Private Lessons von Mopsbacke (SS/HG; Snamione; wie ihr's auch immer bezeichnen mögt ;)) ================================================================================ Kapitel 11: Kapitel 11: Lektion 2: Helden brauchen keine strahlende Rüstung --------------------------------------------------------------------------- Die folgende Woche war genauso schlimm wie die erste. Auch wenn Hermine schon in etwa wusste, was auf sie zukommen würde, konnte sie das Gefühl totaler Hilflosigkeit und die Angst nicht verdrängen. Es würde wieder genauso schlimm sein. Eine reine Folter. Als müsse man sich selbst die Nägel rausreißen. Vielleicht würde es ja auch schlimmer werden als letztes Mal. Als Hermine genauer darüber nachdachte, war es jetzt schon schlimmer. In der Zeit vor der ersten Nachhilfestunde war Hermine sich gewesen, dass es eine einmalige Sache war. Sie müsste einmal Snapes Kerker betreten und dann nie wieder. Sechzig Minuten Hölle durchstehen und dann in den Himmel einkehren. In die ruhige Erlösung, das Leben wieder genießen... doch jetzt musste sie in der Ungewissheit leben, wie viele Nachhilfestunden noch folgen würden. Nach ihrer ersten Nachhilfestunde hatte Hermine feststellen müssen, dass es sogar noch mehr als sechzig Minuten gewesen waren. Neunzig Minuten pure Qualen. Sie konnte seinen bohrenden Blick immer noch auf der Haut brennen spüren. Sie hatte lange in der Dusche gesessen und versucht das Gefühl runterzuschrubben. Das Gefühl einer Niederlage, der Unterlegenheit und vor allem dieser widerlichen Demut, diese ätzende Unterwürfigkeit, in die sie sich selbst hineingezwängt hatte. Am Ende, als er ihr gesagt hatte, dass sie noch einmal wieder kommen müsse, hätte sie am liebsten protestiert und ihm ins Gesicht gespuckt, doch trotzdem hatte sie sich kriecherisch ergeben. Es war zum Kotzen. Buchstäblich. Hermine fragte sich, was Snape wohl McGonagall erzählt hatte… dass sie auf der ganzen Linie versagt hatte, damit sie noch mal wiederkommen müsste? Oder hatte er gar nichts gesagt? War McGonagall auch nur von einer Stunde oder gleich von einer ganzen Masse an Nachhilfestunden ausgegangen? Wusste sie, dass Hermine wieder in diese widerlichen Kerker musste? Wenn nicht, dann konnte sie einfach schwänzen… sie würde McGonagall nicht enttäuschen und müsste nie wieder dahin, nie wieder! Aber… selbst wenn McGonagall nichts davon wüsste, Hermine würde es niemals wagen, sich den Anordnungen eines Lehrers zu widersetzen… und tief in ihrem Inneren war ihr das längst schmerzlich bewusst geworden, sodass ihre Träumereien von Flucht und Ungehorsam sie nur oberflächlich ablenken und aufheitern konnten. Ron und Harry hatte Hermine bislang noch nichts von der neuen Nachhilfestunde erzählt – sie wollte nicht die ganze verbleibende Woche bemitleidet oder aufgezogen werden. Immerhin hatte sie den Dienstag so gut überstanden und auch der Mittwoch war schon wieder fast um. Das machte dann noch 4 ¾ Tage der Freiheit. 4 ¾ Tage bevor es wieder in Snapes Büro ging. Allerdings musste sie noch mal zwei Stunden abziehen, denn sie hatte ja auch noch Unterricht bei ihm… der Unterricht gestern war aus unerklärlichen Gründen ausgefallen, doch Hermine war dankbar für jedes Minütchen ohne Snape, die Gott, Allah, Jahwe, Odin oder wer auch immer ihr schenkte, sodass ihr der Grund eigentlich schon fast egal war. Vielleicht hatte er ja ein schlechtes Gewissen, weil er gestern so unbarmherzig war. Aber das war natürlich völliger Quatsch, und das wusste Hermine auch. Ein kleiner Lichtblick war das Wochenende in Hogsmeade, das sie vielleicht ein wenig ablenken konnte. Es würde ihr bestimmt gut tun mal wieder raus zu gehen, dieses muffige Schloss hinter sich zu lassen und zu sehen, dass das Leben da draußen immer noch weiter ging. Sie könnte mit Harry und Ron ins Drei Besen gehen und endlich mal wieder lachen, über andere lästern, Nachhilfe bei Snape einfach Nachhilfe sein lassen und die Gedanken entspannt baumeln lassen. Wenn es denn möglich war. Doch sie wünschte sich im Moment nichts sehnlicher. „Weg mit den Büchern, es wird Zeit für etwas Lustigeres!“, hörte Hermine Rons Stimme dröhnen, doch sie schien unendlich weit weg zu sein. Hermine sah von ihrem Buch auf, von dem sie ganz vergessen hatte, dass sie es anstarrte. Sie hatte die ganze Zeit auf die Buchstaben geblickt aber nichts von alledem gesehen. Sie war mit den Gedanken einfach meilenweit weg gewesen… in Hogsmeade, in einer kuscheligen Taverne mit einem Butterbier in der Hand. Ron stand direkt vor ihr, die Hände in die Seiten gestemmt, wie es seine Mutter auch immer tat. Harry stand hinter ihm, mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Es musste ja wirklich etwas wahnsinnig lustiges sein. Hermine musste etwas ratlos dreingeblickt haben, denn sofort erläuterte Harry dieses ‚etwas Lustigeres’ näher: „Wir gehen Hagrid besuchen!