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Flucht vor Sesshoumaru

Veränderung
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Im Schloss des Westens

So, ich habe jetzt neu noch einen Prolog hinzugefügt.

Besteht aber hauptsächlich aus einem teil des ehemaligen ersten kapitels, welches ich ja auch nochmal geändert hab.

Viel Spaß damit!
 

XxX
 

Prolog
 

Es war ein ruhiger Tag heute, doch es lag nichts von der sonstigen Unbeschwertheit in der Luft. Die Stille war drückend und kein Lebewesen wagte sich freiwillig aus seinem Schlupfloch. Leider wurden die meisten jedoch genau dazu gezwungen.

So auch zwei merkwürdige Gestalten, die, vollkommen verkrampft, ihre langen Lanzen umklammerten. Es waren keine Menschen, das konnte jeder auf den ersten Blick sehen. Ihre Ohren liefen spitz zu und ihr Haar hatte eine äußerst unnatürliche Farbe - weiß. Die zwei waren Dämonen. Hundedämonen, um genau zu sein. Beide standen völlig starr auf der Stelle und rührten sich nicht. Alle ihre Sinne waren aufs Äußerste geschärft und sie bemühten sich, ja kein Geräusch zu überhören. Doch was erwarteten sie denn wahrzunehmen? Das wussten sie selbst nicht. Einen Schrei vielleicht, ein lautes Klagen oder Wimmern. Beide hatten schreckliche Angst.

Solche Furcht gehörte sich sicherlich nicht für sie, schließlich waren sie Wachposten und damit eher dazu da, anderen Angst einzuflößen. Zudem war ihre Stellung nicht einmal so unbedeutend, sie bewachten nämlich den Eingang zu einem riesigen, wunderschönen und zugleich auch bedrohlich wirkendem Schloss. Es strahlte eine seltengesehende Ehrfurcht und Würde aus. Die beiden Inuyoukai waren dafür zuständig, das niemand unbefugt in dieses Schloss eintrat und sollte dies doch geschehen, es sofort zu melden.

Aber warum waren sie dann so verängstigt? Die Antwort war leicht: Vor kurzem war der Herr dieses Schlosses ganz überraschend nach zehn Jahren endlich mal wieder aufgetaucht, um nach dem Rechten zu sehen. Die zwei Wachposten hatten das unglaubliche Pech gehabt, sich unwissentlich genau seine Ankunftszeit für ein Nickerchen auszuwählen. Der Herr, Sesshoumaru war sein Name, hatte es gar nicht lustig gefunden, die Wachen schnarchend vor dem Tor wiederzufinden.

Im Nachhinein betrachtet grenzte es an ein Wunder, dass sie diese unglückselige Begegnung überhaubt überlebt hatten. Es mochte jedoch gut möglich sein, dass ihr Leben nur noch so lange währte, bis der Herr sich wieder auf den Rückweg machte. Dann würde er sicher schlechtere Laune und das Personal einen Berater weniger haben. So war es jedes Mal.

Warum?

Nun, hauptsächlich wegen folgendem Dialog, der sich alle zehn Jahre zu wiederholen schien...
 

„Verehrter Lord Sesshoumaru, nun denken sie doch bitte wenigstens einmal darüber nach!" bettelte der alte Dämon noch einmal.

„Ich sagte NEIN und dabei bleibt es. Wenn du mir noch ein einziges Mal mit diesem Thema kommst, dann wirst du den nächsten Tag nicht mehr erleben!" drohte Sesshoumaru seinem Berater unheilverkündend.

Sofort warf sich der alte Youkai vor ihm auf den Boden und verneigte sich so tief, dass seine Stirn die Erde berührte.

„Verzeiung, mein Lord, ich wollte euch keineswegs verärgern! Doch bedenket, welche Möglichkeiten euch dann offen stehen würden..."
 

Der Kerl gab einfach nicht auf! Einmal in zehn Jahren begab sich Sesshoumaru auf das Schloss seines Vaters und seit dessen Tod war es immer wieder das selbe: Seine Berater erzählten ihm durchaus, was in seinem Reich alles so vor sich ging, doch immer wieder ließen sie diese lästigen Andeutungen fallen und es dauerte ewig, bis sie auf den Punkt kamen.

Diese Hohlköpfe hatten es sich nämlich in den Kopf gesetzt, ihn zu einer Heirat zu bewegen.
 

Sein Berater deutete sein Schweigen leider vollkommen falsch. Für ihn war es wohl ein großes Unglück, das ausgerechnet ER vom Rat ausgewählt worden war, um den jungen Herrn davon zu überzeugen, sich endlich eine Gefährtin zu nehmen. Aber da musste er jetzt durch, es war seine Pflicht es wenigstens zu versuchen. Wobei all seine Vorgänger diesen - vergeblichen - Versuch nicht überlebt hatten. In diesem Punkt war der junge Herr wirklich empfindlich.

„Seht doch einmal, solange ihr nicht verheiratet, oder zumindest verlobt seit, konnt ihr den Fürstentitel nicht erlangen. Außerdem gibt es einige Länder, die dem Westen nicht gut gesinnt sind und die man durch eine Heirat vielleicht besänftigen könnte", versuchte er es erneut.

Die Zeit drängte, Sesshoumaru war schon über neunhundert Jahre alt und damit für eine Heirat überfällig.
 

Sesshoumaru war allerdings ganz und gar nicht gewillt, seinem Berater nachtzugeben, im Gegenteil. Er hatte sicher nicht vor, zu heiraten und seine gelegentlichen Besuche hier tätigte er nur, um auf dem neusten Stand der Dinge zu bleiben, nicht, um sich solche unwürdigen Kreaturen mit ihren unwichtigen Vorträgen anzuhören. Mit jedem Wort, das der andere Youkai aussprach, sank seine ohnehin schon miserable Stimmung noch weiter. Schlimm genug, das die Wachen am Tor bei der Arbeit einschliefen, jetzt sollte er auch noch dazu genötigt werden, sich des schwächeren Geschlechts anzunehmen. Eine Heirat, egal mit wem, würde ihm sicher nichts bringen. Der Fürstentitel war ihm vollkommen egal. Als Fürst wäre er sowieso nur ein Gefangener des Schrebtisches, auf ewig dazu verdammt, stinklangweiligen Papierkram durchzuarbeiten.

Sesshoumaru war der rechtmäßige Erbe des Westens, ja, aber dank dem gottverdammten Testament seines Vaters konnte er erst Fürst der westlichen Länder werden, wenn er heiratete. So etwas konnte sich auch wirklich nur Inu no Taishu ausdenken!

Mit seiner jetzigen Position als Lord war er aber durchaus zufrieden. Jeder wusste um seine Stärke und bisher hatte es noch keines der anderen drei Länder gewagt, den Westen herauszufordern. Schließlich war er nicht nur durch seine Stärke und Macht, sondern auch durch seine Grausamkeit und Kälte bis weit über die Grenzen des Reiches seines Vaters bekannt. Und dennoch, die Tatsache, das der Westen keinen Fürsten hatte, machte ihn zu einem bevorzugten Angriffsziel, sollte eines der anderen Länder, ob nun Norden, Süden oder Osten, sein Reich vergrößern wollen. Sicher, eine Heirat war die einfachste Lösung, doch Sesshoumaru hatte nicht vor, sich in einen bloßen Spielstein im Gefüge der Politik zu verwandeln. Abgesehen davon lief doch bisher auch alles zu seinen Gunsten. Er hatte sich immer geweigert, etwas so schwaches und unbrauchbares wie ein Weib an seine Seite zu holen und es hatte doch auch noch nie Probleme gegeben. Also würde er auch gewiss auch jetzt nicht damit anfangen!

Er hatte ohnehin nie etwas Nützliches in der weiblichen Seite der Bevölkerung gesehen. Ihre einzige Aufgabe bestand darin, als Mägte oder Dienerinnen zu fungieren und sowas wie den Haushalt zu erledigen. Und natürlich darin, Kinder zu gebären. Doch auch über solche Sachen hatte Sesshoumaru sich noch nie Gedanken gemacht und er tat es auch jetzt nicht. Er war stark genug und würde sicher in nächster Zeit nicht so leicht abkratzen. Er brauchte noch keinen Erben. Also brachte er auch keine Frau. Wozu auch?

Unwirkürlich musste er an seinen Vater denken, der sich mit dieser verabscheuungswürdigen Menschenfrau zusammengetan hatte. Aus Liebe, wie er gesagt hatte. Liebe! Sowas Lächerliches. Sogar noch lächerlicher als eine Heirat aus politischen Gründen. Nicht, das er dies deswegen eventuell doch in Betracht ziehen würde!

„Wollt ihr es euch nicht einmal überlegen?" fragte der Berater erneut verzweifelt dazwischen.
 

Es ware die letzten Worte die er je aussprach, da er leider angefangen hatte, Sesshoumaru etwas zu sehr zu nerven.

Ein kurzes Aufblitzen nur, ein erstauntes Stöhnen des tödlich getroffenen Youkais und Sesshoumarus ehemaliger Berater fiel tot zu Boden. Ohne jegliche Reue befahl Sesshoumaru einige andere Diener herbei, die die Leiche rasch forträumten. Es war immer wieder amüsant mit anzusehen, wie bleich diese bei dem Anblick eines Toten wurden. Dabei sollten sie so etwas doch eigentlich schon von ihm gewohnt sein.

Das Fell über seiner Schulter wehte im Wind, als er den Raum verließ. Heirat. Sowas Dämliches!
 

*
 

Der linke Wachposten keuchte erschrocken auf und machte seinen Gefährten auf eine große, leuchtene Energiekugel aufmerksam, die sich rasch vom Umriss des Schlosses löste und nun auf sie zukam. Beide wussten sofort, dass der junge Herr seinen Besuch anscheinend beendet hatte und sich nun auf dem Rückweg befand, denn außer Sesshoumaru war keiner der hier lebenden Dämonen in der Lage, in die Energieform überzuwechseln.

Beide wandten rasch wieder den Blick ab, denn wer zu lange in das gleißene Licht sah, der würde - so behauptete man - erblinden. Doch wie sich bald herausstellte, machte das für die Wachen keinen großen Unterschied mehr, denn die Gestalt, die mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit auf die beiden zuraste, schien es sich im letzten Moment anders zu überlegen und landete direkt vor den Inuyoukai, denen beim Anblick ihres Herrn sofort die Knie weich wurden.

„Seit ihr nicht müde?", flüsterte der kostbar gekleidete Daiyoukai vor ihnen leise.

„N...N...Nein, Sesshoumaru, Herr!" stotterten die Dämonen und verneigten sich rasch. Kleine Schweißperlen liefen an ihren schwarzen Rüstungen hinunter.

„Oh doch, ich denke, ihr seid müde. Ihr solltet ein wenig schlafen...", meinte Sesshoumaru mit einem Blick, der genauso kalt war, wie frisch gefallener Schnee und seine silberweißen Haare unterstrichen dieses Effekt noch zusätzlich. Ebenso weiß waren seine Krallen, die sich eine Sekunde später erst in den Brustkorb des einen und dann in den des anderen Wachposten bohrten. Die Klauen glitten durch die harten Rüstungen und das Fleisch, als wären sie aus Butter.

„Ein wenig Schlaf... Aus dem ihr nie erwachen solltet! Solches Gesinde kann ich hier nicht gebrauchen!" Seine Stimme war bei diesem Satz, den die Youkai freilich nicht mehr hören konnten, noch eine Spur kälter und grausamer geworden. Seine schneeweißen Krallen färbten sich rot und das Blut tropfte von seiner Hand. Sesshoumaru wandte sich von den Leichen ab.
 

Einige Tage später sollte Sesshoumaru an einen uralten Zeitenbaum gelangen und feststellen, dass dort sein jüngerer Halbbruder von einem magischem Pfeil aufgespießt und gebannt worden war.

Weitere Tage später machte er sich auf, um das legendäre Schwert Tessaiga zu suchen und seine Macht noch zu steigern, aus Trotz, diese Waffe nicht einem schwächlichem Hanyou zu überlassen, der auf so elende Weise sein Ende fand und dem diese Klinge eigentlich vererbt werden sollte.

Erst fünfzig Jahre später sollte er es tatsächlich finden und feststellen müssen, dass es für ihn unerreichbar war.

In diesem ganzen halben Jahrhundert sollte er nicht ein einziges Mal wieder auf das Schloss seines Vaters zurückkehren.

Den Vorschlag seines Beraters, zu heiraten, verdrängte der Dayoukai erfolgreich in die hintersten Winkel seines Unterbewusstseins.
 

Doch nun soll eine Geschichte erzählt werden, die Sesshoumarus Leben von Grund auf umkrempeln wird...
 

XxX
 

So, und dann geht's halt richtig los. Ich finde, der Vollständigkeit halber sollte diese ff auch einen Prolog haben, und vielleicht mach ich am Ende auch noch einen Epilog, mal sehen...

Gruppenzuwachs

So, das ist meine erste ff auf dieser Seite, ich hoffe sie gefällt euch. Ich sage euch gleich: Ich bin ein absoluter Sesshoumaru-Fan, demzufolge ist er auch eine meiner Hauptpersonen. Er kommt aber erst im zweiten Kapitel vor. Ich bin mit der ff noch nicht sehr weit, auch ich wenn ich schon große Pläne habe.

So, genug rumgelabert, jetzt könnt ihr lesen!
 

XxX
 

Gruppenzuwachs
 

"Oh Gott, schon so spät?!" Verdattert schaute das Mädchen auf ihren Wecker.

Es war höchste Zeit, zur Schule zu gehen! Rasch sprang sie aus dem Bett und riss den Schrank auf. Sie zerrte ihre Schulunform heraus und machte sich fertig...
 

Kagome Higurashi hatte mal wieder verschlafen.

Und wer war daran Schuld? Inuyasha! Er hatte sie nämlich einfach nicht gehen lassen wollen und sie die halbe Nacht lang zugebrüllt, bis das Mädchen es einfach nicht mehr ausgehalten hatte, und ihn mit einem Sitz-Dauerfeuer bestraft hatte. Daraufhin war der Hanyou höchst beleidigt abgezogen und Kagome hatten die andere Hälfte der Nacht über unheimlich viele Schuldgefühle geplagt, weswegen sie verständlicherweise nicht sehr viel geschlafen hatte.

Doch bald sollte sie noch ganz andere Probleme haben...
 

"Ich muss los!", rief Kagome ihrer Mutter noch zu, nachdem sie sich in aller Eile gewaschen, gekämmt und auch sonst alles erledigt hatte, was man am frühen Morgen so zu tun hatte. Nur das Frühstück ließ sie ausfallen. Dazu war jetzt einfach keine Zeit.

Sie schwang sich den Rucksack über die Schulter und stürmte zur Schule.

Hoffentlich komm ich nicht zu spät!, dachte sie dabei. Wie schön wäre es doch, auf Inuyashas Rücken zur Schule getragen zu werden... Einmal hatte der Hanyou das ja schon gemacht, als sie krank gewesen war.

Aber andernfalls konnte sie den Halbdämon nun wirklich nicht gebrauchen. Heute schrieben sie nämlich eine wichtige Arbeit und wenn dieser Volltrottel dann wieder auf der Fensterbakk saß...!

Nicht aufregen Kagome, ganz ruhig..., versuchte sie es mit Selbstgesprächen. Wirklich helfen tat es nicht.
 

Keuchend blieb sie vor der Tür ihres Klassenzimmers stehen.

Erstmal wieder runterkommen.

Sie lehnte sich mit einer Hand an die Wand und atmete tief durch.

Doch dann fuhr sie hoch. Sie spürte einen Juwelensplitter! Aber hier?! In der Neuzeit!?

Doch ohne Zweifel war es ein Splitter. Dieses leichte Ziepen war unverkennbar. Er kam näher, oder besser: Sein Träger kam näher. Kagome überlegte fieberhaft, was sie jetzt machen sollte, doch die Entscheidung wurde ihr von der Schulglocke abgenommen.

DRIIIIING!

Verdammt, die Stunde fängt an und heute schreiben wir eine Klassenarbeit in Mathe!, dachte sie sich verzweifelt.

Das war jetzt so ziemlich der ungünstigste Moment aller Zeiten, einem Juwelensplitter nachzujagen.

Doch es half ja alles nichts, sie musste jetzt rein. Wenn es tatsächlich einen Splitter hier an der Schule gab, dann würde sie früher oder später sowieso noch einmal darauf treffen, so tröstete sich das Mädchen.

Seufzend machte sie die Tür auf. Kagome hätte lieber mit hundert Dämonen gekämpft, als diese Matheklassenarbeit zu schreiben. Doch das Schuljahr war bald zu ende und die Zensur bestimmte, was sie auf dem Zeugnis für eine Note bekommen würde. Jetzt durfte sie nicht kneifen! Aber trotzdem hätte sie vorher gern noch ein paar Tage länger in die Bücher geguckt. Sie hatte so viel aufzuholen!
 

Kagome saß mit eingezogenem Kopf auf ihrer Schulbank und wartete auf den Lehrer, der glücklicherweise zu spät kam und nicht bemerkt hatte, das sie auch nicht ganz pünktlich erschienen war.

"Kagome, ich hätte nicht gedacht, dass du dich so schnell wieder erholst!", klang eine Stimme neben ihr.

"Hä, was?" Verdutzt sah Kagome sich um und entdeckte eine ihrer Freundinnen, die sie verwundert ansah. Sie hatte sie gar nicht bemerkt, sondern achtete immer noch auf den Splitter. Sie spürte ihn immer noch. Er kam noch näher, musste jetzt schon direkt vor der Tür sein, aber das konnte sie sich einfach nicht vorstellen. Doch zu ihrer großen Erleichterung war der Splitter nicht verunreinigt, was bei einem bösen Dämon sicher der Fall gewesen wäre.

"Na du hattest doch die Windpocken, das muss ja schrecklich gewesen sein!", erklärte ihre Freundin und holte Kagome in die Wirklichkeit zurück.

"Ähem, es geht mir schon wieder besser...!", stotterte sie hilflos. Opa, das wirst du mir büßen!, schwor Kagome sich in Gedanken. Ihrem Großvater fielen wohl keine guten Ideen für ein paar neue Krankheiten mehr ein. Und sie musste dafür den Kopf hinhalten!

Aber Kagome wurde zum Glück von ihrem Lehrer gerettet, der in diesem Moment die Tür aufriss. Doch seltsamerweise war er nicht allein...
 

Kagome fühlte sich recht unwohl in ihrer Haut.

Der Lehrer hatte eine junge Frau, sehr vie älter als der Rest der Klasse, als eine neue Mitschülerin vorgestellt. Kagome schätzte sie um die siebzehn.

Der Lehrer hatte erklärt, dass sie ursprünglich aus Frankreich kam und erst seit einem Jahr japanisch sprach. Deswegen war sie in diese Klasse gekommen. Das Schuljahr war ja hier sowieso bald vorbei. Die Schülerin hieß Anis Vanderobe. Das war kein typischer französischer Name, ihre Eltern waren beide ausländisch und hatten sich in Frankreich getroffen. Ihr Vater kam aus Japan und ihre Mutter aus Spanien. Doch Anis war in Frankreich großgeworden. Ihr Name war ein Mischmasch aus vielen Sprachen.

Genau deshalb war sie auch hier, sie hatte japanisch von ihrem Vater gelernt und sollte nun dieses Land kennenlernen. Und da sie hier anderen Schulstoff hatten, war sie eben zurückgesetzt worden.

Das alles hatte sie vor der Klasse erzählen sollen, da der Lehrer sie gewissermaßen zwang, sich vorzustellen. Das beste daran war jedoch, das die Klassenarbeit um zwei Wochen verschoben wurde, damit auch Anis die Möglichkeit hatte, sich darauf vorzubereiten.

Die Neue wurde von dem Lehrer aufgefordert, sich neben Kagome zu setzen.

Kagome betrachtete ihre neue Banknachberin mit genauso viel Interesse wie alle anderen, aber aus einem anderen Grund. Noch immer spürte sie dieses leichte Ziehen, dessen Ursprung sie nur zu gut kannte. Anis musste einen Splitter des Juwels besitzen.

Unauffällig musterte sie sie. Tatsächlich! An ihrem rechten Handgelenk glühte ein kleiner Punkt. Nur Kagome konnte es sehen.

Erst befürchtete sie, dass Anis Vanderobe ein Dämon sein könnte und musterte sie etwas genauer.

Sie hatte lange, glatte schwarze Haare, die fast bis zum Boden reichten. Diese umrahmten ihr Gesicht, sodass man ihre Ohren nicht sah. Doch sie trug auch keine verräterischen Zeichen im Gesicht oder auf den Armen und ihre Fingernägel waren rund, nicht wie Inuyashas spitze Krallen. Auch sonst wies sie keine dämonischen Merkmale auf und Kagome konnte auch keine Aura spüren.

Unsinn, sie kann ja gar kein Dämon sein!, schalt sie sich selbst. Hier gibt es die doch nicht mehr, jedenfalls keine, die sich für Menschen ausgeben würden. Dazu verachten die Youkai die Menschen doch viel zu sehr!
 

Die restliche Stunde verging ohne besondere Vorkommnisse.

Kagome bemerkte, dass Anis die ganze Zeit über auf einem Blatt Papier irgendwelche Zeichnungen machte und dem Lehrer nicht die geringste Beachtung schenkte. Dieser schien an der Tafel Selbstgespräche zu führen. Einmal kam er drohend an ihren Platz und stellte Anis eine knifflige Mathematikaufgabe. Die Angesprochene jedoch schaute nicht einmal hoch, malte munter weiter und leierte mit gelangweilter Stimme eine komplizierte Antwort herunter. Daraufhin riss der Lehrer erstaunt die Augen auf, denn er musste feststellen, dass ihre Lösung richtig war. Verdattert ging er wieder nach vorne und fuhr mit seinem Unterricht fort. Die neue Schülerin beachtete ihn weiterhin nicht und der Lehrer versuchte sein Bestes, es ihr gleich zu tun.

Mit der Zeit ahnte Kagome, das Anis überhaupt nicht zur Schule gegangen wäre, gäbe es nicht dieses fiese Wort namens 'Schulpflicht'. Was sollte sie auch in der Schule, wo sie doch den meisten Stoff schon kannte? Schließlich war sie hier, um das Lang kennen zu lernen. Wenn sie einmal einige Tage oder Wochen weg wäre, hätte sie sicher keine Probleme...

Seuftz.
 

Kagome wusste nicht, wie sie das fremde Mädchen auf den Splitter ansprechen sollte. Vielleicht hatte sie Glück, und Anis wusste gar nicht, was das war. Doch das bezweifelte sie. Der Zufall wäre einfach zu groß.

In der großen Pause schließlich fasste sie all ihren Mut zusammen und ging auf die neue Mitschülerin zu.

Sie saß auf dem Zaun, der das Schulgelände vom Rest der Stadt abgrenzte. Sich dort hinzusetzen, war verboten. Und Kagome hatte das Gefühl, dass sie das auch wusste. Doch das schien ihr überhaupt nichts auszumachen.

"Ähm... hallo... Anis...", stotterte sie schüchtern. Sie kannte dieses Mädchen ja nicht. Vielleicht war sie irgendwie so eine, die sich gern mal mit den Anderen schlägt...

"Hallo!", antwortete Anis. Sie sagte es freudig, aber abgehackt. So als würde sie nie mehr sprechen, als notwendig.

"Ähm... Darf ich mich zu dir setzen?", fragte Kagome schüchtern.

"Klar, von mir aus." Das Mädchen vor Kagome blieb locker, machte aber keine Anstalten weiter zu reden, nachdem Kagome neben ihr auf dem Geländer saß. Etwas unwohl fühlte diese sich schon dabei. Sie brach nicht so oft Schulregeln. Jedenfalls, wenn man ihre gelegentlichen 'Ausflüge' nicht als Schwänzen bezeichnete.

Kagome wusste nicht, wie sie mit ihr reden sollte. Schließlich versuchte sie es auf die vielleicht-merkt-sie-ja-nichts-Art.

"Du hast da was", sagte sie und deutete auf ihre Hand.

"Was?", fragte Anis und besah sich ihre Hand, "wo?"

Kagome nahm jetzt einfach ihre Hand und strich an ihr entlang. Unauffällig entfernte sie dabei den Splitter. Nur sie konnte ihn aus ihrem Körper holen, ohne das sie es spürte.

"Nur ein Fussel. Jetzt ist er weg." Sie lächelte und hoffte inständig, dass sie nichts bemerkt hatte.

Doch Fehlanzeige.

"Was hast du da?", fragte Anis misstrauisch und schon langte sie über Kagome hinweg und schnappte sich den Splitter aus deren Hand. "Och, nur son komischer Steinsplitter... Der hatte sich da irgendwie verhakt...", versuchte sie die Situation zu retten.

Doch Fehlanzeige.

"Hey, das ist meiner! Wehe du nimmst mir den noch mal weg!" Dann drehte sie sich demonstrativ von Kagome weg. Die schaute rasch in eine andere Richtung, um sich nichts anmerken zu lassen. Doch nach einiger Zeit sah sie noch mal zu Anis hinüber. Der Splitter steckte wieder in ihrem Handgelenk! Sie wusste also, was es war... oder?

"Ähm... Weißt du, was das für ein Splitter ist?'"

"Ja", kam die umgehende Antwort. Kagome riss erstaunt die Augen auf.

"Kannst du ihn mir nicht geben? Bitte, ich geb dir auch was dafür! Egal was", versuchte sie es erneut. Die ließ sich aber auch wirklich jeden Wurm einzeln aus der Nase ziehen!

"...ich brauch nichts von dir. Und ich behalte den Splitter", sagte Anis stur.

"Aber warum?"

"Ich habe ihn von meinen Eltern. Sie sagten, ich dürfte ihn nie aus der Hand geben." Anis Gesicht blieb ausdruckslos. Irgendwie gruselig, fand Kagome.

"Aber er steckt IN deiner Hand!"

"..." Keine Antwort.

"Was weißt du über den Splitter?", fragte Kagome.

"Was weißt du denn darüber?", erwiderte die Andere herausfordernd.

Kagome wusste nicht, wie viel sie ihr erzählen konnte. Wie viel wusste sie wohl?

"Er gehört zum Juwel der vier Seelen."

"..." Wieder Keine Antwort.

"Du... weißt was das ist?"

"Ja." Ihre Gesprächspartnerin sah sie nicht an.

"Aber... Du bist doch ein Mensch... oder?", versicherte sie sich.

Anis schnaubte. "Seh ich etwa aus wie ein Monster?!"

"Nein, natürlich nicht. Aber es gibt ja auch zum Beispiel Dämonen in Menschengestalt", beschwichtigte Kagome sie.

"Hm", machte Anis.

"Das weißt du?!" Sie hätte damit gerechnet, dass Anis sie auslachen würde.

"Hm", machte Anis wieder. Sie schien ihr auszuweichen.

"Was heißt 'Hm'?!"

"Ja, ja ich weiß es." Die junge Frau schien sich unwohl in ihrer Haut zu fühlen. Offenbar mochte sie es nicht, ausgefragt zu werden.

"Dann weißt du auch, dass dieser Juwelensplitter die dämonischen Kräfte verstärkt?", erkundigte Kagome sich weiter.

"Ja."

Kagome war verblüfft. Alles hätte sie erwartet, aber das?! Schließlich beschloss sie, ihr alles zu erzählen. Vielleicht würde sie ihr ja dann den Splitter geben.

"Weißt du, ich habe Mikokräfte und kann die Splitter rein halten."

"Tatsächlich?", sagte Anis, klang aber kein bisschen interessiert.

"Ja. Hinter unserem Haus steht ein alter Brunnen. Wenn ich da rein springe, dann komm ich auf der anderen Seite im Mittelalter raus! Sozusagen eine Zeitreise." Das endlich schien Auswirkungen auf Anis zu haben.

"Echt, ist ja krass, kannst du mich da mal mitnehmen?" Ihre Augen leuchteten auf, endlich sah sie Kagome an.

"Was?! Äh, nein, das geht nicht! Dort ist es viel zu gefährlich! Die ganze Gegend wimmelt da nur so von Dämonen." Das Mädchen hob abwehrend die Hände.

"Cool..." Anis' Gesicht bekam einen träumerischen Ausdruck.

"Hey, das ist nicht cool! Was meinst du, wie oft ich da beinahe gestorben wäre! Ich bin nur noch am Leben, weil mich meine Freunde beschützt haben", empörte sich Kagome.

"Hey, du willst meinen Juwelensplitter, ja? Dann nimm mich mit", forderte sie mit einem mal ärgerlich.

"Das geht aber nicht... Wahrscheinlich würdest du nicht einmal durch den Brunnen kommen. Da kann nämlich nicht jeder durch", stotterte Kagome.

Anis grinste. "Ich helfe dir auch bei der Klassenarbeit."

Kagome sah auf. "Och, du bist fies!"

"Ich weiß. Komm schon, ich bin ein Ass in Mathe, mit meiner Hilfe schaffst du das locker, Kagome."

Kagome dachte angestrengt nach. Aber was sollte sie schon tun? Anis hatte mitbekommen, wie sie den Splitter stehlen wollte und würde jetzt bestimmt vorsichtiger werden.

"Nagut, aber mach mich nicht für das verantwortlich, was dir da passieren wird!"

Anis grinste noch breiter. "Geht doch. Komm morgen um fünf zu mir, dann kann deine Nachhilfe beginnen."
 

~Am nächsten Tag~
 

"Was, so einfach ist das?!"

Anis schmunzelte. "Ja."

Kagome starrte auf die Formeln in ihrem Heft. Im Unterricht war ihr das wie eine andere Sprache vorgekommen, aber jetzt, wo Anis es ihr noch einmal erklärt hatte...

"Ich versteh's! Ich versteh das alles!" Kagome war völlig aus dem Häuschen.

"Hast du jemals daran gezweifelt?"

Kagome grinste. Dann schnappte sie sich das Mathebuch, das Anis ihr zuwarf und suchte sich einige Übungsaufgaben heraus.

Anis stand auf.

"Bin gleich zurück."

Kagome hörte ihr nicht zu. Sie war zu sehr damit beschäftigt, ihren Taschenrechner zu suchen. Anis grinste wieder und verließ dann den Raum.
 

Seit vierzehn Tagen kam Kagome jetzt schon jeden Nachmittag zu ihr, um über den Mathebüchern zu büffeln.

Morgen würden sie in die andere Zeit aufbrechen. Morgen schrieben sie die Klassenarbeit. Gerade waren sie mit dem neuesten Stoff durch, den sie für die Arbeit wiederholen mussten.

Doch in dieser Zeit hatte Kagome kein einziges Mal Anis Eltern gesehen. Mal waren sie Einkaufen, mal mussten sie länger arbeiten oder waren auf einer Party. Doch Kagome wurde das Gefühl nicht los, dass Anis ihre Eltern praktisch versteckte. Warum, das konnte sie sich nicht erklären. Sie wusste nicht, was sie von Beruf machten, doch wahrscheinlich etwas, wo man ordentlich Geld verdiente, denn das Haus war ziemlich groß.

Es gab aber keine Haushälterin oder sowas, was dazu geführt hatte, dass der gesamte obere Teil völlig verkommen war. Niemand begab sich dorthin und machte sauber. Alles war eingestaubt.

Doch die Vanderobes schienen sich darüber überhaupt keine Gedanken zu machen. Kagome hätte gerne mal dort rumgestöbert, doch das hatte ihr Anis verboten. Der Boden könnte dort jeder Zeit einstürzen, hatte sie erklärt.
 

~Etwas später~
 

„Wo bleibst du denn?" Anis lief ungeduldig am Brunnen auf und ab.

„Ich komm ja schon!" Kagomes Stimme drang aus dem tiefen Brunnenschacht heraus.

Ein großes, gelbes Ding schob sich langsam aus dem Brunnen.

„Nun helf mir doch mal!", klagte Kagome.

Anis packte das gelbe Etwas und zog es mit einem Ruck aus der Brunnenöffnung.

„Endlich! Mir scheint, der Rucksack wurde mit jeder Sekunde schwerer!"

Anis erwiderte nichts. Im Gegensatz zu Kagome hatte sie nur eine kleine Tasche dabei.
 

Anis sah sich erstmal die Umgebung näher an. Ihr Blick streifte den alten Zeitenbaum. Dann sah sie zum Dorf Musashi hinüber. Alles wirkte hier so friedlich. Hier sollten blutrünstige Dämonen ihr Unwesen treiben?!

„Es wirkt alles so friedlich", murmelte sie.

„Das täuscht. ....... Obwohl, jetzt ist es tatsächlich ziemlich ruhig... Zu ruhig... Wo wohl Inuyasha ist? Komm, wir gehen zum Dorf runter!" Kagome hatte ein ungutes Gefühl, doch sie schob es hastig beiseite.

Dann versuchte sie, das gelbe Monsterteil von einem Rucksack hochzuhieven: Ohne Erfolg. Immer wieder versuchte sie es, doch immer vergeblich. Nach etwa fünf Minuten hielt Anis es nicht mehr länger aus und packte mit an.

Zu zweit schleppten sie den Riesenrucksack ins Dorf hinunter.
 

Nach einer Weile waren sie in Musashi angekommen. Vor Kaedes Hütte blieben sie stehen. Anis schaute zu Kagome. Warum ging sie nicht weiter?

"Ähm... Kannst du mir jetzt nicht einfach den Splitter geben und dann wieder zurückgehen?", fragte Kagome zögernd. Sie wollte Anis wirklich nicht noch mehr mit rein ziehen.

"Nein. Wenn ich tot bin, darfst du ihn dir nehmen", sagte sie.

Wie gnädig...

Anis ruckte mit dem Kopf in Richtung Tür.

Auch Kagome hatte ein ungutes Gefühl. Sie spürte, dass etwas nicht stimmte.

Schon allein, dass ihnen keiner ihrer Freunde entgegengekommen war, grenzte (in Inuyashas Fall) an einem Wunder. Aber das der Hanyou nicht einmal jetzt, wo sie genau vor der Tür stand, eine Reaktion zeigte, hätte sie im Normalfall für unmöglich gehalten. Schließlich hatte Inuyasha eine überaus gute Nase und müsste sie schon längst bemerkt haben.

Endlich erwachte sie aus ihrer Starre und öffnete unsicher die Tür - und verharrte erneut.
 

Sango, Miroku, Shippo, Kaede und Kirara saßen im Halbkreis um Inuyasha herum. Der lag auf dem Boden zwischen ihnen und war offensichtlich nicht bei Bewusstsein. Anscheinend schwer verletzt, bedeckten zahlreiche Verbände seinen Körper.

Kagome stieß einen leisen Schrei aus und sank neben dem Hanyou auf die Knie.

Sofort versuchte Sango sie zu beruhigen. „Schon gut, Kagome. Es sieht schlimmer aus, als es ist. Inuyasha wird das durchhalten, in ein paar Tagen ist er wieder topfitt!", sagte die Dämonenjägerin.

„Du meinst, er wacht bald wieder auf, ja?", versicherte sich Kagome, die nur mit Mühe die Tränen zurückhalten konnte.

„Aber sicher. Er müsste jeden Moment zu sich kommen."

Kagome nickte langsam. „Was ist denn überhaupt passiert?"

Jetzt ergriff Miroku das Wort: „Naraku. Er hat uns angegriffen. Vielleicht wusste er, dass du gerade nicht da bist. Du weißt ja, dass Naraku vor dir die meiste Angst zu haben scheint.

Naja, jedenfalls kam eine seiner Marionetten hierher, zusammen mit Kanna. Du weißt ja, sie kann Inuyashas Kazu no Kizu zurück schleudern. Und genau das hat sie auch getan. Aber zum Glück konnten wir sie beide besiegen. Wir sind nicht sehr verletzt, doch Inuyasha hat fast alles abbekommen. Aber keine Sorge, er ist bald wieder auf den Beinen!"

Wieder nickte Kagome, Inuyasha hatte schon viel schlimmere Wunden aushalten müssen.
 

Stillschweigend warteten sie darauf, dass der Hanyou aufwachte. Nach einiger Zeit hörten sie tatsächlich ein leises Stöhnen aus seinem Mund.

„Uh... Verdammt, ich fühl michs als hätte mich eine Horde wilder Pferde überrannt..."

Doch Kagome schnitt ihm das Wort ab, indem sie sich ihm in die Arme warf.

„Inuyasha, ich bin ja so froh, dass du wieder wach bist!"

Inuyasha, der natürlich keinen Sinn für Romantik hatte, rief empört: „Waaahaa, Kagome! Du brichst mir ja alle Rippen!"

Kagome ließ ihn sofort los, bekam einen Rotschimmer um die Nase und sah ihn entschuldigend an.

Inuyasha rieb sich den schmerzenden Kopf und richtete sich auf. Sofort drückten Sango und Miroku ihn wieder zu Boden. „Du darfst dich noch nicht bewegen, Inuyasha!", riefen sie. Doch der Hanyou schob ihre Arme unwirsch zur Seite und setzte sich wieder auf. „Kagome, was zum Teufel machst du denn hier!?"

„Hast du schon vergessen, ich wollte doch heute zurückkommen! Jetzt sind Sommerferien und ich kann ganze sechs Wochen hier bleiben, ohne für die Schule zu lernen!"
 

Anis wartete währenddessen vor der Tür der Hütte. Sie hatte dem Gespräch gelauscht, wollte aber nicht einfach so hereinplatzen. Kagome schien die Tatsache, dass da jemand auf sie wartete, sowieso vergessen zu haben. Dieser Inuyasha musste ihr sehr wichtig sein. Kagome hatte seinen Namen nur selten erwähnt, als sie vom Mittelalter erzählt hatte. Seltsam, doch vielleicht... Anis schmunzelte. Vielleicht war sie ja in ihn verliebt? Ob er diese Liebe erwiderte, konnte sie jedoch nicht sagen.

Vielleicht gehe ich jetzt doch besser rein..., überlegte sie.

Zögernd trat sie aus dem Schatten des Türrahmens - und wurde sofort entdeckt.
 

Anis sah sich gründlich in der Hütte um. Drei Menschen, zwei Dämonen und ein Hanyou. Komische Zusammensetzung.

„Wer bist du?", fragte Sango.

Ihre Hand wanderte sicherheitshalber zu ihrem Knochenbumerang. Kagome blickte jetzt ebenfalls über die Schulter.

Auweia. Anis hab ich doch glatt vergessen., dachte sie. Laut sagte sie jedoch: „Schon gut, das ist eine... Schulfreundin von mir. Sie hat einen Splitter des Juwels, wollte ihn mir aber nicht geben. Es sei denn, ich nähme sie hierher mit... Ihr Name ist übrigens Anis..."

Sango besah sich die junge Frau prüfend.

„Unsere Reise ist nicht ungefährlich, das weißt du. Wir werden es uns nicht immer leisten können, auf dich auszupassen."

Inuyasha mischte sich jetzt auch ein: „Wir werden uns das überhaupt nicht leisten können! Verschwinde gefälligst wieder zurück in deine Neuzeit, wo du hingehörst!" Alle warfen ihm einen wütenden Blick zu.

„Inuyasha, Sitz!"

Anis kicherte, als sie den Hanyou auf dem Boden sah.
 

Inuyasha wollte gerade zu einer zornigen Antwort ansetzen, da rammte sich ein Schwert in den Stoff seines Suikans und nagelte ihn am Boden fest.

Deutlich spürte er die Energie der Waffe. Ein magisches Schwert war es, vielleicht sogar mit dämonischem Ursprung. „Das hier ist nicht nur zur Deko da", flüsterte Anis gefährlich leise.

Von niemandem erntete sie einen überraschteren Blick als von Kagome.

„Ich wusste gar nicht, das du mit dem Schwert umgehen kannst!", sagte sie.

„Du weißt genauso wenig über mich Bescheid, wie dieses Halbblut da." Sie deutete auf Inuyasha und zog ihr Schwert aus dem Boden. Langsam ließ sie es in eine Scheide gleiten, die hinter ihrem Rücken befestigt war. Durch ihre langen Haare, die fast bis zum Boden reichten, war sie sehr gut versteckt gewesen.

Inuyasha hatte seine Fassung schnell wieder zurück bekommen, sprang auf und fuhr Anis an: „Wenn du etwas gegen Halbblüter hast, dann kannst du mir das offen sagen und ich werd dir deine vorlaute Klappe schon noch stopfen!"

Doch Anis lächelte ihn vollkommen unschuldig an und sagte mit einer lieblichen Stimme, die fast wie die eines Engels klang: „Ich habe nichts gegen Halbblüter, aber ich wusste, dass dich diese Bezeigung aufregen würde. In meinen Augen machst du dich nämlich gerade ziemlich lächerlich, wo doch gerade ein Dämon naht, lass deine Wut besser an ihm aus." Sie sagte es in einem Tonfall, der überhaupt nicht zu ihren Worten passte, gerade so, als wäre Inuyashas Zorn vollkommen unberechtigt.

Sie nahm die Schwertscheide von ihrem Rücken und lehnte sie gegen die Wand, als Zeichen, dass sie nicht auf einen Kampf mit dem Hanyou aus war. Aber das beruhigte ihn nicht im mindesten. Besonders die Frage, wie sie so schnell bemerkt hatte, dass er ein Halbdämon war, beschäftigte ihn. Doch ihre Worte bezüglich des Dämons, ließen Inuyasha stutzen.

Schnüffelnd reckte er die Nase in die Luft und fuhr dann zusammen.

„Was ist denn, Inuyasha?", fragte Shippo besorgt. Inuyasha war kreidebleich geworden. „Sesshoumaru kommt", antwortete er.
 

XxX
 

So, das ist das erste kap. Ich hab es noch mal etwas umgeändert, das zweite wird auch noch etwas verbessert.

Kampf mit Tessaiga

Shippo stieß einen hellen Schreckensschrei aus. Sango und Miroku griffen nach ihren Waffen und Kagome zog einen Pfeil aus ihren Köcher.

Anis musterte sie verwirrt. Sie hatte zwar gespürt, dass sich da ein Dämon nährte, und zwar rasend schnell, doch die Gruppe schien ihn bereits zu kennen.

Inuyasha trat als erstes aus der Hütte. Sango und Miroku folgten ihm. Kagome blickte sich noch einmal zu Anis um.

„Bleib bitte hier drinnen, ja? Sesshoumaru ist ein wirklich gefährlicher Gegner." Anis wartete darauf, dass sie fortfuhr und ihr erklärte, was hier eigentlich los war, doch Kagome verließ ohne ein weiteres Wort ebenfalls die Hütte. Nur Kaede war jetzt noch da. Fragend sah Anis die Miko an.

„Sesshoumaru ist Inuyashas älterer Halbbruder und ein vollständiger Dämon", erklärte sie, „er hasst Inuyasha, weil er die Menschen verabscheut und er in seinen Augen eine Schande für die Familie darstellt.

Außerdem hat Inuyasha das Schwert Tessaiga geerbt, welches hundert Dämonen auf einen Schlag vernichten kann. Sesshoumaru aber bekam Tenseiga, das hundert Leben retten kann und seiner Meinung nach nutzlos ist. Deswegen hat er schon oft versucht, Inuyasha Tessaiga abzunehmen. Naja und in ihrem Streit versuchen sie sich immer gegenseitig umzubringen..."

Kaede hatte geendet. Anis starrte sie verwundert an. Die beiden waren Halbbrüder und bekämpften sich trotzdem!? Beim besten Willen; das verstand sie nicht!

Kaede bemerkte ihren verwirrten Blick. Schnell erklärte sie: „Dämonen und Menschen sind schon seit Urzeiten miteinander verfeindet." Anis blickte noch verwirrter drein. Das war ihr unbekannt. Sicher, die Menschen fürchteten die Dämonen, aber das es SO schlimm war...

Stirnrunzelnd folgte Anis Kagome nach draußen.
 

Inuyasha machte einen Hechtsprung zur Seite und entging so nur um Haaresbreite Tokjins tödlichen Energiewirbeln. Keuchend hob er Tessaiga, um die Windnarbe ein drittes Mal auf Sesshoumaru zurasen zu lassen. Er hatte keine Kraft mehr, sein berüchtigtes `KAZU NO KIZU´ heraus zu schreien. Doch wieder wich Sesshoumaru aus, indem er in die Luft sprang. Sein Gegner war einfach zu schnell für ihn. Inuyasha hätte das niemals zugegeben und schrieb diese Niederlage seinen Wunden zu.

Das Sesshoumaru jetzt wieder in der Luft war, machte es für Inuyasha nicht gerade leichter. Er wusste einfach nie genau, wo sich sein Halbbruder gerade befand. Das machte ihn halb wahnsinnig!

Suchend ließ er seinen Blick schweifen - und entdeckte Anis, die gerade aus der Hütte kam.

Verdammt, die soll gefälligst wieder rein gehen! Ich hab einfach jetzt keine Nerven für noch einen Menschen, den ich beschützen muss!, dachte er sich zornig.

Er wollte Anis gerade etwas sehr Unhöfliches entgegen rufen, da spürte er auf einmal warmen Atem im Nacken.

"Du passt nicht auf!", sagte eine leise, bedrohliche Stimme, gefährlich nah an seinem Ohr.

Blitzschnell fuhr er herum - und sah in das kalte, ausdruckslose Gesicht seines Halbbruders.

Er hatte keine Zeit mehr, Tessaiga hochzureißen.

Er spürte nur noch den Schmerz.

Sah das grüne Aufblitzen von Sesshoumarus Dokkassou.

Spürte, wie das Gift seinen Körper innerhalb von Sekunden lähmte.

Und er hörte Kagomes entsetzten Aufschrei.
 

Sesshoumaru sah die Farbe aus Inuyashas Gesicht weichen.

Schade, dass er so schwer verletzt gewesen war, sonst hätte der Kampf vielleicht etwas mehr Spaß gemacht.

Naja, jetzt hol ich mir erst einmal Tessaiga. Das ist fast so gut wie ein ordentlicher Kampf. Bei diesem schändlichem Halbblut verkümmert es ja geradezu..., dachte sich Sesshoumaru und streckte seine Hand nach der Waffe aus.

Doch halt!

Inuyasha... plötzlich rührte er sich wieder! Sesshoumaru war erstaunt. Nicht, dass er seinen Halbbruder für tot gehalten hätte, noch hatte er es nicht als zwingend notwendig empfunden, ihm den Garaus zu machen. Doch er sollte doch zumindest bewusstlos sein.

Langsam erhob sich der Hanyou. Er keuchte schwer und es bereitete ihm sichtliche Mühe, nicht gleich wieder zusammenzubrechen.

Schwächlich... Voller Verachtung sah Sesshoumaru auf Inuyasha hinunter. Doch zu seiner großen Verwunderung schnellte dessen Hand auf einmal vor - und packte Tessaiga!

Keuchend sprach er: "Du . . . wirst Tessaiga nie bekommen!"

Er bäumte sich noch ein letztes mal auf und schleuderte die Waffe von sich und Sesshoumaru fort.
 

Doch das Gift forderte seinen Tribut und Inuyasha sank kraftlos und mit einem leisen Stöhnen zurück auf den Boden.

"So ist es recht Inuyasha. Krieche im Dreck!"

Sesshoumarus Stimme war so eisig, dass es allen Anwesenden kalt den Rücken herab lief.
 

Anis beobachtete die Szene stumm, geschockt von der Kaltblütigkeit des Youkais, als er seinen eigenen Halbbruder niederstreckte. Voller Grauen wandte sie sich ab. Sie wollte das ganze Blut nicht sehen, das sich auf dem Boden ausbreitete und Ekel in ihr hervorrief.

Warum zum Teufel half denn niemand dem Hanyou?!

Sie sah sich suchend nach Kagome um. Bald hatte sie sie entdeckt. Das Mädchen wurde von dem Mönch namens Miroku festgehalten. Kagome schrie sich die Seele aus dem Leib und wollte unbedingt zu Inuyasha hinüberlaufen. Ihr Bogen lag zerbrochen neben ihr auf dem Boden. Selbst Miroku schien verletzt zu sein und wäre Kagome nicht so geschwächt durch ihre Angst um Inuyasha, so hätte er sie wohl kaum festhalten können.

Anis Blick suchte nun nach der Dämonenjägerin. Doch auch von der war keine Hilfe mehr zu erwarten. Sie lag bewusstlos an einen Baum gelehnt. Kirara und Shippo hockten besorgt neben ihr.

Anscheinend war Anis die einzige, die noch kämpfen konnte.

Dummerweise war ihr Schwert immer noch in Kaedes Hütte und wenn sie jetzt rein ging, um es zu holen, dann würde sie damit die Aufmerksamkeit des Youkais auf sich ziehen und dazu hatte sie absolut keine Lust. Diesen Eisklotz konnte man nur mit einem Überraschungsangriff etwas zu leide tun.

Verdammt, wenn ich doch nur eine Waffe hätte!, dachte sie verbissen.

Genau in diesem Moment kam Tessaiga angeflogen und bohrte sich neben ihr in den Boden.

Jetzt hatte sie die volle Aufmerksamkeit des Youkais!
 

Sesshoumaru wandte sich verächtlich von Inuyasha ab, der sich nun nicht mehr rührte.

Warum der das Schwert weggeworfen hatte, das konnte er sich nicht erklären. Schließlich würde es ihm überhaupt keine Mühe bereiten, einfach hinterher zu gehen und es aufzuheben. Wahrscheinlich war es nur ein letztes, verzweifeltes Aufbegehren gewesen. Wie erbärmlich!

Er sah, wie sich das Schwert neben einer jungen Frau mit schwarzen Haaren in die Erde bohrte.

Misstrauisch betrachtete er sie.

Er brauchte sich nicht zu beeilen, er hatte alle Zeit der Welt und seinen Sieg trug er schon so gut wie in der Tasche. Nichts würde ihn davon abhalten, sich Tessaiga zu holen, die Freunde seines schwächlichen Halbbruders waren alle kampfunfähig, dafür hatte er gesorgt.

Sesshoumaru betrachtete die junge Frau nun näher. Ihre Haare waren seeehr lang, sie reichten fast bis zum Boden. Ihre Augen waren grün und in ihrem Gesicht lag ein ihm nicht zu definierender Ausdruck. Ihre Kleidung sah ebenfalls sehr seltsam aus. Sie trug eine Dreivierteljeans und dazu ein weißes, ärmelloses T-Shirt. Sesshoumaru, der solche Kleidung nicht gewohnt war, vermutete, dass sie ähnliche Fähigkeiten wie Kagome hatte. Diese konnte ja solche Bannpfeile schießen. Aber die junge Frau trug keinen Bogen bei sich, war also höchstwahrscheinlich ungefährlich. Natürlich wollte er keine voreiligen Schlüsse ziehen.

Doch erstaunlich war, dass er nicht sofort feststellen konnte, was sie war.

Ein Mensch? Oder eine Dämonin? Oder am Ende nichts von beidem?!

War sie nur ein schwaches Weib, das sein niederer Halbbruder beschützte, oder hatte Inuyasha Tessaiga absichtlich zu ihr geworfen, um ihn zu einen Kampf mit einem starken Gegner zu zwingen? Nein, so raffiniert war der Hanyou gewiss nicht.

Doch die Frau hatte keinerlei Merkmale eines übernatürlichen Wesens. Sesshoumaru suchte nach typisch dämonischen Anzeichen, doch er konnte nichts finden. Sie hatte keine Zeichen im Gesicht, wies keine Ähnlichkeit mit irgendeinem Tier, eine Art Fell oder so auf und ihre Ohren konnte der Youkai nicht erkennen, da sie von ihren Haaren verdeckt wurden. Das diese wiederum schwarz waren, brachte ihn auch nicht weiter, denn das war eine Haarfarbe, die sowohl unter Menschen, als auch unter Dämonen üblich war. Auch konnte er bei ihr keine Aura wahrnehmen. Doch das hatte nichts zu sagen, geübte Dämonen konnten ihre Aura verbergen.

Doch all das stellte er erst als zweites fest. Seine erste Amtshandlung war natürlich gewesen, die Nase in die Luft zu strecken und ihren Geruch aufzunehmen.

Und genau da lag das eigentliche Problem, der Umstand, wieso Sesshoumaru dieses Weib nicht einfach für einen normalen Menschen hielt: Sie roch weder nach Mensch, noch nach Dämon. Auch nicht nach einem Halbdämon oder nach sonst irgendeinem Wesen, das Sesshoumaru je gerochen hatte.

Und doch kam ihm ihr Geruch bekannt vor.

Irgendwann hatte er diesen Duft schon einmal in der Nase gehabt, wenn auch stärker als bei dieser Frau. Aber wo... Wo nur?!

Doch es lag nichts Bedrohliches in diesem Geruch. Im Gegenteil, ihm gefiel er sogar sehr gut. Er hatte etwas Beruhigendes.

Während er die Frau seiner gründlichen Musterung unterzog, schritt er ihr unaufhaltsam entgegen. Doch obwohl seine Haltung eindeutig feindlich ihr gegenüber war und sie gesehen hatte, wozu er fähig war, sah er nicht die leiseste Spur von Angst in ihren Augen. Das machte ihn stutzig.

Entweder hatte sie sich schon mit ihrem Tod abgefunden, oder sie bildete sich ein, es mit ihm aufnehmen zu können. Beides fand Sesshoumaru mehr als unwahrscheinlich.

Nun ja, was auch immer sie war, sollte sie ihm Tessaiga verwehren...

Ach was, sie war sicher nur eine besonders törichte Menschenfrau! In dieser Hinsicht war es natürlich schon eine Respektlosigkeit, nicht vor ihm zurückzuweichen. Und eine solche Respektlosigkeit konnte er natürlich nicht dulden.

Ja, es war einfacher, zu glauben, sie wäre nur eine einfache Menschenfrau, dann brauchte er sich nicht darüber den Kopf zerbrechen, was er sowieso nicht sehr gerne tat. Zumal sie eh gleich tot sein würde...

Um so erstaunter war Sesshoumaru, als die junge Frau ihre Hand nach Tessaiga ausstreckte, es aus dem Boden zog und schützend vor sich hielt.

Sein Gesicht verriet natürlich mit keiner Regung, was er dachte, aber für lebensmüde hatte er sie nun wirklich nicht gehalten. Naja, aber mit seiner Menschenkenntnis war es auch nicht sehr weit her.

Aber das sie Tessaiga gegen ihn verwenden wollte, kam einer Unterschrift auf ihrem eigenem Todesurteil gleich. Das musste sie doch wissen!

Spöttisch fragte er: "Huh, willst du dich wirklich mir entgegenstellen?"

Sie gab keine Antwort. Natürlich, es war ja klar, dass sie ihn angreifen würde, wenn sie mit erhobenen Schwert vor ihm stand, aber dass sie seine Frage und damit auch Sesshoumaru selbst völlig ignorierte, das gefiel ihm überhaupt nicht. Zudem hätte er gerne noch gewusst, wie sich ihre Stimme anhörte und eine Tote konnte nicht mehr sprechen.
 

Anis spürte Tessaigas Kraft.

Hatte Kagome ihr nicht irgendwann mal erzählt, das es ein menschenbeschützendes Schwert war? Schmunzelnd fragte sie sich, ob sie vielleicht auch in der Lage war, es zu führen.

Inuyashas Halbbruder schien es jedenfalls nicht anzunehmen und noch hatte Tessaiga die Gestalt einer alten, rostigen Klinge.

Das sie Sesshoumaru nicht auf seine Frage geantwortet hatte, schien ihm nicht zu gefallen. Um ihn noch ein wenig zu ärgern, achtete sie weiterhin überhaupt nicht auf den Youkai vor ihr und besah sich stattdessen die Waffe in ihrer Hand etwas näher.

Sanft strich sie mit ihrer Hand über die Breitseite der Klinge.

Sie spürte, das ihr Gegner immer wütender wurde. Sein Youki sammelte sich um ihn herum und es war verdammt stark! Doch er griff noch immer nicht an. Dabei stand er ganz dicht vor Anis und hätte sie mit einem Schlag zerfetzen können. Nur Tessaigas Klinge stand noch zwischen ihnen.

Offenbar wartete Sesshoumaru darauf, das sie den ersten Schritt machte. Vielleicht erwartete er aber noch immer eine Antwort.

Anis war mit ihren Fingern nun fast am Griff der Waffe angekommen. Der Stahl, oder aus was auch immer es gefertigt sein mochte, vibrierte unter ihren Fingern. Anis spürte, dass die Energien, die dieses Schwert verbarg, in Unruhe gerieten. Sie wollten herausbrechen!
 

Sie hatte beobachtet, wie Tessaiga sich bei Inuyasha verwandelte.

Aus den Augenwinkeln schielte sie zu Sesshoumaru hinüber und lächelte in sich hinein.

Die Waffe hielt sie ausgestreckt und tat weiterhin, als würde sie sie noch untersuchen.

Immer mehr Energie staute sich.

Als Anis das Gefühl hatte, die Klinge werde gleich zerbrechen, nahm sie ihre Hand herunter und die Energien des Schwertes drückten mit ungeheurer Kraft gegen ihr Gefängnis. Doch anstatt zu zerbrechen, wurde Tessaiga immer größer. Der Rost verschwand und die kleinen Risse in der Klinge schienen sich in Luft aufgelöst zu haben.

In Sekundenschnelle hatte Tessaiga die Größe und Form eines riesigen Stoßzahnes bekommen.
 

Eigentlich hatte Anis vorgehabt, einfach standhaft zu bleiben. Da Sesshoumaru direkt vor ihr stand, hätte er durch Tessaigas Größenwechsel einfach aufgespießt werden müssen. Leider Gottes bemerkte er die Gefahr noch rechtzeitig und trat bedächtig einen Schritt zurück.
 

Anis sah dem Youkai seine Überraschung an. Zwar war sein kalter und desinteressierter Gesichtsausdruck der selbe geblieben, doch einen winzigen Moment lang hatte seine Hand gezuckt.

Anis zweifelte nicht daran, dass diese, frühzeitig gestoppte, Bewegung zu Tokjins Griff ihm aus reinem Reflex unterlaufen war.

So eitel und arrogant wie er hier rumstolziert war, würde er seine Waffe - wenn es nicht unter seiner Würde war, seine Hände mit dem Blut einer normalen Menschenfrau zu verschmutzen - in einer eleganten, fließenden Bewegung, unterstrichen mit ein paar verächtlichen Worten, wie z.B. 'Glaubst du wirklich, ein jämmerliches Weib wie du könnte mich besiegen!?', ziehen. Und vorher würde er noch mit irgend so einen Spruch wie: 'Gib mir Tessaiga, oder du wirst sterben!' ankommen. Total abgegriffen.

Jedenfalls war das das Bild, was sie sich inzwischen von ihm gemacht hatte. Und ihre Dämonenkenntniss war recht gut...
 

Sie sah, dass Sesshoumaru sich auf einen Angriff vorbereitete, doch sie wollte ihn noch ein wenig schmoren lassen. Außerdem wollte sie sich noch einige Gedanken über dieses Schwert machen und wenn sie ihn weiterhin ignorierte, würde er im Kampf extrem wütend sein und Wut machte nun einmal blind. Das war bei Dämonen noch schlimmer als bei Menschen, weil dämonische Wut nun einmal sehr viel größer sein konnte. Sicher könnte man Sesshoumaru mit Worten nicht so einfach reizen, die Taktik war ihm ja sicher bekannt und er konnte sich da beherrschen, aber mit Schweigen anscheinend schon...
 

Anis wusste, dass sie im Ernstfall eines Kampfes sehr im Nachteil war. Zweifellos war sie Sesshoumaru an Kraft unterlegen. Zwar hatte sie von Kindesbeinen an gelernt, mit dem Schwert umzugehen, doch das hier war etwas ganz anderes. Das hier war ernst. Die Übungskämpfe, die sie mit ihrem Vater ausgefochten hatte, zählten nicht. Dort war das Ziel nie der Tod des Gegners gewesen. Von ihrer Mutter war sie in der Kunst des Heilens unterrichtet worden. Auch war sie immerhin über die Jahre hinweg zu einer Meisterin in sämtlichen Arten des Kampfes geworden. Egal, ob die Waffe ein Schwert, Pfeil und Bogen oder gar eine Axt war. Selbst unbewaffnet war sie noch ein ernstzunehmender Gegner.

Jedenfalls für einen Menschen. Aber Sesshoumaru war ein so mächtiger Dämon... So gut sie auch auf ein Leben in diesen kriegerischen Staaten vorbereitet war, das ihr erster, ernstzunehmender Gegner gleich ein Daiyoukai war...!

Das Glück schien ihr gar nicht hold zu sein.

Dabei war sie Kagome doch nur hierher gefolgt, weil sie ihre Kräfte erproben wollte. Aus reiner Abenteuerlust sozusagen. Schließlich gab es in der Neuzeit keine Dämonen. Obwohl sie wusste, dass sie Sesshoumaru weder mit ihrer Körperkraft, noch mit Schnelligkeit oder Fechtkunst beikommen konnte, so wollte sie doch nicht aufgeben.
 

Zweifelnd musterte Anis den Stoßzahn in ihrer Hand. Tessaiga lag trotz seiner Größe sehr gut in ihrer Hand und hatte kaum ein Gewicht. Im Normalfall hätte sie einen Kampf mit Sesshoumaru vielleicht sogar überlebt, doch dieses wuchtige Ding konnte man ja wohl kaum ein Schwert nennen! Wie sollte sie denn damit fechten?! Solche Waffen waren für Dämonen mit Sesshoumarus Statur gefertigt. Anis' zierlicher Körper konnte da nicht mithalten.

Wieder kam ihr der Gedanke, dass sie auf jeden Fall den Überraschungseffekt nutzen musste. Sie hatte gesehen, wie Inuyasha seine 'Kazu no Kizu' auf Sesshoumaru losgelassen hatte.

Klar, der war immer ausgewichen, doch wenn sie diese Kraft jetzt aktivieren könnte, dann... Nun ja, Sesshoumaru stand noch immer direkt vor ihr. Viele Ausweichmöglichkeiten hatte er nicht. Und wenn er dann schwer geschwächt war, konnte sie es vielleicht mit einem Schwertkampf probieren...
 

Pah, sicher denkt er, er könne mich mit einem Schlag besiegen. Er glaubt, ich wäre eine ungeübte Niete im Schwertkampf und könnte Tessaigas volle Kraft nicht nutzen. Aber dem werd ich's zeigen!, dachte sie zornig.

Doch man sah ihr nicht an was sie dachte. Auch das war eine ihrer Eigenheiten, sie konnte ihrem Gesicht jeden Ausdruck verpassen und niemand sah, was sie wirklich fühlte. Sie konnte ein entsetztes Gesicht machen und sich innerlich totlachen oder scheinbar vor Wut heulen und in Wahrheit völlig gefasst ihre Rachepläne schmieden. Die berühmte Maskentechnik, die auch Sesshoumaru anwandte. Doch bei ihm konnte man erahnen, dass es in seinem Innerem anders aussah. Aber bei Anis kaufte jeder ihr ihr Theater ab. Selbst Dämonen fielen auf sie herein. Sie war eine klasse Schauspielerin. Und im Gegensatz zu Sesshoumaru beherrschte sie alle Formen einer Maske, die man anwenden konnte, um seine wahren Gedanken und Gefühle zu verbergen. Natürlich hatten sowohl Anis als auch Sesshoumarus Variante den selben Effekt, dass man sie nicht durchschauen konnte, nur das Anis damit auch noch alle anderen herein legte.

Und wenn der Youkai so dachte, wie Anis dachte, dass er dachte, dann war der Überraschungseffekt auf ihrer Seite.
 

Sesshoumaru war nun mehr als ungeduldig. Wie lange wollte sie denn noch auf dieses Schwert starren!? Wieso griff sie nicht endlich an?

"Gib mir Tessaiga, oder du wirst sterben!", sagte er ungehalten, nicht ahnend, dass Anis exakt diese Wortwahl von ihm erwartet hatte.

Dabei wusste er selbst nicht, warum er ihr noch die Wahl ließ. Vielleicht weil er wusste, dass sie kämpfen würde. Um so zorniger wurde er jedoch, als Anis auch darauf nichts erwiderte. Sie starrte einfach nur weiter auf die schimmernde Klinge und beachtete ihn überhaupt nicht! Das gefiel dem Herrn der westlichen Länder ganz und gar nicht. Vor einem Daiyoukai fiel man auf die Knie und bettelte um Gnade, tat sonst irgendwas unterwürfiges oder man griff ihn sofort an, aber man ignorierte ihn doch nicht einfach! Jedenfalls war ihm das noch nie untergekommen.

"Antworte, wenn ich mit dir rede!", fuhr er sie an.

Es bereitete ihm jetzt schon richtig große Mühe, seiner eisige Maske aufzubehalten und Anis nicht einfach in Stücke zu reißen. Dieses Duell basierte lediglich auf der jeweiligen Ausdauer des anderen und er würde gewiss nicht derjenige sein, der als erster ausrastete! Überhaupt würde er sich von diesem Biest nicht reizen lassen! Nicht mit ihm! Sesshoumaru wurde immer wütender.

. . .

Und gereizter.

Anis hob den Kopf, als hätte sie ihn eben erst bemerkt. "Bleib mal auf dem Teppich, ich überleg doch noch!" Verärgert wandte sie sich wieder Tessaiga zu - und ignorierte ihn schon wieder! Sesshoumaru hätte jetzt alles von ihr erwartet, aber gewiss nicht solch eine Antwort! Da sie sich nicht weiter mit ihm beschäftigte, fühlte er sich wie bestellt und nicht abgeholt. Er! Sesshoumaru! Er fühlte sich fehl am Platz, als hätte er hier nichts zu suchen, wäre ein ungebetener Gast und was noch viel schlimmer war - Zum ersten mal in seinem Leben machte ihm das etwas aus! Er hatte sich nie um die Meinung anderer geschert! Verdammt noch mal, er war einer der mächtigsten Dämonen des Landes und sie behandelte ihn wie ein kleines Kind! Noch nie hatte es jemand gewagt, derart respektlos mit ihm umzuspringen!

. . .

Das gefiel ihm. Er bewunderte sie schon fast für ihre Kühnheit. Sie hatte etwas an sich, das - Nein! Solche Gedanken sollte er jetzt nicht hegen. Trotzdem wäre es schade um ihren Tod. Sie war wirklich eine Schönheit... Was soll's.

Dieser Kampf würde schnell beendet sein. So schwach wie sie aussieht, werde ich sie mit einem Schlag besiegen können. Sie ist eine ungeübte Niete im Schwertkampf und kann Tessaigas volle Kraft nicht nutzen., waren seine Gedanken. Wenn er wüsste, dass Anis sogar einige Zeit vor ihm wusste, dass er genau diese Gedanken denken würde, hätte er sich seine Mordpläne vielleicht etwas sorgfältiger zurecht gelegt.

Mit einem überlegendem Grinsen sagte er so verächtlich wie möglich: "Glaubst du wirklich, ein jämmerliches Weib wie du könnte mich besiegen!?"

Mit einer eleganten, fließenden Bewegung zog er sein Schwert Tokjin. Hätte er gewusst, das Anis seine Worte, ja sogar seine Bewegungen vorausgeahnt hatte und sie sich jetzt innerlich kugelte vor lachen, hätte er gewusst, dass er sich mit seinen Worten gerade ein Eigentor geschossen hatte - hätte er das alles gewusst, er hätte sich grün und blau geärgert. So aber war er nur ein wenig irritiert, als sich auf einmal ein schelmisches Grinsen auf Anis' Gesicht ausbreitete.
 

Anis spürte, wo Sesshoumarus Youki auf Tessaigas dämonischen Energien stieß. Sie hatte genau beobachtet, wie Inuyasha mit dem Schwert einfach nur durch die Luft schnitt und somit die spezielle Kampfkraft des Schwertes auf seinen Gegner losgelassen hatte.

Anis spürte das Youki des Youkais. Und sie spürte die Energien des Schwertes. Sie unterschieden sich voneinander. Genau dort, wo beide Energien zusammentrafen, dort war die 'Wunde des Windes', auf der Tessaiga seine volle Kraft entwickelte. Auch davon hatte Kagome ihr erzählt. Zum Glück hatte Anis sich alles genau von ihr erklären lassen, bevor sie hierher gekommen war! Dieses Wissen kam ihr jetzt zugute.

Sie zauberte ein überlegendes Grinsen auf ihr Gesicht, das ihren Gegner - der gerade sein Schwert gezogen hatte und zwar genau so, wie sie es erwartet hatte - verwirren sollte.

"Ich wähle den Kampf!" Vergnügt stellte sie sich das Gesicht vor, das Sesshoumaru machen würde, wäre er nicht so verschlossen. "Jetzt wirst du lernen, was es heißt, sich mit einer Vanderobe anzulegen!" Mit diesen Worten schlug sie zu. Genau an der Wunde des Windes entlang.
 

Sesshoumaru riss erstaunt die Augen auf. Er machte einen letzten Versuch, noch auszuweichen, doch bei dieser kurzen Entfernung war das nicht möglich. Die fünf Lichtstrahlen der Kazu no Kizu trafen ihn mit voller Wucht.

Der Youkai wurde etliche Meter nach hinten geschleudert.

Anis war nicht so stark wie sein Halbbruder Inuyasha, doch trotzdem wunderte er sich, wieso er noch auf den Beinen stehen konnte.

Langsam legte sich der aufgewirbelte Staub und die tiefen Furchen in der Erde wurden sichtbar. Jetzt wurde Sesshoumaru klar, was für ein großes Glück er gehabt hatte! Naja, Glück im Umglück. Er stand nämlich genau zwischen zweien dieser Furchen.

Das hätte verdammt böse ausgehen können. Als Inuyasha ihn das letzte mal, und natürlich das einzige mal, mit der ganzen Kraft dieser Attacke getroffen hatte, war er so schwer verletzt gewesen, das er von einem kleinem Menschenmädchen abhängig gewesen war! Selbst ein einfacher Schlag Tessaigas hatte ihm einmal fast den linken Arm gekostet. Auch damals hatte er nur vom Glück reden können, das dieser nicht ganz abgetrennt worden war. Natürlich war die Wunde längst schon wieder verheilt, doch er wollte sowas natürlich nicht noch einmal erleben!

Was Sesshoumaru gerade aber wirklich zu schaffen machte, waren nicht seine Wunden oder die Tatsache, dass er jetzt ziemlich geschwächt war, nein, was ihn wirklich schockte, war, dass ein einfaches Menschenweib das Schwert seines Vaters beherrschen konnte. Das war doch ungeheuerlich!

Doch all diese Gedanken ließ er sich nicht anmerken.

"War das alles, was du draufhast? Dann spüre meine Macht und verneige dich vor dem Tod!"

Mit diesen Worten hob er sein Schwert Tokjin etwas höher und vollführte eine unvollständige Kreisbewegung. Blaue Energiewirbel lösten sich von der Klinge und rasten auf Anis zu.

Ein grausames Lächeln erschien auf seinem Gesicht.

Der Kampf hatte gerade erst begonnen. Und er versprach, interessant zu werden ...
 

Anis stemmte Tessaiga in die Erde, um es als Schutzschild für Sesshoumarus Energie zu nutzen, wobei sie Schwierigkeiten hatte, es überhaupt zu bewegen. Dieses Schwert ist wirklich schrecklich., dachte Anis und stieß einen sehr fantasievollen Fluch aus, weil an beiden Seiten der Klinge noch immer die Energiewirbel von Sesshoumarus Angriff durchkamen.
 

Mit einer Schnelligkeit, die das bloße Auge nicht erfassen konnte, stand Sesshoumaru plötzlich vor ihr.

Er hob Tokjin und ließ es auf Anis zurasen. Sein Schwerthieb verletzte sie an der linken Schulter, doch die junge Frau achtete nicht auf den Schmerz.

Mit einem fast schon verzweifelten Hieb steckte sie so viel Energie wie möglich in Tessaigas nächsten Schlag und brachte somit Sesshoumaru sogar leicht, aber nur ganz leicht - was trotzdem schon eine beachtliche Leistung war - zum schwanken.

Die Umstehenden sahen dem Schauspiel gebannt zu, wobei Kagome sogar vergaß, gegen Miroke´s Umklammerung anzukämpfen.

Sesshoumaru, der etwas verdutzt war, setzte jetzt wieder und wieder neue Schwerthiebe auf Anis an. Die besaß aber zum Glück noch genügend Geschicklichkeit und konnte so seinen beachtlich starken Angriffen auszuweichen.

Anis, die immer wieder versuchte, den starken Youkai und seinem Schwert Tokjin irgendwie zu entwischen, verzweifelte so langsam schon.

Wehmütig dachte sie an Kagome und die Anderen. Sie hatte diesen Kampf bisher nicht wirklich deshalb gefochten, weil diese ihr irgendwas bedeuteten. Es hatte sie nur aufgeregt, was für ein leichtes Spiel Sesshoumaru mit ihnen hatte. Es regte sie auf, wie arrogant er sich benahm. Jetzt aber war ihr klar geworden, dass er durchaus das Recht hatte, so eingebildet zu sein: Er war verdammt stark!

Doch Anis kämpfte natürlich nicht nur, weil sie Sesshoumaru eine Lektion erteilen wollte oder um ihre Kräfte zu erproben. Auch nicht wirklich nur, um ihr eigenes Leben zu verteidigen: Zu hause hatte man ihr beigebracht, dass ihr eigenes Leben ihr in einem ernsten Kampf überhaupt nichts wert sein durfte. Nur so konnte sie ihr Bestes geben. Sie durfte sich keine Sorgen um ihren Tod machen. Tatsächlich war ihr der Umstand, das sie hierbei höchstwahrscheinlich sterben würde zwar bewusst, aber er war ihr gleichgültig. Doch es wäre ihr nicht gleichgültig gewesen, wenn auch Kagome und deren Freunde hierbei umgekommen wären. Und genau deshalb durfte sie diesen Kampf nicht verlieren. Selbst wenn Sesshoumaru sie alle am Leben ließ: Er würde sich Tessaiga nehmen und bei seiner nächsten Begegnung würde er kurzen Prozess mit Inuyasha machen. Ganz einfach deshalb, weil der Hanyou nie die Klappe halten konnte...!

Der Gedanke an all diese Tatsachen gab Anis neue Kraft und eine wilde Entschlossenheit entbrannte in ihr.
 

Anis ließ Tessaigas ganze, restliche Kraft in eine Windnarbe fließen.

Unter ihrer Attacke erzitterte die Erde.

Die umstehenden Personen, die größtenteils auf dem Boden lagen, wurden von der enormen Druckwelle einfach davon geweht. Inuyasha, der immer noch bewusstlos war, wurde ebenfalls von ihr erfasst und schlug einige Meter weiter entfernt an einem großen Felsen auf. Er gab ein leises, aber dennoch hörbares Stöhnen von sich. Kagome, die zuerst betroffen und dann entsetzt darüber war, wurde nun auch von der mächtigen Druckwelle erfasst und zusammen mit den mehr oder weniger noch lebendigen anderen Personen mindestens sechzig Meter nach hinten geschleudert, wo die, die noch bei Bewusstsein waren, alle einen erstickten Schrei von sich gaben.
 

XxX
 

So, fertig. Ich muss ja die Spannung aufrechterhalten *grins*.

Also, bitte, bitte, bitte schreibt mir kommis, ja? *ganzliebschau*

Verwirrung, Wut und Panik

Jaahaa, endlich noch ein Kommischreiber! Ich freu mich sehr, das euch die Story gefällt. Eigentlich wollte ich hiermit noch ein wenig warten, aber ich hab es mir anders überlegt, ihr könnt schon jetzt weiterlesen!
 

XxX
 

Damit hatte Sesshoumaru ja nun gar nich gerechnet. Dennoch beaß er die Geistesgegenwart, Tokjin vor sich in die Erde zu rammen, um dem Angriff seine größte Härte zu nehmen.

Aber er merkte noch nicht, wie sehr ihn diese Attacke verletzte. Doch als er wieder aufstand, spürte er das viele Blut an sich herunterrinnen und fühlte einen heftig pochenden Schmerz, der seinen linken Arm emporstieg. Dieser war so stark verdreht, das sogar ihm schlecht geworden wäre, hätte er dort hingesehen. Doch damit verschwendete er keine Zeit. Er richtete Tokjin jetzt wieder auf Anis, die auf der nun völlig zerstörten Wiese stand.
 

Auch an ihr war dieser Angriff nicht spurlos vorbei gegangen, denn solche ungeheuren Attacken riefen immer einen gewissen Rückstoß hervor. Die Druckwelle hatte auch sie sehr heftig mitgenommen, heftiger als alle anderen, da sie nun einmal diejenige war, die Tessaiga in der Hand hielt.

Ihre linke Schulter war nun so gut wie zerfetzt und aus vielen mittleren Wunden floss Blut. Der Schmerz raste durch ihren reichlich lädierten Körper.

Aber noch war ihr das egal. Sie sah, dass Sesshoumaru dieser Angriff nicht annähernd so sehr mitgenommen hatte, wie es ihre Absicht gewesen war. Noch immer wollte er gegen sie kämpfen, sie selbst aber verließ langsam alle Hoffnung, dieser Kampf könnte noch ein gutes Ende nehmen.

Sie hasste das Gefühl, versagt zu haben. Und eben hatte sie das eindeutig. Doch durch diesen Hass auf sich selbst schalteten sich ihre allerletzten Kraftreserven frei. Die Schmerzen waren verschwunden.

Das alles spielte sich unter ihrer täuschend echten Fassade ab, die ein schmerzverzerrtes Gesicht zeigte. Damit wollte sie Sesshoumaru weis machen, dass sie schon so gut wie kampfunfähig war.

Tatsächlich sprang ihr Gegner mit einer Eleganz auf sie zu, die sie bei seinen schweren Wunden doch nicht erwartet hatte und wollte ihr sein Schwert in den Leib rammen. Doch sie hob Tessaiga, das wie durch ein Wunder in ihrer Hand geblieben war und ein letzter, unerbittlicher Schwertkampf entbrannte zwischen den beiden...
 

Sesshoumaru, der durch ihren letzten Angriff so sehr geschwächt war, das er keine magischen Attacken einsetzen konnte, sagte sich, dass er wegen solch einem widerlichen, unbrauchbaren und schwachen Menschenweib nicht seine wahre Gestallt annehmen wollte. Wenn sie nur so schwach wäre, wie er das gern hätte, das hätte ihm weitaus besser gefallen. Aber ein Daiyoukai hatte nun einmal seinen Stolz...

Auch Anis konnte keine weitere anspruchsvolle Attacke abfeuern. Mit ihren letzten Kräften wollte sie so sparsam wie möglich umgehen. Jetzt ging es nur noch um Schnelligkeit und Schwerkampffährtigkeit...
 

Beide hoben gleichzeitig ihre Schwerter und der Aufprall der beiden Klingen ergab einen riesigen Krach, der sicher noch eine Meile weiter zu hören war. Das Kampffeld erzitterte unter dem heftigen Aufprall und für einen kurzen Moment war das Flimmern der Luft wahrnehmbar, das durch die dämonische Magie der Waffen erzeugt wurde. Die beiden Kämpfenden stoben auseinander, wobei sie dem großen Felsen, an dem Inuyasha lag, gefährlich nah kamen. Doch sie blieben nicht lange auf dieser Distanz und trafen bald wieder aufeinander. Jetzt ging es erst richtig los.

Anis versetzte Sesshoumaru einen starken Schwerthieb, der seinen, so oder so schon sehr lädierten linken Arm traf. Er jedoch machte sich nichts daraus und hieb auf die freigewordene Lücke in ihrer Deckung ein. Sein Schlag zielte auf ihre Beine.

Anis sprang über das Schwert hinweg, bekam aber trotzdem einen langen Schnitt am rechten Knie ab.

Als sie wieder auf dem Boden aufkam, spritzte das Blut aus der Wunde. Der Schnitt war tief, aber nicht sehr groß. Anis machte jetzt einen großen Fehler: Sie starrte auf die Wunde hinab. Als sie das viele Blut erblickte, wurde ihr auch prompt einmal schlecht. Sesshoumarus Schwert hatte nämlich auch die Haut unterhalb ihres Knies zerrissen und nun war das blanke Fleisch zu sehen. Dabei hatte sie es doch bisher so gut geschafft, nicht allzu sehr auf das viele Blut zu achten. Seinem Schwerthieb auszuweichen war mehr ein Reflex gewesen, doch Anis nahm sich jetzt vor, von nun an mit der Waffe abzublocken. Das konnte sie sich mittlerweile schon recht gut leisten, weil Sesshoumarus Kraft durch seine vielen Wunden schon auf ein annähernd menschliches Maß gesunken war.
 

Doch die junge Kämpferin konnte sich keine Atempause leisten. Schon prallten die Schwerter wieder aufeinander und Sesshoumaru, der dieses Mal schneller war, schaffte es ein zweites Mal, ihre Deckung zu überwinden und holte zu einem Schlag aus, der ihr eigentlich ihren Kopf abtrennen sollte. Seine Gegnerin schaffte es jedoch gerade noch so, Tessaiga rumzureißen, um seinen Angriff zu parieren und setzte einen weniger mächtigen Schlag hinterher. Sesshoumaru wehrte ihn mit Leichtigkeit ab und ließ jetzt, so schnell das Anis keine Zeit mehr hatte, eine Blockade aufzustellen, einen Schwertschlaghagel auf sie niederprasseln.

Anis hatte keine Möglichkeit mehr auszuweichen und landete schließlich unsanft neben dem immer noch bewusstlosen Inuyasha zu Boden. Als hätte sie nicht schon genug Pech, schlug ihr Sesshoumaru plötzlich auch noch Tessaiga aus der Hand. In hohem Bogen landete es hinter dem Youkai.

Erstaunlicherweise verwandelte es sich dabei nicht zurück.

Sofort wollte sie wieder aufspringen, bevor das Schwert ihres Gegners sie in zwei Hälften teilte, doch das sollte ihr nicht mehr vergönnt sein.
 

Ihre zahlreichen Wunden hatten sich bei dem Aufprall schmerzlich bemerkbar gemacht.

Sesshoumarus Schläge hatten Anis sehr stark verletzt. Eine blutende Wunde zog sich vom Armansatz hinunter bis zu ihrer Hand. Die Verletzung war so tief, das sie den Arm nicht mehr bewegen konnte. Auch ihr anderer Arm war durch die Verletzung an der Schulter nun gelähmt. Selbst ihr verwundetes Bein spürte sie nur noch als einzigen, pochenden Schmerzfaktor. Auch auf Rücken und Brust hatte sie viele kleinere Schnitte und Prellungen davon getragen. Im Großen und Ganzen konnte sie sich überhaupt nicht mehr bewegen.

Langsam fühlte sie, wie das Leben und damit die Hoffnung für ihre neuen Freunde, um die sie so hart gekämpft hatte, sie verließ.
 

Anis und Sesshoumaru hatten über ihren Kampf hinaus völlig die Zeit vergessen.

So war die schwerverletzte Frau milde überrascht, als sie über sich einen klaren Sternenhimmel sah. Auch der Mond war bereits aufgegangen. Sie wandte ihre Augen nicht von den blitzenden Lichtern am Himmelszelt ab.

Das hätte sie womöglich auch gar nicht gekonnt, denn anscheinend hatte sie sich zu allem Überfluss bei dem Sturz wohl auch noch ein paar Halswirbel angeknackst. Aber sie freute sich, dass das Letzte, was sie sah, etwas so schönes war. Genau in diesem Moment flog eine Sternschnuppe über das dunkle Blau des Himmels. Jetzt durfte sie sich was wünschen... Doch was hatte sie jetzt schon für einen Wunsch? Ihr fiel keiner ein.

Leider schob sich nun auch noch Sesshoumarus Gesicht in ihr Blickfeld. Nicht, das er kein gutaussehender Youkai gewesen wäre, doch mit ihm hatte sie einfach jetzt mehr als genug zu tun gehabt.
 

Angesichts des harten Kampfes, der hinter ihm lag, spürte Sesshoumaru doch in gewisser Weise eine Art Triumph in sich aufsteigen. Dieses Weib war eine verdammt gute Kämpferin, das musste er ihr lassen.

Aber am Ende hatte er gesiegt. Natürlich. Und trotzdem hatte er, wenn auch nur für eine Sekunde, an seinem Sieg gezweifelt.

Das war das letzte Mal passiert, als er zum ersten Mal beobachtet hatte, wie sich Inuyasha in einen Dämon verwandelte. Da jedoch war seine Sorge völlig unbegründet gewesen, da er ja auch so stärker als sein Halbbruder war. So hatte er sich hinterher mächtig über diese kurzweilige Angst geärgert. Doch bei Anis schien ihm das anders gewesen zu sein.

Er war jetzt endgültig zu dem Schluss gekommen, dass sie nie und nimmer ein stinknormales Menschenweib war. Sonst hätte sie weder Tessaiga beherrschen, noch im Schwertkampf mit ihm irgendetwas ausrichten können.

Natürlich hatte sie zu Anfang gleich einen großen Vorteil durch ihre Kazu no Kizu gehabt, das ihn sehr geschwächt hatte. Dann hatte sie sogar im richtigem Schwertkampf ein paar raffinierte Techniken draufgehabt. Das hatte ihn ebenfalls überrascht. Wer rechnete auch schon damit, dass eine Menschenfrau mit dem Schwert, noch dazu mit Tessaiga, fechten konnte!?

Aber trotz allem hatte er sie besiegt.

Da lag sie, vollkommen kampfunfähig und starrte mit glasigem Blick zu den Sternen hinauf.

Ob sie schon tot war? Eigentlich nur mäßig interessiert beugte er sich über sie. Nein, sie war nicht tot. Sie schien auch nicht sonderlich begeistert darüber zu sein, dass er sich leicht über sie beugte, denn ihr Gesichtsausdruck veränderte sich schlagartig. Auf einmal schien sie wütend.

"Geh mir aus der Optik, du verdeckst den Mond!", fauchte sie.

Ähem, hatte er sich da gerade verhört? Nein, schon wieder hatte sie ihn kalt erwischt. Sesshoumaru war vollkommen überrascht und wusste beim besten Willen nicht, wie er sich jetzt verhalten sollte. Er hatte sie doch gerade besiegt und sie ignorierte ihn schon wieder! Sie war besiegt, so gut wie tot und benahm sich, wie ein siegreicher Heerführer einer großen Schlacht! Machte ihr das etwa Spaß!?

Komischerweise fühlte er sich plötzlich gar nicht mehr wie der Gewinner dieses Duells.

"Ich glaube, ich habe dich nicht richtig verstanden", sagte er so kalt wie möglich, um seine Verblüfftheit zu überspielen.

"Wasch dir die Ohren, du sollst deinen Kopf da weg nehmen. Ich will in Ruhe sterben und deine Visage macht mich fertig!", schleuderte sie ihm unwirsch entgegen.

Was zum Teufel ist eine Visage und was bedeutet 'Optik'...?, war Sesshoumarus erster Gedanke, nachdem er diese ungeheure Antwort erstmal geschluckt hatte. Er wusste nicht genau warum, aber er richtete sich wieder auf.

Erst einige Sekunden zu spät bemerkte er, was er da gerade tat: Er gehorchte ihr! Das war doch nicht zu fassen! Aber was sollte er schon machen, schließlich hatte sie sich mit ihrem Tod abgefunden. Auf eine Art und Weise die ihn rasend machte, mal nebenbei bemerkt. Doch es würde ihm keine Genugtuung bereiten, sie jetzt zu töten, weil er ihr womöglich sogar noch einen Gefallen damit täte, da er somit ihre Qualen beendet hätte.

Und trotzdem tat er was sie verlangte. Wieso? Weil er nicht den geringsten Schimmer hatte, was sonst hätte tun sollen. Und er wusste es noch immer nicht.

Nachdenklich wanderte sein Blick zu Inuyasha, der nicht weit von Anis bewusstlos auf dem Boden lag.

Warum war er eigentlich hierher gekommen? Ach ja, Tessaiga.

Langsam wandte er sich um.

Sein linker Arm, der wahrscheinlich gleich zweimal gebrochen war, hing nutzlos an ihm herunter. Doch die Wunde würden heilen. Ebenso wie alle anderen Verletzungen. Ebenso, wie seine Kraft bald wieder zurückkommen würde. Schon jetzt, nur eine Minute nach dem Kampf, fühlte er sich besser.

Langsam schritt er auf Tessaiga zu. Noch immer hatte es sich nicht zurückverwandelt.

Sesshoumaru streckte seine Hand nach Tessaigas Griff aus, doch es lag keine Feierlichkeit in diesem Moment. Wie denn auch, wenn alle anwesenden Personen entweder bewusstlos und halbtot oder außer Sichtweite waren. Etwas schade war das ja schon.

Wenn wenigstens Anis kurz mal den Kopf gewendet hätte, doch die scherte sich einen Dreck um ihn. Fast schon stimmte ihn das traurig. Da hatte er sich so sehr angestrengt und keiner, nicht einmal diejenige, die so erbitternd hierum gekämpft hatte, beachtete seine Bemühungen.

Zum ersten Mal fand Sesshoumaru das Leben richtig ungerecht. Alles schien ihm umsonst...
 

