos, Klamotten hineinzuwerfen. Als er damit fertig war, klappte er ihn zu. Er seufzte. Hatte er noch etwas vergessen? Im Prinzip war ihm das allerdings auch egal… Er schaute sich um. Langsam, sehr langsam drehte er sich um die eigene Achse, ließ seine Augen durch den Raum wandern. Sein Zimmer. Sein Zuhause. Irgendetwas schnürte ihm die Kehle zu, legte sich auf seine Brust, machte ihm das Atmen schwer. Morgen würde er das alles wahrscheinlich auf Nimmerwiedersehen verlassen. Er seufzte, dann verließ er das Zimmer, schlurfte den Gang entlang und die Treppe nach unten. Er musste noch jemanden anrufen. Shinichi nahm das Telefon und ging damit in die Küche. Er setzte sich an den Tisch und wählte Hattoris Nummer. Es war jetzt kurz nach ein Uhr früh. Müde ließ Shinichi sich auf sein Bett sinken. Er hatte noch lange mit Heiji geredet; mit seinen Eltern kein Wort mehr. Er wusste, er war unfair ihnen gegenüber. Und wenn er in das verheulte Gesicht seiner Mutter blickte oder das bleiche Gesicht seines Vaters, dann sah er nur allzu deutlich, dass er sie ungerecht behandelte. Aber er konnte jetzt nicht mit ihnen reden. Er wusste, irgendwann würde er bereuen, an diesem letzten Tag den er mit ihnen verbrachte, so abweisend gewesen zu sein. Aber er konnte nicht mehr. Er wollte auch nicht. Sein Blick blieb auf dem Foto am Nachttisch hängen. Er durfte nichts mitnehmen, was Zeugnis über sein altes Leben abgeben könnte, das wusste er. Er nahm das Foto in die Hand. Es zeigte ihn und Ran. Ran hatte das gleiche Bild in ihrem Zimmer, er hatte es gesehen. Ohne es kontrollieren zu können und ohne irgendetwas dagegen machen zu können, begannen zum zweiten Mal an diesem Tag Tränen über sein Gesicht zu laufen. Er wollte nicht weg. Das Foto fiel ihm aus der Hand. Klirrend zerbarst die Glasscheibe auf dem Holzboden. Shinichi sank in sich zusammen, vergrub sein Gesicht in seinen Händen und weinte. Die Verzweiflung, Trauer, der Trennungsschmerz… sie übermannten ihn, überrannten ihn, rissen ihn mit sich. Er kippte seitlich aufs Bett, krallte seine Hände in sein Kopfkissen und starrte ins Leere. Irgendwann schlief er endlich ein. Ran, Kogorô und Eri kamen zum Flughafen. Shinichi stand da, sein Gesicht bleich wie der weiße Marmorboden der Flughafenhalle, seinen Koffer in einer Hand, einen Brief in der anderen. Seine Eltern standen neben ihm. Yukiko Kudô schaute immer noch verheult aus. Sie hatte sich zwar momentan im Griff, aber es sah nicht aus, als wäre dieser Zustand von Dauer. Ihre Augen schimmerten schon wieder verdächtig feucht, ihr Blick war seltsam glasig. Yusaku Kudô hatte einen Arm um sie gelegt, starrte seinen Sohn an. Am Gate stand Akai und wartete. Ran lief Shinichi entgegen. Ihr Gesicht war tränennass. Sie fiel ihm in die Arme und drückte sich an ihn, versuchte sich alles an ihm zu merken. Seinen Geruch, wie sich seine Haut anfühlte, den Klang seiner Stimme… dann trat sie ein wenig zurück und sah ihn an, seine Augen, seine Lippen… seine Haare. Sie wollte ihn nicht vergessen. Nie. „Die Möglichkeit besteht, dass du zurückkommst?“ Sie wisperte es, leise, flehend. Er schluckte. Er hasste diesen Hauch von Hoffnung in ihrer Stimme. „Ran, du weißt…“ „…sie ist verschwindend gering. Ja, weiß ich. Aber sie besteht, definitiv?“ „Ja. Sollten sie jemals alle von denen eingebuchtet haben, komm ich zurück.“ „Dann,“ meinte sie, und versuchte zu lächeln, „werde ich auf dich warten.“ „Ran…“ „Nein, Shinichi. Du hast dich gestern noch deutlich genug ausgedrückt bevor ich… eingeschlafen bin… ich weiß, du würdest es mir nicht übel nehmen, wenn ich „mein Leben lebe“, wie du’s gesagt hast. Aber ich will nicht. Ich werde warten. Und wenn es für immer sein soll. Ich liebe dich. Und werde dich immer lieben.“ Eine Träne rollte über ihre Wange. Shinichi strich sie weg, vorsichtig, dann nahm er ihr Gesicht in beide Hände und küsste sie. Lange, sanft und innig. Als sie sich schließlich trennten hatte er Tränen in den Augen. „Hier, für dich. Und ich…“ Er schluckte, drückte ihr den Umschlag in die Hand. „Ich liebe dich auch. Werde immer nur dich lieben. Und hoffe, dass wir nicht umsonst warten.“ Ran starrte ihn an. Die letzten Worte, die er an sie gerichtet hatte. Das letzte Mal, das er sie ansprach. Nur mit ihr redete... Er strich ihr noch ein letztes Mal übers Gesicht, reichte Kogorô und Eri die Hand zum Abschied, dann wandte er sich seinen Eltern zu. „Lebt wohl.“, wisperte er. Seine Mutter drückte in laut aufschluchzend an sich und auch sein Vater nahm ihn in die Arme, eine Geste, die er von ihm nicht gewohnt war. „Ich hoffe du…“ „Ich… es tut mir Leid, was ich gesagt habe, gestern…ich…“, begann Shinichi. Yusaku schüttelte nur den Kopf. „Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, mein Sohn. Wirklich nicht.“ Er schluckte. „Ich und deine Mutter werden jeden Tag an dich denken.“ Shinichi nickte. „Und ich jeden Tag an euch.“ Damit ging er, ohne sich noch einmal umzublicken. „Ich liebe dich!“ Es war Ran, die geschrieen hatte. Shinichi schloss die Augen, schluckte… Ran… Vor seinem inneren Auge sah er sie, auf den Boden gesunken und weinend. Er brauchte sich nicht umzudrehen, um das zu wissen. Er hörte Gemurmel und Stimmen ihm Hintergrund. Seine und ihre Eltern würden sich um sie kümmern. Bestimmt. Akai packte ihn am Arm und zog ihn weiter, als sein Schützling immer langsamer wurde. Dann waren sie außer Sicht. Shuichi Akai führte ihn im Flugzeug zu ihren Sitzen und schwieg. Shinichi vergrub seine Hände in seinen Jackentaschen, fühlte etwas Weiches, Flauschiges in seiner Rechten, umschloss es mit seiner Hand und zog es heraus. Es war der gleiche Talisman, den er Ran einmal geschenkt hatte. Nur, dass dieser hier neu war. Und ein kleiner Zettel dran hing. Für immer. Ran XXX Ein Kloß bildete sich in seinem Hals. Er steckte ihn zurück, damit Akai den kleinen Plüschbären nicht sah, hielt ihn aber weiterhin fest in seiner Hand. Irgendwann drückte der Mann vom FBI ihm einen Umschlag in die Hand. „Was ist das?“ „Das kannst du dir doch denken.“, antwortete er knapp. Shinichi öffnete den Umschlag mit zitternden Händen, zog einen Pass heraus und klappte ihn auf. Drin war sein Foto. Darunter stand- Shigeru Katsuragi Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)