“ Der kam nämlich noch überhaupt nicht vor und wollte auch gerne einen Auftritt in dieser Misere. Vielleicht war gerade dieser Besuch die perfekte Ablenkung, nach der Hermine schon die ganze Zeit gesucht hatte. Ihre Augen begannen zu strahlen und ein leichtes Lächeln legte sich auf ihr Gesicht. Harry und Ron sahen das sofort als Bestätigung, dass das eine überaus gute Idee war. „Das ist auf alle Fälle lustiger als was auch immer du da gerade liest!“, grinste Ron und Hermine hätte ihm nicht einmal sagen können, wovon das Buch handelte, wenn er sie danach gefragt hätte. Ron nahm das Buch in die Hand um zu sehen, womit sich Hermine denn nun schon wieder befasste und erschauderte als er den Titel las: „Buäh, schon wieder Zaubertränke… man könnte ja meinen, du wärst besessen.“ Hermines Lächeln schmälerte sich. Ihr selbst war es suspekt, dass sie schon wieder zu einem Zaubertränkebuch gegriffen hatte. Sie hatte einfach wahllos ein Buch aus den Regalen gepickt. Sie war an einer Regalreihe vorbeigelaufen und hatte willkürlich im Vorbeigehen eins hinausgezogen, sie hatte nicht auf Einband oder Form geachtet, sie hatte es nicht einmal angesehen. Es war nur ein Alibibuch, damit sie ungestört in der Bibliothek hatte sitzen können. Das war ein zu seltsamer Zufall. Ron hatte das schon ganz gut auf den Punkt gebracht. Sie benahm sich als wäre sie… besessen. Der Besuch bei Hagrid hielt, was er versprach; es war eine willkommene Abwechslung. Hagrid servierte Steinkekse und sprach ununterbrochen über irgendwelche Kreaturen die im Verbotenen Wald lebten oder missverstandene Monster, die er gerne einmal besitzen und pflegen würde. Hermine rappelte sich sogar dazu auf, Hagrid beizubringen, dass Feuer speiende Kreaturen mit riesigen Klauen und messerscharfen Zähnen – also so, wie Hagrid sie am liebsten hatte – keine guten Haustiere abgaben. Zumindest versuchte sie es. Dank dieser kurzweiligen Ablenkung, der die drei diese Woche noch öfter nachgingen, vergingen die restlichen Tage bis zum Wochenende in Hogsmeade schneller als Hermine es je geahnt hätte. Lediglich der Freitag brachte die Zeit etwas ins Stocken… Genauer gesagt waren es zwei spezielle Stunden, die Hermine wieder einmal in einen Zustand des Verzweifelns brachten. Wieder wurde sie mit Snape konfrontiert. In seinem eigenen Refugium. In den Kerkern war sie ungeschützt, doch zumindest war sie dann ja nicht allein mit ihm. Sie hatte immerhin ganz Gryffindor hinter sich… oder zumindest alle Gryffindors ihres Jahrgangs. Und das war eine ungemeine Beruhigung. Als sie sich wie jedes Mal vor den Zaubertränkestunden vor der morschen Tür zum Unterrichtsraum versammelt hatten, atmete Hermine tief durch. Es wird nichts passieren. Es wird nichts passieren. Es wird nichts passieren. Immer und immer wieder wiederholte Hermine diese Worte in ihren Gedanken. Er würde sie nicht extra beachten, nicht mit ihr reden, nichts dergleichen. Er würde einfach ihr gegenüber genauso ein Fiesling sein wie gegenüber jedem anderem auch. Plötzlich, wie aus dem Nichts, spürte sie eine Hand auf der Schulter. Als sie sich umdrehte, um zu sehen, wer sie da aus ihren Gedanken riss, erblickte sie zunächst nur eine große, schwarze Gestalt… einen Moment blieb ihr Herz stehen. Fasste Snape sie tatsächlich an, war tatsächlich er es, der sie da so berührte? Doch schon im nächsten Augenblick musste sie enttäuscht feststellen, dass ihre Sinne ihr nur wieder einen Streit gespielt hatten… diese schwarze Gestalt war nur Rons Umhang – sie hatte den Kopf mit den feuerroten Haaren darauf schlicht und einfach übersehen… Ron hielt seine Hand auf Hermines Schulter, als bräuchte sie diese Art der Unterstützung, als könnte ihr diese Geste tatsächlich auf irgendeine Weise Mut einflößen. Und schon im nächsten Moment verkündeten gedämpfte Geräusche sich nähernder Schritte das Unheil, das dort auf leisen Sohlen durch die Kerkerräume schlich. Sofort folgte den Geräuschen der Verursacher; Snape, wie immer eiskalt und mit wehendem schwarzen Mantel, rauschte um die Ecke direkt auf seine Kerkertür zu. Er sah noch schlechter gelaunt aus als sonst. Seine Lippen kräuselten sich vor Miesmut und seine Haut sah schon fast beängstigend weiß aus. Vielleicht war er immer noch krank. Murrend öffnete er die Tür und schritt zum Pult, während hinter ihm die Schülermenge zäh in den Raum hinein floss. Als alle Plätze besetzt waren, konnte er schon fast erleichtert feststellen, dass fast alle Schüler genauso schlecht drauf waren wie er. Zumindest die Gryffindors – und an schlecht gelaunten Gryffindors konnte man seine eigene Laune am besten auslassen. Hermine hatte sich emotionslos aus ihren Stuhl fallen lassen. Sie gab sich die größte Mühe in keinster Weise so zu sitzen wie sie es während der Nachhilfestunde getan hatte. Immerhin wollte sie nicht, dass ihr Körpergedächtnis ihr diese schlimmen Stunden wieder bewusst machte. Es reichte