Sesshoumaru fuhr zusammen. Entsetzt starrte er auf seine Handfläche. Sie waren total verbrannt!

Er war doch tatsächlich so in Gedanken versunken, das er gar nicht bemerkt hatte, wie Tessaigas Schutzsiegel ihn zurückwies. Verfluchter Mist, daran hätte er aber auch früher denken können. Was war er doch für ein Narr! Die Tatsache, dass er als vollblütiger Dämon mit seiner Abneigung gegen Menschen Tessaiga nicht einmal berühren konnte, war ihm doch glatt entfallen. Na super. Jetzt hatte er überhaupt keinen Lohn für seine Arbeit. Nicht einmal die übliche Genugtuung über seinen Sieg war ihm geblieben, die hatte Anis ihm erfolgreich mit ihren vorlauten Worten geraubt.

Er fühlte sich - zum ersten Mal in seinem Leben - wie ein Versager. Und es war ein richtig mieses Gefühl.

Noch immer ruhte sein Blick auf dem Schwert. Bei seiner Berührung hatte sich der riesige Stoßzahn wieder zurück in eine alte, rostige Klinge verwandelt.

Das wurde ja immer besser! Eine Menschenfrau konnte Tessaiga beherrschen, ja sogar damit fechten und auch die 'Wunde des Windes' spüren, er selbst hingegen konnte es nicht einmal berühren! Das war einfach nicht fair! Er konnte sich doch nicht einfach unverrichteter Dinge wieder davon machen. Naja, er könnte seinen Halbbruder und dessen Freunde endgültig abschlachten... Nein, warum denn? Es würde ihm nichts bringen und es war einfach unter seiner Würde, völlig grundlos irgendwelche niederen Menschen umzubringen. Er wollte seine Klauen gewiss nicht mit solch schmutzigem Blut beflecken.

Aber das sowohl dieses Miststück von einem Weib, wie auch sein widerlicher kleiner Halbbruder tatsächlich Tessaiga beherrschen konnten, er selbst hingegen nicht, das ärgerte ihn wirklich.
 

Moment mal.

Was wäre, wenn er jemanden hätte, der an seiner Stelle Tessaiga führte, jemanden, der ihm diente...?

Ja, das schien ihm eine sehr gute Vorstellung. Dann könnte er von Tessaigas Macht profitieren, es wäre nicht mehr in Inuyashas Besitz und gleichzeitig hätte er jemanden, der ihm all die lästigen kleinen Fische aus dem Weg räumte, die Jaken mit seinem Menschenkopfstab nicht schaffte und die es im Grunde nicht wert waren, von ihm selbst getötet zu werden. Ja, je länger darüber nach dachte, desto mehr gefiel ihm diese Idee.

Es gab nur ein Problem: Die einzige Person, die dafür infrage kam, lag dort hinten und hatte mit ihrem Leben schon so gut wie abgeschlossen.

Dabei wäre sie perfekt, sie war eine Menschenfrau. Da hätte Rin dann so etwas wie eine Mutter und würde ihm weniger auf die Nerven gehen. Vorausgesetzt natürlich, das Weib machte ihm keine Schwierigkeiten.

Ob sie jetzt endlich tot war?

Vorsichtig ging Sesshoumaru zu Anis zurück. Sie lag noch immer reglos auf der selben Stelle, wo er sie zurückgelassen hatte.
 

Anis spürte, wie der Youkai wieder näher kam. Was wollte er denn noch? Ihr den Gnadenstoß verpassen?! Darauf konnte sich verzichten!

"Was?!", fuhr sie ihn an, ohne sich jedoch annähernd die Mühe zu machen, in seine Richtung zu sehen. Zu ihrer großen Überraschung antwortete er sofort. Auch WAS er sagte, machte sie stutzig:

"Du musst hier nicht sterben. Wenn deine Wunden rechtzeitig versorgt werden, kannst du überleben." Sesshoumarus Stimme war dabei so ausdruckslos wie eh und je.

"Vielen Dank, aber weder ich noch meine Freunde können sich rühren, also gibt es wohl kaum noch Hoffnung, das meine Wunden rechtzeitig versorgt werden!" Ihre Stimme klang extrem giftig, denn dieser Typ fing an, Anis zu nerven. Man verspottete keine Dame, die im Sterben lag, das gehörte sich einfach nicht. Naja, sie war aber auch nicht wirklich eine Dame...

"Du bist eine sehr gute Kämpferin. Ich habe dir ein Angebot zu machen", erwiderte der Daiyoukai ruhig. Diesmal schien er unbeeindruckt von Anis' frecher Antwort zu sein.

Doch diese überhebliche, besserwisserische Art fand Anis buchstäblich zum kotzen. Trotzdem verzichtete sie auf eine Erwiderung, die zweifellos ziemlich unhöflich ausgefallen wäre.

Also sprach Sesshoumaru weiter: "Ich sorge dafür, das deine Wunden versorgt werden und schenke dir somit das Leben. Dafür wirst du mir dienen, dich um Rin kümmern und Tessaiga einsetzen, wie und wann ich es dir befehle."

Anis dachte nach.

Wieso eigentlich nicht? War sie nicht hergekommen, um gegen Dämonen zu kämpfen? Ob sie das nun im Dienst eines Youkais machte oder nicht, war doch egal, oder? Sie hatte zwar keine Ahnung wer Rin war und konnte sich auch nicht genau vorstellen, wie sie Sesshoumaru dienen sollte, doch beim zweiten Punkt hatte sich so eine Vermutung. Wahrscheinlich würde er sie zur Hausfrau degradieren. Wie erniedrigend! Naja, kochen konnte sie jedenfalls. Und wenn sie dadurch ihr Leben ein wenig verlängern konnte...

Also, abgesehen davon, das sie diesen kaltherzigen Kerl nicht ausstehen konnte - Was sprach schon dagegen?

"Ich habe Bedingungen", sagte Anis schließlich, nach langem Zögern. Sie wusste durchaus, dass Sesshoumaru auf sie angewiesen war, wenn er nicht unverrichteter Dinge abziehen wollte. Sie hatte das Blitzen der Energie wahrgenommen, als er vom Schutzsiegel zurückgewiesen wurde. Weshalb sonst würde er ihre Hilfe in Anspruch nehmen sollen?

"Die wären?", fragte Sesshoumaru gelangweilt.

Wow, er ist bereit, mir entgegenzukommen..., dachte Anis sarkastisch. Laut sagte sie: "Ich werde nicht unnütz töten. Und ich werde weder Inuyasha, noch Kagome, Sango, Miroku oder einem anderen ihrer Freunde etwas antun. Ich verlange, dass du auch deinen Krieg mit deinem Halbbruder fallen lässt." Doch da hatte sie sich wohl etwas zu weit aus dem Fenster gelehnt.

"Bis auf deine letzte Forderung bin ich einverstanden", sagte Sesshoumaru, jetzt wieder mit seiner eiskalten Stimme. Anis hätte am liebsten geseufzt. War ja klar... Sie hatte auch nicht wirklich erwartet, dass er seinen Geschwisterstreit aufgeben würde. Doch wenn man einen Handel abschloss, dann musste man seine Forderungen stets höher setzen, als man es wirklich benötigte. Entweder ging der andere darauf ein und man hatte einen zusätzlichen Vorteil, oder er ging nicht darauf ein, lehnte aber dann oftmals die ersten Forderungen nicht ab.

"So verschone sie wenigstens heute und ich werde dir dienen", gab sie sich schließlich geschlagen.
 

Sesshoumaru war mit dieser Antwort zufrieden.

Er bückte sich kurz zu Inuyasha, der sich immer noch nicht rührte, und riss einen Streifen Stoff von seinem Gewand aus Feuerrattenhaar ab. Sein eigener Kimono war ihm dafür entschieden zu schade.

Damit ging er jedenfalls zu Tessaiga und knotete den Stoff um den Griff des Schwertes. Jetzt konnte er das Ende des behelfsmäßigen Halteseils in die Hand nehmen und mit ihm Tessaiga aus dem Boden ziehen, ohne von dem Siegel zurückgewiesen zu werden. Er nahm Inuyasha auch die Scheide ab und steckte das Schwert hinein. Dann ließ er es vorsichtig neben Tenseiga und Tokjin in das gelb-lilane Band gleiten, das wie eine Art Gürtel um seine Hüfte lag. Er würde Anis später das Schwert geben, wenn sie wieder kampffähig war.

Nun hatte er beide Hände frei und packte die junge Frau am Kragen, die sich ohne fremde Hilfe nicht mehr bewegen konnte.

Ohne sich zu bemühen, ihr noch einmal richtig in die Augen zu sehen, warf er sich ihren Körper einfach über die Schulter. Anis, deren Wunden bei dieser unsanften Behandlung wieder anfingen zu schmerzen, sagte erzürnt:

"Hey, ich dachte, du hättest davon abgelassen, mich zu töten! Achte gefälligst darauf, mir nicht auch noch die restlichen Knochen zu brechen, die du noch nicht ramponiert hast!"

Sesshoumaru zuckte nicht einmal mit der Wimper, doch er hätte ihr jetzt am liebsten gezeigt, was der berühmteste Daiyoukai des Westens mit den Leuten zu tun pflegte, die so mit ihm redeten.

Er schluckte eine eiskalte Erwiderung hinunter und zwang sich den Instinkt zu unterdrücken, seine Dokkasso auf dieses freche Weibsbild loszulassen. Er brauchte sie noch.

Nachdem Anis begriffen zu haben schien, dass ihr Rumgemeckere nicht mehr viel zu bringen schien, machte sich Sesshoumaru endlich auf den Rückweg zu seinen beiden Begleitern.

Das Fell, das immer über seine Schulter gewunden war, bewegte sich wie von einer plötzlichen Windböe erfasst - nur das sich nicht das leiseste Lüftchen regte.

Natürlich lief er nicht, wie ein gewöhnlicher Mensch, sondern flog.
 

Die Luft blies Anis angenehm ins Gesicht, während sie sich in die Lüfte erhoben. Das war aber auch das einzig Angenehme, denn ihr schmerzte jeder Teil ihres Körpers ganz fürchterlich. Selbst ihr Kopf schmerzte, wenn sie sich ausmalte, was sie in Zukunft wohl erwarten mochte.

Bald waren sie für die anderen Personen am Erdboden nicht mehr zu sehen, wobei die meisten nicht einmal mehr imstande wären sie zu sehen, wenn sie direkt vor ihnen stünden.
 

*
 

Kagome seufzte. "Seine Wunden sind diesmal wirklich schwer."

Doch niemand hörte sie. Natürlich nicht. Sie war allein mit dem bewusstlosen Inuyasha in der kleinen Holzhütte. Miroku war draußen bei Sango und redete leise auf die Dämonenjägerin ein. Kagome hatte vor kurzem nach ihnen gesehen. Auch Sango konnte Mirokus Worte nicht hören, da sie ebenfalls nicht bei Bewusstsein war, doch der Mönch meinte trotzdem, dass es ihr helfen würde.

Während Kagome Inuyashas Pflege übernommen hatte und Miroku sich um Sangos Verletzung kümmerte, huschte die alte Kaede von einem zum anderen, gab Anweisungen und kramte allerlei seltsame Heilkräuter aus ihren Vorräten hervor. Selbst Shippo bemühte sich nach Kräften, irgendwo zu helfen und war gerade auf dem Weg zum Fluss, um frisches Wasser zu holen.

Kagome sah wieder zu Inuyasha hinunter. Kaede hatte, so gut es ihr möglich gewesen war, ein Gegenmittel für das Gift, mit dem Inuyasha durch Sessoumarus Dokkasso gelähmt worden war, zusammen gemischt. Doch natürlich war dieses dämonische Gift sehr stark und hartnäckig. Ein normaler Mensch wäre schon lange mausetot. Selbst Inuyasha hatte als Hanyou noch sehr damit zu kämpfen. Obwohl Kaede Kagome schon hundertmal versichert hatte, dass er es überleben würde, machte sich das Mädchen große Sorgen. Inuyasha hatte ja schließlich schon etliche Wunden vom Kampf mit Naraku abbekommen.

Sorgenvoll wechselte Kagome das nasse Tuch, das sie auf Inuyashas Stirn gelegt hatte, gegen ein neues aus. Wieder seufzte sie.

"Ka...Kagome... Wieso...siehst du so traurig aus?", ertönte auf einmal eine schwache Stimme von unten.

Kagome hätte fast einen Satz in die Luft gemacht, so erschrocken und überrascht war sie. Denn der Sprecher war niemand anderes als Inuyasha selbst, der jetzt endlich aufgewacht war.

"Inuyasha! Du bist ja wieder wach! Wie geht es dir? Hast du Schmerzen?", rief Kagome besorgt, ohne auf seine Frage einzugehen.

Inuyasha lächelte schwach, doch statt zu antworten, versuchte er sich mühsam aufzurichten. Doch er hatte nicht sonderlich viel Erfolg dabei. Stöhnend sank er wieder auf den Boden zurück.

Kagome hatte ihn gewähren lassen, sie kannte seinen Stolz. Aber die Sorge stand ihr noch immer ins Gesicht geschrieben. Wieder versuchte sich der Hanyou zu erheben und diesmal gelang es ihm tatsächlich. Keuchend setzte er sich auf, streifte die Decke zurück und stand auf. Einen Moment schwankte er und stützte sich rasch an der Wand der Hütte ab. Langsam arbeitete er sich zur Tür vor. Seine Hände krallten sich vor Anstrengung in das Holz der Bretter und hinterließen tiefe Spuren.

"Inuyasha?", fragte das Mädchen zaghaft. Auch sie war inzwischen aufgestanden. Doch Inuyasha sagte nur unwirsch: "Es ist nichts!"

Doch Kagome ließ sich nicht abschrecken. Sie kannte solche Töne von ihm. Langsam ging sie auf den Hanyou zu, der jetzt stehen geblieben war. Sie stellte sich absichtlich zwischen ihn und die Tür. Er sollte nicht hinaus gehen, er sollte sich ausruhen! Schließlich war er schwer verletzt!

"Wirklich nicht?", fragte sie nach und klang jetzt fast schon forsch. Sie kam noch näher. Natürlich machte sie sich wahnsinnige Sorgen um ihn. Er tat immer so stark und unnahbar. Doch in Wahrheit musste es ihm jetzt doch sehr schlecht gehen. Dabei hatte er noch gar nicht von den Ereignissen, die sich während seiner Bewusstlosigkeit abgespielt hatten, erfahren.

"Inuyasha..." Diesmal klang ihre Stimme traurig.

"Kagome..." Auch in seiner Stimme klang eine Spur von Traurigkeit mit. Doch sie war auch sanft, als wolle er sie beruhigen. Tatsächlich fühlte Kagome sich jetzt nicht mehr ganz so schrecklich. Inuyasha würde bald wieder gesund sein. Vielleicht sogar schon morgen.

Plötzlich ertönte ein lauter Knall.

Kagome spürte einen grässlichen Schmerz im Rücken.

Die Tür war mit einem Ruck aufgerissen worden und das schwarzhaarige Mädchen, das genau davor stand, wurde mit voller Wucht getroffen und in Inuyashas Arme geworfen.

Für einen Augenblick schien die Zeit stillzustehen. Kagome sah nur noch die goldenen Augen des verletzten Hanyous, den sie so sehr liebte. Sie schien in Zeitlupe auf ihn zuzuschweben.

Inuyashas Augen weiteten sich erschrocken und seine knuffigen Hundeohren zuckten. Instinktiv fing er das Mädchen auf, wobei er es gerade noch so schaffte, nicht selbst den Halt zu verlieren, auch wenn seine Wunden dabei sehr schmerzten. Auch er hatte nur noch Augen für das Mädchen in seinen Armen.

Ihre Gesichter kamen sich immer näher...

Kagome spürte ein wohliges Kribbeln im Bauch. Inuyashas Arme hielten sie so fest, als wolle er sie nie wieder loslassen

Doch diese romantische Situation hielt nur einige Sekunden lang an.
 

"Stör ich?!" Miroku stand in der Tür und sah sich die Szene schmunzelnd an. Wie gerne hätte er jetzt mit Sango dort gestanden...

"JA!" rief Kagome, die sauer war wegen der Unterbrechung eines der schönsten Momente ihres Lebens und "NEIN!" rief Inuyasha ebenso laut und zur gleichen Zeit wie Kagome, sodass Miroku nicht recht verstehen konnte, wer jetzt was gesagt hatte.

Hastig stieß Inuyasha nun Kagome von sich.

Beide hatte knallrote Köpfe, Kagome aber war jetzt noch angefressener als vorher, ihr gefiel Inuyashas Antwort und seine Reaktion auf Mirokus Frage nicht gerade.

"SITZ!", schrie sie deshalb.

Inuyasha knallte auch prompt auf den Boden. All seine Wunden schmerzten wieder wie verrückt, doch das schien das Mädchen überhaupt nicht beachtet zu haben. Jetzt war der Hanyou natürlich auch wütend.

"Was soll das denn, ich hab dir doch gar nichts getan!", fuhr er sie an.

"Eben!" Doch das war nicht Kagome, sondern Miroku, der an ihrer Stelle geantwortet hatte. Während Inuyasha, begriffsstutzig wie immer, jetzt erstmal eingeschnappt auf dem Boden saß und Kagome dem Mönch einen vernichtenden Blick zuwarf, begann Miroku ungerührt zu erklären, warum er sie überhaupt in dieser, ach so wichtigen, undefinierbaren Angelegenheit gestört hatte:

"Sango ist endlich wieder aufgewacht und hat sich auch schon recht gut erholt. Ich dachte nur, das könnte euch interessieren. Wir sind jetzt alle wieder bereit für den nächsten Schritt."

Kagome, der plötzlich etwas an dem Mönch aufgefallen war, beäugte diesen misstrauisch.

"Sag mal Miroku... Du hast sicher dazu beigetragen, das sie sich so schnell erholt hat, nicht wahr?", fragte sie voller Ironie.

"Ähem, ich wüsste nicht worauf du jetzt anspielst...", sagte Miroku mir Unschuldsmiene.

"Ich denke, sie spielt auf den roten Handabdruck auf deiner Wange an, werter Mönch!", sagte Inuyasha amüsiert, als er bemerkte, was auch Kagome schon aufgefallen war.

Er sprang auf und fing an, Miroku zu hänseln: "Ihr hat wohl die Art, wie du sie aufgeweckt hast, nicht sonderlich gefallen, was?" Seine Stimme triefte förmlich vor Sarkasmus.

"Hör auf damit! Wir haben jetzt ganz andere Probleme!", meinte Miroku, um das Thema zu wechseln. Kagome gab ihm Recht: "Das stimmt. Sesshoumaru - " Weiter kam sie nicht, denn Inuyasha schnitt ihr das Wort ab.

"Macht euch da mal keine Gedanken, den Kerl werd ich einfach - " Er stutzte. Instinktiv war seine Hand sofort zu Tessaigas Griff gewandert.

Nur, das da kein Griff mehr war.

Neue Fragen

Tja, eigentlich wollte ich mit dem nächsten kapitel noch ein wenig warten, aber es ist mir so gut gelungen, das ich einfach jetzt mal eure Meinung dazu hören muss!
 

XxX
 

"Hör auf damit! Wir haben jetzt ganz andere Probleme!" sagte Miroku, um das Thema zu wechseln. Kagome gab ihm Recht: "Das stimmt. Sessoumaru - " Weiter kam sie nicht, denn Inuyasha schnitt ihr das Wort ab.

"Macht euch da mal keine Gedanken, den Kerl werd ich einfach - " Er stutzte. Instinktiv war seine Hand sofort zu Tessaigas Griff gewandert.

Nur, das da kein Griff mehr war.

Suchend sah er sich um.

"Ähm, ... Wo habt ihr denn mein Schwert hingetan?", fragte er irritiert.

Stille.

. . .

"Ähm...", stotterte Miroku.

. . .

". . ." Auch Kagome wollte nicht unbedingt diejenige sein, die den Hanyou aufklärte.

. . .

"Das... ist schwer zu erklären, weißt du...", sagte das Mädchen leise. Sie hatte den Kopf eingezogen und machte sich auf ein Donnerwetter gefasst.

Inuyasha stutzte. Wenn sie so daher redeten, war etwas ganz und gar nicht in Ordnung und da es hier um Tessaiga, seinen wertvollsten Besitz, das Erbe seines Vaters ging und er das schlimmste zu befürchten hatte, zitterte seine Stimme vor Anspannung, als er die folgenden Worte aussprach:

"Was. - Ist. - LOS?!", rief er erstickt.

Miroku atmete tief ein. Es war besser, ihm sofort die Wahrheit zu sagen. Inuyasha würde es sowieso erfahren und Kagome machte nicht die geringsten Anstalten mit der Sprache herauszurücken.

"Sesshoumaru hat Tessaiga mitgenommen", stieß er gepresst hervor.

Stille.

"WAS?!", schrie Inuyasha.

. . .

Kagome stieß ein gekünsteltes Hüsteln aus, um nichts sagen zu müssen.

Miroku scharrte mit der Fußspitze im Staub, der auf dem Hüttenboden lag.

Keiner der Beiden sah dem Hanyou ins Gesicht, der mittlerweile auf hundertachtzig war.

"WAS SOLL DAS HEIßEN, SESSHOUMARU HAT TESSAIGA MITGENOMMEN?!"

Nun hustete auch Miroku.

Schließlich ließ sich Kagome zu einer Antwort herab:

"Nunja, es heißt, dass ein berüchtigter Menschenmörder nun im Besitz eines Schwertes ist, das hundert Leben auf einmal auslöschen kann." Und das die Welt somit kurz vor dem Untergang steht..., fügte sie in Gedanken hinzu.

Inuyasha stöhne und ließ sich zurück auf den Boden fallen.

"Danke, dass du uns die Hoffnungslosigkeit dieser Lage so schön verdeutlicht hast", sagte er sarkastisch zu Kagome.

Doch dann überlegte er kurz. "Moment mal. Sesshoumaru kann Tessaiga doch gar nicht berühren, geschweige denn beherrschen. Er wird von dem Schutzsigel zurückgewiesen!", protestierte er und sah seine Freunde erwartungsvoll an.

Stille.

. . .

"Hm...", murmelte Kagome.

"Tja...", stotterte Miroku.

"Ähm... Das Problem hat er umgangen...", druckste Kagome herum, darauf bedacht, Inuyasha nicht wieder zum Schreien zu bringen. Was ihr nicht sehr gut gelang.

"WIE BITTE?!", schrie Inuyasha noch eine Lautstärke höher als zuvor, "Was hat sich dieser Mistkerl denn jetzt schon wieder ausgedacht?!"

"Nun beruhige dich doch erstmal", versuchte es Miroku.

Doch Inuyashas Drang zum Lautwerden hatte jetzt auch Kagome angesteckt.

"WIE SOLL ER SICH DENN BERUHIGEN?! ES IST JA SCHLIEßLICH NOCH VIEL SCHLIMMER, ER WEIß JA NOCH NICHT EINMAL ALLES!!!" Sie klang jetzt schon leicht hysterisch und raufte sich die Haare.

"ERZÄHLT MIR ENDLICH WAS PASSIERT IST!", schrie Inuyasha wütend.

"RUHE!", kreischte Miroku.

"ICH BIN RUHIG!", brüllte Inuyasha jetzt lauter als jemals zuvor.

. . .

Stille.

Langsam beruhigten sich alle wieder ein bisschen.

Inuyasha seufzte und ließ sich im Schneidersitz nieder. "Erzählt mir einfach, was passiert ist, okay?"

Kagome nickte, etwas irritiert von seinem plötzlichen Stimmungswechsel und setzte sich neben ihn.

Dann begann sie zu erzählen. Sie redete lange, wurde aber manchmal von Miroku unterbrochen, der wichtige Details hinzufügte, die Kagome vergaß.

Nach einer Weile kamen auch Sango und Shippo herein, die sich wegen dem Gekreische erst nicht reingetraut hatten, und die beiden mussten noch einmal von vorne anfangen.

Als sie endlich alle Fakten zusammengetragen hatten und Inuyasha seinen Halbbruder mit einer halben Millionen Flüchen bedacht hatte, konnten sie sich endlich Gedanken darüber machen, was sie jetzt zu tun hatten.

Alle beschlossen einstimmig, dass sie Sessoumaru folgen würden. Wenn auch aus unterschiedlichen Gründen: Kagome, Sango, Miroku und Shippo, wollten hauptsächlich Anis befreien. Inuyasha war dieses 'Weib' völlig egal, er wollte lediglich Tessaiga zurück. Deshalb gab es natürlich auch noch einige Diskussionen: Inuyasha meinte, Anis sei eine Verräterin und zum Feind übergelaufen. Kagome jedoch war der festen Überzeugung, dass Anis nur mit Sesshoumaru gegangen war, um sie alle zu schützen. Miroku hatte sowieso von jeder schönen Frau ein gutes Erscheinungsbild. Auch auf Sango hatte die junge Frau keinen bösartigen Eindruck gemacht. Und Shippo wurde nicht gefragt.

Wie auch immer, zuerst einmal mussten sie an den Inuyoukai herankommen.
 

Also verließ Inuyasha, gefolgt von seinen Freunden, die Hütte und schritt über das zerstörte Kampffeld. Überall hing Sesshoumarus und auch Anis' Geruch, den er immer noch nicht recht identifizieren konnte, in der Luft.

Inuyasha blieb bei dem Felsen stehen, an dem er selbst lange Zeit bewusstlos gelegen hatte.

"Hier lag sie eine Zeit lang", stellte er fest und betrachtete das getrocknete Blut auf dem Boden, das ihren Geruch trug. Sie musste sehr schwer verletzt sein. Vermutlich war sie längst tot, mal davon abgesehen, das Sessoumaru sich in ihrer Nähe aufhielt.

Kagome nickte: "Und dann ist er mit ihr in Richtung Westen verschwunden."

Schnüffelnd reckte der Hanyou die Nase in den Wind. Dann ging er ein paar Schritte zum Waldrand.

"Hast du eine Spur?", fragte Kagome hoffnungsvoll.

"Nicht wirklich, sie hört nämlich hier schon wieder auf", murrte der Angesprochene.

"Wie, nach nur drei Schritten, das kann doch wohl nicht wahr sein!", stöhnte Kagome, "Wie ist das möglich?"

"Ganz einfach: Sesshoumaru muss ab dem Punkt, an dem seine Spur aufhört, geflogen sein. Wenn er es nicht selbst will, dann finden wir ihn nie", stellte Inuyasha fest.

Sango und Miroku machten verzweifelte Gesichter.

"Und es gibt keine Möglichkeit...?", fragte Shippo der genauso verzweifelt war, wie seine Freunde aus der Wäsche schauten.

Nur Kagome machte ein nachdenkliches Gesicht. Ohne irgendwelche Erklärungen abzugeben, lief sie auf Kaedes Hütte zu, deren Besitzerin sich irgendwohin verzogen hatte.

"Kagome, was...?", rief Inuyasha.

Doch Kagome hörte ihm nicht zu, sondern verschwand hinter der Tür. Der Hanyou stand zusammen mit dem Rest der Gruppe etwas bedeppert draußen und wartete darauf, das sie wieder auftauchte. Das geschah dann auch recht schnell.

"Hier, seht mal!" Kagome ging zu ihren Freunden zurück. In der Hand hielt sie eine schmale Schwertscheide.

"Tessaiga...?", fragte Inuyasha hoffnungsvoll.

"Unsinn, das ist das Schwert von Anis!", antwortete das schwarzhaarige Mädchen.

"Und was willst du damit?", fragte Sango.

"Ich? Gar nichts! Aber wenn wir Glück haben, wird Anis von ganz alleine hier auftauchen, um es zurückzuholen", erklärte das Mädchen weiter.

"Tja, vorausgesetzt, Sesshoumaru bringt sie nicht vorher um die Ecke", flüsterte der Hanyou leise.

"Nun, wir können wohl nur abwarten. Aber so, wie Anis gegen ihn gekämpft hat, hätte sie vielleicht sogar eine Chance", erwiderte Miroku.

"Eine Chance für was? Um Sesshoumaru zu erledigen?", fragte Shippo, der ganz begeistert von dieser Idee zu sein schien.

"Na, na, na! Ich würde mir an deiner Stelle keine falschen Hoffnungen machen. Ich meinte eigentlich, dass sie es schaffen könnte zu fliehen", klärte der Mönch den jungen Fuchsdämon in seine Gedankengänge ein.

Der machte noch kurz ein enttäuschtes Gesicht, freute sich aber gleichzeitig, Anis womöglich bald wieder zu sehen. Er hatte die junge Frau sofort ins Herz geschlossen, obwohl er sie nur kurz gesehen hatte. Doch in dieser kurzen Zeit war es ihr immerhin gelungen, Inuyasha aus der Fassung zu bringen und zu einem Wutausbruch zu animieren, auch wenn sie dabei von Sessoumarus Ankunft unterbrochen worden waren. Doch diese Tatsache machte Anis in Shippos Augen doch gleich einmal viel sympathischer. Hoffentlich kam sie bald zurück!

Doch das sollte sich als sehr schwierig erweisen...
 

*
 

Sesshoumaru beobachtete Anis misstrauisch. Seit einer knappen Woche war sie nun schon bei ihm und er wurde einfach nicht schlau aus diesem Weib.

Als er mit ihr gekämpft hatte, war sie vorlaut und frech gewesen. Selbst wenn sie nichts gesagt hatte, oder auch gerade dann, hatte sie ihn wütend gemacht.

Doch seit Rin, Jaken und Ah-Uhn zu ihnen gestoßen waren, benahm sie sich wie ausgewechselt. War sie vorher so respektlos gewesen, das er mehrmals in Versuchung geraten war, ihr einfach den Kopf abzuschlagen, so war sie nun dermaßen achtungsvoll - das es schon fast wieder unheimlich war. Dabei tat sie nichts Falsches, sie benahm sich einfach wie eine gewöhnliche Dienerin. Aber nicht jedem der Gruppe brachte sie den selben Respekt entgegen.

So redete sie beispielsweise mit Rin anders als mit ihm selbst. Zu dem kleinen Mädchen war sie... mütterlich. Sie kümmerte sich mit Hingabe um das Kind. Anis spaßte mit ihr und brachte ihr auch nützliche Dinge bei. Die junge Frau erklärte Rin alle Kräuter, die man zum Versorgen von Wunden, zum Würzen von Speisen, Heilen von Krankheiten und sogar zum Vergiften verwendet wurden.

Doch sie ließ sich die meisten Informationen einzeln aus der Nase ziehen und war eher wortkarg. Das sie nicht sehr viel sprach, schien weder Rin noch Jaken etwas auszumachen. Doch Sesshoumaru störte es. Denn so bekam er den Verdacht, dass sie ihn irgendwann hintergehen würde. Unsinn, natürlich würde sie das, oder eher: Sie würde es versuchen. Aber das der Daiyoukai keinen einzigen ihrer aufmüpfigen Gedanken zu spüren bekam, verunsicherte ihn ein wenig. So hätte er nicht einmal einen triftigen Grund, sie zu töten, wenn ihm danach war! Nicht, das er sich irgendwie hätte rechtfertigen müssen, aber ob er Rins lautstarkes Gequengel aushalten würde...?

Außerdem hätte Sesshoumaru damit gerechnet, dass Jaken lautstark gegen seine Entscheidung, ein Menschenweib in seiner Nähe zu dulden, protestierte. Doch das tat der kleine Krötendämon nicht, denn selbst ihn behandelte Anis mit dem Respekt, der einem Diener des Erben der westlichen Länder - Jakens Meinung nach - gebührte.

So etwas war Sesshoumaru einfach nicht gewohnt. Das seine Befehle ohne Widerworte oder Nachfragen ausgeführt wurden. Denn genau das tat Anis und zwar nicht auf Jakens, schleimige Art. Sie tat es, als wäre es ihr im Grunde gleichgültig, ja fast sogar schon, als machte es ihr Freude. Wäre er sich nicht so sicher, dass sie etwas im Schilde führte: Er hätte diesen Luxus glatt genossen. Doch auch sonst mochte er dieses Verhalten nicht. Es war angemessen - aber es gefiel ihm einfach nicht.

Sie schien ihm eine vorzügliche Kämpferin zu sein, die eine Niederlage nicht ohne Widerstand hinnahm - und sei es nur in Form von Worten. Solche Krieger schätzte er. Schade nur, das sie eine Frau, noch dazu ein Mensch war. Wobei er immer noch seine Zweifel hatte, ob sie tatsächlich ein NUR Mensch war.

Dass sie ihm jetzt so unterwürfig diente, das passte einfach nicht. Es wirkte falsch, als sei es nicht richtig. Hatte er sie so falsch eingeschätzt?

Doch trotz allem empfand Sesshoumaru keine rechte Verachtung ihr gegenüber, auch wenn es nach außen so scheinen mochte. Zu sehr schmerzten ihn die Erinnerungen an den Kampf. Für eine Kriegern, die selbst ihn - Sesshoumaru - in einem Schwertkampf beeindruckte, gehörte es sich irgendwie nicht, Feuerholz zu sammeln oder sich um Ah-Uhns Pflege zu kümmern, wenn es solch niedere Dämonen wie Jaken gab, die das jeder Zeit hätten übernehmen können. Doch was sollte er da schon sagen, er hatte ja selbst angeordnet, das Anis ihm dienen sollte. Trotzdem schien es ihm eine Schande zu sein, ihr Talent so verkümmern zu lassen. Für eine gewöhnliche Menschenfrau waren diese Aufgaben vielleicht angemessen, doch wie schon erwähnt, hatte Anis Sesshoumaru zum wiederholtem Male Grund zur Annahme gegeben, das diese unmöglich ein Mensch sein konnte.

Als er ihr nämlich das Angebot gemacht hatte, ihn zu begleiten, da hatte sie sich kaum bewegen können. Doch schon jetzt - etwa vier Tage später - waren ihre Wunden schon fast völlig verheilt. Zwar hatte sie immer noch zahlreiche Verbände an den Armen, doch sie versorgte die Verletzungen schon selbstständig. Zuvor hatte sie Rin erklärt, welche Kräuter sie auf die Wunden legen wusste. Das kleine Mädchen hatte ihr mit Freuden geholfen. Anis konnte auch schon ohne fremde Hilfe laufen und das erstaunlich schnell. Ein normaler Mensch hätte nicht einmal den Flug hierher überlebt, da er ja nicht gerade sanft mit ihr umgesprungen war. Doch bis auf ihre außergewöhnlich schnell heilenden Wunden konnte der Inuyoukai noch immer keine Anzeichen feststellen, die darauf hindeuteten, dass sie eventuell ein Dämon war. Aber es war nun einmal unter seiner Würde, sie darauf anzusprechen und damit zu gestehen, dass er nicht den leisesten Schimmer hatte, was es mit ihrer Herkunft auf sich hatte. Stattdessen beobachtete Sesshoumaru die junge Frau genaustes.

Sie saß mit dem Rücken zu ihm unter einem hohem Baum, ihre Haare wehten im Wind und sie unterhielt sich gerade mit Rin...
 

Anis spürte Sesshoumarus Blick. Wie zwei kleine, juckende Mückenstiche spürte sie seine Augen in ihrem Rücken - und genauso unangenehm fühlte es sich auch an. Sie hasste, es hier zu sein. Sie hasste es, wie eine niedere Dienerin behandelt zu werden und sich auch so benehmen zu müssen. Sie hasste es, diesen hochnäsigen Eisklotz so unterwürfig entgegentreten zu müssen.

Aber Anis wollte ihr Leben nicht frühzeitig beenden, indem sie Sesshoumaru unnötig reizte. Abgesehen davon hatte sie nun einmal einen Handel mit dem Youkai abgeschlossen. Und dieser Handel beinhaltete auch, das sie ihm gehorchen musste. Das tat sie am besten, indem sie sich auf diese Art verstellte. Doch dieses Lieb-Mädchen-sein spielen hatte auch noch einen anderen Grund. Wenn ihr das alles hier zu viel wurde und sie fliehen wollte, so würde sich ihre Arbeit reichlich auszahlen. Denn wenn sie die gehorsame Dienerin spielte, dann würde er nicht mit einem Fluchtversuch rechnen.

Die einzigen, die Anis in dieser Gruppe wirklich mochte, waren Rin und Ah-Uhn. Der zweiköpfige Drache war - entgegen seinem Erscheinungsbild - eher sanftmütig. Er mochte Anis auf Anhieb und ließ sich auch bereitwillig von ihr streicheln.

Rin war ein sehr verspieltes Mädchen. Ständig war sie in Bewegung, doch sie war auch sofort still, wenn Sesshoumaru sich beschwerte und meinte, sie würde nerven. Doch diese Ruhe hielt allerhöchstens zwei Minuten an. Dann begann sie wieder leise mit Jaken, Anis oder manchmal sogar mit Ah-Uhn zu flüstern. Dabei wurde sie mit der Zeit immer lauter, bis Sesshoumaru sie wieder zum Schweigen brachte.

Doch das kleine Mädchen war auch sehr wissbegierig. Also hatte Anis angefangen, ihr alles über die verschiedenen Heilkräuter zu erzählen.
 

"Und wozu sind diese großen, flauschigen Blätter gut?" fragte Rin und deutete auf eine große Pflanze, die aus Ah-Uhns Satteltasche ragte.

Die beiden hatten immer hier und da ein paar Kräuter ausgerupft, während sie hinter Sesshoumaru hertrabten, seit sie sich wieder auf den Weg gemacht hatten. Die Pause nach dem Frühstück hatte nicht sehr lange angedauert.

"Die kann man zerstampfen und einen Tee daraus kochen, der das Fieber lindert", erklärte Anis ihrer kleinen Schülerin.

"Ooooh, das ist ja sehr nützlich, nicht?", sagte diese eifrig. Anis schmunzelte und nickte.

"Hast du da auch Kräuter zum verschließen von Wunden?", fragte Rin. Anis nickte wieder und griff kurz in eine der Satteltaschen. Nach kurzem Suchen zog sie ein kleines, faseriges Kraut heraus. "Daraus macht man eine Paste", erzählte sie.

"Wären die auch für deine Verletzungen gut gewesen?", erkundigte sich Rin neugierig.

"Nein, dieses Kraut ist nur für kleinere Schnitte gedacht", antwortete Anis.

"Hm. Sag mal, wer hat dich eigentlich so schwer verletzt?"

Anis senkte den Kopf. Diese Frage hatte sie erwartet und sich auch schon eine Geschichte zusammengedichtet.

"Nun, ich hatte einen Kampf mit einem sehr starken Gegner hinter mir. Die Wunden waren so schwer, dass sie mich vermutlich umgebracht hätten. Doch dann kam Sesshoumaru und sorgte dafür, das meine Verletzungen heilten. Dabei hast du selbst mir ja geholfen. Da er mir somit das Leben gerettet hat, bleibe ich also hier und diene ihm." Die Story war mächtig verdreht, aber im Großen und ganzen stimmte sie sogar irgendwie.

Verstohlen blickte Anis zu Sesshoumaru hinüber. Seine langen Haare, die wie flüssiges Silber aussahen, wehten im Wind. Doch - Täuschte sie sich? - eine einzelne Haarsträne am Rand bewegte sich in die entgegengesetzte Richtung. Fast so, als hätte Sesshoumarus für eine Sekunde daran gedacht, sich umzudrehen. Er hat also gelauscht!, dachte Anis verschmitzt. Was er wohl von ihrer Version hielt?

Anis zog eine Wasserflasche aus einer ledernen Halterung an Ah-Uhns Sattel und trank etwas daraus, während Rin freudig verkündete:

"Jaha, Sesshoumaru ist sehr gütig. Mich hat er ja damals auch gerettet!"

Fast hätte Anis das Wasser hustend und prustend wieder ausgespuckt. Sie hielt sich gerade noch so zurück, was dazu führte, das sie sich verschluckte.

"Das musst du mir genauer erzählen!", forderte sie.

Und Rin erzählte.

Und erzählte.

Und erzählte.

Sie erzählte bis zum Abend und wurde schließlich von Sesshoumaru unterbrochen, der befahl ein Nachtlager aufzuschlagen.
 

Sesshoumaru lehnte an einem Baum. Wieder beobachtete er Anis, die zwischen Rin und dem fast erloschenem Feuer saß. Es war bereits mitten in der Nacht und Rin, Jaken und sogar Ah-Uhn schliefen. Doch die junge Frau war noch hellwach. Die ganze Zeit über hatte Rin gequengelt, sie könne nicht einschlafen. Schließlich hatte Anis sich zu ihr gesetzt und ihr einige Schlaflieder gesungen.

Ihre Stimme klang selbst für Sesshoumaru herrlich, auch wenn er den Text der Lieder ziemlich albern fand. Doch als sie bemerkte, das Rin eingeschlafen war, hatte sie dennoch nicht aufgehört zu singen. Aber ihre Lieder klangen nun anders. Sesshoumaru konnte ihren Text nicht mehr verstehen, sie sang in einer anderen Sprache. Doch auch so wusste der Youkai, wovon das Lied handelte, denn es war voller Trauer und Schmerz. Selbst die Schlaflieder vorhin hatten alles andere als fröhlich geklungen. Doch jetzt war es noch intensiver, vielleicht, weil er die Sprache nicht kannte.

Doch Sesshoumaru war froh, dass sie nicht aufgehört hatte. Ihre wunderschöne liebliche Stimme war eine Wohltat für seine empfindlichen Ohren, die immer nur Rins Gemeckere zu hören bekamen. Er hätte diesem Lied die ganze Nacht lang zuhören können.

Entspannt schloss er die Augen, genoss diesen Augenblick. Seine Achtsamkeit dem Rest der Welt gegenüber ließ keineswegs nach, doch seine Gedanken schienen sich im Takt der Musik allein um Anis zu drehen. Es war völlig neu für ihn, seinen Gedanken freien Lauf zu lassen und einfach nur zuzuhören. Eine wunderbar beruhigende Wärme schien sich in ihm auszubreiten. Das Lied berührte etwas in ihm. Etwas in seinem Herzen, von dem er nie gedacht hätte, das er so etwas besäße.

Die Lippen, von denen sich solch wunderschöne Töne lösten, konnten nicht zu einem gewöhnlichem Menschenweib gehören!

War es vielleicht sogar ein Zauber, dem er hier unterlag? Sofort kam das alte Misstrauen gegen Anis und den Rest der Welt zurück. Sesshoumaru öffnete die Augen wieder.

Er hielt seinen Blick jetzt fest auf das Feuer gerichtet und konzentrierte sich auf das leise Knistern der Flammen. Doch noch immer hörte er Anis' Gesang.

Trotzdem wollte er sie nicht dazu auffordern still zu sein und legte stattdessen etwas mehr Holz nach, um dem Geräusch der brechenden Äste dazu zu verhelfen, die Musik zu übertönen. Es half jedoch alles nichts, denn je lauter das Feuer prasselte, desto mehr spitzte Sesshoumaru die Ohren, um ja kein Wort dieser seltsamen Sprache zu verpassen, die Anis in harmonische Melodien kleidete.

Er hätte sich wohl dagegen wehren können, hinzuhören, doch das Lied klang einfach zu schön, trotz, oder auch gerade wegen seiner Traurigkeit. Sesshoumaru fragte sich, ob Anis selbst einen solchen Schmerz mit sich rumtrug, oder ob das nur eine ihrer vorübergehenden Launen war.

Erst jetzt fiel ihm auf, dass er rein gar nichts über seine unfreiwillige Begleiterin wusste. Woher kam sie, in welcher Sprache sang sie dort, was hatte es mit ihrer seltsamen Kleidung auf sich und vor allem: Was für ein Wesen war sie überhaupt? Doch welche Frage ihm im Moment am meisten beschäftigte: Was machte sie so besonders?! Denn das sie etwas Besonderes war, stand für ihn außer Zweifel. Erstens hatte sie Tessaiga beherrschen können und zweitens hatte er ihren Geruch nicht identifizieren können.

Aber es gab auch einige Sachen, die Anis allein in Sesshoumarus Augen besonders zu machen schienen: allein ihr wundervolles, äußeres Erscheinungsbild, die respektlose Art wie sie zuvor mit ihm umgegangen war, die Tatsache, das sie ihm unendlich viele Rätsel aufgab, von denen er kein einziges lösen konnte und vor allem ihre Lieder, die ein nie gekanntes Gefühl in ihm hervorruften. Dieses Gefühl war sehr schwach, doch da er sonst so gut wie gar keine Gefühle hatte, achtete er unweigerlich besonders darauf. War es etwa das, was die anderen ... Zuneigung nannten? Nein, das ganz bestimmt nicht. Entweder mochte er jemanden nicht, oder er war ihm gleichgültig, aber nie hatte er eine Person wirklich gemocht. Nun ja... außer vielleicht Rin? Wobei diese kleine Göre ihn auch oft genug genervt hatte. Nicht selten hatte man ihn gefragt, was er denn an Rin fände. Sessoumaru wusste die Antwort selbst nicht so recht, aber vielleicht war es die Tatsache, das dieses Mädchen nie auch nur die kleinste Spur von Furcht vor ihm gezeigt hatte, seitdem sie mit ihm zog. Das Menschenmädchen war ihm mit der Zeit doch ein wenig ans Herz gewachsen, doch er würde nicht viel mehr als Bedauern empfinden, sollte sie einmal sterben. Das er sie mit Tenseiga wieder zum Leben erwecken konnte und der Tod in seinen Augen keine Endgültigkeit mehr darstellte, war dabei allerdings auch ein wichtiger Punkt.

Doch selbst der Gedanke an Rin führte Sesshoumaru jetzt wieder zu Anis zurück und eine neue Frage deckte sich auf: Wieso hatte die junge Frau Rin solchen Unsinn erzählt, als diese nach ihren Wunden gefragt hatte?! Er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass Anis sich bei ihm einschleimen wollte, schließlich hasste sie ihn sicher.

Sie hasste ihn.

Warum stimmte ihn das, wenn auch nur ein ganz klein wenig, traurig?

Sessoumaru verstand sich selbst nicht mehr und schob diesen Gedanken rasch wieder beiseite. Es brachte nichts, darüber zu grübeln. Dieses Weib konnte ihm doch gleichgültig sein! Er sollte lieber praktisch denken, das tat er doch sonst auch immer.

Anis hörte auf zu singen. Unwillkürlich wandte sich Sesshoumaru zu ihr um. Im nächsten Moment hätte er sich jedoch dafür ohrfeigen können: Dieses Weib sollte nicht erfahren, wie aufmerksam er ihrem Gesang gelauscht hatte! Oder hatte sie es bereits bemerkt und war deshalb verstummt? Nein, seine Sorge war unbegründet: Anis hatte ihr Lied einfach beendet, stimmte jedoch bereits ein neues an.

Doch Sesshoumaru konnte seinen Blick jetzt nicht mehr von ihr nehmen. Wie gebannt hing er an ihren Lippen, um ja kein Wort des Liedes zu verpassen. Auch jetzt konnte er die Sprache nicht verstehen, doch es klang noch viel wunderbarer als das letzte. Sessoumaru hätte es kaum für möglich gehalten, das sie sich darin noch bessern könnte, doch dies klang so außergewöhnlich, das es mit bloßen Worten nicht zu beschreiben war.

Gleichzeitig aber fragte er sich, wie lange dies hier noch anhalten mochte. Ob Anis nun ein Mensch war oder nicht: Sie brauchte doch sicher ihren Schlaf. Nur Daiyoukai wie er selbst waren überhaupt nicht auf so etwas angewiesen. Doch alle anderen Dämonen hatten doch zumindest eine Zeit, in der sie in einer Art Halbschlaf versanken und vor sich hin dösten. Wenn Anis heute Nacht kein einziges mal die Augen schloss, dann würde sie morgen gewiss nur rummeckern, so etwas kannte er von Rin.

Da Anis Anstalten machte, die ganze Nacht durchzusingen - was ihm sehr wohl gefallen hätte - er aber kein todmüdes, meckerndes Weib am nächsten Tag ertragen wollte, sagte er schließlich leise, aber mit Nachdruck:

"Hey, Weib! Komm her."

Er wusste selbst nicht, wieso er sie aufforderte, zu ihm zu kommen, für das, was er ihr zu sagen hatte, hätte sie auch dort sitzen bleiben können. Aber jetzt war es zu spät seinen Befehl zu widerrufen, denn sie war bereits verstummt und aufgestanden.

Anis kam zu ihm herüber und blieb neben ihm stehen.

"Was wünscht ihr, Sesshoumaru?", fragte sie mit demütig gesenktem Kopf.

Das ging zu weit! Erstmals störte ihre Art ihn nicht mehr, sie missfiel ihm richtig!

"Sprich gefälligst anständig mit mir und setz dich hin", murrte er. Anis folgte seinem Befehl sofort und setzte sich. Ihm wäre es lieber gewesen, sie hätte es nicht getan.

"Rede ich nicht anständig?", fragte sie höflich.

Hatte sie ihn noch immer nicht verstanden? Sie sollte sich nicht vor ihm verstellen! Er wusste doch ganz genau, dass sie ihm sofort ein Messer in den Rücken stoßen würde, ergäbe sich eine Gelegenheit für sie!

"Sprich einfach so, wie du sonst immer mit mir gesprochen hast", forderte er mit einem kühlen Blick. Jetzt war er gespannt auf ihre Reaktion.

Stille.

Gedanken

Jaahaaa, endlich sind alle vier Kommischreiber wieder beisammen und haben ihr Kommentar abgegeben. (Ich geb es zu, DAS war es worauf ich gewartet hab!^^) Also extra für euch, hier das neuste Kapitel. Ein wunderbares Gemisch aus Romantik, Drama, und Aktion. *viel zu sehr übertreib*
 

XxX
 

"Los, spuck's aus, was willst du?", fragte Anis giftig.

Sesshoumaru aber grinste innerlich. Genau das hatte er erwartet. Sie schien viel mehr sie selbst zu sein, wenn sie schimpfte. Ob sie mit allen so redete?

"Warum schläfst du nicht?", fragte der Youkai, doch seine Stimme klang ausdruckslos, ohne jede Emotion. So wie immer eben.

Anis starrte ihn mit sarkastischer Überraschung an.

"Glaubst du wirklich, ich würde mich in einen solchen Zustand der Achtlosigkeit begeben, wenn ein Massenmörder, der mich selbst versuchte umzubringen und dem ich jeder Zeit zu lästig werden könnte, neben mir sitzt und mich beobachtet?! Bisher war ich vielleicht zu schwach dafür, aber von nun an werde ich gewiss in keiner Nacht mehr schlafen, wenn du in der Nähe bist!"

Sesshoumaru hätte viel erwartet, zum Beispiel solch eine lahme Ausrede wie: 'Ich kann nicht einschlafen.' Aber das sie einen wirklichen Grund gehabt hatte...und dann auch noch diesen...Meinte sie das wirklich ernst oder wagte sie es etwa, ihn zu verspotten?! Glaubte sie tatsächlich, er wäre so niederträchtig, eine schlafende Frau zu ermorden?!

"Ich werde dir heute Nacht nichts tun. Du hast deine Aufgaben bisher gut erledigt, auch wenn noch kein Dämon aufgetaucht ist. Solange du dich weiterhin angemessen verhältst, brauchst du von mir nichts zu befürchten. Aber... Ich will, das du dich nicht verstellst, jedenfalls nicht wenn wir allein sind." Seine Stimme war noch immer kühl und hatte jetzt auch einen warnenden Unterton.

Anis musterte ihn mit einem misstrauischen Blick. Befriedigt stellte der Daiyoukai fest, das er sie aus der Bahn geworfen zu haben schien.

"Warum hast du Rin gesagt, ich hätte dir geholfen?", fragte er weiter.

Es wäre doch für jeden sofort klar gewesen, das er NICHT aus reiner Nächstenliebe gehandelt hatte. Das grenzte schon wieder fast an einer Beleidigung.

Anis zog eine Augenbraue hoch. "Meinst du, ich sollte einem Kleinkind erzählen, dass du mich erst halbtot geschlagen hast, nur um mich dann als Werkzeug zu benutzen, um deinem kleinen Halbbruder eins auszuwischen? Meinst du, ich hätte ihr erzählen sollen, wie grausam und kaltblütig ihr großer Held und Lebensretter ist? Tut mir Leid, aber das hielt ich nicht für jugendfrei", erklärte die Frau und klang dabei ebenso kühl wie Sesshoumaru.

Der Youkai dachte etwa eine halbe Sekunde über ihre Worte nach. Tatsächlich wäre es für Rin nicht gerade gut gewesen, hätte sie es aus dieser Sichtweise gehört. Doch er hatte auch noch andere Fragen, Fragen, die ihm schon seit ein paar Minuten auf der Seele lagen. Er dachte dabei keine Sekunde lang daran, dass diese Fragen vielleicht etwas zu persönlich waren...

"Warum sind deine Lieder so traurig?"

"Wie bitte!? Was zum Geier geht dich denn bitte DAS an?!", sagte Anis erbost.

"Ich höre!", antwortete Sesshoumaru mit einem gefährlichem Unterton in der Stimme, der eindeutig besagte, dass seine Geduld sich dem Ende neigte. Er hatte zwar gesagt, dass sie sich nicht verstellen sollte, aber langsam reichte es ihm dann doch!

Anis schien jetzt endlich zu begreifen, dass das eine ernstgemeinte Frage war und sie auch ihr Temperament etwas zügeln musste, dann sagte leise: "Meine Lieder klingen immer traurig. Ich weiß nicht warum und ich kann es auch nicht ändern."

Sesshoumaru sah sie lange nachdenklich an, auch wenn sein kalter Ausdruck keine Sekunde lang von seinem Gesicht wich.

"Vielleicht singst du so traurig, weil du traurig bist", erwiderte der Youkai.

Anis stutzte. Solch eine Antwort hatte sie nicht erwartet.

Was soll das? So etwas hat er noch nie zu mir gesagt. Klar, das könnte jetzt spöttisch gemeint sein, aber so klang es nicht., dachte sie sich. Natürlich, seine Antwort war vollkommen logisch, aber Anis wusste, dass seine Worte einen tiefgründigeren Hintergrund hatten.

Anis dachte an ihre Vergangenheit. Was sollte sie auf ewig so traurig gemacht haben, dass ein solcher Schmerz in ihren Liedern hervortrat? Aber die junge Frau erinnerte sich auch daran, dass dies nicht immer so gewesen war. Sicher hatte es etwas mit dem Tod ihrer kleinen Schwester zu tun. Hastig schob sie den Gedanken beiseite. Das war über zweihundert Jahre her!

Doch sie versteckte ihrer Gedanken vor Sesshoumaru. Seine Nähe machte ihr irgendwie Angst. Dieser kalte Ausdruck, der Anis keinen Einblick in seine Gedankenwelt lies...

"Warum sollte ich traurig sein, abgesehen davon, das ich hier allein mit dir sitzen muss?!", fragte sie gereizt.

Sesshoumaru aber ließ sich jetzt nicht mehr von ihrer vorlauten Art beeindrucken. Im Gegenteil, er hätte fast geschmunzelt.

Aber etwas beschäftigte ihn doch.

Er wollte nicht so recht wahrhaben, das er mehr als nur Gleichgültigkeit für diese Frau empfand. Doch ihr Gesang... Es schien fast, als hätte er ihm die Augen für eine neue Welt geöffnet.

"Liegt ein Zauber in deiner Musik?", fragte er deshalb ruhig. Aber innerlich war er ziemlich aufgewühlt. Er musste die Antwort wissen! Konnten nur zwei Wochen mit diesem Weib wirklich dazu führen, das die jahrhundertelang gefestigte, steinerne Hülle, die sein Herz umgab, so durchlässig geworden war, das ein einfaches Lied ihn berührte?

"Ja", antwortete sie auf seine vorherige Frage. Sesshoumaru war erleichtert. Er hatte schon gedacht, er wäre verrückt geworden! Aber es handelte sich tatsächlich um Magie. Er war also nicht so verweichlicht geworden!

"Aber ein sehr schwacher. Er soll lediglich die Zuhörenden etwas beruhigen. Doch da du ja ein Daiyoukai bist, hat dich der Zauber höchstwahrscheinlich nicht betroffen", fügte sie hinzu.

Und Sesshoumaru fiel aus allen Wolken.
 

Anis musterte den Youkai misstrauisch. Er erwiderte nichts auf ihre Worte, doch sie hätte schwören können, dass sein linkes Augenlid ganz kurz gezuckt hatte. Ansonsten zeigte er keine Reaktion und sein Blick, der wieder aus das Feuer gerichtet war, hatte nichts von seiner unheimlichen Kälte verloren. Es wunderte Anis schon ein wenig, dass er diesen schwachen Zauber überhaupt wahrgenommen hatte. Seine Sinne mussten schärfer sein, als sie gedacht hatte...

"Du solltest jetzt schlafen", sagte Sesshoumaru. Das Gespräch schien sich für ihn erledigt zu haben.

Anis stand auf, erleichtert, endlich aus seiner Nähe wegzukommen. Doch das schien dem Youkai nicht zu gefallen.

"Sofort!", fuhr er sie an. Die junge Frau ahnte, was er meinte und auch, dass er diesmal keine Widerworte dulden würde.

Unsicher legte sie sich neben Sesshoumaru auf den Boden. Doch sie schlief nicht. Sie hielt die Augen offen, bedacht darauf, alles nur nicht den Mann neben sich anzusehen.

Eine ganze Weile lag sie einfach nur so da.

Dann sprach Sesshoumaru wieder: "Du sollst schlafen! Ich habe keine Lust, mir morgen dein Gemeckere anzuhören!"

Jetzt reichte es ihr. Sie setzte sich wieder auf und starrte ihn wütend an.

"Ich hatte vor, dafür zu sorgen, dass das hier nicht meine letzte Ruhestätte wird!", feuerte sie ihm entgegen.

Sesshoumaru stieß ein gefährliches Knurren aus, doch er sagte nichts weiter. Also stand Anis auf und lehnte sich sitzend an einen Baum, der etwas weiter von dem Inuyoukai entfernt war.
 

Die ganze restliche Nacht über spießten sie sich gegenseitig mit giftigen Blicken auf und keiner von ihnen wollte dieses stumme Duell aufgeben. Das warme Gefühl, das Sesshoumaru bis vor kurzem noch verspürt hatte, war gänzlich verschwunden und hatte der üblichen Kälte Platz gemacht.

Gut so.
 

*
 

Hätten Blicke töten können, so würde Rin jetzt wohl zwei Leichen vorfinden, als sie am nächsten Morgen erwachte. So aber lief sie geradewegs zu Sessoumaru, um lautstark zu verkünden, sie habe Hunger.

Dabei geriet sie direkt in die Bahn, auf der sich Sesshoumarus und Anis' vernichtende Blicke trafen. Obwohl sie nur ein kleines Menschenmädchen war, die nichts von dem Gespräch zwischen ihrer Lehrerin und ihrem Meister mitbekommen hatte, lief es ihr eiskalt den Rücken herab.

Das kleine Mädchen wunderte sie allerdings nur kurz, denn ihr Magen begann zu rebellieren.

"Ich hab HUNGER!", rief Rin lautstark, da ihr Magenknurren von den beiden Erwachsenen ignoriert wurde.

Seufzend stand Anis auf. Sie warf Sesshoumaru einen letzten, geradezu tötenden Blick zu, bevor sie sich Rin zuwandte. Sie nahm das Mädchen mit in den Wald, um einige Beeren und Wurzeln für das Frühstück zu sammeln.

Als sie eine Zeit lang unterwegs waren, fragte Rin: " Was war denn da zwischen dir und dem Meister los? Ihr habt euch so komisch angeschaut."

Anis sah sie nicht an. "Es war nichts."

"Aber du hast ihn immer so ärgerlich angeguckt", protestierte das Mädchen.

Ärgerlich ist nicht das richtige Wort, fand Anis, vernichtend kommt der Sache schon näher.

"Wir hatte ein sehr aufschlussreiches Gespräch", antwortete sie schließlich.

"Aber ihr werdet euch doch wieder vertragen, oder?", erkundigte sich Rin, die sich schon denken konnte, wie dieses aufschlussreiche Gespräch verlaufen war.

"Aber sicher werden wir uns vertragen", sagte Anis und fügte in Gedanken hinzu: ...in ein paar Jahren vielleicht.
 

Immer weiter entfernten sie sich vom Lager. Rin wollte unbedingt noch einen Blumenstrauß für Sesshoumaru pflücken. Also suchten sie sich eine schöne Blumenwiese. Diese lag mitten im Wald und war umrahmt von grünen Baumwipfeln.

Doch Anis fühlte, dass etwas die Idylle störte. Sie spürte etwas Böses, das von dieser Lichtung, oder besser gesagt von jemandem auf dieser Lichtung ausging.

Gerade wollte sie Rin zurückrufen, die fröhlich auf die Wiese hinauf rannte, doch es war bereits zu spät.

"AH!", schrie das Mädchen, als sie plötzlich stolperte. Anis kam sofort auf sie zugerannt. Das Ding, das Rin am Weiterlaufen gehindert hatte, stellte sich als ein Schwanz heraus. Als Schwanz einer riesigen, gefiederten Schlange.

Es war eindeutig ein Dämon und er war gar nicht glücklich, von einem kleinen Menschenmädchen aus dem Schlaf gerissen zu werden. Zumal Menschen ja auch eine willkommene Mahlzeit waren...

Laut brüllend richtete die Schlange sich auf. Rin fiel in das Geschrei mit ein und rannte auf Anis zu. Die junge Frau hob das zitternde Mädchen auf ihre Arme und lief dann selbst los, weg von dem Dämon, der seinen monströs langen Körper jetzt langsam in die Höhe wuchtete.

Komplett aufgerichtet war sein Kopf, aus dem eine gespaltene Zunge ragte, in einer Höhe mit den höchsten Baumwipfeln. Das Biest war schrecklich anzusehen. Die schwarzen Federn, die seinen Körper bedeckten, glitzerten wie Stahl im Licht der Sonne. Anis zweifelte nicht daran, das die Ränder der Federn messerscharf waren.

Während der Dämon ihre Verfolgung aufnahm, klammerte sich Rin in den Stoff ihres T-Shirts.

"Rin!"

Die Angesprochene blickte auf.

"Pass auf, ich setz dich jetzt ab. Du läufst einfach diesen Weg hier weiter, verstanden? Dreh dich nicht um, egal was passiert!", sagte Anis rasch.

Das kleine Mädchen wollte widersprechen, doch Anis setzte sie einfach auf den Boden. Dann drehte sie sich um und sah, dass der Schlangendämon schon recht nah war.

"LAUF!", rief Anis, da sich Rin noch nicht bewegt hatte. Tatsächlich gehorchte das Mädchen jetzt endlich und rannte in den Wald hinein.

Anis wandte sich wieder dem Dämon zu.

Dann zog sie Tessaiga.

Es war das erste Mal seit dem Kampf mit Sesshoumaru, das sie die Waffe wieder kampfbereit in der Hand hielt. Sesshoumaru hatte ihr das Schwert gegeben, als sie wieder beide Arme bewegen konnte. Nun würde sie damit ihren ersten Dämon töten.

Anis sah, wie sich die rostige Klinge in ihrer Hand in einen riesigen Stoßzahn verwandelte. Die kleinen, fiesen Augen des Dämons betrachteten Anis und Tessaiga spöttisch. Anis rannte auf den Dämon zu, der sich zu wundern schien, das sein zukünftiges Frühstück ihm so bereitwillig entgegen kam und öffnete sein Maul weit genug, um die Schwertkämpferin mit einem Bissen zu verschlingen. Anis achtete nicht auf die vielen, dolchartigen Giftzähne und setzte ihren Weg unbeirrt fort. Kurz bevor sie zwischen den tödlichen Reißzähnen zermalmt werden konnte, sprang sie in die Höhe. Der Dämon, der seine Zähne schon siegessicher in ihr Fleisch graben wollte, bekam nur Moos und Erde zu fassen, als er mit der Schnauzte voran in den Boden stieß.

Noch im Flug drehte Anis Tessaiga in der Hand und rammte es dem Ungeheuer mit aller Kraft die sie aufwenden konnte, direkt in die Stirn.

Doch Tessaiga wurde von den stahlharten Federn, die wie Schuppen den gesamten Leib des Dämons schützten, abgestoßen!

Anis machte einen Salto rückwärts und landete ein wenig unsanft, aber unverletzt, auf dem Boden.

Die Schlange war jetzt erst recht gereizt und ließ ihren Schwanz, der ebenso gefährlich schien wie ihr Kopf, auf Anis zurasen. Die machte ein Ausweichmanöver, indem sie hastig einen Sprung beiseite tat. Wieder stieß der Dämon mit seinem Kopf zu. Anis bemerkte, dass sie direkt unter einem Baum stand und sich diesmal nicht durch einen Sprung in die Höhe retten konnte. Noch immer kam ihr das geöffnete Maul entgegen. Doch Anis wusste, dass die Schlange, so hart ihr äußerer Schutzschild auch war, an der Innenseite des Rachens verletzlich sein musste. Ein letztes mal hob sie Tessaiga. Sie konzentrierte sich auf die verschiedenen Energien in ihrem Umfeld und deren Schnittpunkte. Diese Punkte bildeten eine Linie und an genau dieser Linie schwang Anis Tessaiga entlang.

Die Windnarbe raste die kurze Strecke auf den Dämon zu. Die Lichtstrahlen trafen direkt in das weit aufgerissene Maul der Schlange. In einer gewaltigen Explosion aus Federn und zerfetzten Fleischstücken wurde die gefiederte Schlange der Länge nach in zwei Hälften geteilt. Doch die Sache hatte auch ein Schlechtes, denn alle Federn wirbelten jetzt in der Luft herum.

Anis hielt das große Schwert schützend vor sich, konnte jedoch nicht verhindern, das zahlreiche Federn ihr die Haut aufritzen. Die Wunden waren allesamt nicht sehr schwer und trotzdem taten sie weh.

Es dauerte ganze fünf Minuten, bis sich der Wirbel gelegt hatte. Keuchend richtete Anis sich auf. Die Attacke hatte ihr sehr viel Kraft abverlangt. Erschöpft steckte sie Tessaiga in die Schwertscheide zurück. Nachdenklich hob sie eine der Federn auf und steckte sie nach kurzem Betrachten in ihre Hosentasche, darauf bedacht, das die scharfen Ränder den Stoff nicht zerschnitten. Sie würde sicher ein gutes Messer abgeben.
 

*
 

"Anis! Da bist du ja! Ich hab schon befürchtet..." Rin kam auf die junge Frau zugerannt und begrüßte sie stürmisch. Ihr Gesicht strahlte. "Du hast den bösen Dämon erledigt, ja?", fragte Rin freudig, nachdem Anis sich neben ihr an der Feuerstelle niedergelassen hatte. Ihre Antwort bestand nur aus einem knappen Nicken, was Rin jedoch sofort zu einem neuen Redeschwall ermutigte: "Ich hab Sesshoumaru gefragt, ob er dir hilft, aber er meinte nur, das wäre nicht nötig."

Anis sah zu Sesshoumaru hinüber. Typisch, von dem hätte ich auch keine Hilfe erwartet, geschweige denn angenommen., dachte sie dabei. Ihr Tod wäre ihm egal gewesen. Wenn sie schon solch einen, noch relativ niederen Dämon nicht erledigen konnte, dann war sie für Sesshoumaru mehr als nutzlos. Sie durfte nur hier - und damit am Leben - bleiben, um in genau solchen Situationen einzuspringen. Andernfalls würde Sesshoumaru sie ohne mit der Wimper zu zucken um die Ecke bringen.

Noch immer schaute sie ausdruckslos zu dem Youkai hinüber, der in diesem Moment aufstand und verkündete: "Wir gehen weiter. Wir haben schon viel zu viel Zeit verloren." Anis unterdrückte ein verächtliches Schnauben und folgte Sesshoumaru, der sich bereits in Bewegung gesetzt hatte. Rin ritt auf Ah-Uhn, da sie noch zu erschöpft von der Hetzjagd war. Jaken hielt sich dicht bei seinem Meister, während Anis neben dem zweiköpfigen Drachen herlief. Keiner wagte zu fragen, wo sie überhaupt hingingen.
 

Anis betrachtete den Daiyoukai jetzt näher.

Seine Rüstung, die sicher nicht so leicht zu zerstören war, wirkte bedrohlich. Tokjin, das an seiner Seite hing, strahlte Gefahr aus. Die Tödlichkeit dieses Schwertes hatte sie selbst schon am eigenem Leib erfahren müssen. Sogar die Hände des Youkais endeten in scharfen Krallen. Sicher konnte er auch damit seine Gegner mit einem Schlag ins Jenseits befördern. Was er noch so alles für Attacken drauf hatte, wollte sie erst gar nicht wissen.

Verstohlen betrachtete Anis ihre eigenen Fingernägel - und wollte unwillkürlich nach ihrer Tasche greifen. Doch da fiel ihr ein, das sie ja sowohl ihre Tasche als auch ihr Schwert in dieser kleinen Hütte gelassen hatte. Nun durchsuchte sie ihre Hosentasche und fand nach einer Weile tatsächlich, was sie suchte: eine Nagelfeile. Für den Notfall hatte sie immer eine in der Hosentasche. Und das hier war ein Notfall! Ihre Fingernägel waren schon geradezu unnatürlich lang, sie musste sie mehr pflegen!

Eine Weile beschäftigte sie sich so unauffällig wie möglich damit, ihre Nägel fein säuberlich abzufeilen. Dann hob sie den Blick wieder - und erstarrte.

Sesshoumaru hatte sich für einen Moment umgewandt und Anis konnte kurz in seine goldenen Augen sehen. Natürlich, wie hatte sie das vergessen können! Genau diese Augen waren es, die seine ganze Gestalt in ein furchteinflößendes Licht tauchten. Alle unangenehmen Eigenschaften schienen in ihnen enthalten zu sein: Grausamkeit, Verachtung, Gewaltdrang, aber auch Gleichgültigkeit, Arroganz, Überheblichkeit und eine alles überwiegende Kälte. Doch nein, richtig böse war er nicht. Anis sah weder Hinterlist, Tücke noch Brutalität, nicht einen Funken dieser typischen Boshaftigkeit, den sie bei dem Schlangendämon beobachtet hatte, in diesen Augen. Doch das wäre Anis vielleicht sogar noch lieber gewesen. Bei einem waschechten Bösewicht wusste man wenigstens, woran man war. Doch bei Sesshoumaru wusste man nie genau, was er als nächstes vor hatte, geschweige denn, das man es verstand.

Irgendwie wurde Anis erst jetzt bewusst, wie gefährlich der Daiyoukai war. Solange sie hier war, schwebte sie in großer Gefahr. Nur eine kurze Bewegung seinerseits und ihr Kopf lag vor seinen Füßen!

Anis war auf diesen Handel, mit ihm zu kommen und Tessaiga zu führen zwar eingegangen, doch sie würde sicher nicht im Kampf mit irgendeinem Dämon sterben, sondern früher oder später von Sesshoumaru persönlich zerrissen werden. Ihre Lebenserwartung würde hier möglicherweise nur noch einige Tage umfassen!

Wie gerne würde Anis jetzt wieder bei Kagome sein, dort war es verhältnismäßig ungefährlich und es gab trotzdem noch genug Aktion.

Anis dachte noch lange über dieses Thema nach. Den ganzen Tag lang sagte sie kein Wort und trottete nur stumm neben Ah-Uhn her.

Erst als die Nacht herein brach machten sie halt, weil Rin lautstark quengelte, sie sei ja soooo müde. Anis selbst war nicht wirklich müde, aber doch etwas erschöpft. Sorgsam achtete sie darauf, dass Sesshoumaru das nicht mitbekam. In der letzten Nacht hatte sie schließlich kein Auge zugetan, was allerdings hauptsächlich damit zusammenhing, das Sesshoumaru sie die ganze Zeit über beobachtet hatte. Meist hatte er sie nicht direkt angeschaut, doch ein Daiyoukai wie er kam auch ohne einen seiner Sinne aus und konnte alles mitverfolgen, was sie tat. Um sich wach zu halten, hatte Anis alle Lieder aus ihrem Gedächnis hervorgekramt, die ihr einfielen. Die meisten waren englisch. Obwohl Sesshoumaru unmöglich auch nur ein Wort von ihr hatte verstehen können, hatte er ihr scheinbar doch die ganze Zeit über zugehört, was sie zunehmend nervös gemacht hatte. Mit der Zeit war sie immer wacher geworden.

Aber der Kampf mit dem Dämon und die anschließende Marschtour hatten sie doch mehr ausgelaugt, als sie zugeben wollte. Trotzdem war sie entschlossen, auch diesmal nicht zu schlafen.
 

Sie kümmerte sich noch kurz um Rin und sorgte dafür, dass das kleine Mädchen einen angenehme Nacht haben würde. Dann setzte sie sich unter den nächsten Baum und schloss die Augen, gerade so weit, das sie durch einen winzigen Schlitz zwischen ihren Wimpern hindurch noch alles erkennen konnte, was auf der Lichtung geschah.

Jaken hatte es geschafft, Ah-Uhn dazu zu bringen, sich endlich niederzulassen. Er schimpfte gerade darüber, wie ungerecht sein Leben doch sei. Gleich darauf warf er sich Sesshoumaru zu Füßen und versicherte ihm, dass er keinesfalls meinte, der Inuyoukai wäre daran Schuld. Zwei Sekunden später zierte seinen Kopf eine große Beule. Anis zweifelte daran, dass Jaken Sesshoumaru tatsächlich beleidigt hatte. Ihm ging wohl einfach nur das Gejammer von dem Krötendämon auf die Nerven.

Nachdem auch Jaken sich endlich zur Ruhe gelegt hatte, war nur noch Sesshoumaru selbst übrig. Er hatte sich ebenfalls an einen Baum gelehnt. Ein Bein angewinkelt und eines ausgestreckt, saß er da und beobachtete seine Umgebung mit wachem Blick.

Anis fiel auf, dass seine Augen nie auf ihr selbst ruhten. Fast, als wollte er sie nicht ansehen. Wie um diese Theorie zu neutralisieren, schaute er jetzt doch in ihre Richtung und in sein Blick hatte mehr von seiner abweisenden Kälte, als sie es je bei ihm gesehen hatte. Sie war erleichtert, dass dieser schreckliche Blick nur eine Nanosekunde an ihr hängen blieb und sofort weiterwanderte.

Ob er wohl dachte, das sie schliefe?
 

Sesshoumaru ließ seinen Blick schweifen. Rin schlief bereits tief und fest. Jaken hatte sich an Ah-Uhn gelehnt und saß in der Haltung eines Wachposten. Doch Sesshoumaru hörte sein gleichmäßiges Atmen und wusste, dass auch er eingeschlafen war. Wahrscheinlich wider Willen. Manchmal fragte er sich wirklich, warum er die beiden in seiner Nähe duldete. Er brauchte keine Gesellschaft! Doch sie störten ihn nicht. Rin war zwar etwas anhänglich und Jaken etwas schleimig, doch das waren nur Kleinigkeiten. Anis war nichts von beidem... Aber sie war frech, vorlaut, respektlos und sie war...! Tja, altbekannte Frage, Was war sie eigentlich? Darauf hatte er noch immer keine Antwort gefunden. Sicher nur ein Mensch, der eben etwas stärker als gewöhnlich war. Vielleicht ja eine Dämonenjägerin? Gut möglich. Das würde auch erklären, woher sie eine Möglichkeit kannte, ihren Geruch vor einem so hochrangigem Inuyoukai wie ihm zu verbergen.

Er hätte sie gern jetzt noch einmal gemustert, doch zugleich wollte er sie auch nicht ansehen. Als er das gestern abend gemacht hatte... Lieber nicht daran denken! Wenn er jetzt im Nachhinein darüber nachdachte, war es richtig schrecklich gewesen! Er sollte darauf achten, ihr nicht wieder so nahe zu kommen. Jedenfalls, bis er herausgefunden hatte, was es mit ihr auf sich hatte.

Ob sie wohl schlief?

Sesshoumaru spitzte die Ohren und lauschte auf ihre Atmung. Er war ruhig und gleichmäßig. Entweder war sie total entspannt, was er sich nicht vorstellen konnte, oder sie war mit ihren Gedanken am anderen Ende der Welt, oder natürlich; sie schlief. Was auch immer: Sie verhielt sich ruhig und das war auch gut so. Es war gut, das sie nicht sang. Auch wenn ein winziger Teil, ganz tief in ihm, es sehr gern gehabt hätte, wenn sie wieder eins ihrer fremdsprachigen Lieder anstimmte. Er hätte sich das nie eingestanden, doch er mochte ihre Stimme. Vorausgesetzt, diese Stimme giftete ihn nicht an.

Nachdem sein Blick jetzt fünfmal hintereinander über Rin, Ah-Uhn, Jaken und dem Rest der Umgebung gewandert war, zwang er sich schließlich doch einmal, in Anis' Richtung zu schauen. Nur grob in die Richtung. Falls sie nämlich tatsächlich doch noch nicht schlief, wollte er sich nicht vorwerfen lassen, dass er ihrem Blick ausgewichen wäre! Er legte so viel Kälte wie möglich in diesen Blick, um seine Ablehnung zu verdeutlichen. Bis ihm auffiel, dass Anis die Augen geschlossen hatte.

Wie er sich wieder anstellte! Bestimmt schlief sie schon längst! Und wenn nicht, war das auch egal. Was machte er sich überhaupt Gedanken darüber?! War doch völlig egal.

Er zwang sich, an etwas anderes zu denken.

Vielleicht würde er ja heute Nacht auf einige seiner unausgesprochenen Fragen eine Antwort finden.

Erste Frage: Warum konnte Anis Tessaiga führen?

Zweite Frage: Was sollte er machen, wenn Anis irgendwann mal einem Dämon gegenüber stand, dem sie nicht gewachsen war?

Dritte Frage: Was, wenn ihm Anis tatsächlich einmal zu lästig werden sollte?

Vierte Frage: Hatte Anis sich nicht eigentlich schon zu viel geleistet?

Fünfte Frage: Wäre es nicht besser, Anis einfach zu töten?

Sechste Frage: Wenn er Anis tatsächlich tötete, was sollte er dann mit Tessaiga machen?

Siebte Frage: Würde Anis versuchen, zu fliehen?

Achte Frage: Wenn Anis wirklich floh oder er sie gar töten musste, was würde Rin dazu sagen?

Neunte Frage: Was würde Anis tun, wenn Inuyasha auftauchte und sein Schwert zurückverlangte?

Zehnte Frage: Waren Anis und Inuyasha die einzigen Personen, die Tessaiga führen konnten?

Moooohoooment mal.

Warum zum Teufel kamen in allen Fragen, die ihm einfielen, Anis' Name vor?! Drehte sich etwa plötzlich die ganze Welt nur noch um dieses Weibsbild und er hatte es nur nicht mitbekommen?! Gab es denn keine andere Frage, über die er nachbrüten konnte?!

Nun, leider fiel ihm da tatsächlich keine andere ein.

Also seufzte er innerlich einmal auf und wandte sich der letzten Frage zu, die wenigstens etwas mit der Beseitigung dieser Frau zu tun hatte. Frage Nummer zehn. Wenn Anis ihr Leben tatsächlich frühzeitig (zum Beispiel durch seine Hand) aushauchen sollte, dann wäre es doch nicht schlecht, einen Ersatz zur Hand zu haben, der Tessaiga ebenfalls für ihn führen konnte. Damit wäre auch Frage Nummer sechs erledigt. Je weniger Fragen, desto besser.

Aber woher sollte er denn wissen, wer eventuell noch dazu in der Lage wäre, Tessaiga zu führen? Er könnte jemanden fragen, der es wusste. Als erstes fiel ihm Totosai ein. Er hatte Tessaiga geschmiedet. Doch den konnte er nicht leiden und er ihn auch nicht. Der Alte würde wahrscheinlich auch nichts preisgeben. Dann wäre da noch Myoga. Der Flohgeist war der beste Berater seines Vaters gewesen und wusste sicher darüber bescheid. Aber nein, das kam gar nicht infrage. Erstens konnte er ihn nicht leiden, zweitens war er ein Angsthase, der sich sofort bei seinem Anblick aus dem Staub machen würde und drittens stand er Inuyasha viel zu nahe. Nun, dann blieb nur noch der alte Baumgeist, aus dessen Ästen die Schwertscheiden für Tenseiga und Tessaiga gemacht worden waren. Auch er wusste sicher gut über das Schwert bescheid. Der Wald, in dem der Baum stand, war hier ganz in der Nähe. Vielleicht sollte er zu ihm gehen? Ja, das schien ihm eine gute Idee zu sein. Es wäre besser einen Ersatz für Anis zu haben. Noch duldete er sie in seiner Nähe, doch das konnte sich jeder Zeit ändern.
 

Anis bewegte sich nicht. Sie sammelte Kräfte. Morgen musste sie gut ausgeruht sein! Und auch in den darauf folgenden Tagen. Denn diese Tage mochten über ihre gesamte Zukunft entscheiden. Dann wollte sie bereit sein. Bereit für den Tag, an dem Sesshoumarus Achtsamkeit nachließ. Bereit für den Tag, an dem er die kleine Gruppe für ein paar Tage aus den Augen ließ.

Denn in dieser Nacht plante sie ihren ersten Fluchtversuch.
 

XxX
 

Tja, das wäre ja auch langweilig gewesen, kämen die beiden jetzt schon zusammen.

Ich habe übrigens überlegt, ob Sesshoumaru Anis nicht doch noch töten soll. Das wäre doch mal etwas abwechslungsreicher. Naja, mal sehen.

Ich hoffe ihr haltet das durch und ich kann mich auf eure Kommis verlassen! *auf Knien rumrutsch* Bitteeeee macht weiter so!

Der erste Fluchtversuch

Ihr seit viel zu schnell! Ich hab mich ja wirklich ganz doll gefreut, das ihr so schnell Kommis geschrieben habt, aber bei dem tempo komm ich nicht mit! Ich schreibe gerade das neunte Kapitel und das ist gerade das Geheimnis, warum ich so schnell hintereinander die Kappis hochlade: ich hab sie alle schon fertig. Aber wenn ihr so weitermacht, dann wird es in Zukunft viel länger dauern, bis das nächste kapitel kommt. Ich hab mir zwar vorgenommen, immer das nächste kapitel hochzuladen wenn ihr alle vier das letzte gelesen habt, aber es ist möglich, das das eben bald nicht mehr geht. Ich ahb zwar noch zwei kappis parat, die ich sofort reinstellen könnte, aber dann ist für längere Zeit erstmal Schluss, bis ich das nächste fertig hab.

Euch ist vielleicht aufgefallen, das ich den Untertitel verändert habe. Ich hab nämlich überlegt, ob ich die ff doch etwas kürzer fasse. Gut, ich könnt auch abbrechen, aber dann würdet ihr mich wohl umbringen.

Naja, trotz allem hier schon das neue kappi. (Ich verwöhn euch viel zu ssehr aber bei so tollen kommis werd ich einfach schwach...)
 

XxX
 

Anis rannte. Sie rannte so schnell sie ihre Beine trugen. Seit Stunden tat sie das schon. Ihre Füße hatten Blasen bekommen und ein fürchterliches Seitenstechen plagte sie, doch sie rannte weiter. Gestern hatte sie eine kleine Pause eingelegt, doch seit dem rannte sie weiter. Vor einer Woche war sie aufgebrochen. Vor einer Woche war Sesshoumaru verschwunden, natürlich ohne einen Grund zu nennen. Seit einer Woche war sie frei. Und auf der Flucht. Sie schlief nicht, sie aß kaum etwas und machte nur manchmal eine kleine Pause, wenn sie sonst vor Erschöpfung zusammengebrochen wäre.

Natürlich, Menschen waren bei weitem nicht so schnell wie Youkai und ihre Geschwindigkeit war nun einmal die eines Menschen. Aber wenn sie es wenigstens schaffte, bei Kagome und ihren Freunden anzukommen, bevor Sesshoumaru sie erreicht hatte, dann wäre sie vielleicht schon gerettet. Es gab zwar noch die winzigkleine Hoffnung, das Sesshoumaru sich nicht die Mühe machte sie zu verfolgen. Aber das bezweifelte sie. Das sie geflohen war, war eine noch größere Beleidigung, als sie es mit bloßen Worten zustande gebracht hätte, und das wollte schon was heißen! Damit würde sie nicht durchkommen, wenn er sie erwischte. Sie wusste: Wenn ihre Flucht nicht gelang, dann war ihr Leben verwirkt. Wenn der kaltblütige Youkai sie jetzt zwischen die Finger, oder besser Krallen bekommen würde... Lieber nicht daran denken. Ihre Entscheidung war die richtige gewesen. Und sie bereute sie keineswegs.

Unwillkürlich legte sie einen Zahn zu. Sie zwang sich, ihren Atem gleichmäßig zu halten und ihr Herz nicht so schnell schlagen zu lassen.

Die Flüchtende hatte schon eine große Strecke geschafft und sie dankte ihrem Vater stumm für die vielen Übungsstunden, die so gut durchtrainiert gemacht hatten.

Anis wünschte sich im Moment nichts sehnlicher, als endlich bei Kagome anzukommen. Die einzige Person hier, die aus der Neuzeit kam und sie vielleicht verstehen konnte. Außerdem hatte sie gesehen, wie sie Essen mitgenommen hatte. Viel Essen. Fertigessen. Dosenfutter. Lecker!

Sie war einfach zurück zu diesem Dorf - Wie hieß es noch mal? Ach ja - Musashi gelaufen, in der Hoffnung, die Gruppe dort noch anzutreffen. Vielleicht hatten sie ja auf sie gewartet? Unwahrscheinlich. Sie war schließlich schon einen halben Monat weg.

Anis lief noch schneller. Bald würde sie Musashi erreichen.
 

Moment mal. Was war das?

Shit!, fluchte Anis innerlich und ließ sich aus dem vollen Lauf heraus instinktiv zu Boden fallen. Keine Sekunde zu früh.

"SANKONTESSOU!", brüllte eine ihr nur zu bekannte Stimme.

Anis hörte, wie lange Krallen die Luft zerfetzten, als eine Gestalt über sie hinwegsprang. Kaum war der Angreifer wieder gelandet, da sprang Anis wieder auf die Beine. Der Besitzer der Krallen fuhr herum. Er hätte eine Nagelpfeile auch gut vertragen können...

"Hey du Rüpel, was ist denn das für ein Empfang?!", schrie sie ihren Gegner an.

"Hä?", machte der Hanyou nicht sehr intelligent und kniff die Augen zusammen. Scheinbar blendete ihn das Licht der Sonne, doch jetzt schien er sie zu erkennen.

"Oh, du bist's... Hab dich gar nicht erkannt...", stotterte er jetzt auf einmal schuldbewusst.

"DU HAST MICH NICHT ERKANNT?!", kreischte Anis, die langsam die Nerven verlor.

"Nun beruhig dich doch mal. Kagome sagte, hier gäbe es einen Juwelensplitter und... irgendwie hab ich geahnt, dass Tessaiga hier in der Nähe ist...", erklärte ihr Gegenüber hilflos. Anis sah ihn geradezu verächtlich an. Wie konnte man nur so dumm sein?!

"Und da hast du nicht eine kleine, mickrige Sekunde daran gedacht, dass ich es sein könnte?! Wie blöd bist du eigentlich, Inuyasha?!", sagte sie giftig.

Inuyasha schien jetzt doch ein wenig wütend zu werden.

"Entschuldigung, aber ich dachte - " Er stutzte.

Langsam ging er auf Anis zu - und schnüffelte. Die junge Frau beobachtete das mehr als misstrauisch, bis er sich wieder dem Gespräch zuwandte:

"Sag mal, was ist denn mit dir los? Du stinkst ganz fürchterlich nach... Gras oder sowas..."

"Immer noch? Sehr gut!"

"Hä?"

"Ich hab mich mit so nem komischen Kraut eingerieben, damit er meinem Geruch nicht folgen kann", erklärte sie.

"Wer? Wen meinst du?" Inuyasha hatte mal wieder überhaupt keinen Durchblick.

"Na den Weihnachtsmann natürlich, wen sonst!?", spottete Anis sarkastisch.

"Was für'n Weihnachtsmann, wir haben doch jetzt Sommer...", erwiderte Inuyasha.

"Heiliger Affenfurz, wie dumm bist du eigentlich?! Ich rede natürlich von deinem allseits geliebten Bruderherz!" Anis konnte es kaum fassen.

"Und wer soll das sein?", fragte Inuyasha.

Will der mich verarschen?!

"Sag mal, wie viele Brüder hast du eigentlich?", fragte sie betont ruhig, als wolle sie einem kleinen Kind erklären, dass eins plus eins zwei ergibt.

"Ähm, gar keinen. Nur einen Halbbruder, aber der ist bestimmt nicht allseits geliebt!", sagte Inuyasha.

Anis stöhnte.

"Hast du schon mal was von Sarkasmus oder Ironie gehört?", fragte sie mit gelangweilter Stimme.

"Nein. Was ist das?" Hätte Anis nicht eine so enorme Selbstbeherrschung, dann wäre sie jetzt in Ohnmacht gefallen. Der hatte die Blödheit mit Löffeln gefressen! Oder aber, diese Wörter waren im Mittelalter nicht bekannt.

"Dann vergiss alles was ich jemals zu dir gesagt habe!"

Es war kurz still, dann sagte Inuyasha:

"Sag mal, warst du nicht bei Sesshoumaru? Bist du ihm entkommen?"

Anis stöhnte noch mal und schlug sich mit der Handfläche gegen die Stirn.

"Blitzmerker. Bring mich einfach zu Kagome, okay?", verlangte Anis.

"Erst gibst du mir Tessaiga zurück!", sagte Inuyasha aufgebracht.

"Ach ja, das...", erwiderte Anis nur gelangweilt. Dann gab sie ihm das Schwert, das sie sich mit einem behelfsmäßigem Gurt um die Hüfte gebunden hatte.

"Ist übrigens ein vollkommen unpraktisches Ding. Viel zu groß. Kein Wunder, das du so schlecht kämpfst." Anis hatte den Hanyou zwar nur einmal kurz im Kampf gesehen, doch das genügte schon, um sich ein Bild von seiner Schwertkunst zu machen. Zu ihrer Überraschung erwiderte Inuyasha nichts auf ihre Beleidigung. Wahrscheinlich bekam er das öfter zu hören. Was für ein aaaarmer Hanyou!
 

*
 

"Sesshoumaru, wisst ihr, wo Anis ist?", fragte Rin. Sesshoumaru antwortete nicht. Aber er hätte es selbst gern gewusst. Wo trieb sich dieses Mistding schon wieder rum?

"Sesshoumaru? Anis ist nicht da!", sagte das Mädchen jetzt etwas lauter. Doch der Youkai zeigte noch immer keine Reaktion. Ist mir vollkommen gleichgültig wo dieses Weibsbild sich aufhält, dachte er sich.

"Ich dachte, sie wäre euch nachgelaufen! Ich hab sie seit einer ganzen Woche nicht mehr gesehen!", klagte die Kleine weiter. Jetzt wurde auch Sesshoumaru hellhörig. Seit einer Woche? Sie war also gleich nach ihm verschwunden?

Vor sieben Tagen war er nämlich zu dem Baumgeist Bukuseno gegangen und hatte sich erkundigt, was genau die Leute ausmachte, die Tessaiga führen konnten. Doch die alte Magnolie sagte nur, dass diejenigen in der Lage dazu seien, die etwas für Menschen empfanden. Das war ja nichts Neues, doch er machte auch noch einmal deutlich, das derjenige auch genug eigene Energie besitzen musste, um Tessaigas Kräften standzuhalten. Na toll. Anders gesagt hieß das: eine starke Person, die weder Menschen noch Dämonen verabscheute. Menschen und Dämonen waren aber nun mal seit Urzeiten miteinander verfeindet. Menschen hassten Youkai und Youkai hassten Menschen. Meistens. Die, die anders waren, wurden umgebracht. Hanyous. Deren Eltern.

Aber Anis sah nicht wie eine solche Person aus. Sie schien fast, als wüsste sie nichts von dieser Feindschaft. Aber das war doch unmöglich - oder? Unsinn, jeder wusste davon! Sonst müsste sie schon von einem anderen Planeten kommen. Oder zumindest aus einem anderen Land. Oder einer anderen Zeit. Sesshoumaru wusste ja nicht, das Anis sowohl aus einem anderen Land als auch aus einer anderen Zeit stammte.

Nun, das sie nichts davon wusste, würde ihr Verhalten erklären. Aber nicht die Tatsache, das Tessaigas Energien ihr nichts ausmachten. Na bitte, in ihr musste also doch etwas Dämonenblut fließen! Ob sie wohl eine Halbdämonin war?

Über diese Dinge hatte er den ganzen Weg über nachgedacht. Deswegen war er auch nicht so schnell vorangekommen, zumal Bukusenos Lichtung doch nicht so nah gewesen war, wie er zuerst dachte.

"Sesshoumaru, sie kommt doch bestimmt wieder, oder? Sie würde doch nicht einfach gehen, ohne sich zu verabschieden, oder?", klagte Rin erneut.

Gute Frage. Das wüsste er auch gerne. War sie tatsächlich so lebensmüde und hatte sich aus dem Staub gemacht?

Unwillkürlich reckte er die Nase in den Wind und sog die Luft ein.

Er glaubte nicht wirklich daran, sie noch zu riechen, wenn sie schon seit einer Woche weg war. Deswegen war er milde überrascht, als er ihren Geruch nicht weit von ihm wahrnahm.

Ohne ein erklärendes Wort zu verlieren, ging er in diese Richtung los. Erst langsam, doch als er außer Sichtweise seiner Begleiter war, wurde er schneller.

Der Geruch kam immer näher.

Schließlich tat sich vor ihm eine weite Lichtung auf. Doch Sesshoumaru hatte keine Augen für die herrliche Pracht und Vielfalt der Blumen, die hier wuchsen. Langsam trat er auf die Wiese hinaus.

Hier irgendwo musste sie sein. Ihr Geruch war allgegenwärtig, der Geruch, den er nie hatte identifizieren können. Er war schon fast zu intensiv. Doch woher kam er? Verdammt, er kam von überall! Sie konnte doch nicht überall gleichzeitig sein!

Noch einmal schnüffelte er. Die Quelle dieses Duftes... sie war... unter ihm?! Sesshoumaru kniete sich auf den Boden.

Dann fiel es ihm wie Schuppen vor den Augen.

Er rupfte eine der kleinen, violetten Blumen ab und roch daran. Kein Zweifel, das war der Geruch, der auch Anis immer umgab.

Kalte Wut stieg in ihm auf. Dieses hinterhältige Weibsbild musste sich mit dieser Pflanze eingerieben haben, um ihren wahren Geruch zu verbergen. Wie hatte er sich nur so täuschen lassen können?! Dieses Miststück verbarg irgendein Geheimnis und verdammt noch mal, er würde es herausfinden, selbst wenn es Jahre dauern sollte!

In seinem Gesicht hätte man selbst jetzt nicht ablesen können, wie wütend er war, als er sich nun aufrichtete. Er wusste nun, warum Anis nicht am Lagerplatz gewesen war. Sie musste geflohen sein. Sie hatte zwar schon einen weiten Vorsprung, doch Sesshoumaru wusste ja auch, wo sie hingegangen war. Das war klar. Zu seinem Halbbruder musste sie gegangen sein.

Zornig wandte sich der Youkai um und machte sich auf den Rückweg.
 

*
 

Anis trat an Inuyashas Seite auf die Lichtung. Da saßen sie und schauten sie alle mit großen Augen an. Sango, Miroku, Shippo, Kirara und natürlich Kagome. Anis konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Kagome war es schließlich, die das Schweigen brach:

"Anis, du - hier? Ich meine...äh..." Ihr blieben die Worte im Hals stecken.

"Hallo erstmal!", begrüßte die junge Frau ihre Freundin lachend. Kagome sprang auf und die beiden umarmten sich erstmal.

"Ich bin echt froh, dich endlich wieder zu sehen. Aber sag mal, wie bist du eigentlich Sesshoumaru entkommen? Ich hab doch gesehen, wie er dich verschleppt hat", sprudelte Kagome los.

Die Angesprochene zuckte nur mit den Schultern und meinte:

"Ich hab einfach die Gelegenheit ergriffen, als er gerade nicht da war und bin dann hergelaufen." Sie war eigentlich nicht hierher gekommen, um ihre Lebensgeschichte zu erzählen.

"...und damit der Mistkerl ihr nicht folgen kann, hat sie sich mit irgendwelchen Kräutern eingerieben", fügte Inuyasha hinzu, um auch einmal etwas Gescheites zu sagen, "Aber davor hast du auch schon so komisch gerochen! Es war nur nicht so stark..."

Kagome sah Anis fragend an.

Anis warf in einer eleganten Geste ihre langen Haare zurück.

"Ich benutze Lavendelparfüm. Ist ziemlich stark das Zeug. In der Nähe des Lagers hab ich ein Lavendelfeld entdeck und mich damit eingerieben. Jetzt riech ich wahrscheinlich doppelt..." Das entsprach zwar nicht ganz der Wahrheit, aber mehr mussten die anderen nicht wissen.

Sango und Miroku waren jetzt auch dazu gekommen.

"Ich hab da auch mal eine Frage: Warum hat Sesshoumaru dich überhaupt mitgenommen und dich auch später nicht einfach umgebracht?", fragte Sango.

"Ich sollte ihm mit Tessaiga lästige Dämonen vom Hals halsten und mich um Rin kümmern", antwortete sich kurz angebunden.

"Ich hätte da auch noch eine Frage" , sagte Miroku und trat einen Schritt näher, "Hättest du die Güte, mir ein Kind zu gebären?"

Sango, die sich bereits mit gezücktem Bumerang hinter dem Mönch platziert hatte, als dieser gerade den Mund aufmachte, ließ ihre Waffe jetzt mit voller Wucht auf Mirokus Kopf niedersausen. Das gab ein wunderschönes Geräusch, das in allen Ohren nachklang, während auf dem Kopf des Unglücklichem eine große Beule anzuschwellen begann.
 

*
 

Sesshoumaru kochte vor Wut. Seine Augen leuchteten bereits in einem bedrohlichem Rot. Doch das konnte man nicht sehen, denn der Youkai bewegte sich in seiner Energieform. Man sah nur einen weißen Blitz, der mit unglaublicher Geschwindigkeit durch die Landschaft raste. Nur ab und zu hielt die Gestalt inne, um zu überprüfen, ob sie auch auf der richtigen Spur war.

Den Geruch des Krautes zu verfolgen, hätte selbst für Sesshoumaru Tage gedauert. Stattdessen bewegte er sich einfach in Richtung des Dorfes, in dem er Anis zum ersten Mal getroffen hatte. Sicher trieb sich dort auch sein Halbbruder rum und sicher würde Anis auch dort hin gehen. Manchmal blieb er aber stehen und suchte eine Zeit lang, bis er den Duft der violetten Blume wieder in der Nase hatte. Dann richtete er seinen Kurs neu aus. Zweimal schon war er deshalb in die Irre geführt worden und hatte sich auf einer Lichtung wiedergefunden, auf der diese verfluchten Blumen wuchsen.

Dennoch würde er für den Weg, den Anis in einer Woche zurückgelegt hatte, nur einige Stunden brauchen.
 

*
 

"Inuyasha, schmatz doch nicht so!", sagte Kagome streng.

Sie hatte für den Hanyou seine heißgeliebten Fertignudeln gemacht.

"Abersch Chagoschme, isch schmatz doch gar nischt!," protestierte Inuyasha mit vollem Mund.

"Lass ihn nur, Kagome", sagte Anis, die ihr Essen bereits heruntergeschlungen hatte. Sie hatte ja seit Tagen nichts Ordentliches mehr gegessen.

"Wenn er so schnell isst, bemerkt er vielleicht die Regenwürmer nicht, die mir aus Versehen in sein Essen gefallen sind." Anis zwinkerte Kagome zu und grinste.

Inuyasha hielt sofort im essen inne und starrte Anis entsetzt an. Dann spuckte er das, was er gerade im Mund hatte, im hohen Bogen aus und sagte:

"Buäh, jetzt ist mir der Appetit vergangen." Er glaubte tatsächlich, in seinem Essen wären Würmer.

Kagome fing an zu lachen. Sie wusste genau, dass Anis Inuyashas Portion nicht einmal angefasst hatte. Doch das behielt sie für sich.

"Du willst das nicht mehr? Na dann, gib her!", verlangte Anis und griff sich Inuyashas Schüssel. Dieser starrte sie angewidert an, als sie die Nudelsuppe verputzte. Als die junge Frau fertig war, sagte sie:

"Hm, lecker. Und vollkommen würmerfrei."

Dem Hanyou klappte die Kinnlade herunter.

"Da sind KEINE - zeig mal her!" Blitzschnell griff er nach dem Plastebecher. "Och, du hast ja alles aufgegessen! Von wegen Würmer, das wirst du bezahlen!", drohte er dann und wollte sich gerade auf Anis stürzen, da rief Kagome:

"SITZ!"

BADONG!

Der Hanyou knurrte beleidigt, als er auf dem Boden aufkam.

Anis schien allerdings noch immer Hunger zu haben. Sie warf jetzt einen vielsagenden Blick aus Sangos Sushi. Die Dämonenjägerin bemerkte das durchaus und zischte:

"Nix da, du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich dir glaube, bei mir wären Würmer drin!"

"Stimmt, bei dir waren es Spinnen", erwiderte Anis voller Ernst.

"SPINNEN?!", schrie Sango entsetzt.

"Ja, aber nur die Beine. Der Rest ist in Mirokus Salat", sagte Anis nachdenklich.

Sowohl Sango als auch Miroku schoben jetzt hastig ihre Mahlzeit beiseite.

Dann fragte Shippo vorsichtig:

"Aber bei mir hast du doch nichts reingemacht, oder?"

"Wieso, schmecken dir die Froschschenkel nicht?", fragte Anis erstaunt.

Shippo würgte.

Kagome kugelte sich vor Lachen und bald fiel auch Anis in das Gelächter mit ein. Während sich die hungrige Frau jetzt schnell über das verschmähte Essen hermachte, schlang Kagome hastig ihres runter, bevor ihre Freundin ihr auch das vermiesen konnte.

"Ihr glaubt aber nicht wirklich, dass ich da was reingemacht habe, oder?", erkundigte sich Anis, jedoch erst, als sie alles aufgegessen hatte, was erstaunlich schnell ging.

"Nein, aber die bloße Vorstellung...dass da Spinnen... üühääh...", Sango würgte, "Mir ist schlecht!" Sie sprang auf und verschwand hinter dem nächsten Baum, wo sie sich übergeben musste.

"Mir auch!", rief Shippo und folgte ihr.

Kagome schüttelte nur den Kopf. Anis war ja schlimmer als Inuyasha und das wollte schon was heißen!

"Ach übrigens, du hast deine Sachen in Kaedes Hütte vergessen. Warte - ich hab sie hier irgendwo...", sagte Kagome und fing an in ihren Sachen herum zu wühlen, die alle um ihren großen, gelben Rucksack verteilt waren. Schließlich zog sie eine lange Schwertscheide und Anis' Tasche hervor.

"Ah, dankeschön!", sagte Anis, als sie beides entgegennahm.

Die junge Frau befestigte sich die lederne Scheide auf ihrem Rücken. Dann warf sie ihre langen Haare zurück, fast als ob sie es rasch wieder verdecken wollte.

"Was ist das eigentlich für ein Schwert?", fragte Miroku.

"Ja, und woher hast du es? Es ist nämlich eindeutig ein magisches Schwert. Ich hab allerdings nicht rausgefunden, was das besondere daran ist", fügte Inuyasha hinzu.

"Mein Schwert heißt Klingenecho. Wenn ich es schwinge, lösen sich bis zu zehn scharfe Klingen aus Licht von dem Schwert und fliegen durch die Luft. Allerdings werden sie auf große Entfernung immer schwächer und verschwinden irgendwann. Wie bei einem Echo eben", erklärte sie. Kagome lief ein Schauer über den Rücken. So ein Schwert gehörte bestimmt nicht in die Neuzeit!

"Es ist schon seit Jahrhunderten in unserer Familie. Ich hab es in der Neuzeit selbstverständlich noch nie benutzt. Ich weiß nicht, ob es überhaupt funktioniert. Ich hielt es für eine Legende, doch wenn Inuyasha sagt, dass es ein magisches Schwert ist...", erklärte Anis weiter.

Doch Kagome wusste nicht so recht, ob sie ihr noch glauben sollte. Anis verbarg ein Geheimnis, da war sie sich sicher. Mittlerweile zweifelte sie sogar schon daran, dass sie tatsächlich ein Mensch war.

"Und? Was ist hier so los gewesen, während ich nicht da war?", fragte Anis und Kagome hätte schwören können, dass sie nur das Thema wechseln wollte.

"Nichts besonderes. Wir haben einen weiteren Juwelensplitter gefunden und Naraku hat seine Abkömmlinge einmal ausgeschickt, aber wir konnten sie zurückschlagen. Und ich war zwischendurch einmal in der Neuzeit", sagte Kagome.

"Hm", machte Anis nur und untersuchte ihre Tasche.

"Ich hab mit deiner Mutter geredet", fuhr sie fort.

"Was?!" Äh...ich meine...WIE BITTE!?" Anis starrte Kagome geradezu entsetzt an.

"Was hast du denn? Ich musste ihnen doch irgendwie erklären, wo du drei Wochen lang warst!", empörte sich das schwarzhaarige Mädchen. Sie fand ihre Reaktion reichlich übertrieben.

Anis wollte jetzt unbedingt wissen, wie dieses Treffen verlaufen war. Also fing Kagome an zu erzählen:
 

~~~Flashback~~~
 

Kagome fühlte sich unwohl. Sie stand vor der Tür des riesigen Hauses und konnte sich einfach nicht dazu durchringen, auf die Klingel zu drücken. Wie sollte sie Anis' Familie erklären, warum ihre Tochter seit ein einhalb Wochen verschwunden war und wohl auch in nächster Zeit nicht mehr auftauchen würde?! Wie sollte sie ihnen erklären, dass sie vielleicht sogar schon tot war? Ursprünglich hatte sie ja nur vorgehabt, ihre neue Mitschülerin für ein Wochenende mitzunehmen. Es war überhaupt schon ein Wunder, dass noch niemand nach ihr suchte. Es war ihr vollkommen schleierhaft, warum das so war. Ihre Eltern mussten sich doch große Sorgen machen!

Letztendlich war sie zu dem Schluss gekommen, ihnen alles zu sagen. Die Wahrheit.

Seufzend drückte sie auf den Klingelknopf. Irgendwo tief im Haus läutete eine Glocke.

Eine halbe Sekunde später wurde die Tür aufgerissen.

Vor ihr stand eine Frau, etwas dreißig Jahre alt, schätzte Kagome. Sie sah Anis nicht sehr ähnlich. Ihre Haare waren etwas so lang wie ihre eigenen, doch sie waren blond. Ihre Augen waren braun und ihr Gesicht etwas blass. Obwohl es ein sehr heißer Tag war, trug die Frau eine langärmliges Oberteil und einen langen blauen Rock.

"Du bist Kagome, nicht war? Sicher bist du wegen Anis hier. Ich bin ihre Mutter.", sagte Frau Vanderobe, "Komm doch rein."

Unsicher trat Kagome ein. Die Wohnung hatte sich nicht verändert. Natürlich nicht. Die Wände waren mit einem warmen Rotton gestrichen. Es war unerträglich heiß.

"Kommt Anis bald wieder zurück?", fragte Frau Vanderobe beiläufig, während sie Kagome in eine Art Wohnzimmer geleitete. Im Raum hingen große rote Fächer an den Wänden, die wenigen Möbel waren dunkelbraun.

"Ich...weiß es nicht so genau...", stotterte Kagome

"Gefällt ihr das Mittelalter?", fragte sie weiter.

"Wie bitte?! Sie...Sie hat ihnen erzählt...wo wir hingegangen sind?", fragte Kagome perplex.

"Aber sicher. Auch wenn es ihrem Vater nicht sehr gefallen hat, dass sie dir ihren Juwelensplitter versprochen hat", antwortete Anis' Mutter.

In diesem Moment hörte Kagome, wie ein Schlüssel im Schloss umgedreht wurde. Eine dunkle Männerstimme rief:

"Kantashira!"

"Sí, que es?", antwortete Kantashira.

"No sabía cuál atención esperamos. Quién es ése?", fragte die Stimme.

"Eso es Kagome", sagte Kantashira. Kagome hatte kein Wort verstanden, doch zuletzt hörte sie ihren Namen heraus.

Jetzt kam ein Mann ins Wohnzimmer. Er hatte normale Kleidung an, sah aber trotzdem etwas seltsam aus. Sein Haar war feuerrot, was im krassen Gegensatz zu seinen leuchtend grünen Augen stand. Das Gesicht war ausdruckslos. Er war wohl etwas älter als seine Frau Kantashira und sehr kräftig gebaut. Seine Augen musterten Kagome kühl, was das Mädchen unheimlich an Sesshoumaru erinnerte. Auch wenn dieser Mann hier weitaus weniger schlimm war.

"Das ist Sukerumaru, mein Mann", erklärte Kantashira Kagome.

"Sukerumaru, holst du bitte Mitsura ab? Sie stellt sonst wieder Unsinn an", sagte Anis' Mutter. Sukerumaru nickte kurz und verließ das Zimmer wieder. Kurz darauf hörte man eine Tür zuschlagen.

"Mitsura ist die große Schwester von Anis. Sie treibt sie in den unmöglichsten Gegenden um Tokyo herum. Anis hat auch noch zwei große Brüder, doch die wohnen nicht mehr hier. Ihre kleine Schwester ist leider vor einigen Jahren verstorben", erzählte Kantashira, jetzt wieder an Kagome gewandt. Ihr Gesicht hatte einen traurigen Ausdruck bekommen und Kagome fragte lieber nicht nach, wie Anis' Schwester gestorben war.

"Nun...wegen Anis...Es gab leider einen Zwischenfall und wir wissen nicht, wo sie sich jetzt aufhält", sagte Kagome zögernd.

"Oh...Das ist schade. Hoffentlich kommt sie bald wieder zurück", murmelte Kantashira abwesend.

"Ich glaube, sie versehen mich nicht richtig. Es ist möglich, das sie nie wieder zurück kommen kann!" Kagome musste das so deutlich sagen, Anis' Familie sollte es wissen. Sie spürte, wie ihre eigenen Augen feucht wurden.

"Nein, nein...Sie ist nicht tot. Anis ist sehr zäh." Frau Vanderobe schien mit den Gedanken ganz woanders zu sein.

"Nun ja... Vielleicht haben sie ja recht. Ich hoffe sehr, es geht ihr gut", sagte Kagome und stand auf. Kantashira war zwar nett, aber irgendwie auch unheimlich. Sie wollte so schnell wie möglich raus aus diesem Haus.

Kantashira begleitete sie zur Tür. Als Kagome sich von ihr verabschiedet hatte und die Tür wieder zu war, hörte Kagome ein leises Rasseln und drehte sich um. Eine junge Frau kam die Auffahrt heraufmarschiert. Sie war wohl nur einige Jahre älter als Anis und hatte lockige, braune Haare, die sie zu einem seitlichem Pferdeschwanz zusammen gebunden hatte. Ihre Augen waren blau und ihre Kleidung war schlichtweg cool.

Sie trug ein schwarz-weiße gestreiftes Top mit der Aufschrift 'Rebell'. Dazu einen weißen Minirock und lange schwarze Stiefel, die bis zu ihren Knien reichten. An ihren Armen klimperten viele silberne Kettchen und Armreifen und ihre runden Ohrringe waren ebenfalls silbern.

Doch sie schien keinesfalls glücklich zu sein, sondern hatte ein Gesicht wie sieben Tage Donnerwetter aufgesetzt. Vielleicht hing das damit zusammen, das sie von von einem recht zornigem Sukerumaru beobachtet wurde, der neben ihr lief. Dies musste Mitsura sein, Anis' ältere Schwester.

Da Kagome schon fast hören konnte, wie die Luft zwischen den beiden knisterte, machte sie sich lieber schleunigst aus dem Staub.

Auf dem Weg zurück machte sie sich Gedanken über diese seltsame Familie. Ihr war aufgefallen, das die Familienmitglieder alle unterschiedliche Haarfarben hatten. Seltsam...
 

~~~Flashback Ende~~~
 

Kagome beendete ihren Bericht. Anis hatte sie kein einziges Mal unterbrochen und sagte auch jetzt kein Wort. Dennoch schien sie fast ein wenig...erleichtert zu sein.

Inuyasha, Miroku und Sango hatten nicht sehr genau hingehört, sie waren anderweitig beschäftigt.

"Wollen wir jetzt nach hause gehen?", fragte Kagome Anis.

"Wozu? Meine Eltern machen sich keine Sorgen, das war auch so schon klar. Die Schule kann mir gestohlen bleiben. Warum sollte ich jetzt schon zurück?", fragte Anis schulternzuckend.

Zuerst glaubte Kagome, sich verhört zu haben. Kümmerten sich ihre Eltern denn gar nicht um sie? Wollte sie aus Trotz hier bleiben? Abgesehen davon, das sie gerade einem gewalttätigen Dämon entkommen war!

"Du gehst nicht zurück?", fragte sie sicherheitshalber noch einmal nach.

"Doch... Vielleicht morgen. Oder übermorgen." Noch ein Schulterzucken.

"Und was ist mit dem Juwelensplitter? Du hast es mir versprochen!", sagte Kagome vorsichtig. Versucht unauffällig schielte sie zu Anis' Handgelenk.

"Jaja, wenn ich wieder zu hause bin, kriegst du ihn. Vielleicht morgen", kam die Antwort.

"Oder übermorgen!", ergänzte Kagome.

"Genau!", Anis grinste, "Wieso seit ihr eigentlich noch in der Nähe?"

"Seit du verschwunden warst, haben wir uns immer in der Nähe von Musashi aufgehalten, in der Hoffnung, das du zurück kommst", erklärte Kagome. Doch Anis schien ihr nicht recht zugehört zu haben.

Ihre gute Laune schien wie weggefegt, als sie plötzlich aufstand und sich hektisch umsah.

"Was ist los?", fragte Shippo.

"Nichts!", rief Anis etwas zu schnell. Sie wirkte plötzlich beunruhigt.

"Anis?", fragte Kagome.

Doch die Angesprochene hörte ihr nicht zu. Sie schien extrem angespannt. Plötzlich zuckte sie zusammen.

"Wir sollten gehen!", sagte sie leise.

Kagome war irritiert.

"Sofort! Packt eure Sachen zusammen, schnell!", rief sie entsetzt.
 

XxX
 

Okay, Anis kriegt da wohl jetzt eine Pank-Attacke, hat sie doch so sehr gehofft, ihrem schlimmsten Albtraum endlich zu entkommen.

Mir tut meine selbst ausgedachte Person richtig leid, den sie wird seeer LEIDEN wenn Sesshoumaru kommt, der hat nämlich verständlicherweise ziemlich schlechte Laune.

Gerechte Strafe

Wow, zwei neue Kommischreiber! Ihr seit klasse! Ich freu mich immer sehr über eure Kommentare, das spornt mich an weiter zu schreiben. Sechs Kommis zu einem Kapitel ^^ *freu* Ich hoffe ihr schreibt mir auch zu diesem Kapitel so viele, das wär super von euch!
 

XxX
 

"Wir sollten gehen!" sagte sie leise.

Kagome war irritiert.

"Sofort! Packt eure Sachen zusammen, schnell!" rief sie entsetzt.
 

Miroku und Sango erwachten als erste aus ihrer Starre. Ohne Widerworte befolgten sie Anis' Aufforderung. Auch Kagome packte ihren Rucksack zusammen. Sie konnte keine Gefahr spüren, doch Anis hatte so eindringlich, ja fast panisch geklungen, das sie nicht daran zweifelte, dass sie einen Grund hatte.

Inuyasha stand wie eine Salzsäule in der Mitte des Lagers, welches die Menschen jetzt abbrachen. Er reckte seine Nase in alle Himmelsrichtungen. Mit jeder Sekunde schien er verwirrter zu werden.

"Da ist nichts!", sagte er laut.

Doch Anis schien etwas zu spüren und ihre Angst ließ auch den Hanyou nicht kalt. Er wurde immer nervöser, weil er einfach keinen Feind wahrnehmen konnte.

"Wenn Inuyasha nichts riecht, dann ist da auch nichts." Diese Aussage kam überraschenderweise von Shippo.

Anis beugte sich zu dem Kitzune herunter und flüsterte bedrohlich:

"Willst du es drauf ankommen lassen?"

Shippo sah sie erschrocken an und schüttelte hastig den kopf.

"Dann sollten wir jetzt losgehen." Mit diesen Worten griff sie nach Kagomes Rucksack. Kagome hätte das Ding wahrscheinlich nicht einmal anheben können, doch Anis schien damit keinerlei Probleme zu haben. Mit Leichtigkeit hob sie ihn hoch und setzte sich an die Spitze der Truppe, die sich nun auf den Weg zu - ja wohin eigentlich?

"Anis, sollten wir nicht in der Nähe von Musashi bleiben? Lass uns in die andere Richtung gehen!", versuchte es Kagome.

"NEIN! Ich meine... Wir gehen hier entlang", sagte Anis heftig.

Kagome schüttelte verständnislos den Kopf und folgte ihr.
 

Seit einer halben Stunde führte Anis sie jetzt quer durch die Botanik. Oft hatten sie sie gefragt, wieso sie es so eilig gehabt hatte, doch Anis schwieg beharrlich. Sie war ein noch schlimmerer Sturkopf als Inuyasha.

Kagome wurde das Gefühl nicht los, das sie hier nicht mehr auf der Jagt nach Naraku waren, sondern viel mehr auf der Flucht vor jemandem waren. Doch wer sollte sie schon verfolgen? Kagome viel schon eine Person ein, doch die würde sie doch nicht diese Mühe machen - oder?
 

*
 

Sesshoumaru schnaubte verächtlich. Diese dummen Menschenwürmer konnten sich doch nicht tatsächlich einbilden, ihm entkommen zu können!

Er roch ihn bereits, diesen schmutzigen Hanyou und seine dreckigen Freunde. Er war zwar noch nicht nah genug, als das Inuyasha ihn hätte riechen können, doch seine Nase - die Nase eines vollblütigen Inuyoukai - war einfach besser. Deswegen wunderte sich Sesshoumaru doch ein wenig, das die Menschen schon jetzt vor ihm flüchteten. Sie konnten doch gar nicht wissen, dass er sich ihnen nährte. Denn das sie flüchteten, stand für ihn außer Frage. Sie bewegten sich nämlich für Menschenmaße außergewöhnlich schnell von ihm weg. Doch das würde ihnen auch nicht weiterhelfen.

Sesshoumaru - der ja immer noch eine Energiekugel war, um sich schneller fortzubewegen - verwandelte sich jetzt wieder zurück. Zu Fuß würde es zwar ein wenig länger dauern sie einzuholen, aber es wäre ein würdevolleres Auftreten.
 

*
 

"Kagome, warum beeilen wir uns denn so?", fragte Shippo.

Kagome warf einen unsicheren Blick auf Anis, die mit jeder Minute schneller wurde.

Miroku und Sango, die nicht mehr hatten mithalten können, saßen auf Kiraras Rücken. Inuyasha hatte Kagome, auf dessen Schulter der Fuchsdämon saß, auf den Rücken genommen. Anis jedoch lief allein. Obwohl sie Kagomes Rucksack trug, war sie schneller als der Hanyou! Eine solche Geschwindigkeit war einfach unmenschlich! Zumal sie kein bisschen müde zu werden schien. Für Kagome stand jetzt ganz eindeutig fest, dass Anis flüchtete. Und alle glaubten, den Verfolger zu kennen.

Doch niemand sagte etwas. Alle warteten darauf, dass Inuyasha ihre Vermutungen zur Gewissheit machen würde.

Tatsächlich wurde Inuyasha plötzlich langsamer.

"Was ist?", fragte Kagome, obwohl sie die Antwort schon wusste.

"Ich rieche Sesshoumaru. Er kommt." Da war sie, die Gewissheit. Wenn es nach Kagome gegangen wäre, hätte sie noch eine Weile auf sich warten lassen können.

Anis blieb abrupt stehen. Auch Inuyasha hielt an. Sango und Miroku, die die Worte des Hanyous ebenfalls gehört hatten, kamen jetzt mit Kirara nach unten.

"Wieso gehen wir nicht weiter? Jetzt sollten wir uns doch gerade beeilen!", rief Shippo.

"Nein. Wenn er schon so nah ist, das Inuyasha als Hanyou ihn riechen kann, dann ist es bereits zu spät. Er würde uns so oder so einholen", stellte Anis mit erstaunlich ruhiger Sachlichkeit fest.

"Davon mal abgesehen werde ich ganz bestimmt nicht vor diesem Affen fliehen. ...sag mal was soll das denn heißen: das Inuyasha als Hanyou ihn schon riechen kann?! WAS BILDEST DU DIR EIGENTLICH EIN?!", schrie Inuyasha.

Anis stöhnte nur. "Jetzt fang nicht wieder damit an. Ich hab lediglich die Fakten festgelegt. Wenn du das nicht hören willst, dann steck dir Watte in die Ohren."

Während Inuyasha nach dieser bodenlosen Frechheit noch nach Luft schnappte, versuchte Miroku die beiden Streithähne zu beruhigen:

"Nun hört endlich auf damit. Auch ich kann Sesshoumaru jetzt spüren. Er ist wirklich schon sehr nah."

Tatsächlich hörten die beiden jetzt auf zu streiten und Inuyasha zog schon mal sein Schwert.

"Mischt euch hier nicht ein! Sesshoumaru gehört mir!", rief Inuyasha.

"Unsinn, wir werden alle gemeinsam kämpfen, bis zum letzten Mann!", schaltete sich wieder Miroku ein.

"Mann? Ich sehe keine Männer. Nur einen Mönch, der wegen seiner Frauenbesessenheit dringend zur Therapie muss und einen kleinen Jungen mit Hundeohren, der seinen Halbbruder nicht leiden kann", schnaubte Anis verächtlich.

Daraufhin warfen ihr alle böse Blicke zu, außer Shippo, der sich fragte, was wohl eine Therapie sein könnte.

Zum Glück kam es jedoch nicht gleich wieder zu einem Streit. Der Grund dafür war allerdings weniger glücklich: Sesshoumaru tauchte auf.
 

Sesshoumaru musterte die einzelnen Personen vor ihm. Außer Anis zielten alle mit ihren Waffen auf ihn. Ein Pfeil, drei Bannzettel und ein Stab, ein Knochenbunerang und Tessaiga.

Lächerlich!

Da war er mal ausnahmsweise nicht wegen einem Kampf mit seinem Halbbruder gekommen und dieser Trottel wollte sich trotzdem mit ihm anlegen. Aber damit hatte er ja gerechnet. Es hätte den Youkai schon sehr gewundert, wenn Inuyasha einfach so zuließ, dass er Anis wieder mitnahm. Er hing eben an Menschen.

Doch eigentlich hatte er nicht vor gehabt, seine kostbare Zeit mit sinnlosem Gemetzel zu verbringen. Aber vielleicht...

Anis war manchmal genauso weich wie alle anderen Menschen. Möglich, dass sie freiwillig mit ihm kam, um ihre Freunde zu schützen. Das hatte sie auch beim letzten Mal getan.

Langsam, um die Geste noch bedrohlicher zu machen, zog er seine Schwert Tokjin.

"Diesmal werde ich sie alle töten. Es sei denn, du machst mir keine Schwierigkeiten und kommst mit mir." Seine Worte waren direkt an Anis gewandt. Tatsächlich wirkte sie einen Moment unschlüssig. Doch Inuyasha kam ihr zuvor:

"Keh! Als ob wir vor dir Angst hätten! Wir werden dir Anis bestimmt nicht freiwillig aushändigen!", sagte Inuyasha laut und stürmte ihm mit erhobenem Schwert entgegen.

Lässig wehrte Sesshoumaru seinen ungelenken Schlag ab. In Sachen Schwertkampf hatte er sich um keinen Deut gebessert.

"Oh, du wirst sie mir geben", flüsterte Sesshoumaru leise. Er hatte bereits einen Plan ausgeheckt, wie er das ganze hier verkürzen konnte.

Während der Youkai mit Tokjin auf Inuyashas Kopf zielte, hörte er das Zischen einer Bogensehne. Aus den Augenwinkeln beobachtete er Kagomes Bannpfeil. Doch er machte sich nicht einmal die Mühe, ihm auszuweichen. Aus Angst, nicht ihn, sondern Inuyasha zu treffen, hatte sie meterweit daneben geschossen. Auch der Knochenbumerang der Dämonenjägerin war nicht zu gebrauchen. Er war um einiges größer als ein Pfeil und selbst wenn sie gut zielte, würde sie in jedem Fall auch den Hanyou verletzen. Die Übrigen hielten sich ebenfalls aus dem Kampf heraus. Wenn sie zwischen die aufeinander krachenden Klingen geraten würden, wäre ihr Leben nicht mehr von langer Dauer.

Aber wie schon erwähnt, hatte Sesshoumaru auch nicht vor, diesen Kampf sonderlich in die Länge zu ziehen.

Inuyasha holte zu einem wuchtigen Schlag aus, als wollte er Sesshoumaru der Länge nach in zwei Hälften teilen. Der Inuyoukai hätte darüber fast lachen können. Er wusste genau, dass sein Halbbruder jetzt die Windnarbe einsetzen wollte. Er war so berechenbar!

Durch die geschärften Sinne eines vollwertigen Inuyoukais sah er Tessaiga wie in Zeitlupe auf sich zukommen. Inuyasha war ein Trottel, dass er das Schwert zum Zuschlagen hoch über den Kopf hob. Das gab Sesshoumaru nämlich die Möglichkeit, ihm Tokjin durch die Brust direkt ins Herz zu stoßen. Doch eben weil er diese Möglichkeit sah, zögerte er einen Augenblick. Einen Augenblick zu lang. Tessaiga hatte die Wunde des Windes - die auch er selbst deutlich vor sich sah - fast erreicht. Jetzt konnte er nur noch seitlich ausweichen, was er auch sofort tat. Eine Sekunde später hörte er das Donnern der Windnarbe, doch er kümmerte sich nicht darum. Mit einem weiteren Satz war er hinter Inuyasha. Dessen Attacke rauschte wirkungslos in den Wald und zerfetzte ihn. Sesshoumaru hielt sich nicht, im Gegensatz zu Inuyasha, lange damit auf, in die Luft zu starren, sondern ließ sein Schwert auf die Hand seines Halbbruders niedersausen.

Inuyasha stieß einen markerschütternden Schrie aus. Tokjins Spitze war genau zwischen seine Handfläche und Tessaigas Griff gefahren. Die Klinge schnitt ihm dabei tief ins Fleisch. Verzweifelt versuchte er, sein eigenes Schwert festzuhalten, doch das war unmöglich. Sesshoumaru hebelte ihm das Schwert geradezu aus der Hand und der Stoßzahn segelte durch die Luft.

Plötzlich hörte Inuyasha einen entsetzten Aufschrei. Kagome!

Er war für einen Moment abgelenkt und bemerkte Sesshoumarus Hand erst spät, die bereits grün aufleuchtete. Er schaffte es gerade noch so, unter dem Hieb hinweg zu tauchen, indem er sich zu Boden warf.

Die Augen seines Halbbruders waren voller Kälte. Er stand jetzt zwischen ihm und Tessaiga. Wieder hörte er Kagome seinen Namen rufen. Sie kam auf ihn zugerannt!

"Kagome, komm nicht näher!", schrie er ihr entgegen.

Doch plötzlich - entgegen seiner früheren Erfahrungen mit seinem Halbbruder - wandte sich Sesshoumaru von ihm ab!
 

Kagome rannte auf Inuyasha zu. Sie wollte nur noch zu ihm und achtete überhaupt nicht auf Sesshoumaru. Jedenfalls so lange nicht, bis sie Tokjins Klinge an ihrem Hals spürte.

Schreckensbleich sah sie zu dem Youkai hoch. Sein Haar war weiß wie Schnee und genau so kalt war auch sein Blick, mit dem er sie kurz ansah.

Inuyasha knurrte. Noch nie hatte sie ihn so bedrohlich knurren hören.

Der Hanyou hatte sich aufgerappelt und fuhr bereits seine Krallen aus, um seinen Halbbruder zu zerreißen.

Doch der blieb die Ruhe selbst und sagte dann mit warnender Stimme:

"Einen Schritt weiter und das Mädchen stirbt."

Sofort blieb Inuyasha wie angewurzelt stehen. Auf der Lichtung wurde es mit einem mal totenstill. Keiner konnte fassen, was Sesshoumaru da gerade gesagt hatte. So etwas war doch überhaupt nicht seine Art!

"Anis, nimm Tessaiga und verschwinde hier", sagte Sesshoumaru, ohne seinen Blick von Inuyasha zu nehmen.

Nichts passierte.

Jetzt wandte er sich doch um, Tokjins Klinge ruhte immer noch am Hals des Mädchens.

Anis rührte keinen Finger und starrte ihm trotzig ins Gesicht.

Erneut war er fasziniert von ihrem Dickschädel, der jetzt wirklich nicht angebracht war. Sie hatte ihm Gehorsam entgegen zu bringen!

"Du willst nicht? Ist dir das Leben deiner schmutzigen Freundin so wenig wert? Durchaus lobenswert. Dann macht es dir sicher nichts aus, ihren Kopf vor deinen Füßen liegen zu sehen." Er wusste genau, dass es nicht so war. Die Frage war nur, ob sie wusste, dass er das wusste.

"Es ist mir wichtig, einen Fehler kein zweites Mal zu machen", antwortete sie ausdruckslos.

"Wenn du meinst..." Sesshoumaru fuhr mit der Klinge quälend langsam am Hals des Mädchens entlang. Ein dünner Schnitt durchzog jetzt Kagomes Haut und ein feiner Blutfaden rinnte daraus hervor.

"Hör auf damit!", rief Inuyasha, der jetzt schon ganz blass war, sich aber nicht weiter traute.

Er wurde ignoriert.

"Bist du sicher, dass du deine Meinung nicht noch einmal ändern willst?", fragte Sesshoumaru und setzte Tokjin direkt an die Wunde. Durch die bösen Energien des Schwertes war dies für das Mädchen besonders an der offenen Wunde sehr schmerzhaft. Wie zur Bestätigung keuchte das Menschenweib kurz erschrocken auf.

Inuyasha knurrte erneut. Sesshoumaru fand langsam Gefallen an diesem Spiel.

Doch Anis rührte sich noch immer nicht. Ihr Blick war fest und sie strahlte eine unheimliche Unnahbarkeit aus.

Doch Sesshoumaru meinte für einen Moment ein leises Zähneknirschen zu hören. Was er hier tat, ließ sie keineswegs kalt. Sie würde ihre Freunde nicht sterben lassen, um ihr Gesicht zu wahren!

"Nun gut", sagte Sesshoumaru, "Dann töte ich eben erst dieses Mädchen, dann die beiden Menschen dort drüben, vielleicht noch den Kitzune... Mal sehen, wie lange du das durchhältst."

Anis wurde blass. "Das... Das würdest du nicht tun!", rief sie, jetzt mit unverhohlenem Entsetzen in der Stimme.

"Willst du es herausfinden?" Ohne auf eine Antwort zu warten, ließ er Tokjin direkt auf Kagomes Herz zurasen.

"HALT!", drang Anis' Schrei an seine Ohren.

Normalerweise wäre es schon zu spät gewesen, die Klinge noch abzuwenden. Doch Sesshoumaru hatte ganz genau gewusst, dass Anis im letzten Moment noch einen Rückzieher machen würde.

Tokjins Spitze kam wenige Millimeter vor Kagomes Brust zum Stillstand.

Sesshoumaru hörte, wie das Herz des Mädchens für einen Moment aussetzte, nur um dann mit der doppelten Geschwindigkeit weiter zu rasen.

Hinter ihm seufzte Inuyasha laut auf. Was für ein Weichei! Er war ganz vernarrt in dieses Menschenweib. Es war noch schlimmer als damals mit dieser Miko, die jetzt als Untote durch die Gegend streifte. Wie war noch gleich ihr Name? Kiko? Egal!

Sesshoumaru senkte das Schwert, steckte es aber nicht weg.

"Du hast es dir anders überlegt?" Es war mehr eine Feststellung als eine Frage.

Als keine Antwort kam, wandte er seinen Blick wieder zu Anis. Sie hatte die Augen zu Boden gerichtet und biss sich auf die Lippe.

"Ich mach ja was du sagst. Aber tu Kagome nicht weh", flüsterte sie kaum hörbar.

Langsam ging sie auf Tessaiga zu. Sesshoumaru beobachtete sie dabei genau. Mit der vorsichtigen Haltung und den wachsamen Augen wirkte sie ganz wie eine erfahrene Kriegerin. Sie wusste, wann sie aufgeben musste. Solche Krieger schätzte er. Aber sie war eben keine Kriegerin, sie war eine Frau. Und doch sah er in Anis, seit sie sich zum ersten Mal begegnet waren, eine Kämpferin. Erst jetzt wurde ihm diese Tatsache bewusst. Aber das war doch Unsinn! Ein Dämon wie er, ein Daiyoukai, sollte in ihr nur ein verachtungswürdiges Weib sehen! Er bemühte sich tatsächlich, dem nachzukommen, doch es gelang ihm nicht. Im Gegenteil. Gerade weil sie eine Frau war, wuchs seine Achtung vor ihr. Eine Frau, die einen würdigen Gegner im Kampf darstellte, das gab es nicht oft.
 

Anis ging sehr langsam. Sesshoumaru hatte Tokjin noch immer nicht weggesteckt. Alle Blicke waren auf sie gerichtet. Sie wollte dieses verfluchte Tessaiga nicht einmal berühren, aber hier ging es um Kagomes Leben.

Unsicher warf sie einen Blick zu Inuyasha. Kaum merklich nickte der Hanyou. Kagomes Leben war ihm wichtiger als Tessaiga. Das hätte sie ihm, ehrlich gesagt, gar nicht zugetraut. Vielleicht sollte sie seine Meinung über ihn noch einmal überdenken. Irgendwann einmal.

Anis hob das Schwert auf. Sie spürte das Knistern der unruhigen Energien.

"Inuyasha, wenn du so freundlich wärest, Anis deine Schwertscheide zu geben...?", sagte Sesshoumaru an den Hanyou gewandt und keiner zweifelte daran, dass diese Worte keine Bitte, sondern ein Befehl waren.

Sowohl sein Halbbruder als auch Anis warfen ihm giftige Blicke zu, doch Inuyasha warf der jungen Frau tatsächlich die Schwertscheide zu. Anis war im ersten Moment ziemlich überrascht darüber und fing die Scheide mehr aus Reflex als aus Achtsamkeit auf. Kagome musste ihm wirklich viel bedeuten, wenn er dafür freiwillig Tessaiga hergab...

Sesshoumaru stand noch immer neben Kagome. Sein Schwert war zu Boden gerichtet. Einen Augenblick überlegte sie, ob sie jetzt angreifen sollte, doch sie verwarf den Gedanken schnell wieder. Sesshoumaru war in der perfekten Stellung, um Kagome töten zu können, noch bevor sie den ersten Schritt gemacht hätte, ob nun beabsichtigt oder nicht.

Ihre Augen glitten noch einmal über Sango, Miroku, Shippo und Kirara. Ihr Blick streifte Inuyasha und schließlich auch Kagome. Stumm nahm sie Abschied von ihnen.

Langsam entfernte sie sich rückwärts gehend in den Wald hinein. Sie hatte das ungute Gefühl, die kleine Gruppe für sehr lange Zeit nicht mehr wieder zu sehen. Vielleicht sogar nie wieder. Denn das Sesshoumaru sie so einfach davon kommen lassen würde, das bezweifelte sie doch sehr stark.
 

*
 

Sesshoumaru lief durch den Wald. Dünne Äste zerbrachen unter seinen Schritten. Mit dem Wind, der in den Blättern der Bäume rauschte, war dies das einzige Geräusch, das zu hören war. Alle Tiere schienen geflohen zu sein. Falsch: Sie waren tatsächlich geflohen. Kein Wunder, Sesshoumaru hatte sein Youki voll hochgefahren. Er war wütend und er hatte auch keinen Grund, das geheim zu halten. Anis sollte ruhig wissen, dass sich ihr Untergang nährte!

Er konnte - wie immer - ihren Geruch nirgendwo aufspüren. Vielleicht hatte sie doch noch einen letzten, verzweifelten Versuch gestartet, ihm zu entkommen. Doch das würde ihr nicht das Geringste bringen. Er spürte ihre Anwesenheit. Sie war hier irgendwo, das wusste er einfach. Wie um seine Ahnung zu bestätigen, hörte er in der Ferne leise Schritte.

Das mochte noch nicht unbedingt heißen, dass sie in der Nähe war, denn seine Ohren waren sehr gut. Dennoch würde er sie schnell erreichen. Wie Vieh würde er sie jagen! Denn dumm wie Vieh war sie auch gewesen, wenn sie sich tatsächlich eingebildet hatte, sie könne vor ihm fliehen! Niemand legte sich ungestraft mit ihm an!

Nicht, das ich wirklich wütend nur wegen diesem unwürdigem, dummem, hinterhältigem Biest wäre, dachte sich Sesshoumaru, während sich seine Augen leicht rot färbten, Aber diese Respektlosigkeit, hinter meinem Rücken niederträchtige Fluchtpläne geschmiedet zu haben, kann ich nicht dulden! Das wird sie teuer bezahlen!

Sesshoumaru erhöhte seine Geschwindigkeit. Bald darauf wurden auch die Schritte derjenigen, die er verfolgte, schneller. Doch das hielt nicht lange an. Kurze Zeit später verstummten die Geräusche der knackenden Zweige auf dem Waldboden. Die Fliehende war stehen geblieben.

Sesshoumaru zerriss mit seinen Klauen die letzten Büsche, die ihm im Weg waren. Anis stand mitten zwischen den Bäumen und sah ihm ohne Furcht ins Gesicht. ihre Gelassenheit machte ihn rasend. Dieses Weibsbild hatte ihn hintergangen und betrogen!

"Und nun zu dir. Wie kannst du es wagen mich so täuschen zu wollen!? Wie kannst du es wagen, mich so zu verraten?!" Ohne es zu wollen, ja ohne es überhaupt zu merken, war er dabei laut geworden.

"Ich habe dich nie verraten", stellte sie fast schon sachlich fest.

Diese Dreistigkeit war selbst für Sesshoumaru zu viel.

"Du willst doch nicht allen Ernstes leugnen, was du getan hast?", sagte er etwas ruhiger.

Langsam kam er näher, bis er genau vor ihr stand. Noch immer zeigte sie keinerlei Furcht.

"Ich könnte euch gar nicht verraten. Schließlich hast du mir nie vertraut", sagte sie leise und schaffte es dabei irgendwie, das in ihrer Stimme ein leiser Vorwurf mitklang. Wie konnte sie es wagen!

"Vertrauen ist die erste Voraussetzung für einen Verrat. Ihr wart sicher davon überzeugt, dass ich fliehen würde. Demzufolge habe ich mich lediglich bemüht, euren Anforderungen zu entsprechen", fügte sie voller Ernst hinzu.

Sie meinte das tatsächlich ernst! Kein Sarkasmus, keine Ironie war zu hören. Das war doch ungeheuerlich! Sie war so was von ... Nein, dafür gab es kein Wort.

Das ging einfach zu weit! Auch Anis durfte sich nicht alles erlauben!

Seine Augen nahmen eine leuchtend rote Farbe an. Jetzt endlich blitzte ein Funken Furcht in ihrem Gesicht auf. Doch nun war es zu spät für Einsicht. Jetzt würde sie ihre gerechte Strafe erhalten!

Seine Hand schnellte vor und schlug Anis heftig ins Gesicht. Durch die Wucht des plötzlichen Angriffs wurde sein Opfer mehrere Meter nach hinten geschleudert. Sie krachte gegen den Stamm eines großen Baumes und blieb regungslos darunter liegen.

Sesshoumaru ging auf sie zu. Sein Schlag und der nachfolgende Sturz hatten sie übel mitgenommen. Ein dünnes, rotes Rinnsal bahnte sich den Weg über ihre Stirn. Das Bild hatte etwas Befriedigendes für ihn.

Doch zu seiner Überraschung rappelte sich Anis jetzt wieder auf. Sesshoumaru hinderte sie nicht daran.

"Deine bodenlose Frechheit ist einfach unerhört", sagte der Youkai kalt.

Anis stand jetzt aufrecht. Die Angst war wieder aus ihrem Blick verschwunden. Ihre Augen waren leer. Ausdruckslos.

"Und das sagt ausgerechnet jemand, der hilflose Menschenmädchen bedrohen muss, weil er mit seinem kleinen Hanyou-Halbbruder nicht fertig wird", sagte Anis leise.

Was bezweckte sie damit? Das ging doch nun wirklich zu weit, das musste selbst sie wissen. Wie auch immer, diese Worte würde sie jetzt bereuen!

Noch einmal schnellte Sesshoumarus Hand vor, doch diesmal leuchteten seine Krallen grün. Sein Dokkasso würde sie zur Vernunft bringen!

Anis versuchte noch im letzten Moment, seiner Attacke auszuweichen und ließ sich zu Boden fallen, doch es war schon zu spät.

Sesshoumarus Krallen schrammten an ihrem Rücken entlang und hinterließen einen tiefen Schnitt. Ihre Haare wehten dabei zur Seite und gaben den Blick auf eine lange Schwertscheide frei. Er hatte nicht gewusst, dass sie selbst ein Schwert besaß. Noch etwas, was sie ihm verschwiegen hatte!

Anis landete wieder auf der Erde. Sie versuchte verzweifelt, noch einmal auszustehen, blieb dann aber vor Schmerz bebend liegen. Durch das Gift entzündete sich die ohnehin schon sehr grässlich anzusehende Wunde vor Sesshoumarus Augen in einem atemberaubenden Tempo.

Blut.

Lächelnd betrachtete er seine Krallen und schnupperte an der roten Flüssigkeit. Anis mochte ihren Geruch noch so gut verbergen, doch an ihrem Blut würde er sie erkennen.

NEIN!

Das durfte doch einfach nicht wahr sein! Dieses Blut roch nach Blumen! Wie war es ihr gelungen, sogar ihrem Blut einen anderen Geruch zu verpassen?! Das war doch nicht möglich! Wütend ließ er seine blutbefleckten Finger knacken. Irgendwann würde er es herausfinden! Das konnte nicht ewig anhalten. Das durfte es nicht!

Sesshoumaru sah auf sie herab. Sein Zorn, der sich eben noch gesteigert hatte, verrauchte plötzlich, als er die zusammengekrümmte Gestalt dort in ihrem eigenem Blut auf dem Boden sah. Sie war so schwach, so hilflos. Zweifellos würde sie an dieser Wunde sterben. Jetzt vermochte ihn dieses Bild ihn nicht mehr zu besänftigen. Er hätte nicht so überreagieren sollen. Es war nicht seine Absicht gewesen, sie zu töten. Aber er verletzte nun einmal sehr selten ein Wesen, wenn er nicht wollte, dass dieses starb. Doch Anis hatte ihre Lektion jetzt sicher gelernt. Sie war genug bestraft. Aber wollte er sie wirklich wieder mitnehmen? Er könnte sie auch einfach hier liegen lassen. Sie würde dann irgendwann an dem Blutverlust sterben. Doch diesen Gedanken verwarf er rasch wieder. Sein schändlicher Halbbruder würde sonst kommen und sie versorgen. Er konnte sie also nicht hier lassen. Nachher würde sie noch allen erzählen, dass sie ihm tatsächlich entkommen sei! Vielleicht sollte er ihr lieber gleich den Gnadenstoß geben und sie sofort töten. Unsinn, er war doch nicht gnädig! Aber er würde garantiert auch nicht abwarten, bis Anis endlich abkratzte. Die war nämlich erstaunlich zäh, das wusste er. Was also sollte er jetzt tun?

Nun, als erstes sollte er wohl überprüfen, ob sie nicht vielleicht doch schon tot war.

Also drehte er erst einmal vorsichtig ihren Körper um, um ihr Gesicht zu sehen. Ihr Brustkorb hob und senkte sich ungleichmäßig. Tot war sie nicht. Aber wirklich lebendig auch nicht mehr. Anscheinend hatte sie das Bewusstsein verloren. Nunja, mit dieser Wunde war das kein Wunder.

„Ich...bin dir...entkommen...”, flüsterte Anis leise, kaum hörbar.

„Was?”, sagte Sesshoumaru. Sie war doch nicht bewusstlos?

„Du...hast meinen Tod...nicht gewollt. Aber ich...werde sterben. Letztendlich...bin ich dir doch noch...entkommen.” Ihr Gesicht verzerrte sich bei diesen Worten vor Schmerz, dennoch schien sie dem Tod mit nicht halb so viel Furcht entgegen zu sehen, wie es sich gehörte.

„Du wirst mir nie entkommen! Ich bestimme, wann du stirbst!“, sagte er ärgerlich. Es war schon das zweite Mal, dass Anis kurz vor dem Tode stand und noch immer unerträglich frech war. Nein, sie sollte noch nicht jetzt sterben.

Er packte sie an der Schulter und zog sie hoch. Anis keuchte vor Schmerz erschrocken auf. Als sie keinen Versuch machte, eigenständig zu stehen, hob er sie einfach hoch.

Anis lag jetzt in seinen Armen, als trüge er ein Kind. Sesshoumaru stieß sich leicht vom Boden ab. Er wirkte den Zauber, der ihn in die Lüfte heben würde und flog dann mit Anis über die grünen Wipfel des Waldes hinweg. Der Youkai bewegte sich sehr schnell vorwärts, ohne dabei etwas von seiner Eleganz zu verlieren.
 

*
 

Sesshoumaru vermied es, Anis ins Gesicht zu schauen. Sie wehrte sich nicht gegen den Flug und schwieg auch die ganze Zeit über. Doch auch ohne Aussprach schien sich eine große Spannung zwischen ihnen aufzubauen. Mehrmals versuchte er das Schweigen zu brechen, doch jedes Wort blieb ihm im Halse stecken.

Ihre Verletzung muss sehr schmerzhaft für sie sein..., dachte er sich. Doch er empfand keine Reue. Nie hatte er etwas bereut. Sie hatte es verdient, so zu leiden! Dennoch bedauerte er den Lauf der Dinge. Er hätte sich nicht dazu hinreißen lassen dürfen, sie dermaßen zuzurichten. Er hatte doch nie wirklich vor gehabt, sie ins Jenseits zu schicken. Weshalb sonst hätte er Inuyasha Tessaiga wieder abnehmen sollen? Es war eine Selbstverständlichkeit gewesen, dass er sie zurückholen würde, auch wenn ihm das erst jetzt klar wurde. Ihr derzeitiger Zustand würde aus einem kurzen Flug eine lange Reise machen, die Tage dauern mochte. Er hätte nicht so fest zuschlagen dürfen! Welch eine Zeitverschwendung er damit heraufbeschworen hatte!

Wie es Rin und Jaken wohl inzwischen ergangen war...? Wen interessiert’s!

Ein Beben lief durch Anis’ Körper. Sesshoumaru sah jetzt doch auf sie herab. Sie litt große Schmerzen. Er sah es in der Qual in ihren Augen. Ihre Hände waren zu Fäusten geballt, ihre Fingernägel gruben sich tief in das Fleisch ihrer Handballen.

Sie würde das nicht mehr lange durchhalten. Sesshoumaru verringerte seine Geschwindigkeit ein wenig und suchte in dem schier endlosen Wald nach einer Lichtung. Es dauerte eine Weile, bis er Erfolg hatte und tiefer sank.
 

Leichtfüßig landete er auch dem moosbedecktem Boden. Misstrauisch sah der Youkai sich um, konnte aber keine Gefahr ausmachen. Wie immer waren bei seiner Ankunft alle Singvögel und andere Kleintiere verstummt oder geflohen.

Es war ruhig.

Zu ruhig.

Wieso war Anis’ keuchender Atem nicht mehr zu hören?! War sie etwa...?

Vorsichtig legte er die junge Frau auf den Boden. Sie rührte sich nicht.

„Anis?” Es war das erste Mal, dass er sie beim Namen nannte.

Doch er wusste, dass sie ihm nicht mehr antworten würde. Nicht mehr antworten konnte.

Ihr Gesicht war ebenmäßig, ihr Körper entspannt. Die Augen nicht schmerzverzerrt zusammengekniffen, sondern friedlich geschlossen. Sie wirkte zufrieden.
 

XxX
 

Tja, ich hab euch ja gewarnt, das sie leiden wird.

Das nächste Kapitel wird allerdings noch warten müssen. Ich hab es erst zur Hälfte fertig und ich will nicht immer so kurze reinstellen. Es tut mir herzlich leid für euch, aber ihr werdet in Zukunft immer ein paar Tage warten müssen, bis das nächste Kapitel kommt, sorry.

Aber ich schick allen Kommischreibern eine ENS wenn das neue Kappi da ist.

(Es sei denn natürlich mir schreibt keiner. Dann könnte hier auch schon Schluss sein, auch wenn es ein trauriger Schluss wäre...)

Fleisch

So, da jetzt endlich auch die letzte Kommischreiberin zu meiner Seite durchgedrungen ist, bin ich jetzt auch wieder am Start. Dieses kapitel hatte ich ja schon vorher zur Hälfte fertig, deshalb kommt es jetzt schon. Aber dann ist erstaml mindestens bis zum Montag Pause, ich fahr zur Klassenfahrt und bekomm am Wochenende eine zweite Cousine (vierzehn Jahre Altersunterschied, ob das gut geht???), bin also voll im Stress, sorry.

Ich hoffe ihr kommentiert auch fleißig weiter meine ff und lest nicht einfach nur drüber. Wer die ff erst jetzt anfängt zu lesen, dem wär ich natürlich auch echt dankbar, wenn er/sie auch zu den vorherigen Kappis einen Kommi schreibt. ^^ Muss aber nicht sein.
 

XxX
 

Wieso war Anis' keuchender Atem nicht mehr zu hören?! War sie etwa...?

Vorsichtig legte er die junge Frau auf den Boden. Sie rührte sich nicht.

„Anis?" Es war das erste mal, das er sie beim Namen nannte.

Doch er wusste, das sie ihm nicht mehr antworten würde. Nicht mehr antworten konnte.

Ihr Gesicht war ebenmäßig, ihr Körper entspannt. Die Augen nicht schmerzverzerrt zusammengekniffen, sondern friedlich geschlossen. Sie wirkte zufrieden.
 

Sesshoumaru kniete sich neben sie und ergriff ihre Hand. Ihre langen, sonnengebräunten Finger schienen sich anmutig an seine eigenen zu schwiegen. Doch sie waren kalt.

Sesshoumaru suchte ihren Puls und war merkwürdig erleichtert, als er ihn wider Erwartung tatsächlich fand. Er war schwach und unregelmäßig, aber er war da. Jetzt, wo er deutlicher darauf achtete, konnte er auch ihren Atem wieder hören. Doch auch der war sehr schwach. Das Wichtigste war aber, dass sie nicht tot war. Sie war zwar jetzt nicht bei Bewusstsein, aber sie lebte. Doch wie lange würde sie das noch tun? Im Moment bekam sie nicht einmal mit, was um sie herum geschah. Doch sie lebte. Lebte. Immer wieder wiederholte er diese Worte in Gedanken.

Sesshoumaru fühlte sich seltsam bei der Vorstellung, dass er selbst sie mehr oder weniger aus Versehen hätte töten können. Eigentlich wäre es doch selbstverständlich gewesen, sie zu beseitigen. Aber als er ihr dann gegenüber stand, hatte er diese Möglichkeit nicht einmal ernsthaft in Erwägung gezogen. Dabei wäre es sein gutes Recht gewesen, mehr noch: Wenn er nach seinem Ruf als kaltherziger, gefühlsloser Daiyoukai, der er ja nun einmal war, ging, dann war es eigentlich sogar Unrecht, sie am Leben zu lassen.

Nein, ob Recht oder Unrecht hatte ganz allein er zu entscheiden!

Und irgendetwas sagte ihm, dass eine lebendige Anis besser war, als eine tote.

Fast schon trotzig erhob Sesshoumaru sich. Er riss einige Moospolster aus der Erde und bereitete Anis damit eine Art Kissen, damit sie nicht mit dem Gesicht im Dreck lag (!!!), nachdem er sie vorsichtig umgedreht hatte, um sich ihre Wunde anzusehen. Bedächtig schob er ihre langen Haare beiseite. Er streifte ihr die fremde Schwertscheide vom Rücken und legte sie, ebenso wie Anis' Tasche ein Stück weiter weg. Dann wandte er sich wieder der Verletzten zu und schob langsam den blutdurchtränkten Stoff ihrer merkwürdigen, zerrissenen Kleidung weg.

Von dem etwa handbreiten Schnitt, den Sesshoumaru ihr zugefügt hatte, war kaum noch etwas zu sehen.

Das Gift hatte sich weit ausgebreitet und der jungen Frau Haut und Fleisch von den Knochen geätzt. Ihr ganzer Rücken war nur noch eine blutige Masse. Zischende, leicht rauchende Spuren wiesen darauf hin, dass sich das Gift von Sesshoumarus Dokkasso zum Herzen vorarbeitete.

Sesshoumaru hatte sich nie sonderlich über die Wirkung seiner Giftattacke Gedanken gemacht. Er wusste nur, dass sie sehr effektiv war. Das war schließlich auch das Wichtigste. Dennoch erinnerte er sich, auch ein Gegengift dafür zu besitzen. Für den Fall der Fälle hatte er immer ein Fläschchen bei sich. Allerdings war es noch nie zum Einsatz gekommen. Er hatte es von seinem Vater bekommen und es war immer genauso unnütz wie Tensaiga gewesen. Aber es war nun einmal ein Geschenk von Inu no Taishu gewesen und es war sein Wunsch, dass sein Sohn es immer dabei hatte, genau wie Tensaiga. Was konnte man da schon machen? Vielleicht war es jetzt an der Zeit, einen kleinen Test zu machen.

Sesshoumarus Kimono hatte nicht sehr viele Taschen, da er nicht sehr viele Dinge besaß, die er auf diese Weise zu verwahren pflegte. Folglich dauerte es nicht lange, bis er das Fläschchen gefunden hatte. Die Flüssigkeit darin war sowohl farb- als auch geruchlos.

Sesshoumaru öffnete die Flasche und träufelte etwas von dem Inhalt auf seine Handfläche. Sorgsam darauf bedach,t keinen Tropfen zu verschütten, ließ er seine Finger nun langsam über Anis' geschundenes Fleisch gleiten. Er achtete sorgfältig darauf, keine Stelle auszulassen.

Die Wirkung überraschte selbst Sesshoumaru: Über Anis' Knochen bildete sich neues Fleisch, kurz darauf überzogen von einer neuen Haut. Das Heilmittel schien das Gift nicht nur zu neutralisieren, sondern behob auch den Schaden, den dieses angerichtet hatte.
 

Das erste was Anis spürte, als sie aus der Bewusstlosigkeit erwachte, war ein grässlicher Schmerz.

Das zweite waren die Berührungen zweier Hände, die diesen Schmerz zu lindern schienen. Doch es fühlte sich merkwürdig an, fast, als würden diese Finger nicht über ihre Haut, sondern über blankes Fleisch tasten: Es tat höllisch weh.

Anis stöhnte vor Schmerz und versuchte sich hochzustemmen.

„Halt still!", fuhr sie eine eiskalte Stimme an.

Sesshoumaru! Anis rührte sich jetzt tatsächlich nicht mehr. Kein Zweifel, es war Sesshoumaru, der - ja was zum Teufel tat er da eigentlich? Seine Stimme war aus erschreckender Nähe gekommen. Es war nicht gut so nah bei Sesshoumaru zu sitzen. Ähm, zu liegen. Noch schlimmer! Das war nicht nur nicht gut, das war lebensgefährlich!

Bevor der Youkai sie noch einmal zurückweisen konnte, versuchte sie sich aufzurichten und verrenkte sich halb den Kopf, um nach hinten zu gucken.

Sofort ließ sie sich wieder zu Boden fallen. Das lag nicht unbedingt an dem vernichtenden Blick, den Sesshoumaru ihr zugeworfen hatte, sondern viel mehr an ihrem Rücken. Er sah aus, als hätte ihr jemand die Haut abgezogen! Anis musste sich zusammenreißen, um sich nicht zu übergeben.

Es war nicht gerade so, dass sie kein Blut sehen konnte, das machte ihr nichts aus. Aber das da... Einfach eklig! Das Gift schien sie regelrecht auffressen zu wollen. Aber wenn dem tatsächlich so war, dann musste es fast noch schlimmer aussehen...

Wieder fiel ihr Sesshoumarus Gegenwart auf. Wieder spürte sie wunderbar kühle Hände über ihren Rücken gleiten. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. War das etwa...? Natürlich, wer sollte es sonst sein! Aber... Und jetzt kam die Eine-Million-Dollar-Frage: Warum!?

Besaß Sesshoumaru etwa ein Gegenmittel für sein eigenes Gift? Anscheinend schon. Doch wieso machte er sich die Mühe mit dieser ... etwas seltsamen Behandlung? Er hatte ihr die Wunde doch selbst beigebracht. Warum hatte er sie nicht ganz getötet, sorgte sogar dafür, dass ihre Verletzung heilte?

Anis konnte förmlich spüren, wie sich eine neue Haut über ihrem Rücken zu spannen begann. Doch so fantastisch dieses kleine Wunder auch war: Es brauchte viel Zeit. Als Sesshoumaru endlich zum Ende kam, war bereits die Nacht hereingebrochen.

Noch einmal strichen seine Finger über ihren Rücken, als wollte er prüfen, ob er eine Stelle ausgelassen hatte. Anis ließs es über sich ergehen. So sehr es auch geschmerzt hatte: Sie spürte, dass er ihr nicht weh tun wollte. Es war seltsam, doch sie hatte das Gefühl, dass er ihr helfen wollte. Wenn auch nur aus Eigennutz. Aber seine Berührungen waren seltsam sanft und vorsichtig gewesen. Das sah ihm überhaupt nicht ähnlich! Es passte einfach nicht zu seinen harschen Worten und diesen eiskalten Augen. Ja, diese Augen... Sie machten ihr Angst. Sesshoumaru war zu fast allem fähig! Und eines stand für Anis fest: Sie wollte garantiert nicht aus einer Laune heraus getötet werden!

„Wer hätte gedacht, dass der große Sesshoumaru heilende Hände hat?", fragte Anis leise, um ihre Angst zu übertünchen. Wenn sie das offen zeigte, würde Sesshoumaru ihr bestimmt nicht viel wohler gesinnt sein. Vorsichtshalber ließ sie aber den ironischen Ton weg.

„Red keinen Unsinn.", sagte der Angesprochene mit diesem überheblichen Unterton, den Anis so sehr hasste. Der Youkai stand auf.

„Du hast viel Blut verloren. Beweg dich nicht, wir werden morgen weitergehen.", sagte er dann kühl.

Anis richtete sich noch einmal auf, um ihren Rücken zu betrachten - und zuckte vor Schmerz zusammen. Noch immer klaffte dort ein tiefer Schnitt. Die Flüssigkeit, mit der Sesshoumaru sie eingerieben hatte, behob wohl den Schaden, den das Gift des Dokkasso angerichtet hatte, aber gegen die Verletzung, die seine Klauen ihr beschert hatte, vermochte es nichts auszurichten. Naja, wäre ja auch zu schön gewesen.

Gleichzeitig beschlich sie aber auch der Verdacht, dass Sesshoumaru diese Wunde absichtlich offen gelassen hatte, um sie am Weglaufen zu hindern. Die Verletzung würden sie noch eine ganze Zeit lang behindern. Das waren ja tolle Aussichten! Sie würde mit Sesshoumaru allein durch die Gegend wandern müssen. ...hoffentlich kam er nicht auf falsche Gedanken. Nicht, dass sie auf Jakens Gesellschaft besonderen Wert legen würde, aber sie fühlte sich wohler, wenn ein paar Zeugen in der Nähe waren. Obwohl das Sesshoumaru nicht wirklich aufhalten würde, wenn er sich etwas in den Kopf setzen sollte... Unsinn, solche Gedanken waren ja wohl das Albernste, was je in ihrem Kopf herumgespukt war! Dennoch festigten sie Anis' Entscheidung, sich bei der nächstbesten Gelegenheit wieder aus dem Staub zu machen.
 

Am nächsten Morgen machten sich Sesshoumaru und Anis schon sehr früh auf den Weg. Sesshoumaru hatte sich - entgegen Anis Proteste - noch einmal deren Wunde angesehen. Sie war nur sehr langsam verheilt und die dicke Schorfschicht, die sich gebildet hatte, war eher hinderlich als nützlich. Sesshoumaru änderte seine Pläne deswegen natürlich nicht.

Nachdem Anis sich noch etwas anderes angezogen hatte, („Wenn du dich nicht sofort umdrehst, wirst du dein blaues Wunder erleben!") und sie ihr eigenes Schwert wieder auf ihren Rücken geschnallt hatte, („Nimm das Ding ab, sonst bricht deine Wunde wieder auf." *wird ignoriert* "Grrrr...") konnten sie sich endlich auf den Weg machen.

Sesshoumaru verzichtete darauf, wieder zu fliegen. Anis konnte wieder selbst laufen, auch wenn das ihre Reise erheblich verlängern würde. Davon abgesehen schafften Anis es mit Leichtigkeit, mit ihm Schritt zu halten. Dennoch würde es mit Sicherheit noch einige Tage dauern, bis Rin, Jaken und Ah-Uhn zu ihnen stoßen würden. Vorausgesetzt, es kam nichts dazwischen.
 

Sesshoumaru musterte Anis mit immer größer werdenden Missfallen. Sie lief einige Schritte hinter ihm und hatte den Blick starr auf den Boden gerichtet. Wieso trug sie dieses verdammte Schwert bei sich?! Erstens hatte sie Tessaiga und zweitens befand es sich in einer ledernen Scheide auf ihrem Rücken, sorgfältig von ihren Haaren verdeckt. Tat ihr das nicht weh? Die Wunde war zwar verkrustet, doch das Gewicht des Schwertes könnte diese leicht wieder aufbrechen. Vielleicht war das sogar schon passiert und sie verbarg es nur vor ihm?

Sesshoumaru ließ sich ein wenig zurückfallen, sodass er neben Anis lief. Stur setzte sie einen Fuß nach dem anderen und begegnete ihm mit Nichtachtung.

„Wie geht es deiner Wunde?", fragte Sesshoumaru. Seine Stimme klang, als hätte er es mehr aus Langeweile, als aus Interesse gefragt. Dennoch erwartete er eine Antwort.

„Gut", antwortete sie steif und zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch.

Sesshoumaru glaubte ihr nicht. Er griff nach ihrer Schulter und zwang sie an zu halten und ihn an zu sehen.

Ihre grünen Augen hatten ihren Glanz verloren. Sie blickte...verzweifelt. Ihre Lippen zitterten leicht. Der Youkai wusste nicht, was er jetzt tun sollte. Noch immer ruhte seine Hand auf ihrer Schulter. Was sollte er jetzt tun? Anis wirkte...schutzbedürftig. Sollte er sie einfach loslassen und weiter gehen? Nein, das erschien ihm nicht richtig.

Plötzlich lief ein Beben durch Anis' Körper und sie wankte. Sesshoumaru packte fester zu. Gerade noch rechtzeitig, denn da gaben ihre Beine auch schon nach und sie drohte zu fallen. Reflexartig streckte er auch seinen anderen Arm aus, um sie aufzufangen, bevor sie auf der Erde aufschlug. Verdammt, was ist los mit dir!?, dachte er verzweifelt.

Vorsichtig wollte er sie hinunter gleiten lassen, doch dann zuckte er zurück.

Einen Arm immer noch um ihre Taille geschlungen, betrachtete er voller Entsetzen seine andere Hand. Sie war voller Blut!

„Verflucht, wieso hast du nichts gesagt?!", flüsterte der Youkai schockiert, die Augen jetzt wieder auf Anis' Gesicht gerichtet. Doch die war anscheinend wieder bewusstlos geworden.

Sesshoumaru wusste nicht, warum ihn dieser Anblick und vor allem das Blut so sehr aufregte. Ihre Wunde musste ganz einfach wieder aufgebrochen sein, das war kein Grund zur Panik!

Dennoch... Wieso hatte sie nicht gesagt, dass sie so große Schmerzen hatte?! Natürlich, die Antwort lag ja eigentlich auf der Hand. Sie vertraute ihm einfach nicht. Wieso sollte sie ihm so etwas auch erzählen. Wahrscheinlich hatte sie unbedingt durchhalten wollen. Trotzdem, sie hätte doch wissen müssen, dass er sie nicht umbringen wollte! Mochte ja sein, dass er selbst ihr nicht traute, aber das hieß noch lange nicht, dass sie ihm ebenfalls nicht trau- doch, hieß es eigentlich schon. Warum sollte sie ihm vertrauen, wenn das nicht auf Gegenseitigkeit beruhen konnte? Aber da konnte man nichts machen, schließlich verschenkte er sein Vertrauen nicht so einfach und sie hatte es sich ja nicht gerade verdient. Aber warum zum Teufel war ihm dieses eine gewisse Wort, das mit V anfängt, auf einmal so wichtig? Er hatte nie das Vertrauen anderer Leute gebraucht! Und er brauchte es auch jetzt nicht.

Aber Grübeleien brachten ihn jetzt am wenigsten weiter. Anis' Wunde musste so schnell wie möglich verbunden werden, bevor sie noch mehr Blut verlor.

Rasch entfernte Sesshoumaru das Schwert und warf es achtlos beiseite.

Behutsam fuhr er mit der Hand unter den Stoff ihres Oberteils und zog es ihr über den Kopf. Darunter zog sie noch einen seltsamen Stoffstreifen, der ihre Brüste bedeckte. Sesshoumaru konnte nicht umhin seinen Blick einige Sekunden lang an ihrem Ausschnitt ruhen zu lassen. Zum Glück war sie bewusstlos...

Vorsichtig legte er Anis nieder, um sich der weniger ansehnlichen Wunde auf ihrem Rücken zuzuwenden. Das komische Ding, das sie sich umgeschnallt hatte, besaß einen komplizierten Hakenverschluss. Der Schnitt begann jedoch erst unterhalb des Verschlusses. Er musste sich also nicht die Mühe machen, das Ding auseinander zu fummeln. Sesshoumaru schüttelte den Kopf, als wollte er die unsinnigen Gedanken loswerden, die ihn jetzt befielen. Wenigstens klappte es.

Die Wunde hatte sich tatsächlich wieder aufgetan. Anis war wahrscheinlich durch den Blutverlust und die Schmerzen zusammengebrochen.

Sesshoumaru griff nach ihrer Tasche und suchte darin nach Verbandszeug. Was sonst würde sie mit sich herumschleppen?! Eine Antwort bekam er jedoch nicht, denn der Gebrauch der seltsamen Gegenstände, die sich darin befanden, war Sesshoumaru mehr als schleierhaft. Doch nach einer Weile fand er tatsächlich, was er suchte.
 

Anis stöhnte leise und schlug dann die Augen auf. Der Himmel über ihr war mit Sternen übersät. Es war Nacht? Aber... Hatte sie etwas wieder das Bewusstsein verloren?

Vorsichtig versuchte sie sich zu bewegen. Alles schien noch heil, sie spürte nicht einmal mehr die Schmerzen. Aber...

MOMENT MAL!

Erschrocken sah sich an sich herunter. Jemand hatte ihr einen Verband angelegt!

Das allein war ja nicht so schlimm, doch die Tatsache, dass sie kein Oberteil mehr an hatte, warf sie doch etwas aus der Bahn.

Rasch schaute sie sich um und entdeckte nicht weit von ihr entfernt ihr T-Shirt neben ihrer Tasche auf dem Boden liegen. Sie schluckte. Hastig griff Anis nach dem Kleidungsstück und zog es sich an.

Ihr Blick streifte auf der Lichtung, auf der sie sich befand umher und fiel schließlich auf Sesshoumaru, der nicht weit entfernt ein Feuer entzündet hatte und mit einem Ast darin herumstocherte. Sofort schoss ihr das Blut in den Kopf. Auch wenn es nur darum gegangen war, ihre Wunde zu versorgen, er blieb dabei, dass er sie ausgezogen hatte! Naja, wenigstens saß ihr BH noch am richtigem Platz...

Anis rollte sich zur Seite, damit sie das Feuer besser im Blick hatte. Weder sie noch Sesshoumaru wollten das Schweigen brechen. Beide starrten in die knisternden Flammen.

Der weibliche Teil der, aus zwei Personen bestehenden Gesellschaft, war in Gedanken versunken.

Seit sie Inuyashas Gruppe wieder verlassen hatte, stellte sie sich immer wieder eine Frage: Wieso lebte sie noch?

Als Sesshoumaru verlangt hatte, dass sie Tessaiga mitnahm, hatte sich in ihr ein kleiner Hoffnungsschimmer geregt. Doch als er sie kurz darauf im Wald aufgeschnappt hatte, war diese Hoffnung schnell dahin geschmolzen. Dennoch hatte er sie am Leben gelassen. Dieses mal. Doch was hatte den kaltherzigen Daiyoukai dazu bewegt? Reine Nächstenliebe ja wohl kaum.

Nachdem sie etwas eine ganze Stunde lang darüber nachgebrütet hatte, beschloss sie, diese Frage einfach mal auszusprechen:

„Warum tötest du mich nicht?"

„Ich brauche dich noch", sagte er mit ausdrucksloser Miene.

So, sie sollte also weiterhin sein Dienstmädchen sein?

„So sehr, dass du es auf dich nimmst, meine Wunden zu versorgen?", fragte sie und gab ihrer Stimme einen wirklich interessierten Klang.

„Hättest du es lieber, wenn du gestorben wärst?", fragte Sesshoumaru mit hochgezogener Augenbraue.

„Ich wundere mich nur, da ich nicht um deine Hilfe gebeten habe", stellte Anis sachlich fest. Dennoch war sie wütend und musste wieder an den Verband denken.

„Andernfalls hätte ich sie dir auch nicht gewährt", Im Gegensatz zu Anis blieb Sesshoumaru auch innerlich die Ruhe selbst.

„Ach so. Ich dachte schon...", murmelte sie.

„Was?"

„Nichts."

„Was?!", rief er ärgerlich.

„Ich dachte schon, du mutierst zum Weichei..."

Das hatte gesessen!

Clever war sie, daran bestand kein Zweifel. Sesshoumaru konnte sie wegen dieser Beleidigung nicht bestrafen, hatte er sie doch praktisch dazu aufgefordert. Was für ein gerissenes Biest...!

Der Verlauf dieses Gesprächs gefiel ihm ganz und gar nicht.

Aus Sesshoumarus Kehle drang ein tiefes, bedrohliches Knurren.

Anis jedoch lächelte nur und erwiderte:

„Die Masche ist auch gut. Ob ich das auch kann?" Sie räusperte sich kurz, setzte einen finsteren Blick auf und knurrte ebenfalls.

„Was ist das denn?", fragte der Youkai, bemüht spöttisch zu klingen. Ihr Knurren hatte sich tatsächlich ziemlich bedrohlich angehört, wenn auch nicht wie das einer typischen Inuyoukai.

„Das nennt man 'Nachäffungseffekt'", sagte Anis und schaffte es dabei, noch spöttischer zu klingen als Sesshoumaru. Der wiederum war nach dieser Antwort allerdings auch nicht sehr viel schlauer.

Die junge Frau drehte sich jetzt demonstrativ von ihm weg und schon wieder trat eine drückende Stille ein.

Aber nach einer ganzen Weile, als Sesshoumaru schon annahm sie schliefe, flüsterte Anis leise:

„Wieso musst du ausgerechnet mich mitnehmen?"

Warum fragte sie das? Hatte er es ihr denn nicht schon oft genug gesagt? Er beschloss, nicht darauf zu antworten.

„Ich werden wieder fliehen", fuhr sie leise fort.

Immer noch lag sie mit dem Rücken zu ihm.

„Nett, dass du mich vorwarnst", erwiderte er.

Anis wandte sich mit einem Ruck zu ihm um und starrte ihn perplex an.

„Wo hast du denn diesen plötzlichen Sinn für Humor her? Nicht das ich etwas dagegen hätte..." Sie klang ehrlich überrascht, wie Sesshoumaru amüsiert feststellte.

„Das muss dein schlechter Einfluss sein", Seine Stimme hatte den üblich kühlen Tonfall schon fast verloren, doch das merkte er selbst noch nicht.

Sesshoumaru spürte ihren Blick auf sich ruhen und hob den Kopf. Sofort nahmen ihre grünen Augen ihr gefangen.

Sie lächelte! Sie lächelte ihn an! Und sie wirkte... glücklich. Noch nie hatte sie ihn so angeschaut. Noch nie hatte irgendjemand ihn so angeschaut.

Sesshoumaru spürte eine angenehme Wärme in sich hoch steigen, die nichts mit dem Feuer zu tun hatte. Es war wie in jener Nacht, als Anis ihre wundervollen Lieder gesungen hatte. Er konnte einfach nicht umhin, sich in ihrer Nähe wohl zu fühlen. Aber warum? Sie sang doch jetzt gar nicht. Oder hatte dieses...etwas, vielleicht gar nichts mit den Liedern und dem Zauber zu tun, sondern war es in Wahrheit Anis selbst, die...?

Nein.

Nein, nein, nein.

Mühsam zwang es sich den Blick von ihr abzuwenden. Er durfte ihr nicht in die Augen sehen! Schon wieder waren ihm solch abwegige Gedanken gekommen. Er musste sich zusammenreißen!

Er spürte förmlich, wie diese Frau etwas in ihm veränderte. Er machte sich Gedanken über Dinge, die ihn nie zuvor interessiert hatten. Das musste aufhören!

Er beschloss, von nun an härter mit ihr umzuspringen. Naja, zumindest ein bisschen... wenn sich die Möglichkeit ergab... Dabei machte sie ja eigentlich nichts falsch... Sesshoumaru dachte diesen Gedanken nicht zu ende. Er würde in Zukunft einfach aufpassen, was er tat. Erst denken, dann handeln! ...schon wieder so etwas, worauf er normalerweise nicht angewiesen war. Aber das Ganze hier war an Sesshoumarus Maßstäben gerechnet auch alles andere als normal.
 

*
 

Zwei Tage später war Anis' Wunde wieder vollständig verheilt. Die Aussichten standen gut, dass Rin, Jaken und Ah-Uhn bald wieder zu ihnen stoßen würden.

Anis trottete mehr aus Vorsicht, als aus Respekt in einem weiten Sicherheitsabstand hinter Sesshoumaru her. Der Youkai hatte in den letzten Tagen jede sich bietende Möglichkeit ergriffen, ihr dermaßen vernichtende Blicke zu zuwerfen, dass sie mittlerweile tatsächlich eine Heidenangst vor ihm hatte.

Sie konnte das einfach nicht verstehen. Als er ihre Wunde versorgt hatte - die Wunde, die er ihr selbst zugefügt hatte, wohlgemerkt - da war er... anders gewesen. Fast schon normal. Aber Sesshoumaru war nunmal nicht normal. Sein jetziges Verhalten zeigte das nur noch einmal zu deutlich. Naja, er war eben ein Dämon - durch und durch. Die 'natürliche' Abneigung gegen Menschen hatte er wahrscheinlich schon mit der Muttermilch aufgesogen. Sie durfte ihn nicht nach ihren Maßstäben messen. Sie waren eben in völlig verschiedenen Welten aufgewachsen und hatten damit auch völlig verschiedene Vorstellungen.

Was für Gedanken! Anis schüttelte sie rasch ab.
 

Sesshoumaru bemerkte sehr wohl, dass seine stumme Begleiterin völlig in Gedanken versunken war. Sie schien nicht einmal mehr auf ihre Umgebung zu achten.

Ihm fiel plötzlich ein, dass sie in den letzten drei Tagen weder geschlafen noch gegessen hatte. Menschen aber hatten doch solch niedere Bedürfnisse. Menschen. Na, selbst wenn sie kein Mensch war, auch Dämonen brauchten Nahrung. Es sei denn natürlich, sie waren so mächtig wie Sesshoumaru. Er selbst aß nur äußerst selten etwas und Schlaf brauchte er nur, um seine Wunden verheilen zu lassen, wenn er besonders stark verletzt war. Aber Anis...

„Bist du nicht hungrig? Du hast seit Tagen nichts gegessen", sagte er ausdruckslos. Er wollte nicht, dass sie schon wieder umkippte. Sie hatten schon genug Zeit verschwendet.

„Ah... Ja. Ich könnte schon etwas zu Essen vertragen", murmelte sie und es war deutlich heraus zu hören, dass er sie aus den Gedanken gerissen hatte.

Sesshoumaru blieb stehen. Auch Anis hielt im Laufen inne.

„Kannst du selbst jagen?", fragte der Youkai. Er hatte absolut nicht die Lust, sich für dieses Weib die Hände schmutzig zu machen.

„Nein. Aber das brauch ich auch nicht", sagte Anis fast schon abweisend.

„Wenn du meinst. Besorg dir selbst etwas zu essen, ich warte hier", sagte Sesshoumaru kühl.

„Gut, aber es wird eine Weile dauern." Mit diesen Worten verschwand die junge Frau hinter den Bäumen.

Kurz noch überlegte Sesshoumaru, ob er ihr nicht doch noch folgen sollte, falls sie einen erneuten Fluchtversuch wagen sollte, entschied sich aber dagegen. Selbst ohne ihrem Geruch zu folgen, hätte er sie schnell eingeholt. Also ließ er sich unter dem nächstbesten Baum nieder und wartete.
 