schon, dass sie, wann immer sie Snapes Gesicht oder auch nur seinen Umhang sah, daran denken musste. Snape ließ seinen Blick einmal durch den Raum schweifen und Hermine bemühte sich, seinem Blick standzuhalten… doch er schien sie nicht einmal anzusehen. Als würde er durch sie hindurch sehen. Als wäre sie Luft. Hermine wusste nicht, ob ihr das Recht war, oder ob sie weinen sollte. Sie entschied sich dafür, dass es ihr Recht war. Warum auch nicht? Wenn er sie nicht beachtete, konnte er sie nicht demütigen, fertig machen oder psychisch an ihre Grenzen bringen. Auch wenn sie im Moment am liebsten kotzen würde – so wie direkt nach der Nachhilfestunde. Und dann war auch schon alles vorbei. Die Schulglocke brachte die Erlösung. Heilvolle, süße Erlösung. Es war Hermine schleierhaft, wie sie es geschafft hatte, dieses Elend zu überstehen. Aber eigentlich war ja auch nichts passiert… er hatte ihnen die Instruktionen für den Trank gegeben und sie dann machen lassen. Er hatte sich ein wenig über die üblichen Dinge mokiert, aber eigentlich wesentlich weniger als sonst. Als wäre er… ja, als wäre er tatsächlich krank. Hermine war kurz davor Mitleid mit ihm zu haben, doch dann besann sie sich und stand auf. Sie war mindestens genauso krank wegen ihm wie er jetzt. Oder noch schlimmer. Wesentlich schlimmer. Sofort packte sie ihre Sachen zusammen und stopfte sie ungeordnet in ihre Schultasche, nichts wie weg. Sie wollte eigentlich eine der Ersten an der Tür sein, doch komischerweise wollten das alle Gryffindors bei Snapes Unterricht. Sie stand gerade in der Schlange, die aus dem Kerker hinauswollte, als sie ihren Namen vernehmen musste… „Miss Granger“, sagte Snape leise, doch er hatte die seltsame Fähigkeit, dass er so leise sprechen konnte, wie er wollte, und dennoch immer hörbar war. Hermine blieb entmutigt stehen und trottete resigniert mit schlurfendem Tritt zu Snapes Pult. Ihr Blick war gesenkt – sie wollte ihn nicht sehen. Sie wollte ihn auch nicht hören oder mit ihm reden, doch manche Dinge ließen sich nicht vermeiden. „Ja, Sir?“ „Denken Sie an Ihre Stunde am Montag.“ „Ja, Sir“, erwiderte Hermine matt. „Ich glaube, Sie wissen gar nicht zu schätzen, dass ich das über mich ergehen lasse.“ „Entschuldigen Sie, Sir…“ „Gehen Sie jetzt, es reicht, dass ich Sie Montag sehen muss.“ „Aber Sie haben mich doch… Entschuldigung.“ Hermine wandte sich um. Sie hatte einfach aufgegeben, sie hatte keine Lust, sich weiter zu wehren oder sich zu rechtfertigen. Sie hatte keine Lust, Snapes Opfer zu sein. Sie hatte keine Lust, ihm zu zeigen, dass sie sich wie ein Opfer fühlte, dass es ihr wehtat, indem er sie einfach nach Lust und Laune behandelte, wie es ihm gerade passte. Und vor allem wollte sie nicht, dass er sich daran belustigen konnte, dass er seine Meinungen ständig änderte und sie darunter zu leiden hatte. Sie lief eiligen Schrittes zur Tür, nur um zu bemerken, dass sie die letzte war, und dementsprechend ganz allein mit Snape in einem Raum. Früher hätte sie sich tausend Fantasien ausmalen können, was sie in so einer Situation mit Snape tun würde, doch nun war in ihrem Kopf nur Platz für Panik. Sie wollte hier weg. Auf der anderen Seite der Tür würde die Rettung warten. Bestimmt standen Ron und Harry schon an der Wand gelehnt und warteten darauf, dass Hermine endlich erlöst war… Eiligst flüchtete sich Hermine aus dem Raum, schloss die Tür hinter sich und lehnte sich dagegen um tief durchzuatmen. Sie spürte ihren Brustkorb sich heben und senken, immer wieder, und es war ein befreiendes Gefühl. Harry und Ron waren anscheinend schon vorgelaufen, denn hier, in dem Kerkergang, waren sie nicht aufzufinden. Allerdings hatte Hermine sich auch nicht allzu gründlich umgesehen, bevor sie sich sofort mit dem Rücken an die Tür gelehnt und die Augen geschlossen hatte. Mit einem Ruck wurde die Tür geöffnet, und Hermine stolperte sofort rückwärts. Sie fiel gegen irgendetwas Hartes, das eigentlich ihrem Gewicht hätte standhalten müssen, nun jedoch mit ihr zusammen nach hinten fiel. Hermine landete relativ weich, dafür, dass sie erwartet hatte, mit dem Kopf auf harten Stein aufzuprallen… sie rieb sich den Schädel, bevor sie sich umsah, auf was sie eigentlich gelandet war. „Miss Granger“, knurrte eine Stimme unter ihr. Hermine erkannte voll Schreck, auf was sie gelandet war. Sie wurde aschfahl und Schweiß bedeckte ihre Stirn. „E-e-entschuldigung!“, stammelte sie, stand auf, und rannte davon, bevor Snape noch irgendetwas sagen oder tun konnte. Alles, was ihm blieb, war, ihr nachzusehen. Oder vielmehr, ihr böse nachzufunkeln. Es stellte sich heraus, dass Harry und Ron tatsächlich schon vorgegangen waren, aber nur um Malfoy davon abzuhalten, sich den Mund über Hermine zu zerreißen. Es ging, laut Harry und Ron, darum, dass Snape sich durch den Aufenthalt mit Hermine nur beschmutzen würde. Hermine nahm es ihnen in keinster Weise übel, dass sie nicht anwesend waren, und irgendwie war sie Malfoy dafür dankbar, dass er Harry und Ron weggelockt hatte. So hatte sie wenigstens genug Zeit über das Geschehene nachzudenken. Snape hatte sich einfach nur merkwürdig – noch merkwürdiger als sonst – verhalten. Erst hatte er sie zu sich gerufen, dann wieder weggeschickt. Und dann noch dieser eine Satz… „Sie wissen gar nicht zu schätzen, dass ich das über mich ergehen lasse.