*

Sesshoumaru starrte ins Feuer. So etwas hatte er noch nie gesehen.

Als Anis mit mehreren Wurzeln, Beeren, Blättern, Knollen und einem kleinem Fisch, den sie in einem nahe gelegendem Teich gefangen hatte, zu dem Youkai zurück gekehrt war, brach bereits die Nacht herein.

Sie hatte aus ihrer Tasche eine silberne Rolle heraus geholt, eine Art metallenes Pergament, das sie Alufolie nannte, davon abgerollt und ein Stück abgerissen. Den Fisch und das andere Zeug hatte sie darin eingewickelt und ins Feuer geworfen.

Jetzt lag dieses glitzernde Ding in den prasselnden Flammen. Der Feuerschein schien sich auf der Oberfläche dieses merkwürdigen Materials widerzuspiegeln. Fasziniert bemerkte Sesshoumaru, dass es sich zwar an manchen Stellen leicht schwarz färbte, jedoch nicht verbrannte! Es musste eine Art Zauberei sein...

„Was ist das für ein seltsames Material, das im Feuer nicht verbrennt? Und wo hast du es her?", fragte Sesshoumaru interessiert.

„Hab ich doch schon gesagt, das ist Alufolie, besteht also aus Aluminium und das brennt nicht so leicht. Man kriegt es im Supermarkt. Aluminium ist ein Metall und ein sehr guter Wärmeleiter. Deshalb verwende ich es, um den Fisch gar zu kriegen. So kann er mir nicht aus Versehen anbrennen."

Anis schien über seine Unwissenheit sehr amüsiert, was Sesshoumaru gründlich ärgerte. Dennoch war er neugierig - was eigentlich untypisch für ihn war. Doch sie hatte bei ihrer Erklärung viele Begriffe verwendet, die er nicht kannte. Dennoch schien sie fast davon aus zu gehen, dass er wusste, was sie meinte. Das war aber nicht der Fall. War sie vielleicht eine Hexe? Das würde vieles erklären.

„Wieso kannst du nicht jagen?", wollte er sich erkundigen.

„Ich esse kein Fleisch. Nur Fisch und pflanzliche Produkte", erklärte Anis.

Kein Fleisch?! Sollte das ein Witz sein?! Welches Wesen das Nahrung brauchte, aß denn kein Fleisch, von ein paar stinknormalen Tieren, die ganz unten in der Nahrungskette standen, einmal abgesehen?!

Sesshoumaru konnte nicht mehr an sich halten, er musste einfach wissen, was sie war.

„Was für ein Wesen bist du?"

Ein dämonisches Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie antwortete:

„Ich bin eine Vegetarierin."

„Vegetarierin? Von diesem Volk habe selbst ich noch nicht gehört. Erzähl mir etwas von ihnen." Anis hatte Sesshoumarus Interesse geweckt. Vegetarierin... Das klang irgendwie exotisch.

„Sicher hört man wenig von uns. Es gibt nicht sehr viele Vegetarier hier. Abgesehen davon komme ich aus Frankreich, dort herrschen sowieso andere Sitten", erklärte sie in einem Ton, mit dem ein gebildeter Professor mit einem Studenten sprach. "Das Entscheidende an einem Vegetarier ist, dass er nichts isst, was früher mal ein Gesicht hatte. Mit Ausnahme von Fisch und auch da sind wir sehr wählerisch." Anis pausierte kurz, nahm einen Zweig und drehte das silber glänzende Ding im Feuer um.

„Aber das ist doch unsinnig. Jedes höher gestellte Lebewesen braucht Fleisch, um gesund zu bleiben", überlegte Sesshoumaru laut.

„Denkste! Alle Nährstoffe die im Fleisch enthalten sind, gibt es in der Botanik in viel größeren Mengen. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Vegetarier eine gesündere Ernährung als Fleischfresser haben und dementsprechend bis zu 40% länger leben! Auch Fisch ist hundert mal gesünder als Fleisch. Es ist gut für Zähne, Knochen und Fingernägel. Genau wie Milch", fuhr sie fort.

„Wie meinst du das: Es ist gut für Fingernägel und Zähne?" fragte Sesshoumaru und unterdrückte den Drang, sich seine Fingernägel zu betrachten. Dass Anis ihn gerade indirekt als 'Fleischfresser' bezeichnet hatte, hatte er gar nicht bemerkt.

„Durch richtige Ernährung werden sie härter. Widerstandsfähiger. Ich hab mir noch nie einen Fingernagel abgebrochen... Es ist, als würde man ein gutes Schwert so schmieden, das es nicht zerbrechen kann. Man kann natürlich auch so darauf achten, dass es nicht zerbricht, aber wenn es gut gepflegt ist, kann man mehr Risiko eingehen. Verstehst du?" erklärte Anis. Es schien, als hätte sie dies alles schon sehr oft erklärt und konnte diese Rede schon auswendig.

Sesshoumaru nickte und warf jetzt doch einen unauffälligen Blick auf seine Krallen. Vielleicht sollte er in seinem mageren Speiseplan dem Fisch doch etwas mehr zusagen...

Anis' seltsame Zubereitung war jetzt offenbar fertig und sie schob das Bündel vorsichtig mit einem Ast aus der Glut heraus. Mit spitzen Fingern zog sie die Enden der Folie auseinander. Das Gemüse und der Fisch darin sahen noch genauso aus wie am Anfang, doch Anis schien es besser zu wissen.

„Es ist fertig. Ich denke, du hast keinen Hunger, oder?", erkundigte sie sich höflich.

Sesshoumaru schüttelte nur leicht den Kopf. Ein Wunder, das er überhaupt antwortete.

Anis ließ es sich daraufhin tüchtig schmecken. Den Fisch befreite sich noch rasch von den Gräten und riss den Kopf ab.

„Das weiße Filet eines Fisches ist so viel leckerer als ungenießbares, rotes Fleisch. Das ist einfach ekelig, ich weiß nicht, wie manche eine solch blutige Masse überhaupt anfassen können", murmelte sie dabei.

Der Youkai sah ihr von der anderen Seite des Feuers beim Essen zu. Es schien ihr wirklich zu... schmecken. Im Essen hatte er bisher nur eine kaum nennenswerte Notwendigkeit gesehen, aber Anis... Sie war einfach so... anders!

„Willst du wirklich nichts? Es schmeckt köstlich. Ich bin zwar keine Meisterköchin, aber das hier ist mir wirklich gut gelungen. Dir entgeht was, wenn du es nicht probierst", sagte sie und schien eine Reaktion von ihm zu erwarten.

Sesshoumaru musste zugeben, dass es tatsächlich sehr gut roch. Aber das sollte nichts heißen.

„Ich esse keinen Menschenfraß", sagte er ablehnend.

„Sieht das etwa aus wie Menschenfraß?! Nein, wenn schon, dann ist das Vegetarierfraß und es wird dich schon nicht vergiften." Jetzt schien sie etwas gereizt, ja sogar beleidigt zu sein.

Naja, es sah tatsächlich nicht wie Menschenfraß aus. Menschen verwendeten nicht solche glitzernden Alu-Dinger. Und sie ernährten sich auch nicht nur von Fisch und Grünzeug. Vielleicht sollte er es wirklich mal probieren, einfach nur, damit sie endlich Ruhe gab, versteht sich.

„Komm schon!", sagte Anis energisch, die sehr wohl bemerkt hatte, dass in Sesshoumarus Blick nicht mehr ganz so viel Ablehnung steckte. Auffordernd hielt sie ihm die Alufolie mit dem Fisch hin.

Und tatsächlich, das Wunder geschah: Mit spitzen Fingern, oder eher Krallen, nahm Sesshoumaru etwas von dem weißen Fisch und schob es sich in den Mund.

Einige Sekunden lang kaute er darauf herum. Es war... seltsam. Weich und warm und... Dieser Geschmack... Es war... herrlich! Der Youkai hatte seit Jahrzehnten nichts mehr gegessen, er brauchte so etwas nicht. Aber das war... Gut. Es schmeckte noch besser, als es roch. Sogar ein wenig besser als Fleisch, so fern er sich noch an diesen Geschmack erinnern konnte.

Sesshoumaru schluckte den Bissen hinunter. Einen Moment lang war es still.

„Und? Wie schmeckt es dir?", fragte Anis eifrig.

„Es ist... gut", gab er widerwillig zu.

Anis strahlte ihn an. Sie schien sich richtig zu freuen. Warum denn? Er hatte doch nur gesagt, dass es gut schmeckte... Wieder spürte er dieses wohlige Gefühl in sich hochsteigen.

„Willst du noch mehr?", fragte die Frau erwartungsvoll.

„Mehr?" Sesshoumarus Stimme klang, als müsste er die Bedeutung dieses Wortes erst verstehen.

„Ich hab zu viel gesammelt und bin auch schon fast satt. Wenn du nichts mehr willst, muss ich den Rest wegwerfen und es wär doch schade drum...", erklärte Anis, doch Sesshoumaru wurde das Gefühl nicht los, dass es ihr nur darum ging, ihm das Zeug anzudrehen. Aber warum? War es vielleicht doch vergiftet? Unsinn, erstens hatte sie selbst davon gegessen und zweitens war ihm noch kein Gift untergekommen, dass ihm hätte schaden können. Also...was sprach dagegen?

„Gibst du dann endlich Ruhe?", fragte er mit genervter Stimme.

„Sicher!", antwortete die Angesprochene.
 

Und so kam es, dass der große Sesshoumaru mit einer Vegetarierin Abendbrot aß und beschloss, in Zukunft seinen Speiseplan umzustellen.
 

XxX
 

So, da ihr ja alle noch Anis am Leben haben wolltet, hab ich euren Wunsch erfüllt. Ich denke, einige von euch haben schon Tensaiga im Visier gehabt, aber wer weiß, vielleicht will ich sie nochmal sterben lassen und das Schwert kann ja jeden nur einmal wiederbeleben. (die Story geht ja noch ne Weile ^^)

Mitten im Sommer

Endlich hab ich's geschafft! Drei Tage Klassenfahrt und am Wochenende war ich auch nicht da. Dann har's auch noch mit dem Hochladen so lang gedauert. Aber jetzt endlich ist das neue kapitel da. Seid nicht böse das es so lange gedauert hat. Ich bemüh mich auch ganz dolle!
 

XxX
 

Anis schlug die Augen auf und bekam so geraden noch mit, wie der leuchtend rote Feuerball, der sich Sonne nannte, auch seinen letzten Rest über den Horizont wuchtete. Das gleißende Licht war selbst durch ihre geschlossenen Augen gedrungen und da sie nicht wirklich geschlafen, sondern eher vor sich hin gedöst hatte, war sie jetzt mit einem Schlag wieder hellwach.

Anis fühlte sich merkwürdig entspannt und überlegte kurz, woran das wohl lag. Es fiel ihr auch sehr rasch wieder ein: Sie hatte keinen Hunger mehr. Schließlich hatte sie gestern ja auch ein reichliches Abendbrot genossen. Dazu noch eine herrliche Nachtruhe... Sie fühlte sich wie neu geboren. Sie hatte sogar recht gute Laune. Diese konnte ihr nicht einmal Sesshoumaru vermiesen, der sie an diesem Morgen mit recht spöttischen Worten begrüßte.

Nicht einmal gegen das viel zu schnelle Marschtempo, das Sesshoumaru an den Tag legte, hatte sie etwas einzuwenden. Doch sie sollte nicht mehr lange so guter Dinge sein...
 

Sesshoumaru hob witternd die Nase. Er spürte fremdes Youki, konnte aber noch nichts riechen. Anscheinend war es noch weit entfernt. Sie würden noch ein paar Stunden brauchen, bis sie den Youkai erreichten. Normalerweise hätte er sich ja gar nicht darum gekümmert, doch dies musste ein außergewöhnlich starker Dämon sein, wenn er ihn schon jetzt so deutlich spüren konnte.

Kurz lauschte er auf das Geräusch der gleichmäßigen Schritte hinter ihm. Hatte Anis ihn auch bemerkt? Wahrscheinlich nicht. Von welchem Volk auch immer sie stammte, er hatte den Namen, den sie ihm gestern genannt hatte, schon wieder vergessen, ihr Spürsinn war wohl nicht so gut wie seiner.

Sesshoumaru beschloss, dem Youkai nicht auszuweichen. Sicher würde es eine Zeitverschwendung sein, mit ihm zu kämpfen, doch die weite Ebene zu umgehen, die sich in dieser Richtung befand, würde noch viel länger dauern. Außerdem musste dieser wer-auch-immer ihnen ja nicht unbedingt feindlich gesinnt sein.
 

Anis betrachtete die strahlende Sonne, die an dem blauen Himmel leuchtete. Die goldenen Lichtstrahlen kitzelten ihr Gesicht. Gold. Das war die gleiche Farbe, wie sie auch Sesshoumarus Augen hatten. Doch im Gegensatz zu der Sonne strahlten seine Augen nicht die geringste Wärme aus. Immer waren sie kalt, abweisend, gleichgültig oder ...rot...

Doch plötzlich ließ das Sonnenlicht nach. Anis wandte den Kopf zum Himmel. Dicke, schwarze Wolken hatten den Himmel erobert. Es wunderte die junge Frau schon etwas, dass sich dieses Unwetter so schnell zusammengebraut hatte. Doch diese Wolken schienen nicht normaler Herkunft zu sein. Anis spürte jetzt, wo sie genauer darauf achtete, das Youki eines starken Dämons.

„Sesshoumaru... Da kommt etwas”, sagte sie leise und bemühte sich, das Zittern aus ihrer Stimme zu verbannen.

Sesshoumaru warf ihr nur einen seiner übliche eisigen Blicke zu. Sicher hatte er das schon lange vor ihr bemerkt. Unter seinem frostigem Blick schrumpfte Anis etwas in sich zusammen und die Umgebung schien sich plötzlich etwas abzukühlen.

Moment mal.

Es schien nicht nur so, es war tatsächlich kälter geworden. Das rührte ganz sicher nicht von Sesshoumarus kalten Augen her.

Anis zuckte zusammen. Etwas kaltes, nasses war auf ihrer Nasenspitze gelandet. Fing es etwas an zu regnen? Aufmerksam ließ sie ihren Blick schweifen. Nach einer Weile schaute sie wieder zum wolkenbedeckten Himmel. Nein, es regnete nicht. Es schneite. Mitten im Sommer.

Anis Gesicht verfinsterte sich. Das war zweifellos das Werk eines Dämons.

Schnee. Nasses, kaltes, ekliges Zeug. Anis konnte gefrorenes Wasser nicht leiden. Doch Sesshoumaru setzte seinen weg unbeirrt fort. Er schien sich nicht an den dicken weißen Flocken zu stören, die jetzt immer zahlreicher vom Himmel fielen.

Typisch! Von einem kleinen ‘Wetterumschwung’ lässt sich unser Lord der Frostigkeit natürlich nicht aus der Ruhe bringen. Selbst wenn es offensichtlich ist, da,s dieser Wetterumschwung von einem Dämon verursacht wurde, waren ihre Gedanken.

Also trottete Anis weiterhin hinter Sesshoumaru her. Er würde schon wissen, was zu tun war. Dachte sie jedenfalls.

Der Wind frischte auf und blies ihr eine ordentliche Ladung Schnee ins Gesicht.

Das eklig-nasse Zeug lag jetzt schon eine handbreit auf der Erde und es wurde ständig kälter. Normalerweise hätte sie das gar nicht so richtig wahrgenommen, doch dieser Schnee schien etwas besonderes zu sein. Nicht nur, dass er mitten im Sommer aus den Wolken fiel, er war auch tausend mal kälter als normaler Schnee. Die Vegetarierin hätte einen ganzen Tag im Schnee liegen müssen, damit sich ihre Körpertemperatur auch nur um ein halbes Grad senkte. Doch jetzt fror sie richtig! Noch nie hatte sich eine solche Kälte gespürt! Ob es Sesshoumaru wohl genauso ging?
 

Sesshoumaru hatte mit de Schnee noch viel mehr zu tun als Anis. Die junge Frau lief die ganze Zeit in seinem Windschatten, doch er selbst bekam den eisigen Wind mit voller Härte ab. Aber natürlich war er auch viel mächtiger und zäher, sodass es ihm weniger ausmachte. Dennoch spürte auch er die kalten Flocken wie Tausende winziger Nadelstiche auf seiner Haut. Aber Nadelstiche machten einem Daiyoukai natürlich nicht sehr viel aus.
 

*
 

Die Landschaft um sie herum jedoch hatte sich nach einer Weile drastisch verändert. Die Bäume des scheinbar endlosen Waldes waren einer weiten, kahlen Ebene gewichen. Nur noch vereinzelnd ragten einige verkrüppelte Bäumchen aus den Schneewehen. Sie waren nur noch totes Holz, das mit einer zentimeterdicken Eisschicht bedeckt war. Sie sahen aus wie Skelette, die ihre dürren Knochenarme dem Himmel entgegen reckten.

Erneut kam eine heftige Windböe auf und fegte über die beiden Wandernden hinweg. Mit jedem Schritt den sie taten, wurde die Kälte stärker.

Langsam spürte selbst Sesshoumaru, wie die Kälte ihm Stück für Stück unter die Haut kroch. Aber er dachte gar nicht daran, umzukehren. Jetzt erst recht nicht!

Er hielt genau auf den Ort zu, an dem er das Youki des fremden Dämons spürte, der für dieses untypische Wetter verantwortlich war. Er würde dieses Trottel schnell zur Strecke bringen.

Oder besser: Anis würde es tun. Ihre Wunde war wieder vollständig verheilt. Es wurde höchste Zeit, dass sie ihren Aufgaben wieder nachging. Schließlich war das der einzige Grund, warum er sich in den letzten Tagen so sehr ihrer angenommen hatte. Der einzige Grund! Also sollte sie ihn auch erledigen.

Aber falls ihr etwas dabei passierte, dann würde diesem Dämon sein ganzer Schnee überhaupt nichts mehr nützen! Dann würde er einen so grausamen Tod sterben, dass er sich wünschte, nie geboren worden zu sein! Aber er wollte Anis zumindest die Chance geben, sich zu bewähren.
 

*
 

Stunden vergingen. Das Schneetreiben wurde immer heftiger. Der Schnee lag jetzt schon einen Meter hoch. Doch weder Sesshoumaru noch Anis sanken darin ein, sie liefen auf der harten Eiskruste über das weiße Zeug, welche ihr Gewicht halten konnte. Aber die Kälte machte ihnen beiden sehr zu schaffen.

Anis’ Lippen waren schon ganz blau gefroren. Ihre Haare sahen jetzt genauso weiß wie Sesshoumarus. Alle paar Minuten schüttelte sie den Kopf um die Last der schweren Flocken abzuschütteln. Doch der Wind legte sofort wieder seinen weißen Mantel darüber.

Anis war langsam am ende ihrer Kräfte, doch auch nur die kleinste Rast hätte gereicht, um sie beide bis unter die Ohren einzuschneien. Außerdem schien es Sesshoumaru noch recht gut zu gehen.
 

Sesshoumaru ging es überhaupt nicht gut. Die Kälte lähmte seinen Körper und jeder Schritt bereitete ihm Mühe. Am schlimmsten aber war der Wind. Hatten sich die Schneeflocken vor einigen Stunden noch wie Nadelstiche angefühlt, so glichen sie jetzt Messerstichen. Der Wind pfiff durch seinen Kimono, als wäre dieser gar nicht da. Seine Haare weigerten sich, durch die Luft zu wehen, festgehalten von einer zentimeterdicken Schneekruste. Alle seine Kleider waren steif vor Kälte.

Natürlich hätte ihm das alles normalerweise nichts ausgemacht. Doch das hier war nicht normal. Man musste schon ein sehr mächtiger Dämon sein, um eine so große Fläche vollkommen einschneien zu lassen, noch dazu im Sommer! Aber diesen Schnee so zu verzaubern, dass auch Daiyoukai seine Kälte spürten, als wären sie gewöhnliche Menschen, das war ein verdammt hartes Stück Arbeit. Wer machte sich wegen zwei Personen so viel Mühe?
 

Plötzlich spürte Sesshoumaru eine angenehme Wärme an seiner Seite. Verwirrt blieb er stehen. Es war Tensaiga. Er legte die Hand an den Griff des Schwertes. Er war warm, geradezu heiß. Der Youkai wusste, dass das eine Warnung sein musste. Verdammt, dieses dämonische Schneetreiben hatte seine Sinne völlig vernebelt!
 

Anis war nicht sehr gut darauf vorbereitete gewesen, dass Sesshoumaru plötzlich stehen blieb. Fast wäre sie in ihn hineingerannt.

„Entschuldigung!”, sagte sie rasch.

Der Inuyoukai war in letzter Zeit so gereizt gewesen, dass sie so viel Höflichkeit wie möglich an den Tag legte. Doch Sesshoumaru schien sie nicht einmal bemerkt zu haben. Anis sah, dass er seine Hand an den Griff seines Schwertes gelegt hatte. Da sie nicht wusste, dass Tensaiga niemanden töten konnte, kam ihr diese Tatsache auch nicht besonders seltsam vor, es irritierte sie nur etwas. Sie schüttelte rasch den Kopf, um den darauf liegenden Schnee loszuwerden und versuchte dann, irgendetwas auf der endlosen, leicht ansteigenden Ebene auszumachen, was Sesshoumarus Aufmerksamkeit auf sich gelenkt haben könnte. Tatsächlich spürte sie jetzt, wo sie darauf achtete, eine beachtliche Menge fremdes Youki.

Doch sie konnte nichts sehen, denn nach bereits zwei Metern bildeten Schnee und Wind eine undurchsichtige Mauer. Anis bezweifelte, dass Sesshoumaru den unsichtbaren Feind gerochen hatte. Der Wind schlug ihnen entgegen und die junge Frau spürte die fremde Energie links von ihr.

„Sesshoumaru? Er ist dort irgendwo, nicht wahr?”, fragte sie zaghaft und deutete in die Richtung, die sie meinte.
 

Sesshoumaru wäre beinahe zusammengezuckt, als er Anis’ Stimme hörte. Hatte sie den Dämon etwa entdeckt?

Er sah an der eingeschneiten Frau vorbei und ließ seine Sinne in die Richtung wandern, in die ihr ausgestreckter Arm zeigte. Tatsächlich, dort befand sich der Youkai der das, was früher einmal ein Wald gewesen war, in eine tote Eiswüste verwandelt hatte.

Widerwillig nahm er die Hand von Tensaigas warmen Griff und zog Tokjin. Er würde diesen Dämon ein wenig aufscheuchen und das Weib konnte dann den Rest erledigen.

Sesshoumaru spürte, wie Anis rasch zurück trat, um nicht von der blauen Energiewelle pulverisiert zu werden, die jetzt auf die fremde Energiequelle zuraste.
 

Das Schneefeld explodierte.

Schwere Massen kalten, zusammengebackenem, weißem Zeugs regnete auf sie herab. Anis hielt schützend die Arme über den Kopf und warf sich zu Boden, um nicht davon erschlagen zu werden. Als sie sich wieder aufrichtete, hörte sie ein lautes, hysterisches Lachen.

Am Ende der breiten Schneise, die auf das Konto von Tokjins Energiewirbeln gingen, stand der Youkai, den sie gesucht hatten.

Anis konnte ihn kaum vom Hintergrund unterscheiden. Fast alles an ihm war weiß. Seine Haare, die etwas kürzer als die von Sesshoumaru waren, seine Kleidung und selbst seine Haut. Die Augen strahlten in einem unheimlichen Eisblau.

Anis hörte ein Geräusch hinter sich und drehte sich um. Sesshoumaru hatte Tokjin wieder zurück gesteckt.

„Der gehört dir”, sagte er mit leisem Spott in der Stimme.

Anis nickte zögernd. Sie trat ein paar Schritte vorwärts, um ihren Gegner näher in Augenschein zu nehmen. Kurz überlegte sie, welches der beiden ihr zur Verfügung stehenden Schwerter sie verwenden sollte. Tessaiga oder Klingenecho? Sie entschied sich für Tessaiga und zog die Waffe auch sogleich aus der Scheide.

„Was denn, der Dämon lässt ein Menschenweib für sich kämpfen? Hat mein ‘Eiswinter’ ihm so sehr zugesetzt?”, sagte der fremde Schneedämon verächtlich.

„Erstens wirst du gleich durch dein, ach so schwaches Menschenweib den Tod finden und zweitens glaube ich, dass solch ein lächerliches Schneehuhn wie du es bist, lieber beim Skilaufen bleiben sollte”, antwortete Anis genervt. Sie wollte das hier so schnell wie möglich hinter sich bringen. Möglichst, ohne dabei den Löffel abzugeben. Beleidigungen waren nicht der Sinn der Sache.

Der Dämon schien der selben Ansicht zu sein, denn anstatt zu antworten streckte er eine Hand von sich aus und murmelte einige unverständliche Worte.

Plötzlich kam eine starke Windböe auf. Durch den darin herumwirbelnden Schnee sah Anis sie näher kommen und wich ihr hastig aus, indem sie zur Seite sprang. Gleich darauf spürte sie, wie der Wind mit schneidender Kälte an ihr vorbei rauschte.

Das Erschreckende war, wie Anis jetzt feststellte, dass der Boden, über den die Windböe hinweggefegt war, jetzt nicht mehr aus Schnee, sondern aus Eis bestand.

Auch ich würde jetzt wahrscheinlich Ähnlichkeit mit einer Eisskultur haben, hätte mich sein Angriff getroffen. Ich muss vorsichtig sein, wer weiß was der Kerl noch so auf Lager hat, überlegte sie.

„Verdammte Quallenkacke!”, fluchte Anis leidenschaftlich.

Der Dämon war noch zu weit weg, um ihn mit einer Schwertattacke anzugreifen. Ihr Blick fiel auf die Eisbahn seitlich von ihr.

Kurz entschlossen legte sie sich einen Plan zurecht und begann auf den Youkai zuzurennen. Der Schnee knirschte unter ihren Füßen.

Der Schneeyoukai grinste fies, machte einige seltsame Bewegungen und murmelte wieder etwas.

Anis spürte den Schnee nachgeben, sie drohte einzusinken. Aber das war jetzt egal, sie war bereits schnell genug und sprang jetzt auf die Eisbahn hinauf. Ihr Gegner schien total verdattert, als die junge Frau auf einmal mit enormer Geschwindigkeit auf ihn zuschlitterte. Kurz bevor sie ihn erreichte, hob sie das verwandelte Tessaiga und rammte es mit aller Kraft in den Boden.

Ein ohrenbetäubendes Knacken ertönte, als das Eis brach. Milliarden winziger Eissplitter wirbelten durch die Luft. Dort, wo Anis den riesigen Stoßzahn ins Eis getrieben hatte, begannen sich feine Linien zu bilden, die sich rasch zu breiten Rissen und schließlich zu tiefen Furchen vergrößerten. Diese erreichten auch bald den Schneedämon. Doch der stürzte nicht in eine der Spalten, wie Anis es sich erhofft hatte, sondern blieb einfach mitten in der Luft schweben. Zu allem Überfluss hatte sie selbst plötzlich Mühe, auf dem schwankenden Untergrund nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

„So etwas Lächerliches habe ich selten gesehen. Hast du wirklich geglaubt, ich, der Herr des Eises, würde in meinem eigenem Element zu Grunde gehen?!”, fragte ihr Feind höhnisch.

Anis tat, als würde sie angestrengt nachdenken bevor, sie antwortete:

„Ja, so ungefähr. In allen guten Horrorfilmen läuft das so ab.”

Unbeeindruckt ihrer Worte, die er höchstwahrscheinlich sowieso nicht verstanden hatte, vollführte der Youkai einige komplizierte Armbewegungen. Kurz darauf rasten mehrere messerscharfe Eisspeere auf die Kämpferin zu. Mehrere Male feuerte der Dämon diese Speere ab, nur um festzustellen, wie gut die Reflexe seiner Gegnerin waren.

Anis wich den Eisspeeren mit Leichtigkeit aus. Doch der ‘Herr des Eises’, wie dieser sich selbst nannte, ging ihr langsam ziemlich auf die Nerven.

Sie drehte Tessaiga kurz in der Hand, konzentrierte sich auf die Energieströme und ließ das Schwert dann durch die Luft wirbeln. Fünf gleißende Lichtstrahlen rasten mit einem grässlichen Lärm auf ihren Gegner zu. Doch der Dämon konnte sich gerade noch so mit einem Sprung zur Seite retten. Trotzdem kam er nicht ungeschoren davon, denn einer der Energieströme erfasste sein linkes Bein und zerfetzte es in tausend Stücke. Verwundert sah der Youkai an seinem Körper herunter. Seltsamerweise schien ihn der Verlust seiner Gliedmaße nicht sonderlich zu beeindrucken.

Was bei allen Dämonen des Mittelalters ist denn das für’n Hirni?!, dachte sich Anis.

Ihr Gegner schien tatsächlich gehirnamputiert zu sein, denn plötzlich lachte er auf und beschoss Anis erneut mit einer Anzahl an Eisspeeren.

Die Frau verschanzte sich rasch hinter einem Schneehügel, um erstmal wieder zu Atem zu kommen. Doch plötzlich hörte sie in der Nähe eine Stimme:

„Hack ihm die Arme ab.”

„Wie bitte?!”, rief sie und fuhr herum.

Nicht weit von ihr entfernt saß Sesshoumaru im Schneidersitz gemütlich auf dem Boden und beobachtete den feindlichen Youkai mit unbeteiligter Miene. Aber schließlich wandte er sich doch noch einmal Anis zu:

„Wenn er keine Arme mehr hat, kann er dich nicht mehr mit seiner Eismagie angreifen”, erklärte er.

Anis nickte und überlegte gleichzeitig, wie sie das anstellen sollte. Um sie mit seiner Magie anzugreifen, machte der Schneedämon jedes mal solch merkwürdige Armbewegungen.

Aber mit Tessaiga konnte sich nicht so genau zielen, dazu war die Waffe zu groß. Nun, dann würde sie eben ihr anderes Schwert nehmen.

Anis schob Tessaiga in die Scheide zurück und kam hinter dem Schneehügel hervor. Sie musste nah genug an den Youkai heran kommen, sonst verlor Klingenecho seine Wirkung. Wie schon bei ihrem ersten Kampf mit Sesshoumaru musste sie den Überraschungseffekt voll ausnutzen. Das war ihre beliebteste, gewohnteste und effektivste Waffe.

Um nicht sofort aufgespießt zu werden beschloss sie, ein wenig mit ihrem Gegner zu plaudern, um ihn abzulenken.

„Sag mal, wie ist denn eigentlich das Leben als Schneemann?”, fragte sie spöttisch und wich einem weiteren Angriff aus.

Ein Schritt.

„Was soll denn das werden?”, empörte der ‘Schneemann’ sich.

„Nunja, ich hab mir deinesgleichen immer mit Zylinder und Karottennase vorgestellt”, lenkte die Frau ihn ab.

Zweiter Schritt.

„Ich hab nicht die geringste Lust, mich von dir beleidigen zu lassen!”, kam die Antwort, gepaart mit einem weiteren Eisspeer. Anis duckte sich ungerührt darunter hinweg.

Dritter Schritt.

„Ach nein? Was tu ich denn dann hier bitteschön? Schach spielen?!”, lachte Anis ihn aus.

„Das hier ist kein Schachspiel!” rief der Dämon aufgebracht.

Vierter Schritt.

„Tatsächlich? Oh nein, ich hab mein ganzes Leben lang mit einer falschen Weltansicht gelebt! Und dabei dachte ich, du wärst nur eine Figur auf dem Spielbrett. Ein Turm zum Beispiel, so starr wie du da stehst. Ein weißer Turm natürlich. Weißt du eigentlich, wie grässlich dein Modestyl ist?!”, sprudelte Anis weiter. Ihre Strategie begann sich auszuzahlen, ihr Feind war jetzt schon so abgelenkt, dass sie der Windböe, die er jetzt auf sie zusteuern ließ, gar nicht mehr ausweichen musste, da diese sie um Meter verfehlte.

Fünfter Schritt.

„Weißt du, wie das Motto eines jeden Schachspiels ist? Weiß beginnt, schwarz gewinnt! Da du mit deinem ganzen Winter-im-Sommer-Quatsch angefangen hast, werde ich dich zweifellos besiegen.” Immer weiter textete sie ihn auf diese Weise zu und feixte dabei übers ganze Gesicht.

„Hier spielen wir nach meinen Regeln!”, konterte der Youkai. Doch Anis war weitaus schlagfertiger als ihr Gegenüber.

Sechster Schritt.

„Eben hast du noch gesagt, dass hier wäre kein Spiel. Kannst du dich nicht endlich mal entscheiden?!”

Während der Dämon noch verzweifelt nach einer guten Antwort suchte, war Anis, jetzt nur noch wenige Meter entfernt von ihm, stehen geblieben. Genug, um ihn endlich direkt anzugreifen. Während sie sich bemüht unauffällig die Haare zur Seite strich, setzte sie schnell noch eine weitere Bemerkung hinterher:

„Du hast keinerlei Peilung!”

Das ihr Gegner dieses Wort nicht kannte und jetzt noch irritierter war, nutze sie nun gnadenlos aus. Blitzschnell zog sie Klingenecho aus der Scheide und ließ es sofort mit Schwung auf den Youkai niederrasen.
 

Sesshoumaru staunte nicht schlecht. Anis’ zweites Schwert schien doch recht nützlich zu sein.

Statt nur einer Schwertklinge sausten nun nämlich immer mehr Klingen auf den Boden zu und zwar in immer größeren Abständen. Es war, als würde die Kämpferin in zwei Sekunden ungefähr zehn mal zuschlagen und dabei immer weiter auf den Youkai zugehen.

Die Arme des Schneedämons wurden sauber in sechst Teile zerteilt und fielen als blutige Stümpfe zu Boden.

„Das... Ist euer Tod!”, keuchte der Youkai schwer atmend.

„Tod? Ich bitte dich, du kannst dich ja kaum mehr auf deinem einen Bein halten”, sagte Anis mit hochgezogener Augenbraue. Das Blut an Klingenechos Schneide gefror.

„Spotte du nur! Aber mein Tod... Wird den Richiru-Fluch entfesseln... Und euch mit ins Jenseits ziehen!” Mit diesen letzten, für Anis’ Geschmack etwas verwirrenden Worten, sackte er in sich zusammen. Der Schnee färbte sich rot, als sich der Youkai dort unter Todesqualen zusammenkrümmte.

„Ich werde dein Leiden beenden”, sagte Anis leise und richtete ihr Schwert erneut auf ihn.

Sie schien sich überhaupt keine Sorgen über dessen letzte Warnung zu machen, sondern hielt ihn nur für einen schlechten Verlierer.

Bei Sesshoumaru sah das schon etwas anders aus. Durch den vielen Schnee war es nicht zu sehenen und man bräuchte wohl auch so schon eine Lupe um es zu erkennen, aber er war doch eine Spur blasser geworden. Gerade wollte er Anis daran hindern, ihre Bewegung zu ende zu führen, doch es war bereits zu spät. Die Klinge fuhr auf den sich krümmenden Körper herab.
 

Einen Moment lang war es still.

Die blutige Gestalt färbte sich weiß und dort, wo sie eben noch gelegen hatte, befand sich nur noch ein kleiner Schneehaufen.

Das war wortwörtlich die Ruhe vor dem Sturm.

Sesshoumaru schloss kurz die Augen und wartete.

Eine Sekunde verging.

Hatte der Youkai gelogen?

Zwei Sekunden.

Nein, dazu hatte Anis ihn zu leicht besiegen können.

Drei Sekunden.

Eine deutliche Spannung lag in der Luft.

Fünf Sekunden.

Die Luft knisterte. Die Stille war so laut wie noch nie. Auch Anis spürte, das hier etwas nicht stimmte.

Dann passierte es.

Mit einem ohrenbetäubenden Lärm explodierte das Schneefeld. Zum zweiten Mal fielen die Schneemassen vom Himmel und drohten die Untenstehenden zu begraben. Währen Sesshoumaru dies schon vorausgeahnt hatte, traf es Anis völlig unvorbereitet. Sie wurde von der plötzlich entstanden Lawine mitgerissen und schließlich unter ihr begraben.

Alles wurde schwarz.
 

Sesshoumaru konnte sich nur mit Mühe beherrschen. Ihm fielen plötzlich tausend Flüche ein, die die jetzige Lage durchaus treffend beschrieben hätten. Und mit dem Fluchen hatte er es eigentlich nicht so besonders.

Der Feind war zwar vernichtet, doch das brachte mehr Probleme mit sich, als wenn er noch leben würde.

Ein fürchterlicher Schneesturm war entstanden. Sesshoumaru konnte durch den Schnee nichts sehen, durch den Wind nichts riechen und durch den Lärm des Sturms nichts hören. Selbst sein Tastsinn nutzte ihm nichts, da all seine Glieder steif gefroren waren. Es war zum Aus-der-Haut-fahren!

Als das Schneefeld bei Anis’ letztem Angriff explodiert war, hatte er sich nur mit Mühe davor retten können, nicht unter den weißen Massen begraben zu werden. Doch seine Begleiterin hatte weniger Glück gehabt. Er musste sie finden! Er hatte nur leider keinerlei Ahnung, wie er das anstellen sollte.

Der grässliche Wind, der ihm entgegen kam, presste ihm alle Luft aus den Lungen. Schlagartig fiel ihm ein, dass sie beide das hier wahrscheinlich nicht überleben würden. Er hatte schon von der Art des Fluches gehört, den der Dämon angewandt hatte. Der Richiru-Fluch... Dieser Sturm würde mindestens noch drei Tage anhalten. Ein gewöhnlicher Sturm war kein Problem für einen Dämon doch solche Umweltkatastrophen durch einen Richiru-Fluch waren extra so gemacht, dass sie auch die stärksten Youkai töten konnten. Seine einzige Möglichkeit, hier heraus zu kommen, bestand darin, dass er das Ende des Schneefeldes erreichte, bevor - bevor der Schneesturm ihn umbrachte. Doch er würde nicht ohne Anis gehen. Er musste sie so Schnee wie möglich finden. Aber wie? Wie nur?!

Schließlich stellte er fest, dass es nichts brachte, sie zu suchen. Wenn er sich zu weit vom Kampfplatz entfernte, mochte er die Orientierung völlig verlieren, da der Wind die Landschaft glattschliff.

Er musste also darauf vertrauen, das sie ihn selbst fand fand. Tolle Aussichten!

Sesshoumaru setzte sich auf den eisverkrusteten Schnee und wartete. Sein Youki ließ er auflodern in der Hoffnung, dass Anis das spüren würde. Er selbst konnte sie ja nicht auf diese Art finden, da die junge Frau keinerlei Ausstrahlung besaß. Aber würde sie überhaupt kommen? Sicher würde sie das! Ohne ihn kam sie doch erst recht nicht klar! Sie würde kommen. Vorausgesetzt... das sie überhaupt noch kommen konnte. Vielleicht war sie ja auch verschüttet worden? In diesem Fall wäre die Chance, das sie überlebt haben könnte, äußerst gering. Wenn sie überhaupt vorhanden war.
 

XxX
 

So, es ist zwar nicht so lang wie das letzte kappi, aber ich hoffe ihr verzeiht mir das.

Tja, Anis steht jetzt zum dritten Mal kurz vor dem Tod, diesmal ist es aber ausnahmsweise mal nicht Sesshoumarus Schuld.^^

Ich kann euch aber versprechen, das die Lage diesmal nicht ganz so ernst ist.

Im nächsten Kapitel dürft ihr dann nicht so viel Aktion erwarten. Dafür aber mehr Romantik!

Aber bald wird auch Sessy mal ein wenig leiden...^^ Anis natürlich auch, die leidet immer. Is halt ein Pechvogel, was soll's.

Aber ich verrate schon wieder viel zu viel. Wartet's einfach ab!
 

Kleiner Tipp am Rande: Immer wenn ich ein neues Kapitel hochlade, ändere ich auch den Schnuppertext. Wenn also noch kein neues Kappi da ist, der Schnuppertext aber neu, das wird bald ein neues hochgeladen.

Gefühle

Ich hab lange mit diesem kapitel gewartet, ich weiß. Ich hab immer auf noch ein oder zwei Kommis mehr gehofft, aber da kam nichts. Den Rest, der mir geschrieben hat, dem möchte ich das neue Kapitel aber natürlich nicht vorenthalten.

Das ist jetzt das elfte Kapitel und ich denke es wird Zeit, das es zwischen Anis und Sesshoumaru (oder wenigstens einseitig) doch mal etwas funkt. Macht euch also auf eine gehörige Ladung Romanze bereit!
 

XxX
 

Anis versuchte, sich aufzurichten, doch etwas hielt sie fest. Sie konnte kaum atmen. Blinzelnd öffnete sie die Augen.

Weiß. Alles weiß. Sie erschrak. Schnee. Kälte. All das nahm sie in wenigen Sekunden wahr, doch es dauerte etwas länger, bis sie begriff, wo sie sich befand. Sie war begraben worden. Lebendig begraben. Unter Schnee.

Doch sie würde nicht sterben!

Irgendwie schaffte sie es, ihre Hände frei zu bekommen. Möglichst schnell erweiterte sie den Hohlraum um ihren Kopf herum, um wenigstens ein bisschen freier atmen zu können. Dann überlegte sie: Ich bin unter meterdickem Schnee begraben und hab überhaupt keine Orientiering...°

Die hatte sie tatsächlich nicht. Wo war oben und wo unten? Kein Schimmer.

Verzweifelterweise formte sie mit ihren Händen eine kleine Schneekugel und ließ sie dann los. Sie fiel nach oben!

Okay, dank dem Gesetz der Schwerkraft lag sie also auf dem Bauch...

Jetzt, da sie das wusste, brachte sie die nächsten Minuten damit zu, sich irgendwie umzudrehen. Nachdem sie auch das mehr oder weniger geschafft hatte, fing sie an; sich zur Oberfläche durchzugraben.
 

*
 

Anis stemmte sich hoch. Jetzt kamen auch ihre Beine frei. Endlich war sie ihrem weißen Grab entkommen!

Aber gleich darauf wünschte sie sich fast wieder zurück. Unter dem Schnee war es wenigstens ruhig und windstill gewesen. Hier aber musste sie aufpassen, nicht gleich wieder fortgeweht zu werden. Der Lärm, den der Wind veranstaltete, war ohrenbetäubend und das im wahrsten Sinne des Wortes. Schon nach nur zehn Sekunden da draußen fühlte sie sich wie ein Schneemann.

Mühsam schüttelte sie die schwere Last ab, die Schnee und Eis auf ihren Haaren hinterließen. Zunächst erstmal beschloss sie, nicht aufzustehen, sondern sich so nah wie möglich am Boden zu halten, damit der Wind ihr nicht allzu viel ausmachen konnte.

Dann wurde es ernst, die alles entschiedene Frage tat sich auf: Was war zu tun??? Gute Frage. Als erstes musste sie wohl Sesshoumaru finden. Tja, nur wie? Einen Moment lang sah sie sich um, als würde sie hoffen, dass er auf einmal hinter ihr aufgetaucht wäre. Doch selbstverständlich war das nicht der Fall.

Aber ihr Problem löste sich nach einiger Zeit von ganz allein, denn plötzlich spürte sie nicht weit von ihrem jetzigen Standpunkt entfernt Sesshoumarus Youki auflodern. Lächelnd stand sie auf.

Sie ging ein paar Schritte vorwärts, möglichst gebückt, um vom Sturm nicht umgerissen zu werden.

„Sesshoumaru!”, rief sie gegen den Wind an.

Keine Antwort.

„SESSHOUMARU!”, schrie sie erneut.

Es half nichts. Selbst wenn er jetzt genau neben ihr stünde, könnte er sie wahrscheinlich nicht hören, so laut wie der Wind pfiff. Also konzentrierte sie sich wieder auf das Youki. Anis wandte sich nach links und ging noch einige Schritte geradeaus.

Vage konnte sie jetzt vor sich einen Schneehügel erkennen. Einen Schneehügel, der Youki ausstrahlte.

„Bist du auch endlich wieder auf den Beinen?”, fragte der Schneehügel gelangweilt.

Spätestens jetzt fiel Anis auf, dass der vermeintliche Hügel gar kein Hügel war. Es war Sesshoumaru, der zwar etwas eingeschneit, aber ansonsten putzmunter war.

Der Youkai erhob sich jetzt und der Schnee, der sich mittlerweile auf ihn gelegt hatte, fiel in wirbelnden Kaskaden von ihm ab und wurde sogleich vom Wind davon getragen.

„Ja... Ich wurde verschüttet. Ähm... Darf ich fragen, warum der Sturm auf einmal so stark geworden ist?”, fragte sie vorsichtig. ‘So stark’ war die größte Untertreibung des Jahrhunderts wie Anis fand, aber das tat jetzt nichts zur Sache.

Sesshoumaru sah sie mit einem merkwürdigen Blick an, entschied sich letztendlich scheinbar doch dazu, ihr eine Antwort zu geben.

„Hast du schon einmal etwas von den Richiru-Flüchen gehört? Solch einen hat dieser Youkai vorhin angewandt. Sie sind sehr mächtig. Nur die stärksten Dämonen können sie anwenden. Sie bewirken, dass nach dem Tod des Anwenders eine Art gewaltige Naturkatastrophe eintritt. Ein Erdbeben, ein Vulkanausbruch, eine Riesenwelle oder eben ein Schneesturm. Das soll garantieren, dass der Mörder des Anwenders ebenfalls stirbt.

Es ist im Grunde ganz nützlich, hat jedoch zwei Nachteile: Erstens kommen dabei natürlich auch Unschuldige um. Vor allem, wenn derjenige gar nicht durch fremde Hand getötet wurde. Zumal sich der Fluch nicht widerrufen lässt. Wer einen solchen Fluch anwenden will, muss abseits von allen anderen leben und sicher sein, dass er eines Tages ermordet wird.

Zum zweiten büßt der betreffende Youkai einen Großteil seiner Kraft ein. Deshalb konntest du diesen Dämon wohl auch so leicht besiegen.

Wegen diesen Nachteilen wendet kaum ein Youkai mehr einen Richiru-Fluch an.”

Sesshoumaru verstummte.

„Soll das heißen... Das wir hier sterben werden?”, fragte Anis nach einer Weile ein wenig verängstigt.

Sie hatte Sesshoumaru noch nie so lange am Stück reden hören. Die Lage musste wirklich ernst sein...

„Unsinn! Wir müssen lediglich möglichst bald das Ende dieses Schneefeldes erreichen. Ich denke, der Sturm wird sich in etwa drei Tagen verziehen, denn das ist in der Regel die Dauer eines solchen Fluches. Entweder wir finden bald hier heraus, oder wir müssen eine Möglichkeit finden, so lange zu überleben”, erklärte Sesshoumaru, als wäre das das Einfachste der Welt.

„Na, dann woll’n wir mal. Welcher Weg meinst du, ist der Kürzeste hier raus?”, fragte sie so optimistisch wie möglich und drehte sich demonstrativ einmal im Kreis.

„Wir werden nicht von unserem bisherigen Kurs abweichen. Das Wetter wird unsere Weiterreise lediglich etwas verlängern.”

Wetter?! Ich glaub, ich mich tritt ein Pferd!, dachte sie.

Als wäre jetzt alles vollkommen klar, wandte sich Sesshoumaru zum Gehen. Bereits nach zwei Schritten war er für Anis nicht mehr zu sehen und so eilte sie ihm rasch nach.
 

Es wurde jetzt zunehmend schwerer, in dem Schnee voran zu kommen. Nicht nur, dass sie bei jedem Schritt gut einen halben Meter einsanken, auch die Kälte hatte sich noch weiter gesteigert. Mit jeder Sekunde verloren die beiden etwas von ihrer Kraft. Sesshoumaru ließ sich das nicht im Geringsten anmerken, doch bei Anis würde es nicht mehr lange dauern, bis sie endgültig zusammenbrach. Die Kälte schien ihre Haut in kleine Streifen zu schneiden. Beide liefen im Schneckentempo dahin, da sie gegen den ungeheuren Wind einfach nicht ankamen. Warum hatte Sesshoumaru auch ausgerechnet die Richtung eingeschlagen, aus der ihnen der Wind ins Gesicht wehte?! Die Antwort fand sie bald selbst heraus, als sie sich kurz umdrehte - auch von dieser Seite schlug ihr der Wind entgegen. Vermutlich war auch das dem Richiru-Fluch zuzuschreiben.

Rasch blickte sie wieder nach vorne und bemühte sich, Sesshoumaru nicht aus den Sinnen zu verlieren.
 

*
 

Die Zeit verging viel zu langsam und die Kälte hatte die wissenschaftlich tiefste Temperaturmessung schon längst überschritten. Die Nacht war vom Tag nicht mehr zu unterscheiden, aber wenn Anis’ Zeitgefühl sie nicht völlig im Stich gelassen hatte, dann wanderte sie jetzt insgesamt schon zwei Tage lang mit dem wortkargen Youkai durch die Gegend. Sehr viel länger würde sie aber auch nicht mehr durchhalten. Doch wenn sie jetzt aufgab, wäre das ihr Tod.

Sie war so müde wie schon lange nicht mehr. Todmüde. Sie konnte einfach nicht mehr weiter.

Tja, das ist also mein Ende..., dachte sie sich. Wie sollte es auch weiter gehen? Sesshoumaru würde ihr bestimmt nicht helfen.

Kraftlos sank sie in den Schnee. Im Gegensatz zu ihm würde sie es nicht schaffen. Er würde bestimmt nicht hier sterben. Anis würde ihn nicht weiter aufhalten. Wahrscheinlich war er ohne sie sowieso viel schneller.

Ein letztes Mal hob sie noch den Kopf. Der hochgewachsene Inuyoukai war bereits nicht mehr zu sehen. Der Schneesturm hatte seine Gestalt verschluckt. Er hatte sie allein gelassen. Natürlich hatte er das. Gut so. Jetzt war es vorbei.

Sie schloss die Augen, spürte nichts mehr. Nur die Kälte. Den Schnee. Und eine Hand auf ihrer Schulter. Sonst nichts. Sie hörte auch nichts mehr. Nur nebensächliche Geräusche. Das Pfeifen des Windes. Und eine Stimme, die ihren Namen rief. Sonst nichts. Alles nebensächlich. Nicht mehr wichtig. Sie konnte nicht mehr klar denken. Ihre Kraft war erschöpft. Sie war bereit, ihren Körper der kalten Umarmung des Eises zu überlassen. Erschöpft gaben jetzt auch ihre Arme nach, mit denen sie sich bis jetzt noch abgestützt hatte. Wie erwartet spürte sie den Aufprall. Wie erwartet spürte sie die Umarmung. Seltsam, sollte der Schnee nicht eigentlich kalt sein? Aber das war jetzt egal. Sie würde eh gleich tot sein.

Dennoch wollte sie noch einmal... Ein letztes mal... das Licht der Welt sehen, bevor sie in die ewige Dunkelheit einging. Ein letztes mal...

Ihre Augenlider flatterten.

Müde... So müde...

Was sah sie? Weiß. Natürlich. Weiß. Hatte sie etwas anderes erwartet? Alles weiß.

Anscheinend war es Nacht, denn sie konnte einen Mond sehen. Einen blauen Mond... blauer Sichelmond... Gleichzeitig sah sie aber auch die Sonne. Nein, es waren zwei Sonnen. Wie zwei goldene Augen blickten sie auf die Frau herab. Goldene Augen... Sesshoumaru hatte goldene Augen... Sesshoumaru... Sess...hou...ma...ru...

Sie schloss die Augen wieder. Schwarz. Jetzt sah sie nur noch schwarz. Oben, unten, links und rechts. Nur noch schwarz. Schade, das goldene Licht hatte sie schöner gefunden. Es erinnerte sie irgendwie... an Sesshoumaru...
 

*
 

Anis wachte auf.

Hatte sie tatsächlich geschlafen? Wie schön wäre es, wenn alles nur ein böser Traum gewesen wäre! Dann hätte sie nie wirklich Sesshoumaru getroffen und wäre auch nie in diesen vermaledeiten Schneesturm geraten. Sie würde jetzt bei sich zu Hause in ihrem kuscheligen Bett liegen und der Wind würde ihr nicht mehr um die Ohren pfeifen. Vielleicht hatte sie ja Glück und es war tatsächlich so?

Vorsichtig bewegte sie sich ein wenig. Tatsächlich spürte sie statt schneidendem Wind eine flauschige Decke. Ungläubig öffnete sie die Augen.

Was sie jedoch daraufhin sah, ließ sie fast wieder bewusstlos werden. Sie befand sich in einer Art Höhle, die praktisch nur aus Schnee zu bestehen schien. Das war natürlich nicht der Umstand ihrer Bestürzung. Die ging auf Sesshoumarus Konto, der sich mit geschlossenen Augen an die Wand gelehnt hatte. In einer Schneehöhle zu sitzen, während draußen der Wind pfiff und die einzige Gesellschaft ein unberechenbarer Daiyoukai war, hätte sie unter den gegebenen Umständen vielleicht noch ertragen können. Das Grässlichste war jedoch, dass das flauschige Ding, das sie zuerst für eine Decke gehalten hatte, sich in Wirklichkeit als Fell herausstellte. Nicht irgendein Fell wohlgemerkt, sondern das Fell, das normalerweise von Sesshoumarus Schulter herunterhing!

Für Anis gab es in diesem Moment nur eine logische Erklärung für das alles: Sie war gestorben und das hier war die Hölle. Und sie lag gerade neben dem Teufel, der Sesshoumarus Gestalt angenommen hatte, um sie zu quälen. Womit hatte sie das verdient?!

Gleichzeitig wusste sie natürlich, das es nicht so war.

Mühsam richtete sie sich auf. Ihre Glieder waren steif vor Kälte. Das Fell rutschte von ihr herunter. Augenblicklich schien es zu schrumpfen, wurde kürzer und lag einige Sekunden später wieder ordentlich über der Schulter des Youkais. Wo es hingehörte!

„Bist du endlich wach”, sagte Sesshoumaru emotionslos und nicht wirklich als Frage betont.

Deswegen antwortete Anis auch nicht wirklich darauf, sondern fragte stattdessen:

„Ist es... vorbei?”

Sesshoumaru wusste natürlich sofort, dass sie den verfluchten Sturm meinte und erwiderte:

„Nein. Wir sind erst seit ein paar Minuten hier.”

„Wie hast du diese Höhle gefunden?”, fragte Anis und sah sich stirnrunzelnd um.

Es war sehr eng hier...

„Ich habe sie nicht gefunden, sondern selbst in den Boden gegraben”, erklärte er.

„Also so eine Art unterirdisches Iglu, was?”

„Sicher.”

Nun, das klang alles andere als ‘Sicher’. Obwohl Anis natürlich durchaus wusste, das Sesshoumaru das Wort ‘Iglu’ höchstwahrscheinlich nicht kannte.

Anis versuchte sich gerade vorzustellen, wie Sesshoumaru in dem Schnee buddelte. Die Tatsache, das er ein HUNDEdämon war, ließ sie dabei natürlich nicht aus der Acht...

„Wieso... bist du nicht einfach weiter gegangen?”, fragte sie leise.

„Du wärst gestorben”, antwortete er einfach.

Anis ging nicht weiter auf das Thema ein. Sie hatte das ungute Gefühl, dass er nicht darüber sprechen wollte.

„Und was... machen wir jetzt?”, fragte sie zögernd.

„Warten. Morgen müsste der Fluch seine Wirkung verlieren”, kam die Antwort.

Anis atmete erleichtert aus. Sie hatte schon befürchtet, das Sesshoumaru sofort wieder aufbrechen wollte.

Bibbernd winkelte sie die Beine an und schlang ihre Arme darum. Verdammt, war das kalt! Ihre Finger waren bereits ganz blau und sie spürte ihre Füße längst nicht mehr.

Nach einer Weile kam ihr der Gedanke, dass sie die Nacht trotz allem vielleicht doch nicht überleben würden. Hier war es zwar windstill, doch dadurch, dass sie sich nicht mehr bewegte, machte ihr die Kälte noch mehr zu schaffen.

„Werden... wir sterben?”, flüsterte sie leise.

„Wahrscheinlich”, antwortete Sesshoumaru nüchtern.

Anis starrte ihn an. Wie konnte er nur so leichtfertig vom Tod reden?! Sie tat das zwar auch gelegentlich, aber das war nun nicht wirklich seine Art.

„Wie bitte?!”, sagte sie entsetzt.

„Du hast mich schon richtig verstanden. Wenn wir rausgehen, versinken wir im Schnee oder werden durch den Wind eingehen. Wenn wir hier bleiben, werden wir mit Sicherheit erfrieren”, fasste der Youkai schon fast fröhlich zusammen.

Anis zweifelte jedoch daran, dass seine Aussagen weniger auf sich selbst, als mehr auf sie bezogen hatte.

„Es kommt also nur darauf an, wie lange wir durchhalten, ja?”, versicherte sich die junge Frau, als auch bei ihr der Groschen gefallen war.

„Richtig.”

Einen Moment lang war es still. Anis hörte das Wehen des Windes wie aus großer Entfernung. Sie hob die Hände und begann sie rasch aneinander zu reiben. Es half nicht besonders viel, aber wenigstens etwas.

„Was tust du da?”, fragte Sesshoumaru mit einer erstaunlichen Menge Neugierde in der Stimme.

„Ich versuche meine Hände wieder aufzutauen”, antwortete Anis, überrascht über die Frage.

„Indem du sie aneinander reibst?” Der weißhaarige Youkai zog skeptisch eine Augenbraue hoch.

Die Frau zuckte nur mit den Schultern.

„Es lebe die Reibung und der Rest der Physik.”
 

*
 

Eine weitere Stunde verging. Die Kälte schien immer schlimmer zu werden. Als Anis Sesshoumaru danach fragte, erklärte der, dass der Fluch kurz vor seinem Abklingen am stärksten war. Doch auch ohne sich am Lauf der Sonne zu orientieren, wusste Anis, dass ihnen noch mehrere Stunden Wartezeit bevor standen. Die Vorstellung, dass die Temperatur in dieser Zeit noch weiter sinken würde, war einfach unerträglich.

Aber Anis war nicht die einzige Person, der es so miserabel ging - Sesshoumaru hätte es zwar niemals zugegeben und er verbarg es auch ganz hervorragend, doch auch er war bereits halb erfroren. Dennoch ging es Anis von beiden noch schlechter. Sesshoumaru glaubte förmlich zu spüren, wie der kleine Rest an Leben aus ihr herauswich.

Nach einer Weile sprach sie jedoch noch einmal zu ihm:

„Sesshoumaru... ich halt das nicht mehr durch. Ich bin so...müde...”

Warum auch immer, aber diese Worte versetzten ihm doch einen kleinen Stich. Jetzt zu schlafen bedeutete den sicheren Tod. Anis musste das auch wissen.

Einen Augenblick lang rang er mit sich, fasste dann jedoch eine Entscheidung. Anis durfte nicht sterben! So oft war sie schon kurz davor gewesen. Zwar konnte er sie mit Tensaiga wieder zum Leben erwecken, doch dies gelang bei jedem nur einmal. Er durfte kein Risiko eingehen.

„Komm her”, sagte er ohne jede Emotion.

Es dauerte eine Weile, bis die Frau seinem Befehl nachkommen konnte, obwohl die Höhle nun wirklich nicht sehr groß war.

Sesshoumaru schnallte sich Schwerter und Rüstung ab und legte beides neben sich. Dann winkte er Anis näher zu sich heran. Zögernd und sichtlich verunsichert, gehorchte sie.
 

Anis verstand die Welt nicht mehr. Wieso hatte er jetzt seine Rüstung abgenommen? Es war ja nicht so, dass er jetzt nichts mehr an hatte, er trug ja noch immer seinen weißen Kimono, doch ohne die abschreckende schwarze Rüstung wirkte er doch merkwürdig schutzlos.

Aber der Daiyoukai ließ ihr nicht besonders viel Zeit zum Nachdenken. Noch immer stand sie direkt vor ihm, doch dieser Zustand sollte nicht mehr sehr lange anhalten.

Blitzschnell hob Sesshoumaru seine krallenbewehrte Hand und packte sie am Handgelenk. Anis war zunächst viel zu überrascht, um zu reagieren, doch das schien auch gar nicht von ihr verlangt zu werden.

Sie spürte einen heftigen Ruck am Arm, als Sesshoumaru sie plötzlich zu sich herab zog. Sie verlor sofort das Gleichgewicht und war über alle Maßen entsetzt, als sie sich plötzlich auf Sesshoumarus Schoß wieder fand. Rasch wollte sie aufspringen und sich entschuldigen (obwohl es ja eigentlich seine Schuld gewesen war), doch sie wurde durch zwei starke Hände darin gehindert, die offenbar andere Pläne hatten.

Dann hörte sie auf einmal eine entschlossene Stimme in ihr Ohr flüstern:

„Wir müssen uns gegenseitig wärmen, um nicht zu erfrieren.”

Okay, das klang logisch. Was für eine andere Erklärung gäbe es auch sonst für dieses Verhalten? Gut, da fiel ihr so einiges ein, schließlich kam sie aus der Neuzeit und war nicht auf den Kopf gefallen, doch anderweitige Erklärungen waren doch mehr als absurd.

Obwohl Anis dank dieser äußerst fantasievollen Vorstellungen nicht mehr nur wegen der Kälte zitterte, versuchte sie sich doch, etwas zu entspannen.

Während der Youkai im Schneidersitz saß und ihr gerade das Schwert vom Rücken nahm, bezog sie zwischen seinen Beinen Position. Als dann auch Klingenecho in der Ecke lag, zog Sesshoumaru sie weiter zu sich heran, sodass sie sich notgedrungen an seine Brust lehnte. Seine starken Arme umfassten ihre Taille. Tatsächlich spürte Anis fast augenblicklich eine Hitze in sich aufsteigen, doch ob das wirklich nur an Sesshoumarus Körperwärme hing, oder überhaupt irgendwas mit Thermodynamik zu tun hatte, sei dahin gestellt. Es war wohl eher Verlegenheit, die dazu führte, dass Anis sich zusammenreißen musste, um nicht etwa ins Schwitzen zu kommen.

Das Fell über Sesshoumarus Schulter verlängerte sich, begann sich wie eine Schlange um die eng umschlungenen Körper zu winden und spendete zusätzliche Wärme. Dennoch war es unheimlich. Hätte Anis es nicht besser gewusst, dann hätte sie geglaubt, dass Sesshoumaru sie absorbieren wollte. Blödsinnige Vorstellung! Zum Glück wurde sie sofort wieder aus diesen Gedanken getrieben und auch wenn der Grund auf den Namen Sesshoumaru hörte, war sie froh das sie sich dieser - höchst unappetitlichen - Vorstellung nicht hingegeben hatte.

Jetzt darfst du schlafen”, sagte Sesshoumaru leise.

Anis fühlte sich mittlerweile zwar hellwach, dennoch schloss sie die Augen und versuchte sich erneut zu entspannen. Unter den gegebenen Umständen und dank der Tatsache, dass sie ja praktisch in Sesshoumarus Armen lag, war das nun leider eine Sache der Unmöglichkeit. Sie hatte ganz und gar nicht vor, jetzt zu schlafen. Doch ihr müder Körper war da andere Meinung und so war sie bereits nach ein paar Minuten weggedämmert.
 

Sesshoumaru wachte einige Stunden lang über ihren Schlaf. Gleichzeitig achtete er aufmerksam auf das Pfeifen des Windes, um den Augenblick nicht zu verpassen, in dem der Fluch seine Wirkung verlor.

Noch immer hielt er Anis fest, deren Körper langsam wärmer wurde. Auch ihm selbst war längst nicht mehr so kalt wie zuvor. Dieses warme Gefühl, dass er manchmal hatte, wenn er in Anis’ Nähe war, schien jetzt übermächtig zu sein. Er wusste nicht, was das bedeutete, aber er war froh, dass sie so nah bei ihm war.

Die junge Frau regte sich im Schlaf. Sie kuschelte sich vertrauensvoll an ihn und krallte ihre Hände in seinen Kimono. Auf ihren Lippen lag ein Lächeln.

Die Wärme in Sesshoumarus Inneren jedoch verwandelte sich in Hitze. Erschrocken stellte er fest, dass er kurz davor war, rot zu werden!

Hastig zwang er sich an etwas anderes zu denken. Inuyasha zum Beispiel. Ja, er brauchte sich sein dreckiges Gesicht nur eine Sekunde lang vorzustellen und dieses Gefühl verschwand.

Wenigstens so lange, bis sein Blick wieder nach unten zu Anis glitt. Ihre schwarzen Haare umrahmten ihr braunes Gesicht wie einen Mantel. Ihr ruhiger, gleichmäßiger Atem sagte ihm, dass sie so schnell nicht wieder aufwachen würde.

Vorsichtig, fast schon scheu hob er die Hand und strich ihr über die Haare. Wie schön sie doch war, wenn sie lächelte. Es interessierte ihn jetzt nicht mehr, ob er rot war oder nicht. Alles um ihn herum schien sich in der Ferne zu verlieren. Anis war alles, was jetzt noch Bedeutung für ihn hatte.

Langsam beugte er sich herunter und strich ihr eine Haarsträne aus dem Gesicht. Sein Blick glitt über ihre geschlossenen Augen hinab zu ihren Lippen.

Plötzlich zuckte er zusammen. Etwas schien nach ihm gegriffen zu haben. Sofort hob er den Kopf und sah sich um. Doch dann begriff er, was das gewesen war. Kein körperloser Feind, sondern wieder so ein vermaledeites Gefühl. Er schien immer öfter mit solchen Sachen überflutet zu werden.

Doch was genau war es gewesen? Wieder streiften seine Augen Anis’ Gesicht, als wolle er dort die Antwort auf seine Frage finden. Da war es wieder! Begehren, Ein unheimlich starkes Verlangen. Nach ihr .

Entsetzt begriff Sesshoumaru, dass er kurz davor gewesen war, sie zu küssen! Verzweifelt hielt er sich den Kopf, um diesen Gedanken daraus zu vertreiben. Das ging entschieden zu weit! Er musste hier raus, musste einmal frische Luft schnappen. Bloß weg von ihr .
 

Viel zu langsam und vorsichtig stand er auf und legte Anis zu Boden. Verdammt, sie war eine Plage! Sie veränderte ihn. Eine Plage... derer er sich entledigen musste!

Mit einem Ruck drehte er sich um und starrte zur Decke hinauf. Bald entdeckte er die Stelle, an der der Schnee lockerer saß und wo früher einmal der Eingang gewesen sein musste. Noch einmal drehte er sich zu Anis um. Er würde sicher eine Weile weg bleiben, um mit seinen aufgewühlten Gedanken fertig zu werden...

Entschlossen zog er sein Schwert. In wirbelnden Blitzen fuhr es auf den Schnee der unter seinen Füßen lag herab. In Sekundenschnelle hatte er dort eine Nachricht eingeritzt und steckte das Schwert wieder zurück.

Dann wandte er sich wieder um und lauschte. Das Pfeifen des Windes hatte aufgehört. Die Kälte ließ nach. Na sowas, da war er doch tatsächlich so...beschäftigt gewesen, dass er gar nicht mitbekommen hatte wie der Richiru-Fluch seine Wirkung verlor. Nunja, dann brauchte er sich zumindest keine Gedanken mehr darüber machen, dass Anis letztendlich doch nicht erfror. Obwohl das vielleicht sogar besser gewesen wäre.
 

*
 

Anis grinste. Solch eine Dummheit hätte sie ihm nicht zugetraut. Einfach so abzuhauen...

Sie war, kurz nachdem Sesshoumaru die Höhle verlassen hatte, aufgewacht. Nun betrachtete sie lächelnd das eine Wort, dass er vor ihr in den Schnee geritzt hatte. ‘WARTE’ stand dort. Sie unterdrückte ein Lachen. Als ob sie warten würde! Eine bessere Fluchtmöglichkeit als diese hier würde so schnell nicht wieder kommen, da blieb sie bestimmt nicht ruhig hier sitzen! Was ihn wohl dazu bewegt hatte, sie allein zu lassen? Wie auch immer, diesen Fehler würde sie ausnutzen.

Bei ihm war sie nicht mehr nur eine einfache Dienerin, Opfer eines ungerechten Handels. Sie war eine Gefangene, der man die Freiheit geraubt hatte! Den Umstand, dass es im allgemeinen gar nicht so schlimm war, verdrängte sie erfolgreich. Hier ging es ums Prinzip!

Lächelnd zog sie Klingenecho aus der Scheide, die sie bereits wieder auf ihrem Rücken befestigt hatte. Kurz fiel ihr Blick auf Tensaiga und Tokjin, die noch immer neben der schwarzen Rüstung lagen. Vielleicht sollte sie die Schwerter mitnehmen und später verstecken, einfach nur um Sesshoumaru zu ärgern...? Nein, lieber nicht. Sie wollte ihr Glück nicht unnötig herausfordern.

Rasch tat sie es Sesshoumaru nach und ritzte ebenfalls eine Nachricht in den Schnee. Der würde sich ärgern! Kichernd schwang sie sich ihre Tasche über die Schulter.

Sie hatte ausgesprochen gute Laune an dem Morgen, an dem sie ihren zweiten Fluchtversuch wagte.
 

XxX
 

Ja, das ist fies. Sessy fängt an sich zu verlieben und Anis hintergeht ihn währenddessen. Das ist echt fies!

Aber damit muss das schwache Geschlecht wohl fertig werden.

Ob das mit dem 'gegenseitige Wärme' nur eine Ausrede von Sesshoumaru war, lass ich eurer Fantasie offen. Für mich war es nur wichtig, dass Anis nichts von all dem mitkriegt, was in Sess so vor geht. Er soll ja nicht von oben bis unten umgekrempelt werden. Ich will seinen Charakter ja nicht vollkommen verschanden. Aber am Ende meiner ff wird das einzige, was noch von ihm geblieben ist, wahrscheinlich tatsächlich nur noch seine Maske sein...

Das ist der Vorteil an Sesshoumaru als Gharakter: man kann ihn darstellen wie man will, weil keiner weiß, wie er wiklich ist. Man muss nur darauf achten, dass er nach außen nichts zeigt und ab und zu ein paar Menschen apmurkst. Eigentlich ganz einfach. (So kann mir keiner vorwerfen das ich ihn verändere...)

Aber ich werde mich dennoch ein wenig an das klammern, was andere über ihn denken. Er wird sich also auch in Zukunft nicht für Menschen interessieren...

Der zweite Fluchtversuch

Also eins hat mich ja echt gewundert, und zwar das so viele von euch sich gefragt haben, was Anis denn nun in den Schnee geschrieben hat. Dabei ist das doch eigentlich völlig UNWICHTIG! Gut, es spielt letzdendlich wohl doch eine Rolle, weil es Sesshoumaru wütend macht und der dann auf 'Rache' aus ist, was vermutlich nur eine Ausrede ist, und so weiter...

Aber das euch das SO interessiert hat... Euch versteh einer. Aber einige von euch waren wohl auch überrascht, das Anis jetzt wieder flieht. Aber bedenkt: Die ff heißt FLUCHT vor Sesshoumaru. Da bleibt es nicht bei nur einem einzigen Fluchtversuch, ist doch eigentlich logisch, oder? Außerdem darf es ja auch nicht langweilig werden.
 

XxX
 

Anis kniff die Augen zusammen. Der weiße Schnee reflektierte die Sonne und blendete sie. Drinnen in der Schneehöhle hatte doch eher Dämmerlicht geherrscht. Als sich ihre Augen an das helle Licht gewöhnte hatten, betrachtete sie zunächst ihre unmittelbare Umgebung.

Was während des Schneesturms wie eine weite Ebene ausgesehen hatte, stellte sich nun als ein hoher Berg heraus. Anis richtete ihre Sicht nach den Himmelsrichtungen aus, um sich besser orientieren zu können. Schließlich brauchte sie eine Fluchtrichtung.

Im Süden glaubte sie in weiter Ferne einige Unebenheiten zu erkennen. Wahrscheinlich das Schlachtfeld, wo sie mit dem Schneedämon gekämpft hatte. Von dort war sie gekommen und Anis wusste, dass der Weg zurück lang und beschwerlich war. Sesshoumaru würde sie dort wohl auch am wahrscheinlichsten suchen. Diese Richtung kam nicht infrage.

Im Osten dagegen war die Landschaft besonders glatt. Dadurch konnte sie sehr weit sehen und musste feststellen, dass sich der Schnee noch bis zum Horizont hinzog. Da sie keine Lust auf eine wochenlange Reise durch solch eine Ödnis anzufangen, bekam auch diese Richtung keine hohe Punktzahl auf der Beliebtheitsskala.

Im Westen wiederum erkannte sie Sesshoumarus Spur, die jedoch bereits nach einigen Schritten abbrach. Wahrscheinlich war er geflogen. Da sie nicht vor hatte, dem Youkai direkt in die Arme zu laufen, fiel auch diese Richtung aus der Wertung.

Also wandte sie sich letztendlich nach Norden. Dort ging der Abhang am steilsten hinunter. Zögernd machte sie einige Schritte nach vorne, stellte jedoch rasch zu ihrem Leidwesen fest, dass der Schnee so locker war, dass sie bis zu den Hüften darin einsank. Zwar war die dämonische Kälte verschwunden, doch mit ihr auch die harte Eiskruste, auf der sie zuvor immer festen Halt gefunden hatte.

Nachdenklich betrachtete sie die abfallende Landschaft. So weit das Auge reichte, ging es hier nur bergab.

Anis grinste. Wie gut das sie aus der Zukunft kam! Sie wusste eine Möglichkeit, wie sie schnell vorwärts kommen würde. Vielleicht sogar schneller als ein fliegender Sesshoumaru. Und wenn das Wetter mitspielte und ihre Spur verwischte... Dann mochte ihre Flucht gelingen.

Gutgelaunt zog sie Tessaiga aus der Scheide, welches sich sogleich verwandelte.

Mal sehen, ob dieses Ding als Snowboard taugte...

Sie legte den Stoßzahn flach auf den Schnee, wo er zu ihrer großen Zufriedenheit liegen blieb, ohne einzusinken.

Mit einiger Mühe sprang sie aus dem Schnee heraus und blieb zielsicher auf der Klinge stehen. Sofort geriet das Schwert ins rutschen. Anis bemühte sich, die Balance zu halten, während die Klinge erst langsam über den Schnee glitt. Vorsichtig verlagerte sie ihr Gewicht und streckte die Arme zur Seite aus. Tessaiga bewegte sich sehr langsam auf den Abhang zu, doch dieses Schneckentempo änderte sich schlagartig, als sie die Grenze zum Abhang erreicht hatten.

Nach einigen Metern hatte sie bereits richtig an Fahrt gewonnen. Der Fahrtwind wehte ihr ins Gesicht, doch er war nicht so schrecklich kalt, sondern eher erfrischend.

Manchmal musste Anis kleineren Hügeln ausweichen um nicht umzufallen. Da es sehr steil hinunterging, war das gar nicht so einfach. Als sie schließlich in den Bereich kam, wo bereits wieder einige Bäume standen, wurde das noch schlimmer. Sie raste mit der Geschwindigkeit eines Autos, das auf der Autobahn fuhr, den Berg hinab. Dabei auch noch im Zickzack um die Bäume herum zu kurven und nicht einmal das Gleichgewicht zu verlieren, war schon ein tolles Kunststück. Einmal drehte sich Tessaiga mit Anis sogar einmal rund herum, als sie gerade solch eine wilde Slalom-Tour machte. Dennoch blieb sie wie durch ein Wunder mit beiden Beinen fest auf der Klinge stehen.

Es war ein fantastisches Gefühl, so schnell zu sein. Anis fühlte sich, als würde sie schweben. Und obwohl die Sache durchaus gefährlich war und sie bei allem was sie tat höllisch aufpassen musste, war es das erste Mal seit mehreren Wochen, das ihr etwas wieder richtig Spaß machte.
 

*
 

Sesshoumaru saß auf einer mittleren Erhöhung inmitten der abfallenden Ebene und dachte nach. Er dachte über eine ganz bestimmte Person nach. Eine Person, von der er nicht wusste, dass sie sich eben jetzt vom Acker machte. Richtig, er dachte über Anis nach. Über Anis und die Tatsache, dass er sie fast geküsst hätte.

Noch immer konnte er sich diese Tatsache nicht erklären. Was hatte ihn nur so weit gebracht?! Wo kam dieses ständige warme Gefühl her? Und woher war dieses plötzliche Verlangen gekommen? So etwas hatte er noch nie gespürt. Dieses Bedürfnis, sich einer Frau auf diese Weise zu nähern.

Doch das grauenhafteste, erschreckendste, ja unglaublichste daran war jedoch, dass er dies auch noch offen gezeigt hatte! Das er diesem Bedürfnis (beinahe) nachgegeben hatte, obwohl er genau wusste, dass es falsch war. Sesshoumaru verlor selten die Beherrschung. Äußerst selten. So gut wie nie. Und in den letzten Jahrhunderten sowieso nicht. Doch seltsamerweise bereute er es auch nicht.

Nie hatte er etwas bereut...

Es hing mit diesen vermaledeiten Gefühlen zusammen, das wusste er. Nie hatte er so etwas gespürt. Warum war es dann eben passiert? Warum ausgerechnet bei ihr ?! Er konnte es sich nicht erklären. Es wollte einfach nicht in seinen Kopf hinein.

Noch immer spürte er diese Wärme, als würde er ihren schlafenden Körper noch in den Armen halten. Bestürzt stellte er fest, dass er zu ihr wollte. Fast wie ein Außenstehender bemerkte er diesen Wunsch. Aber was wäre, wenn sie inzwischen aufgewacht war? Was sollte er dann sagen? Verdammt, was wäre, wenn sie schon längst wach war, als er losgegangen war und sie folglich auch mitbekommen hatte, was er fast getan hätte...? Nein, sie hatte geschlafen, da war er sich sicher.

Dennoch, so konnte es doch nicht weiter gehen! Gefühle machten schwach. Er würde sich bestimmt nicht von Anis weichklopfen lassen! So ein Vorfall durfte sich auf keinen Fall wiederholen. Am besten würde er gar nicht mehr das Risiko eingehen, dass das passierte. Es reichte nicht mehr, sich einfach nur von ihr fern zu halten. Sie musste verschwinden.
 

Entschlossen stand er auf. Er würde Anis aus seinen Diensten entlassen. Sollte sie doch hingehen wo sie wollte, das interessierte ihn nicht. Das hatte ihn nicht zu interessieren!

Normalerweise hätte er sie wohl einfach getötet. Aber das wollte er nicht. Schließlich hatte sie ja eigentlich nichts verbrochen. Es war nicht ihre Schuld, dass er sich so aufführte. Zumindest wollte er ihr nicht die Schuld geben. Davon abgesehen war die Zeit mit ihr nämlich doch ganz schön gewesen. Dafür konnte er sie nicht bestrafen.

Langsam kehrte Sesshoumaru zu der kleinen Höhle zurück. Mit einem Satz sprang er durch den schon leicht angetauten Schacht ins Innere.

Doch was er da sah - oder besser nicht sah - gefiel ihm überhaupt nicht. Anis war nämlich nicht da.

Ziemlich enttäuscht ließ er sich zu Boden fallen. Das sah vielleicht nicht sehr würdevoll aus, aber es war ja auch keiner da, weswegen er sich darum keine Gedanken machte. Aber wieso war keiner da? Wo steckte Anis? Er hatte sie doch angewiesen, auf ihn zu warten. Selbst wenn er sie jetzt sowieso weggeschickt hätte, so regte es ihn doch auf, dass sie sich seinem Befehl widersetzt hatte.

Sein Blick streifte umher und blieb schließlich an der Stelle hängen, wo er seine Nachricht in den Schnee geritzt hatte. Noch immer war sie unübersehbar. So bemerkte er auch die Wörter, die darunter standen. Sofort steigerte sich sein Missfallen über ihr Verschwinden in grenzenlose Wut. Solch eine Frechheit war ihm seit Jahrhunderten nicht mehr untergekommen! Immer wieder schaffte Anis es, ihn zur Weißglut zu treiben. Wieder war sie geflohen. Und wieder war er nicht da gewesen, um sie aufzuhalten. Verdammt!

Doch das würde sie bereuen! Er würde sie so lange quälen, bis sie um ihren eigenen Tod bettelte! Das schwor er sich und wenn es das Letzte war, was er tat!

...allerdings gab es dabei ein klitzekleines Problem: Um diesen ‘Schwur’ zu halten, musste er sie verfolgen. Was ja eigentlich genau das Gegenteil von dem war, was er ursprünglich vor hatte. Er würde sie wieder sehen und sich im schlimmsten Fall vielleicht sogar noch einmal völlig vergessen.

Doch daran verschwendete er keinen einzigen Gedanken. Er war einfach nur wütend. Da dachte man nicht nach. Da zerstörte man lieber irgendetwas.

Prompt glühten Zeige- und Mittelfinger seiner Hand in einem grünen Licht auf, bevor eine hellgrüne Energiepeitsche den engen Schacht, der als Ausgang diente, in einem klaffenden Spalt verwandelte.

Das Glühen erlosch wieder. Doch Sesshoumarus Zorn war keineswegs verraucht, im Gegenteil, er war sogar noch größer geworden.

Anis würde bald eine ganz andere Seite an ihm kennen lernen und die war nicht gerade zu ihrem Vorteil gestimmt!

Knurrend schwang sich Sesshoumaru aus der Höhle. Diese war durch seinen kleinen Wutausbruch schon recht ramponiert. Doch der Schnee glitzerte mit unverminderter Helligkeit weiter, als wäre nichts passiert. Und mitten im Schnee konnte man auch jetzt noch die Wörter sehen, die unter Sesshoumarus ‘WARTE’ standen und die zu dieser Ruhestörung geführt hatten: HAB DEINE NACHRICHT NICHT GESEHEN.
 

*
 

Anis keuchte. Was für eine Fahrt! So schnell hatte sie sich schon lange nicht mehr fortbewegt.

Zitternd steckte sie Tessaiga in die Scheide zurück und sah sich um. Die Landschaft fiel zwar noch eine Weile lang ab, aber der Schnee war hier schon fast vollständig weggeschmolzen, sodass sie ihr ‘Snowboard’ leider nicht mehr benutzen konnte. Die Bäume standen hier schon etwas dichter und es war lauwarm. Beste Voraussetzungen für ihre Flucht. Wenn der Schnee schmolz, so war auch ihre Spur, die sowieso nicht sehr tief war, ebenfalls bald Geschichte. Durch den ständigen Richtungswechsel beim Zick-zack-fahren ließ sich ihre Fluchtrichtung selbst von Sesshoumaru nicht mehr bestimmen.

Fröhlich begann sie ihren Marsch ins Ungewisse.
 

*
 

Sesshoumaru knurrte.

Das durfte doch einfach nicht wahr sein! In welche Richtung war dieses Biest nur gegangen?!

Na gut, ihre Ankunftsrichtung, also Süden, fiel schon mal aus, das war ja klar. Und wenn sie auch nur ansatzweise etwas vom Spurenlesen verstand, dann war sie auch nicht nach Westen gegangen, von dort kam er ja selbst her. Also war sie entweder Richtung Norden, den Abhang hinunter oder Richtung Osten, auf die Ebene hinaus gegangen.

Aber in beiden Fällen müsste es doch hier irgendwo Spuren geben! Sie konnte sich doch nicht einfach in Luft auflösen.

Sesshoumaru versuchte, sich erstmal zu beruhigen. Es kamen doch nur zwei Möglichkeiten infrage. Zwei Möglichkeiten, da war die Wahrscheinlichkeit, dass er die richtige erwischte, doch sehr hoch. Doch wenn seine Entscheidung sich trotzdem als falsch herausstellen sollte, was dann?

Anis hätte jetzt wohl gesagt: ‘Du sitzt jetzt ganz tief da drin, wo’s braun ist und stinkt.’

Ja, sowas oder ähnliches hätte sie jetzt gesagt. Fast schon vermisste er diese vorlauten Bemerkungen. Vermissen... Komisch, dieses Wort zu benutzen. Vermisste er sie wirklich? Sie war doch erst weniger als eine Stunde weg!

Er zwang sich, nicht weiter darüber nachzudenken. Er würde sie zurückholen, ja, aber nicht, weil er sie vermisste, sondern um ihr zu sagen, was er von ihrer Flucht hielt.

Sesshoumaru wandte sich nach Osten. Wenn dies die falsche Richtung war, mochte es vielleicht etwas länger dauern sie zu finden, doch irgendwann würde er sie schon aufspüren.

Noch einmal schaute er zurück. Hinter ihm fiel der Abhang steil ab. Dort gab es viele Vorsprünge und kleinere Erhebungen, die den Abstieg zu einer Klettertour machten. Dort konnte man nicht zu Fuß entlanggehen, ohne Spuren zu hinterlassen. Und es gab keine Spuren. Sicher würde Anis lieber den Weg über die Ebene wählen.

Er drehte sich wieder um und sah auf die flache Langschaft hinaus. Hoffentlich war sie dort irgendwo...

Mit diesen letzten Gedanken erhob er sich in die Lüfte, nicht wissend, das er die falsche Richtung eingeschlagen hatte.
 

*
 

Anis ließ sich erschöpft auf einen Baumstumpf fallen. Sie war jetzt schon seit einigen Stunden unterwegs und hatte zwischendurch auch einige essbare Pflanzen gesammelt, die sie jetzt herausholte. Die Vegetarierin hatte schrecklichen Hunger und so war ihr kleiner Vorrat schnell verzehrt. Doch es würde für lange Zeit genügen.

Nun musste sie aber langsam entscheiden, wohin sie überhaupt gehen wollte. Darüber hatte sie sich bis jetzt noch keine Gedanken gemacht. ‘Weg von Sesshoumaru’ war sie gegangen. Aber sie konnte nicht immer fliehen. Das brachte ihr auf die Dauer nichts. Sie musste sich verstecken. Aber wo? Wo würde Sesshoumaru sie nicht suchen? Hm, wohl an einem Ort, wo er selbst nicht gerne hinging. So ungern, dass sie es ihm nicht wert, war dorthin zu gehen. Zudem natürlich ein Ort, den sie selbst nicht so sehr verabscheute. Doch wo sollte das sein? Wo würde sie nicht hingehen, wenn sie Sesshoumaru wäre?

Was konnte Sesshoumaru nicht leiden?

Als erstes fiel ihr natürlich Inuyasha ein. Doch den konnte er wohl doch nicht so sehr hassen, schließlich hatte Kagome ihr erzählt, dass er doch recht oft bei ihnen vorbei schaute.

Na gut, was hatte ihre Freundin aus der Neuzeit ihr noch so alles über Sesshoumaru erzählt...? War da nicht irgend so ein Typ, der irgendwann mal Rin entführt hatte? Wie hieß er noch gleich? Naladu? Nein, Naraku! Aber erstens wollte sie nicht zu einem Mann gehen, der aus sich selbst heraus Abkömmlinge gebar und kleine Kinder entführte und zweitens war Sesshoumaru ja auch auf der Jagt nach ihm.

Sie aber brauchte jemanden, den Sesshoumaru mied. Irgendwen, oder auch irgendWAS, das er so offensichtlich verabscheute, dass er es vielleicht sogar ihr gegenüber erwähnt hatte. Was konnte das sein?

Dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Natürlich, das war es!

Menschen.
 

*
 

Krachend fiel der Baum um. Es war schon der dritte. Und wie auch die anderen war er von Sesshoumarus Energiepeitsche gefällt worden.

Der Youkai war kurz vor dem Überkochen und musste sich einfach irgendwo abreagieren. Da gerade niemand in der Nähe war, den er hätte töten können, musste eben die Natur dafür hinhalten.

Sesshoumaru hatte nicht damit gerechnet, dass es so lange dauern würde, Anis zu finden. Doch die einzigen Lebewesen, die er bis jetzt getroffen hatte, waren ein paar verschreckte Kaninchen gewesen. Diejenige, die er suchte, hatte er nicht gefunden. Nicht einmal ihren seltsamen Blumengeruch hatte er aufspüren können. Dabei hatte er wirklich die gesamte Gegend abgesucht!

Folglich war sie also nicht über die Schneeebene gegangen, die jetzt hinter ihm lag.

Verdammt! Ehe er wieder zurückgegangen und die andere Richtung eingeschlagen hatte, war Anis doch schon über alle Berge.

Er konnte sich jetzt keine zeitraubende Verfolgungsjagd leisten, hatte er doch schon eine lange Reise hinter sich. Es wurde langsam mal wieder Zeit, sich bei Jaken und Rin blicken zu lassen, bevor die wieder irgendwas Dummes anstellten. Ja, er würde wohl zurückkehren müssen. Da er sowieso keine Ahnung hatte, wo sich Anis momentan befand, konnte er die beiden auch abholen und sich gemeinsam mit ihnen auf die Suche machen. Keine besonders guten Aussichten, aber einen anderen Plan hatte er nicht.
 

*
 

Anis betrachtete sich genau. Ihr Spiegelbild musterte sie kritisch. Lässig strich sie sich einige Falten aus dem neuen Kimono. Er war kurzärmelig und blau, mit unterschiedlichen Schattierungen. Um die Hüfte herum hatte er einen hellvioletten Streifen. Aber vielleicht sollte sie doch eher den roten mit den gelben Blüten nehmen?

„Sie sehen bezaubernd aus”, ertönte eine Stimme hinter ihr.

Ein junger Mann mit kurzen, braun-schwarzem Haar und einem schelmischem Lächeln war hinter sie getreten. Er war der Verkäufer dieses Ladens, in dem Anis sich neu einzukleiden gedachte. In Jeans und T-Shirt fiel sie einfach zu sehr auf.

„Dieser Kimono steht euch ausgesprochen gut”, sagte der Verkäufer erneut.

„Ich weiß nicht. Finden sie nicht, dass ich in dem Teil etwas zu dick aussehe?”, erkundigte sich Anis kritisch.

Shopping war schon immer ihre große Leidenschaft gewesen und bei der Wahl ihrer Klamotten war sie besonders pingelig.

„Solch ein Unsinn! Sie haben die perfekte Figur und kein Exemplar in meinem Laden könnte das besser betonen als dieses”, antwortete der Verkäufer entschieden.

Natürlich sagt er das, sowas gehört schließlich zu seinem Job, dachte sich die junge Frau hämisch. Auf solche Schleimereien fiel sie nicht herein.

Dennoch entschied sie sich am Ende für den blauen Kimono. Es war bereits das fünfte Kleidungsstück, das sie gekauft hatte. Schließlich hatte sie nicht vor, wie Sesshoumaru immer nur in den selben Klamotten rumzurennen. Wie der es schaffte, seinen weißen Kimono immer so blütenweiß rein zu halten, war ihr ohnehin ein Rätsel. Wohin mit eventuellen Blutflecken, die sich im Kampf kaum vermeiden ließen und sei es auch das Blut vom Gegner? Sie würde diese japanischen Youkai wohl nie verstehen.

Sie behielt den Kimono gleich an und bezahlte die Ware. Sie hatte nicht besonders viel Geld in der Landeswährung, noch dafür fürs Mittelalter bei, aber für das Nötigste reichte es. Nahrung beschaffte sie sich sowieso selbst aus der Natur und auch davon brauchte sie ja nicht viel. Nur im Winter würde es etwas knapp werden, vorausgesetzt, Sesshoumaru erwischte sie nicht vorher. Sollte dieser Fall eintreten, dann war sie tot, das war ihr klar. Er würde solch ein Ungehorsam kein zweites Mal dulden.

Während Anis noch so in ihren Gedanken versunken war, schritt sie an den Reihen der hölzernen Puppen vorbei, die unter anderem auch Kimonos für Kinder an hatten. Es war fast wie in der Neuzeit, nur eben etwas primitiver. Aber wenigstens war man unter Menschen.

Die junge Frau war in das erste Menschendorf gegangen, das auf ihrem Weg lag. Es wirkte noch recht neu, als wäre es eben erst gebaut. Der Laden, in dem sie sich gerade befand, war für ein Geschäft doch relativ groß und mit einer großen Auswahl ausgestattet.

Anis ließ ihren Blick schweifen und sie kam von der Kleidung mit kalten Farben nun zu der mit warmen Farben. Dann jedoch fiel ihr eine Truhe ins Auge, die offen stand und wohl auch Kleider enthielt. Neugierig ging sie darauf zu. Alle anderen Klamotten waren offen ausgestellt, diese Truhe jedoch stand im dunkelsten Winkel des Raumes.

Plötzlich erstarrte sie. Mit zitternden Fingern zog sie einen Kimono aus der Truhe. Er war wohl für ein Kind gemacht. Große Ringe und Blüten zogen sich über das weiß-orange karierte Muster, das den Stoff bedeckte.

Anis musste schlucken.

„Gefällt ihnen dieser Kimono? Haben sie selbst Kinder?”, ertönte sofort die schmeichelnde Stimme des Verkäufers, der einen sechsten Sinn dafür zu haben schien, für was sich seine Kunden interessierten.

„Uhm... Nein. Ich dachte nur, ich hätte es schon einmal irgendwo gesehen... Wieso liegt das in dieser Truhe?”, erkundigte sie sich rasch und heuchelte Interesse vor.

Dieser Kimono... Genau solch einen trug auch die kleine Rin immer. Es weckte Erinnerungen in ihr, die schon mehrere Wochen zurück lagen. Wie es ihr wohl ging?

„Nun, er liegt in dieser Truhe, weil es niemand kaufen will. Die Leute glauben, er wäre verflucht. Aber das ist natürlich Unsinn”, erklärte der Mann.

Nun war ihr Interesse tatsächlich geweckt und sie hakte auch gleich mal nach. Daraufhin begann er zu erzählen:

„Vor einigen Monaten lebte hier ein kleines Mädchen. Es hat nie ein Wort gesprochen, war stumm. Sie hatte mit ansehen müssen, wie ihre Eltern vor ihren Augen gestorben waren und lebte seitdem in einer kleinen Hütte, abseits des Dorfes. Doch es war ein sehr böses Kind. Oft hat es den anderen Leuten Essen gestohlen. Diese bestraften sie natürlich dafür. Da rief das kleine Mädchen, das in Wirklichkeit eine Hexe war, hunderte von Dämonen herbei. Sie überfielen das Dorf und töteten fast alle Einwohner. Sie selbst aber hatte ihre Seele an die Dämonen verkauft und wurde von ihnen zerrissen. Nun, dieses Mädchen trug eben immer einen weiß-orange karierten Kimono, der genauso aussah, wie der hier. Deswegen will ihn auch niemand kaufen”, endete der Verkäufer schließlich.

„Und... Wie war der Name dieses Mädchens?”, fragte Anis, obwohl sie die Antwort schon zu kennen glaubte.

Die Antwort kam sofort: ”Ihr Name war Rin.”
 

*
 

Rin führte gerade einen wilden Tanz auf, in dessen Mitte ein uns allzu bekannter Youkai stand. Immer wieder schrie sie dabei, „Sesshoumaru ist wieder da! Sesshoumaru ist da!”, und kreiste weiter um seine Beine herum. So lange war er weg gewesen, aber jetzt war er endlich wieder da. Das kleine Mädchen störte sich nicht an Jakens Geschrei, der ihr immer wieder befahl, seinen Herrn doch endlich in Ruhe zu lassen. Wenn Sesshoumaru in der Nähe war, dann hörte sie meistens nicht auf Jaken. Dann galt ihre Aufmerksamkeit nur Sesshoumaru allein. Und wenn der nicht befahl, dass sie leise sein sollte, durfte sie weiter schreien. So einfach war ihre Lebensmoral.

Jaken hingegen fiel vor dem Daiyoukai auf die Knie, entschuldigte sich vielmals für Rins Verhalten und hieß ihn mit überschwänglichen Worten willkommen. Eine Antwort bekam er freilich nicht.
 

*
 

Anis lief durch die engen Straßen des Dorfes. Sie sah es jetzt mit anderen Augen.

Hier also hatte Rin früher einmal gelebt. Und die Dorfbewohner bezeichneten sie als Hexe! So was gemeines.

Da war es wirklich kein Wunder, wenn Rin Sesshoumarus Gesellschaft vorzog. Er verprügelte sie wenigstens nicht.

Sie konnte sich gut vorstellen, das Rin nie mehr in ein Dorf zurückmochte. Der eiskalte Inuyoukai war alles, was sie noch hatte. Arme Rin! Ein Kind in ihrem Alter (und sie konnte nicht älter als sechs sein) brauchte ihre Eltern. Eine Mutter, oder wenigstens einen Vater. Sesshoumaru konnte weder das eine noch das andere für das Mädchen ersetzen. Sie selbst hatte während der kurzen Zeit, die sie mit Rin verbracht hatte, schon recht bald bemerkt, dass sie eine Art Mutterersatz für das Kind war. Doch nun war die Kleine wieder allein.

Rin mochte nach der Aussage des Verkäufers erst einige Monate bei Sesshoumaru sein. Was aber, wenn sie älter wurde? Noch war sie kindlich, verspielt. Aber würde sie mit zunehmendem Alter vielleicht etwas aufmüpfig werden? Wie mochte Sesshoumaru darauf reagieren? So richtig sorgte er sich ja nicht um ihre Erziehung. Sie lächelte sie bei der Vorstellung, wie Rin sich wegen irgendeiner dummen Kleinigkeit ganz fürchterlich mit Sesshoumaru stritt. Gleich darauf verwarf sie den Gedanken wieder. Sesshoumaru würde sich nicht einmal von Rin aus der Ruhe bringen lassen. Nie verlor er die Beherrschung. Doch Anis wünschte sich fast, dass er es einmal tun würde. Einfach, damit er sich eingestehen musste, dass auch er seine Fehler hatte. Doch leider hatte er keine Fehler. Er war perfekt. Und genau das störte sie so an ihm.

Doch solange sie ihn nur nie wieder sah, konnte ihr all das ja auch egal sein.
 

*
 

„Sesshoumaru, wo ist eigentlich Anis?”, fragte Rin.

Lang hatte es gedauert. Mit jeder Sekunde, die verstrichen war, hatte Sesshoumaru diese Frage erwartet. Seltsam, das sie erst jetzt gefragt hatte.

Jaken hatte sich natürlich nicht getraut, dies auszusprechen. Als dieser nämlich zum zweiten Mal den Mund aufgemacht hatte und ganz offensichtlich genau das hatte tun wollen, was jetzt Rin getan hatte, da hatte er ihm schnell einen dermaßen frostigen Blick zugeworfen, dass er kleine Krötendämon sofort um mehrere Dezimeter geschrumpft war. Der Sinn dieser Sache war klar, er würde diese Frage nicht beantworten und sein Diener durfte es nicht wagen, sie zu stellen.

Er war ohne Anis zurückgekehrt. Er hatte versagt. In ihm brodelte es wie in einem großen Vulkan, der jeden Moment ausbrechen würde. Ausbrechen würde Sesshoumaru sicher nicht, doch seine Stimmung hatte einen Tiefpunkt erreicht, wie es schon lange nicht mehr vorgekommen war. Versagt... Er hatte keinen Kampf ausgefochten und doch hatte er versagt...

Obwohl, eigentlich war seine Lage doch mit einem Kampf zu vergleichen. Ein Kampf mit sich selbst, mit seinen eigenen Gefühlen. Dieser Kampf hatte ihn so abgelenkt, dass er Anis’ Verschwinden nicht bemerkt hatte.

„Sesshoumaru? Ist Anis nicht bei euch?”, klang erneut Rins Stimme an sein empfindliches Ohr.

Wieso musste sie auch immer so laut sein? Zusammen mit seinen wirren Gedanken bereitete ihm das regelrechte Kopfschmerzen.

„Rin, sei still. Anis wird bald wieder da sein”, antworte er kühler als eigentlich beabsichtigt.

Rin verstummte sofort, schien jedoch nicht beleidigt. Stattdessen fasste sie Jaken an der Hand, um ihn zur nächsten Wiese zu zerren, wo einige schöne Blumen wuchsen. Jaken wollte sofort protestieren, doch Rin legte sich den Finger an den Mund und flüsterte: „Psssst! Wir sollen doch leise sein!”

Daraufhin war der kleine Youkai tatsächlich still und ließ sich eingeschnappt von Rin abführen.
 

*
 

Anis lief wieder durch den Wald. Sie hatte nicht in einem Dorf bleiben wollen, wo die Leute kleine Kinder verprügelten, weil sie sich etwas zu Essen stahlen. Wo sollten sie denn sonst ihre Nahrung herbekommen, wenn es keine andere Möglichkeit gab?

Wütend kickte Anis einen Steinbrocken zur Seite. Vielleicht würde sie im nächsten Dorf mehr Glück haben. In dem vorherigen hätte sie sich ohnehin nicht verstecken können. Dort hatten sie alle Menschen aufgrund ihrer ‘seltsamen’ Kleidung komisch angesehen. Dort wäre es ihr vielleicht sogar genauso schlimm wie Rin ergangen. Eigentlich kaum zu glauben, dass es Leute gab, die noch schlimmer als Sesshoumaru waren.

Anis blieb kurz stehen und sah in die Wipfel der Bäume hinauf. Zwei kleine Eichhörnchen jagten sich gegenseitig durch das Blätterdach. Von Ast zu Ast, von Baum zu Baum. Die junge Frau sah dem Treiben eine Weile lang gedankenversunken zu, bevor sie ihren Weg fortsetzte. Wie lange würde diese Idylle noch anhalten?
 

*
 

„Jaken, welche dieser Blumen findest du schöner?”, fragte Rin und hielt dem Krötendämon einige Blüten unter die Nase. Der kleine Youkai nieste einmal heftig und protestierte dann:

„Nimm das olle Zeug da weg, Rin! Und lass mich endlich in Ruhe!”

„Nagut, wenn dir die Blumen nicht gefallen... Was meinst du, was ist Sesshoumarus Lieblingsfarbe?”, Rin strahlte.

„Warum fragst du ihn nicht einfach?”, stöhnte Jaken entnervt.

„Genau, das mach ich! Sesshoumaruuuu!!”

Jaken würde jetzt sicher vom Stuhl kippen, hätte er auf einem gesessen.

„Nein du dummes Ding! Das hab ich doch nur so gesagt! Komm sofort zurüüüüück!”
 

*
 

Anis war inzwischen im nächsten Dorf angekommen. Sie wanderte gerade über den Marktplatz, wo die Händler schreiend ihre Ware anboten. Sie wollte ja eigentlich nichts kaufen, doch es konnte nicht schaden, sich diesen Ort einmal etwas näher anzusehen.

„Kann ich ihnen vielleicht irgendwie helfen?”, ertönte eine fremde Stimme hinter ihr.

Misstrauisch drehte sie sich um. Vor ihr stand ein junger Mann. Er war ein wenig größer als sie, hatte halblange braune Haare und ein ehrliches Gesicht. Er trug die Kleidung eines wohlhabenden Bürgers und wirkte alles in allem ziemlich freundlich.

„Nein, eigentlich nicht. Ich wollte mich nur ein wenig umsehen”, antwortete sie lächelnd.

„Wie wäre es dann mit einer kleinen Führung? Ich zeige ihnen gerne, wo hier alles ist.” Anscheinend wollte ihr Gegenüber nicht locker lassen. Doch gegen eine kleine Führung hatte Anis tatsächlich nichts einzuwenden.

„Gerne”, sagte sie deshalb.

Der junge Mann schien sich darüber sehr zu freuen, was sie schmunzelnd zur Kenntnis nahm.

„Mein Name ist übrigens Takeo”, stellte er sich vor.

„Ich heiße... Nomuja”, antwortete Anis nach kurzem Zögern. Sie wollte ihren richtigen Namen nicht unbedingt öffentlich bekannt machen. Wer weiß, vielleicht kam Sesshoumaru ja doch irgendwann mal in die Nähe dieses Dorfes. Wenn er dann irgendwie ihren Namen aufschnappen sollte, war es aus mit ihr.

„Das ist ein sehr schöner Name”, sagte Takeo zu ihr.

Kein Wunder, ich hab ihn mir ja auch selbst ausgedacht..., dachte sich Anis.
 

Takeo führte Anis durch das ganze Dorf, das zugegebenermaßen schon fast so groß wie eine Stadt war. Sie verstanden sich recht gut und redeten über alles mögliche Zeug. So kam Takeo natürlich auch irgendwann auf die Frage, warum Anis überhaupt hier war.

„Was mich schon die ganze Zeit interessiert: Was will eine so schöne Dame wie sie in unserem bescheidenem Dorf?”

Anis setzte eine tieftraurige Miene auf. Zu dieser Frage hatte sie sich bereits etwas überlegt.

„Meine Eltern sind vor kurzem verstorben. Meine Mutter schickte mich auf dem Sterbebett zu meinem Onkel, der hier leben sollte. Doch ich habe leider erfahren müssen, dass auch er nicht mehr unter den Lebenden weilt.”

Zum Glück war Takeo höflich genug, nicht weiter nachzufragen. Hätte er nach dem Namen ihres Onkels gefragt, so wäre sie ziemlich aufgeschmissen gewesen.

„Das tut mir sehr leid. Aber sagt, wo wollt ihr denn jetzt hin?”, fragte Takeo.

Anis zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht so genau”, antwortete sie ehrlich.

„Nun, wenn ich wollt, dann dürft ihr ein paar Nächte auf meinem Hof bleiben, bis ihr etwas eigenes gefunden habt”, bot er an.

Normalerweise hätte sie jetzt abgelehnt und irgendwo im Freien übernachtet. Doch erstens hatte sie lange kein Dach mehr über dem Kopf gehabt und zweitens hatte sie das Gefühl, das Takeo nicht locker lassen, aber auch nichts Unanständiges versuchen würde. Also stimmte sie zu.

„Ich danke ihnen. Das ist wirklich sehr freundlich”

„Nichts zu danken. Ich dürft mich selbstverständlich auch duzen.”

Anis lächelte. „Danke, gleichfalls.”

Die junge Frau war froh, schon so etwas wie einen Freund gefunden zu haben. Außer Kagome hatte sie in ganz Japan eigentlich noch überhaupt keine Freunde. Wie denn auch, wenn sie ständig in Sesshoumarus Nähe war, der jeden umbrachte, der nicht bei drei auf den Bäumen war.
 

Takeos Hof lag am Rand des Dorfes. Es gab dort einige Hühner und Pferde, ansonsten betrieb der junge Mann wohl eher Ackerbau. Ihm gehörten drei große Felder, auf denen die unterschiedlichsten Pflanzen wuchsen.

Als Anis ihn fragte, ob er diesen Hof ganz allein bewirtschaftete, erklärte er, dass er oft Streit mit seiner Familie habe und deshalb nur einige Diener und Tagelöhner eingestellt hatte.

Er brachte Anis in das Gästezimmer, wo sie sich häuslich einrichten durfte.

Am Abend aß sie mit Takeo zusammen im Speisezimmer und ging dann wieder zu ihrer neuen Wohnstatt. Sie zog sich ihren Schlafkimono an und legte sich ins Bett. Wirklich müde war sie nicht, zu viele Gedanken schwirrten ihr im Kopf herum. Sie hatte hier doch einen recht guten Anfang gemacht. Takeo war wirklich sehr freundlich zu ihr gewesen. Sie war sich auch sicher, dass er nichts hinterhältiges plante. Er war eben einfach nur ein herzensguter, höflicher, charmanter, dennoch einfacher Mensch mit wenig Ansprüchen.. Das genaue Gegenteil von Sesshoumaru...
 

XxX
 

So, ich verrat euch jetzt einfach schonmal, das Anis mit ihrem zweiten Fluchtversuch erstmal mehr Glück haben wird. Sessy findet sie nämlich tatsächlich nicht. Es kommt dann eine laaange Pause, denn Anis, die ab jetzt Nomuja heißt, lebt ganze zwei Jahre unentdeckt in einem Menschendorf (die zwei Jahre werden dann per Zeitsprung übersprungen). Aber irgendwann trifft sie dann doch auf Sess und das wird eine Katastrophe...

Ich verrat schon wieder viel zu viel. Aber ich will euch ja auch nicht dumm sterben lassen.^^

Zwei Jahre später

So, es hat wieder lange gedauert, ich weiß. Aber ich hab noch auf ein paar mehr Kommis gehofft und ich bin auch eben grad fertig geworden.

Ich muss sagen, das ist das erste mal, dass in den Kommentaren Einzelheiten erwähnt werden, die ganz zu Anfang des kapitel standen. Normalerweise überliest man so was einfach... Aber ich bin natürlich schon stolz das ich eure Anforderungen bei Anis' Nachricht entsrechen konnte.^^

Es kommt jetzt nochmal ein Wechsel-Kapitel, wo immer zwischen den Orten rumgesprungen wird. Ihr kennt das ja schon vom letzten.
 

XxX
 

Nomuja schlug die Augen auf. Über sich sah sie die grob zusammengezimmerten Bretter der Decke. Für einen Moment sah sie sich irritiert um. Sie hatte lange nicht mehr geschlafen und daher lag ihr letzter Traum auch schon einige Jahre zurück. Dabei hätte sie schwören können, eben noch auf einer Waldlichtung gestanden zu haben. War wohl nur ein Traum. Doch es war ein sehr schöner Traum gewesen, wenn sie sich recht erinnerte. Ein kleines Mädchen war darin vorgekommen. Obwohl Nomuja es nicht erkannt hatte, schien sie der Kleinen schon mal irgendwo begegnet zu sein. Doch wo nur? Wo hatte sie dieses lachende Gesicht schon einmal gesehen?

Als es ihr schließlich einfiel und sie sich auch an die Person erinnerte, die dieses Mädchen immer begleitete, sank ihre Stimmung in wenigen Hundertstelsekunden auf einen eisgekühlten Tiefpunkt.

Sie hatte lange nicht mehr an Sesshoumaru gedacht. Es waren jetzt schon ganze zwei Jahre her, seit sie ihn zum letzten Mal gesehen hatte. Sie legte auch keinerlei Wert darauf, ihm noch einmal zu begegnen. Sie hatte hier, in diesem friedlichen Menschendorf, ein neues Leben angefangen. Sie war nicht mehr Anis, sie trug nun den Namen Nomuja. Sie wohnte in einer kleinen Hütte, nicht weit von Takeos Hof entfernt. Hinter dem kleinem Haus befand sich ein bescheidener Kräutergarten. Viele Sachen aus der Ernte hing getrocknet an der Decke, als Vorrat für den Winter. Schließlich aß sie ja kein Fleisch. Obwohl sie sich selbst sehr gut versorgen konnte, kam Takeo fast jeden Tag zu ihr und brachte ihr irgendwelche Geschenke. Die meisten waren nur unnützer Krempel und wurden dankend von ihr abgelehnt. Wenn sie dennoch etwas von ihm annahm, war er immer hellauf begeistert. Sie fragte sich schon lange nicht mehr, warum er sich so sehr um sie kümmerte. Nomuja hatte ihn auch nie danach gefragt. Sie wusste ganz genau, dass er in sie verliebt war. Immer wenn sie zufällig weniger als zwei Meter voneinander entfernt waren, stammelte er vor sich hin und brachte kaum ein vernünftiges Wort heraus.

Doch Nomuja sagte nichts dazu. Manchmal machte er rätselhafte Andeutungen, doch sie interpretierte diese extra falsch, brachte ihn in Verlegenheit, bis er schließlich aufgab. Denn sie teilte diese Gefühle nicht. Für Nomuja war Takeo ein sehr guter Freund, aber eben auch nicht mehr. Sie mochte ihn sehr - aber sie liebte ihn nicht. Und sie wollte den Tag, an dem er ihr seine Liebe gestand und sie ihn würde abweisen müssen, noch so weit wie möglich herauszögen. Sie wollte seine Gefühle nicht verletzen und ihn als Freund nicht verlieren. So konnte sie vom Glück sagen, dass Takeo in Sachen Liebe so scheu war.

Nomuja stand auf und zog sich an. Draußen zwitscherten bereits die Vögel, als sie die Tür öffnete. Ihr Haus bestand nur aus zwei Zimmern, auch wenn Takeo ihr mehrere Male angeboten hatte, es auszubauen. Doch der enge Raum störte sie nicht.

„Hallo Nomuja! Du bist aber heute spät aufgestanden”, ertönte eine Stimme hinter ihr.

Nomuja hatte den jungen Mann schon längst bemerkt, tat aber so, als würde sie sich über sein plötzliches Auftauchen erschrecken.

„Wo kommst du denn auf einmal her, Takeo? Warum bist du nicht auf deinem Hof?”, fragte sie mit überrascht klingender Stimme.

„Ich hatte einfach mal Lust, dich zu besuchen...”, antworte er und ein Hauch ro

Rsa legte sich über sein Gesicht. Der lügt wie gedruckt..., dachte sie zynisch.

Nomuja lächelte. „Das ist aber lieb von dir.”

„Du freust dich?” Sein Gesicht strahlte.

Sie zuckte mit den Schultern. „Sicher, ich freue mich immer über deinen Besuch.”

Takeo wurde knallrot und tippte seine Finger nervös aneinander. Nomuja beäugte das misstrauisch. Er sah aus, als würde er irgendetwas aushecken...

„Ist etwas nicht in Ordnung?”, erkundigte sie sich möglichst besorgt, während sie innerlich entnervt aufstöhnte. Gleich würde er wieder versuchen, ihr eine Liebeserklärung zu machen. Es wurde immer schwerer, das zu verhindern. Das letzte Mal war er wirklich kurz davor gewesen und es war letztendlich ein Wolf gewesen, der ihn mit seinem nächtlichem Geheule aus dem Konzept gebracht hatte.

„Doch, schon, es ist alles in Ordnung... Ähm... Sag mal, ich wollte dich heute Abend zum Essen einladen... Hast du Zeit?”, stotterte er nervös.

Naja, ich würd ja schon kommen, wenn ich nicht ahnen würde, dass das vermutlich kein rein freundschaftliches Essen wird. Also nein, ich komme nicht!, waren ihre Gedanken.

„Ja klar, natürlich komme ich!”

Moment mal, WAS hab ich grade gesagt?!

Takeo strahlte. „Gut, dann kommst du so gegen Sonnenuntergang zu mir, ja?”

Nein, ich weder ganz bestimmt nicht kommen, das kannst du dir abschminken!

„Ja, ist gut.”

Verdammt, jetzt sitz ich in der Scheiße.

Verzweifelt sah Nomuja Takeo nach, der sich jetzt fröhlich pfeifend entfernte. Sie hatte einfach nicht nein sagen können. Er wäre sonst furchtbar traurig gewesen und das wollte sie nicht.
 

*
 

„Oh, Jaken guck mal! Da wachsen ganz viele, wunderschöne Blumen!”, rief Rin aufgeregt.

Jaken stöhnte. „Rin, bist du nicht schon etwas zu alt zum Blumenpflücken?”

„Unsinn, dazu ist man nie zu alt. Außerdem macht es so viel Spaß!”, protestierte Rin.

Seit fast drei Jahren zog sie jetzt mit Sesshoumaru durch die Gegend und sie war mittlerweile etwa acht Jahre alt, doch ihre Lieblingsbeschäftigung war noch immer das Blumenpflücken. Sie war inzwischen richtig gut darin und ihre Sträuße waren nicht mehr nur bunt zusammengewürfelt. Fast alle ihre Kunstwerke landeten irgendwann bei Sesshoumaru. Meistens ignorierte der die ihm angebotenen Blumen, doch wenn er sie tatsächlich annahm, dann schien die Welt für Rin immer viel schöner zu sein.

„Sesshoumaru mag meine Blumen auch. Ich weiß sogar, welche seine Lieblingsblume ist!”, erzählte sie stolz.

„Was redest du da für einen Quatsch, Rin! Sesshoumaru hat keine Lieblingsblume, so etwas interessiert ihn doch überhaupt nicht!”, rief Jaken empört.

„Aber natürlich hat er eine! Sieh mal, es ist DIE HIER!”, sagte Rin fröhlich und hielt dem Krötendämon eine kleine Blume hin. Jaken beäugte sie misstrauisch. Was sollte an diesem langstieligem Kraut mit den winzigen Blüten schon so besonders sein, außer vielleicht, dass sie sehr stark roch?

„Willst du mich auf den Arm nehmen?! Was sollte der edle Meister an solch einem Unkraut finden?!”, fuhr er sie an.

Rin zuckte bei seinem harschen Ton zusammen.

„Aber... Aber wenn ich die mit in den Strauß nehme, dann nimmt ihn Sesshoumaru an. Sonst macht er das nicht...”, nuschelte sie.

„Blödsinn, das bildest du dir nur ein!”, schimpfte Jaken.

„Nein, das tu ich NICHT! Und ich werd’s dir beweisen! SESSHOUMARU!”, schrie sie laut.

Jaken hielt sich die Ohren zu und meckerte los, Rin solle seinen Meister doch nicht immer so belästigen.
 

Sesshoumaru hatte den Streit seiner beiden Begleiter sehr wohl mitbekommen, ihn jedoch bis jetzt ignoriert. Als Rin jedoch dann lauthals seinen Namen schrie, konnte er wohl nicht länger den Schwerhörigen spielen. Dennoch zeigte er keinerlei Reaktion, bis Rin an seinem Hosenbein zupfte.

„Duhuu, Sesshoumaru? Guck mal, ich hab einen ganz schönen Blumenstrauß für euch gepflückt”, sagte sie lächelnd und hielt ihm den Strauß hin.

Sofort strömte ihm wieder dieser altbekannte Geruch in die Nase. Anis’ Geruch. Etwas in ihm schien plötzlich zu zerreißen. Mit spitzen Fingern fischte er das kleine Kraut aus dem Strauß, das für diesen Duft verantwortlich war. Während Rin die restlichen Blumen sinken ließ, konnte Sesshoumaru den Blick nicht von den winzigen Blüten abwenden. Er bemühte sich, sich nichts anmerken zu lassen und setzte seinen Weg fort. Doch den kleinen Stängel behielt er in der Hand. Der Youkai achtete überhaupt nicht auf Jakens verblüfftes Gesicht, das von Rin mit fröhlichem Gelächter quittiert wurde.

Seine Gedanken waren bei Anis. Es war bereits zwei Jahre her, seit er sie zum letzten Mal gesehen hatte. Nichts erinnerte mehr an sie. Doch jedes mal, wenn er diesen altbekannten Geruch wahrnahm, änderte er seine Richtung. Jedes mal kam er auf eine Wiese. Jedes mal fand er dort nicht Anis, sondern diese Blumen vor. Alles wäre so viel einfacher gewesen, wenn er doch ihren wahren Geruch gekannt hätte! Aber den kannte er nun mal nicht.

Und jedes Mal, wenn Rin ihm eine solche Blume gab, konnte er nicht umhin, kurz an ihr zu riechen.

Er vermisste Anis. Und wie er sie vermisste! Seine Suche war lange erfolglos geblieben, aber er hatte nicht aufgegeben.

Immer, wenn er sich an ihre gemeinsame Zeit erinnerte, kam etwas in ihm hoch. Es waren diese so tief vergrabenen Gefühle.

Nachdem Anis verschwunden war, war er nach außen hin noch undurchdringlicher geworden. Er hatte seine Feinde mit noch größerer Grausamkeit niedergemäht. Nur bei Rin und manchmal auch bei Jaken war er nicht ganz so kalt. Das jedoch auch nur, wenn Rin ihm wieder so eine Blume gab. Dann versank er für den Rest des Tages in seinen Gedanken und sprach kein Wort mehr.

Immer, wenn seine Gedanken zu der Frau abschweiften, dessen Gegenwart er nur so kurz genießen durfte, dann schien er von mehreren Messern durchbohrt zu werden. Ein unerträglicher Schmerz machte sich dann in ihm breit. Es war, als würde er innerlich zerrissen werden. Dennoch dachte er immer wieder an sie. Er wollte sie auch nicht vergessen, denn die Zeit mit ihr war doch größtenteils sehr schön gewesen.

In ihm war keine Wut über ihren Abgang. Nur eine unendlich große Trauer. Er war gebrochen, sein Herz lag in Scherben. Er hatte nichts von seiner Kampfkraft eingebüßt, im Gegenteil. Er war sogar noch stärker geworden. Nie ließ er Gnade walten, seine Opfer waren ihm gleichgültig. Doch selbst die Suche nach Naraku, der seine Ehre verletzt hatte, war gleichgültig geworden. Er suchte nicht mehr nach ihm. Sicher, wenn er ihm zufällig über den Weg laufen sollte, oder aus einer ernstzunehmenden Quelle einen sicheren Hinweis bekäme, dann würde er ihn schon umbringen.

Aber seine Aufmerksamkeit galt noch immer der Suche nach Anis. Sie war am wichtigsten geworden. Ein Jammer, das man das Wichtigste im Leben immer erst erkannte, wenn man es bereits verloren hatte.

Manchmal zog er es natürlich auch in Betracht, dass Anis vielleicht gar nicht mehr am Leben war. Doch daran dachte er nicht oft. Es tat zu sehr weh und er wollte es auch nicht wahr haben.

Inzwischen schämte er sich nicht mehr vor sich selbst, wegen diesen Gefühlen. Es wusste ohnehin niemand etwas davon.

Und sie machten ihn stark. Er hatte etwas, wofür er kämpfen konnte. Er hatte ein Ziel und das verteidigte er gegen jede Bedrohung.

Noch immer wusste er nicht, was dies überhaupt für Gefühle waren, oder wo sie herkamen. Doch er stellte sich ihnen. Er hielt den Schmerz aus. Nie hätte er gedacht, dass Gefühle so sehr schmerzen könnten. Das der Kampf mit sich selbst so viel Kraft einforderte. Aber er kämpfte, er gab nicht auf. Sesshoumaru stellte sich diesen starken Gefühlen, ignorierte sie nicht mehr. Genau so, wie es sein Vater von ihm erwartet hätte. Er wusste nun, was innere Stärke war und wie scher sie zu erreichen war.

Das einzige Lebewesen, das so lebensmüde gewesen war und ihn angegriffen hatte, dies jedoch überlebt hatte, war Inuyasha. Ihn hatte er verschont, obwohl er ihn reichlich oft getroffen hatte und es auch sehr schnell immer wieder zum Kampf gekommen war. Immer wieder war er bei ihm aufgetaucht. Immer wieder hatte er sich versichert, dass Anis nicht doch bei ihm war. Und immer wieder war er enttäuscht worden. Wie tief mochte er schon gesunken sein, wenn er seinen verhassten Halbbruder aufsuchte? Dennoch hatte er ihn jedes mal verschont. Warum? Weil die Hoffnung bestand, dass er Anis vielleicht doch eines Tages bei ihm finden würde. Deshalb hatte er es auch nie bereut.

Bisher jedoch, hatte sich diese Hoffnung nicht bestätigt.

Wo war sie nur?

Wie ging es ihr?

Was machte sie gerade?
 

Was hätte er alles für die Beantwortung dieser Fragen gegeben...
 

*
 

Nomuja beeilte sich mit dem Essen. Sie wollte so schnell wie möglich wieder von hier verschwinden. Takeo, der ihr gegenübersaß, rührte seine Mahlzeit nicht an, sondern hielt seinen Blick starr auf sie gerichtet. Wahrscheinlich bekam er das nicht einmal mit.

Nomuja stellte bald fest, dass ihr Freund das Essen wahrscheinlich selbst zubereitet hatte. Denn obwohl man bei Reis und Gemüse ja eigentlich nichts falsch machen konnte, schmeckte das Zeug widerlich. Aus Höflichkeit verzehrte sie jedoch trotzdem alles. Was hätte sie jetzt alles für eine Pizza gegeben! Ohne Salami, versteht sich.

Als sie es endlich geschafft hatte, das fiese Zeug runterzuwürgen, ohne ihr Mittagessen dabei über den Tisch zu gießen - Männer und kochen sind die Verkörperung von Feuer und Wasser, wobei die Männer allesamt Wasserköpfe sind - stand sie schließlich auf.

„Das Essen mit dir war sehr schön”, ...aber der Geschmack miserabel...,”Doch ich werde jetzt wohl besser nach Hause gehen. Ich falle dir sonst nur zur Last.” ...eher umgekehrt..., sagte sie, dachte jedoch gleichzeitig etwas ganz anderes.

„Oh...äh... Bleib doch bitte noch ein wenig. Du machst mir gar keine Umstände!”, stotterte er nicht sehr intelligent.

Nomuja seufzte innerlich. Eigentlich war er ja ganz süß, aber sein ewiges Getue war einfach zu viel des Guten.

Takeo stand ebenfalls auf und führte sie nach draußen. Dort angekommen setzten sie sich zusammen auf eine Bank.

Nomuja wartete. Doch Takeo sagte kein Wort und starrte nur stur zum Himmel empor. Also wartete sie weiter. Nach einer halben Stunde wurde es ihr zu bunt und sie sagte:

„So, nachdem ich mir jetzt den Nachthimmel so lange angeschaut habe, dass ich alle Sternbilder auswendig kenne: Was willst du mir sagen?”

Ihr Gegenüber wurde immer nervöser.

„Nunja...also...” Jetzt sah er sie tatsächlich an. „Ich... Ich wollte dir sagen... Das ich dich... Das ich dich liebe!”, brach es aus ihm heraus.

Jetzt war es Nomuja, die ihn nicht ansah. Doch Takeo schien zu befürchten, dass er sich nie trauen würde ,noch einen Schritt weiter zu gehen, wenn er es jetzt nicht tat. Und so legte er noch einen drauf...

„Nomuja, ich möchte dich zur Frau nehmen.”

Stille. Keiner wagte zu sprechen.

Mist, sie hatte gehofft, dass er sich nicht traut...

Nomuja senkte den Blick noch weiter.

„Du... Du brauchst noch nicht jetzt sofort zu antworten...”s murmelte Takeo und senkte den Blick.

Das hatte ich auch gar nicht vor...s dachte sie sich.

„Ich weiß, das kommt etwas überraschend. Sicher brauchst du erstmal ein wenig Zeit um dir deine Entscheidung zu überlegen. Sag mir einfach Bescheid, wenn du so weit bist.” Er klang ungewöhnlich ernst, wie Nomuja fand.

Also ZEIT ist das letzte, was ich jetzt brauche. Aber gegen ein Aspirin hätte ich nichts einzuwenden, überlegte Nomuja.

Takeo, der nichts von den Gedanken seiner Angebeteten ahnte, zog sich jetzt ins Haus zurück, was Nomuja als Erlaubnis nahm, sich ebenfalls zu entfernen.

Als sie in ihrer kleinen Hütte angekommen war, legte sie sich gleich mal auf ihre Schlafstatt und schloss die Augen. Nicht etwa um zu schlafen, sondern um nachzudenken.

Sie hatte wohl mit einer Liebeserklärung gerechnet, nicht aber mit einem Heiratsantrag . Da soll einer die Männer verstehen...
 

*
 

Sesshoumaru rümpfte die Nase. Schon wieder so ein elendiges Menschendorf. Diese niederen Geschöpfe machten sich aber wirklich überall breit. Wie er sie doch verabscheute! So unfähig, so schwach. Zu nichts zu gebrauchen. Sie waren es einfach nicht wert, zu leben. Ihre einzige, mögliche Stärke bestand in ihrer Menge. Sie waren einfach überall. Wie Ungeziefer, das man ausrotten musste. Aber er, Lord der westlichen Länder der Inuyoukai, brauchte sich nicht mit Ungeziefer abzugeben.

Darum machte er immer um alle Dörfer dieser schändlichen Rasse einen weiten Bogen. Genau das hatte er auch diesmal vor.
 

„Du Jaken, mir ist langweilig”, quengelte Rin, die auf Ah-Uhns Rücken saß.

„Meckre gefälligst nicht so rum, Rin! Du gehst Meister Sesshoumaru nur auf die Nerven!”, fauchte Jaken, der damit in Sesshoumarus Augen noch viel nerviger war als Rin.

„Tut mir, Leid, das wollte ich nicht. Aber es passiert ja nichts. Kannst du mir nicht irgendwas erzählen, Jaken?”, fragte Rin mit einem Unschuldsblick.

„Ich soll dir was erzählen?! Du bist wohl verrückt geworden, ich bin doch nicht dein Kindermädchen!”, fuhr der Krötendämon sie an.

Sesshoumaru hätte jetzt fast geschmunzelt, hätte er nicht so verdammt schlechte Laune. Eigentlich war Jaken sehr wohl Rins Kindermädchen, seit Anis nicht mehr da war. Seine einzige Aufgabe bestand darin, auf Rin aufzupassen und sie gelegentlich zu beschäftigen. Für sehr viel mehr war er eigentlich nicht zu gebrauchen...

Rin fing jetzt an zu schmollen: „Mir dir macht es gar keinen Spaß! Es war viel lustiger, als Anis noch da war. Da hatte auch Sesshoumaru bessere Laune...”, murmelte sie vor sich hin.

„Hör auf über dieses nutzlose Weib zu reden! Sie hat den Meister schändlich hintergangen und ausgetrickst!”, kreischte Jaken wütend.

Die Tatsache, dass Sesshoumaru genau vor ihm war, schien er erfolgreich verdrängt zu haben. Folglich lief er genau in denselben hinein, das der Inuyoukai plötzlich stehen geblieben war. Jaken bekam einen so eisigen Blick abkassiert, dass er sofort um die Hälfte seiner Körpergröße schrumpfte.

„I...i....ich wollte damit keineswegs andeuten, dass diese Frau klüger wäre als ihr, weil sie euch gelinkt hat...”, brabbelte Jaken vor sich hin, während er auf den Knien vor seinem Meister rumrutschte.

Diese Aussage nahm der Daiyoukai natürlich nicht ohne weiteres hin und so schmückten Jakens Kopf bald einige schöne, große Beulen.

Sesshoumaru setzte seinen Weg ungerührt fort, doch er dachte dabei über Rins Bemerkung nach: ‘Es war viel lustiger, als Anis noch da war. Da hatte auch Sesshoumaru bessere Laune...’

Bessere Laune... Hatte er tatsächlich bessere Laune gehabt? Seltsam, solche Kleinigkeiten bemerkte Rin immer, auch wenn das das einzige zu sein schien, was sie konnte. Hatte sie etwa mitbekommen, was in ihm vorging? Nein, das konnte er sich nicht vorstellen.

„Du bist gemein! Anis war doch so nett!”, hörte er die Stimme des kleinen Mädchens hinter sich.

Stritten die beiden sich etwas immer noch?! Sie sollten endlich damit aufhören.

„Sie war ein unwürdiges Wesen, ein einfacher Mensch! Wenn sie wenigstens so gehorsam wie du gewesen wäre... Aber nein, sie musste ja unbedingt abhauen!”, schimpfte der Krötenyoukai.

Sesshoumaru roch Tränen. Rin weinte!

„Du bist so geimeiiiin! Anis ist bestimmt nur wegen dir wieder nach Hause gegangen!” An ihrer Stimmlage konnte der Inuyoukai erkennen, dass sie kurz vor einem Weinkrampf stand. Nicht das auch noch!

„Ja, sicher hockt sie jetzt in einem dieser schrecklichen Menschendörfer. Geschieht ihr ganz recht, das sie sich so verstecken muss!”, rief Jaken genüsslich.

„Es reicht, Jaken! Sei still”, knurrte Sesshoumaru gefährlich.

Jaken gab keinen Ton mehr von sich und auch Rin hörte auf zu schniefen. Endlich Ruhe, Ruhe zum Nachdenken.

Jakens Idee ließ sich nicht vollkommen von der Hand weisen, das musste er zugeben. Anis war ein Mensch, oder gab sich zumindest für einen aus. Und wo sollte sich ein Mensch besser verstecken, als zwischen anderen Menschen?

Vielleicht sollte er diesem Menschendorf, das er eben in der Nähe gerochen hatte, doch mal einen Besuch abstatten...
 

*
 

Nomuja verließ an diesem Morgen schon sehr früh ihre Hütte und ging runter an den Fluss, um ihre Kleidung zu waschen. Diese Arbeit war sehr mühselig, denn hier war ‘Seife’ ein Fremdwort und das Wasser war zum Erbrechen kalt. Aber die Arbeit musste nun einmal getan werden.

Das einzig Gute daran war, dads sie so erfuhr, was so alles in der Welt geschah. Denn sie war keineswegs die Einzige, die hier ihre Wäsche wusch. Alles Klatschweiber des gesamten Dorfes kamen hierher und plauderten miteinander. Einige waren sogar Freundinnen von ihr.

Obwohl noch nicht einmal die Sonne wirklich aufgegangen war, herrschte hier schon voller Betrieb.

„Nomuja, stimmt es, dass du und Takeo jetzt verlobt seit?”, kam sofort die erste Frage von Hirata, eine ihrer Freundinnen. Sie kam auf Nomuja zugelaufen.

„Kein Kommentar!”, blockte sie rasch ab, davon musste ja nicht jeder wissen.

Es war jetzt schon einige Tage her, seit Takeo ihr den Heiratsantrag gemacht hatte und sie hatte ihm noch nicht geantwortet. Der Tatsache, dass sich private Nachrichten hier wie ein Lauffeuer verbreiteten, hatte sie noch nie besonders viel abgewinnen können.

Sie ging zusammen mit Hirata zum Fluss hinunter und wurde dabei ununterbrochen von ihren Fragen gelöchert. Dennoch weigerte sie sich weiterhin, etwas zu dem Thema zu sagen, was ihre Freundin schließlich zu dem Schluss brachte, dass die Gerüchte tatsächlich wahr waren.

„Er hat dich also wirklich gefragt! Und? Was hast du geantwortet?”, erkundigte sie sich mit unerschöpflicher Neugierde.

„Gar nichts hab ich geantwortet!”, sagte sie genervt und tappte damit genau in ihre Falle.

„AHA! Er hat dich wirklich gefragt! Und du hast nichts geantwortet?! Du musst doch irgendwas gesagt haben, oder hast du ihn etwa abserviert?”, fragte sie geschockt.

Man, das war ja genauso schlimm wie ein Kreuzverhör bei der Polizei!

„Oder hast du etwas schon einen anderen?!”

Sie korrigierte sich: Es war schlimmer als ein Kreuzverhör bei der Polizei!

„Wie bitte?! Nein, natürlich nicht! Wie kommst du denn auf die Idee?!”, fuhr sie sie gespielt zornig an. Innerlich lachte sie sich schlapp...

„Naja, du bist ja erst vor zwei Jahren hierher gekommen. Du hast doch sicher auch davor schon ein paar gute Männer getroffen, oder?”, hakte sie nach.

„Nö”, antwortete sie wortkarg.

„Sag bloß, du hast noch nie einen Mann getroffen! Das nehm ich dir nicht ab.”

„Klar hab ich schon Männer getroffen! Nur keine guten. Abgesehen von denen bei mir zu Hause, die allesamt Hohlköpfe waren, hab ich eigentlich auf meiner Reise nur drei kennengelernt...”, murmelte sie vor sich hin.

Sie hätte es lieber gelassen.

„Und? Erzähl schon! Wie waren die?”, fragte Hirata.

„Der eine war ein notgeiler Mönch, der Andere lief dauernd im Karnevalskostüm rum und der Letzte hatte Kriegsbemalung im Gesicht...”, sagte Nomuja und zählte die Personen an den Fingern ab, als fiele es ihr schwer, sich an sie zu erinnern. „Ach ja, und zwei Drittel davon waren bereits besetzt...”, sie musste an Inuyasha und Kikyo denken, „Der eine sogar zweimal, das zählt doppelt...”

„Und was ist mit dem Dritten? Der nicht besetzt ist?”

„Was soll mit dem sein?” Nomuja verstand nur Bahnhof.

„Na, bist du mit dem zusammen gewesen?”

Nomuja konnte nicht anders. Sie brach in schallendes Gelächter aus.

„Ich?! Mit dem!? ”, lachte sie los.

„Was ist daran so komisch?”, fragte Hirata beleidigt.

„Entschuldige...hihihi... Du kennst den Kerl ja schließlich nicht...ich und DER...Hahahahaha!”, kicherte sie.

„Nagut, aber du hast es bisher nicht abgestritten!”, sagte ihre Freundin triumphierend.

„Hä? Was redest du da für einen Quatsch? Ich war nie mit dem Kerl zusammen und ich werde es gewiss auch nie sein. Eher sterbe ich! Abgesehen davon, dass er mich schon öfters umbringen wollte...”

Für Nomuja war das Thema damit beendet. Das traf sich auch ganz gut, denn in diesem Moment waren sie am Fluss angekommen und packten ihre Wäsche aus, die sie bisher in großen Weidenkörben getragen hatten. Es waren bereits fünf andere Frauen aus dem Dorf hier, die alle fröhlich miteinander plauderten.

Nachdem Hirata jetzt wohl endlich genug von Nomujas nicht vorhandenem Liebesleben hatte, konnte sie ihre Freundin endlich ohne schlechtes Gewissen über die neusten Infos ausquetschen.

„Was ist denn in der Umgebung in letzter Zeit so alles passiert? Ich lebe ja so ziemlich am Arsch der Welt und kriege nicht viele Nachrichten aus den anderen Dörfern”, fing sie an.

„Es ist tatsächlich eine Menge passiert. Alle Dörfer südlich von hier, in etwas zwanzig Meilen Entfernung, sind vollkommen zerstört”, berichtete sie ernst.

Nomuja zog scharf die Luft ein.

„Dämonen?” Die Frage war überflüssig, was sonst konnte so viele Siedlungen dem Erdboden gleich machen?

„Wahrscheinlich. Die Dörfer sind fast komplett entvölkert. Aber vor kurzem kam ein Flüchtling hier an, der uns genaueres erzählen konnte”, antwortete Hirata.

„Nun mach es doch nicht so spannend. Was hat er gesagt?”, hakte Nomuja leicht angenervt nach.

„Naja, er behauptete, dass es nur ein einziger Dämon gewesen war, der aber eigentlich wie ein normaler Mensch aussah”, erzählte sie.

Ein einzelner Dämon der ganze Dörfer entvölkerte? Das machte doch keinen Sinn! Sicher, Dämonen in Menschengestalt waren weitaus mächtiger als normale Exemplare. Doch das war es nicht, was Nomuja stutzig machte. Hieß es nicht immer, das Dämonen die Menschen verachteten? Wieso sollten sie in Menschendörfer gehen?

„Wurden die Leichen aufgefressen?”, fragte sie nach.

Hirata schaute sie verblüfft an.

„Nein, aber warum willst du das wissen?”

„Na sieh es doch mal von der logischen Seite: Die mächtigen Dämonen verachten doch die Menschen, richtig?”

„Richtig.” Sie kapierte nicht, stellte Nomuja fest.

„Aber plötzlich taucht ein mächtiger Dämon auf und zerstört scheinbar wahllos jedes Dorf, was ihm begegnet und tötet dessen Einwohner. Aber anstatt sich an ihnen vollzufressen, geht er einfach immer weiter. Dabei könnte er doch einen Bogen um die Dörfer machen, müsste sich nicht die Finger schmutzig machen und würde keine Zeit verlieren.” Nomuja kam sich vor, als würde sie einem kleinen Mädchen erklären, das eins plus eins, zwei ergab.

„Vielleicht macht ihm das Töten einfach nur Spaß?”, sagte Hitara schulternzuckend.

„Aber dann hätte diese Mordserie nicht so plötzlich angefangen!”, erwiderte Nomuja.

Langsam schien ihrer Freundin dann doch ein Licht aufzugehen.

„Meinst... Meinst du dieser Dämon sucht etwas?”,schlussfolgerte sie sofort.

Nomuja dachte kurz nach. Welcher Dämon suchte schon etwas, was sich in einem Menschendorf befand?! Ihr fiel keiner ein. Naja, aber sie kannte ja auch nicht gerade sehr viele (lebendige) Dämonen in dieser Epoche.

Schlagartig wanderten ihre Gedanken zu Sesshoumaru. Konnte es etwa sein, das er diese Dörfer...?

Oh mein Gott! Ich bin es! Er sucht nach MIR!, wurde ihr plötzlich klar.
 

In genau diesem Moment ertönte vom Dorf her ein markerschütternder Schrei.
 

XxX
 

So, ab jetzt ist alles offen, ich hab noch keinen eizigen Satz geschrieben, der das ganze weiterführt. Ich bin auch für Vorschläge eurerseits offen! ich hab zwar schon eine ungefähre Ahnung wie es weiter geht, aber ihr könnt natürlich auch mit entscheiden.
 

Ich denke das Sesshoumaru nicht mit dem töten aufhört und Anis zuliebe ein Engel wird, das war ja wohl klar. Dementsprechend geht es dann auch weiter, da fließt eine Menge Blut...

Ich hoffe ich hab euch jetzt nicht vergrault^^

freu ich auf kommis, wer einen schreibt kriegt eine ENS wenn es weiter geht.

Hass

So, ich denke das Kapitel ist jetzt etwas kürzer. Egal, ich wollt euch nicht warten lassen, da die Kommianzahl wieder gestiegen ist.^^

Ich bin grade erst fertig geworden und hatte noch keine Zeit das kappi nochmal zu überarbeiten, sry.

Da so viele von euch lauten Protest von sich gegeben haben, von wegen Sesshoumaru vernichtet die ganze Menschheit, hab ich das in diesem Kappi klargestellt: Sesshoumaru vernichtet nur die HALBE Menschheit!^^

(Die andere Hälfte hebt er sich für morgen auf^^ *gg*)
 

XxX
 

Nomuja spitzte die Ohren. Ihre Fingerspitzen kribbelten - ein sicheres Zeichen für Gefahr. Sie strengte all ihre Sinne an und tatsächlich - sie spürte Youki.

„Hirata, bleib hier”, sagte sie mit fester Stimme und ging in Richtung Dorf.

Anis lief den kurzen Weg zu ihrer Hütte zurück und kniete sich kurz auf den Boden. Unter ihrer Schlafmatte war ein loses Dielenbrett, unter dem sie jetzt ihre Tasche und die beiden altbekannten Schwerter herausholte, die mittlerweile schon leicht eingestaubt waren. Sie schnallte sich die Schwerter um. Hoffentlich würde sie sie nicht brauchen.

Sie lief durch das halbe Dorf, immer ihrem sechsten Sinn hinterher, der ihr sagte, wo die Quelle des Youkis sich befand.

Dort angekommen erwartete sie ein grauenvolles Bild.

Am Boden vor einer der Hütten lag eine blutüberströmte Leiche über dessen Körper sich eine junge Frau beugte, die bitterlich weinte. Ein paar Schritte weiter entfernt stand ein hochgewachsener Mann in einem weißen Kimono, der an den Ärmeln mit einem roten Muster verziert war. Dazu trug er eine schwarze Rüstung und zwei Schwerter. Seine Haare waren schneeweiß und im Gesicht hatte er merkwürdige Zeichen.

Nomuja erkannte ihn sofort. Es war Sesshoumaru.

Ihr altes Leben hatte sie eingeholt.

Der Inuyoukai stand einfach so da, in der Hand einen Kopf, den er offenbar gerade von dem, jetzt toten, Mann abgetrennt hatte. Nomuja kannte sowohl den Toten, als auch seine Frau, die neben ihm hockte.

Zwischen dem Youkai und dem Menschen lag ein zerbrochenes Schwert. Anscheinend hatte der Mann Sesshoumaru angegriffen und musste deshalb sterben.

Nomuja stand mehrere Meter vom Schauplatz entfernt hinter einer Hauswand und durfte wohl gerade so noch darauf hoffen, dass Sesshoumaru sie nicht bemerkt hatte, da der Geruch des frisch vergossenen Blutes seine Geruchszellen etwas verwirren durfte und sie ja noch immer darauf achtete, ihren wahren Geruch mit einer speziellen Kräutertinktur zu verdecken.

Schnell drehte sie sich weg und lehnte sich gegen die glatte Holzwand. Es war einfach scheußlich, einen einfachen Mann zu töten, wenn dieser ihn kurz einmal bedrohte. Und nichts anderes hatte der Mensch getan, sie kannte ihn und er trug sein Schwert nur zur Zierde, konnte nicht damit umgehen. Doch wer den Fehler machte, vor Sesshoumarus Gesicht mit einer Klinge rum zu fuchteln, der war des Todes. Das war grausam! So konnte es nicht weiter gehen.

Nomuja ahnte, das Sesshoumaru die Dörfer nicht wirklich entvölkert hatte. Menschen neigten zu starken Übertreibungen. Dennoch war er mit Sicherheit kein Unschuldslamm.

Sie linste jetzt doch noch einmal um die Ecke. Doch gleich darauf schloss sie die Augen wieder.

Eine kleine Gruppe von Männern, die mit Mistgabeln bewaffnet waren, hatte sich dem Daiyoukai entgegen gestellt.

Das grüne Aufblitzen drang selbst durch ihre geschlossenen Lider.

Als sie widerwillig die Augen wieder aufschlug, lagen die Körper der Leute, mit denen sie zwei Jahre lang zusammen gelebt hatte und die sie als freundliche, hilfsbereite Menschen kannte, bereits in zwei Hälften geteilt auf der Erde. Jetzt bildete sich ein lauter Tumult aus Frauen und Kindern, die zu ihren gefallenen Liebsten eilen wollten.

Sesshoumaru, der sich offenbar etwas eingeengt fühlte, ging auf jeden los der sich ihm auf mehr als zwei Schritt nährte.

„Nomuja!”, ertönte plötzlich eine Stimme.

Nein! Nicht jetzt!

„Takeo, was machst du hier?”, Sie gab ihrer Stimme einen panischen Beiklang, damit sie sich nicht von den anderen Dorfbewohnern unterschied. Ein Glück, dass Takeo ihren wahren Namen nicht kannte, sonst wäre sie jetzt aufgeflogen. Sesshoumarus Gehör war nämlich ausgesprochen scharf.

„Dasselbe könnte ich dich auch fragen. Was-” Er erstarrte, als er die Leiche sah. Sein Gesicht verlor legliche Farbe.
 

Inzwischen hielten die Menschen einen großen Sicherheitsabstand zu dem Daiyoukai. Sesshoumaru beäugte sie verächtlich. Er würde sich hier nur so lange wie nötig aufhalten.

Witternd sah er sich um. Der Geruch von Blut stieg ihm in die Nase und überdeckte fast alles andere. Er roch die ungewaschenen Leiber der Menschen, roch ihren Angstschweiß. Mit jedem der neuen Gerüche, die er aufnahm, nahm auch seine Verachtung ihnen gegenüber zu.

Er filterte all diese schlechten Gerüche heraus und tatsächlich blieb nun der Geruch von frischen Blumen zurück. Auch der Duft der Pflanze, die er suchte, war dabei. Dennoch wagte er nicht, sich zu früh zu freuen. Viele Menschen verwendeten dieses Kraut zum Würzen von ihren Speisen, daher war es nichts Besonderes, es hier anzutreffen.

Sesshoumaru ging langsam in die Richtung, aus der dieser Geruch kam. Die Menschenmenge teilte sich vor ihm. Die meisten unter ihnen weinten, oder beklagten die Verluste, die sie erlitten hatten. Er scherte sich nicht um sie. Sein Ziel lag hinter der Menschenmasse. Er konnte dort eine Person ausmachen, der der altbekannten Geruch anhaftete. Langsam und mit halb geschlossenen Augen ging er darauf zu, bis er schließlich vor einer Hauswand stand.
 

Nomuja spürte, wie sich die Quelle des Youkis, die zweifellos den Namen Sesshoumaru trug, sich ihr von hinten nährte. Panik ergriff sie.

Eine Sekunde später spürte sie einen grässlichen Schmerz.

Sesshoumaru hatte ihr das Kopftuch heruntergerissen, unter dem ihre Haare zu einem festen Knoten gebunden waren, der sich nun löste. Ihre knapp einen Meter lange Haarpracht fiel ihr über die Schultern.

Jetzt gab es kein Zurück mehr. Denn spätestens jetzt hatte er sie erkannt, gefunden. Nach zwei Jahren.
 

Nomuja hielt den Atem an, die Augen fest zusammengepresst. Sie stand mit dem Rücken zu Sesshoumaru und war auch froh, dass sie nicht in sein Gesicht sehen musste, in dem die Augen sicher schon rot leuchteten.

Es war still. Zu still.

Vorsichtig öffnete sie die Augen und blickte in Takeos geschocktes Gesicht. Sie sah wie er den Mund öffnete, NEIN!, dachte sie. Wenn er jetzt etwas Falsches sagte und genau das hatte er zweifellos vor, dann -

„Lassen sie sofort Nomuja los!”

Zu spät...

„Nomuja? Einen seltsamen Decknamen hast du dir da gegeben, Anis”, sagte Sesshoumaru ruhig. Es wäre ihr hundertmal lieber gewesen, wenn er sie angeschrien hätte. Aber diese Ruhe war unerträglich. Sie war gefährlich.

„Anis? Was soll das, Nomuja? Wieso nennt er dich so? Kennst du diesen Dämon etwa?!”, fragte Takeo erschrocken.

Nomuja atmete tief durch. „Ja, ich kenne ihn. Und ich heiße in Wirklichkeit auch nicht Nomuja, sondern Anis.”

Sie schloss die Augen, wollte weder Takeo noch Sesshoumaru ansehen.

„Du hast ihm nicht einmal deinen richtigen Namen genannt? Das hatte selbst ich nicht erwartet”, stellte der Youkai amüsiert fest.

Nomuja, alias Anis, wunderte sich schon etwas über Sesshoumarus gute Laune. Doch das war wohl nicht der Grund, warum Takeo noch lebte. Sondern eher die Tatsache, dass sie zwischen den beiden Männern stand. Doch diese Stellung begann ihr immer mehr zu missfallen.

Dann hörte sie, wie Sesshoumaru sich umwandte.

„Komm, Anis. Wir gehen.”

Gehen?! Er wollte sie nicht töten?!

Anis konnte ihr Glück kaum fassen. Gerade wollte sie isich zu ihm umdrehen, da kam ihr Takeo zuvor.

„Sie wird nicht mit euch gehen!”, rief er Sesshoumaru zu.

Anis wäre fast das Herz stehen geblieben, als sie das hörte. Der Kerl redete sich um Kopf und Kragen und das im wahrsten Sinne des Wortes! Sesshoumaru jedoch war stehen geblieben. Anis konnte die entstandene Spannung in der Luft förmlich riechen.

„Du hast dich nicht in unsere Angelegenheiten einzumischen, Mensch. Sie gehen dich nichts an”, sagte der Youkai kalt und betonte dabei das Wort ‘Mensch’ besonders verächtlich.

„Und ob es mich was angeht!”, rief Takeo wütend.

Mit schmerzlicher Langsamkeit wandte sich der Inuyoukai um. Anis, die noch immer mit dem Rücken zu ihm und dem Gesicht zu Takeo zwischen den beiden stand, nutze diese Gelegenheit, um aus der Schussbahn zu kommen und trat einen Schritt bei Seite. Das hatte jedoch den Nachteil, dass Sesshoumaru jetzt frei Bahn auf Takeo hatte...

Takeo, mach jetzt bitte keinen Fehler!, bat sie stumm.

„Mit welchem Recht wagst du es so mit mir zu sprechen?!” Sesshoumarus Stimme schien vor Wut zu zittern.

Nein Takeo, wehe du sagst es jetzt!, dachte sie verzweifelt.

„Ich liebe Anis und habe vor, sie zu meiner Frau zu machen! Ich werde nicht zulassen, das sie euch begleitet!”, antwortete Takeo.

Er hatte es gesagt... Menschen und ihr verfluchter Heldenmut, das würde ihn umbringen!

„Wie kannst du es wagen, als schwächlicher Mensch Anspruch auf Anis zu erheben?! Sie wird niemanden wie dich heiraten!”, knurrte Sesshoumaru gefährlich leise.

Seine Wut schien greifbar zu sein. Wenn er sich schon dazu herabließ, einem gewöhnlichem Menschen ins Gesicht zu sehen, während er mit ihm sprach, war die Sache wohl wirklich sehr ernst. Anis war erschrocken, wie viel Hass in seiner Stimme mitschwang.

„So? Und warum sollte sie nicht heiraten?”, fragte Takeo herausfordernd. War er denn lebensmüde?!

„Weil ich es so will! Anis gehört mir, mir allein! Nie wird sie ein solch niederes Wesen wie du auch nur berühren!”, sagte Sesshoumaru mit hasserfüllter Stimme.

Anis konnte es ganz genau beobachten. Ganz genau konnte sie sehen, wie das Gold sich erst in eine Art Orange und dann in ein leuchtendes Rot verwandelte. Konnte ganz genau sehen, wie die langen Krallen sich grün verfärbten.

Die Welt stand still. Alles geschah in Zeitlupe. Anis schien nichts mehr hören zu können. Sie hörte auch ihren eigenen Schrei nicht, als die messerscharfen und vor allem giftigen Krallen ihr Ziel erreichten.

Ganz langsam schien der Körper in sich zusammen zu sacken. Ganz langsam wich das Leben aus den Augen des Mannes.

Und doch geschah das alles in nur wenigen Sekundenbruchteilen.

Anis stürzte sofort zu Takeo und fing ihn auf, bevor er auf dem Boden aufschlagen konnte. Sie achtete überhaupt nicht mehr auf Sesshoumaru. Verzweiflung hatte sich in ihr breit gemacht.

„Nein... Takeo... Stirb nicht!”, brachte sie stockend heraus.

Sie saß auf dem Boden und hatte Takeos Kopf in ihren Schoß gebettet.

„Anis...”, röchelte ihr Freund kurz, doch dann war er still.

Nie wieder würde er ihren Namen nennen.

Niemals wieder...

Er hatte seine Augen geschlossen.

Für immer...

Trauer verwandelte sich in Verzweiflung.

Verzweiflung verwandelte sich in Wut.

Wut verwandelte sich in Hass.

Von Sesshoumarus Krallen tropfte das Blut.

Takeos Blut...
 

Sessoumaru beobachtete die Szene stumm. Wieso hatte er ihn getötet? Er war ein Freund von Anis gewesen. Sicher, er hatte respektlos mit ihm gesprochen, doch war das ein Grund ihn zu töten?

Diese Gedanken schwirrten gerade in Sesshoumarus Kopf herum, als er sah, wie verzweifelt und traurig sie über den Tod dieses Menschen war. Doch er hatte es getan. Und er bereute es nicht.

Doch was hatte ihn dazu getrieben? Er war auf einmal so wütend geworden, als dieser Dorftrottel behauptete mit Anis, seiner Anis verlobt zu sein. Sie gehörte doch ihm, ihr Leben gehörte ihm! Sie hatte ihm zu dienen, nur deswegen ließ er sie am Leben. Niemand anderes hatte ein Recht auf sie!

Doch es war nicht nur Empörung über diese Dreistigkeit, die ihn dazu getrieben hatte. Was war es nur? Was spukte da die ganze Zeit über schon in ihm herum?
 

~Eifersucht ist eine Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft...~
 

„Sesshoumaru...!”

Der Angesprochene löste sich von seinen Gedanken. Gesprochen hatte Anis, die noch immer über den Leichnam des Menschen gebeugt war. Sie sah ihn nicht an, doch er hörte an ihrer Stimme, dass sie voller Hass war.

Damit hatte er eigentlich nicht gerechnet. Das Anis ihm böse sein könnte, weil er diesen niederträchtigen Wurm getötet hatte. Ob sie ihn vielleicht sogar geliebt hatte? Die Vorstellung versetzte ihm einen Stich.

„Du hast Takeo getötet. Du hast so viele getötet... Und jetzt hast du auch IHN getötet... Einfach so...!”

Ihre Stimme wurde mit jedem Wort lauter. Dann wandte sie sich mit einem Ruck um, starrte ihn hasserfüllt an und schrie:

„Du bist ein MONSTER!”

‘MONSTER! MONster! Monster. monster... ster...’ hallte es von den Hütten wider.

Sesshoumaru erschrak über ihre Worte. Erschrak über die Heftigkeit ihrer Worte. Erschrak über den Hass, der hinter diesen Worten lauerte. Erschrak über die Mordlust, die er in ihren Augen sehen konnte. Aber am meisten erschrak er über die Erkenntnis, die sich ihm jetzt mit aller Härte offenbarte:

Er wollte nicht von ihr gehasst werden!

Sesshoumaru roch ihre Tränen, ihre Augen waren noch rot vom Weinen. Doch es war ein merkwürdiges Rot, es war... leuchtend... Ihre Augen leuchteten rot!

Es war genauso schnell vorbei, wie es gekommen war, denn Anis gab plötzlich einen erstickten Laut von sich und sackte dann kraftlos zusammen. Instinktiv griff Sesshoumaru nach ihr und fing sie auf. Doch sie wehrte sich, fasste diese Aktion offenbar als Angriff auf und schlug um sich.

„Anis, meine Geduld ist langsam am Ende! Entweder ich werde dich jetzt töten, zusammen mit dem Rest dieser dreckigen Dorfbewohner, oder du kommst jetzt ohne Widerworte mit mir, dann werde ich dieses Dorf verschonen”, drohte er leise knurrend.

Er zog Anis an den Haaren, damit sie ihn ansehen musste. Sie schrie auf, doch das störte ihn nicht.

„Hast du mich verstanden?!”, fragte er noch einmal eindringlich, denn langsam begann er daran zu zweifeln.

„Du hast meinen besten Freund ermordet... Monster...”, murmelte sie vor sich hin, blickte durch ihn hindurch.

„Ich bin kein Monster, ich bin ein Dämon!”, fuhr Sesshoumaru sie unwirsch an.

„Umso schlimmer...!”, flüsterte die junge Frau und ihr Blick wurde auf einmal wieder klar. Sesshoumaru bemerkte es nicht.

Er entwaffnete die junge Frau, die noch immer am Boden lag und zu schwach war, um dies zu verhindern. Ihre Schwerter steckte er zu seinen eigenen, wobei er darauf achtete, Tessaigas Griff so zu berühren, dass ihm das Siegel nichts anhaben konnte.

Da Anis noch immer aus unerfindlichen Gründen ziemlich schwach zu sein schien, hob er sie kurzerhand hoch und warf sie sich über die Schulter, genau wie damals, bei ihrem ersten Kampf miteinander.
 

Sie wehrte sich nun nicht mehr und Sesshoumaru wiegte sich schon in Sicherheit, als sie das Dorf verlassen hatten. Doch der Schein trügt bekanntlich. Er hörte es noch ganz leise.

„Mörder...”, flüsterte sie. Eine Sekunde später spürte er einen stechenden Schmerz im Rücken. Er keuchte, die Wunde brannte wie Feuer. Hatte sie ihm ein Messer in den Rücken gestoßen? Wo hatte sie das so plötzlich her? Verdammt, wieso tat es so sehr weh? Er wollte Anis irgendetwas sagen, Antworten von ihr fordern, doch als er in ihr Gesicht sah, brachte er kein Wort heraus. Sie hatte die Augen geschlossen, ihr Körper zitterte. Sie wirkte so schwach und verletzlich wie nie zuvor. Er versuchte mit aller Macht, nicht darauf zu achten und ging einfach weiter. Nach einigen Minuten sagte Anis leise und ausdruckslos:

„Du kannst mich wieder runter lassen.”

Sesshoumaru warf sie unsanft auf den Boden. Sie landete auf allen Vieren und erhob sich schnell wieder. Der Youkai schenkte ihr keine Beachtung und setzte seinen Weg fort. Das Geräusch ihrer Schritte folgte ihm.
 

Am Abend machten sie eine kurze Rast und Sesshoumaru schickte Anis los, Feuerholz zu sammeln. Dabei brauchte er sie nicht zu ermahnen, sie wusste, dass sie sterben würde, sollte sie jetzt fliehen. Er konnte das Geräusch der brechenden Äste immer gut hören und das beruhigte ihn.

Nun war er endlich allein und konnte sich die seltsame Wunde ansehen, die Anis ihm beigebracht hatte. Er löste den Stoff seines Kimonos etwas und versuchte so gut es ging seinen Rücken zu betrachten.

Was er sah, versetzte ihn dann doch etwas in Erstaunen. Das war kein Messer gewesen! Und wenn doch, dann hätten es fünf sein müssen, denn das war die Anzahl der Wunden, die sich unterhalb seiner rechten Schulter befanden. Hätte er es nicht besser gewusst, dann hätte er geglaubt, dass Anis ihm ihre Krallen ins Fleisch gestoßen hatte. Aber erstens hatte Anis keine Krallen und zweitens ging von der Verletzung ein leicht angebrannter Geruch aus. Auch stieg davon ein feiner, weißer Rauch auf. Waren das Brandwunden? Er vermutete es ja schon lange, aber hier war der Beweis: Anis musste eine Youkai, oder zumindest ein Hanyou sein! War dies dann ihre Kraft? Immerhin, es tat selbst ihm höllisch weh. Doch warum war sie nach diesem Angriff so erschöpft und schwach gewesen? Sicher hatte beides etwas miteinander zu tun. Diese plötzliche Schwäche war zwar schnell wieder verflogen, doch was nutzte ihr ein Angriff, der ihr selbst fast noch mehr schadete als ihrem Gegner? Es musste noch etwas anderes dahinter stecken...

Wieder erinnerte er sich kurz an den Moment, in dem Anis’ Augen für eine Sekunde lang rot zu leuchten schienen. Er hatte es nicht genau sehen können, denn ihre Augen waren sowieso schon rot vom Weinen. Doch man hatte ihm beigebracht, auf seine Instinkte zu hören, kein Geräusch als Einbildung abzutun. Oft hatte ihm das schon geholfen und auch jetzt war er fest davon überzeugt, sich nicht geirrt zu haben. Irrtum war etwas für Menschen.

Er hörte, wie Anis wieder zurück kam und rückte seinen Kimono wieder zurecht. Die junge Frau entzündete ein kleines Feuer und sie setzten sich daneben. Anis’ Augen waren leer, als wäre ihr Körper nur noch eine Hülle, aus der man die Seele entfernt hatte. Sie saß kerzengerade da und rührte sich nicht. Starr war ihr Blick auf die Flammen gerichtet. Sie wirkte wie eine Marionette und nicht wie ein Wesen aus Fleisch und Blut. Sie versteckte die Trauer über den Tod ihres Freundes vor Sesshoumaru. Doch der Daiyoukai wusste, dass sie da war.

„Wie viele hast du in den Dörfern getötet?” drang die ausdruckslose Stimme von Anis an sein Ohr.

Sesshoumaru wusste sofort, warum sie das fragte. Wahrscheinlich gab sie sich die Schuld an dem Tod von den Menschen. Er wusste, dass sie darunter litt.

„Höchstens ein Dutzend. Nur die, die sich mir in den Weg gestellt haben”, antwortete er wahrheitsgemäß.

Er wollte nicht, dass sie litt. Er wusste, dass ihr Hass auf ihn wohl wieder in Trauer umgeschwungen war. Doch als er bei seinen Worten kurz den Blick hob und sie ansah, zeigte sich in ihrem Gesicht keine Regung. Stur waren ihre Augen auf das Feuer gerichtet. Wich sie seinem Blick aus? Er wusste es nicht. Er wusste nicht, was in ihr vorging. Er wusste nur, dass es mit Sicherheit nichts Gutes war.
 

„Es bringt nichts, vor mir zu fliehen”, sagte Sesshoumaru unvermittelt.

Anis schaute auf, sagte jedoch nichts. Was sollte sie auch sagen?

„Du kannst mir nicht entkommen. Dein Leben gehört mir und ich werde damit machen, was ich will. Und ich werde es beenden wann ich will”, sagte er kalt.

Anis rührte sich nicht, doch innerlich zuckte sie zusammen. Was er sagte, war ihr nicht neu, es machte ihr lediglich ihre jetzige Lage deutlich. Doch er sagte es in einem so kalten, grausamen Ton, dass es irgendwie erschütternd wirkte. Dafür schien er ein Talent zu haben...

„Dann tut es jetzt. Tötet mich, denn euch zu dienen ist eine Qual für mich”, erwiderte sie mit ausdruckslosem Gesicht.

Auf Sesshoumarus Gesicht breitete sich ein spöttischer Ausdruck aus.

„Es ist eine Qual für dich? Das ist gut. Dann werde ich dich noch nicht sofort töten. Vielleicht irgendwann einmal, aber sicherlich nicht heute. Aber du kannst gewiss sein, dass ich es sein werde, der dein Leben ein für alle mal beendet. Niemand anderes wird dich töten. Ich werde es sein. Und bis zu diesem Augenblick wirst du mir weiterhin dienen”, befahl er.

Anis schluckte. ‘Aber du kannst gewiss sein, dass ich es sein werde, der dein Leben ein für alle mal beendet. Niemand anderes wird dich töten....’

Wenn sie nicht wüsste, dass der kaltherzige Youkai keinerlei Gefühle besaß, dann hätte sie geglaubt, dass dies seine Art war ihr zu sagen, dass er sie beschützen wollte. ‘Niemand anderes wird dich töten....’
 

*
 

Am nächsten Tag hatten Sesshoumaru und Anis ihr Ziel erreicht. Dieses bestand aus einer kahlen Ebene am Fluss, dessen Ufer mit großen grauen Felsen gesäumt war. Dort lagerten in aller Friedfertigkeit ein kleines Mädchen zusammen mit einem verschrumpelten Krötendämon und einem zweiköpfigen Drachen. Als diese drei doch sehr unterschiedlichen Geschöpfe die beiden sahen, sprangen sie alle auf und liefen ihnen entgegen. Jaken mit frohen Willkommenshymnen, Rin mit aufgeregtem Gekreische und Ah-Uhn mit glücklichem Gegrunze.

„Hallo Rin. Erkennest du mich noch?”, fragte Anis mit einem aufgesetzten Lächeln, als die allgemeine Begrüßung vorbei war.

Rin legte erst den Kopf schief und sah sie verständnislos an, doch dann wurden ihre Augen größer und das Erkennen blitzte darin auf.

„Aniiiiiiiis!”, kreischte sie aufgeregt, „Warum warst du denn so lange weg, ich hab dich so vermisst! Wie geht es dir denn, du siehst so traurig aus.”

„Nun beruhig dich erstmal. Ich bin damals weggegangen, weil ein guter Freund von mir gestorben ist. Ich habe eine Zeit lang bei dessen Familie gelebt, um sie ein wenig aufzumuntern”, erklärte sie rasch. Schon den ganzen Weg über hatte Anis sich überlegt, was sie Rin denn erzählen könnte.

„Oh, das tut mir leid. Aber wieso hast du das denn nicht gesagt?” Rin blickte sie aus großen Augen an und am liebsten hätte die junge Frau ihr die Wahrheit gesagt, aber das ging natürlich nicht. Aber stattdessen fiel ihr eine Möglichkeit ein, Sesshoumaru zu ärgern...

„Ich habe doch Sesshoumaru gesagt, dass er es dir ausrichten soll. Hat er das etwa nicht getan?”, fragte sie gespielt überrascht und stellte sich dabei genüsslich Sesshoumarus Gesichtsausdruck vor. Rin schüttelte langsam den Kopf.

„Nein, er hat nur gesagt das du bald wieder da sein würdest”, murmelte Rin leise.

„Siehst du? Für einen Dämon wie Sesshoumaru sind zwei Jahre nur ein kurzer Augenblick”, behauptete Anis dreist.

Doch das kleine Mädchen hatte den Köder geschluckt und fragte nicht weiter nach.
 

An diesem Tag passierte nichts besonderes mehr.

Einmal fragte Anis Jaken, wohin sie nun unterwegs waren und der antwortete, bereits deutlich angenervt von Rins fröhlicher Laune, dass sie nun wahrscheinlich wieder Naraku jagen würden.

Ach ja, den gab es ja auch noch...

Während des langen Marsches durch die doch eher karge Gegend machte sich Anis viele Gedanken über ihre jetzige Lage. Es stand für sie eindeutig fest, dass sie nicht in Sesshoumarus ‘Diensten’ stehen wollte. Sie würde immer versuchen zu fliehen, selbst wenn es das Letzte war, was sie jemals tat.

Sie musste an die letzten Jahre zurück denken, an ihre neuen Freunde und besonders an Takeo. Sie musste an all die Menschen denken, die wegen Sesshoumarus Suche nach ihr ihr Leben lassen mussten. Sie wusste nicht, ob sie diese Schuld ertragen konnte. Ihre Gedanken wanderten weiter zu ihrer Familie, die in der Neuzeit auf sie wartete. Zwei Jahre lang hatte sie sie nicht mehr gesehen. Ob sie sie vermissten? Anis konnte sich das nicht vorstellen. Wäre sie ein Mensch gewesen, dann sähe das vielleicht anders aus. Doch Anis Vanderobe war kein Mensch. Weder ihre Eltern noch ihre Geschwister würden sich Sorgen um sie machen. Auch sie waren ‘unmenschlich’. Dennoch steckte Anis in großen Schwierigkeiten. Sie verfügte lediglich über etwas schärfere Sinne als der normale Durchschnittsmensch. Wirklich kämpfen konnte sie hier nicht. Zwar hatte sie es gestern geschafft, Sesshoumaru ohne fremde Hilfsmittel zu verletzen, doch dieser Angriff hatte sie sehr geschwächt. Sie war selbst Schuld daran, sie war unachtsam gewesen. Das alles hier hätte so viel einfacher sein können, wenn sie die nötigen Vorbereitungen getroffen hätte. Aber das hatte sie nicht getan. Und dafür verfluchte sie sich.

Am meisten aber verfluchte sie Sesshoumaru. Dafür, dass er ihr so viel Leid angetan hatte. Dafür, dass er alle anderen Lebensformen, die ihm unterlegen waren, wie Abschaum behandelte. Dafür, dass er Takeo getötet hatte. Dafür hasste sie ihn. Sie hasste ihn aus tiefster Seele und sie wusste, dass diese Tatsache Sesshoumaru durchaus klar war. Sie hasste ihn und sie würde bestimmt nicht seine Befehle entgegennehmen! Sie hasste ihn für die Morde die er begangen hatte. Nichts täte sie lieber, als diese Morde zu rächen, doch sie wusste, dass sie dazu nicht in der Lage war. Sesshoumaru war zu gut. In ihrem derzeitigen Zustand konnte sie es unmöglich mit ihm aufnehmen. Nicht einmal mit Tessaiga oder Klingenecho würde sie ihn besiegen können. Ja, sie besaß die Schwerter immer noch. In der Zeit, die sie im Dorf verbracht hatte, waren sie immer gut versteckt gewesen, doch sie trug sie immer bei sich. Sesshoumaru hatte sie ihr zurückgegeben, nachdem sie sich scheinbar mit ihrem Schicksal abgefunden hatte. Doch auch mit diesen beiden Klingen war sie dem Youkai nicht gewachsen. Und dafür hasste Anis sich selbst.

Doch irgendwann, das nahm sie sich fest vor, irgendwann würde sie frei sein.

Für ihre Freiheit würde sie alles tun.

Alles!
 

Sesshoumaru beobachtete Anis den ganzen Tag lang, ohne das diese es bemerkte. Keine ihrer Bewegungen verriet, was sie gerade dachte. Wenn jemand, wobei ‘jemand’ in jedem Falle auf den Namen ‘Rin’ hörte, sie ansprach, dann antwortete sie entweder mit knappen Worten oder aber überhaupt nicht.

Das Anis ihm die Schuld in die Schuhe geschoben hatte, als sie behauptete, dass sie ihn gebeten habe, Rin auszurichten, dass sie die Familie eines toten Freundes besuchte, das passte ihm überhaupt nicht. Das wäre ja noch schöner, wenn sie jetzt auch noch versuchen sollte, Rin gegen ihn aufzuhetzen! Dass er ihre Behauptung nicht widerlegen konnte, hatte sie mit Sicherheit eiskalt in ihre Berechnungen mit eingeführt.

Aber eigentlich war es ja klar, dass sie nach Mitteln suchte, um ihm das Leben schwer zu machen, wobei er sich natürlich nicht von solchen Kleinigkeiten beeindrucken ließ. Anis hatte allen Grund, ihn zu hassen.

Das hatte er nie gewollt. Genau genommen hatte er mit seinen Taten genau das Gegenteil von dem erreicht, was sein eigentliches Ziel war.

Sesshoumaru liebte Anis und er wollte von ihr geliebt werden. Doch das war ihm nicht klar. Nie hätte er diese Tatsache akzeptieren können.
 

XxX
 

Jaaahaaa, ich weiß, mit Takeos Tod hat keiner gerechnet, nich wahr? Aber ich sag euch: Diese Figur war von Anfang an zum Sterben verurteilt. Ich wollte nämlich, dass Sessy auch mal sowas wie Eifersucht kennenlernt und außerdem sollte Anis ihn wirklich HASSEN, das ist wichtig für den weiteren Verlauf dieser ff. Außerdem wäre diese ff apsolut unrealistisch, wenn Sessoumaru einen MENSCHEN am Leben lässt, auf den er wütend, in diesm Fall eifersüchtig ist, was noch schlimmer ist. Seit mir also nicht allzu böse. ^^

Wie immer gilt: Wer so lieb ist mir einen Kommi zu hinterlassen bekommt eine ENS wenn es weiter geht.

Kaguras Nachricht

So, da bin ich wieder! ich weiß, es hat lang gedauert. Aber am Wochenende lad ich nich so gerne hoch, weil es dann so lange dauert. Außerdem war ich da noch nicht fertig und musste sowieso zu Besuch bei Verwanten. (Meine Kusine, zwei Wochen alt, hat meine große Schwester angeschissen, als die sie wickeln wollte!)
 

Naja, jetzt geht's auf jeden fall weiter. Ich hab die ursprüngliche Story etwas abgeändert, sodass Inu&Co jetzt doch noch mal drin vorkommen. Tja, und wie der Titel schon sagt, kommen auch noch andere altbekannte Personen drin vor. Wurde ja auch Zeit!^^
 

XxX
 

„Ich sehe was, was du nicht siehst und das ist grün!”, rief Rin aufgeregt.

„Ein Baum”, antwortete Anis und versuchte, sich dabei nicht allzu gelangweilt anzuhören.

„Richtig!”, kreischte das Mädchen vergnügt, „Jetzt bist du dran!”

Oh bitte verschon mich...!, bat Anis in Gedanken.

„Ich sehe was, was du nicht siehst und das ist braun“, murmelte Anis schicksalsergeben.

„Ein Baumstamm!”, kam die umgehende Antwort.

„Falsch.”

Rin machte ein bestürztes Gesicht.

„Falsch?” Hm... Aber... Was ist denn hier noch braun...?”

Suchend sah sie sich um. Die kleine Reisegruppe hatte ihr Lager in einem kleinen Talkessel aufgeschlagen. Er war von vielen Hügeln eingekreist. Diese Hügel waren zwar bewaldet, doch die kleine Gruppe hatte sich auf einem eher kahlen Fleck niedergelassen. In dem Talkessel waren natürlicherweise große Felsbrocken in U-Form angeordnet. Diese Formation bot Schutz vor Wind und Wetter, aber auch vor möglichen Feinden oder wilden Tieren. Es war noch früh am Abend und die Sonne würde bald unter gehen. Ah-Uhn lag mit geschlossenen Augen an einem der Felsen, Jaken neben ihm. Der Krötendämon klammerte sich müde an seinen Kopfstab und versuchte dabei so auszusehen, als wäre er hellwach. Anis saß mit Rin zusammen neben Jaken und dem zweiköpfigen Drachen. Die junge Frau hatte vor kurzem ein Feuer entzündet, da sich der Sommer langsam dem Ende neigte und die Nächte kälter wurden. Nur Sesshoumaru hatte sich von den anderen abgesondert und saß am Eingang der Felsenformation. Er schien immer einen Angriff zu erwarten, selbst jetzt und hatte sich auch dementsprechend postiert.

„Hm... Vielleicht Ah-Uhns Schuppen?”, setzte Rin erneut das Ratespiel fort.

„Nein. Die sind braun-grün”, erwiderte Anis.

„Hm... Dann vielleicht Jakens Kimono?”, riet Rin weiter.

„Auch falsch. Einen Versuch hast du noch, dann hören wir aber auf.”

Anis hatte keine Lust mehr auf dieses Spiel, das sie immerhin schon seit zwanzig Minuten spielten.

„Nur einen Versuch?!”, wollte Rin protestieren.

„Ja. Wenn du falsch rätst, darf ich mir das nächste Spiel aussuchen”, legte sie fest.

„Och... Na gut... Dann sind es... Die Felsen!”, rief das Mädchen triumphierend.

„Die sind grau...! Ich hab gewonnen. Es waren übrigens deine Augen gemeint. Ich hab ja gesagt, ich sehe was, was du nicht siehst”,löste Anis auf.

„Meine Augen?” Rin sah sie ratlos an.

„Sicher. Du hast braune Augen. Ich hab grüne”, erklärte sie geduldig.

Daraufhin kniete sich das Mädchen vor ihr nieder und starrte sie an.

„Stimmt, du hast tatsächlich grüne Augen!”, überlegte sie laut.

Anis lächelte schwach. „So, jetzt spielen wir mein Spiel”, bestimmte sie dann.

„Und wie geht das?”

„Ganz einfach! Wer es am längsten schafft, kein Wort zu sagen, der hat gewonnen.”

„Aber-”

„Ab JETZT!”

Stille.

Endlich Ruhe! Rin sagte jetzt tatsächlich nichts mehr.