“ Immer wieder hallte er Hermine in den Ohren und hinterließ ein schmerzhaftes Stechen. Snape musste sie wirklich hassen… diese Nachhilfestunden waren für ihn dann wohl dieselbe Folter wie für sie… oder nicht? Warum konnten sie beide es dann nicht einfach sein lassen? Snape wusste genauso gut wie sie, dass sie diese Stunden nicht nötig hatte… und warum erinnerte er sie dann noch extra daran, Montag ja aufzutauchen? Bekam er dafür eine extra Bezahlung, oder was?! Dann kam endlich das Wochenende in Hogsmeade; Hermine stand früh morgens auf und machte sich zurecht. Sie duschte länger als sonst und befasste sich ausnahmsweise mal ein wenig mit ihren Haaren und trug ein bisschen Make-up auf. Sie wusste, dass es nicht nötig war und es hier nur um einen ganz normalen Ausflug nach Hogsmeade ging, aber irgendwie hatte sie das Bedürfnis, sich zurechtzumachen. Wenn sie schon ein Wrack war, dann sollte man es ihr wenigstens nicht ansehen können. Später in der großen Halle frühstückte Hermine ausgiebig, damit sie in Hogsmeade genügend Ausdauer und Energie für ein ausgiebiges Shopping-Programm hatte – immerhin war gerade großer Ausverkauf bei dem lokalen Buchladen angekündigt worden, und der Schreibwarenladen hatte einige Neuerscheinungen im Sortiment. Hin und wieder spürte Hermine einen Blick auf sich ruhen, doch sie redete sich ein, dass es entweder Harry oder Ron waren, die sie beobachteten, oder dass sie sich ganz und gar irrte. Und das waren immerhin die zwei wahrscheinlichsten Möglichkeiten, die es gab. Bereits kurz nach dem Frühstück machten sich diejenigen, die nach Hogsmeade wollten, auf den Weg, angeführt von Mr. Filch, der, in Begleitung von Mrs. Norris, die Enverständniserklärungen überprüfte. Aufgeregtes Geplapper der Drittklässler begleitete den Weg nach Hogsmeade und schwoll noch einmal an, als sie sich dem Dörfchen näherten und erste Häuser in Sicht kamen. Auch Hermines Aufregung nahm zu – zu lange war sie nicht mehr hier gewesen. War sie nicht mehr frei gewesen. Frei, zu tun und zu lassen, was sie wollte. Frei, mit Harry und Ron Spaß zu haben. In Hogwarts war sie eine Gefangene gewesen, eingesperrt in ihrem selbst geschmiedeten Käfig aus Angst und Verzweiflung. Mit Snape als Folterknecht. Freudig hakte sich Hermine bei Ron und Harry ein, als sie endlich da waren, und lief freudig los. Sie lachte herzhaft, als sie auf die ersten Geschäfte zusteuerte und einen verdatterten Ron und einen verblüfften Harry mit sich zog. Sofort wurde eingekauft, was das Zeug hielt, sodass es verständlich war, dass sie nach nicht einmal zwei Stunden Einkaufswahnsinn erschöpft und wie gerädert im Drei Besen saßen, jeweils mit einer Flasche Butterbier bewaffnet. Von den gekühlten Getränken erfrischt, traf Hermine die Erleuchtung wie ein Schlag. „Aah, ich bin ja so dumm!“, rief sie und sprang so enthusiastisch auf, dass der Stuhl, auf dem sie bis eben noch saß, geräuschvoll auf den Boden knallte. „Ist mir neu“, murmelte Ron und nahm einen großen Schluck Butterbier. „Ich hab völlig vergessen, mir neue Zauberwolle zu besorgen!“ „Zauberwolle?“, fragten Harry und Ron wie aus einem Munde. „Ja, die ist einfach besser als Muggelwolle… und manche könne ihre Farbe ändern oder die Stimmung beeinflussen oder deine Mitmenschen manipulieren und…“ „Du denkst doch nicht immer noch an diesen Belfer-Quatsch, oder?“, erwiderte Ron und klang dabei direkt etwas genervt. „B.ELFE.R.!“, fauchte Hermine zurück, „und nein, Stricken hat sich einfach nur zu einem meiner Hobbys entwickelt… es entspannt ungemein, wirklich!“ Es war wirklich sehr entspannend, wenn Hermine mal etwas Entspannung zulassen würde. Zudem war ihr tatsächlich die Wolle ausgegangen, sodass ihr diese Option gar nicht offen stand. Ron und Harry tauschten skeptische Blicke aus. „Ihr müsst ja nicht mitkommen… ich gehe einfach jetzt eben schnell hin.“ Ron und Harry nickten. Vielleicht wäre Ron gerne mitgegangen, um gemeinsam mit Hermine Zeit zu zweit zu verbringen, aber dann hätte er wahrscheinlich damit rechnen müssen, dass Harry auch mitkäme… oder die Aussicht, Stunden in einem Wollgeschäft zu verbringen, um Hermine bei der Auswahl zwischen einem lachsfarbenen oder einem Knäuel in altrosa zu helfen, schreckte ihn so sehr ab, dass er diese Chance auf Zweisamkeit gerne verstreichen ließ. Hermine kämpfte sich sofort durch den vollen Pub und konnte noch aus den Augenwinkeln erkennen, wie ihr Platz direkt von Ginny eingenommen wurde. Es kümmerte sie nur wenig, sie wollte einfach nur ihre Wolle. Sie hatte schon seit Tagen daran gedacht, dass es mal wieder gut täte, zu stricken. Außerdem durfte sie B.ELFE.R. nicht wegen ihrer eigenen Probleme vernachlässigen. Draußen schien die Sonne hell vom Himmel herab und brachte sie direkt zum Lächeln. Frohen Mutes und in der Hoffnung auf hübsche Wolle machte sie sich auf den Weg zu dem entsprechenden Laden. Wieder war ihr, als würde sie Blicke auf ihrer Haut spüren, doch wahrscheinlich entwickelte sie langsam einfach nur eine winzig kleine Paranoia. Der Laden lag etwas abseits, doch nach Hermines Erinnerung musste er ganz in der Nähe sein. Sie stand an einer Wegegabelung, die ihr nur wenig bekannt vorkam. Der eine Weg führte wieder zur Hauptstraße von Hogsmeade, wo das Leben sich tummelte und jede Menge Menschen die Straße zu verstopfen drohten. Der andere Weg war mehr ein kleiner Pfad, eine dunkle Gasse, doch so weit sich Hermine erinnerte, lag der Laden ja auch tatsächlich in einer solchen Gasse. Was ziemlich gemein war, wo doch größtenteils alte, wehrlose Omas in solch einen Laden gingen. Als Hermine schließlich einer harten, unnachgiebigen, dreckigen Mauer gegenüber stand, musste sie doch einsehen, dass sie sich verirrt hatte. „Hey Süße“, raunte plötzlich eine Männerstimme hinter ihr. Sie war schon fast ekelhaft rau und klang ziemlich kratzig – ungesund kratzig. Als würde eine geteerte Luftröhre direkt in eine noch qualmende Raucherlunge führen. Hermine drehte sich mit einem unguten, mulmigen Gefühl um. Vielleicht war das doch keine Paranoia gewesen. Vielleicht war dieser taumelnde Mann da vor ihr ihr schon die ganze Zeit gefolgt, direkt aus dem Drei Besen in diese Sackgasse. So ein Mist… Eine unrasierte Type mit einem befleckten Umhang und einem schief sitzenden Hemd, auf dem ebenfalls widerliche Flecken den Löwenanteil beanspruchten. „K-kann ich Ihnen helfen?“, fragte Hermine nervös und sofort suchte ihre Hand den Zauberstab in ihrer Manteltasche… nur zu dumm, dass sie ins Leere griff. Ihren Zauberumhang hatte sie im Drei Besen liegen lassen, wo es doch so ein sonniger und warmer Tag war… „Provozier mich nicht!“, lallte Mr. Unrasiert, und eine entsetzliche Alkholfahne schwebte Hermine entgegen, sodass sie sich kaum davon abhalten konnte, die Nase zu rümpfen, „Erst wackelst du hier in deinem kurzen Röckchen rum und machst dann einen auf unschuldiges Mädchen!“ Hermine schluckte. Sie hätte nie gedacht, dass sie einmal an einem solchen ort in so eine Situation kommen würde. Sie wusste nicht so recht warum, doch sie wäre nie auf die Idee gekommen, dass es solche Fälle auch in der Zaubererwelt gäbe… hier war es, trotz Lord Voldemort, immer eine heile Welt gewesen… und jetzt das… ein Besoffener, ein potenzieller Vergewaltiger, der sich schon durch einen etwas kürzeren Rock zu solchen Handlungen eingeladen fühlte. „Ich weiß doch genau, was du willst“, lallte der Trunkenbold weiter und machte einen Schritt auf Hermine zu. Er torkelte stark, aber irgendwie gelang es ihm, sich auf den Beinen zu halten. Hermine würde nur zu gerne schreien oder auf ihn losgehen, doch sie war wie festgewurzelt. Ihre Beine schienen überhaupt nicht mehr zu reagieren, ihr Kehlkopf war wie zugeschnürt. Sie machte einen kläglichen Versuch etwas zu sagen, oder gar zu schreien… sie scheiterte erbärmlich. Er taumelte noch einen Schritt auf sie zu. Hermine machte einen Schritt zurück, stieß jedoch sofort gegen die Steinmauer. Warum nur wollte sie unbedingt diese doofe Zauberwolle? Warum konnte sie nicht warten, bis Harry und Ron fertig waren und mitgekommen wären? Warum nur hatte sie ausgerechnet heute den Rock angezogen? Warum hatte sie sich heute hübsch machen müssen? Warum hatte sie sich den Weg zu dem Laden nicht besser merken können? Warum liefen um diese Uhrzeit besoffene Triebtäter durch Hogsmeade?! „Du hast ein hübsches Gesichtchen… wie eine Puppe… vor allem, wenn du Angst hast…“, säuselte der Typ, als würde er sie mit Komplimenten bezirzen. Hermine fühlte hinter sich die kalte Steinwand und krallte ihre Finger hinein. Ja, da war tatsächlich eine Wand aus hartem, unnachgiebigen Stein. Es gab also kein Entkommen… vielleicht war der Typ ja so gnädig, sie wenigstens danach umzubringen. Dann würde wenigstens alles vorbei sein. Sie spürte, wie ihr eine Träne über die Wange lief. Sie wollte noch nicht gehen. Und sie wollte auch nicht, dass das hier geschah. Sie wollte schreien, weglaufen, dem Kerl die Rübe einschlagen. Stattdessen sank sie entlang der Wand zu Boden, zusammengerollt wie ein Häufchen Elend, die Knie fest an den Körper gezogen und die Arme über den Kopf verschränkt. „Ich werde hier nicht sterben. Ich werde hier nicht sterben. Ich werde hier nicht sterben. Ich werde hier nicht sterben. Ich werde hier nicht sterben. Ich werde hier nicht sterben.