Nach etwa fünf Minuten stummen Dasitzends legte Rin sich schließlich nieder und eine Zeit lang später verrieten ihre ruhigen, gleichmäßigen Atemzüge Anis, dass sie eingeschlafen war. Die junge Frau genoss die entstandene Stille und schloss die Augen. Sie konzentrierte ihre Sinne auf mögliche Störungen. Sie hörte die Geräusche der Nacht, verursacht durch allerlei harmloses Getier und roch den frischen Duft des Waldes. Doch unglücklicherweise gab es auch Dinge, die diese Idylle störten: Anis spürte das Youki eines fremden Dämons. Schon vor ewig langer Zeit hatte sie gelernt, das Youki ihrer dämonischen Begleiter von dem eines fremden Dämons zu unterscheiden; so etwas hatte sie schon gekonnt, bevor sie ins Mittelalter gekommen war. Der Dämon, den sie spürte, war nicht besonders stark, soweit sie es beurteilen konnte, denn er befand sich noch in einiger Entfernung. Er bewegte sich jedoch auch nicht von der Stelle. Es schien fast so, als würde er jemanden beobachten, oder gar auf jemanden warten. Vielleicht sogar auf Sesshoumaru...? Verstohlen öffnete sie ihre Augen einen winzigen Spalt breit und linste zu dem Daiyoukai hinüber. Sicher hatte auch er die fremde Energie bemerkt.

Anis wollte diese Sache einmal überprüfen und so schloss sie die Augen wieder und bemühte sich, ihren Atem ruhiger werden zu lassen. Sie strengte sich an, im gleichen Tempo wie Rin zu atmen, um den Anschein zu erwecken, das sie eingeschlafen war.

Zehn Minuten später hatte sie ihr Ziel erreicht: Sesshoumaru war aufgestanden und wandte sich in die Richtung, aus der Anis das Youkai spürte.

Sie ließ ihm einen gemessenen Vorsprung, bevor sie ihm hinterher schlich. Die junge Frau gab sich nur eine annähernd respektvolle Mühe geheim zu halten, dass sie ihm folgte. Sesshoumarus Sinne waren zu scharf, als das er sie nicht hätte bemerken können. Doch seltsamerweise kehrte er nicht um und befahl ihr zurückzugehen. Hatte er sie doch nicht bemerkt? Da fiel ihr wieder ein, dass er ja weder ihren Geruch noch ihre Ausstrahlung feststellen konnte und das waren immerhin die ausgeprägtesten Sinne eines Inuyoukai. Vielleicht also... Wenn sie extrem leise war...
 

Sesshoumaru lauschte in die Stille. Hatte er nicht eben ein Geräusch gehört? Ein Geräusch hinter ihm? Nein, wohl doch nicht. Außer der Spur, die er verfolgte, konnte er auch keine andere Ausstrahlung wahrnehmen oder einen fremden Geruch riechen. Dennoch blieb er misstrauisch. War Anis ihm vielleicht heimlich gefolgt? Er hatte eigentlich angenommen, dass sie schon schliefe. Natürlich, wenn sie tatsächlich ein Dämon war, wie er vermutete, dann brauchte sie keinen Schlaf. Doch eigentlich war es ja egal, ob sie ihm folge oder nicht. Trotzdem hätte er es lieber, wenn sie nicht mitgekommen wäre. Noch einmal lauschte er. Nichts. Was machte er sich überhaupt solche Gedanken? Das hier war ein Wald, da gab es Unmengen von Tieren! Beruhigt durch diese Erklärung, setzte er seinen Weg fort.
 

Anis zuckte zusammen. Das Knacken des Zweiges, auf den sie gerade getreten war, erschien ihr so laut wie das explodieren einer Atombombe. Ob Sesshoumaru sie gehört hatte? Wieder konzentrierte sie sich auf sein Youki. Er war stehen geblieben. Anis fluchte innerlich und bemühte sich, kein weiteres verräterisches Geräusch zu machen. Sie hielt sogar den Atem an. Nach einer Weile spürte sie jedoch, wie sich der Youkai wieder in Bewegung setzte. Einige Sekunden später folgte auch sie ihm wieder.
 

Tausend Flüche fielen ihr ein. Seit geschlagenen zehn Minuten latschte sie jetzt quer durch die Botanik, immer darauf bedacht, sich so leise wie möglich zu verhalten. Das Ziel hatte sie bald erreicht, das spürte sie. Wer auch immer dieser fremde Youkai war, scheinbar hatte er tatsächlich auf Sesshoumaru gewartet, denn er bewegte sich auf sie zu.

Wieder blieb Sesshoumaru stehen, doch diesmal war sich Anis sicher, dass dies nicht an einem Missgeschick ihrerseits lag.

Sie befeuchtete ihren Finger kurz mit den Lippen und hielt ihn in die Höhe um die Windrichtung festzustellen. Früher hätte sie nicht zu solchen primitiven Mitteln greifen müssen, doch daran war jetzt nichts zu ändern. Als sie schließlich feststellte, dass der Wind ihr entgegenkam und ihren schwach blumigen Geruch forttrug, wagte sie sich etwas weiter vor.

Sie verfluchte die schwächlichen Sinne eines Menschen, mit denen sie sich zufrieden geben musste. In der Nacht konnte sie kaum etwas sehen, ihr Geruchssinn war fast vollkommen außer Gefecht gesetzt und ihr Gehör war auch nicht gerade das einer Fledermaus. Nur ihren sechsten Sinn, den sie gebrauchte, um fremdes Youki festzustellen und das wenige, das sie selbst noch besaß zu verbergen, hatten sie ihr gelassen. Dieser eine Sinn, der in der Neuzeit, in Tokio, kaum etwas wert war. Doch dafür war der auch besonders gut ausgebildet. Lange hatte sie ihn heimlich trainiert, damit sie nichts davon mitbekamen. Auf diese Weise hatte sie sich eine spezielle Beobachtungsgabe angeeignet, die sie nun anwandte:

Anis schloss die Augen und konzentrierte sich auf ihre Umgebung. Kurz darauf flackerte ein Bild vor ihrem inneren Auge auf, das sie genau wissen ließ, was um sie herum geschah. Sie spürte die Energie aller Lebewesen um sich herum. Sie konnte jede ihrer Stimmungen nachvollziehen. Um sie herum waren Bäume, doch einige Meter weiter befand sich ein steiler Abhang. Anis sah die Bäume, trotz ihrer geschlossenen Augen. Sie waren alt und müde, dennoch kräftig. Ihnen war die Welt egal, ihre einzige Sorge richtete sich auf die Borkenkäfer unter ihrer Rinde. Ihre Energie leuchtete in einem hellen Grün. Sogar der Boden und die Felsen hatten ihre eigene, träge Energie. Ruhig und unerschütterlich nährte sie die Pflanzen, die auf ihr wuchsen. Ihre Energie hatte einen graubraunen Ton. Am deutlichsten aber stachen natürlich die beiden Youkai heraus, die, wie Anis jetzt feststellte, nur etwa zwanzig Meter von ihr entfernt am Abhang standen. Sie erkannte Sesshoumarus Energie sofort, sein Youkai leuchtete in einem gelben Tonfall. Anis runzelte die Stirn. Gelb war eine eigentümliche Farbe, die sehr viel ausdrückte. Gleichmut und Aufregung, Kälte und Ungeduld, Zorn und Ärger. Anhand der Farben der Energie bestimmter Personen konnte sie ganz genau sagen, in welcher Stimmung sich dieser Jemand befand. Sie setzte dieser Fähigkeit äußerst selten ein, schließlich war es erstens eine Verletzung der Privatsphäre, zweitens erforderte es zusätzliche Kraft, was in ihrem momentanen Fall bedeutete, dass ihr allerletzter und ziemlich kläglicher Vorrat an Youki angezapft wurde und drittens konnte ihr dann jeder ansehen, dass sie etwas tat, was nicht normal war, da diese Art der Beobachtung viel Konzentration erforderte.

Bevor sie ihren sechsten Sinn wieder auf das Übliche reduzierte, nahm sie aber zuerst noch die andere Person in Augenschein. Anis stellte schnell fest, dass es eine Frau war, deren Farben waren grundsätzlich anders als die der Männer. Diese Youkai strahlte ein schmutziges Türkis aus, was sie dann doch etwas verwunderte. Es stand für eine gehörige Portion Widerwille, versteckter Zorn, widersinnige Absichten, ein wenig Verwunderung und ein starkes Sehnen nach etwas, für das es keine Hoffnung gab.

Anis hatte genug gesehen. Sie öffnete die Augen wieder und vertrieb so das Farbenspiel der Energien aus ihrem inneren Auge. Stattdessen strenge sie nun ihr Gehör an, denn es stand außer Zweifel, dass die beiden etwas zu besprechen hatten...
 

„Es war sehr leichtsinnig von dir, hierher zu kommen, Kagura”, sagte Sesshoumaru leise.

Er musste sich beherrschen, um nicht die Nase zu rümpfen angesichts Narakus Gestank, den die Windherrscherin versprühte.

„Es überrascht mich, dass ihr überhaupt gekommen seit”, erwiderte

die zweite Person, Kagura, höflich.

„Ich denke, du hast einen guten Grund hier aufzutauchen!” Sesshoumarus Stimme hatten einen drohenden Klang angenommen.

Er würde seine Zeit nicht mit unnützem Geschwätz verschwenden. Er wusste, dass Kagura ihren Schöpfer hintergehen wollte. Sicher war sie gekommen, um ihm irgendwelche Hinweise zu geben, die sich im Nachhinein als nutzlos herausstellten. Doch wenn er nicht gekommen wäre, hätte sie wahrscheinlich weiter gewartet oder hätte vielleicht sogar die Frechheit besessen, sich ihm zu nähern. Notgedrungen war er dann also doch gekommen, damit dieses Weib nicht weiterhin die Umwelt mir ihrem Gestank verpestete.

„Ich kann euch sagen, wo sich Naraku befindet. Sofern ihr noch nach ihm sucht. Wir haben lange nichts mehr von euch gehört...”, flüsterte Kagura.

„Schickt Naraku dich?”, fragte Sesshoumaru offen heraus, ohne auf ihre Bemerkung einzugehen.

Immerhin hatte die Windherrscherin auch schon Rin entführt, um ihn in eine Falle zu locken, was natürlich misslungen war.

Kagura zögerte. „Naraku versteckt sich in den Bergen von Yamagata, auf Schloss Tsuwano”, antwortete sie ausweichend.

„Es ist also eine Falle. Doch warum hat es Naraku auf einmal wieder so eilig mich wiederzusehen?”, fragte Sesshoumaru.

Etwas an dieser Sache schien faul zu sein. Er hatte in letzter Zeit keine direkten Angriffe auf Naraku mehr verübt, hatte er doch nach Anis gesucht. Doch dieser jämmerliche Halbdämon war anscheinend nicht schlau genug, um sich von ihm fern zu halten.

„Naraku wird übermütig. Er hat die Juwelensplitter des Wolfsdämons Koga an sich gebracht und ist dadurch böse genug geworden, um die untote Miko Kikyo ins Jenseits zurück zu befördern. Dadurch hat er zwei seiner Erzfeinde ausgeschaltet. Und vor kurzem gerieten ihm auch Inuyasha samt Anhang in die Fänge...” Kagura machte eine dramatische Pause.

Sesshoumaru musste zugeben, das dieser Neuigkeiten äußerst interessant waren. Der Wolfsdämon, den er nur einmal getroffen hatte und die Miko, die seinen Halbbruder bannte, waren ihm völlig gleichgültig. Doch das mit Inuyasha... Wie hatte dieser Trottel Naraku in die Falle gehen können?!

„Ist er tot?”, fragte er nun mit völlig ausdruckslosem Gesicht.

„Nein, noch nicht. Naraku will, dass sie langsam und qualvoll sterben. Sie werden wohl gerade in diesem Moment von seinem Miasma zerfressen. Und morgen ist Neumond...”, erzählte die Youkai und beobachtete ihn dabei aufmerksam.

Sesshoumaru bemerkte es mit einer gewissen Zufriedenheit. Inuyasha war ein Schandfleck in seiner Familie. In seiner Familie. Und damit war es auch seine Pflicht, ihn zu töten. Und er war der Einzige, der bestimmen durfte, wann das geschah. Dieser Dreckskerl Naraku hatte sich da nicht einzumischen.

Als Sesshoumaru nichts erwiderte, fügte sie hinzu:

„Naraku hat das Juwel der vier Seelen jetzt fast vollständig in seinem Besitz. Der Menschenjunge Kohaku, der sich aus seiner Kontrolle befreite, steht jetzt wieder vollkommen unter seinem Einfluss. Doch er scheint nicht der Einzige zu sein, der noch einen Splitter besitzt. Außer ihm muss es noch eine andere Person geben, die Naraku noch nicht ausfindig gemacht hat. Ihm fehlt nur noch dieser eine Splitter. Wenn er den bekommt und sich Kohakus holt, wird er nicht mehr aufzuhalten sein. Er will euch, seinen letzten ernstzunehmenden Feind, beseitigen, um sein Vorhaben in Ruhe ausführen zu können.” Kagura verstummte wieder. Sesshoumaru widerstand dem Drang, zum Himmel hinauf zu sehen. Neumond... Die Nacht in der sich Inuyasha in einen Menschen verwandelte. Hatte Naraku letztendlich doch noch seinen Schwachpunkt herausbekommen, oder war dies Zufall? Es war ohnehin schon erstaunlich, dass Inuyasha so lange durchgehalten hatte, wo er doch jetzt nicht mehr Tessaiga besaß.

„Wenn das alles ist, was du zu sagen hast, dann verschwindest du jetzt wohl besser”, sagte Sesshoumaru in seinem üblich kühlen Tonfall.

Kagura erwiderte nichts mehr darauf, sondern zupfte eine kleine Feder aus ihrem Haar und verschwand kurz darauf in einem Wirbelwind, nur um ihm aus luftiger Höhe von ihrer Feder aus noch zuzurufen:

„Ich erwarte euch auf Schloss Tsuwano, Sesshoumaru!”
 

Anis hatte genug gehört. Sie entfernte sich so leise wie möglich und ging in einem großen Bogen zum Lager zurück, um nicht eventuell doch noch Sesshoumaru in die Arme zu laufen. Unterwegs sammelte sie trockenes Holz.

Etwa eine Viertelstunde später kam sie am Lager an. Sesshoumaru war bereits da und auf die Frage, wo sie gewesen war, antwortete sie, dass sie noch einmal aufgewacht wäre, weil ihr kalt gewesen wäre und deswegen hätte sie Feuerholz gesammelt. Ob Sesshoumaru ihr diese Lüge abnahm oder nicht, das wusste sie nicht. Doch er befahl ihr, das Holz liegen zu lassen und Rin zu wecken, da sie schon wieder aufbrechen mussten.

Anis sagte nichts dazu und ging zu dem schlafenden Mädchen hinüber. Sie brachte es jedoch nicht über sich, dieses friedliche Geschöpf aus dem Land der Träume zu reißen. Also weckte sie erst Ah-Uhn und Jaken, machte den Drachen reisebereit und kehrte dann zu Rin zurück. Sie hob das Mädchen mit Leichtigkeit hoch und legte es auf Ah-Uhns Rücken, ohne das sie dabei aufwachte. Jaken beobachtete das mit misstrauischem Gemurmel.

„Du solltest auch auf Ah-Uhn reiten”, schlug Anis dem Krötendämon vor, da auch dieser noch recht müde aussah.

„Wofür hältst du mich eigentlich?! Ich kann sehr gut alleine gehen!”, fauchte der kleine Youkai erbost.

Anis zog unbeeindruckt eine Augenbraue hoch.

„Eigentlich meinte ich, dass du darauf aufpassen sollst, dass Rin nicht runterfällt”, meinte sie schnippisch.

Daraufhin grummelte Jaken nur etwas Unverständliches.

„Jaken, tu was sie gesagt hat. Wir fliegen”, ertönte auf einmal Sesshoumarus Stimme. Daraufhin saß Jaken innerhalb kürzester Zeit auf Ah-Uhns Rücken. Anis schwang sich mit einiger Überwindung hinter ihm auf den zweiköpfigen Drachen.
 

*
 

„Verdammt, wo sind wir?!”, schrie Inuyasha aufgebracht.

„Ich hab keine Ahnung!”, erwiderte Kagome den Tränen nahe.

Gerade eben hatten sie doch noch gegen Naraku gekämpft und jetzt - nichts mehr! Das große Schloss, auf dessen Vorplatz sie eben noch gestanden hatten, war auf einmal verschwunden. Weißer Nebel hatte sich ausgebreitet. Kagome hatte für einen Moment geglaubt, in große Tiefe zu fallen. Noch immer schienen sie zu fallen. Sie spürte keinen Boden unter ihren Füßen, doch es gab auch keinen Fallwind.

„Inuyasha! Kagome! Wo seid ihr?!,” klang ein schwacher Ruf an ihre Ohren.

„Sango! Hier sind wir! Immer meiner Stimme nach! Hier her!”, kreischte Kagome aufgeregt.

„Sango! Sind Miroku und Shippo bei euch?”, fragte Inuyasha laut.

„Ja, wir sind bei ihr! Kirara ist auch noch da”, tönten nun auch Mirokus und Shippos Stimmen zu ihnen hinüber

„Kommt her!”, befahl der Hanyou daraufhin.

„Wie denn?! Dieser Nebel... Wir sehen euch nicht! Und wir können uns nicht richtig bewegen!”, sagte Sango.

Kagome konnte sie nur zu gut verstehen. Wo auch immer sie sich plötzlich befanden, hier war nichts so wie es schien. Erschrocken stellte sie fest, das sie Inuyasha fast nicht mehr sehen konnte. Sie trieb immer weiter von ihm ab!

„INUYASHA!”, brüllte sie dem Nervenzusammenbruch nahe.

Verdammt, wenn sie doch wenigstens noch ihre Pfeile hätte! Mit ihnen hätte sie sich wenigstens ein bisschen sicherer gefühlt. Doch die hatte sie beim Kampf verloren.

Es war einfach zu viel gewesen für sie, in letzter Zeit. Sie hatten Koga getroffen, schwer verletzt. Er erzählte ihnen, das Naraku ihm seine Juwelensplitter abgenommen hatte und auch, wo er sich jetzt befand. Nachdem sie ihn einigermaßen versorgt und in die Hände seine Freunde Ginta und Hakkaku übergeben hatten, waren sie sofort in die Berge von Yamagata zum Schloss Tsuwano gegangen. Sie waren gerade rechtzeitig gekommen, um mit anzusehen, wie Naraku Kikyo erledigte. Die Wut und der Rachedurst mit dem Inuyasha auf diese Tat reagiert hatte, hatten ihr fast das Herz gebrochen. Doch ohne Tessaiga war Inuyasha so gut wie machtlos gewesen. Selbst mit dem Schwert hätten sie wohl nur eine geringe Chance gehabt, ihn zu besiegen, aber sie hätten wenigstens eine Chance...

Und dann auch noch das mit Kohaku... Er war doch schon frei gewesen! Es war so grausam, was ihm widerfahren war. Jetzt war er wieder unter Narakus Kontrolle. Wie der das geschafft hatte, war Kagome ein Rätsel. Sango hatte sehr darunter gelitten.

Doch Kagome musste sich jetzt erstmal um ihre eigene Lage kümmern. Im Fernsehen hatte sie doch einmal so einen Film über Astronauten gesehen, wie sie in der Schwerelosigkeit durch die Räume schwebten. Anscheinend befanden sie sich nun in einer ähnlichen Lage. Aber wie bewegte man sich in der Schwerelosigkeit?! Dann fiel ihr tatsächlich eine Möglichkeit ein. Sie bewegte Arme und Beine so gut sie konnte und tatsächlich gelang es ihr mit diesen improvisierten Schwimmbewegungen, sich Inuyasha zu nähern.

„Sango, Miroku, Shippo! Denkt euch einfach, dieser Nebel wäre Wasser! Ihr müsst darin schwimmen!”, rief sie ihren Freunden zu.

Tatsächlich konnte sie in einiger Entfernung bald die Konturen ihrer Gefährten ausmachen. Einige Zeit später schwebten sie alle zusammen in der Luft und hielten einander fest, um sich nicht wieder zu trennen. Doch schon tat sich ein neues Problem auf:

„Verdammt, dieser Nebel wird immer dicker! Ich kann kaum noch atmen! Was ist das nur für eine Falle?”, presste Sango zwischen zusammengebissenen Lippen heraus.

Den anderen erging es nicht besser.

„Verdammt!”, schrie Miroku auf einmal aus, doch es war noch größeres Entsetzen in seiner Stimme, als schon in der von Sango.

„Was ist?”, erklang Shippos kränkliches Stimmchen.

„Ich glaub, ich weiß, was das ist. Aber dann sind wir alle verloren!”, erklärte Miroku mühsam, auch er litt unter Atemnot.

„Nun sag schon!”, drängte ihn Inuyasha.

„Ich glaube, dass sich dieser Nebel gerade in Miasma verwandelt.”

Daraufhin schwiegen erstmal alle betroffen. Wenn es stimmte, was der Mönch behauptete und daran bestand eigentlich kein Zweifel, dann waren sie ihrem Ende tatsächlich erschreckend nah.

„Kannst du einen Bannkreis errichten?”, fragte Inuyasha leise.

„Ja, schon. Aber Naraku wird uns sicher über längere Zeit hinweg hier drin behalten. Die Lage ist-”

„Ich weiß selbst, dass wir ein Problem haben!”, unterbrach Inuyasha ihn.

Miroku errichtete also mit Müh und Not einen notdürftigen Bannkreis, in den sie sich alle hineindrängten. Dank Kagomes läuternden Kräften waren sie hier gut geschützt. Hinter dem schützendem blassen Schein war deutlich die Veränderung des Nebels zu sehen. Er wich einer dickflüssigen Masse, die bald den ganzen Bannkreis einkreiste. Die leuchtende Hülle zischte und Mirokus Gesicht war vor Anstrengung verzerrt.

„Was sollen wir nur tun? Miroku hält das nicht mehr lange aus!”, sagte Sango verzweifelt.

„Sango... Lass uns beten...!”, war Mirokus schwache Stimme zu hören.
 

*
 

Anis kniff die Augen zusammen, der Wind peitschte ihr ins Gesicht. Die Sonne kletterte gerade über den Horizont und Sesshoumaru hatte ein ziemliches Tempo an den Tag gelegt, dem Ah-Uhn nur mit Mühe folgen konnte. Anis fragte sich schon die ganze Zeit, ob Sesshoumaru tatsächlich seinen Halbbruder retten, Naraku um seiner Ehre Willen umbringen, oder vielleicht sogar auch nur zufällig in diese Richtung wollte. Auch über Kagura machte sie sich so ihre Gedanken. Für Sesshoumaru schien sie wohl so eine Art Informantin zu sein, wobei ihr die Vorstellung, dass Sesshoumaru Spione brauchte, doch etwas befremdlich erschien. Er sah weder wie ein Attentäter, noch wie ein Mafiaboss aus. Naja, und dann war da ja noch dieser mysteriöse Naraku persönlich. Was hatte der wohl alles ausgefressen, dass ihn die halbe Welt verfolgte? Nun, sie würde es wohl bald erfahren, wenn sie an ihrem Ziel angekommen waren. Doch wie lange würde das wohl noch dauern?

Anis versuchte, sich die Landkarten der Atlanten aus der Neuzeit ins Gedächtnis zurück zu rufen. Das, was ihr noch einfiel, verglich sie dann mit der Landschaft unter sich. Doch dieses Unterfangen stellte sich als überflüssig heraus, denn in diesem Moment zeichneten sich in einiger Entfernung die Umrisse hoher Berge ab. Die Berge von Yamagata.

Als sie nah genug an den Bergen waren, um die einzelnen Bäume, die darauf wuchsen, voneinander zu unterscheiden zu können, sank Sesshoumaru tiefer und auch Ah-Uhn setzte zum Landeanflug an.

Leichtfüßig landete der tonnenschwere Drache auf dem moosbedeckten Boden. Rasch ließ Anis sich aus dem Sattel gleiten, vom Flug tat ihr der Hintern weh. Auch Jaken war sogleich wieder auf der Erde.

„Ihr bleibt hier und passt auf Rin auf”, befahl Sesshoumaru plötzlich.

Jaken wollte sofort protestieren, von wegen dafür wäre ja jetzt schließlich Anis da, doch die junge Frau wusste, warum er den kleinen Kröterich da ließ: Er sollte auch auf Anis selbst aufpassen. Nicht etwa, weil diese eventuell Schutz bräuchte, sondern damit sie nicht fliehen konnte. Es wäre für sie kein großes Problem gewesen, mit dem kleinen Youkai fertig zu werden und sich dennoch aus dem Staub zu machen, aber das wäre dann doch nicht so ihre Art. Naja, jedenfalls so lange nicht, bis Sesshoumaru außer Hörweite war. Aber davon einmal ganz abgesehen machte sie sich auch Sorgen um Kagome. Anis hatte das Mädchen zwar seit zwei Jahren nicht mehr gesehen, aber sie bezweifelte stark, dass sich an ihrer Schusseligkeit etwas geändert hatte. Wenn sie tatsächlich von Naraku gefangen war - einem Kerl, der immerhin sogar Sesshoumaru entkommen war, was ihr bisher noch nicht geglückt war - und das auch noch in Gesellschaft eines notgeilen Hoshis, einer Youkaijägerin, die man mit ihrem Bruder in Schach halten konnte, einem kleinem Kind, auf das man noch zusätzlich aufpassen musste und nicht zu vergessen Inuyasha, dessen Name schon Beleidigung genug ist; wenn man all diese Fakten zusammenzählte, dann war Sesshoumaru wohl tatsächlich der Einzige, der sie retten könnte. Sich auf Sesshoumaru verlassen - brrrrr, schreckliche Vorstellung! Vielleicht sollte sie ihm doch hinterhergehen...
 

*
 

„Kagura, wer ist diese Frau?”, fragte eine tiefe Stimme.

„Ich weiß es nicht. Als ich Sesshoumaru eure Nachricht überbrachte, war sie meiner Meinung nach noch nicht bei ihm”, antwortete die Angesprochene.

„Ich habe nicht nach deiner Meinung gefragt! Ich will wissen ob sie uns nützlich sein kann”, sagte die erste Stimme bedrohlich.

„Das kann ich euch nicht sagen”, lenkte Kagura ein.

„Nun gut, dann habe ich einen Auftrag für dich, Kagura”, sagte der schwarzhaarige Mann jetzt.

„Der wäre?”, fragte die Windherrscherin.

„Besorge mit die Köpfe von diesen beiden Menschen!”, antwortete er mit einem grausamen Unterton, „Sesshoumaru scheint sich - genau wie der Rest seiner Familie - zu der menschlichen Rasse hingezogen zu fühlen. Der Verlust dieser beiden wird ihn schwächen...”

„Und wieso soll ich sie töten?!”, fuhr die Frau ihn an.

„Weil ich dein Leben beenden werde, wenn du sie mir nicht bringst!”, kam die umgehende Antwort.

Der Mann saß noch immer mit dem Rücken zu seiner Gesprächspartnerin. Vor ihm saß ein kleines, weißhaariges Mädchen und hielt ihm einen Spiegel hin. Der Mann streckte seine Hand aus, auf der plötzlich ein großer Klumpen Fleisch erschien. Er zog die Hand zusammen und hinter ihm keuchte Kagura erschrocken auf und griff sich an die Brust.

„Hast du verstanden? Keine Fehler diesmal!”, ertönte wieder die dunkle Stimme des Mannes.

Kagura sank auf die Knie, wenn auch eher vor Schmerz als durch Gehorsam. Zwischen zusammengebissenen Zähnen presste sie heraus:

„Ich werde tun ,was du sagst, Naraku.”
 

XxX
 

Huhu, große Überraschung! jaja, die alten Feinde wollten auch noch unbedingt mitspielen. Ich denke ich hab dem Anti-Kikyo-Clup jetzt einen großen Gefallen getan.^^ Aber Kohaku kann ich gut leiden und ich wollte nicht das er schon stirbt.Aber s geht hier ja nicht um kikyo, nicht mal über kagome oder Inuyasha, es geht nunmal über SESSHOUMARU! Und das heiß, das ich mit allen anderen Charas machen kann, was ich will! Nyrararararar! *hysterisch lach* Tja, und solange nicht Sesshoumaru persönlich stirbt (ich werd mich hüten sowas grauenvollen niederzuschreiben!) können alle anderen abkratzen...

Was nicht unbedingt heißen soll, das Inu samt Truppen jetzt tatsächlich vom Miasma weggeätzt werden. Obwohl, eigentlich wär das gar keine so schlechte Idee, das würde das ganze etwas dramatischer machen...

Naja, das gibt mir als Autor auf jeden fall noch ein paar mehr möglichkeiten... (Frei Bahn der Kreativität! *Fähnchen schwenk*)

Zwischen zwei Fronten

*rein schleich* Ja, ich weiß, es hat schrecklich lange gedauert, aber ich hatte einfach kurz eine Schreibblockkade... *duckt sich* nich haun!

Ganz große Entschuldigung an euch alle, ich weiß wie begeistert ihr immer von meinen schnellen Uplods seit und jetzt hab ich euch enttäuscht...

Naja, aber dafür ist das Kapitel hier glaub ich auch ein bisschen länger...

Das letzte Kap war wohl eher ein übergangskapitel und nicht so sehr spannend, ich weiß. So richtig viel Kampfaktion kommt jetzt auch nicht, aber das nächste kapitel, an dem ich jetzt gleich anfange zu arbeiten, wird das beste was ich je geschrieben habe, versprochen!

Also, dann lest erst mal das hier durch:
 

XxX
 

Sesshoumaru rümpfte die Nase. Narakus Gestank war überall verbreitet. Dies war so offensichtlich eine Falle, das es schon wieder geradezu lächerlich wirkte. Anscheinend hatte es dieser mickrige Halbdämon tatsächlich auf einen Kampf mit ihm abgesehen. Wenn er so schnell schon aus dem Leben scheiden wollte - bitte sehr, an ihm sollte es nicht liegen.

Plötzlich nahm er eine Bewegung am Rande wahr. Er hatte sie schon lange gerochen, die niederen Youkai die ihn belauerten. Jetzt war es also so weit, sie griffen an...
 

*
 

Rin saß auf Ah-Uhns Rücken und ließ die Beine baumeln. Sie war vor zehn Minuten aufgewacht und hatte sich gründlich gewundert als sie festgestellt hatte, dass sie nicht nur ihren Lagerplatz verlassen hatten, sondern dass auch noch Sesshoumaru nicht da war. Aber er würde zurückkommen, da war sie sicher. Schließlich waren ja auch Anis und Jaken bei ihr. Und der Meister war ja stark, er ließ sich von niemandem unterkriegen. Solange Sesshoumaru da war, war sie sicher und brauchte sich nicht zu fürchten. Nur, jetzt war er eben nicht da. Deswegen hatte das kleine Mädchen auch Angst. Verstört schaute sie sich immer wieder nach allen Seiten hin um, ob ihr auch ja keiner zu nah kam.

Doch plötzlich stand Anis auf.

„Was ist denn?”, fragte Rin, ihre Stimme zitterte vor Angst.

Sie spürte die Anwesenheit des Bösen in dieser Gegend, auch wenn sie nicht wusste, was dieses ungute Gefühl zu bedeuten hatte. Auch Menschen haben einen Instinkt und Rins hatte schon lange Alarm geschlagen.

„Da kommt jemand”, antwortete ihre derzeitige Aufpasserin.

Ängstlich klammerte sich Rin an die Mähne des Drachen. Dann spürte sie einen starken Luftzug und blickte nach oben.

Ein kräftiger Wind bog die umstehenden Bäume zur Seite. Am Himmel schwebte eine überdimensional große Feder mit einer Frau drauf.

Rin kannte diese Frau von früher, einmal war sie von ihr entführt worden. Sesshoumaru hatte sie natürlich gerettet, doch das Gesicht dieser Frau würde sie nie wieder aus ihrem Gedächtnis löschen können. Diese blutroten Augen, die einen mit ihrem forschenden Blick geradezu durchbohrten. Nur ein gutes hatte diese Entführung gehabt: Dadurch hatte Rin Kohaku kennen gelernt. Es war ihr wie ein sehr netter Junge vorgekommen, bis er dann auf einmal so komisch war und sie letzten Endes sogar umbringen wollte. Doch Rin war überzeugt davon, dass er es nicht böse gemeint hatte. Zum Glück hatte Sesshoumaru ihn damals verschont!

„Wer bist du und was willst du hier?”, durchschnitt Anis’ Stimme die Luft. Rin war überrascht über die Kälte, die darin lag. Anscheinend konnte sie Kagura nicht besonders gut leiden. Sie selbst hatte kein so großes Problem mit ihr. Sesshoumaru hatte sie nie getötet, also war sie Rins Meinung nach eine von den Guten. Kagura hatte sich nie feindlich ihm gegenüber verhalten, soweit sie sich erinnern konnte.

Doch diese Vermutung wurde von Kaguras folgenden Antwort bis auf die Grundmauern erschüttert:

„Mein Name ist Kagura. Und ich werde mir deinen Kopf holen.”
 

*
 

Zischend zerfielen die Blätter zu Staub, pulverisiert durch Tokjins Energiewirbel. Eine breite Schneise durchtrennte jetzt den Wald, monatelang würde hier nichts mehr wachsen. Dem Führer des zerstörerischen Schwertes, einem großgewachsenem Inuyoukai mit weißen Haaren, war das freilich vollkommen egal. Ihn interessierte einzig und allein die Vernichtung seines Feindes. Wer sich ihm in den Weg stellte, der musste sein Leben lassen.

Dieses Schicksal erlitten gerade jetzt duzende von niederen Dämonen, die Naraku ausgeschickt hatte um Sesshoumaru anzugreifen. Sie alle stürzten sich sehenden Auges in den Tod. Keiner von ihnen konnte den Daiyoukai auch nur berühren. Sesshoumaru mähte sie einfach nieder. Die Bäume knickten dabei um, als wären sie nichts weiter als dünne Streichhölzer. In blitzenden Bahnen fuhr Tokjin unter die Reihen der Feinde. Viele waren schon gefallen, doch Sesshoumaru war auf einen richtigen Kampf, mit einem richtigen Gegner aus. Doch dieser Gegner hatte scheinbar andere Pläne. Es hätte ihn auch gewundert, Naraku machte sich nie die Hände schmutzig. Sesshoumaru hatte nur Verachtung für ihn und seine Dämonen übrig. Glaubte er denn tatsächlich, dass diese minderwertigen Kreaturen ihm etwas anhaben könnten?! Die waren doch nicht gefährlicher als mohrrübenmümmelnde Kaninchen! Vielleicht war dies aber auch nur ein Ablenkungsmanöver? Möglich wäre alles.

Kagura hatte behauptet, das Naraku seinen Halbbruder und dessen Anhängsel in seiner Gewalt hatte. Doch er konnte ihn hier nicht riechen, denn Narakus Gestank und der der Dämonen überdeckte alles andere. Sesshoumaru konnte nicht feststellen, ob sein Erzfeind der einzige Hanyou in dieser Gegend war, oder nicht. Aber wenigstens wusste er, wo sich die Quelle dieses Gestankes befand. Und genau dieser Quelle jagte er hinterher, immer nebenbei noch die lebensmüden Youkai erledigend. Als er merkte, dass er sein Ziel gleich erreicht hatte, verlangsamte er sein Tempo. Lässig wirbelte er Tokjin herum und die Dämonen wichen zurück.

Aufmerksam ließ er seinen Blick über das Schlossgelände streifen, das eben vor ihm aufgetaucht war. Befand sich Naraku da drin?

Sesshoumarus Augen verengten sich spöttisch. Dieses Schloss, das er hier vor sich hatte, war nur eine drittklassige Illusion. Als ob er auf so etwas hereinfallen würde!

Noch einmal witterte er. Naraku selbst konnte er nicht direkt ausmachen: Er roch ihn zwar, doch dieser Geruch kam von der Illusion des Schlosses. Dort aber konnte er dessen Youki nicht spüren. Die Auren der anderen Dämonen hatten bisher alles andere verdeckt, aber diese hatten sich nun zurückgezogen. Dort, in diesem virtuellen Gebäude, musste sich etwas befinden, das Narakus Geruch ausströmte. Und die minderwertigen Youkai hatten die fehlende Aura versteckt. Sie hatten ihn glauben lassen, den, den er suchte, wäre tatsächlich hier. Nur dafür waren sie da gewesen. Es war eine Falle.

Doch anstatt umzukehren, sah sich Sesshoumaru jetzt mit wachsender Aufmerksamkeit um. Wo genau war der Haken an der Sache? Warum hatte Naraku ihn hierher gelockt?

Sesshoumaru witterte wieder. Der Geruch von giftigem Miasma hing in der Luft, auch wenn keines zu sehen war. Aber da war noch etwas anderes...

Ja! Das war eindeutig Inuyashas Geruch! Den Gestank dieses widerwärtigen Hanyous würde er überall wiederkennen. Er war also da drin gefangen... Glaubte Naraku tatsächlich er könnte Inuyasha als Lockvogel für ihn verwenden?! Dann war er ja noch geistesgestörter als Sesshoumaru geglaubt hatte und er hatte wirklich schon sehr schlecht von ihm gedacht. Aber dieses Miasma... Das war das einzige, was ihn hierbei beunruhigte. Sesshoumaru sah zum Himmel hinauf, der sich bereits verdunkelt hatte. Inuyasha müsste jetzt ein Mensch sein... In diesem Miasma würde er nicht überleben, doch der Inuyoukai roch auch, dass sein Halbbruder noch am Leben war. Sogar seine Anhängsel waren noch nicht abgekratzt. Schade... Wie auch immer, Inuyasha musste eine Möglichkeit gefunden haben, sich vor dem tödlichen Gift zu schützen. Wenn der das konnte, dann konnte er das auch! Sein Halbbruder würde es zweifellos nicht mehr lange aushalten, spätestens am Ende dieser Nacht würde er tot sein. Vielleicht sollte er noch ein wenig hier warten und sich später am geschwächten Zustand Inuyashas erfreuen...? Nein, für so etwas hätte er keine Zeit. Obwohl es zweifellos sehr amüsant gewesen wäre...

Sesshoumaru blickte zu dem unechten Schloss hinüber. Sollte er seinen Halbbruder wirklich da raus holen? Ja, besser war es. Ein Mitglied seiner Familie, sollte nicht von einer bunt zusammengewürfelten Menge minderwertiger Dämonen, die sich ‘Naraku’ schimpfte, getötet werden. Das war einfach nicht richtig und das wusste auch Sesshoumaru. Schließlich war er das einzige männliche und vor allem vollblütige Familienmitglied, dass von der großen Familie Taishu noch geblieben war. Es war seine Pflicht dafür zu sorgen, das die Familienehre durch nichts verletzt wurde. Inuyasha verletzte diese Ehre durchaus, seine alleinige Existenz verletzte sie. Doch es wäre noch viel schlimmer, wenn er nicht wenigstens einen ehrenvollen Tod sterben würde. Alle diese Tatsachen überdenkend, ging Sesshoumaru jetzt tatsächlich geradewegs sehenden Auges in die Falle hinein und durchschritt die Illusion, um seinen verhassten Halbbruder Inuyasha aus den noch verhassteren Händen seines Feindes Naraku zu befreien, überzeugt davon, dass die Pläne dieses Naraku, dieses minderwertigen Hanyous, ihm rein gar nicht anhaben konnten.
 

*
 

Kagome atmete keuchend. Sie bekam kaum Luft, denn der Sauerstoff in dem engen Raum war fast vollständig aufgebraucht. Außerdem hatte sie schrecklichen Durst.

Einen ganzen Tag hielt Miroku jetzt schon aus. Noch hielt der Bannkreis das giftige Miasma fern, das sie alle töten würde, sollte die Masse über ihnen zusammenbrechen. Gut, ihre dämonischen Freunde mochten das vielleicht noch überleben, aber Sango, Miroku und sie selbst würden hier sterben, wenn die Kraft des Mönchs nachließ.

Neben Kagome ertönte ein Stöhnen. Mühsam drehte sie den Kopf und bekam gerade noch mit, wie das letzte Bisschen Weiß sich in ein dunkles Schwarz verwandelte. Sie musste schlucken. Inuyasha hatte sich in einen Menschen verwandelt! Daran, das heute Neumond war, hatte das Mädchen gar nicht mehr gedacht.

„Verdammt, hier kann man ja kaum atmen!”, beschwerte sich der Hanyou lautstark.

„Jetzt weißt du, wie es uns schon seit Stunden geht!”, murrte Sango

Natürlich, jetzt wo Inuyasha menschliche Gestalt angenommen hatte, litt auch er unter dem Luftmangel.

„Verflucht, wir müssen hier irgendwie rauskommen!”, donnerte der Halbdämon los.

„Wie denn?! Es ist zu viel Miasma, ich kann es nicht läutern! Und wenn der Bannkreis bricht, werden wir umkommen!”, sagte Kagome jetzt schon leicht hysterisch.

„Ich weiß doch auch nicht, wie es gehen soll!”, fuhr Inuyasha sie höchst angefressen an.

„Wir können... nichts tun... Inuyasha...” murmelte plötzlich Miroku.

„Was soll das heißen?!”, hakte der menschliche Hanyou sofort nach.

„Wir befinden uns... in zwei Bannkreisen... Der Äußere ist von Narakus Falle. Dieser Bannkreis... ist mit dem Miasma gefüllt. Er kann nur... Von außen zerstört werden... Dewegen... können wir nichts tun...” Miroku endete.

Sein Gesicht war vor Anstrengung zu sprechen und gleichzeitig den Bannkreis aufrecht zu erhalten, schon ganz verzerrt und er schwitzte.

Inuyasha schien das egal zu sein: „Soll das etwa heißen, dass wir auf Hilfe von außen warten müssen?! Niemand weiß, dass wir hier sind, uns wird keiner retten!

„In diesem Fall... sind wir verloren...”, antwortete Miroku mit erschreckender Endgültigkeit.
 

*
 

Ein kleines weißhaariges Mädchen lief durch die Gänge eines vornehm aussehenden Schlosses. Die Augen des Kindes waren schwarz wie die Nacht und ihre Kleidung so weiß wie ihre Haare. Sie hatte ein vollkommen ausdrucksloses Gesicht, in dem sich keine einzige Emotion widerspiegelte. Genauso wenig spiegelte auch das Glas des Gegenstandes, der eigentlich genau für diese Zwecke gemacht zu sein schien.

Das Mädchen lief barfuß und war dabei auch so gut wie lautlos. Als sie am Ende des Ganges angekommen war, schob sie die Papiertür bei Seite, betrat den Raum und schloss die Tür wieder hinter sich. In dem Zimmer befand sich ein junger Mann mit schwarzen, gewellten Haaren und einem kostbaren Kimono. Vor diesem Mann ließ sie sich nieder, den Spiegeln in ihren Händen fest umklammert.

„Zeig ihn mir, Kanna. Zeig mir Sesshoumaru”, sprach der Mann sie an.

Das Mädchen, welches den Namen Kanna trug, zeigte keine einzige Reaktion, doch auf der glatten Oberfläche des Spiegels, erschien plötzlich ein Bild. Nicht aber das Bild ihres Gegenüber, wie es sich für einen Spiegel gehörte, sondern das Bild eines weißhaarigen, hochgewachsenen Mannes, der sich ebenfalls in der Nähe eines Schlosses befand er stand davor und schien noch etwas unschlüssig zu sein, ob er nun eintreten sollte oder nicht.

„Er ist noch nicht hineingegangen, Naraku”, stellte Kanna mit ausdrucksloser, fast schon abwesender Stimme fest.

Naraku erwiderte nichts darauf, sondern starrte nur gebannt in den Spiegel.

Er wusste, dass Sesshoumaru in seine Falle tappen würde, ob er sie nun bemerkte oder nicht. Er war zu stolz, um einfach wieder abzuziehen, nachdem er ihn mit den Youkai und seinem Geruch hereingelegt hatte. Die Tatsache, dass sich Inuyasha dort befand, würde Sesshoumaru als Ausrede nehmen, um nicht unverrichteter Dinge umzukehren. Seinen Feind, Sesshoumarus Halbbruder, glaubte er schon lange tot, er würde sein Miasma nicht überleben. Sesshoumaru würde nur noch ihre Leichen herausholen können, wenn er nicht selbst darin umkam.

Er lobte sich selbst für seinen genialen Plan. Die Illusion des Gebäudes war eine haargenaue Kopie vom echten Schloss Tsuwano, in dem er sich befand. Die Menschen, die früher mal hier gelebt hatten, hatte er mit Leichtigkeit aus dem Weg geschafft. Um den Ort, an dem sich das vermeintliche Schloss befand, hatte er einen großen Bannkreis gelegt. Jeder konnte hinein, doch niemand hinaus. Und dieser Bannkreis und damit auch das ganze Tal, auf das die Illusion stand, war gefüllt mit magischem Nebel, der sich auf seinen Wink hin in Miasma verwandelte.

Weiterhin beobachtete er den Inuyoukai, der noch einige Sekunden lang reglos vor dem Bannkreis stand. Und dann - er hatte es kaum noch zu hoffen gewagt - setzte er sich tatsächlich in Bewegung und durchschritt den unsichtbaren Bannkreis! Naraku schloss kurz die Augen, genoss diesen wunderbaren Augenblick. Sein Erzfeind würde Inuyasha in dem Nebel nicht sehen können. Nicht einmal Kannas Spiegel konnte ihm dort die Truppe zeigen. Auch Sesshoumaru verschwand so aus seinem Blickfeld und auf dem Glas waren nur noch undeutliche Nebelschwaden zu sehen. Doch das war jetzt egal.

Der Hanyou konzentrierte sich kurz und griff dabei nach der Macht des Juwels, das er auf seiner Hand erscheinen lies. Er spürte den magischen Edelstein heiß auf seiner Hand, das Juwel, in dem nur noch zwei Splitter fehlten.

Nach einem kurzem Augenblick öffnete er seine Hand wieder und wusste, dass er es geschafft hatte. Sesshoumaru war jetzt - genau wie sein dummer Halbruder - in seiner Miasmafalle gefangen. Jetzt brauchte er sich nur noch zurücklehnen und warten, bis ein, vom Gift völlig zerfressener und geschwächter Sesshoumaru aus dem Bannkreis herausgetorkelt kam. Ihn dann zu besiegen, wäre ein Kinderspiel. Vielleicht würde er dort sogar ganz umkommen, genau wie Inuyasha darin umgekommen war...
 

*
 

Sesshoumaru sah sich gründlich um. Alles wirkte so, als wäre er jetzt tatsächlich auf einem Schlossgelände. Das einzig merkwürdige war der ganze weiße Nebel, der am Boden hing und sich immer weiter zu verdichten schien. Dieser Nebel war es auch, von dem der Geruch nach Miasma ausging. Miasma... Konnte es etwa sein, das...?!

Doch er hatte keine Zeit mehr, diesen Gedanken zu Ende zu führen. Denn in diesem Moment spürte er, wie sich eine unnatürliche Leichtigkeit in ihm breit machte und er drohte vom Boden abzuheben! Instinktiv zog er Tokjin und stieß es vor sich in den Boden. Er spürte, wie die Luft immer dicker wurde und fühlte ein unangenehmes Kratzen im Hals, als er einatmete.

Dann ging alles ganz schnell. Von einer Sekunde zur nächsten war aller Nebel verschwunden, hatte sich in Miasma verwandelt. Aus reinem Reflex schloss Sesshoumaru die Augen und machte sich dafür bereit, im nächsten Moment von giftigem Miasma der übelsten Sorte umhüllt zu sein - doch nichts geschah! Vorsichtig öffnete er die Augen wieder. Noch immer hielt er sich an Tokjins Griff fest und stand so noch mehr oder weniger auf dem Boden. Doch das einzige, was er sehen konnte, war tatsächlich die übel riechende Flüssigkeit, die ihn umgab. Wie von einer unsichtbaren Mauer zurückgehalten, waberte das eklige Zeug in einigen Zentimetern Abstand um ihn herum, als wäre es noch immer Nebel. Vorsichtig streckte Sesshoumaru die Hand aus. Das Miasma wich vor ihm zurück! Er konnte wie in einen Handschuh hineingreifen, dieses etwas, diese dünne Schutzschicht bewahrte ihn vor dem Verderben, das dahinter lag. Doch was...?

Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen - Tensaiga! Sein Blick fiel auf das Schwert, das an seiner Seite hing. Tatsächlich ging davon ein leichtes Glühen aus... Die Waffe, die man nicht als Waffe gebrauchen konnte, hatte ihn mit einem schützenden Bannkreis umgeben!

Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen - zum ersten Mal seit hunderten von Jahren - als er an seinen Vater dachte. Dieses Erbstück mochte zwar nicht besonders sinnvoll sein, aber es war auch nicht vollkommen nutzlos.

Sesshoumaru zog Tokjin aus dem Boden. Der Bannkreis erlaubte es ihm, das Gesetz der Schwerkraft wiederherzustellen. Er zückte das Schwert und drehte es einmal kunstvoll im Kreis. Blaue Energiewirbel lösten sich von der Klinge und rasten durch die Gegen, pusteten das Miasma dabei einfach weg.

Einige Herzschläge lang konnte man den kahlen Boden ausmachen, das Gift hatte alle Pflanzen zu Staub zerfallen lassen. Sesshoumaru aber hielt nach einem Anzeichen Ausschau, dass ihm verriet, wo Inuyasha sich befand. Er hatte bewusst nicht direkt in die Richtung gezielt, aus dem sein Geruch kam, sondern etwas weiter zur Seite.

Tatsächlich konnte er dort - scheinbar in weiter Ferne - ein schwaches Leuchten erkennen. Mühsam bewegte er sich darauf zu, was gar nicht so einfach war, da er gegen den Widerstand des Miasmas, in dem er sich bewegte, kämpfen musste. Nach einer Weile spürte er die heilige Energie des Bannkreises und runzelte kurz die Stirn, bis ihm einfiel, dass sein Halbbruder ja immer mit solch einem komischen, götternanbetenen Menschlein durch die Gegend marschierte. Ein Mönch, wenn er sich nicht irrte. Vorsichtig streckte er die Hand aus und die Flüssigkeit darum zerfloss, sodass er in das Innere des Bannes sehen konnte. Das Ergebnis hätte er sich denken können: Dort lagen sie, allesamt bewusstlos, einschließlich seines, in einen Menschen verwandelten Halbbruders. Vor lauter Verachtung gegenüber diesen niederen Geschöpfen verzog er kurz sein Gesicht. Mit einem wie dem da war er verwandt...! Wenn auch nur väterlicherseits...

Alles in ihm sträubte sich darin, doch er hatte das Gefühl, keine andere Wahl zu haben. Er musste diesen Abschaum wohl oder übel retten. Und in diesem Fall war es übel.

Stellte sich nur noch die Frage, wie er Inuyasha hier herausbekommen konnte, ohne den Bannkreis zu zerstören, was ihn getötet hätte, oder ihn gar zu berühren, was bei den heiligen Energien sicher nicht sehr angenehm gewesen wäre. Doch auch dieses Problem hatte er bald gelöst: Es würde sie alle, samt ihrem minderwertigen Schutz, mit Tokjins Energie wegpusten.

Gedacht, getan, Sesshoumaru zückte erneut sein Schwert und zielte diesmal auf den Boden direkt unter dem Bannkreis, der wie eine Kugel in der Luft schwebte.

Das Einschlagen der Energiewirbel, das normalerweise einen riesigen Krach veranstaltete, wurde durch die Flüssigkeit drum rum zwar gedämpft, verlor aber nichts von ihrer Kraft. Zurückgeschleudert von dem Druck segelte die Kugel samt den sich darin befindenden, bewusstlosen Personen durch die Luft. Sesshoumaru flog eilig hinterher, damit sie nicht allzu weit aus seinem Wahrnehmungsfeld verschwinden konnten. Bald schon befand er sich wieder auf gleicher Höhe mit ihnen und hielt inne. Nicht weit entfernt spürte er den Bannkreis, der das Miasma zusammenhielt. Doch er war nicht sehr stark, er würde ihn durchbrechen können. Naraku hatte seine Fähigkeiten wohl vollkommen falsch eingeschätzt. Obwohl, er war in den letzten Jahren wohl auch etwas besser geworden. Seine Sinne waren durch die Suche nach Anis geschärft und bisher hatte ihm noch kein Bannkreis standhalten können, er hatte jede Barriere durchbrochen, in der vage Hoffnung, sie dort hinter zu finden. Und es hatte sich gelohnt, das alles hatte sich gelohnt. Sie war wieder bei ihm. Kalte Entschlossenheit, das Fixiertsein auf nur ein einziges Ziel, ohne Rücksicht auf Verluste, hatte sich ausgezahlt. Die Sache hatte nur einen Haken: Anis hasste ihn dafür.

Sesshoumaru verdrängte diese Gedanken, er hatte jetzt anderes zu tun. Wieder hob er sein Schwert, holte aus und durchtrennte den Bannkreis, der sie alle hier festhielt, mit nur einem Hieb.
 

*
 

„Du willst dir meinen Kopf holen?! Was hab ich denn bitte verbrochen, das du mich töten willst?! Gut, mir würde zwar schon einiges einfallen, aber ich glaube kaum, dass du gekommen bist, um mich dafür zu bestrafen, dass ich hinter dem Rücken unseres alten Klassenlehrers damals über ihn gelästert hab...”, überlegte Anis laut.

Kaguras Drohung beeindruckte sie nicht im Geringsten. Die Windherrscherin hob eine Augenbraue, da sie ihre Worte offenbar nicht verstanden hatte und Anis labte sich an diesem Anblick. Es war immer wieder so schön, den unzivilisierten Youkai irgendwelche Belanglosigkeiten auf die Nase zu binden, die sie dank mangelnder Bildung als Beleidigung aufgriffen. Doch Kagura schien sich leider nicht gerne mit ihr zu unterhalten.

„Laber nicht rum, kämpfe lieber!”, schrie sie wild und ein irrsinniges Flackern erschien in ihren Augen.

Sie zückte einen Fächer, wirbelte diesen ein wenig herum und schon sausten die silbernen Windschwerter ihrer Attacke auf Anis zu.

Diese wiederum wich lässig zur Seite hin aus und kam ihrer Gegnerin dabei noch einige Schritte entgegen. Sie wollte diese Frau eigentlich nicht töten, ohne vorher zu wissen, warum diese sie angriff.

„Hey, was hast du gegen mich?!”, rief sie ihr empört entgegen.

„Was ich habe? Ganz einfach: Ich habe einen Auftrag”, antwortete Kagura jetzt doch noch.

Anis’ Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse. „Tut mir ja echt Leid, aber Auftragskiller kann ich nicht leiden!”

„Es interessiert mich nicht, was du von mir hältst!”, sagte Kagura auf einmal wütend.

„Oho, hab ich da etwa einen wunden Punkt getroffen?! Du dienst Naraku, nicht war? Aber in Wirklichkeit wolltest du ihn verraten!”, konterte Anis geschickt.

Tatsächlich veränderte sich Kaguras Gesichtsausdruck jetzt ein wenig.

„Pass auf, ich mach dir einen Vorschlag: Bring mich zu Naraku! Ich bin ziemlich sauer, das er mich so einfach umbringen wollte und würde ihm gern meine Meinung sagen, wenn du verstehst was ich meine”, behauptete Anis. Von ihren wahren Absichten gab sie nichts frei, aber sie wollte auch niemanden so direkt und offensichtlich anlügen.

„Wie willst du denn Naraku töten?! Du bist doch nur ein einfacher Mensch!”, empörte sich ihre Gesprächspartnerin. Aber wenigstens vergaß sie dadurch, einen weiteren Angriff zu starten.

„Glaubst du wirklich, ich wäre noch am Leben und gleichzeitig in Sesshoumarus Nähe geduldet, wenn ich tatsächlich so schwach wäre?! Ich bitte dich, so gut müsstest selbst du ihn kennen!”, fuhr Anis sie unwirsch an. Die Tatsache, dass Kagura ihre Tarnung nicht durchschaut hatte, war ja ganz schön, aber die ewige Verachtung, die ihr dafür entgegengebracht wurde, ging ihr doch allmählich auf die Nerven. Umgekehrt sollte es sein!

Doch Kagura hatte ihre Begründung geschluckt und das war erstmal das Einzige was zählte.

„Eigentlich sollte ich ja dich und das Mädchen töten...”, überlegte Kagura laut.

„Was denn, Rin auch? Hat sie Naraku mal die Zunge rausgestreckt, oder was? Man, der ist aber wirklich ziemlich empfindlich...”, murmelte Anis vor sich hin. Kagura warf ihr einen merkwürdigen Blick zu, sagte dann aber:

„Also gut, ich werde dich zu Naraku bringen.”

„Prima! Handschlag und ein Vertrag mit Blut unterschrieben lassen wir mal weg. Also, dann pack mal deine Gänsefeder aus!”, meinte Anis munter.

Ihr kurzfristig ausgetüftelter Plan würde aufgehen. Kagura war nur ein Werkzeug darin. Sie schien mehr oder weniger auf Sesshoumarus Seite zu stehen und seine Verbündeten waren automatisch auch ihre Feinde. Kagura würde ein kurzes Leben haben, doch erstmal brauchte sie eine Mitfahrgelegenheit zu diesem seltsamen Hanyou...
 

*
 

Langsam kroch die Sonne über den Horizont. Ihre hellen Strahlen tauchten die Landschaft in ein helles Licht. Sie fielen auf eine kahle Ebene, auf der kein einziger Grashalm mehr stand. Und sie kitzelten die Gesichter der bewusstlosen Personen, die am Rande dieser kahlen Ebene beieinander lagen, in nicht gerade bequemen Positionen, als wären sie alle auf einen Haufen geschmissen worden. Nur eine dieser Personen war noch wach; ein weißhaariger Youki der sich soeben vom Schauplatz entfernte.

All das nahm Inuyasha wahr, als das Zurückweichen der Nacht ihn in einen Hanyou zurückverwandelte und er aus der Bewusstlosigkeit erwachte. Stöhnend richtete er sich auf und rieb sich mit der Hand an der Schläfe. Der Kopf tat ihm höllisch weh. Mühsam versuchte er, sich an das zu erinnern, was passiert war. Dann fiel ihm alles wieder ein, einzelne Bilder tauchten vor seinem innerem Auge auf: Koga, der ihnen schwer verletzt sagte wo sie Naraku finden könnten, das Schloss und der ganze Nebel, das viele Miasma, die unerträgliche Warterei in dem Bannkreis, seine Verwandlung zu Menschen, die Verzweiflung die er verspürt hatte, als seine Freunde einer nach dem anderen bewusstlos geworden waren und schließlich auch, wie er selbst in endlose Schwärze gehüllt zu werden schien.

Seine erste Amtshandlung war es, sich nach seinen Freunden umzusehen. Glücklicherweise lagen sie alle nicht weit von ihm entfernt auf dem Boden. Sie sahen zwar etwas blass aus, doch sie waren nicht tot und das war das wichtigste. Besonderes Augenmerk richtete er dabei auf Kagome. In letzter Zeit war ihm klar geworden, wie viel er eigentlich für sie empfand. Er hatte um Kikyo getrauert, als Naraku sie zum zweiten Mal getötet hatte und er hatte zu tiefst bedauert, dass er sie nicht hatte beschützen können. In den letzten Momenten im Bannkreis, als er schon mit dem Tod gerechnet hatte, da hatte er überlegt, ob er es ihr sagen sollte. Ihr sagen sollte, dass er sie liebte. Doch er hatte sich nicht getraut, nicht vor Sango, Miroku und den anderen. Aber jetzt würde er vielleicht doch noch Gelegenheit dazu haben.

Das wiederum brachte ihn zu einer Frage zurück, auf die er schon lange hätte kommen sollen: Warum war er noch am Leben?

Erst jetzt nahm er seine Umgebung einmal genauer unter die Lupe. So bemerkte er nun auch die kahle Ebene und konnte sich auch in etwas ausmalen, was passiert war. Aus irgendeinem Grund schien der Bannkreis zerstört worden zu sein und das ganze Miasma hatte sich auf der Lichtung ausgebreitet. Ok, so weit so gut. Blieb nur noch eine Frage offen: Wer hatte den Bannkreis zerstört?

Witternd streckte Inuyasha die Nase in den Wind und was er da roch, raubte ihm doch nicht einmal kurz den Atem. Sesshoumaru?!

Ungläubig richtete der Hanyou sich auf. Sein Halbbruder war noch nicht weit weg, er würde ihn noch einholen. Mit weiten Sätzen sprintete er voran. Tatsächlich konnte er nach einer Weile einen Schemen am Waldrand erkennen, den er als die gesuchte Person identifizieren konnte.

„Sesshoumaru, warte!”, rief er ihm entgegen.
 

Sesshoumaru dachte gar nicht daran, zu warten! Was wollte dieser Idiot denn noch?!

„Sesshoumaru!”

Ich gehe einfach weiter, ich habe ihn nicht gehört..., versuchte sich Sesshoumaru zu beruhigen. Leider holte Inuyasha jetzt doch auf und stellte sich ihm in den Weg.

„Sesshoumaru...!” Inuyasha stockte. Er schien nicht so recht zu wissen, was er überhaupt hatte sagen wollen.

„Was?!”, fuhr er ihn deswegen unwirsch an und knackte bereits unheilvoll mit den Fingerknöcheln.

„... Hast du den Bannkreis zerstört und mich... uns... damit gerettet?”, fragte er mit einem seltsamen Unterton in der Stimme.

Sesshoumaru zog es vor, nicht darauf zu antworten und ging einfach wortlos an dem Hanyou vorbei. Er würde die letzten Minuten aus seinem Gedächtnis streichen, nie mehr wollte er dran zurückdenken.

„Sesshoumaru...! Warum? Warum hast du das getan?!” An seiner Tonlage konnte man erkennen, das der Hanyou es tatsächlich nicht verstand.

Das ist jetzt das vierte Mal hintereinander, dass du meinen Namen schreist!, dachte er sich genervt.

„Wenn du dein armseliges Leben noch etwas länger behalten willst, dann bist du zufrieden mit dem was du hast und fragst nicht weiter nach!”, entgegnete er säuerlich.

„N... Nur damit das klar ist: Ich hab dich nicht um deine Hilfe gebeten und ich wert mich auch bestimmt nicht bedanken!”, sagte Inuyasha auf einmal aufgebracht.

Sesshoumaru machte sich nicht das geringste aus seiner Aussage sondern setzte seinen Weg ungerührt fort.

„Ich bin dir gar nichts schuldig, ist das klar!? Schließlich ist es deine Schuld, dass ich überhaupt in diese Lage gekommen bin, wegen dir hab ich Tessaiga nicht mehr!”, fügte sein Halbbruder hinzu, anscheinend konnte er es nicht leiden ignoriert zu werden.

Wollte er damit etwa sagen, das sie jetzt quitt wären?! Was für ein erbärmlicher Wurm!

„Noch ein Wort mehr und ich schlitz dich auf!”, entgegnete Sesshoumaru gefährlich ruhig.

Und - zu seiner großen Überraschung - war Inuyasha jetzt tatsächlich still. Scheinbar hatte er doch begriffen, dass er den Bogen nicht überspannen durfte. Vielleicht lag es aber auch an der Tatsache, dass der Menschenanhang, der sich noch immer etwas weiter hinten befand, jetzt langsam aufwachte, was Sesshoumaru an den üblichen Geräuschen, wie unregelmäßiges Atmen, leises Stöhnen, zusammenhangsloses Gebabbel und einem erschrockenem Ausruf von Inuyasha („Kagome!”) hören konnte. Eine Sekunde später war er dann auch schon verschwunden. Sesshoumaru scherte sich nicht darum. Er musste den echten Naraku finden.
 

*
 

Kaguras Feder blieb einige Zentimeter über dem Boden schweben, sodass Anis bequem absteigen konnte. Der Flug war recht ereignislos verlaufen, denn Kagura war nicht sehr gesprächig. Dennoch wollte Anis noch einige Informationen aus ihr herausquetschen, bevor sie das Schloss betrat.

„Sag mal, stimmt es das Naraku Dämonen aus sich selbst heraus gebären kann?”, fragte sie deshalb.

„Ja”, knurrte Kagura, „Ich bin ein Abkömmling von ihm. Deshalb hält er auch mein Herz in seiner Hand.”

„Also, dann ist dein Daddy entweder schwul oder impotent... Oder ein Wichser...” murmelte Anis vor sich hin.

Kagura sah sie nur verständnislos an, doch Anis unterdrückte bei dieser Vorstellung einen Lachanfall.

„Was hat er denn noch so alles für Abkömmlinge?”, fragte sie weiter.

„Wieso fragst du ihn das nicht selbst? Er beobachtet uns wahrscheinlich sowieso schon die ganze Zeit.”

Mit diesen Worten stieg auch Kagura von der Feder, die daraufhin zusammenschrumpfte und sich perfekt in ihre Frisur einpasste.

„Na gut, dann gehn wir mal rein”, sagte Anis munter.

„Geh allein”, entgegnete Kagura nur.

Anis musste schmunzeln, damit hatte sie gerechnet.

„Okay.” Gesagt, getan, Anis ging fröhlich auf den Eingang des Schlosses zu. Kagura sah ihr nach. Einen Augenblick später wandte sie sich um und verließ das Schlossgelände eilig. Sie wollte nicht unbedingt in der Nähe sein, wenn Anis’ Vorhaben missglückte.
 

*
 

Naraku runzelte die Stirn. Wieso hatte Kagura sie hierher gebracht? Diese Frau gab sich nicht die geringste Mühe zu verbergen, dass sie auf dem Weg zu ihm war. Warum hatte sein Abkömmling sie nicht getötet?

Mit einem Ruck öffnete sich die Schiebetür des Zimmers, indem Naraku sich befand. Diese Frau hatte sofort gewusst, wo er sich befand...

„Bist du Naraku?”, fragte sie ihn offen.

„Ja”, antwortete er nur. Er wusste nicht warum, aber sie schien ihm gegenüber keine besonders bösen Absichten zu haben, was höchst ungewöhnlich war. Jetzt ließ sie sich auch noch ihm gegenüber nieder!

„Naraku, wieso wolltest du mich aus der Welt schaffen?”, fragte sie leise.

„Huh, ist das nicht offensichtlich? Du gehörst zu Sesshoumarus Gruppe”, antwortete er nur.

„Ja, und?”

„Nun, er scheint sich sehr zu den Menschen hingezogen zu fühlen...”

Anis zog eine Grimasse.

„Du hast jetzt aber nicht wirklich gedacht, dass er...und ich...? Man, du bist echt hirntot.” Zu seiner großen Verwunderung fing sie jetzt an zu lachen!

„Ich bitte dich! Als wenn man Sesshoumaru mit meinem Tod erpressen könnte!”

„Aus welchem Grund sollte er dich sonst bei ihm behalten?”, fragte Naraku verwundert.

„Hn, ich will es dir erklären: Sesshoumaru ist mein Feind. Er hat einen meiner besten Freunde umgebracht und hält mich gefangen. Doch im Gegensatz zu ihm kann ich das Schwert Tessaiga beherrschen. Ich bin selbst für ihn ein Gegner. Doch er ist immer noch zu stark für mich. Aber er will von meiner Kraft und von Tessaigas Macht profitieren, deshalb lässt er mich am Leben. Doch mein Ziel ist es, ihn zu töten. Allein schaffe ich das nicht. Aber wenn wir unsere Kräfte vereinen... Dann könnten wir sogar Sesshoumaru besiegen”, erklärte sie ihm ausführlich.

Naraku suchte in ihren Augen die Lüge, doch da war nichts. Sie wollte sich tatsächlich mit ihm verbünden, obwohl er sie zuvor hatte töten wollen! Und sie verlange nicht einmal etwas als Gegenleistung, nur seine ‘Unterstützung’.

„Wenn du versagen solltest...”

„Ich werde nicht versagen. Entweder stirbt er, oder ich werde es tun”, sagte sie bestimmt.

„Du gehst auf eine große Gefahr zu...”, erwiderte Naraku, um sie zu testen.

„’Risiko’ ist mein zweiter Vorname. Im Gegensatz zu dir...”, antwortete sie ruhig.

Jetzt stand Naraku auf und rief Kanna herbei. Das kleine, weißhaarige Mädchen tauchte fast augenblicklich hinter der nächsten Tür auf, als hätte sie die ganze Zeit über dort gewartet.

„Kanna, zeig mir Sesshoumaru”, befahl er.

Das Bild im Spiegel veränderte sich und eine Sekunde später war darauf ein großgewachsener Inuyoukai zu sehen, der ruhig durch den Wald spazierte. Naraku riss die Augen auf, als er bemerkte, dass sein Feind nicht eine einzige Miasmawunde hatte!

„Wo ist Inuyasha?”, fragte er weiter.

Wieder veränderte sich das Bild im Spiegel und zeigte nun eine recht bunt gemischte Gruppe die - ebenfalls unverletzt - beisammensaß. Wut kochte in ihm hoch. Sein Plan hatte rein gar keine Auswirkungen gehabt!

„Also gut, ich werde dir hundert meiner besten Dämonen und meinen Abkömmling Kanna zur Verfügung stellen. Mit der Macht Tessaigas sollte das reichen...”, sagte er laut.

„Ich danke euch, Naraku.” Ihre Stimme hatte zwar einen äußerst ironischen Unterton, doch das sie diese höflichen Worte überhaupt über die Lippen bekam, war schon ein Kunststück für sich.

Tod

Uuuwahhh! Dieses Kapitel ist einfach zum HEULEN!!! *flenn*

und ich bin schließlich die Autorin, ich müsste mich zusammenreißen. Schließlich habe ich es selbst geschrieben. Aber es ist trotzdem GRAUSAM!!!

Wovon ich rede? Ach ja, das wisst ihr ja noch gar nicht. Naja, also... DAVON red ich:
 

XxX
 

Entschlossen machte sich Anis mit dem Heer auf den Weg. Dies war ihre allerletzte Chance, eine Chance, die sie nicht vermasseln durfte. Sesshoumarus Tod war ihre einzige und letzte Möglichkeit, ihm zu entfliehen, so glaubte sie zu diesem Zeitpunkt jedenfalls. Doch es sollte ganz anders kommen, ganz anders als von allen geplant...
 

*
 

Kurze Zeit später standen sie dann vor Sesshoumaru. Der reckte kurz seine Nase in die Höhe und nahm die Witterung auf. Er wusste noch nichts von Anis’ Verrat, doch er ahnte, dass eine solche Menge an Youkai, die ihm so plötzlich entgegenkam, nicht Gutes zu bedeuten hatte. Seinem Geruchssinn zufolge waren es alles Dämonen. Dieses Pack von nichtsnutzigen, niederen Kreaturen wagte es doch tatsächlich, sich ihm, dem mächtigen Dämonenfürsten der westlichen Länder in den Weg zu stellen! Idioten.

Mit einem verächtlichen Schnauben zog er Tokjin und schleuderte als erstes einmal ein Energiewirbel nur so aus Spaß auf die - seiner Meinung nach ‘kleinen Gruppe’ zu. Doch nicht ganz wie erwartet, kamen die Wirbel auf einmal zurück. Schwungvoll wich er aus. Jetzt war Sesshoumaru klar, dass Naraku dahinter stecken musste.

Sein Gesicht nahm einen noch verächtlicheren Ausdruck an und er schwang sich in die Lüfte.

Aus der Vogelperspektive hatte er einen sehr guten Überblick über seine Feinde. Doch es war eine Person darunter, die er am allerwenigsten dort vermutet hätte... Anis

Jetzt war für ihn das Maß voll. Wegen Inuyasha hatte er ohnehin schon ziemlich schlechte Laune.

„Anis, komm her!”, sagte Sesshoumaru ruhig, sehr ruhig.
 

Anis hätte ihm tatsächlich beinahe gehorcht, einfach aus reiner Gewohnheit. Doch sehr schnell erinnerte sie sich daran, warum sie hier war. Sie musste Sesshoumaru töten, um endlich frei zu sein. Auch das Gefühl, das immer in ihr hochstieg, wenn sie ihn sah und sein Youki spürte, kehrte nun wieder zurück. Sie hatte sich noch nie besonders mit Gefühlen auseinander gesetzt, doch sie war sich sicher, dass dies reiner Hass war. Was auch sonst?

Und sie wusste, dass er verschwinden musste, damit dieses Gefühl, das sie innerlich zerriss, endlich nachließ. Wie schön wäre es doch, wenn sie erst einmal frei wäre. Wie schön wäre es, wenn Takeo noch leben würde. Dann wäre sie jetzt glücklich. Doch erst kam die Arbeit, dann das Vergnügen. Zuerst musste sie Sesshoumaru aus dem Weg schaffen.

Der schien jetzt auch zu begreifen, dass sie ihm nicht gehorchen würde und spätestens jetzt war ein Kampf nicht mehr zu vermeiden...
 

Sesshoumaru stürzte auf das Heer von Dämonen zu und metzelte mit einigen gezielten Schwerthieben ein gutes Dutzend davon nieder. Jetzt forderte auch Anis ihre ‘Leute’ zum direkten Angriff auf und zwei Fronten, die eine 86 Mann und 2 Frauen und die andere ein Mann stark, knallten aufeinander. Wieder zerriss Sesshoumaru ein Dutzend einfach in der Luft und fing an, sich weiter zu Kanna durchzukämpfen, die in seinen Augen im Moment die größte Bedrohung darstellte. Doch unerwarteterweise stellte sich ihm auf einmal Anis persönlich in den Weg!

Zwischen den zweien entbrannte nun ein harter Schwertkampf, der vorerst nicht mehr unterbrochen werden sollte...
 

*
 

Kagura verließ eilig das Schloss. Doch noch lange bevor sie außer Reichweite des Geländes war, hörte sie plötzlich eine Stimme:

„Kagura, wo willst du denn hin?”

Blitzschnell drehte sie sich um. Hinter ihr stand Naraku, mit einem widerwärtigen Grinsen im Gesicht. Sie antwortete nicht.

„Das hast du gut gemacht, mir diese Frau lebendig zu bringen. Ich habe ihr meine Unterstützung im Kampf gegen Sesshoumaru angeboten und sie nahm dankend an”, flüsterte ihr Schöpfer gefährlich leise.

„Das freut mich”, sagte Kagura tonlos. Sie hätte es wissen müssen, hätte wissen müssen, dass sie dieser Frau nicht trauen durfte!

„Doch du hast den zweiten Teil deines Auftrages außer Acht gelassen”, fügte er nun hinzu.

„Zweiter Teil? Ich glaube ich verstehe nicht ganz”, murmelte Kagura.

„Ich rede von dem Menschenmädchen Rin. Du solltest auch sie töten. Das ist jetzt wichtiger als vorher. Wenn dieser Frau der Tod des Mädchens ebenfalls kalt lässt, werde ich noch andere Verwendung für sie finden. Andernfalls...”

„Ich verstehe”, sagte Kagura, ”Ihr wollt sie testen.”

„Oh, du bist aber schnell von Begriff. Doch ich werde dir sogar einen kleine Belohnung gewähren, wenn du den Auftrag zu meiner Zufriedenheit ausführst”, fuhr er fort.

Die Windherrscherin hob eine Augenbraue. „Und die wäre?”

„Ich schenke dir die Freiheit, die du immer so begehrt hast.”
 

*
 

Anis zog Tessaiga. Sesshoumaru, wie immer mir null Mimik, runzelte innerlich die Stirn. Wie konnte sie es wagen, sich ihm mit Absicht so offensichtlich in den Weg zu stellen, ihn von der Aufgabe abzubringen Naraku zu eliminieren und auf die Seite des Feindes überzulaufen!? Sesshoumaru konnte es einfach nicht fassen. Anis musste ihn wirklich hassen, wenn sie sich sogar mit jemanden wie Narakue verbündete, um ihn zu besiegen. Und jetzt beschützte sie auch noch diese kleine Göre von einem Abkömmling! Ein normales Wesen hätte die Erde schon längst von unten gesehen, aber Anis war nicht normal, jedenfalls nicht für ihn. Oh nein, jetzt fing er tatsächlich schon wieder mit dieser Gefühlsduselei an. Anis musste weg, und zwar schnell. Er würde sie töten. Nein, er würde sie töten müssen. Er sah keine Wahl mehr, nichts, was dies hätte verhindern können.

Mit einem eleganten Schlenker seines Schwertes griff er Anis an die sofort abblockte, dann wie eine Schlange mit Tessaiga zustieß und schließlich zurück sprang. Sesshoumaru fiel auf, dass sie scheinbar etwas besser geworden war, in Sachen Schwertkampf. Tatsächlich schien sie sich sogar etwas von ihm selbst abgeguckt zu haben. Ungeheuerlich!

Mit einem Angriff, diesmal auf Seiten von Anis, zielte die Frau direkt auf Sesshoumaru Herz stürmte mit einem Kampfschrei auf ihn zu, der schnell auswich und ihr einen harten Schlag mit Tokjins breiter Seite verpasste. Sie schlug hart auf dem Boden auf und blieb dort liegen. Sesshoumaru dachte schons sie wäre ohnmächtig. Doch plötzlich regte sie sich wieder und stand auf.

Sesshoumaru sah kurz, nur ganz kurz, wieder das rote Aufglimmen ihrer Augen. Nur ganz kurz starrte er sie fasziniert an und war abgelenkt, führte den entscheidenden Schlag nicht aus, obwohl er es jetzt gekonnt hätte. Diesen einen Moment nutze Anis aus und steuerte mit der Klinge zielsicher und mit einer beachtlichen Geschwindigkeit auf Sesshoumaru zu. Dieser bemerkte das leider etwas zu spät, er fühlte eine Art Ziepen und dann einen grässlichen Schmerz in seinem linken Arm. Das Schwert von Anis steckte tief in seinem Fleisch und als Anis es wieder herauszog, verzog Sesshoumaru sogar kurz einmal schmerzverzerrt das Gesicht.

Auf Anis’ Wink hin griffen jetzt auch die anderen Dämonen ein. Als Sesshoumaru sie mit ein paar Energiewirbeln von Tokjin aufhalten wollte, griff Kanna wieder ein. Nun stand der Daiyoukai vor einem Problem: Er war in einen Schwertkampf mit Anis verwickelt, die Dämonen griffen von allen Seiten an und er konnte keine großen Angriffe mehr starten, da Kanna jeden abfing und zurückwarf. Na toll, dachte er, bevor eine weiterer Angriff von allen vier Seiten gleichzeitig auf ihn geworfen wurde.

Anis, die sich schon in Sicherheit wähnte, Sesshoumaru tatsächlich besiegen zu können, wurde immer schneller und kräftiger, währenddessen Sesshoumaru immer mehr Probleme bekam, den Dämonen das Licht auszuknipsen und gleichzeitig seine eigentliche Gegnerin abzuwehren.

Anis hatte vier entschiedene Vorteile auf ihrer Seite: Erstens kannte sie seinen Kampfstil und konnte seine Bewegungen voraus ahnen. Zweitens hatte sie in den letzten Jahren neue Kampftechniken entwickelt und sich manchmal sogar Sesshoumaru selbst als Beispiel genommen.

Drittens konnte sich der Inuyoukai nicht wirklich auf sie konzentrieren, da er von Narakus Dämonen abgelenkt wurde.

Und zu guter letzt konnte er auch Tokjins mächtigste Attacke nicht einsetzen, da Kanna ihn sofort zurückwerfen würde.

Sesshoumaru, der so langsam doch anfing richtig wütend zu werden, begann bereits unterbewusst, seine Gestalt zu verändern. Seine Augen wurden rot, die Krallen länger und der Gesichtsausdruck verzerrt. Er nietete noch ein gutes dutzend Youkai um und wandte sich dann wieder an Anis. Diese wiederum arbeitete jetzt hauptsächlich mit Tessaigas speziellen Kraft, der Windnarbe. Die Dämonen zogen sich zurück und versammelten sich hinter ihr, Kanna hielt sich für eventuelle Angriffe von Sesshoumarus Seite her bereit.

Der Kampf dauerte lange und war für beide sehr kräfteraubend.
 

Anis schleuderte mittlerweile schon die fünfte Windnarbe auf Sesshoumaru zu, der aber wie immer sehr geschickt auswich. Doch etwas war anders, als der Daiyoukai diesmal in die Luft sprang um nicht von Tessaigas Angriff zerfetzt zu werden. Er landete leichtfüßig auf dem Boden und sein Gesicht nahm einen spöttischen Ausdruck an.. Doch Anis - lächelte! Sesshoumaru konnte sich darauf keinen Reim machen, doch Anis schien ihre Aufmerksamkeit nicht auf ihn, sonder auf etwas HINTER ihm zu richten. Augenblicklich fuhr er herum und erblickte - Kanna! Die Windnarbe, der er eben noch ausgewichen war, wurde durch ihren Spiegel zurückgeschleudert und raste jetzt erneut auf ihn zu! Der Youkai konnte nur mit Mühe gerade noch zur Seite springen und entkam so nur knapp dem Tode. Nun war es allerdings Anis, die in der Schussbahn stand. Doch auch sie rettete sich mit einem raschen Hechtsprung zur Seite. Sesshoumaru atmete erleichtert auf, als er das sah. Gleichzeitig hätte er sich dafür ohrfeigen können. Anis musste sterben! Es falsch, erleichtert zu sein, wenn dies nicht geschah!

Doch zumindest für Sesshoumaru hatte dieser Angriff noch einen Vorteil: Die Dämonen die hinter der Frau gestanden hatten, hatten nicht so schnelle Reflexe und wurden einfach zerfetzt.

Anis hatte nicht besonders viel abbekommen, dennoch bedeckten zahlreiche kleine Schnitte ihren Körper. Das Blut floss nicht so stark, doch trotzdem schmerzte es sehr. Aber sie dachte gar nicht daran, aufzugeben. Sie war entschlossen diese Sache jetzt ein für allemal zu klären und Sesshoumaru zu töten. Nur dann würde sie ihren Frieden finden und wenn sie danach sterben sollte, war ihr das auch egal, aber wenigstens konnte sie dann sicher sein, dass derjenige, die für ihr ganzes Leid verantwortlich war, ebenfalls im Jenseits versauern durfte.

Mit einem wütenden Kampfschrei richtete sie sich auf und stürzte auf Sesshoumaru zu, als der grad von den letzten Dämonen abgelenkt wurde.

Anis feuerte eine weitere Windnarbe auf Sesshoumaru zu, doch der hatte langsam genug und wollte diese Angelegenheit ebenfalls so schnell wie möglich beenden. Aber anstatt auszuweichen, machte er jetzt einen Satz hinter Kanna. Die Attacke raste auf beide zu und der Spiegel von Narakus Abkömmling warf den Angriff zurück. Damit hatte Anis nicht gerechnet und war deshalb auch ziemlich überrascht, als die hellen Lichtstrahlen der Windnarbe auf einmal auf sie zurück zu fallen drohten. Instinktiv ließ sie sich zu Boden fallen und rollte sich über die rechte Schulter ab. Die Windnarbe verfehlte sie um Haaresbreite und rauschte an ihr vorbei. Gerade wollte sie wieder aufstehen, als eine ungeheure Kräfte sie wieder zur Erde riss. Sesshoumaru hatte sie mit seiner Energiepeitsche angegriffen und ihr so Tessaiga aus der Hand geschlagen, welches nun über den Boden schlitterte und außer Reichweite liegen blieb.

Kanna wusste gar nicht was los war, so schnell war ihr Auffassungsvermögen nicht. So konnte sie nicht mehr verhindern, das Sesshoumaru sie kurzerhand enthauptete.

Kein Blut kam aus der grässlichen Wunde. Der bleiche Körper des Mädchens löste sie vor den Augen aller Anwesenden in Luft auf. Ihr Spiegel fiel mit einem lauten Klirren zu Boden und zerbrach dort in tausend Scherben.

Das Geräusch des zersplitternden Glases klang in Anis’ Ohren wider und sie schauderte. Kaum noch ein Dämon war übrig, Kanna war besiegt und Tessaiga hatte sie auch verloren. Doch eine Waffe blieb ihr noch und das war Klingenecho. Sie zog das Schwert aus der Scheide an ihrem Rücken hervor und schwang es einmal über dem Kopf, woraufhin Sesshoumaru etliche scharfe Klingen entgegenrasten. Gerade noch rechtzeitig hob dieser Tokjin und konnte sich vor dem Angriff schützen.

Immer wieder feuerte Anis einzelne Attacken dieser Art auf ihren Gegner ab, die allerdings immer wieder von ihm abgewehrt wurden. Ihre Kraftreserven waren erschöpft und ganz tief in ihrem Innerem hatte sie den Kampf schon verloren. Sesshoumaru hingegen wusste, dass sein Sieg schon zum Greifen nah war und hieb die auf ihn zuschnellenden Klingen mit immer größerer Heftigkeit bei Seite. In diesem Moment griffen die allerletzten Youkai an, um Anis etwas mehr Spielraum zu gewähren.

Anis nutzte diese aus und rannte mit der Entschlossenheit einer Verzweifelten auf ihren verhassten Feind zu.
 

Sesshoumaru entledigte sich schnell der letzten Angreifer, die ganze Umgebung war nun mit Leichen übersähen. Anis und er selbst waren jetzt die Einzigen, die noch lebten.

Und dann ging alles ganz schnell:

Der Geruch ihres Blutes stieg ihm in die Nase. Er sah ihr schmerzverzerrtes Gesicht und spürte ihr Leid. Ihre Augen funkelten unheilverkündend, doch sie schüchterten Sesshoumaru nicht im geringsten ein.

Anis hob ihr Schwert, entschlossen, sich nicht zu ergeben, sondern im Kampf ihr Leben zu lassen. Doch Sesshoumaru schlug ihr mit einer einzigen, fließenden Bewegung Klingenecho aus der Hand. Anis wollte der Waffe sofort nach hechten, doch Sesshoumaru packte sie an den Handgelenken und drückte sie kurzerhand gegen den nächsten Baum.

Das war ein Fehler. Sesshoumarus Hormone interpretierten diese Situation leider völlig falsch und machten ihn noch einmal mit aller Macht auf ihre wunderschöne Gestalt, ihre herrlich grünen Augen und ihre vollen Lippen aufmerksam.

Anis keuchte schwer. Sesshoumarus Hände, die noch immer die ihren umklammerten, begannen langsam ein Gift abzusondern, das sich tief in ihre Haut brannte. Doch noch war sie nicht bereit, sich ihm auszuliefern, ihrem Tod entgegenzutreten. Sie schaffte es, ihm einen kräftigen Tritt gegen das Schienbein zu versetzen. Daraufhin ließ der Youkai sie tatsächlich los, wenn dies auch mehr der Tatsache zu verdanken war, dass ihn dieser unvorhergesehene Angriff wieder in die Wirklichkeit zurück holte und er sich so rasch wie möglich von ihr entfernen wollte.

Doch wenn Anis geglaubt hatte, so davon zu kommen, dann hatte sie sich geschnitten. Sesshoumaru verpasste ihr eine dermaßen heftige Ohrfeige, das die Frau auf der Stelle halb bewusstlos zusammensackte.

Sesshoumaru hob die klauenbewehrte Hand, um den entschiedenen Schlag durchzuführen. Doch wieder hielt ihn etwas davon ab und er hielt kurz inne. Er blickte hinab auf Anis, deren Schönheit auch durch das viele Blut nicht im mindesten verringert wurde. Etwas in ihm sträubte sich dagegen, dieses wunderbare Geschöpf zu töten.

Er war hin- und hergerissen zwischen der Tatsache, dass sie ihn verraten hatte und diesem Gefühl, dass es falsch war, sie zu töten. Er wusste absolut nicht warum, aber alles in ihm - mit Ausnahme seines Verstandes - sträubte sich dagegen, seine Krallen in ihren Körper zu rammen und ihr das Herz herauszureißen. Er wollte es einfach nicht.

Langsam, unendlich langsam ging er auf sie zu. Sie lag mit weit aufgerissenen Augen am Boden, Augen, aus denen ein solches Leid und eine solche Hoffnungslosigkeit sprachen, dass er es einfach nicht über sich brachte, sie zu töten. Es war, als spürte er ihre Schmerzen, teilte ihr Leid. Ein grauenhafter Schmerz machte sich in ihm breit und da wurde ihm klar: Er konnte sie nicht töten!

Verzweiflung mache sich in ihm breit. Wieso konnte er es nicht? Was war es, verdammt, was war es nur, was ihn daran hinderte?

Entsetzt nahm er jetzt wahr, dass er selbst es gewesen war, der ihr all dieses Leid gebracht hatte! Er war Schuld an ihrem Zustand! Wieso fühlte er sich schuldig deswegen?! Sie hatte es doch verdient! Er hätte sie umbringen sollen! Doch vor dieser Vorstellung grauste es ihm, dass Anis tatsächlich sterben könnte und das auch noch durch seine Hand. Diese Vorstellung konnte er nicht ertragen.

Er hielt es einfach nicht mehr aus, diese Gefühle, diese Schuld. Er spürte alle Kraft aus sich weichen, als er versuchte, diese Gefühle zu verdrängen. Doch das machte es nur noch schlimmer. Seine Knie gaben nach und er sackte zu Boden. Der Geruch von Anis’ Blut neben ihm machte ihn halb wahnsinnig. Er schien durch seine Haut zu dringen und jede Zelle seines Körpers auszufüllen und sie zu verbrennen. Verzweifelt fasste er sich an den Kopf, als wolle er so die Gefühle und Gedanken verbannen.