“ Immer wieder wiederholte sie diese fünf Worte. Sie waren ihr Mantra, ein Schutzgebet. Sie hörte das Schlurfen der ungeschickten Füße des Trunkenbolds, hörte wie er näher kam, wie er leise und höhnisch lachte. Sie schloss die Augen so fest sie konnte und hielt sich die Ohren so fest zu, dass es weh tat und sie ihr eigenes Blut rauschen hören konnte. Sie würde einfach alles ausblenden. Vielleicht konnte ihre Seele ja ihren Körper verlassen? Alles war still, alles war dunkel… sie war vollkommen isoliert von der Außenwelt… zumindest bildete sie sich das ein… sie schien eine Ewigkeit in ihrer eigens erschaffenen Dunkelheit und Stille zu kauern, bevor sie wieder irgendetwas wahrnahm… Jemand fasste sie an. Jemand packte sie unsanft am Arm. Sie handelte sofort aus dem Affekt – sie vergrub ihre Zähne in den Arm desjenigen, der sie gerade gepackt hatte. Sie hatte die Augen immer noch fest geschlossen, vor allem, weil sie erwartete, jeden Moment geschlagen zu werden oder schlimmeres. Der Arm, in den sich nun ihre Zähne bohrten, war unbehaarter als sie erwartet hatte… und auch sanfter… und niemand wehrte sich gegen ihren grausamen Biss – und sie biss wirklich mit aller Kraft zu. Sie glaubte sogar Eisen und Blut zu schmecken, doch trotzdem ließ sie nicht locker. „Hören Sie auf.“ Doch Hermine dachte nicht daran, stattdessen biss sie nur noch fester zu. Aufhören konnte den Tod bedeuten – oder Schlimmeres. Und das würde sie nicht zulassen. Nicht, bevor nicht noch einige Sachen geklärt und geregelt waren. „Miss Granger…“, sagte die Stimme von eben, diesmal wesentlich sanfter und einfühlsamer, „bitte.“ Hermine lockerte ihren Biss etwas, doch sie hatte immer noch zu viel Angst, ganz loszulassen. Der Fakt, dass diese Stimme ihren Namen kannte, machte sie nachdenklich. Noch dazu schien sie so vertraut… aber irgendwie war ihre ganze Umgebung zu verzerrt… wer wusste schon, ob sie ihren Sinnen überhaupt trauen konnte? „Sie können aufhören…“, flüsterte die Stimme und legte Hermine eine Hand auf den Kopf, um ihr leicht über’s Haar zu streicheln, „es ist vorbei.“ Dieser unerwartete Akt der Zärtlichkeit nahm jegliche Verkrampfung von Hermine – plötzlich fühlte sie sich so, als wäre sie in Sicherheit. Sie ließ den Arm los, befreite ihn aus ihrem unbarmherzigen Biss, und sackte in sich zusammen. Jegliche Anstrengung schien von ihr abzufallen und sie spürte, wie etwas Warmes, Feuchtes über ihre Wangen rann. Sie führte langsam eine Hand an den warmen Strom… sie weinte. Unaufhaltsam. Sie öffnete langsam die Augen – und wollte sie am liebsten sofort wieder schließen. Dort vor ihr hockte ein ganz in schwarz gekleideter Mann, schwarze fettige Haare und genauso schwarze Augen… doch zum ersten Mal, als sie hinein sah, schienen sie irgendeine Emotion auszustrahlen. Hermine konnte sie nicht genau zuordnen… und sie mochte auch nicht lange genug in diese Augen hineinsehen, als dass sie es ergründen konnte. Hermine drückte die Hände auf die Augen, um die Tränen zu stoppen… und um Professor Snape nicht länger ansehen zu müssen. Dass gerade er sie jetzt so sehen musste… in einem so erbärmlichen Zustand… weinend, kaputt, am Ende… und hässlich. Ihr Gesicht musste ganz gerötet sein, das Make-up verwischt… doch ihr war ihre jetzige Hässlichkeit egal, wenn Schönheit bedeutete, besoffene Männer zu unflätigen Handlungen aufzufordern. Sie wollte irgendetwas stammeln, sie konnte sich nur nicht entscheiden was Priorität hatte. Was machte Snape hier? Was war passiert? Wo war die fiese Type jetzt? Wie weit war er gegangen? Und… sie wollte sich bedanken. Doch es kam nichts außer einem heiseren Röcheln aus ihrem Mund. Snape sah das als Aufforderung, irgendetwas zu sagen. Ihm war diese Situation ziemlich unangenehm, doch als Lehrkraft und Aufsichtsperson war er dazu verpflichtet, sich um Schüler und Schülerinnen in solchen Situationen zu kümmern. Egal, ob Slytherin oder Gryffindor, Hufflepuff oder Ravenclaw, Schlammblut oder Reinblut… Da sie wieder einigermaßen bei Verstand zu sein schien, nahm er die Hand von ihrem Haar, und begann mit einer Erklärung, die Hermine nur teilweise richtig wahrnahm… immer noch hämmerte ihr das Blut in den Ohren, sie konnte gar nicht begreifen, was eben passiert war. Die wichtigsten Bestandteile glaubte sie jedoch erfasst zu haben; er hatte zufällig bemerkt wie dieser Trunkenbold ihr gefolgt war, empfand es als sehr verdächtig, und weil er als anwesende Lehrkraft ja Aufsichtspflicht hatte, wollte er der Sache ein wenig seiner kostbaren Aufmerksamkeit schenken… immerhin würde es auch auf ihn zurückfallen, wenn eine seiner Schülerinnen – auch wenn nicht aus seinem Haus – vergewaltigt und in Stückchen in einer Mülltonne gefunden werden würde. Also war er den beiden in diese Gasse gefolgt – dabei hatte er des Öfteren betont, wie dumm Hermine sein musste, allein in solch eine Gasse zu gehen und dann auch noch ganz ohne Zauberstab – und dann gesehen, wie sie da als Häufchen Elend in der Ecke kauerte… dementsprechend hatte er sich den Trunkenbold dann vorgenommen. Auf die Art und Weise wie er „ihn sich vorgenommen“ sagte, gab Hermine das Gefühl, dass sie nicht wissen wollte, was Snape mit dem Typen angesellt hatte – es klang jedenfalls nicht nach einer deftigen Strafpredigt, sondern mehr nach einem gewaltigen Fluch… oder einem gewalttätigen. Als Snape mit seiner Erläuterung fertig war, nickte Hermine stumm und wischte sich erneut die Tränen aus den Augen. Sie fühlte sich völlig hilflos und verloren, verletzlich wie ein kleines Kind, doch sie wollte es gerade ihm nicht zeigen. „Sie können jetzt aufhören zu weinen“, sagte Snape tonlos, und Hermine hätte ihm am liebsten ein „Ja, ich weiß!“ entgegengezischt, doch sie fühlte sich nicht danach. Hermine versuchte langsam, aufzustehen. Ihre Beine waren immer noch wackelig und sie musste sich an der Wand abstützen. Sie hasste das Gefühl ihrer Finger auf dieser Wand, hasste den Geruch von Moder, der von dieser Wand auszugehen schien, hasste diese dunkle Gasse und alles, was sie damit in Verbindung brachte… und sie hasste ihre eigene Schwäche. Als sie endlich aufrecht stand, versuchte sie einen Schritt vorwärts machen… nur um direkt in Snape hineinzustolpern. Schon wieder. Diesmal ließ er sie nicht einfach umfallen, sondern hielt sie mit beiden Händen an den Schultern fest. Sie konnte immer noch ihre Bissspuren im rechten Unterarm sehen. Und sie konnte seine Nähe spüren, eine gewisse, eigentümliche Wärme ging von ihm aus… Sie konnte es sich nicht ganz erklären, doch es war as würde sie sich hier sicher fühlen, geborgen. Sie war nicht einmal nah genug, um seinen Atem zu spüren, doch diese kleine Berührung… wahrscheinlich war es nur der Schockzustand nach diesem… „Überfall“ und die daraus resultierende Bewunderung des strahlenden Helden, der sie gerettet hatte… und nicht so ganz strahlend war wie andere Helden… und wesentlich miesmutiger. Und weniger stolz auf seine Leistung. Hermine wusste, dass sie hier nicht verweilen durfte, dass er sie so schnell wie möglich wieder loslassen wollte, und all dies nur tat, weil er es als seine Pflicht, seine elende Pflicht ansah. Also tat Hermine ihm den Gefallen sich aus seinem Griff zu entwinden. Dann richtete sie ihren Blick ein wenig nach oben, sodass sie ihm endlich richtig ins Gesicht schauen konnte… er sah ein bisschen gestresst aus, und vielleicht etwas überfordert, aber ansonsten wie immer… auch seine Stimme war fast die ganze Zeit genauso ruhig und kühl wie immer. In beidem, Stimme und Gesicht, war kein Anzeichen dafür, dass dieser schmächtige Mann gerade ein Gewaltverbrechen verhindert hatte. War dies das Gesicht eines Helden…? Hermine wollte so schnell wie möglich aus dieser widerlichen Gasse heraus, und so schaffte sie es zum ersten Mal wieder den Mund zu öffnen und auch tatsächlich ein Wort herauszupressen: „Danke.“ Nach einer kurzen Pause wiederholte sie das Wort noch mal… es fühlte sich… seltsam an. „Ich habe nur meine…“ „Pflicht als Aufsichtsperson erfüllt, Miss Granger“, beendete Hermine den Satz für ihn. Plötzlich kamen die Worte wieder ganz leicht. Vielleicht weil sie sich darüber aufregte, dass man sich nicht einmal bei ihm bedanken konnte, ohne dass er gleich wieder anfing, all seine Taten mit dem Lehrersein zu begründen. Wenn er kein Lehrer wäre, hätte er sie dann einfach in dieser Gasse verrecken lassen? Wollte er ihr das damit sagen? Oder dass es auch jeden anderen hätte treffen können, und sie nur zufälliges Opfer und er nur zufälliger Retter war? Ja, wahrscheinlich war es so, aber trotzdem hatte er doch ihren Dank verdient… war es ihm denn so zuwider, einer Gryffindor, einem Schlammblut geholfen zu haben? „Trotzdem, danke“, fügte Hermine hinzu. Sie verdankte ihm möglicherweise ihr Leben und er hatte nichts Besseres zu tun, als vom Helden wieder zum griesgrämigen Kinderhasser zu werden. Hermine hatte genug von allem, sie wollte unbedingt weg, zurück zu Ron und Harry, was Geborgenheit bedeutete. Sie versuchte, an Snape vorbei und dann vorwärts zu stolpern, und schaffte tatsächlich ein paar Schritte… schade, sie hatte gehofft, ihre Beine würden so schnell wieder funktionieren wie ihre Zunge. Da packte Snape sie plötzlich am rechten Arm und lief neben ihr her. Anscheinend hatte er sich dazu durchgerungen, sie tatsächlich zu stützen, um ihr beim Laufen zu helfen. Wie edel von ihm. Hermine biss sich auf die Unterlippe. Sie wollte das nicht, sie wollte das alleine schaffen. Sie wollte nicht so erbärmlich sein vor ihm. Hermine fielen die Worte ein, die Snape ihr in der letzten Zaubertränkestunde entgegen geworfen hatte: „Es reicht, dass ich Sie Montag sehen muss.“ Und jetzt zwang sie ihm schon wieder Zeit mit ihr auf… er musste sie schon wieder ertragen… „Es… es tut mir… Leid…“, stammelte sie leise. Snape sah zunächst verdutzt drein, schüttelte dann aber den Kopf und sagte: „…da können Sie doch auch nichts für.