„Verdammt Anis, was hast du nur mit mir getan?!”, flüsterte er leise, so leise, dass sie es nicht hören konnte.

Er fing an diese Gefühle zu verabscheuen, Anis zu verabscheuen.

Zu hassen, weil sie die Einzige war die ihn so sehr verletzen konnte.

Zu hassen, weil sie die Einzige war die ihn glücklich machen könnte.

Zu hassen, weil sie die Einzige war, die er nicht zu töten vermochte.

Zu hassen, weil er jedes Mal nicht er selbst war, wenn sie da war.

Doch dieser Hass auf Anis verwandelte sich schnell in Hass auf sich selbst, weil er ihr so sehr weh getan hatte. Warum hatte sie ihn nur verraten? Es hätte alles ganz anders kommen sollen. Wieso hasste sie ihn nur so sehr? Das Leben war einfach ungerecht.
 

*
 

„Sieh mal einer an. Kein Sesshoumaru da um euch zu beschützen”, drang Kaguras verächtliche Stimme aus der Dunkelheit.,

„Waaahaaa, Kagura! Verschwinde gefälligst von hier!” kreischte Jaken entsetzt und hob seinen Kopfstab.

Kagura ließ nur ein verächtliches Schnauben hören und zückte ihre Fächer.

„Verschwinden? Ich werde gewiss nicht verschwinden”, flüsterte sie.

Eigentlich war es ja immer ihr Ziel gewesen, Sesshoumaru dazu zu bringen, Naraku ins Jenseits zu befördern, damit sie frei war. Doch warum sich solche Mühe machen, wenn ihr die Freiheit so zuvorkommend von Naraku angeboten wurde? Außerdem war ihr Leben sicher sofort zu Ende, wenn sie den Auftrag nicht ausführte. Es kam aufs Gleiche hinaus. Nicht nur Anis sollte mit Rins Tod getestet werden, auch sie selbst hatte hier ihre letzte Chance vor sich. Sie würde diese allerletzte Chance nicht verspielen!

„W... We... Wehe du kommst noch einen Schritt näher!”, brachte Jaken mühsam heraus.

Kagura grinste nur. Ihre Fächer durchschnitten die Luft. Ihre Windschwerter rasten auf Jaken zu, der in genau diesem Moment einen riesigen Feuerstrahl aus seinem Kopfstab auf die Windherrscherin speien ließ. Hinter den beiden kreischte Rin erschrocken auf und Ah-Uhn ließ ein Jaulen hören.

Nach einer Weile legte sich der Staub.

Jaken lag blutüberströmt auf dem Boden, sein Kopfstab war zerbrochen.

Er war tot.

Rin fing an zu weinen und beschimpfte Kagura aufs Übelste. Sie lief zu dem kleinen Krötendämon hin und kniete sich neben ihn.

„Rin”, murmelte Kagura, „Du bist die Nächste.”
 

#
 

Anis war verwirrt. Anders konnte man es nicht ausdrücken.

Sesshoumaru hatte plötzlich den Kopf gehoben, sie kurz entsetzt angeschaut, hatte sie dann gepackt, hochgehoben und rannte jetzt mit der Geschwindigkeit eines Rennautos durch den Wald.

Er war ihr sowieso schon sehr komisch vorgekommen und das er sie nicht tötete, na gut, damit hatte sie sich mittlerweile abgefunden. Auf das große ‘Warum’ antwortete Sesshoumaru nur mit Schweigen.

Anis konnte sich keinen Millimeter bewegen. Ihr Blut floss aus zahlreichen Wunden die durch den Kampf entstanden waren und von Sesshoumarus Schlag, mit dem er sie zu Boden geschleudert hatte, war sie noch immer ganz benommen. Dennoch war selbst ihr klar, das ihre Lage äußerst merkwürdig war.

Sesshoumaru hatte sie schon öfters getragen, oder besser: Er hatte sich die Frau wie einen Sack Kartoffeln über die Schultern geworfen. Das war diesmal jedoch nicht der Fall. Er hatte sie praktisch auf den Arm genommen. Er schien diese, doch relativ sanfte Behandlung völlig als normal anzusehen, denn er beachtete sie nicht weiter sondern starrte einfach geradeaus und wurde mit jeder Sekunde schneller. Irgendwann, nach einer Ewigkeit wie es schien, wagte Anis es doch einmal, den Mund aufzumachen:

„Wohin willst du?”

Sesshoumaru warf ihr einen giftigen Blick zu. „Ich rieche Blut...”

Naja, das war ja eigentlich klar, oder? Schließlich war in den letzten Minuten ziemlich viel Blut zwischen ihnen geflossen.

„Was ist passiert, Anis? Wie weit ging dein Handel mit Naraku?”, fragte Sesshoumaru plötzlich. Seine Stimme klang völlig ausdruckslos, als wäre er tatsächlich nur an dieser Information interessiert, doch seine Augen verrieten ihn. Anis glaubte Trauer darin zu sehen. Es war nur ganz kurz, dieses Aufglimmen, bevor er es wieder versteckte und dennoch fragte sie sich, ob ihr Verrat ihn nicht vielleicht doch verletzt hatte. Seltsam, irgendwie störte sie das. Sie hatte nie vorgehabt, ihn irgendwie zu verletzen. Sie wollte ihn töten, ja, doch das war etwas anderes. Sie hatte nicht wirklich damit gerechnet, dass ihm das seelisch etwas ausmachen würde. Er hatte doch sicher etliche Feinde, die ihn töten wollten, oder etwa nicht? Einer mehr oder weniger, darauf kam es da doch nun wirklich nicht an. Es war einfach nur komisch, dass Sesshoumaru sie nicht getötet hatte! Das widersprach aller Logik. Naja... Aber wie weit kam man bei Dämonen schon mit Logik? Bei ihr selbst kam sie mit Logik ja auch nicht besonders weit. Sie hatte sich schließlich mit einem hundsgemeinen Bösewicht verbündet, um Sesshoumaru zu töten. Mit einem hundsgemeinen Bösewicht, der noch dazu ihre Freundin Kagome hatte umbringen wollen. Aber das war egal, alles war egal, solange sie nur Sesshoumaru töten konnte. Jedenfalls hatte sie bis jetzt so gedacht. Nun aber machte sie sich Gedanken, wie Naraku auf ihre Niederlage reagieren mochte, ob er etwas ausheckte. Die Verräterin war verraten worden... Zuzutrauen wäre es ihm. Was war sie auch so bescheuert und verbündete sich mit ihm?! Es hatte ja nicht einmal etwas gebracht. Aber zu diesem Zeitpunkt war ihr Sesshoumarus Tod einfach am wichtigsten gewesen. Für dieses Ziel hatte sie auch ihre Ehre, ihre Freundin und in gewisser Weise auch ihr Gewissen vergessen, verdrängt. Tja, und jetzt durfte sie die Suppe auslöffeln, die Suppe, die ihr Naraku versalzen hatte...

„Anis, antworte mir!”, ertönte Sesshoumarus Stimme wieder und Anis zuckte zusammen. Rasch begann sie zu erzählen:

„Kagura tauchte plötzlich auf. Sie wollte Rin und mich töten... Ich brachte sie dazu, mich zu Naraku zu bringen. Ich erzählte ihr, dass ich vorhatte ihn zu töten. Als ich jedoch da war, bot ich ihm meine Hilfe im Kampf gegen dich an und er gab mir die Dämonen und Kanna...” Es war ihr etwas unangenehm dies alles zu sagen, aber noch weniger wollte sie Sesshoumaru den Gehorsam verweigern, wenn sie nicht gerade wieder beschloss, zu fliehen.

„Was ist mit Rin?”, fragte der Youkai weiter.

Anis schaute zu ihm auf. „Was soll mit ihr sein?”

„Ich rieche ihr Blut! Ich will wissen, ob du etwas damit zu tun hast!?

” Er war laut geworden. Anis hatte Sesshoumaru noch nie so wütend erlebt.

Doch gleichzeitig erschrak sie über seine Worte. Rins Blut? Sollte Naraku sie doch noch töten wollen?! Die Kleine hatte doch mit all dem am wenigsten zu tun!

„Davon weiß ich nichts, wirklich nicht! Ich habe Rin doch gemocht, ich wollte bestimmt nie, dass ihr etwas passiert!” Fast hätte sie noch hinzu gefügt ‘Das musst du mir glauben!’, doch sie tat es nicht. Sie war selbst überrascht darüber, wie wichtig ihr Sesshoumarus Meinung über sie war. Anis hätte nicht sonderlich viel dagegen gehabt, wenn Sesshoumaru sie für eine Verräterin hielt, damit konnte sie leben. Doch sie war keine Kindermörderin!

Sesshoumaru knurrte kurz, schien ihr dann aber tatsächlich zu glauben. Plötzlich verlangsamte er seinen Lauf, blieb stehen und setzte sie vorsichtig auf dem Boden ab.

„Du bleibst hier, verstanden?”, fuhr er sie unwirsch an.

Anis nickte kurz. Sie hätte jetzt sowieso keinen Marathon gewonnen, so schwer wie sie verletzt war.
 

*
 

Sesshoumaru stürzte auf die Lichtung hinaus, seine Augen leuchteten rot. Er roch Blut, Blut, Feuer und...Kagura!

Er sah Ah-Uhn, der sich über zwei kleine Körper beugte und traurig an ihnen schnupperte. Es waren Jaken und Rin.

Der Körper des kleinen Mädchens wurde von dem Drachen verdeckt, doch bei Jaken sah Sesshoumaru sofort, dass der Krötendämon zweigeteilt war. Er war wohl schnell und ohne große Schmerzen gestorben. Sesshoumaru nahm dies als einen Fakt wahr, es bekümmerte ihn nicht sonderlich, der Youkai war eine Nervensäge gewesen. Doch die bloße Tatsache, das man einen seiner Diener ermordete, war eine Beleidigung, die der Schuldige mit seinem Leben bezahlen musste.

Sein Blick fand die Übeltäterin augenblicklich. Kagura.

„Du Miststück, hast es tatsächlich gewagt...!”, knurrte er gefährlich leise.

Die Spuren ließen nur diese Möglichkeit zu, Rins ‘Kindermädchen’ hatte durch Kaguras Windschwerter den Tod gefunden. Noch einmal klang ein zorniges Knurren aus Sesshoumarus Kehle. Die Windherrscherin wich erschrocken vor ihm zurück und griff bereits in ihr Haar, um eine ihrer Federn zu ziehen.

Doch der Inuyoukai fuhr mit einer blitzschnellen Bewegung seine Energiepeitsche aus.

Kagura starb ohne einen Laut, mit einem stummen Schrei auf den Lippen. Sesshoumarus Angriff enthauptete sie und ihr Kopf wurde durch die Luft geschleudert und landete am anderen Ende der Lichtung.

Doch Sesshoumaru fühlte sich nicht im mindesten befriedigt. Nicht Kagura war das Problem, sondern Naraku selbst.

Doch jetzt hatte er erst einmal anderes zu tun. Jaken war ihm relativ egal, er hatte keine besonders hohe Meinung von ihm gehabt, doch bei Rin sah das schon anders aus.

Langsam ging er zu Ah-Uhn hinüber, der ihm respektvoll Platz machte. Er kniete sich neben dem Mädchen nieder. Ihr Kimono war zerrissen und aus einer üblen Wunde troff das Blut. Doch sie lebte.

Vorsichtig hob Sesshoumaru den kleinen, zerbrechlichen Körper hoch und drückte ihn an sich. Sie lebte, ja, aber Sesshoumaru verspürte keinerlei Erleichterung. Die Wunde war schlimm, zu schlimm. Rin würde nicht mehr lange überleben, da machte er sich keine Hoffnungen. Er konnte sie auch nicht retten, konnte sie nicht heilen. Tensaiga vermochte zwar die Toten aus dem Jenseits zurück zu holen doch das gelang bei jeder Person nur ein einziges Mal. Sowohl Rin als auch Jaken waren schon einmal von ihm durch die Macht des Schwertes wiederbelebt worden. Und nun musste das Mädchen erneut sterben und er konnte das weder verhindern, noch rückgängig machen.

Tiefe Traurigkeit erfüllte ihn in diesem Moment. Er versuchte sich zusammenzureißen, sich einzureden, dass der Tod dieses Mädchens nichts, aber auch wirklich gar nichts bedeutete, doch es half alles nichts. Er hatte überhaupt nicht gewusst, wie viel ihm dieses kleine Geschöpf bedeutet hatte. Und jetzt war es zu spät. Zu spät, um ihr seine Zuneigung zu zeigen. Irgendwie hatte er sie immer bewundert, denn trotz ihrer Schwäche als einfaches Menschenmädchen hatte sie sich nie vor ihm gefürchtet und war auch immer so voller Lebensfreude gewesen. Sie war einfach noch zu jung zum Sterben.
 

Plötzlich öffnete Rin schwach die Augen.

„Sesshoumaru...”, murmelte sie vor sich hin, das Gesicht schmerzverzerrt.

„Ist schon gut, Rin. Es wird alles wieder gut.” Erstaunlich, wie leicht ihm diese Lüge über die Lippen kam.

„Wie geht es... Jaken...?”, flüsterte das Mädchen, jedes Wort bereitete ihr Schmerzen. Im Augenblick ihres Todes wirkte sie merkwürdig erwachsen.

„Er wird wieder gesund werden”, antwortete Sesshoumaru sofort.

„Und wie geht es... Anis?”, fragte sie weiter.

„Gut...”, murmelte Sesshoumaru, konnte jedoch nicht verhindern, dass seine Stimme etwas zorniger klang.

„Ihr dürft nicht böse mit ihr sein. Ihr liebt sie doch...”, flüsterte Rin, ihr Blick wurde trüb.

Sesshoumaru riss erstaunt die Augen auf. Was hatte sie gerade gesagt?!

„Rin!”, sagte er entschieden, entschlossen ihr diesen Unfug sofort auszutreiben, doch - er konnte nicht. Rins Leben war gleich zu Ende, da wollte er nicht mit ihr schimpfen. Sie sollte in Frieden gehen können...

„Du bist verletzt. Schlaf jetzt”, befahl er stattdessen.

Rin schloss die Augen. Ihr Atem wurde ruhig und gleichmäßig, dann verstummte er ganz. Ihr kleines Herz hörte auf zu schlagen. Sie verließ die Welt ohne Schmerzen und das Letzte; was sie sah, war Sesshoumarus Gesicht, den sie immer so verehrt hatte.

Rin war gestorben.
 

Sesshoumaru spürte nichts mehr. Eine große Leere hatte sich in ihm breit gemacht, denn er wollte nicht trauern. Er wollte Rin so schnell wie möglich vergessen, doch das konnte er nicht.

Was hatte er noch im Leben? Rin war tot, Anis hatte ihn verraten und selbst Jaken lebte nicht mehr. Er hatte nichts mehr, nichts außer seiner Ehre und seinem Stolz. Doch lohnte es sich dafür zu kämpfen? Nein, das lohnte sich nicht. Das, wofür es sich gelohnt hätte, hatte er nun verloren. Doch er würde weiter kämpfen, gegen Naraku, gegen sich selbst und gegen jeden, der sich ihm in den Weg stellte. Er war ja stark. So hatte Rin immer geglaubt. Doch jetzt, in diesem Augenblick, fühlte er sich schwach. Er fühlte sich... verletzbar.

Noch immer hockte er da, die blutüberströmte Rin in seinen Armen, das Mädchen, das er nicht hatte retten können. Doch plötzlich spürte er eine Hand auf seiner Schulter und fuhr herum, bereit sofort zuzuschlagen.

Anis stand hinter ihm.

Wie hatte sie sich ihm unbemerkt nähern können? War er etwa so sehr in Gedanken versunken?

Er roch die Tränen, bevor sie Anis’ Augen verließen. Er sah, wie sie stumm ihre Wangen hinunterrannen. Sie ließ sich neben ihm nieder und starrte auf Rin herab.

„Nein...”, flüsterte sie, kaum hörbar. Ihre Augen weiteten sich entsetzt.

„Anis... Wie bist du so schnell hierher gekommen?”, fragte er erstaunt. Sie war doch auch verletzt...

Anis sah ihn mit einem äußerst merkwürdigen Blick an, so als nähme sie seine Worte nicht ernst.

„Schnell? Sesshoumaru... Du sitzt schon seit Stunden hier! Ich wollte nach dir sehen...!”

Die Worte trafen ihn hart. Seit Stunden? So schnell war die Zeit vergangen? Das hatte er gar nicht bemerkt...

„Sesshoumaru... Komm, lass sie uns begraben.” Es war das erste Mal, soweit sich Sesshoumaru erinnern konnte, dass Anis von ‘uns’ sprach. Ein wenig stutzig machte ihn das schon.

Ihre Worte holten ihn in die Wirklichkeit zurück. Begraben, ja, das sollten sie wohl. Dann hatte er wenigstens etwas zu tun. Er brauchte jetzt etwas zu tun, brauchte eine Aufgabe.

Seltsam war, was er in diesem Moment spürte. Es war... Dankbarkeit. Einfach dafür, dass sie jetzt bei ihm war. Ihre Nähe linderte seinen Schmerz, ja er löschte ihn fast schon aus. Ja, er war Anis dankbar. Dankbar für den Trost, den sie ihm spendete.
 

Als Rin gestorben war, da hatte er gefroren. Es war keine körperliche Kälte, es war eine innere. Diese Kälte hatte ihn schon immer erfüllt, doch unmerklich war sie gewichen, als Rin aufgetaucht war. Bei ihrem Tod war sie wieder da gewesen und er hatte sie als unangenehm empfunden. Doch jetzt... Jetzt war Anis da und die Kälte wich wieder. Er wollte nicht mehr daran denken, dass sie ihn verraten hatte. Das zählte nicht mehr. Es zählte nur, dass sie hier war. Hier, in der Stunde der Trauer, in der er sie brauchte, mehr denn je. Und er wollte nicht zulassen, dass diese Kälte ihn noch einmal erfüllte. Er wollte nicht, dass Anis starb. Nichts wollte er weniger als das. Er wollte nicht noch jemanden verlieren, an dem er so sehr hing wie an Rin, vielleicht sogar noch mehr.

In seinen Ohren hallten die letzte Worte seiner jungen Begleiterin wider:

„Ihr liebt sie doch...”
 

XxX
 

Ihr wolltet es alle nicht glauben...DOCH Anis HAT Sesshoumaru verraten. Sie is halt keine von den 'Guten', das wird bei euch völlig falsch verstanden.

Tja, mein anfängliches Ausrasten versteht ihr jetzt, oder? Ja, ich weiß, ich bin so was von GRAUSAM, ich lass die arme Rin sterben, und JA sie is jetzte wirklich tot un kommt auch nich mehr zurück.

Ich dürft mich jetzt auch alle mit faulen Tomaten bewerfen. (Zum Glück kommen die nicht durch den Combi^^)

Aber ihm müsst auch meine Lage verstehen, wenn man eine ff schreibt, die sich dermaßen hinzieht, dann muss auch ein wenig Tragik rein, sonst wird das Ganze langweilig.

Tja und außerdem wird Sessy dank der Guten Rin endlich begreifen, was er für Anis empfindet. Somit war sie mir als Autorin im Tod nützlicher als am Leben, weil sie sonst über die Jahre hinweg erwachsen geworden wäre, ich die ganze Pupertät schreiben müsste und dabei höchstwahrscheinlich noch ziemlich oft in Versuchung geraten wäre, sie einfach sterben zu lassen. Tja, und hier hats halt grad so gut reingepasst.

Aber ihr könnt mir glauben: Es hat mich wirklich viel Überwindung gekostet, das hier zu schreiben. Ich mag die kleine doch auch...

Der dritte Fluchtversuch

Ihr seid sowas von klasse, jetzt hab ich HUNDERT kommentare zusammen! Das is einfach nur geil, ein großes Lob an euch alle!

Ichmuss zugeben, ich war gemein, ich hab extra gewartet bis es wirklich 100 kommis waren, obwohl ich das kap schon fertig hatte!^^Âber jetzt kriegt ihr was zum Lesen:
 

XxX
 

Langsam legte Anis den letzten Stein auf die kleine Erhebung, wo sich Rins Grab abzeichnete. Es war sehr schlicht, denn hier im Wald gab es nicht besonders viele Möglichkeiten. Jaken hatten sie neben dem Mädchen beerdigt, Anis hatte darauf bestanden. Sesshoumaru war die ganze Zeit über sehr still. Er schien in seinen eigenen, trübsinnigen Gedanken versunken zu sein.

Die junge Frau versuchte sich zusammenzureißen, damit ihr nicht die Tränen kamen.

Rin hatte Blumen so sehr geliebt. Deshalb hatte Anis vorgeschlagen, dass sie doch einige Blumen ausgraben könnten und auf dem Grab einpflanzten. Wider Erwarten hatte Sesshoumaru zugestimmt.

Nun stand Anis auf und sah sich nach einigen passenden Blumen um. Zu ihrer großen Überraschung war es jedoch Sesshoumaru, der sie letztendlich aussuchte.

„Wir nehmen diese hier”, bestimmte er und deutete auf eine Pflanze neben sich.

Erst glaubte Anis einfach, dass er keine Lust mehr zum Suchen hatte, doch dann viel ihr Blick auf das Kraut und sie musste schlucken.

„Bist du...sicher? Das sind doch keine Grabblumen. Sie sehen auch nicht besonders gut aus...”, murmelte sie.

„Nein. Das sind genau die Richtigen. Dieser Geruch...” Er sprach nicht weiter, doch Anis wusste, was er sagen wollte.

Von allen Blumen die hier wuchsen, hatte Sesshoumaru ausgerechnet Lavendel ausgewählt, das Kraut, mit dessen Hilfe sie ihren Geruch überdeckte. Hatte er sie deshalb genommen...?

Sesshoumaru beugte sich hinunter und grub seine Krallen in die Erde. Ungewöhnlich vorsichtig hob er das Kraut samt Wurzeln aus dem Boden und brachte es zum Grab hinüber. Dort angekommen ließ er sich nieder und pflanzte die Blumen ein.

Anis beobachtete ihn dabei erstaunt. In dieser Stimmung hatte sie ihn noch nie erlebt. Er hatte wohl doch noch viel mehr an Rin gehangen, als er je zugegeben hatte. Sofort wurde er Anis ein ganzes Stück sympathischer, auch wenn die Stille sie sehr nervös machte.
 

Zu Ehren der Toten halten einige Leute eine Schweigeminute ein.

Anis und Sesshoumaru schwiegen eine ganze Stunde lang. Sogar Ah-Uhn, der etwas weiter weg auf der Wiese lag, gab keinen Laut von sich. Beide waren in ihren eigenen Gedanken versunken.

Anis machte sich große Vorwürfe. Sie fühlte sich schuldig an Rins Tod. Schließlich hätte sie eigentlich bei ihr sein müssen, um auf sie aufzupassen, wenn es nach Sesshoumaru gegangen wäre. Sie hätte das Mädchen beschützen müssen. Aber das hatte sie nicht. Sie hatte Rin verraten, hatte Sesshoumaru verraten. Sie hatte eigentlich alles verraten, was ihr jemals etwas bedeutet hatte. Auch Kagome. In gewisser Weise hatte sie sich auch selbst verraten. Was Anis getan hatte, widersprach allem was sie je gelernt, was ihre Familie ihr je beigebracht hatte. Anis wünschte, sie wäre nie hierher gekommen. Sie wünschte sich, dass sie nie mit Kagura gegangen wäre. Wie sehr sie ihre Taten doch bereute!
 

Sesshoumaru plagten ebenfalls seine Gedanken. Diese jedoch drehten sich hauptsächlich um Rins letzte Worte: „Ihr liebt sie doch...”

Er hatte das sofort als Unsinn abgetan, doch nun dachte er noch einmal richtig darüber nach. Konnte es vielleicht tatsächlich sein, dass er sich in Anis verliebt hatte!? Immerhin, es wäre eine Begründung für sein Verhalten ihr gegenüber, welches er sich selbst bis heute nicht hatte erklären konnte. Auch versetzte ihm diese Vorstellung einen nicht annähernd so großen Schock, wie es das vielleicht hätte tun sollen. Sicher, er hatte die Liebe immer als das verachtungswürdigste Gefühl aller verspottet, nicht zuletzt auch, weil sein Vater deswegen gestorben war, wegen seiner Liebe zu einer Menschenfrau. Doch nun, wo er sie selbst zu spüren glaubte, konnte er es ihm nicht mehr verübeln, sein Leben für seine Geliebte und ihr Kind geopfert zu haben. Wer weiß, vielleicht hätte er sich genauso entschieden...?

Nun, wenn er sogar schon die Todesart seines Vaters akzeptieren konnte, dann war es wohl tatsächlich um ihn geschehen. Sesshoumaru sah zu Anis herüber. Liebte er sie wirklich? Er betrachtete sie genau, die glitzernden Spuren, die ihre Tränen auf ihrem Gesicht hinterlassen hatten, ihre honigfarbene Haut, die im Sonnenlicht zu schimmern schien und da wusste er plötzlich ganz genau, dass die Antwort ‘ja’ war. Ja, er hatte sich in sie verliebt. Und es machte ihm nicht einmal etwas aus, denn es war ein wunderbares Gefühl, sich diese Tatsache endlich einzugestehen. Es war, als hätte ihm schon immer etwas in seinem Leben gefehlt, etwas, dass ihm nur Anis’ Anwesenheit geben konnte. All seine Vorstellungen von ihr, die einer Verräterin, einer Beute die es zu jagen galt, eines einfachen, schwachen Wesens, einer guten Kämpferin, einem Kindermädchen für Rin - all diese Vorstellungen waren mit einem Mal zerschlagen. Er sah nur noch eine wunderschöne Frau vor sich, eine Frau, in die er sich verliebt hatte. Eine Frau, die er immer bei sich haben wollte, nach deren Nähe er sich sehnte. Ohne die er einfach nicht mehr sein könnte. Seltsam, wie sie ihn verändert hatte...

Rin hatte das Eis im Inneren seines Herzens zum Tauen gebracht und nun war er bei Anis vollkommen dahingeschmolzen. Wieso hatte er es so spät bemerkt? Wieso musste erst so etwas Grauenvolles passieren, bis ihm endlich klar wurde, was er für sie empfand? Er hätte es doch wissen müssen! Vielleicht wäre es dann nicht hierzu gekommen, wenn er sich diese Liebe schon früher eingestanden hätte. Vielleicht würde Rin dann noch leben. Doch alle ‘Vielleichts’ der Welt nutzten ihm jetzt überhaupt nichts. Er sollte dem Mädchen lieber dankbar sein, dass es ihm die Augen geöffnet hatte. Und er sollte ihren Rat beherzigen und Anis nicht böse sein für das, was sie getan hatte. Nun, letzteres würde ihm nicht besonders schwer fallen. Wie konnte er ihr überhaupt jemals für irgendetwas böse sein?

Nun offenbarte sich ihm jedoch die nächste große Frage: Sollte er Anis sagen, was er für sie empfand? Vielleicht verstand sie ihn dann besser, begriff den wahren Grund, warum er sie bei sich behalten wollte. Bisher hatte sie davon, zum Glück, noch nichts mitbekommen. Hätte sie ihn denn verraten, wenn sie gewusst hätte, wie es um ihn stand?

Doch solche Fragen waren unwichtig. Die wichtigste Frage, die er sich stellte war folgende: Gab es Hoffnung, dass Anis ihn auch irgendwann einmal lieben könnte? Sesshoumaru musste schmerzlich feststellen, das die Antwort ‘nein’ war. Wieso sollte sie auch? Es war mehr als dumm, sich solche Hoffnungen zu machen. Sie hatte ihn ja sogar an Naraku verraten... Würde sie dies vielleicht noch einmal tun?

Er musste wieder an diesen Menschen denken, der behauptete hatte, Anis würde ihn heiraten. Damals war er ganz furchtbar wütend geworden. Eifersucht...

Sesshoumaru eifersüchtig auf einen Menschen! Jeden, der vor einiger Zeit noch so etwas behauptet hätte, den hätte er für verrückt erklärt. Nachdem er ihn getötet hätte, versteht sich... Doch jetzt sah die Sache anders aus. Er hatte bis heute nicht herausgefunden, ob Anis diesen Takeo tatsächlich geheiratet hätte. Ob sie ihn geliebt hatte? Er wusste ja auch nicht einmal, woher sie kam. Hatte sie bei sich daheim vielleicht sogar einen Freund? Ihrem Alter zufolge, welches Sesshoumaru nur schätzen konnte, wäre es sogar möglich, dass sie verheiratet war, möglicherweise besaß sie schon eine eigene Familie!

Diese Vorstellung ließ ihn einfach nicht mehr los. Es wäre grauenhaft für ihn, sie bewahrheitet zu wissen. Doch Ungewissheit war noch tausendmal schlimmer! Aber nachfragen wollte er auch nicht. Was würde sie denn sagen, wenn sie von seinen Gefühlen erfuhr? Würde sie wütend werden? Nicht gut. Würde sie wieder fliehen? Schrecklich. Würde sie ihn auslachen? Grauenvoll. Würde sie ihn wie immer behandeln? Das wäre sicher das Schlimmste, was sie ihm antun könnte, denn das hieße ja schließlich, dass er ihr völlig egal war. Nein, es war wohl am wahrscheinlichsten, dass sie wieder abhauen würde. Aber... Würde sie ihn nicht auch so wieder verlassen? Was hatte sie schon für einen Grund, bei ihm zu bleiben? Gar keinen, außer vielleicht der Tatsache, dass sie glaubte, er würde sie umbringen, wenn sie wieder floh. Dabei war das das Letzte, was er tun würde. Aber er konnte wohl vom Glück reden, dass sie das nicht wusste, denn dann würde sie schon lange nicht mehr hier sitzen. Sie war wie ein Vogel, den man nicht einsperren konnte, ohne das er hinaus wollte. Selbst wenn man ihn in einen goldenen Käfig sperren würde...
 

Anis starrte trübsinnig auf das Grab. Doch so traurig ihr Laune auch war, sie wusste, dass es Sesshoumaru noch schlechter als ihr ging. Früher hatte sie nie in seinem Gesicht lesen können und auch jetzt war er für sie ein Buch mit sieben Siegeln. Doch manchmal, wenn sie ihn so unauffällig wie möglich beobachtete, dann sah sie die tiefe Trauer, die er verspürte. Sie sah durch seine Augen, durch den Spiegel der Seele hindurch und hatte das Gefühl, ihm direkt ins Herz zu sehen. Solche Augenblicke gab es sehr selten, aber wenn sie dann einmal da waren, dann konnte sie sehen, dass hinter dieser steinharten Fassade doch ein Herz schlug. Ein Herz, das vielleicht doch nicht nur allein für seinen Besitzer schlug.

Anis musste feststellen, dass sie Sesshoumaru falsch eingeschätzt hatte. Er hatte Rin gemocht und selbst wenn das das Einzige war, worin sie sich glichen: Anis fühlte mit ihm.

Langsam stand sie auf und ging zu dem Youkai hinüber, der einige Meter weiter weg auf dem Boden saß. Als sie hinter ihm stand, zögerte sie kurz, doch dann legte sie ihm sacht ihre Hand auf die Schulter. Es schien ihr falsch, ihn zu berühren, ihn, Sesshoumaru, der ihr so viel Leid gebracht hatte, der so stark und so mächtig war, der sie jeder Zeit hätte töten können und es doch nicht getan hatte.

„Sesshoumaru... Lass uns aufbrechen. Naraku wird für das büßen was er getan hat. Wir werden ihn finden und ihn töten. Lass uns Rin rächen”, startete sie ihren ersten Versuch, zu ihm durchzudringen. Sesshoumaru brauchte eine Aufgabe, ein Ziel, sonst würde er hier festwachsen.

„Wir?”, fragte Sesshoumaru stirnrunzelnd. Seit wann sprach Anis von ‘wir’?!

„Ich weiß, du brauchst meine Hilfe natürlich nicht und ich bin die Letzte, von der du sie annehmen würdest. Aber auch ich habe Rin gemocht und... Naraku hat mich ausgetrickst... Verdammt, nun sieh mich doch nicht so an, es war doch auch für mich nicht leicht!” Unter seinem Blick schrumpfte Anis immer mehr zusammen. Sie fühlte sich extrem unwohl in ihrer Haut.

„Naraku ist bereits außer Reichweite. Sein Geruch ist verschwunden”, antwortete Sesshoumaru gleichgültig.

Da war sie wieder, die Kälte in seinen Augen. Fast schon hatte Anis sie vermisst, der Inuyoukai schien nicht er selbst zu sein, ohne diese Kälte. Sie nahm ihre Hand wieder runter.

„Du sagtest, es war auch für dich nicht leicht. Was war nicht leicht? Auf Rin aufzupassen? Oder mich zu töten?”, fragte er herausfordernd.

Nun war Anis wieder fast den Tränen nah, Tränen der Verzweiflung.

„Es war... Es war nicht leicht dich zu verraten....!”, flüsterte sie schließlich.

„Verrat...! Du würdest mich doch jeder Zeit wieder verraten. Selbst jetzt verrätst du Naraku. Dir kann man wirklich nicht trauen”, sagte Sesshoumaru kalt, doch Anis bemerkte den bitteren Ton nicht.

„Sesshoumaru, bitte! Bitte glaub mir, ich bereue wirklich, was ich getan habe! Ich werde dich nie wieder so verraten, werde nie wieder versuchen, dich zu töten!”, sagte Anis verzweifelt.

„So? Warum?” Er klang kalt, doch die Antwort interessierte ihn wirklich.

„. . . Rin hätte es nicht gewollt”, flüsterte sie.

Natürlich, was sonst. Hatte er wirklich geglaubt, dass sie ihre Tat seinetwegen bereute? Nein, aber er hatte es gehofft...

Der Daiyoukai stand auf und ging an ihr vorbei. Doch bereits nach wenigen Schritten hielt er wieder inne. Ohne sich zu ihr umzudrehen fragte er:

„Wirst du wieder fliehen?”

Eine so einfache Frage, doch Anis konnte sie nicht beantworten. Sie wusste bereits, was sie tun musste, um ihre Schuld an Rin und all den anderen zu begleichen. So viele waren schon wegen ihr gestorben. Rin und Takeo waren nur einige davon. Kagome und deren Freunde hatten leiden müssen, ihre Familie war bestimmt auch schon sauer, dass sie sich so lange nicht gemeldet hatte. Ganz zu schweigen von Inuyasha, dessen Schwert sie noch immer bei sich trug und der sich ohne diese Waffe kaum verteidigen konnte. Sie hatte so viel falsch gemacht und es gab nur eine Möglichkeit, das wieder auszugleichen. Es mochte sein, dass man ihr Vorhaben ‘Flucht’ nennen konnte. Aber darin war sie nun mal am besten, im fliehen. Vielleicht hätte sie öfters einmal da bleiben sollen und gekämpft in ihrem Leben, doch immerhin: So hatte sie bisher überlebt. Doch damit würde bald Schluss sein...

„Anis, antworte mir, wirst du wieder fliehen?!”, fuhr Sesshoumaru sie diesmal etwas schärfer an.

Anis senkte den Kopf. Sie wollte ihm nicht antworten. Doch das war ein Fehler, wie sich nun herausstellte.
 

Sesshoumaru war verzweifelt. Er hatte ihr Schweigen richtig gedeutet, sie würde ihn erneut verlassen. Nichts wollte er weniger als das und so machte sich nun Verzweiflung in ihm breit. Warum konnte sie nicht einfach bei ihm bleiben? Warum konnte sie nicht einfach das selbe empfinden wie er? Wieso musste alles so kompliziert sein?

Anis ließ ihm keine andere Wahl. Er versteckte seine Verzweiflung hinter Jähzorn. Blitzschnell war er bei ihr. Seine Krallen schlossen sich fest um Anis’ Hals. Er hob sie kurzerhand vom Boden ab und nagelte sie an den nächsten Baum. Langsam drückte er zu...
 

Anis starrte ihn entsetzt an. Er war wütend, das spürte sie. Aus seinen Augen sprach eine nie gesehene Kälte. Ihr Hals schmerzte schrecklich, dort wo Sesshoumaru sie gepackt hielt. Er schnürte ihr die Luft ab, sie konnte nicht mehr atmen.

„Du wirst nicht entkommen! Nie wirst du mir entkommen!”, rief Sesshoumaru, seine Augen begannen zu leuchten, zu leuchten in einem strahlendem Rot.

Anis spürte all die Wunden, die sie vom Kampf davongetragen hatte, jetzt wieder mit aller Macht. Sie wusste, dass dies wohl Sesshoumarus Gift zuzuschreiben war, das nun langsam in ihr Blut überging, da der Inuyoukai seine Krallen bis tief unter ihre Haut gegraben hatte. Verdammt, wieso hatte sie die Wunden nicht vorher verbunden?! Sie war zwar nicht tödlich verletzt, doch auf einen richtigen Kampf konnte sie jetzt gut verzichten.

Was auch immer Sesshoumaru gerade für Gedanken im Kopf herumschwirrten, sie waren Anis nicht gut gesinnt. Er ließ ein bedrohliches Knurren hören und grub seine giftigen Krallen noch tiefer in ihr Fleisch. Anis konnte ganz genau spüren, wie sämtliche kleine Wunden an ihrem Körper wieder aufbrachen und zu bluten anfingen. Sie spürte wie sich das Gift durch jede einzelne Zelle ihres Körpers spürte und ihre Kraft schwächte.
 

Plötzlich ertönte nicht weit von ihnen entfernt der Lärm von beschlagenen Pferdehufen, die durch das Unterholz brachen. Sesshoumaru hatte sie schon gerochen, die Menschen. Warum nährten sich hier so viele Reiter?

Noch immer hielt er Anis am Baum fest. Er spürte, wie die Kraft aus ihr wich, aber er ließ sie nicht los.

Der Geruch der Menschen nährte sich, der Lärm wurde immer lauter. Er fing bereits Gesprächsfetzen auf, einzelne Wörter wie: „Alle verwunden!” oder: „Grauenvoll!” Bald hatte sich die Gruppe, es musste eine sehr große Gruppe sein, an die fünfzig Mann schätzte Sesshoumaru, soweit genährt, dass er mehr verstehen konnte.

„Das ganze Schloss ist leer!”

„Das muss das Werk von Dämonen sein!”

„Unsere Krieger werden das regeln.”

„Schloss Tsuwano ist völlig verlassen.”

„Hey, seht mal hier, eine Leiche!”

„Was? Eine Leiche? Wo?”

„Hierher, kommt her! Hier liegt eine tote Frau!”

„Sie hat keinen Kopf mehr!”

Sesshoumaru hatte genug gehört. Diese Menschen hatten wohl Narakus Schloss gefunden und jetzt Kagura entdeckt.
 

Einige Sekunden später tauchten dann die ersten Menschen hinter den Bäumen auf. Sofort riefen sie ihre Kameraden und innerhalb kürzester Zeit strömten 50 bewaffnete Krieger auf die Lichtung hinaus. Sie zückten sofort die Waffen. Da Sesshoumaru noch immer Anis an den Baum geheftet hielt, glaubten sie wohl, er wollte sie umbringen. Mit seinen weißen Haaren hatten sie ihn schnell als Dämon identifiziert, zusammen mit der Tatsache, dass er eine, ihrer Meinung nach schutzlose und verletzte Menschenfrau bedrohte, war für sie Grund genug anzugreifen. Dank ihrer Überzahl fühlten sie sich ihm gewachsen, was ein fataler Fehler war, wie sich bald herausstellen sollte.

Was für Einfaltspinsel!, dachte Sesshoumaru verächtlich. Er ließ Anis wieder herunter, um sich dieser Störung anzunehmen. Diese Würmer sollten wissen, was es bedeutete, einen Daiyoukai zu stören!
 

Anis brauchte etwas länger, um zu verstehen, warum sie Sesshoumarus tödlichem Klammergriff entkommen war. Sie wollte sogleich aufspringen, doch als sie sich erhob, durchzuckte sie ein heftiger Schmerz. Sesshoumarus Gift... Es war nicht so viel wie damals, als er sie von Inuyasha zurückgeholt hatte und es würde wohl auch bald wieder vergehen, aber bis dahin... Anis wurde ganz schwindelig, sie wankte und drohte umzukippen. Sie taumelte noch kurz, doch dann gaben ihre Knie wieder nach. Doch anstatt auf dem harten Boden aufzuschlagen, landete sie weich. Erstaunt hob die Frau den Kopf. Sesshoumaru hatte sie aufgefangen!
 

Sesshoumaru durchzuckte wieder dieses seltsame Gefühl, das er nun endlich identifiziert hatte. Er spürte Anis’ weiche Haut an der seinen und fühlte wieder dieses Verlangen, dieses Verlangen ihr noch näher zu sein, ihre Lippen mit seinen eigenen zu versiegeln.

Doch jetzt war keine Zeit. Er musste sich erst einmal um Mutter Natur’s Schöpfungsfehler kümmern, die da auf sie zugerannt kamen. Behutsam setzte er Anis wieder ab, sah sie noch einmal kurz an und wandte sich dann dem lächerlich kleinen Heer zu.

Der Heerführer gab das Signal zum angreifen und gut ein Dutzend Krieger stürzten sich auf Sesshoumaru. Der aber fuhr seine Energiepeitsche aus und zerriss sie einfach in der Luft. Nun begann der Rest sie einzukreisen. Langsam kamen sie näher. Einer von ihnen stürzte auf Anis zu und wollte sie fortzerren, wahrscheinlich, um sie vor Sesshoumaru zu retten, doch diese ließ das nicht zu und wehrte sich. Eine Sekunde später war der Inuyoukai höchstpersönlich zur Stelle und der Mann sackte mit einem gurgelnden Geräusch in sich zusammen. Weitere Leute stürzten jetzt auf Sesshoumaru zu und stachen mit ihren zahnstocherähnlichen Schwertern auf diesen ein, doch der Daiyoukai ließ sich davon nicht im Mindesten beeindrucken. Immer wieder versuchten einige Männer Anis wegzuziehen, doch das war nicht in Sesshoumarus Sinne und so stapelten sich die Leichen vor Anis immer höher.
 

Bald schon hatte die junge Frau einen Entschluss gefasst: Sie musste weg. Weg von Sesshoumaru. Der Ausdruck in seinen Augen, als er sie aufgefangen hatte, gefiel ihr überhaupt nicht. Schon allein das es da einen Ausdruck gab, war mehr als unnormal. Eigentlich hatte sie erst vor, ihren Plan später auszuführen, doch eine bessere Gelegenheit als diese, wo Sesshoumaru so gut abgelenkt war, würde es wohl kaum geben. Es tat ihr zwar schon ein wenig Leid um die ganzen Menschen, von denen sicher kein einziger überleben würde, doch sie verspürte nicht das gleiche Grauen, wie damals bei Takeo. Sesshoumarus Gesellschaft hatte sie abgehärtet.

Als der Inuyoukai gerade wieder ein paar Männer zerriss, versuchte sie erneut aufzustehen. Diesmal gelang es ihr. Noch wacklig aber trotzdem schon in einem guten Tempo, floh sie aus dem Getümmel. Sesshoumaru war voll und ganz damit beschäftigt, die Menschenmenge immer weiter zu dezimieren, sodass er die Flucht von Anis gar nicht bemerkte.
 

Als schließlich auch der letzte Mensch tot in sich zusammensackte, merkte Sesshoumaru schließlich doch, das Anis nicht mehr da saß, wo er sie zurückgelassen hatte. Vielleicht hatte es doch irgendeiner der Menschen geschafft, sie mitzuschleifen? Nein das konnte nicht sein, er hatte alle ausnahmslos umgenietet. Dann blieb nur noch eine Möglichkeit übrig: Anis musste schon wieder geflohen sein.

Aber warum? Diese Frage hallte in seinem Kopf. War er zu aufdringlich gewesen? Sesshoumaru reckte die Nase in den Wind und schnupperte. Allmählich zog der Geruch von Anis’ Blut an ihm vorbei. Nur ganz schwach, so wie immer, größtenteils waren es wieder nur diese Blumen, die er wahrnahm.

Er sprang in die Luft und machte sich auf sie zu verfolgen. Diesmal hatte sie keinen großen Vorsprung, diesmal würde er sie schnell finden.
 

Anis spürte, wie sich Sesshoumarus Youki nährte. Die Menschen hatten ihn also doch nicht so lange aufhalten können, wie sie anfangs angenommen hatte. Schade. Aber das änderte nichts. Sesshoumaru konnte ihr ruhig auf den Fersen sein, es änderte überhaupt nichts. Denn diesmal floh sie nicht willkürlich irgendwo hin, diesmal hatte sie ein festes Ziel vor Augen. Sie kannte die Landschaft von Japan, hatte ihre Topografie auswendig gelernt. Sie wusste, wo Gebirge an Wälder grenzten und wo die Flüsse ihren Lauf hatten. Ihr Ziel lag im Yamagatagebirge, wie es hier genannt wurde. Es würde nicht mehr lange dauern, bis sie dort angekommen war, nur noch ein paar Minuten...
 

Sesshoumaru runzelte die Stirn. Er ahnte, wo Anis hin wollte. Doch was genau bezweckte sie damit?

In den Yamagatabergen gab es eine besonders tiefe Schlucht, der Todesspalt genannt. Am Grund dieser Schlucht befanden sich meterhohe Stalagmiten, große lange Speere auf Fels, die vom Boden emporwuchsen. Ihre Kanten waren messerscharf. Wer das Pech hatte, in diese Schlucht zu fallen, die so tief war, dass man von oben ihren Grund nicht sehen konnte, der war unweigerlich sofort tot. Entweder getötet durch den harten Aufprall oder - was wahrscheinlicher war - aufgespießt durch die Felsgebilde am Boden.

Was also wollte Anis bei dieser Schlucht? Wusste sie vielleicht gar nicht auf was sie da zurannte? In diesem Fall musste er sie so schnell wie möglich einholen!
 

Anis blickte in die Tiefe. Sie stand am Rande der Schlucht, nur wenige Schritte von unvermeidlichen Verderben entfernt.

Sie dachte an Rin. An Takeo. An so viele andere. An alle, die wegen ihr gestorben waren, seit sie ins Mittelalter gekommen war. Sie wollte diese Schuld nicht ertragen. Diese Schuld, die wie ein hartnäckiges Geschwür festsaß, tief in ihrem Herzen. Sie hatte beschlossen, ihrem Leben ein Ende zu bereiten. So würde sie die Schuld begleichen, die sie auf sich geladen hatte. Was sollte sie auch sonst tun? Die Variante wäre, weiterhin Sesshoumaru zu begleiten, doch für sie war das keine Variante mehr. Sie hatte ihn verraten und sicher hasste er sie nun dafür, auch wenn er sich das nicht anmerken ließ. Und das Schlimmste war: Er hasste sie zu recht. Aber das war jetzt vorbei, Anis musste sich keine Gedanken mehr machen. Mit leichten Bedauern dachte sie an ihre Eltern: Kantashira und Sukerumaru. Und ihre Geschwister, Mitsura und Makotoko. Kurz dachte sie auch noch an ihre verstorbene Schwester, Natasuchi. Es war lange her, seit sie gestorben war. Anis war damals erst etwa sechshundert Jahre alt gewesen. Natasuchi war noch jünger gewesen. In einigen Jahren hätte Anis ihren achthundertsten Geburtstag gefeiert. Doch nun würde das nicht mehr gehen. Sie würde sterben, hier und jetzt, durch den Sprung von einer Klippe. Es war ein ehrenwerter Tod, wenn man sich selbst das Leben nahm, um einem größerem Übel zu entgehen. Ihre Familie würde ihr verzeihen. Wenn sie denn jemals davon erfuhren. Nun würde sie ins Jenseits eingehen, wo ihre jüngere Schwester auf sie wartete. Sie ließ nichts zurück, in dieser Welt, die ihr so fremd erschien. Das Mittelalter in Frankreich, wo sie gelebt hatte, hatte ganz anders ausgesehen. Sie konnte sich nur vage daran erinnern, denn damals war sie ja nicht einmal vierhundert gewesen und damit noch fast ein Kind, eine Teenagerin. Wie alt Sesshoumaru wohl war? Sicher um die neunhundert, etwas älter als sie selbst. Ja, der Daiyoukai war der Einzige, den sie hier zurückließ. Und darüber war sie auch froh, froh dieses letzte Kapitel ihres Lebens abgeschlossen zu haben und ihn hier zurück zu lassen.

In genau diesem Moment hörte sie seine Stimme, die ihren Namen rief. Sie hatte ihn schon lange wahrgenommen, schon lange mitgekriegt wie er ihr gefolgt war.
 

„Anis!”, rief er erneut.

Verdammt, was machte sie da?! Sie stand gefährlich nah am Rand der Klippe, wenn sie nicht aufpasste würde sie dort hinunter fallen!

Anis drehte sich nicht zu ihm um.

„Komm näher, Sesshoumaru. Nur noch ein paar Schritte...”, flüsterte sie leise, doch Sesshoumaru konnte sie ganz genau hören.

Der Youkai war verwirrt. Wieso sagte sie er solle näher kommen? Zögernd trat er einen Schritt auf sie zu, doch noch immer war er mehr als zwanzig Meter von ihr entfernt. Doch zu seinem großen Entsetzen trat Anis jetzt ebenfalls einen Schritt vor, allerdings in Richtung Schlucht! Da begriff er ihre Warnung. Je weiter er auf sie zuging, desto weiter würde sie zurückweichen, bis sie irgendwann keinen Boden mehr unter ihren Füßen hatte.

„Kannst du sie sehen? Kannst du sie sehen, du, mit deinen scharfen Adleraugen? Kannst du die scharfen Felsen sehen, die dort unten auf mich lauern? Kannst du sie sehen? Nein, das kannst du nicht. Du bist zu weit weg und die Schlucht ist zu tief. Aber ich werde sie sehen, gleich werden ich sie sehen, ganz aus der Nähe”, murmelte Anis, mehr zu sich selbst als zu Sesshoumaru.

Langsam fragte sich der Daiyoukai, der natürlich wie angewurzelt an einer Stelle stand, er fragte sich ob Anis nicht vielleicht den Verstand verloren hatte. Sie redete tatsächlich, als wäre sie verrückt!

„Anis, was soll das? Du hast doch nicht im Ernst vor zu springen!?”, rief er leicht panisch aus.

„Doch, Sesshoumaru. Genau das werde ich tun.” Mit diesen Worten trat Anis noch einen weiteren Schritt auf die Schlucht zu. Sesshoumaru war verzweifelt, alles in ihm schrie danach vorzuschnellen, sie zu packen und von dem tödlichen Abhang wegzuziehen. Doch das durfte er nicht, sonst würde sie erst recht dort hinab springen. Stattdessen versuchte er also, auf sie einzureden:

„Anis, lass das! Wieso willst du dein Leben beenden?!”

„Weil es mir nichts mehr wert ist.”, sie trat einen weiteren Schritt vor, „Wegen mir sind Leute gestorben, die ich sehr gern hatte. Ich will meinen restlichen Freunden nicht noch mehr Unglück bringen.”

„Unsinn, niemand ist wegen dir gestorben! Und wenn du... Wenn du das jetzt machst, dann wirst du ihnen doch nur noch mehr Leid zufügen!” Sesshoumaru geriet in Panik, als Anis noch weiter vor trat. Oh ja, sie würde vielen Leid zufügen wenn sie das jetzt durchzog, ganz besonders ihm selbst!

„Von wegen niemand ist wegen mir gestorben! Was ist mit Rin?! Ich hätte bei ihr bleiben sollen! Und Takeo - Auch er ist nur gestorben, weil er mich kannte...”, widersprach ihm Anis.

„Nein... Rins Tod ist auch meine Schuld, ebenso wie der dieses Menschen. Ich selbst habe ihn getötet und auch Rins Tod habe ich nicht verhindern können...”, sagte Sesshoumaru leise, aber dennoch laut genug, das Anis es hören konnte, „Bring dich nicht um für etwas, an dem du keine Schuld trägst!”
 

Anis dachte für einen Moment tatsächlich über seine Worte nach. Doch dann fiel ihr etwas Merkwürdiges auf:

Seit wann war Sesshoumaru so einfühlsam!?

Da musste irgendetwas dahinter stecken. In seiner Stimme fehlte die übliche Kälte! Das war nicht normal, das war absolut nicht normal! Aus seiner Stimme klangen viel zu viele Gefühle und sie war sich doch bisher immer so sicher gewesen, dass er sowas wie Gefühle überhaupt nicht besaß! Sesshoumaru stellte da gerade ihr gesamtes Weltbild auf den Kopf!

Anis schüttelte diese Gedanken ab, das war doch lächerlich. Es hatte sie nicht zu interessieren. Dennoch war es komisch und auch irgendwie unheimlich. War es überhaupt Sesshoumaru, der da zu ihr sprach? Vielleicht war es ja irgendein anderer Dämon, der nur so tat, als wäre er ihr verhasster Feind? Naja, wirklich verhasst war ihr Sesshoumaru ja eigentlich nicht mehr, nicht seit der Sache mit Rin.

„Anis, komm da weg!”, ertönte wieder seine Stimme. Die Stimme, die so anders klang als sonst immer. Sie klang fast normal, wie eben jemand der beobachtete, wie sich einer umbringen will und der es als ganz selbstverständlich ansieht, denjenigen überreden zu müssen, sein Vorhaben abzubrechen. Ja, er klang fast normal. Nur, das Sesshoumaru eben nicht normal war! Er scherte sich doch einen Scheißdreck um sie! Aber dann sollte er sich auch gefälligst so benehmen.

„Sesshoumaru, hör auf damit. Du wirst mich nicht umstimmen können. Meine Entscheidung ist gefällt. Es ist vorbei”, sagte sie leise.
 

Dann trat sie einen großen Schritt vor.

Unter ihren Füßen befand sich nun kein Boden mehr.

Sie fiel.

Die Schlucht war sehr tief und so fiel sie lange.

Doch irgendwann würde auch dieser Fall zu Ende sein und mit ihm auch alles andere.
 

XxX
 

jaja, das musste jetzt einfach sein. Sessy ist so richtig schön verzweifelt, und weiß auch endlich was er für Anis fühlt, wurde aberauch Zeit. tja, er wird eben richtig schön weichgeklopft! Aber keine Angst, ich werde ihn nicht zu einem sentimentalen Vollideoten machen.

Mit den Sinnen eines Menschen

Arrgh, ich habe viel zu wenig Zeit zum Schreiben! Grad mal eine Stunde morgens, da steh ich extra eine Stunde früher auf und dann eine Stunde abens, der Rest is Schule!

Naja, deswegen hat's eben etwas länger gedauert und ein Titel is mir auch ewig nich eingefallen.

Und zu euren Kommis: Ich habe Takeo sterben lassen. Ich habe Rin sterben lassen. Glaubt ihr im Ernst, ich würde davor zurückschrecken auch Anis sterben zu lassen??? ich bin eine grausame Autorin, das dürft ihr nicht vergessen! *fies grins*

Naja, sie stirbt aber trotzdem noch nicht!^^ (REINGELEGT!!!)
 

XxX
 

Sesshoumaru blieb für einen Moment das Herz stehen. Er konnte - wollte - nicht glauben, dass sie es wirklich getan hatte. Für eine Sekunde war er vor Entsetzen wie gelähmt. Doch dann - endlich - schalteten sich seine Reflexe wieder ein.

Sofort stürmte er voran und sprang Anis hinterher. Er als Youkai würde keine Probleme haben seinen Fall zu stoppen, jetzt galt es nur noch Anis rechtzeitig zu erreichen.

Sesshoumaru bemühte sich noch schneller zu fliegen, dem schwarze Abgrund unter ihm schenkte er keinerlei Beachtung. Seine einzige Sorge galt der fürchterlichen Annahme, dass er sie nicht rechtzeitig erreichen könnte. Und diese Sorge war auch ziemlich groß, schließlich hatte er erst vor kurzem begriffen, wie sehr er sie liebte und wollte sie auch unter keinen Umständen verlieren.

Anis hatte ihre Augen geschlossen und bemerkte ihn nicht. Sie fiel immer weiter und schien das geradezu zu genießen! Wie ein Stein stürzte sie zu Boden und wie ein Stein würde ihr Körper auch zerspringen, wenn sie tatsächlich dort ankam!
 

Anis spürte den kühlen Fallwind in ihrem Gesicht. Sie fühlte sich herrlich frei, es war ein tolles Gefühl! Freiheit! Erst jetzt erkannte sie die wahre Bedeutung dieses Wortes. Er war so wunderschön, der freie Fall. Sicher, der Aufprall würde hart werden, aber daran wollte sie nicht ihre letzten Gedanken verschwenden. Diese letzten Gedanken sollten etwas größerem gewidmet sein, etwas wie ... Anis schlug die Augen auf. Sesshoumaru!

Entsetzt sah sie das der Youkai ihr hinterher gesprungen war! Was dachte sich dieser Mistkerl eigentlich?! Er wollte doch nicht etwas tatsächlich...?! Scheinbar doch.

Verflixt, wenn sie beschloss, ihrem Leben ein Ende zu bereiten, dann sollte er das gefälligst akzeptieren! Dieser Misterl! Sie hätte ihn doch umbringen sollen! Na gut, vorher wäre sie wahrscheinlich selbst abgekratzt. Vielleicht gar keine so schlechte Idee...

Doch sie wurde je aus ihren Gedanken gerissen, als ihr Fall ganz plötzlich endete. Das jedoch nicht mit dem erwarteten Aufprall auf steinharten Fels, sondern durch einen heftigen Ruck am Arm.

Mit äußerst unguter Vorahnung blickte sie hinauf und sah genau das, was sie erwartet hatte.

Sesshoumaru hatte ihren Arm gepackt. Er schwebte etwas weiter über ihr mitten in der Luft, was von unten betrachtet recht seltsam aussah.

Anis starrte ihn mit ihrem allerkältesten Blick, der selbst Sesshoumaru selbst alle Ehre gemacht hätte an und flüsterte dann gefährlich leise:

„Lass mich los.”

Doch der Youkai dachte gar nicht daran. Im Gegenteil, jetzt zog er sie sogar hoch, sodass er sie besser halten konnte.

Anis hätte ihm jetzt am liebsten ein Messer in den Bauch gerammt, doch leider hatte sie gerade keins parat und wenn sie erneut von ihren Klauen Gebrauch machte, wie damals als Takeo starb, dann würde sie wieder einen Schwächeanfall erleiden und Sesshoumaru hätte es noch leichter, sie wieder nach oben zu bringen. Soweit wollte sie es jedoch gar nicht erst kommen lassen.
 

Sesshoumaru verspürte unendliche Erleichterung. Er hatte für einen Moment tatsächlich befürchtet, dass er sie nicht mehr rechtzeitig erreichen könnte. Doch er hatte es geschafft, Anis lebte! Mochte vielleicht sein, dass sie ihm nicht dankbar dafür war, aber er hätte es sich nie verzeihen können, wäre sie am Ende doch noch ums Leben gekommen.

Sesshoumaru sah Anis ins Gesicht, die er jetzt wieder im Arm hielt. Sie starrte ihn erstaunlich böse an... Doch dann veränderte sich ihr Blick...
 

Anis hätte kotzen können, aber sie tat es trotzdem: Sie lächelte.

Die junge Frau tat, als wäre sie ihm dankbar, das er sie im letzten Moment noch gerettet hatte. Sanft legte sie ihm ihre Hand, mit der sie ihm am liebsten das Herz herausgerissen hätte, auf seinen Brustpanzer und sah ihn dann möglichst zärtlich und mit den größten Kulleraugen die sie hin bekam an. Jetzt richtete sie sich ein wenig auf, kam seinem Gesicht immer näher und konnte sehen wie seine Augen, in denen sie Erstaunen sah, seine unbewegte Miene verrieten.

„Auf Nimmerwiedersehen, Sesshoumaru”, flüsterte sie ihm ganz leise ins Ohr.

Dann stieß sie sich ab. Mit aller Kraft drückte sie sich von ihm weg, mit beiden Händen gleichzeitig und konnte sich schließlich tatsächlich von ihm befreien. Sie konnte ganz genau spüren, wie überrascht und erstaunt Sesshoumaru darüber war. Ja, wenn man in diesen kriegerischen Staaten etwas erreichen wollte und sei es auch nur den Tod, dann musste man als Frau alle Waffen einsetzen die man hatte. Diese Art von Ablenkungsmanöver wandte sie nicht gerade oft an, aber manchmal war es eben notwendig.

So wie jetzt eben und anscheinend hatte sie auch Erfolg gehabt, denn nun fiel sie wieder...
 

Scheinbar gegen jede Vernunft war Sesshoumaru über ihren erneuten Absturz nicht im Mindesten entsetzt oder besorgt um ihr Leben. Im Gegenteil, er war richtig wütend. Erst machte ihm dieses Luder schöne Augen, nur um ihn abzulenken und ihr Ziel doch noch durchzusetzen. Aber diesmal, das wusste er, würde ihr das nicht gelingen.

Der Youkai machte sich nun überhaupt nicht mehr die Mühe, ihr hinterherzuhetzen. In gemächlichem Tempo schwebte er nach unten...
 

*
 

VERDAMMT!!! Anis hätte heulen können. Wieso konnte sie diese Welt nicht einfach verlassen?! Warum zum Teufel musste sie leben?! Das war einfach nicht fair!!

Anis war nicht gestorben. Sie hatte sich mehrere Rippen gebrochen und ihr rechter Arm stand in einem unnatürlichem Winkel vom Körper ab. Auch hatte sie zahlreiche Prellungen und blaue Flecke. Aber sie lebte. Und diese - äußerst unangenehme - Tatsache hatte sie Sesshoumaru zu verdanken. Er hatte sie doch recht knapp über dem Boden aufgefangen und nur langsam wieder nach oben getragen. Somit war der Höhenunterschied zum Boden der Schlucht nicht groß genug gewesen, um die junge Frau zu töten, nachdem sie sich von Sesshoumaru weggestoßen hatte und auf dem Grund der Schlucht aufgeschlagen war. Aber das sie nicht von einer der Felsnadeln aufgespießt worden war, verdankte sie dann wohl doch eher ihrem maßlosen Unglück. Nun lag sie da, konnte sich keinen Millimeter bewegen, ohne von einem grässlichen Schmerz gepeinigt zu werden und hatte dadurch ziemlich schlechte Aussichten auf einen schnellen Tod.

Um das Fass zum Überlaufen zu bringen, tauchte nun auch noch Sesshoumaru in ihrem Blickfeld auf. Da sie kaum ihren Kopf heben konnte, sah sie zunächst nur seine Schuhe. Am liebsten hätte sie überhaupt nichts von ihm gesehen!

„Man sollte wohl besser nichts überstürzen”, hörte sie nun seine arrogante und überhebliche Stimme. Konnte der nicht einfach die Klappe halten?!

„Halt’s Maul und bring mich um”, murrte Anis ziemlich verstimmt. Nichts war schlimmer, als dabei erwischt zu werden, wie einem ein Selbstmordversuch misslang. Nichts war so demütigend!

Anis konnte den amüsierten Ausdruck in Sesshoumarus Augen nicht sehen, und das war wohl auch besser so. Ihre Beleidigungen beeindruckten den Daiyoukai schon lange nicht mehr.

„Warum sollte ich dich töten? Es ist viel amüsanter, mich an deinem Elend zu erfreuen”, eröffnete er ihr.

Anis knurrte verärgert. Was war das nur für ein widerlicher Typ, dem es Freude bereitete, wenn andere leideten?!
 

In Wirklichkeit hatte Sesshoumaru diese Worte nur ausgesprochen, um seine Maske zu wahren. Er wollte um jeden Preis verhindern, dass Anis erfuhr, was in ihm vorging. Selbst wenn er ihr glauben machen musste, dass sie noch den selben gefühllosen und eiskalt handelnden Youkai vor sich hatte, den sie kennen gelernt hatte. Doch in ihm war ja nun auch noch etwas anderes. Nicht das er zu einem sentimentalen Weichei mutiert wäre! Noch immer erschien er nach außen hin unnahbar, kühl und grausam. Doch während es in ihm früher genauso ausgesehen hatte, waren diese Eigenschaften jetzt nicht viel mehr als eine Maske, wenn er allein mit Anis zusammen war. Nur in Gesellschaft anderer füllte ihn wieder die übliche Kälte aus. Manchmal hasste er diesen Umstand, manchmal war er dankbar dafür. Er durfte sich im Kampf auf keinen Fall von seinen Gefühlen überwältigen lassen!

Doch wenn keine Feinde in der Nähe waren, wenn er mit Anis ganz allein war, dann fiel es ihm mit jedem mal schwerer seine unbewegte Miene beizubehalten.

So war es auch jetzt, als er die junge Frau wieder auf seine Arme lud. Er konnte sich sicher sein, dass sie solch eine Aktion wie eben nicht mehr wagen würde. Zu schwer war sie verletzt und zu schwach war ihr Zustand noch, als das sie noch die Kraft besäßen hätte, sich noch einmal von ihm los zu machen.
 

*
 

Kagome öffnete die Augen. Ihr Kopf tat schrecklich weh, er fühlte sich an, als hätte sich ein Schwarm Bienen darin eingenistet. Vorsichtig stand sie auf und sah sich um. Mühsam versuchte sie sich an das Geschehene zu erinnern und tatsächlich gelang ihr das auch mit einiger Anstrengung. Sofort stellte sich die Frage, warum sie wohl noch am Leben war. Irritiert sah sie sich um und erblickte schließlich auch ihre Freunde, die halb bewusstlos ein wenig weiter weg lagen. Eilig lief sie zu ihnen hinüber. Inuyasha war der Einzige, der noch bei Bewusstsein war, wie sie rasch feststellte. Dennoch hätte sie ihn für einen Moment fast für tot gehalten, denn er saß vollkommen regungslos an einen Baum gelehnt da und starrte mit leerem Blick in den Himmel. Scheinbar hatte er sie nicht einmal kommen hören, denn als sie ihn vorsichtig beim Namen rief, zuckte er zusammen als hätte sie ihm ins Gesicht geschlagen und starrte sie entgeistert an.

„Ka...Ka...Kagome...! Was machst du denn hier?!”, fragte er verdattert, als wäre sie ein Wesen von einem anderen Stern.

Normalerweise hätte sie ihn vielleicht angefaucht und ihm diverse Beleidigungen an den Kopf geworfen, doch das schien ihr jetzt nicht angebracht. Inuyasha sah reichlich verwirrt aus, fast so, als hätte er ein Gespenst gesehen. Was in gewisser Weise sogar zutraf, doch das sollte sie erst später herausfinden.

„Inuyasha, was ist denn nur mit dir los? Und was ist denn passiert, nachdem wir bewusstlos geworden sind? Warum leben wir noch?”, fragte Kagome ihn vorsichtig. Inuyasha murmelte etwas, das sich verdächtig nach: „Scheromma...”, anhörte.

„Wie bitte?”, fragte sie dann auch sogleich nach.

„Sesshoumaru!”, murrte er jetzt etwas deutlicher.

„Wie bitte?!”, sagte Kagome erneut, diesmal jedoch weniger, weil sie den Hanyou akustisch nicht verstanden hatte, sondern eher, weil sie nicht glauben konnte, was sie da hörte.

„Soll das etwa heißen, dass Sesshoumaruvuns da raus geholt hat?”, versicherte sie sich noch einmal, als Inuyasha keine Antwort gab.

Inuyasha brummte irgendetwas unverständliches das sich wie ‘Dieser Mistkerl!’ anhörte, was Kagome einfach mal als ‘ja’ deutete. Wo sonst käme seine extrem schlechte Laune her, wenn nicht von der Demütigung von seinem älteren Bruder gerettet zu werden?! Dies war wohl auch der Grund ,warum Inuyasha gleichzeitig so nachdenklich zu sein schien. Für Sesshoumarus Verhältnisse hatte er Inuyasha anscheinend richtig brüderlich behandelt...

„Aber Inuyasha, das ist doch gut, wenn du dich wieder einigermaßen mit deinem Bruder verstehst”, versuchte Kagome ihn zu beruhigen.

BEEEEEEP! Falsche Reaktion!

„EINIGERMAßEN GUT!? ERST TAUCHT DIESER BLÖDMANN HIER AUF UND SPIELT DEN GROßEN BRUDER, NACHDEM ER ABER VORHER ERSTMAL DAFÜR GESORGT HAT, DAS SICH KEIN SCHWERT MEHR HABE!!!! DIESER HIRNLOSE TYP IST DOCH ERST SCHULD DARAN, DASS ICH TESSAIGA NICHT MEHR HABE! WENN ER ES MIR NICHT WEGGENOMMEN HÄTTE, WÄRE ICH GAR NICHT IN DIESE LAGE GEKOMMEN UND NARAKU WÄRE LÄNGST TOT!!!”

Kagome hielt sich die Ohren zu.

„Ist ja gut, ich hab’s verstanden! Du brauchst mich doch nicht gleich so anbrüllen!”, fuhr sie ihn jetzt selbst äußerst angefressen an.

Inuyasha drehte sich demonstrativ von ihr weg und durchbohrte weiterhin den Himmel mit seinen bitterbösen Blicken.

„Aber ich versteh einfach nicht, warum er mich nicht einfach hat abkratzen lassen!”, flüsterte Inuyasha aufgebracht.

„Naja... Er ist doch immerhin dein Bruder... Meinst du nicht, dass ihm das vielleicht doch irgendwas bedeutet? Schließlich haben wir ihn ja doch recht oft getroffen, aber er hat nie ernsthaft versucht, dich zu töten”, überlegte Kagome laut.

„PAH! Erst,ens ist er mein HALBbruder und zweitens schert der sich einen Dreck um mich!” fuhr er sie erneut höchst unwirsch an.

„Das kann ja nicht sein, sonst, da mach dir mal nichts vor, sonst währst du schon tot! Außerdem: Woher willst du wissen, was er über dich denkt?”, konterte das Mädchen.

„Na hör mal! Er hat mir seine Meinung über mich ja wohl oft genug auf die Nase gebunden! Er hasst Menschen und somit hasst er auch Hanyous, egal ob nun verwandt oder nicht”, legte er fest.

„Und was ist dann bitte mit Rin? Und Anis? Die waren beide Menschen und sie reisen beide freiwillig mit ihm! So schlecht kann er also gar nicht sein.”, protestierte Kagome.

„Sag mal, willst du ihn jetzt etwa auch noch in Schutz nehmen?! Rin ist eine Ausnahme und noch viel zu jung um zu erkennen, was für einen verdorbenen Charakter Sesshoumaru hat. Und Anis haben wir seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Entweder hat er sie schon längst abgemurkst, oder sie ist WIEDER vor ihm geflohen. Deswegen ist er wahrscheinlich auch in letzter Zeit so oft aufgetaucht, weil er sie umbringen wollte und glaubte sie käme zu uns”, behauptete Inuyasha.

Nun kamen Kagome die Tränen.

„Nein, Anis ist nicht tot! Irgendwann werden wir sie wiedersehen, du wirst schon sehn!”, rief sie mit schluchzender Stimme.

„Unsinn, die ist längst mausetot! Wenn wir nur wüssten wo ihre Leiche ist, sie hatte doch einen Juwelensplitter...”, murmelte Inuyasha.

BEEEEEEEP! Falsche Reaktion!

Kagome starrte ihn entgeistert an.

„Inuyasha...!”, knurrte sie gefährlich und setzte ihren eisigsten Blick auf.

Inuyasha lief ein Schauer über den Rücken. Er ahnte, was jetzt kommen würde...

„Nein! Halt, warte Kagome! Ich hab’s doch nicht so gemeint!”, versuchte er sie aufzuhalten, doch es war schon zu spät...

„SITZ! SITZ! SITZ! SITZ! SITZ! SITZ! SITZ! SITZ! SITZ! SITZ! SITZ! SITZ! SITZ! SITZ! SITZ! SITZ! SITZ! SITZ! SITZ! SITZ! SITZ! SITZ! SITZ! SITZ! SITZ! SITZ! SITZ! SITZ! SITZ! SITZ! SITZ! SITZ! SIIIIIIIIIIIIIITZ!!!!!!”
 

*
 

Stöhnend erwachte Anis aus ihrem Schlaf, der kurz nachdem Sesshoumaru sie aufgehoben hatte, eingetreten war. Jeder Zentimeter ihres Körpers schmerzte ganz fürchterlich. Sicher, an diesem Schmerz war sie selbst Schuld und doch machte sie Sesshoumaru dafür verantwortlich. Hätte er ihr ihren Willen gelassen, dann wäre sie jetzt nicht in dieser Lage.

Am schlimmsten waren die Kopfschmerzen. Ihr Schädel fühlte sich an, als ob eine Horde Möchtegernsportler damit Fußball gespielt hätten. Anis hob die Hand und presste sie gegen ihre Stirn, um so das Summen verstummen zu lassen, das in ihren Ohren klang.

Moment mal. Sie hob die Hand???

Das war gut, das war sehr gut, denn es bedeutete, dass sie sich immerhin schon wieder bewegen konnte.

Vorsichtig öffnete Anis die Augen. Über ihr erstreckte sich ein schier endloser Nachthimmel, nur umrahmt von einigen grünen Zweigen. Sie drehte den Kopf, was ihr gerade noch so ohne erneute Schmerzen gelang. Ihr Lebensretter war nirgendwo zu sehen. Na wenigstens etwas.

Anis versuchte sich anzurichten, doch das war ein vergebliches Unterfangen. Der Schmerz ließ sie sofort wieder zurücksinken.

So langsam fragte sie sich doch, wo Sesshoumaru wohl war. So gern sie auch sterben wollte, so ungern würde sie auch von irgendwelchen niederen Youkai zerrissen werden, deren Auren sie hier im Wald überall spürte. Das war eine Frage der Ehre. Nie würde sie ihren Körper und ihr Fleisch den hungrigen Mäulern duzenden von minderwertigen Kreaturen zum Fraß vorwerfen! Lieber würde sie - ähm, ja... ‘Sterben’ passte da wohl nicht so ganz.
 

„Bleib liegen. Du brauchst viel Ruhe, sonst verschlechtert sich dein Zustand noch mehr”, ertönte plötzlich eine Stimme, die Anis dank dem kühlen Tonfall sofort einordnen konnte.

Aber warum hatte sie nicht bemerkt das er gekommen war? Verdammte Menschen! Wieso konnten sie nicht wenigstens ein bisschen schärfere Sinne haben?!

„Wie lange hab ich geschlafen?”, fragte sie den Youkai, den sie noch immer nicht sehen konnte, es sei denn sie hätte sich den Hals verrenkt um nach hinten zu sehen.

„Drei Tage”, war die Antwort.

DREI TAGE?! Anis war schockiert. So lange hatte sie noch nie am Stück durchgeschlafen!

Plötzlich spürte sie, wie eine starke Hand ihren Oberkörper leicht anhob. Der Schmerz durchzuckte sie wieder, doch sie ließ es zu, dass er ihr half, sich aufzurichten.

Sesshoumaru setzte sich hinter sie, sodass Anis sich an ihn lehnen konnte, da sie sich noch immer nicht selbst aufrecht zu halten vermochte. Er reichte ihr eine hölzerne Schale, in der sich eine Auswahl an Wurzeln, Knollen und anderen Pflanzen befand.

„Hier, iss. Du brauchst jetzt etwas Nahrung um wieder zu Kräften zu kommen”, sagte er.

Anis hätte fast geschmunzelt. Sesshoumaru schien nur zwei Stimmlagen zu kennen: kalt und ausdruckslos. Wobei letzteres noch am freundlichsten war.

Während sie Sesshoumarus mitgebrachtes Essen verzehrte und sich gleichzeitig wieder darüber ärgerte, dass sie sowas wie Nahrung tatsächlich nötig hatte, wunderte sie sich etwas darüber, das er scheinbar nicht vergessen hatte, das sie eine Vegetariern war.
 

Am nächsten Morgen war Anis schon wieder fast vollkommen genesen. Der Schlaf und das Essen am vorherigen Tag, hatten ihr sehr gut getan. Sesshoumaru beobachtete mit einer gewissen Zufriedenheit, dass ihre Bewegungen wieder so geschmeidig und für sie wohl auch schmerzlos, wie vor ihrem Sturz waren. Sesshoumaru hatte ihr zur Sicherheit, falls sie einen erneuten Selbstmordversuch planen sollte, ihre Waffen abgenommen. Tessaiga und Klingenecho waren an Ah-Uhns Sattel verstaut und ihre Messer hatte er ebenfalls beschlagnahmt.

Es war sehr schwer zu erraten, was in ihr vorging. Sie schien sich fast schon... Zu langweilen. Die meiste Zeit über saß sie bei Ah-Uhn, der inzwischen wieder zu ihnen gestoßen war. Stundenlang beschäftigte sie sich damit, dem Drachen winzige Zöpfe in die struppige Mähne zu flechten. Sesshoumaru kümmerte sich nicht darum. Er hatte seine Suche nach Naraku fortgesetzt. Jetzt, da Rin nicht mehr da war, machten sie kaum noch Pausen. Wenn Anis keine Lust mehr zum Laufen hatte, oder sich etwas ausruhen wollte, dann setzte sie sich einfach auf Ah-Uhns Rücken und ließ sich von ihm tragen. Oft reisten sie die ganze Nacht durch. Selten blieben sie stehen, damit der Drache ein wenig weiden konnte oder sich in der Nacht doch mal schlafen legte.

Bei einer dieser seltenen Pausen, machte Anis einen Ausflug in den Wald hinein, um ihren knappen Nahrungsvorrat wieder etwas aufzufrischen. Sesshoumaru begleitete sie wortlos, da er in der Nähe Menschen roch.
 

Anis blieb kurz stehen. Irrte sie sich, oder...? Nein, da roch es tatsächlich nach Feuer. Sie beschleunigte ihre Schritte und achtete gar nicht auf den Youkai hinter ihr. Sie tat immer ihr Möglichstes, um sich seine Anwesenheit wegzudenken und ihn zu ignorieren. Er bewachte sie immer auf Schritt und tritt und ließ sie nie aus den Augen. Das war durchaus berechtigt, denn Anis hatte den Gedanken an Selbstmord noch lange nicht aufgegeben. Doch sie wollte, das er ihren Tod nie wieder vergessen würde. Sie wollte vor seinen Augen sterben und es auskosten, das er nicht derjenige gewesen war, der sie getötet hatte. Sie wollte, dass er nicht die geringste Chance hatte ihren Tod zu verhindern. Auf ewig sollte ihr Geist ihn verfolgen und verfluchen! Nie wieder sollte er das Bild vergessen, das sie ihm bieten würde. Sie wartete nur noch auf den richtigen Augenblick. Und natürlich darauf, das Sesshoumaru ihr endlich ihre Waffen wieder gab!

Anis kämpfte sich durch das letzte Gebüsch und trat schließlich auf eine Lichtung raus. Ihr bot sich ein nicht gerade angenehmes Bild. Auf der Lichtung hatten Menschen eine kleine Holzhütte gebaut. Diese war jedoch bis auf die Grundmauern abgebrannt. Dicker Rauch verhinderte die Sicht ins Innere.

Vorsichtig betrat Anis die Ruine. Die Bretter knarrten unter ihren Füßen und eh sie sich versah, brach der Boden ein. Anis schrie kurz auf, als sie fiel. Dennoch kam sie nicht unten an, denn Sesshoumaru hatte blitzschnell reagiert und sie am Arm gepackt. Nun baumelte sie frei in der Luft. Der Youkai wollte sie gerade hochziehen, da sagte die junge Frau eilig:

„Nein, warte! Lass mich bitte los. Ich hab da unten etwas gehört.”

Der Boden des Kellers, oder was auch immer das hier war, befand sich nur einige Zentimeter unter ihr, also landete sie sicher auf beiden Beinen, als Sesshoumaru sie losließ.

Anis sah sich stirnrunzelnd in dem engen Raum um. Sie hätte schwören können, dass sie hier eben noch etwas gehört hatte. Verflucht, im Dunkeln konnte sie kaum etwas erkennen!

Über ihr, am Rand des Loches, welches sich in etwa zwei Meter Höhe befand, konnte sie Sesshoumarus Gesicht ausmachen. Er wirkte ungeduldig.

Noch einmal lauschte sie in die Dunkelheit und da hörte sie das Geräusch tatsächlich noch mal: Ein leises, kaum zu vernehmendes Wimmern.
 

Langsam ging Anis in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Ihre Augen gewöhnten sich allmählich an das Dämmerlicht. Nun konnte sie in der finstertersten Ecke des Raumes eine kleine, zusammengekrümmte Gestalt erkennen. Vorsichtig beugte sie sich herunter, um das ‘Etwas’ näher zu betrachten. Überrascht stellte Anis fest, das dieses ‘Etwas’, ein Hund war. Ein kleiner Welpe, dessen Fellfarbe wegen dem ganzen Ruß gar nicht zu erkennen war.

Wieder stieß der Kleine ein leises Wimmern aus und wich vor ihr zurück. Anis sprach so beruhigend wie möglich auf das verängstigte Tier ein. Es roch nach verbranntem Fleisch und versengtem Haar. Der Welpe war anscheinend die ganze Zeit in diesem Keller gewesen, während draußen ein Feuer die trockene Holzhütte in eine Ruine verwandelte. Ein dickes Lederband, das um den Hals des Hundes lag, bestätigte ihre Vermutung. Viele Bissspuren waren daran zu sehen und zeugten von der Verzweiflung des verletzten Tieres, das zu schwach gewesen war, um sich zu befreien. Seine Besitzer hatten den Welpen hier vergessen, als sie vor dem Feuer geflohen waren.

Anis wollte gerade ihr Messer aus der Tasche holen, als ihr einfiel, dass Sesshoumaru ihr dieses ja abgenommen hatte. Auch ihre Schwerter hatte sie nicht zur Hand. Oh wie sie diesen aufgeblasenen Youkai hasste, dafür das er sie entwaffnet hatte! Das kam doch nun wirklich einem Diebstahl gleich!

Also versuchte sie jetzt, das unmenschlich enge Halsband ohne Hilfsmittel zu entfernen. Ihre Wut auf die früheren Besitzer des Welpen steigerte sich, als sie sah wie sehr das Leder dem armen Tier ins Fleisch geschnitten hatte, bei dessen vergeblichen Versuchen sich zu befreien.

Es dauerte eine Weile, bis sie es schaffte den Knoten zu lösen. Vorsichtig hob sie den Welpen hoch, der noch immer leise winselte. Beruhigend strich sie ihm über den Kopf. Doch das Tier würde immer verstörter und wollte sich aus ihrem Griff befreien. Nach einigen Momenten bemerkte Anis, dass der Welpe nicht vor ihr, sonder vor etwas Angst hatte, das sich hinter ihr befand. Sofort wirbelte sie herum - und prallte fast gegen einen schwarzen Brustpanzer, der sich da vor einer Minute sicher noch nicht befunden hatte. Sie hatte gar nicht bemerkt, das Sesshoumaru ebenfalls hier herunter gekommen war. Verfluchte Menschen!

Der Youkai hatte einen extrem eisigen Blick aufgesetzt. Anis lief ein unangenehmer Schauer über den Rücken. Wie er da so stand, halb im Dunkeln verborgen, mit den Schwertern an der Seite und diesem grausamen Gesichtsausdruck, da wirkte er geradezu beängstigend. Vorsichtig wich sie einen Schritt vor ihm zurück. Sie wagte nicht ihm ins Gesicht zu sehen. Sie wollte diesen kleinen Hund retten, der mit diesen Verletzungen sicher sterben würde, wenn man ihm nicht half. Sie wollte ihn mitnehmen und ihn pflegen, doch die junge Frau wusste auch, dass sie dazu Sesshoumarus Erlaubnis brauchte. Sie konnte sich nicht erinnern, ihn jemals um einen solchen Gefallen gebeten zu haben, doch nun musste sie es tun.

„Sesshoumaru... Dieser Welpe ist schwer verletzt. Darf ich ihn mitnehmen und mich um ihn kümmern?”, flüsterte sie zaghaft. Die Situation gefiel ihr überhaupt nicht. Sie wollte etwas von ihm und musste sich seinen Entscheidungen unterwerfen. Das gefiel ihr ganz und gar nicht!

Sesshoumarus Blick wurde, soweit das überhaupt möglich war, noch eisiger. Doch dann wandte er sich mit unbewegter Miene um.

„Tu, was du nicht lassen kannst.”

Anis atmete erleichtert aus. Eilig folgte sie dem Daiyoukai, der Anstalten machte, den Keller wieder zu verlassen. Bestürzt besah sie sich das Loch in der Decke. Es lag so hoch... Mit den Fähigkeiten eines Menschen könnte sie niemals senkrecht da hoch springen... Verfluchte Menschen!

Aber sie wurde je aus ihren Gedanken gerissen, als sich auf einmal ein Arm um ihre Hüfte legte. Erstaunt sah sie sich zu Sesshoumaru um, der jetzt fester zupackte. Bereits eine Sekunde später standen sie oben am Rand des Loches und der Youkai ließ sie wieder los. Anis errötete kurz, erstickte dann jedoch alle Gedanken die mit jeglichen arroganten, kaltherzigen, überheblichen, grausamen...gutaussehenden und geheimnisvollen Youkais zu tun hatten bei Seite und begab sich lieber rasch zu Ah-Uhn. Selbst die Gesellschaft eines zweiköpfigen Drachens und eines halbtoten Hundes war ihr jetzt lieber als die des... anderen Hundes.
 

Wie sich herausstellte, war der Hund in Wirklichkeit eine Hündin. Anis mochte sie sehr und gab ihr den Namen Arekisu. Dank der fürsorglichen Pflege der jungen Frau heilten die Wunden ihres Schützlings sehr schnell.

Die Gruppe hatte sich rasch nach dem Auftauchen des Welpen wieder auf den Weg gemacht und drei Tage später kamen sie an einen schmalen Fluss, dessen Wasser noch nicht ganz so kalt war. Anis kämpfte sich geschlagene drei Stunden damit ab, sämtlichen Schmutz aus Arekisus Fell zu schrubben. Nun konnte man auch endlich wieder erkennen, was für eine niedliche und hübsche kleine Hündin Arekisu doch war. Sie hatte weiche Schlappohren und die treuesten Kulleraugen, die Anis jemals gesehen hatte. Ihr Fell war schwarz und sehr lang, weswegen es sich in flauschigen Locken kringelte. Auf der Stirn und unter der Schnauzte am Hals hatte sie je einen weißen Fleck. Da sie noch ein Welpe war, benahm sie sich auch dementsprechend tollpatschig. Arekisu wollte gar nicht von Anis’ Seite weichen und hielt auch immer einen respektvollen Abstand zu Sesshoumaru. Auch von Ah-Uhn hielt sie sich anfangs noch fern und es dauerte eine Weile bis Anis es schaffte, dass die Hündin ihre Scheu vor dem Drachen überwand. Bereits nach einer Woche, in der Arekisu um einiges gewachsen war, tollte sie fröhlich um den zweiköpfigen Drachen herum.

Aber Anis wusste, dass sie sich nicht ewig um ihre kleine Freundin kümmern konnte. Noch immer hatte sie nicht vor, am Leben zu bleiben und hätte sie nur einen Gegenstand der scharf genug war in der Hand gehabt, dann würde sie jetzt sicherlich schon tot sein. Aber Sesshoumaru traute ihr noch immer nicht und ihre Waffen waren weiterhin beschlagnahmt. Deswegen versuchte sie auch so unbeschwert wie möglich auszusehen, als würde Arekisu ihre Selbstmordgedanken hinfort wischen. Tatsächlich sah sie sich jedoch bereits nach jemanden um, der nach ihrem Ableben für die Hündin sorgen konnte. Wer käme da schlechter infrage als Sesshoumaru? Aber er war auch gleichzeitig der Einzige, der infrage kam. Verdammt, jetzt wollte sie schon wieder was von ihm! Sie musste echt aufpassen, das sie nicht irgendwann noch einmal ernsthaft in seiner Schuld stand. Verfluchte Menschen, dass sie so etwas nötig hatten!
 

Einige Tage lang wartete sie auf die richtige Gelegenheit, die sich jedoch einfach nicht bieten wollte. Sie grübelte auch stundenlang darüber nach, was sie überhaupt sagen sollte, während sie auf Ah-Uhns Rücken saß, gedankenverloren auf Sesshoumarus Rücken starrte, der vor ihr her lief und dabei Arekisu hinter den Ohren kraulte, die ihren Platz neben ihr hatte. Doch nach einiger Zeit gab sie auch das auf. Sie konnte sich einfach nicht konzentrieren. Schuld daran war hauptsächlich Ah-Uhns Gestank, der wahrscheinlich vor einem halben Jahrtausend zum letzten Mal gebadet hatte. Apropos baden... Hatte sie nicht hier in der Nähe irgendwo einen See gesehen? Vielleicht sollte sie den Drachen tatsächlich einmal dorthin mitnehmen und ihm einmal den Dreck von den Schuppen kratzen? Das wäre auf jeden Fall sinnvoller als auf der Suche nach einem gebärfreudigen Vollidioten durch diese niedere-Youkai - verseuchte Pampa zu latschen. Sesshoumaru musste der Gestank seines Haustieres (sie hat ja jetzt ein eigenes) doch auch langsam auf die Nerven gehen, schließlich war er doch ein Inuyoukai und hatte damit einen ziemlich feinen Geruchssinn. Sicher würde er erlauben, dass sie... Moment, halt! Dazu bräuchte sie schon wieder seine Erlaubnis und so was hatte sie sich doch eigentlich abgewöhnen wollen! Arrgh, verflucht, wieso kam sie nur immer häufiger in solche Situationen!? Es wurde wirklich langsam Zeit das sie das alles hinter sich ließ. Und dann würde sie sich aber was Besseres einfallen lassen als nur ein Sprung von einer Klippe!
 