“ Hermine wollte erst widersprechen, doch irgendwie war Snape plötzlich wieder so verständnisvoll und sanft… das sollte man nicht bewusst unterbrechen. Außerdem hatte Snape sich schon irgendwie selbst widersprochen, hatte er doch zuvor darauf rumgeritten, wie dumm sie war, alleine und ohne Zauberstab in solch eine Gasse zu gehen… und jetzt konnte sie plötzlich nichts dafür. Langsam wurden die Geräusche der belebten Hauptstraße wieder lauter, das Geschnatter fröhlicher Schüler und vereinzelte Lehrerstimmen, die irgendwem untersagten, irgendetwas zu tun. Diese Konfrontation mit der Realität, dem heilen Leben außerhalb der dunklen Gasse überkam Hermine wie eine Welle der Merkwürdigkeit. Die dunkle Gasse hatte zu ihrer Stimmung gepasst, doch jetzt strahlte ihr die Sonne ins Gesicht und überall um sie herum waren fröhliche Gesichter… als sie wieder auf der Hauptstraße standen ließ Snape Hermine los. „Und jetzt sehen Sie zu, dass Sie wieder zu ihrem Wieselfreund kommen“, sagte er tonlos, doch in Hermines Ohren war es, als hätte er jede Silbe mit unendlichem Hass ausgespuckt. Hermine sah ihn von der Seite aus an – wie kam er jetzt darauf? Was hatte Ron damit zu tun? Das war wie ein deja-vù… aber woher… Moment mal, natürlich! Es war genau wie damals, als sie zu Snape gegangen war, um ihm ihre Liebe zu gestehen. Hermine erinnerte sich nur ungern daran, aber auch damals hatte er mit Ron und Harry angefangen. „Bestimmt warten Ihre Freunde Potter und Weasley schon ganz sehnsüchtig.“ Das hatte er damals gesagt… doch Hermine wollte jetzt nicht darüber nachdenken, denn sie wollte wirklich einfach nur zu den beiden… zu der Geborgenehit, die sie verkörperten… in den Schoß ihrer Familie… ihrer Hogwartsfamilie. „Na los, gehen Sie schon“, sagte Snape, als wollte er sie unbedingt dazu drängen, zu verschwinden, aber immer noch mit kalter und ruhiger Stimme. Hermine nickte und wollte gerade loslaufen, als er noch hinzufügte: „Aber vergessen Sie ihre Stunde am Montag nicht.“ Hermine war kurz davor zu fragen, warum es ihm so viel bedeutete, doch eigentlich war es ihr auch egal. Sie würde das alles hinter sich bringen, einen Montagabend nach dem anderen, ohne zu fragen warum und wieso. Dann lief sie los, die belebte Straße hinunter, durch wuselnde Schülergrüppchen und einen Haufen älterer Hexen, die sich gerade über neue Zauberhüte unterhielten. Als sie noch einmal zurücksah, war Snape bereits verschwunden. Sie seufzte, doch sie hatte es eilig wieder ins Drei Besen zu kommen… Der Pub war immer noch gerammelt voll, als sie sich wieder zu ihrem Tisch in der hintersten Ecke drängelte. Ron und Harry saßen immer noch am Tisch, mit jeweils drei weiteren leeren Flaschen vor sich. „Hermine, wo warst du so lange?“, fragte Ron aufgeregt, als er Hermine wieder sah. Er war vor Aufregung aufgesprungen und hatte die Hände auf den Tisch geknallt – wie ein Vater, dessen Tochter drei Stunden zu spät nach Hause kam. „Ich hab den Laden nicht gefunden“, erwiderte Hermine, was nur eine Ausrede war, aber immerhin ja nicht ganz gelogen. Sie kratzte sich verlegen am Kopf um ihrer Ausrede mehr Authentizität zu verleihen. Ron und Harry würden nie etwas von diesem Vorfall erfahren. Es war ihr kleines, bitteres Geheimnis, das sie zufällig ausgerechnet mit Snape teilte. Die drei verbrachten noch einige Zeit in Hogsmeade, wobei Hermine tunlichst alle Gassen vermied und niemals alleine rum lief. Zum Abendessen in der großen Halle waren sie wieder da und langten ordentlich zu, immerhin machte so viel Einkaufen und Rumlaufen ziemlich hungrig. Harry und Ron wollten eigentlich noch zusammen mit Hermine im Gryffindor-Gemeinschaftsraum irgendetwas unternehmen, doch als sie äußerte, dass sie ganz schnell ins Bett wollte und sich einfach nicht so gut fühlte, hatten die beiden vollstes Verständnis und ließen sie ohne irgendwelche Fragen zu stellen gehen. Oben, in ihrem Zimmer angekommen, ließ Hermine sich sofort ins Bett fallen. Eigentlich sollte sie Angst haben, so allein zu sein, dachte sie, doch irgendwie war es jetzt das, was sie brauchte. Sie musste verarbeiten. Sie ließ den Mond durch die großen Fenster hinein scheinen und dachte über alles nach, was geschehen war… am meisten jedoch über Snapes Verhalten… es war eine merkwürdige Mischung von Charakterzügen, die er heute an den Tag gelegt hatte… er hatte zum ersten Mal seine sanfte Seite gezeigt, nur um sie dann sofort wieder hinter seiner kalten, unnahbaren Art zu verstecken… und dann dieses ständige Erinnern an die Montagsstunde… und dann dieses Herumgehacke auf Harry und Ron… „Der Typ hat doch echt Probleme“, grummelte Hermine in die Stille hinein. Aber tief in ihrem Inneren dachte sie daran, wie gerne sie ihm dabei helfen würde, sie zu lösen… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)