XxX
 

Jaja, sie hat ihre Selbstmordidee noch nicht aufgegeben. Das gibt mir als Autorin die Möglichkeit, sie dann zu entfernen wenn ich will! *nyarararara*

ich fürchte aber, das das nächste kap noch etwas länger auf sich warten lässt, als schon dieses hier. Aber nächste Woche hab ich endlich Ferien, hoffentlich komm ich da zum Schreiben.

Wiedersehen

Oh, ich weiß, es hat diesmal richtig lange gedauert. ich wollt das Kap schon gestern reinstellen, aber dann hab ich micht dazu entschieden es etwas länger zu machen und euch dafür noch einen Tag schmoren zu lassen.

Ich hab euch ja versprochen, das jetzt jemand stirbt. Aber ich bin einfach nicht dazu gekommen. Ich heb es mir also für's nächste kap auf, seit nicht böse (oder eher, freut euch nicht zu früh^^). Es ist zwar wieder nur ein Übergangskapitel, aber ich denke es wird euch gefallen. Anis lässt diesmal ir Temperament los und das bekommt den Betreffenen gar nicht gut!
 

XxX
 

Anis spülte noch den letzten Rest Schaum vom Duschbad, dass sie noch aus der Neuzeit besaß, von den Schuppen des Drachens. Nun war Ah-Uhn endlich sauber und das merkte man auch. Nicht nur der Gestank hatte nachgelassen, seine Schuppen waren nicht mehr so matt und grün-braun, sondern glänzten in der Sonne mit einem beruhigendem Dunkelgrün. Seine sonst so struppige Mähne war jetzt seidig glatt und das schmutzige Braun hatte sich in einen dunklen Beigeton verwandelt.

Zufrieden betrachtete Anis ihr Werk. Ah-Uhn grunzte wohlig, auch ihm hatte das Bad gefallen. Die junge Frau führte den Drachen wieder aus dem Wasser heraus. Sie legte ihm Sattel, Zaumzeug und zur Sicherheit auch noch die beiden Maulkörbe wieder an. Erst dann sah sie sich suchend nach dem Rest der Gruppe um.
 

Sesshoumaru beäugte die junge Hündin misstrauisch. Seit einer geschlagenen Stunde saß sie ihm völlig regungslos gegenüber und starrte ihn unverwandt an. Anis war noch immer nicht in Sichtweite, sie wusch Ah-Uhn noch mit diesem merkwürdig riechenden Gel, das bei der Berührung mit Wasser seltsamerweise eine große Menge an Schaum produzierte. Der Geruch des Drachen war aber auch wirklich schrecklich gewesen, weshalb er sich auch überhaupt erst zu einer Pause herab gelassen hatte.

Eine Bewegung der Hündin riss Sesshoumaru aus seinen Gedanken. Das Tier kroch langsam auf ihn zu, war jetzt nur noch einen knappen Meter entfernt. Der Youkai überlegte kurz, ob er sie fort scheuchen sollte, ließ es dann aber doch und musterte sie nur weiter kritisch. Die Hündin presste sich fest auf den Boden, als erwartete sie Schläge. Nach einigen weiteren Minuten wurde sie jedoch mutiger und hob ein wenig die Schnauze. Nun endlich begriff Sesshoumaru, was dieses Tier überhaupt von ihm wollte und er unterdrückte ein Schmunzeln.

Arekisu war nun einmal ein Hund und als solcher wollte sie ihre Nase im wahrsten Sinne des Wortes überall hinein stecken. Sesshoumaru war - von Ah-Uhn und Anis einmal abgesehen - die einzige Person in ihrem momentanen Umfeld. Nun wollte sie wohl endlich mal seinen Geruch aufnehmen, um ihn auch wirklich in jedem Falle wiederzukennen. Da Sesshoumaru ein Hundedämon war und somit, wenn auch nur Kleinigkeiten, mit Arekisu gemeinsam hatte (was er natürlich bestritten hätte), wusste die Hündin natürlich instinktiv, dass der Inuyoukai einen weitaus höheren Rang als sie selbst hatte. Deswegen traute sie sich auch nicht näher an ihn heran, wenn er es nicht erlaubte.

Kurz zögerte Sesshoumaru noch, doch dann streckte er die Hand nach dem Hund aus. Arekisu zuckte zusammen und wollte erst davonlaufen, besann sich aber dann eines Besseren und kam zögernd noch ein wenig näher. Vorsichtig beschnüffelte sie die ihr angebotene Hand, jederzeit bereit, sich aus dem Staub zu machen. Sesshoumaru beobachtete dies belustigt. Wenn man es genau nahm, dann war dieser Welpe ja doch ganz niedlich. Sie erinnerte ihn an Rin. Während Sesshoumarus Gedanken zu dem toten Mädchen abschweiften, wurde sein Blick noch verschlossener...
 

Nach einer kleinen Weile fand Anis schließlich den Rest ihrer kleinen Truppe, doch das Bild das sich ihr bot, verwunderte sie dann doch etwas. Sesshoumaru saß aufrecht an einen Baum gelehnt und bei ihm war auch Arekisu. Die Hündin hatte sich doch tatsächlich vertrauensvoll direkt neben den Youkai gelegt. Fast wie eine Katze schmiegte sie sich an Sesshoumaru. Das Bild war einfach zu süß! Die Tatsache, dass der Inuyoukai ihren Schützling nicht forts cheuchte, erklärte Anis zum achten Weltwunder.

Als Arekisu sie entdeckte, sprang sie sofort auf und kam ihr schwanzwedelnd entgegen. Anis begrüßte die schwarze Hündin fröhlich und kraulte sie kurz hinter den Ohren. Doch dann wanderte ihr Blick wieder zu dem Daiyoukai, der sich kein Stück bewegt hatte und auch sonst keine Reaktion auf ihr Kommen zeigte.

Anis erfasste nun endlich die langersehnte Gelegenheit mit ihm zu reden und trat näher an den Youkai heran.
 

Sesshoumaru tat sein Möglichstes, um Anis zu ignorieren. Selbst als sie sich zögernd neben ihn setzte, schaute er nicht auf. Der Hund gesellte sich wieder zu ihnen und legte sich zwischen die beiden. Sesshoumaru hatte nichts dagegen. Es war ihm gleichgültig, wo sich der Köter aufhielt! Doch bei gewissen anderen Personen, traf das nicht zu...

„Sesshoumaru, ich muss mit dir reden. Es geht um Arekisu”, begann Anis leise. Sesshoumaru antwortete nicht. Seine Gedanken schweiften bereits wieder ab...

„Ich wollte dich fragen, ob du dich um sie kümmern kannst, wenn... Wenn ich irgendwann einmal nicht mehr dazu in der Lage sein sollte.”

Was für eine Frechheit! Das sie selbst aus dem Leben scheiden wollte - immer noch - das ahnte er ja schon lange. Aber es ihm auch noch derart offensichtlich unter die Nase zu binden, das war doch wohl ungeheuerlich!

„Ich denke, es gibt keinen Grund, warum dieser Fall eintreten sollte”, antwortete er kühl.

„Ich möchte dich dennoch darum bitten”, erwiderte Anis mit gesenktem Blick. Arekisu sah von ihrer Herrin zu Sesshoumaru und wieder zurück. Sie verstand kein Wort und wusste nicht, das hier gerade über ihre Zukunft entschieden wurde.

Sesshoumaru fühlte sich merkwürdig. Anis bat ihn um etwas. Ihn! Ihn, der in ihren Augen doch für das ganze Leid zuständig war, welches in ihrem Innerem herrschte. Nun sah er sie doch direkt an. Ihre grünen Augen, die ebenso kühl blicken konnten wie seine eigenen, hatten einen entschlossenen Ausdruck. Wie konnte er diesen Augen widerstehen? Diesen wunderschönen Augen... Wie könnte er ihnen eine Bitte abschlagen?

Er wollte, dass diese Augen wieder lächeln konnten. Doch Anis lächelte kaum noch, seit der Sache mit Rin. Und wenn sie es doch tat, dann war es ein trauriges Lächeln. Nie galt dieses ihm, ob nun traurig oder nicht. Wie auch? In ihren Augen war er ein Mörder. Mörder... Er begann dieses Wort zu hassen. Warum konnte sie nicht einfach mal lächeln? Sie tat es so selten. Wenn sie nur etwas fröhlicher wäre...

„Ich werde dir deine Bitte erfüllen.”
 

*
 

Was war passiert?

Diese Frage stellte Naraku sich immer wieder. Wenn er doch wenigstens noch Kanna gehabt hätte, die hätte ihm zeigen können, wo sich seine Feinde gerade befanden. Aber so... Und Kagura konnte nicht einmal ein kleines Menschenmädchen töten ohne dabei selbst draufzugehen! Nutzloses Ding. Aber eigentlich hatte er ja auch mit ihrem Tod gerechnet. Doch er hatte sicher nicht damit gerechnet, dass sein anderer Abkömmling und die hundert Dämonen, die wohlgemerkt auch noch das Schwert Tessaiga auf ihrer Seite hatten, Sesshoumaru nicht herausragend schwächen, geschweige denn töten konnten.

Was also war da passiert?

Diese Frau, die hier bei ihm aufgekreuzt war, mit der Absicht Sesshoumaru zu verraten - hatte sie sich letztendlich doch wieder auf die Seite seines Feindes geschlagen? Vermutlich. Menschen waren recht wankelmütig. Das Inuyasha und dessen Gruppe entkommen waren, hatte er inzwischen auch schon erfahren. Doch sie schienen sich nun etwas zurückgezogen zu haben. Anscheinend hatte es sie abgeschreckt, dass er sie beinahe getötet hatte. Gut so. Mit ihnen würde er sich später beschäftigen.

Sein größtes Problem war noch immer Sesshoumaru und seine weibliche Begleitung könnte jetzt auch noch seine Pläne behindern. Vorausgesetzt, ihm würde endlich ein Plan einfallen!
 

*
 

Sesshoumaru gab an diesem Morgen erst sehr spät den Befehl zum Aufbruch. Er schien es überhaupt nicht eilig zu haben, denn bereits mit Einbruch der Dunkelheit, die dank dem nahenden Winter schon recht bald kam, hielt der Youkai wieder inne. Anis konnte sich den Grund zuerst nicht erklären. Ah-Uhn hatte letzte Nacht genug geschlafen und sie selbst war auch ausgeruht. Selbst Arekisu war noch munter. Außerdem bezweifelte sie natürlich auch sehr stark, das Sesshoumaru jetzt schon müde war. Doch nach einiger Zeit erkannte sie schließlich doch des Rätsels Lösung, welche sich durch ein lautes „SITZ!” bemerkbar machte. Sesshoumaru änderte abrupt die Richtung und wandte sich nach links, weg von der Stimme. Auch Anis ahnte jetzt, wer dort hinten war, sie hatte Kagomes Stimme erkannt. Wie lange hatte sie sie nicht mehr gesehen...? Aber Sesshoumaru würde ihr wohl kaum erlauben, zu ihrer Bekannten zu gehen und eigentlich hatte Anis auch keine wirkliche Lust darauf, sie alle wieder zu sehen. Schließlich hegte sie auch eine gewisse Abneigung gegen Inuyasha und auch der Daiyoukai vor ihr schien seinen Halbbruder nicht treffen zu wollen. Also folgte die junge Frau ihm, ohne ein weiteres Wort zu sagen.

Leider hatte sie die Rechnung ohne Arekisu gemacht, die Kagomes Ausruf ebenfalls gehört hatte und nun prompt neugierig auf die entfernte Gruppe zumarschierte. Anis lieb fast das Herz stehen, als die Hündin jetzt auch noch laut bellend auf sich aufmerksam machte.

„Psst!”, zischte sie und wollte Arekisu zurückhalten, die jedoch unbeirrt weiter trottete.
 

„Das du dich nicht schämst!”, kreischte Kagome aufgebracht.

„Aber Kagome, was hast du denn?! Der Mistkerl hat es doch verdient, dass-”, stotterte Inuyasha, kam aber nicht sehr viel weiter.

„WAS SOLL DAS HEIßEN?!”, fuhr sie ihn erneut an.

Inuyasha war einfach unverbesserlich. Kaum war ihm der Geruch seines Halbbruders in die Nase gestiegen, da wollte er sich auch schon aufmachen, um diesen umzubringen. Die Tatsache, dass Sesshoumaru sie einige Tage zuvor noch vor dem endgültigen Tode gerettet hatte, vollkommen außer Acht lassend. Typisch! Kagome hatte es ja noch nie so richtig gefallen, dass sich Inuyasha mit seinem Halbbruder bekämpfte. In ihren Augen gehörte sich das einfach nicht. Aber sie hatte es auf Grund Sesshoumarus Charakter dann doch durchaus verstanden, schließlich hatte er mehrmals versucht, sie zu töten. Dennoch waren ihr im Laufe der Zeit doch einige Zweifel an diesen Tatsachen gekommen: Sesshoumaru war einfach zu stark um sich von ihnen besiegen zu lassen. Zweifellos hatte er seinen Halbbruder immer laufen lassen. Hinzu kam natürlich auch die Tatsache, dass er Rin bei sich aufgenommen hatte und später auch Anis. Noch ein Punkt, der für ihn sprach.

Inuyasha sollte ihm verdammt noch mal dankbar sein, schließlich verdanke er ihm sein Leben! Aber nein, er wollte sich sofort wieder in den nächsten Kampf stürzen.

Doch das Mädchen war nicht nur sauer auf den Hanyou, sie machte sich auch Sorgen um ihn. Wenn er den Bogen überspannen sollte, dann würde Sesshoumaru trotz allem nicht davor zurückschrecken, ihn doch noch zu töten. Und genau aus diesem Grund musste sie verhindern, dass Inuyasha den ihm überlegenen Youkai angriff. Am besten ließ sich dieser Wunsch mit einem klaren „Sitz!” verdeutlichen. Dieses kam dann auch sehr oft, immer wieder: „Sitz, Sitz, Sitz!” Wieder und wieder vertiefte sich der Krater, der sich inzwischen gebildet hatte und Inuyasha sank immer tiefer ins Erdreich ein.

Doch zwischen Kagomes wütenden Ausrufen, Inuyashas protestierenden Gekreische und einem schmerzerfüllten Aufschrei eines gewissen Mönches der mal wieder Sango begrapschen musste und dafür nun von der Frau mit deren Bumerang zu Boden geschlagen wurde, hörte man plötzlich auch noch heiteres Hundegebell. Sofort hoben alle die Köpfe. Sie waren schon lange nicht mehr an einem Menschendorf vorbei gekommen und konnten sich nicht erklären, wie ein Hund hier in diese verlassene Gegend kommen sollte. Kagome war die Erste, die sich von dieser Überraschung erholte. Sie ließ Inuyasha links liegen und machte sich sofort auf den Weg in die Richtung, aus der das ungewohnte Geräusch kam. Dies war allerdings gar nicht in Inuyashas Sinn, der ihr hinterher rief:

„Halt, warte Kagome! Wo willst du denn hin?! Du rennst ja genau auf Sesshoumaru zu!”

Kagome stutzte jetzt tatsächlich und sah verdutzt zu dem Hanyou zurück.

„Vielleicht hat sich Sesshoumaru ja einen Hund angeschafft?”, vermutete Shippo laut.

„Das glaube ich kaum. Der braucht keinen...”, meinte Miroku, als er sich wieder halbwegs von Sangos Schlägen erholt hatte.

Sie hatten allerdings nicht mehr viel Zeit darüber nach zu denken, denn in diesem Augenblick kam Arekisu hinter den Bäumen hervor. Kagome wollte gerade dort hin laufen, als etwas seltsames geschah:

Aus dem Busch vor dem die Hündin stand, tauchte plötzlich eine Hand auf. Eine Hand mit erstaunlich langen Fingernägeln, wie Kagome auffiel. Die Hündin wurde grob an dem Lederhalsband das sie trug gepackt und in die Büsche zurück gezerrt. Das Tier stieß kurz einen überraschten Laut aus, bevor es aus ihrem Blickfeld verschwand.

Kagome keuchte kurz erschrocken auf und lief auf das Gebüsch zu, wurde aber von Inuyasha zurückgehalten, der sie rasch am Arm packte.

„Warte, Kagome! Wir wissen nicht was das für ein Ding war, vielleicht ist es gefährlich!”, sagte er eindringlich.

Das Mädchen nickte langsam. Sie sollten wirklich nichts überstürzen. Jetzt kamen auch Sango und Miroku dazu. Alle zückten ihre Waffen und die Dämonenjägerin bog mit ihrer Waffe die Zweige des Gebüsches vorsichtig zur Seite. Und dahinter war - nichts.

„Verdammt, das Ding ist schon verschwunden!,” sagte der Hanyou unter ihnen aufgebracht.

„Was war es denn überhaupt? Inuyasha, kannst du nichts riechen?”, fragte Kagome.

„Nein, verdammt! Das ist es ja gerade! Ich rieche zwar den Hund, aber nicht das... Ding, das ihn da gerade geholt hat! Aber das haben wir gleich”, erwiderte er und zückte seinen Klauen. Mit einem kräftigen Hieb zerfetzte er die Büsche und machte einen Satz nach vorn. Suchend sah er sich um, doch da von dem Hund immer noch nichts zu sehen war, kämpfte er sich weiter durch das Gestrüpp.

Inuyasha konnte Sesshoumarus Geruch immer deutlicher wahrnehmen und beschleunigte sein Tempo. Dieser Hund war jetzt bei ihm, keine Frage. Doch wer hatte ihn da gerade ins Gebüsch zurück gezerrt? Sein Halbbruder war es sicher nicht gewesen!
 

„Das du mir das nie wieder machst! Böser Hund!”, schimpfte Anis im Flüsterton, damit ihre Stimme nicht allzu weit zu hören war. Diese Lautstärke reichte völlig aus um Arekisu in Grund und Boden zu schimpfen. Sie saß jetzt mit eingezögenem Schwanz vor Anis auf Ah-Uhn und sah richtig unglücklich aus. Doch Anis berührte das kein bisschen, sie war einfach nur stinksauer. Arekisu war klein, schwach und unbrauchbar. Der einzige Grund warum, Anis sie dennoch bei sich haben wollte, war der, dass sie so unglaublich niedlich war. Aber ein Hund, der nicht gehorchen konnte, war nur hinderlich. Da nutzte alle Niedlichkeit nichts. Und wenn Anis ihr befahl, dass sie bei ihr zu bleiben hatte, dann hieß das ganz und gar nicht, dass sie einfach mal so abhauen und zu irgendwelchen anderen Leuten rennen durfte! Anis war kurz davor gewesen, die Hündin zu schlagen, doch das wollte sie nun auch wieder nicht. Sicher, sie wäre dann bestimmt sehr viel mehr gehorsamer gewesen, doch Schläge machten aus einem Hund nur eine blutrünstige Bestie. Schlimmstenfalls würde sie dann nicht einmal mehr Sesshoumaru gehorchen und das wäre sicher ihr Tod wenn Anis erstmal gestorben war.

Aber Anis war nicht nur deshalb wütend auf Arekisu weil sie fortgelaufen war. Das hätte sie niemals so aufgeregt. Es ging einfach darum, dass sie unter keinen Umständen mit Kagome und den anderen zusammentreffen wollte. Schließlich hatte sie sich mit Naraku verbündet und wenn sie das heraus fänden, dann wären sie ihr sicher nicht gut gesinnt. Von Rin einmal ganz zu schweigen. Aber selbst wenn sie es nicht herausfänden: Wie konnte sie ihnen überhaupt in die Augen sehen?! Sie schämte sich geradezu vor ihren Freunden. Schämen. Vor Menschen und einem Hanyou! Wie tief konnte sie noch sinken?! In ihrem Falle wohl nicht mehr sehr tief...

Plötzlich aber hielt Sesshoumaru inne. Anis ahnte, was jetzt kommen würde...
 

Noch ein letzter Hieb. Hauchfeine Blätter zerfielen unter Inuyashas Klauen zu Staub. Und da stand er tatsächlich - Sesshoumaru. Mit vollkommen ausdrucksloser Miene blickte er ihnen entgegen. Neben ihm verharrte sein Reitdrache mitten im Lauf und starrte den Hanyou verdutzt an. Auf seinem Rücken - wie auch nicht anders erwartet - saß diese kleine Töle, die sie vorhin kurz gesehen hatten. Doch Inuyashas Aufmerksamkeit galt einzig und allein dem Daiyoukai vor sich, an dessen Seite Tessaiga hing.

„Was willst du?”, tönte Sesshoumaru eiskalte Stimme über die Lichtung.

„Was ich will?!”, fuhr er ihn aufgebracht an, „ Na, ich will natürlich mein Schwert zurück, ist doch klar!”

„Und was passiert, wenn ich es dir nicht gebe?”, forderte Sesshoumaru ihn heraus.

Inuyasha wollte gerade den Mund aufmachen, da kam ihm jemand anderes zuvor:

„In diesem Fall wird er Ärger machen und dann kann Kagome morgen schon Inuyashas Todesanzeige in die Zeitung setzten.”

Verwirrt sah der Hanyou sich um. Hinter des Drachenyoukai tauchte plötzlich eine weitere Person auf. Eine Person, die er von irgendwoher zu kennen glaubte...
 

„ANIS!”, kreischte Kagome erstaunt und kam hinter Inuyasha hervor. Die junge Frau stand die ganze Zeit über hinter Ah-Uhn doch nun, wo sie ihre Stimme erkannt hatte, gab es für das Mädchen keinen Zweifel mehr, wen sie vor sich hatte. Das Mädchen in der hier nicht gerade landesüblichen Schuluniform lief achtlos an Sesshoumarus Reittier vorbei und warf sich auf ihre alte Freundin, um sie zu umarmen.

„K... Kagome, nun hör schon auf! Das ist jetzt wirklich nicht der Zeitpunkt für solche Wiedersehnsfreude”, stotterte Anis peinlich berührt. Kagome ließ von ihr ab.

„Wo warst du denn die ganze Zeit? Immer wenn wir Sesshoumaru getroffen haben warst du nicht dabei”, sagte sie jetzt anklagend.

„Tjaaa, es gab da einige Komplikationen...”, antwortete die Angesprochene ausweichend. Kagome bemerkte, dsas sie nicht darüber reden wollte und wechselte deshalb auch schnell das Thema.

„Ist das da dein Hund?” Sie deutete auf Arekisu.

„Ja, ich hab sie neulich in einer verlassenen Hütte gefunden”, erwiderte sie, sichtlich erleichtert, dass Kagome nicht nachgebohrt hatte.

„Dann hast du ihn eben auch zurückgeholt? Wir haben ihn grad noch gesehen”, versicherte sich Kagome und hielt der Hündin ihre Hand zum Beschnüffeln hin. Anis nickte nur und kraulte Arekisu gedankenverloren hinter den Ohren.

Alle anderen starrten sie nur entgeistert an. Wie konnten die beiden denn nun jetzt über solch ein belangloses Thema wie Haustiere reden?!

Als Anis’ Hand auf dem Kopf der Hündin ruhte, sah Kagome ihre Fingernägel die, wie ihr schon vorher aufgefallen war, erstaunlich lang waren und sie runzelte die Stirn. Sie sprach ihre Freundin auch gleich mal darauf an. Anis aber lachte nur hohl.

„Die Nagelfeile ist hier noch nicht erfunden und ich hab meine irgendwann verloren.”

„Hey ihr beiden! Könnt ihr mal mit diesem nervtötenden Gelaber aufhören?!”, sagte Inuyasha auf einmal wütend.

„Halt’s Maul und kümmere dich um deine eigenen Probleme!”, fuhr Anis ihn sofort an, als hätte sie nur darauf gewartet, dass sich eine Möglichkeit ergab, sich mit dem Hanyou anzulegen, was sie jetzt auch gleich einmal machte.

„Wie kommst du darauf das ich irgendein Problem habe?!”, meckerte der Hanyou und schluckte damit Anis’ Köder. Diese war gerade in ziemlich aufgewühlter Stimmung und brauchte dringend jemand an dem sie sich abreagieren konnte. Inuyashas kleine Truppe kam ihr da gerade recht...

„Ich bitte euch, ihr steckt doch alle bis zum Hals in Problemen! Ihr kriegt es einfach nicht auf die Reihe, wichtige Entscheidungen zu fällen!”, sagte Anis betont genervt. Oh wie gut es tat sich wieder mit jemanden zu streiten, ohne dabei den Kopf zu riskieren!

„Entscheidungen? Was denn für Entscheidungen? Ich weiß, dass ich Tessaiga wieder haben will und ich weiß, dass ich Sesshoumaru dafür besiegen muss. Was gibt es da zu entscheiden?”, murrte Inuyasha sichtlich verstimmt.

Sesshoumaru beachtete den entstandenen Tumult überhaupt nicht und lehnte sich teilnahmslos gegen den nächsten Baum. Dennoch beobachtete er das Geschehen durchaus aufmerksam, gespannt was Anis vor hatte.

„Ich rede von privaten Entscheidungen, Inuyasha. Du machst dir die Welt wirklich einfach”, sie ahmte seine Stimme nach, „ ‘Wen ich nicht mag, den bring ich um. Wer nicht mein Freund ist, der ist mein Feind.’ Das ist erbärmlich! Hast du schon mal daran gedacht, dass die Welt viel komplizierter sein könnte?! Hast du auch nur einen einzigen, lausigen Gedanken daran verschwendet, dass sich die Welt nicht nur um dich drehen könnte?! Nein! Das hast du nicht! Du bist ein egoistischer, selbstverliebter, arroganter, überempfindlicher, abweisender, eifersüchtiger Macho, der sich immer noch nicht zwischen seinen beiden Herzdamen entscheiden kann! Ach ja, und du bist zu dumm auf dein Schwert aufzupassen.” Anis beendete den ersten Teil ihrer Schimpfparade, ohne auch nur das kleinste Bisschen ins Keuchen gekommen zu sein. Inuyasha schaute sie vollkommen verdutzt an. Aber die junge Frau war noch lange nicht fertig. Sie kam gerade erst richtig in Fahrt und redete sich richtig in Rage. Die nächste Ladung bekam jetzt Kagome ab, die den Fehler machte für Inuyasha einschreiten zu wollen.

„Nun hör doch auf, so schlimm ist er auch wieder nicht...”, murmelte sie kleinlaut, auch wenn sie immer etwas anderes behauptet hatte.

„Kagome, dir hab ich auch noch was zu sagen! Ich würde dir dringest raten in die Neuzeit zurück zu verduften, wenn du das Juwel endlich beisammen hast. Das Ding lässt sich dort leichter beschützen und dieser Hanyou hier hat einen extrem schlechten Einfluss auf dich. Ach ja, und zieh dir doch bitte etwas anderes an, wenn du hier her kommst! In deiner Schuluniform hält dich jeder gehirnamputierte Trottel, von denen es hier sehr viele gibt, für eine Youkai oder sonst ein seltsames Wesen, vom Mars oder so, und greift dich grundlos an. Abgesehen davon ist dieser Rock doch eine recht knappe Bekleidung und das könnte lüsterne Männer, von denen es hier ebenfalls eine Menge gibt, auf falsche Gedanken bringen. Es ist wirklich ein Wunder, dass dich noch niemand vergewaltigen wollte!”

Kagome schaute jetzt genauso dumm aus der Wäsche wie Inuyasha und das genoss Anis auch. Nun hatte sie Sango und Miroku als ihre nächsten Opfer auserkoren. Als erstes wandte sie sich an die Dämonenjägerin, die bereits das Schlimmste erwartete.

„Und du! Wie oft hat euch dein kleiner Bruder in Narakus Namen jetzt schon angegriffen?! Wie oft hast du ihn dann wieder entkommen lassen?! Wenn du mal darüber nachdenkst, wirst du feststellen, dass diese Zahlen absolut identisch sind. Bist du jemals auf die Idee gekommen, ihn einfach mal einzufangen und an einen sicheren Ort zu bringen, von dem er sich nicht befreien kann, bis Naraku tot ist und ihr eine Möglichkeit gefunden habt, den Splitter gefahrlos zu entfernen? Das wäre die logischste Lösung gewesen, aber sie ist dir nicht eingefallen. Und warum nicht? Vielleicht warst du zu sehr durch deine Liebe zu Miroku abgelenkt. Dabei brauchst du dir in dieser Hinsicht gar keine Hoffnungen zu machen, dieser notgeile Mönch wird auf ewig allem hinterher schauen was auch nur annähernd an ein weibliches Wesen erinnert. Aber du solltest nicht nur aufhören, dir Hoffnungen zu machen, du solltest auch aufhören, ihm Hoffnungen zu machen. Indem du ihm nämlich immer wieder eine pfefferst wenn er sich an eine anderen Frau ranmacht, zeigst du ihm doch nur, dass du eifersüchtig bist, und das will er doch nur!”

Anis drehte sich nun zu Miroku um, der bereits den Kopf einzog.

„Womit ich auch gleich mal zu dir komme! Du willst die Frauenwelt doch tatsächlich als Gebärmaschien missbrauchen! Dabei hast du nie daran gedacht, dass dein Nachkomme, der deine Rache an Naraku fortführen soll wenn du es nicht schaffst, wie du behauptest - und die Betonung liegt auf b-e-h-a-u-p-t-e-n - doch mit dem selben Fluch belegt sein wird wie du! Wie kannst du nur so grausam sein, deinem eigenem Fleisch und Blut schon von der Geburt an einen schnellen Tod aufzuerlegen?! Erzähl mir nicht, dass du damit rechnest, Naraku unschädlich zu machen, um den Fluch aufzulösen. Erstens gibt es immer die Möglichkeit, dass ihr es nicht schafft und zweitens ist doch überhaupt nicht klar, ob das Windloch weg geht, wenn sein Schöpfer tot ist.”

Anis pausierte kurz, ehe sie sich zur Überraschung aller Anwesenden jetzt sogar an Shippo wandte, der sichtlich zusammen zuckte.

„Shippo, du bist ein Youkai. Mag sein, dass du in deinen Freunden sowas wie Eltern siehst, aber sie werden alt sein und sterben, noch bevor du überhaupt annähernd aus deinem Kindesalter raus gewachsen bist. Einzig Inuyasha als Hanyou wird etwas länger leben, also schlage ich vor, das du dich weniger mit ihm streitest, du brauchst ihn schließlich noch. Deswegen solltest du auch aufpassen, dass er sich nicht so oft mit Sesshoumaru anlegt, sonst bist du deinen Pflegevater schneller los als du ‘Piep’ sagen kannst.” Wieder pausierte sie und schaute nun wieder die ganze Gruppe an.

„Die Einzige von euch, die in ihrem Leben wohl alles richtig gemacht was richtig zu machen geht, ist Kirara. Und wenn ich euch schon empfehle, euch an ihr ein Beispiel zu nehmen, dann solltet ihr vielleicht besser auf meine Ratschläge hören.”

Uff. Das hatte gesessen.

Es dauerte mindestens drei Minuten, bis sich die Gruppe vom Redeschwall der jungen Frau einigermaßen erholt hatte.

„Was hältst du uns hier überhaupt einen Vortrag?! Du hast doch bestimmt auch deine Fehler”, murrte schließlich Inuyasha, der als erstes seine Sprache wieder fand.

„Natürlich hab auch ich Fehler. Und sicher genauso viele wir ihr. Aber ich weiß wenigstens, was für Fehler ich habe, ich belüge mich nicht selbst und stehe zu meinen Schandtaten. Meistens jedenfalls”, antwortete Anis selbstsicher.

„Und was ist mit Sesshoumaru? Über den hast du gar nichts gesagt”, meckerte Inuyasha und starrte seinen Halbbruder feindselig an.

„Natürlich nicht. Er ist zwar etwas hart, aber er macht doch nichts falsch”, meinte Anis, als wäre diese Frage vollkommen albern und die Antwort selbstverständlich.

„Wie bitte!?”, fauchte der Hanyou mit hochrotem Kopf, „Der Mistkerl ist doch ein sturer, arroganter, kaltherziger Bock, der alle Menschen am liebsten tot sehen würde!”

Sesshoumaru zog bei dieser Aussage missbilligend eine Augenbraue hoch, strafte diese Beleidigung dann jedoch mit Nichtachtung. Er wollte sehen, was Anis jetzt tun würde, hatte sie auf Inuyashas Frage doch sehr seltsam reagiert.

Die junge Frau jedoch zuckte nur mit den Schultern und erwiderte:

„Sesshoumaru ist er der Typ, der die Ruhe liebt. Noch nie was davon gehört, dass man das verteidigt, was man liebt? Sesshoumaru tut das eben besonders verbissen, er tötet alles, was seine Ruhe gefährdet. Da die meisten Youkai eben klug genug sind, um ihm aus dem Weg zu gehen, besteht ein Großteil der Leichen, die ihm zum Opfer fallen, eben aus Menschen. Das unterscheidet ihn von dir, Inuyasha. Jeder liebt irgendwas, aber bei deinem Halbbruder ist das nicht bildlich zu sehen, da er einfach nur seine Ruhe liebt”, erklärte sie plausibel und bemühte sich, sich dabei nicht zu weit aufs Glatteis hinaus zu wagen, um Sesshoumaru nicht zu verärgern.

Du irrst dich, Anis, schoss es dem Inuyoukai durch den Kopf, doch er sagte nichts. Bis vor Kurzem hatte diese Sichtweise sehr wohl auf ihn zugetroffen und Sesshoumaru war erstaunt, wie gut sie ihn in der kurzen Zeit kennen gelernt hatte

„Und warum hat er dann bitte dich mitgenommen?!”, protestierte da jedoch schon sein Halbbruder wieder. Bei allen Youkai dieser Welt, das nervte!

„Nun, erstens störe ich ihn anscheinend nicht und zweitens entsorge ich auch einen Großteil der Ruhestörer, wodurch er wieder mehr von seiner Ruhe hat. Jedenfalls wäre das meine Aufgabe...” Den letzten Satz murmelte sie nur so leise, dass nur Sesshoumaru ihn hören konnte.
 

Sesshoumaru hatte genug gehört. Wortlos wandte er sich von der Gruppe ab und griff nach Ah-Uhns Zügeln, ohne darauf zu achten, was die anderen machten. Anis würde ihm folgen, das wusste er.

„So, unser Gespräch ist beendet. Kagome, richte meinen Eltern schöne Grüße von mir aus.” Damit drehte sich jetzt auch Anis um und beeilte sich dem Daiyoukai zu folgen, was ihre Freunde mit einigem Erstaunen feststellten. Sie folgte ihm? Freiwillig?!

„Wurde sie vielleicht einer Gehirnwäsche unterzogen?”, flüsterte Kagome an Sango gewandt, die daraufhin nur mit den Schultern zucken konnte. Wie hatte sie auch erwarten können, dass die Dämonenjägerin das Wort ‘Gehirnwäsche’ kannte?

Inuyasha war über den plötzlichen Aufbruch seines Halbbruders so überrascht, das er ganz vergaß zu handeln. Schließlich wollte er sich doch ursprünglich Tessaiga zurückholen.
 

Dazu kam er aber nicht mehr, denn in diesem Moment waren Sesshoumaru und Anis bereits außer Hörweite und der Inuyoukai befahl der Frau auf Ah-Uhn zu steigen. Zu deren Erstaunen setzte Sesshoumaru sich dann hinter ihr auf den Rücken des Reitdrachens. Er war noch nie auf Ah-Uhn geritten, jedenfalls hatte Anis das noch nie mitbekommen. Aber dieses Rätsel löste sich rasch, als der Drache einen besonders großen Satz in die Luft machte und seinen Weg dann per Luftlinie fortsetzte.
 

Anis war es ein Rätsel, wo Sesshoumaru hin wollte. Das er Ah-Uhn genommen hatte sprach dafür, das er es eilig hatte, doch Anis konnte den Grund nicht erkennen. Vielleicht wollte er einfach nur möglichst schnell weg von seinem Halbbruder.

Anis saß die ganze Zeit lang über über Ah-Uhns Hals gelehnt, wobei sie Arekisu die vor ihr saß immer schön festhielt, die mittlerweile ein Nickerchen machte, um auch ja nichts vom Flug und der Landschaft zu verpassen, die sich unter ihnen ausbreitete. Die Sonne ging gerade unter und tauchte einen silbernen Fluss, der sich durch die grüne Landschaft schlängelte in ein blutrotes Licht. Sanfte Hügel waren in der Ferne zu sehen und überall tauchten vereinzelte Wälder und Dörfer auf. Wenn sie jedoch in die andere Richtung sah, so erblickten ihre Augen dort nur kahles Land, einige schäbige Äcker und verkrüppelte Bäume. Es schien hier eine unsichtbare Grenze zu geben, die die beiden Landstriche teilte.

„Sesshoumaru... Wo genau sind wir hier eigentlich?”, fragte sie nach einer Weile.

Sesshoumaru schwieg lange, so lange, das Anis schon glaubte, er würde gar nicht mehr antworten. Doch dann deutete er in die Richtung, in der die fruchtbaren Täler und Hügel waren und sagte:

„Hier schließen sich die westlichen an die östlichen Ländereien an. Jede Youkaiart teilt das Land in viel Teile, den Norden, den Süden, den Osten und den Westen. In jedem der vier Teile herrscht ein Dämonenfürst der jeweiligen Art. Die Grenzen sind immer anders, je nachdem wie stark der Youkaistamm ist, der das Land beherrscht. Nach der neuesten Lage ist der Osten das schwächste Land und der Norden das stärkste. Der Unterschied macht sich hier an der Grenze bemerkbar, denn im Vergleich zum Westen, der das zweitstärkste Land ist, ist der Osten nicht gerade gut dran. Diese Rangordnung wird aber bei jeder Art anders ausfallen. Bei den Drachenyoukai zum Beispiel kann der Süden das stärkste der vier Länder sein.”

„Und das geht so einfach? Ich meine, kommen nicht zum Beispiel die... Schlangenyoukai manchmal mit den... Wolfsyoukai nicht gut klar und bekämpfen sich?”, fragte Anis neugierig.

„Natürlich, so etwas gibt es auch. In diesem Fall führen die beiden Sippen Krieg innerhalb des Landes. Wenn sich die Youkai unterschiedlicher Länder aber gleicher Art in die Haare kriegen, dann führen sie mit diesen Krieg außerhalb des Landes. Aber es kommt selten vor, dass sich Youkai unterschiedlicher Art bekämpfen. Alle sind einer gewissen Ordnung unterstellt. So haben beispielsweise die Katzendämonen das Recht die Vogeldämonen anzugreifen und zu fressen, wenn sie dazu in der Lage sind. Sie ernähren sich eben davon. Die Dämonenstämme, die am oberen Ende der Nahrungskette stehen, herrschen über alle anderen”, erzählte Sesshoumaru. Es klang einfach, wie er das so sagte, aber zugleich auch etwas grausam.

„Gibt es da nicht irgendwelche... Abkommen zwischen den Youkaifürsten eines einzelnen Landes?”, hakte sie verunsichert nach.

„Ja, die gibt es. Natürlich, sonst würde die ganze Ordnung den Bach runter gehen. Diese Abkommen werden auch von Zeit zu Zeit erneuert oder abgeschafft”, kam die Antwort.

„Hm... Und wie ist das bei den Inuyoukai? Wer sind denn die jetzigen Fürsten und wie herrschen sie so? Und aus welchem der vier Länder kommst du? Darf man eigentlich einfach so in ein anderes Land gehen oder gibt es da so was wie Zoll und Reisepässe?”, sprudelte es nun aus Anis heraus. Sie musste die Gelegenheit ausnutzen, in der Sesshoumaru so redselig war, normalerweise war er ja eher wortkarg. Sie wunderte sich schon sehr, dass er ihr so bereitwillig ihre Antworten gab. Vielleicht hing das damit zusammen, dass sie vorhin seinen verhassten Halbbruder zusammengestaucht hatte, vielleicht hatte er aber auch nur lange niemanden mehr gehabt, mit dem er sich über solch ein Thema unterhalten konnte.

„Der Fürst des Nordens heißt Arekanderu. Er ist recht gutmütig, was im Krieg jedoch seine Schwäche ist. Als Heerführer ist er ein Versager und der gute Zustand seines Landes hat er allein seinem verstorbenen Vater zu verdanken. Der Name des Fürsten der östlichen Länder ist Maneru. Er achtet sehr darauf, dass kein fremder Inuyoukai sein Land betritt. Die anderen sind da nicht so genau. Er gilt als grausam, doch er hat nie den Krieg gesucht. Im Süden dagegen herrscht Ninushu Omaru. Er ist schon sehr alt und sein Sohn Keisushiro wird wohl bald den Thron übernehmen. Der Fürst des Westens heißt Inu no Taishu. Der Westen ist meine Heimat. Es lebt sich gut da, aber es ist schon eine Weile her, seit ich das letzte mal am Hof war. Jede Änderung im Gefüge der Herrschaft der Fürsten kann zu erneuten Kriegen und zur Eroberung von neuem Land führen, da sich das betreffende Land unweigerlich ein Schwäche gibt. Zur Zeit sind der Westen und der Süden die mächtigsten Stämme. Sobald eines der Länder einen neuen Führer bekommt, könnte es zum Krieg, oder aber zu neuen Handelsabkommen kommen”, berichtete Sesshoumaru geduldig.

Anis wusste nicht, das Sesshoumaru ihr mit voller Absicht verschwieg, dass der Fürst des Westens tot war, dass er der Erbe und somit der Thronfolger war. Sie ahnte nichts davon und wunderte sich lediglich über seinen großen politischen Wissensstand.

„Woher weißt du das alles so genau?”, fragte sie deshalb auch sofort.

Aber Sesshoumaru antwortete nicht auf ihre Frage.

„Entschuldige, ich rede zu viel”, sagte sie sofort und hoffte dabei inständig, ihn nicht verärgert zu haben. Sie konnte sein Gesicht nicht sehen, da er ja hinter ihr auf Ah-Uhn saß, doch sie bemühte sich dennoch, sich so reumütig wie möglich anzuhören. Kann ich nicht einmal die Klappe halten?!, schimpfte sie sich selbst. Sie kannte doch dieses eisige Schweigen, das ihr verdeutlichte, dass sie zu weit gegangen war.

Um sich von der entstandenen, äußerst düsteren Stimmung abzulenken, lehnte sie sich jetzt etwas weiter über Ah-Uhns Hals, um die Landschaft etwas genauer betrachten zu können. Doch heute schien nicht ihr Glückstag zu sein. Denn in genau diesem Moment machte der Drache einen plötzlichen Schlenker um einem großen Schwarm Wildgänse auszuweichen und Anis wäre fast von seinem Rücken gefallen, hätte Sesshoumaru sie nicht geistesgegenwärtig gepackt und sie so vor dem Sturz gerettet.

„Du solltest dich jetzt nicht mehr so weit vorbeugen! Versuch etwas zu schlafen, wir werden noch eine Weile fliegen”, ermahnte sie der Daiyoukai und riss sie zurück.

Unsanft prallte Anis gegen seine harte Rüstung. Sie wollte sich sogleich wieder aufrichten, doch Sesshoumaru hielt sie fest. Instinktiv gehorchte sie und verharrte bewegungslos in ihrer Stellung. Arekisu sah sich verdutzt um, als sie den kleinen Tumult bemerkte, legte dann jedoch wieder ihren Kopf auf ihre Pfoten und schlief wieder ein.

Sesshoumaru beugte sich vor und griff nach Ah-Uhns Zügeln, die er kurzzeitig losgelassen hatte um Anis vor dem Absturz zu bewahren. Dadurch wurde die junge Frau an ihn gedrückt. Ihr war das mehr als unangenehm, nicht nur, weil sie sich auf so engem Raum mit Sesshoumaru befand, sondern auch, weil sie höllisch aufpassen musste, nicht von den erstaunlichen scharfen Stacheln an seinem Brustpanzer aufgespießt zu werden.

Irgenwodurch musste sie sich schließlich verraten haben, denn Sesshoumaru schien ihr Problem bemerkt zu haben. Er griff sich das Fell, welches immer über seine Schulter lag und schob es quer über seinen Brustkorb. Dann befahl er Anis erneut, sich zurückzulegen. Sie gehorchte, jedoch nur aus Angst vor dem, was passieren würde wenn sie seinen Befehl missachtete. Das Fell war wunderbar warm und durch Ah-Uhns Hals vor und Sesshoumaru hinter sich war sie gut vor dem beißenden Fahrtwind geschützt. Sie ertappte sich dabei, wie sie allmählich Gefallen an dieser Situation fand. Sie fühlte sich geborgen, hier, in seinen Armen. Das war doch nicht richtig...oder? Vielleicht war er ja doch nicht gaaaanz so übel, wie sie anfangs angenommen hatte. Er war eben auf seine Art eben etwas seltsam, aber das hieß doch nicht gleich das er schlecht war, oder? Arrgh, solche Gedanken sollte sie nicht haben! Sesshoumaru hatte eindeutig einen schlechten Einfluss auf sie!

Es hatte etwas Eigenartiges an sich, ihm so nah zu sein. Es war fast wie damals, in der Eishöhle, wo sie dem Richiru-Fluch entkommen mussten. Aber es war dennoch anders. Damals war es eine Notwendigkeit gewesen und nichts anderes hatten beide darin gesehen. Aber nun...? Warum hatte er extra das Fell benutzt, damit sie nicht an seiner harten Rüstung lehnen musste? Konnte es ihm nicht egal sein, wenn der Flug für sie unbequem war? Eigentlich schon, oder? Es sei denn... Nein, das war an den Haaren herbei gezogen! Anis schickte den Gedanken, der ihr da gekommen war, sofort wieder in den finstersten Winkel ihres Unterbewusstseins. Es war unmöglich, dass Sesshoumaru sich in sie verliebt hatte! Auch, wenn er ihr mehrmals das Leben gerettet hatte. Auch, wenn er sie bei sich behielt, obwohl sie ihm nur hinderlich war. Auch, wenn er ihr verziehen hatte, dass sie ihn umbringen wollte. Auch, wenn sie hier zu zweit auf einem Drachen dem Sonnenuntergang entgegen flogen und alle Indizien dafür sprachen. Es war nicht möglich! Nicht Sesshoumaru!

Und wenn doch...?
 

XxX
 

Tja, wie gesagt, es ist jetzt dich niemand gestorben. Schade, was? naja, dann sterben eben demnächst umso mehr...

So, Anis hat jetzt erstmals Verdacht geschöpft. Muss ja auch mal sein. Sie ahnt was Sesshoumaru fühlt, auch wenn sie es noch lange nicht wahr haben wird. Aber wenn sie sich dann sicher ist, wird sie ihn bestimmt mit anderen Augen sehen. Wie wird sie sich verhalten? gute Frage, ich weiß es auch nicht. Mal sehen, was da so alles auf meinem (und später hoffetlich auch auf eurem) Monitor erscheint. Lassen wir uns überraschen...

Der vierte Fluchtversuch

So, ich hab noch eine Weile gewartet bis ich 7 Kommis beisammen hatte und dank _Corchen_ könnt ihr euch jetzt alle an dem Nächsten Kapitel erfreuen.
 

Es geht noch ein bisschen romantisch weiter bei unserem Traumpärchen, aber wie ihr alle wiss, kann ich lang anhaltenes Glück nicht sehr gut leiden. *fies grins*

Alles sieht ja wunderbar aus aber auf einmal werden da noch Tatsachen über Anis enthüllt, die seeehr interessant für euch werdn dürften. *Hände reib*

Der Untertitel sagt ja schon eine Menge und was letztendlich dabei rauskommt... Tja, dieses klitzekleine Problem das da Sesshoumaru und Anis im Wege steht, das wird euch noch einige Kapitel weier verfolgen...
 

Im zweiten teil kommt es dann endlich zum finalen Kampf mit Naraku, aber ich will nicht zu viel verraten. Lest es einfach selbst:
 

XxX
 

Sesshoumaru zuckte unwillkürlich zusammen, als sich eine Hand in seinen Kimono krallte. Erstaunt sah er auf Anis herab. Vorhin hatte sie sich doch nur sehr langsam entspannt, doch nun schmiegte sie sich eng an ihn und lächelte - im Schlaf. Er wusste nicht, ob er jetzt erleichtert oder enttäuscht sein sollte. Enttäuscht, weil ihm klar wurde, dass sie sich niemals zu solch einer zutrauliche Geste würde hinreißen lassen, wenn sie ganz bei Sinnen war und erleichtert darüber, dass sie sich in seiner Gegenwart wohl überhaupt so weit entspannen konnte, dass sie einschlief. Und ihrer Miene nach zu urteilen, träumte sie sogar recht gut.
 

*
 

Krachend fiel die Tür ins Schloss. Im ganzen Haus steckten die insgesamt drei Bewohner neugierig ihre Köpfe aus den Zimmern. Bald kamen sie alle herbei, um den Neuankömmling zu begrüßen.

„Makotoko! Lang nicht mehr gesehen! Warum kommt ihr so plötzlich?”, fragte eine blonde Frau mittleren Alters.

„Warum ich hier bin? Das ist doch wohl klar, oder?”, erwiderte der Angesprochene. Er hatte kurzes, hellbraunes Haar und braune Augen, in denen der Schalk blitzte. Die Schultern des jungen Mannes waren muskulös, ebenso wie seine Arme. Er hatte eine auffällig dicke Lederjacke an, obwohl es draußen eigentlich noch nicht so kalt war. Die Hände hatte er lässig in seinen Hosentaschen vergraben. Ein breites Lächeln zog sich über sein markantes Gesicht. An seiner Seite war ein mittelgroßer Hund mit rotbraunem Fell, in dem graue und braune Einsprengsel zu sehen waren, ins Haus gekommen. Seine Ohren waren wachsam aufgerichtet.

„Ihr kommt sicher wegen Anis. Aber ich muss euch enttäuschen, sie ist noch immer nicht zurück. Das Mädchen aus dem Schrein hat auch noch nichts berichtet”, erzählte die Frau traurig.

„Ach was, das wird schon wieder! Ich bin sicher, dass wir bald etwas von ihr erfahren werden. Und wenn sie nicht zu uns zurückkommt, dann kommen wir eben zu ihr”, legte der junge Mann mit dem Namen Makotoko fest.

„Ihr wollt ihr ins Mittelalter folgen?”, frage nun der rothaarige Mann, der neben der blonden Frau stand und das Gespräch bis jetzt stumm verfolgt hatte.

„Sicher! Wir haben zwei Jahre lang nichts mehr von ihr gehört. Ich mach mir wahnsinnige Sorgen! Aber ich konnte leider nicht früher kommen. Es gab Probleme im Geschäft und ich war kurze Zeit im Ausland. Erst Mitsura hat mir gesagt, was los ist, als ich wieder nach Tokyo kam. Ihr hättet mir wirklich schon früher mal Bescheid geben können!”, sagte er dann, immer noch lächelnd.

„Ihr seht aber nicht so aus, als wenn ihr euch besonders viele Sorgen um meine Schwester gemacht hättet!”, sagte Mitsura gespielt aufgebracht, die sich ebenfalls erst jetzt meldete.

Als Antwort lachte Makotoko nur laut. Dann packte er Mitsura kurzerhand am Arm und ging mir ihr den Flur entlang. Zu den Erwachsenen rief er zurück:

„Kantashira, Sukerumaru, ich spreche mit Mitsura rasch ab, was wir wegen Anis unternehmen wollen. Lasst euch nur nicht stören!” Mit einem breiten Grinsen zog er Mitsura die Treppe hoch. Der Hund folgte ihm wie selbstverständlich.
 

„Hey, ihr könnt mich loslassen!”, sagte Mitsura und entzog sich seinen Griff. Makotoko lächelte noch breiter.

„Was hast du denn? Es sollte doch nichts Neues für dich sein, von einem Mann berührt zu werden”, neckte er sie.

„Erstens ist das vollkommener Quatsch und zweitens seid ihr nicht mein Freund! Mit Anis könnt ihr das vielleicht machen, aber mit mir nicht!”, murrte sie beleidigt.

„Ich bitte dich! Du bist doch ständig hinter allen möglichen und auch unmöglichen Männern her”, behauptete Makotoko. Der Hund, der ihnen die Treppe hoch gefolgt war, kläffte zustimmend.

„Das stimmt überhaupt nicht! Ich wähle mir meine Männer immer genau aus. Menschen zum Beispiel fallen generell aus der Wertung”, sagte sie sachlich.

„Ha! Du gibst es sogar zu! Ich warne dich, irgendwann wird sich mal einer wirklich noch in dich verlieben, und dann hast du ein Problem”, erwiderte er und grinste dabei noch breiter. Sie hatten jetzt Mitsuras Zimmer erreicht und gingen hinein.

„Was soll denn das schon wieder heißen?”, fragte Mitsura perplex.

Makotoko winkte ab. „Vergiss es.” Sie ließen sich zusammen auf dem Bett nieder. „So, und jetzt sagst du mir mal alles, was du über Anis’ Verschwinden weißt. ,forderte er.

„Uff... Euch liegt echt viel an ihr, was?”, fragte sie erschöpft.

„Natürlich! Ich liebe sie doch! Und jetzt erzähl schon, damit ich sie möglichst bald zurückholen kann”, entgegnete er, während das breite Lächeln keine Sekunde lang von seinem Gesicht wich.

„Also... Sie ist durch den knochenfressenen Brunnen im Schrein, der in der Nachbarschaft steht, gesprungen und hat dabei scheinbar eine Art Zeitreise gemacht. Sie ist zusammen mit einer Miko rüber gegangen. Klingenecho hat sie mitgenommen. Das Mädchen erzählte später, dass irgend so ein komischer Kerl sie mitgenommen hat und seit dem hat sie nichts mehr von ihr gehört. Sie glaubt meine Schwester wohl schon tot”, erzählte Mitsura.

Bei ihren letzten Worten hatte Makotoko aufgehorcht und auch der Hund, der sich auf der sauberen Bettdecke breitgemacht hatte und diese mit seinen dreckigen Pfoten beschmutzte, ohne dass es jemand bemerkte, hob den Kopf. „Ein komischer Kerl?! Was für ein komischer Kerl?! Das will ich jetzt aber genauer wissen!”

„Ach, keine Ahnung. Kantashira hat nicht weiter nachgefragt, weil sie da erst eine Woche lang weg war”, sagte sie schulternzuckend.

„Na toll! Das ist ja großartig! Anis läuft mit einem wildfremden und wahrscheinlich auch noch mordsgefährlichen Typen durch eine andere Dimension, in der es vor Gefahren nur so wimmelt und dabei sind ihre Kräfte doch noch immer versiegelt! Ich muss sie sofort suchen gehen. Ihr scheint ja keinen Finger rühren zu wollen. Aber ihr überwacht doch wenigstens ihr Licht, oder?”, schimpfte Makotoko, doch seine fröhliche Miene hielt trotzdem.

„Ja, natürlich überwachen wir es! Ich geh jeden Tag dreimal runter in den Keller und schau nach”, sagte Mitsura empört, „Manchmal... Manchmal sehe ich auch Sukerumaru und Kantashira, wie sie da sitzen und ins Feuer starren.”

In der Familie Vanderobe war es üblich, für jedes Familienmitglied eine Kerze aufzustellen. Solange diese brannte, lebte dieses Familienmitglied. Wenn das Feuer erlosch, dann zeigte dies an, dass die betreffende Person gestorben war. Es bedeutete jedoch nicht, dass derjenige gleich tot umfiel, wenn man die Kerze auspustete. Der Zauber funktionierte nur in eine Richtung.

Die Kerzen standen im Keller und sie alle leuchteten so hell, dass sie den ganzen Raum erleuchteten, ohne das sie auch nur ein wenig kürzer wurden.

„Aber manchmal... Ich habe manchmal gesehen, wie ihre Kerze flackerte, als wolle sie gleich ausgehen. Ich hatte fürchterliche Angst um sie...”, murmelte die junge Frau leise.

„Aber sie lebt doch! Du weißt doch, wie zäh Anis sein kann. Wir werden sie holen. Und den Kerl, der sie mitgenommen hat, dem werden wir eine ordentliche Abreibung verpassen! Wenn der Anis was angetan hat, dann bring ich ihn höchstpersönlich um!”, sagte Makotoko und strahlte dabei übers ganze Gesicht, „Es wird gut tun, sich endlich mal wieder mit jemandem so richtig anzulegen!” Nun lächelte auch Mitsura schwach.

„Ihr habt recht. Wir suchen alles zusammen, was wir brauchen und gehen dann los”, sagte sie eifrig.

„Nicht so schnell! Ich brauche dringend noch ein paar Trainingsstunden und du solltest auch noch mal überprüfen, ob deine Fähigkeiten im Messerwurf nicht eingerostet sind”, ermahnte er sie mit erhobenem Zeigefinger.

„Unsinn! Ich treffe das Auge einer Libelle auf fünfhundert Meter Entfernung, das kann ich euch jeder Zeit beweisen!”, sagte sie lässig.

„Gut, das beweist du mir! Aber ich denke trotzdem, dass wir in ein paar Tagen aufbrechen können”, meinte Makotoko.

„Okay, dann hol ich meine Sachen. Wir können sofort mit dem Training anfangen”, stimmte sie zu.

„Bist du wahnsinnig?! Ich kenne deine stärksten Waffen und die probierst du bitte nicht an mir aus!”, sagte er streng.

Mitsura lachte. „Meine ‘stärkste Waffe’ hab ich in letzter Zeit so oft angewendet, dass ich sie mittlerweile wirklich perfektioniert habe. Die brauch ich nicht mehr zu testen.”

„Na so ein Glück. Beziehungsweise Pech für deine Opfer. Ich hoffe, sie haben sich nicht alle umgebracht?”, versicherte er sich und feixte dabei.

Mitsura wurde rot. „D...Das war nur am Anfang! Ich kann es jetzt so einsetzten, dass sie sich nach ein paar Monaten wieder erholen”, meinte sie.

„Gut, dann gib dem Kerl, der Anis mitgenommen hat, eine Überdosis, verstanden?”, befahl Makotoko grinsend.

„Okay. Wenn er gut aussieht und ein Dämon ist...”, sagte Mitsura und ein äußerst gemeines Grinsen stahl sich auf ihr Gesicht, „Dann bin ich nicht wählerisch.”
 

*
 

Müde erwachte Anis aus ihrem Schlaf. Sie hatten einen sehr schönen Traum gehabt. Er war sehr seltsam gewesen. Makotoko war darin vorgekommen. Erst jetzt begriff sie, wie sehr sie den jungen Mann vermisst hatte. So lange hatte sie ihn nicht mehr gesehen... Naja, eigentlich waren es nur ein paar Jahre gewesen; für ein Wesen mit ihrer Lebensspanne keine sonderlich lange Zeit und trotzdem sehnte sie sich nach ihm. Auch ihre Schwester Mitsura vermisste sie sehr. In dem Traum war auch Sesshoumaru vorgekommen, was sie verwundert hatte. Worum genau es ging, wusste sie nicht mehr.

Noch immer etwas verschlafen öffnete sie nun die Augen. Mit einem Schlag war sie hellwach. Entsetzt stellte sie fest, wie eng sie sich an Sesshoumaru geschmiegt hatte, während sie schlief. Erschrocken richtete sie sich auf und schob sich rückwärts von ihm fort, wobei sie gegen Arekisu prallte und inne halten musste. Sie saß jetzt rückwärts auf Ah-Uhns Rücken und rührte sich nicht, einerseits, weil sie sich in einer solch schwierigen Haltung befand und jede falsche Bewegung einen Absturz aus vielen hundert Metern bedeuten könnte, aber auch, weil sie einfach noch zu geschockt war von dem, was sie gerade getan hatte. Sie senkte eilig den Blick und bat ihn leise um Verzeihung, doch als eine Reaktion ausblieb, sah sie doch noch auf. Und Sesshoumaru - lächelte! Kein spöttisches, schadenfrohes oder heimtückisches, sondern ein warmes Lächeln, das ihr mehr Schrecken einjagte, als wenn er sie geschlagen hätte. Sesshoumaru hatte sie noch nie so angesehen!

„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Komm wieder her, sonst fällst du am Ende noch runter”, sagte er, und es klang erstaunlich sanft.

Anis’ Augen weiteten sich erstaunt. Ihr Herz klopfte schneller, als sie in seine goldenen Augen sah, in denen nicht eine einzige Spur der üblichen Kälte zu finden war.

„Du musste natürlich nicht, wenn du nicht willst. Aber setz dich wenigstens wieder richtig hin”, meinte er mit einem seltsamen Unterton in der Stimme und wandte den Blick ab.

Anis fühlte sich auf einmal ganz merkwürdig. Vorsichtig drehte sie sich wieder um und setzte sich richtig hin. Noch einmal sah sie zu Sesshoumaru zurück, doch er erwiderte ihren Blick nicht. Zögernd rückte sie etwas näher an ihn heran und lehnte sich wieder an sein Fell. Nun wandte der Inuyoukai doch wieder seinen Kopf zu ihr und sah sie leicht überrascht an. Anis schenkte ihm ein schüchternes Lächeln. Sesshoumarus Augen bekamen einen merkwürdigen Glanz. Er schaute sie so warm und zärtlich an, wie sie es sonst nur von Makotoko kannte. Sofort fühlte sie sich viel wohler und entspannte sich sichtlich. Sesshoumaru wandte seine Aufmerksamkeit jetzt wieder dem Flug und dem Lenken des Drachens zu, doch etwas war anders als zuvor. Er wirkte... glücklich. Und zu ihrem eigenem Erstaunen musste die junge Frau feststellen, dass sie das ebenfalls war... glücklich.
 

Sie flogen noch bis tief in die Nacht hinein. Beide hüllten sich in ein friedvolles Schweigen, verharrten in stiller Eintracht. Sie landeten erst, als Anis hörte, wie der Magen ihrer kleinen Hündin zu knurren anfing. Sie selbst hatte keinen Hunger, aber als sie am Erdboden angekommen waren, befahl ihr Sesshoumaru dennoch, sich Nahrung zu besorgen. Anis gehorchte und schickte auch Arekisu zum Jagen fort, was diese inzwischen selbstständig konnte. Als sie alles beisammen hatte, was sie brauchte, kehrte sie auf die Lichtung zurück, auf der sie mit Ah-Uhn gelandet waren. Den Reitdrachen entdeckte sie schnell, doch zu ihrer Überraschung war Sesshoumaru nirgendwo zu sehen. Langsam ging sie zu Ah-Uhn hinüber. Sesshoumaru musste ihm die Maulkörbe abgenommen haben, denn nun graste er friedlich auf der Wiese. Als sie bei ihm angekommen war, hob er einen seiner zwei Köpfe und sah sie aus treuen Augen an.

„Na, Ah-Uhn? Wo hat sich denn dein Herr versteckt, hm?”, flüsterte sie zärtlich und strich ihm über die Mähne.

Der Drache grunzte einmal und ruckte dann mit dem Kopf einmal nach oben. Anis verstand und wandte den Blick zu den Wipfeln der Bäume. Schnell hatte sie Sesshoumarus weiße Silhouette vor dem schwarzen Nachthimmel ausgemacht. Er saß auf einem besonders kräftigen Ast und lehnte sich mit geschlossenen Augen an den Stamm, ein Bein angewinkelt, das andere ausgestreckt, seine rechte Hand ruhte auf dem Knie. Anis ertappte sich dabei, wie sie mit den Augen die Entfernung zum Boden einzuschätzen versuchte und ihre Möglichkeiten abwog, dort hinauf zu kommen, ohne sich beim Klettern wie ein Depp anzustellen. Schnell aber rief sie sich in Erinnerung, dass sie gar keinen Grund hatte, zu ihm zu gehen. Anscheinend aber hatte Sesshoumaru einen Grund gefunden, zu ihr zu kommen, denn er sprang nun mit einem eleganten Satz vom Baum herunter und landete genau neben ihr. Sein schneeweißes Haar flatterte noch kurz im entstandenem Wind und hüllte dann seine Gestalt ein. Erneut machte Anis’ Herz einen Satz, doch das tat sie als Folge des plötzlichen Schrecks ab.

„Was ist?”, fragte er sie plötzlich.

Anis sah ihn verwirrt an. „Was soll sein?”

„Ich spüre, dass du mir etwas sagen willst”, antwortete er, doch diesmal klang seine Stimme fast wieder normal, nicht mehr so sanft.

Anis senkte den Blick. Etwas, das sie ihm sagen wollte? Ja, da gab es tatsächlich etwas, worüber sie sich während des ganzen Fluges schon Gedanken gemacht hatte.

„Ich frage mich... Warum behaltet ihr mich immer noch bei euch? Es war die Bedingung, dass ich mich um Rin kümmere und für euch mit Tessaiga kämpfen soll, wofür ihr mein Leben verschont habt. Aber... Rin... Sie kann mit meinem Schutz nichts mehr anfangen. Bei ihr habe ich versagt. Wir wurden auch schon lange nicht mehr von Dämonen angegriffen und außerdem habt ihr jetzt Tessaiga... Warum also wünscht ihr noch immer, dass ich bei euch bleibe? Warum tötet ihr mich nicht oder... oder lasst mich gehen?” Unwillkürlich war sie bei der Anrede für Sesshoumaru wieder zum ‘Sie’ zurückgekehrt, da sie ahnte, auf was für dünnem Eis sie sich hier bewegte. Zögernd sah sie auf und suchte in Sesshoumarus Augen nach einer Reaktion für ihre Worte. Doch das Einzige, was sie feststellen konnte, war, dass sein Blick noch kälter und abweisender wurde.

„Verzeiht, ihr müsst eure Taten nicht vor mir rechtfertigen”, flüsterte sie und meinte es auch tatsächlich so. Sie senkte den Blick wieder.

„Nein, das muss ich tatsächlich nicht! Dein Leben gehört mir, du bist mein Eigentum. Ich kann dich nicht gehen lassen und ich werde dich auch nicht töten. Oder ist es das, was du willst? Möchtest du noch immer, dass ich deinem Leben ein Ende bereite?”, fragte er scharf.

Anis antwortete nicht. Sie wusste nicht was sie jetzt sagen sollte. Sie hatte sterben wollen, um endlich aus der Gefangenschaft zu fliehen, ja. Aber nun... Es war eigentlich gar nicht so schlimm, seine Gefangene zu sein. Sie musste an den Flug denken, der hinter ihnen lag. Nein, wurde ihr klar, sie wollte nicht von Sesshoumaru getötet werden. Ihr Tod war ihr egal, aber sie wollte nicht durch Sesshoumarus Hand sterben. Sie wusste nicht warum, aber es war so.

„Nein...”, murmelte sie dann und wich seinem stechenden Blick aus.
 

Plötzlich hörte sie ein klapperndes Geräusch. Sie sah, wie Sesshoumaru ein Schwert von seiner Seite löste. Es war Tessaiga. Er hielt es an dem roten Halteseil, das er um den Griff befestigt hatte, um nicht vom Schutzsiegel zurückgewiesen zu werden und hielt es ihr jetzt hin.

„Ich will, dass du kämpfst, Anis. Nicht, dass du stirbst”, sagte er leise. Es klang wie ein Befehl, doch die Worte brannten sich für immer in ihrem Gedächtnis ein. ‘Ich will, dass du kämpfst, Anis. Nicht, dass du stirbst.’

Anis’ Augen weiteten sich erstaunt. Hatte sie das richtig verstanden? Bestimmt nicht. Mit zitternder Hand nahm sie Tessaiga entgegen.

„Hol dir auch dein anderes Schwert.” sagte er dann, bevor er sich umdrehte und zu ebenfalls in die Richtung des Drachens ging.

Zögernd folgte sie ihm zu Ah-Uhn zurück und löste ihr zweites Schwert aus der Halterung, an der es dort befestigt war. Sie schwang sich die Waffe samt Scheide über die Schulter und sah dann noch einmal zu Sesshoumaru, doch dessen Blick war wieder in die Ferne gerichtet. Seine starre Miene jagte ihr Angst ein und so wollte sie sich wieder umwenden, doch dann sprach er erneut zu ihr:

„Warum willst du unbedingt fort? Du hast oft versucht zu fliehen und ich sehe dir an, dass du diesem Gedanken noch immer nicht abgeneigt bist. Warum?”

Anis schwieg eine Weile und legte sich ihre Antwort sorgfältig zurecht. Dann sagte sie:

„Ich vermisse meine Familie. Leute, die ich liebe und die mich lieben. Es mag sich seltsam anhören, aber es ist nunmal so. Ich möchte zurück nach Hause. Du hast Recht, solange ich lebe, werde ich immer die meinen vermissen und zu ihnen wollen. Egal, was auch geschieht.”

Sesshoumaru sah sie nur an, mit seinem ausdruckslosesten Blick, den Anis ebenso erwiderte. Der Inuyoukai wandte als Erster die Augen von ihr ab und meinte:

„Vergiss sie. Ohne meine Erlaubnis gehst du nirgendwo hin.”

„Dann bitte ich euch hiermit um eure Erlaubnis!”, rief Anis leicht verzweifelt aus und spürte, wie ihre Augen feucht wurden.

„Nein. Ich kann dich nicht gehen lassen”, sagte er sehr leise und ernst und es klang auch irgendwie traurig.

Nun hatte Anis genug. Sie wirbelte abrupt herum und entfernte sich mit schnellen Schritten von Sesshoumaru. Ihre Haare wehten im Wind, doch sie konnten den einen Gedanken nicht hinfortwischen, der in ihrem Kopf eingebrannt war wie mit einem Brandeisen: Sie würde ihre Familie nie wieder sehen.
 

Sesshoumaru sah ihr traurig hinterher. Er roch ihre Tränen und hasste sich selbst dafür, dass er sie zum Weinen gebracht hatte. Die Vertrautheit, die sich wie ein unsichtbares Band zwischen ihnen aufgebaut hatte, als sie gemeinsam auf Ah-Uhn durch die Nacht flogen, war mit einem mal zerrissen. Verdammt, er hatte es verbockt! Wütend schlug er mit der Faust gegen den Stamm eines Baumes, seine Kraft so dezimierend, das dieser nicht umfiel. Er hatte seine Chance, je Anis’ Wohlwollen zu gewinnen, so eben verspielt. Aber was hätte er auch tun sollen? Sie hatte ihn doch verlassen wollen. Vielleicht tat sie genau das jetzt in diesem Moment.

Eilig ließ er all seine Sinne ausschwärmen um sie zu finden, was ihm glücklicherweise auch bald gelang. Sie war schon beunruhigend weit entfernt.

Doch dann nahm er etwas weitaus Beunruhigenderes wahr.

Seine Augen weiteten sich erschrocken.

Narakus Geruch.

In diesem Moment wurde ihm klar, dass Anis in Gefahr war. Er musste sie warnen, sie zurückholen, bevor es zu spät war!

Sofort wirbelte er herum und rannte mit großen Sprüngen dem vertrauten Geruch hinterher. Hoffentlich kam er nicht zu spät!
 

*
 

Anis weinte stumme Tränen. Sie saß auf einem morschen Baumstumpf und ließ ihrer Trauer freien Lauf. Die unheimliche Gewissheit, ihre Familie nie wieder zu sehen, betäubte jedes andere Gefühl. Die, die sie liebte, würde sie nie wieder sehen. Nicht ihre Eltern, nicht ihre Schwester Mitsura... Und auch nicht Makotoko, den sie von allen am meisten liebte und vermisste. Sie vermissten seine stets heitere Miene und sein Lächeln, das nie von seinem Gesicht gewichen war, selbst wenn es ihr manchmal vollkommen unangebracht schien. Wie anders war da doch Sesshoumaru. Er lächelte so gut wie nie und sie hatte ihn noch nie laut lachen hören, bezweifelte sogar, dass er das konnte. Aber dennoch wusste sie, dass sie auch ihn inzwischen zu schätzen gelernt hatte. Sie fing sogar an, ihn ein kleines bisschen zu mögen, obwohl dies das Gefühl, dass er ihr ihre Familie geraubt hatte, keineswegs linderte.

Plötzlich spürte sie etwas Feuchtes an ihrem Bein und senkte den Blick. Neben dem Baumstumpf war Arekisu aufgetaucht, die sie mit ihrer Nase angestubst hatte. Traurig hob sie die Hündin auf ihren Schoß, was gar nicht mehr so leicht war, da diese nun wirklich langsam aus dem Welpenalter heraus war.

Schluchzend vergrub sie ihr Gesicht in ihrem Fell, als wollte sie mit ihren Tränen all das Leid aus ihrem Herzen schwemmen. Doch das gelang ihr nicht, im Gegenteil, es machte es sogar noch schlimmer. Aber irgendwann hatte auch Anis keine Tränen mehr, die sie hätte vergießen können. Sie setzte Arekisu wieder auf dem Boden ab und stand auf. Es brachte gar nichts, hier so untätig rumzusitzen.

Sie wollte sich gerade zum Gehen wenden, da spitzte Arekisu auf einmal die Ohren, zog die Lefzen zurück und knurrte. Alarmiert drehte Anis sich um und starrte in die selbe Richtung, in die auch die Hündin ihre Aufmerksamkeit gerichtet hatte. Nun, wo sie darauf achtete, spürte sie ganz schwach eine Hand voll Youki, die sich auf sie zu bewegte. Hastig wischte sie sich den letzten Rest Tränen aus ihren Augen und zog Klingenecho. Entgegen ihrer Erwartungen kamen die niederen Youkai jedoch nicht auf sie zu, sondern bewegten sich in einiger Entfernung an ihr vorbei. Neben ihr jaulte Arekisu auf, Anis wandte den Blick zu der Hündin, die ängstlich ihren Schwanz zwischen die Beine geklemmt hatte. Noch einmal stieß sie ein herzzerreißendes Winseln aus, bevor sie sich herumwarf und mit langen Sprüngen in den Wald hinein flüchtete, weg von den nahenden Dämonen.

Anis stieß einen Fluch aus und schob ihre Waffe zurück in die Scheide, bevor sie ihrem Schützling nacheilte. Wenn das Tier panisch durch die Gegend rannte, würde es nur die Aufmerksamkeit der Youkai auf sich ziehen und diese waren einer kleinen Zwischenmahlzeit sicher nicht abgeneigt.
 

*
 

Fluchend schwang Sesshoumaru sein Schwert durch die Luft.

Eine riesige Horde niederer Dämonen hatte ihn auf einmal angegriffen und er ahnte, wer dahinter steckte. Er zweifelte auch nicht daran, dass dies nur ein Ablenkungsmanöver war. Durch den Geruch der Dämonen konnte er Anis nirgends ausmachen. Ihr blumiger Duft verschmolz nahtlos mit dem widerlichen Gestank von Narakus schmierigen Handlangern. Seine Nase nahm lediglich deren verpesteten Geruch wahr. Verflucht, clever war Naraku schon, das musste man ihm lassen.

Die Youkai starben reihenweise unter Tokjins Klinge, doch es rückten immer wieder neue nach. Die Hoffnung, Anis noch rechtzeitig zu erreichen, schmolz dahin wie ein Eiswürfel in der Sahara. Ihm selbst würde dieses Ungeziefer kaum etwas ausmachen, aber es war doch in der Lage ihn etwas hinzuhalten und Sesshoumaru fürchtete, dass schon einige Minuten für Naraku ausreichten, um - Ja, um was eigentlich? Hatte es sein Erzfeind wirklich auf Anis abgesehen? Und wenn nicht, wieso schickte er dann nicht etwas stärkere Gegner für ihn aus, um sich wenigstens der aberwitzigen Vorstellung hinzugeben, ihn ermüden zu können? Was ihm zweifellos nicht gelungen wäre, davon einmal ganz abgesehen.

Sesshoumaru ließ sein Schwert hoch über dem Kopf wirbeln, bevor er es rasend schnell durch die Luft sausen ließ und so einige mächtige Energiebälle auf seine minderwertigen Feinde zuschleuderte, denen nicht alle rechtzeitig ausweichen konnten. Doch ein Großteil schaffte es dennoch und die zahlreichen Leichen wurden sofort von anderen Youkai ersetzt. Sesshoumaru biss die Zähne zusammen. Er würde weiter auf diese Horde eindreschen, irgendwann musste dieser endlose Fluss an Nachschub doch einmal versiegen!
 

*
 

Fast wäre Anis über die Hündin gestolpert, die urplötzlich inne gehalten hatte. Keuchend blieb sie stehen und wandte verwirrt den Blick, um herauszufinden, was sie dazu veranlasst hatte, ihren Lauf zu stoppen. Im nächsten Moment weiteten sich ihre Augen, als sie die Ursache dafür erkannte. Vor ihr erhob sich eine riesige, lila schimmernde Wand aus purem Licht, die gerade so durchsichtig war, dass man die dahinter stehenden Bäume noch erkennen konnte.

Anis hatte nicht den leisesten Anhaltspunkt, wem dieser Bannkreis gehören könnte und doch glaubte sie zu spüren, dass diese Person nicht allzu freundlich war. Arekisu, die bis jetzt staunend auf den Bannkreis gestarrt hatte, bellte plötzlich auf und sah die junge Frau erwartungsvoll an.

„Was willst du denn, meine Süße?”, fragte Anis lächelnd. Sie sah in ihre treuen Hundeaugen und vergaß für einen herrlichen Moment ihre Sorgen.

Erneut bellte das Tier auf und ging nun einige Schritte auf die Lichtwand zu.

„Du... Du meinst doch nicht etwa, dass wir da rein gehen sollen, oder?”, fragte Anis leicht geschockt. Sie war sich nicht mal sicher, ob sie das überleben würde.

Arekisu aber sah noch einmal ängstlich hinter sich in die Dunkelheit der Bäume, und trottete dann zielstrebig auf den Bannkreis zu. Anis wollte sie erschrocken zurückrufen, hielt jedoch inne, als sie sah, dass die Hündin ohne jegliche Mühe die violette Barriere durchschritt.

Nun trat auch sie selbst vorsichtig etwas näher und berührte zaghaft die durchsichtige Wand. Ihre Hand glitt durch sie hindurch, ohne irgendwelchen Widerstand zu spüren. Zögernd zog sie sie wieder zurück. Arekisu wartete auf der anderen Seite und wedelte glücklich mit dem Schwanz. Sie musste gespürt haben, dass sie nur im Inneren dieser Barriere in Sicherheit vor den zweifellos feindlich gesinnten Dämonen waren. Dennoch war die junge Frau sich nicht sicher, ob jenseits dieses Lichts nicht noch ein gefährlicherer Gegner lauerte. Aber hier zu warten, bis die Youkai sie entdeckten, war wohl auch nicht klug. Es war schon sehr seltsam, dass sich überhaupt so viele von ihnen zusammengetan hatten. Das war sicher keine Jagtgemeinschaft! Aber sie wüsste auch nicht, warum diese Youkai es auf sie und Arekisu abgesehen haben sollen. Also blieb nur noch die Möglichkeit, dass Sesshoumaru ihr Ziel war.

Halt.

Moment.

Wenn diese Youkai Sesshoumaru angriffen, dann war dieser doch abgelenkt, oder?

Und wenn Sesshoumaru abgelenkt war und sie in diesem merkwürdigen Bannkreis verschwinden würde...

Ja, sie müsste nur wieder einen Weg heraus finden, auf der anderen Seite dieses Bannkreises. Dann könnte sie so schnell es ging zu dem kleinen Dorf zurückeilen, durch den Brunnen springen und wäre dann endlich wieder bei ihrer Familie...

Ja, das erschien ihr ein guter Plan. Für eine solche Reise würde sie vielleicht einige Tage brauchen, aber das spielte keine Rolle. Und wenn Sesshoumaru sie doch noch vorher abfangen sollte, würde sie einfach behaupten, dass Arekisu in den Bannkreis gelaufen war und sie sie hatte zurückholen wollen, was ja nicht einmal gelogen war.

Es ging ihr nun nicht wirklich mehr darum, von Sesshoumaru weg zu kommen. Sie wollte einfach nur zurück zu ihrer Familie, doch da der Daiyoukai ihr das nicht gestattete, musste sie wohl oder übel schon wieder fliehen. Einen Versuch war es immerhin wert.

Mit diesem Gedanken trat sie schließlich entschlossen einen Schritt nach vorne. Sie kam ohne irgendwelche Probleme durch den Bannkreis, was sie doch etwas verblüffte. Stirnrunzelnd sah sie sich nach Arekisu um. Sie entdeckte das Tier bald, doch dessen Anblick irritierte sie. Die Hündin hatte sich eng an den Boden gepresst, in den Augen ein panisches Glitzern.
 

„Dein Hund scheint mich nicht sonderlich zu mögen”, ertönte plötzlich eine kühle Stimme direkt neben ihr.

Anis blieb fast das Herz stehen, so sehr erschreckte sie sich. Dennoch ließ sie sich dies mit keiner Bewegung anmerken und drehte sich nur betont langsam um. Dort stand eine äußerst seltsame Gestalt. Der Stimme nach zu urteilen war es ein Mann, doch das konnte man nicht genau erkennen, denn er war vollkommen verhüllt von einem dicken, weißen Pelz. Er hatte sogar eine Maske auf, aus der nur zwei heimtückische schwarze Augen heraus blitzten. Was es für eine Maske war, konnte Anis nicht genau feststellen. Auf den ersten Blick hielt sie es für einen Totenkopf, doch dann erkannte sie, dass es wohl irgend so eine Art Affe sein sollte, was sie sich nun absolut nicht erklären konnte. Warum zum Teufel sollte sich jemand freiwillig in ein Affenkostüm kleiden?! Vorausgesetzt, er war nicht selbst ein Affendämon, doch das bezweifelte sie irgendwie. Die junge Frau konnte sich nicht helfen, aber sie glaubte, diese Stimme schon einmal gehört zu haben. Aber gleichzeitig war sie sich auch todsicher, noch nie einem Typen im Pavianfell begegnet zu sein.

„Hast du etwas mit den Dämonen zu tun, von denen es dort draußen nur so wimmelt?”, fragte sie die Gestalt vor sich.

„Sicher habe ich das...”, antwortete er. Anis zog eine Augenbraue hoch. An seiner Stimmlage konnte sie ganz genau erkennen, dass er unter seiner Maske lächelte. Wieder glaubte sie diese Stimme zu kennen. Sicher waren keine guten Erinnerungen damit verbunden.

Ihr Gegenüber löste das Rätsel um seine wahre Identität schließlich selbst und nahm die überaus hässliche Maske ab.

Anis erkannte ihn sofort. Sie hatte ein recht gutes Gedächtnis für Gesichter. Besonders, wenn sie ihr so viele Scherereien bereitet hatten.

Es war Naraku.
 

„Naraku! Es ist sicher kein Zufall das du hier bist, nicht wahr?”, sagte sie herausfordernd.

„Keineswegs. Sesshoumaru muss herausgefunden haben, wo ich mich verstecke. Selbstverständlich bin ich ihm aber auch ein gutes Stück entgegen gekommen. Aber ich muss sagen, dass es mich doch etwas überrascht hat, dass du dich nun wieder in seiner Gesellschaft befindest”, antwortete er mit einem hämischen Lächeln.

„Gezwungenermaßen. Deine Armee hat mir ja leider nicht sehr viel weiter helfen können”, sagte sie anklagend und sah sich gleichzeitig möglichst unauffällig nach einer guten Fluchtmöglichkeit um. Diesem Kerl konnte man nicht trauen. Doch wenn sie ihm vorgaukelte, noch immer an Sesshoumarus Tod interessiert zu sein, dann konnte sie ihm vielleicht entwischen.

„Ich gebe zu, dass nicht alles nach Plan gelaufen ist. Ich habe zwei meiner Abkömmlinge verloren. Auch Kagura ist, nachdem sie ihren Auftrag, das Mädchen Rin zu töten, erfolgreich erledigt hat, leider von Sesshoumaru erwischt worden. Aber denke, das weißt du schon?”, sagte er leise und Anis entging nicht, dass er sie prüfen wollte.

„Dieses schmächtige Nervenbündel ist mir doch vollkommen gleichgültig! Und deiner ach so teuren Kagura werde ich auch keine einzige Träne nachweinen. Aber du kannst dir vorstellen, dass Sesshoumaru nicht gut auf mich zu sprechen war und das er seine Wut überhaupt an mir auslassen konnte, verdanke ich nur dir, du Mistkerl!”, sagte sie wütend. Oh wie leicht ihr diese Lügen über die Lippen kamen! Wie überzeugend sie doch waren! Fast, als wäre es richtig, tatsächlich so zu denken. Aber das war es nicht und Anis musste sich das mit aller Kraft in Erinnerung rufen, damit sie ihren eigenen Worten keinen Glauben schenkte.

„Es ist nie zu spät für einen zweiten Versuch...”, erwiderte Naraku ruhig, doch Anis wusste den leicht verunsicherten Ton in seiner Stimme zu deuten, den er so geschickt verbarg.

„Es ist mir egal, was für einen Mist du wieder ausgebrütet hast! Es wird sowieso nicht funktionieren!”, meinte Anis laut. Sie musste nur vorgeben, die Nase einfach voll von ihm zu haben, dann hatte sie eine Chance zu überleben. Dachte sie jedenfalls.

„Du solltest mich zuerst anhören! Du bist hier in meinem Bannkreis und kommst hier nicht so leicht wieder raus. Du wirst tun müssen, was ich dir sage”, knurrte Naraku gefährlich. Verdammt, er hatte die einzige Lücke in ihrem Plan entdeckt...!

„Gib mir deinen Splitter des Juwels. Ich weiß, dass du einen hast. Meine Spione haben gehört, wie Inuyasha mit seinem Gefolge darüber geredet hat. Es ist sinnlos zu leugnen. Mit deinem Splitter und dem des Menschenjungen Kohaku, den ich unter meiner Kontrolle habe, wird es mir ein Leichtes sein, Sesshoumaru zu töten. Denn dann besitze ich das vollständige Juwel der vier Seelen”, eröffnete ihr Naraku und seine Stimme klang drohend.

Anis musste schlucken. Naraku wusste von ihrem Juwelensplitter. Das war nicht gut, das war gar nicht gut. So wenig wie möglich sollten davon wissen, so hatte es ihr Vater ihr damals eingeschärft, als er ihr den Splitter gegeben hatte. Sie hatte ihn bekommen, weil sie die Einzige in der Familie war, deren dämonische Kräfte noch versiegelt waren. Der Splitter würde sie am Leben halten, wenn sie zu stark verwundet war, er würde ihr im Kampf neue Kraft geben und ihre Wunden heilen, solange diese nicht zu schwer waren. Wenn man ihr natürlich das Herz herausreißen würde, konnte kein Juwelensplitter der Welt mehr etwas ausrichten.

Doch Anis dachte gar nicht daran, Naraku den Splitter zu übergeben, nur damit der dann damit Sesshoumaru töten konnte. Eher würde sie sterben!
 

„Ich gebe dir meinen Splitter nicht!”, und Ich werde Sesshoumaru kein zweites mal verraten!, fügte sie in Gedanken hinzu.

Naraku starrte sie finster an. „Dann werde ich mir eben mit Gewalt holen, was ich begehre!”

Das Pavianfell glitt über seine Schulter und entblößte seinen rechten Arm, der sich urplötzlich in ein hässliches Braun verfärbte und sich zu Anis’ Entsetzen nun um mehrere Meter verlängerte. Wie die Zunge eines hungrigen Frosches schnellte er auf Anis zu. Die Fingernägel des Dämonenarms hatten sich in krallenartige Gebilde verwandelt und drohten die junge Frau aufzuspießen. Diese aber machte einen Satz nach oben, zog blitzschnell ihr Schwert Klingenecho und jagte dem Hanyou eine deftige Attacke entgegen, welche seinen Arm in Stücke riss. Doch die am Boden liegenden Teile setzten sich sofort wieder zusammen, während nun auch sein linker Arm anzuschwellen begann. Wieder rasten Anis’ Klingen auf den Halbdämon zu. Dieser wiederum erschuf diesmal rasch einen Bannkreis um sich herum, sodass ihr Angriff wieder nur seine überdimensionalen Arme zerfetzte, welche er nicht mehr rechtzeitig einziehen konnte. Genau wie beim letzten Mal setzten sich die widerwärtigen Fleischklumpen wieder zusammen.

Immer wieder attackierten die beiden sich jetzt wieder mit ihren verschiedenen Angriffen. Anis merkte mit der Zeit, dass sie immer schwächer wurde und Naraku noch nicht einmal schneller atmete. Mit einem eleganten Sprung brachte sie sich erstmal außer Reichweite von ihrem Feind und steckte Klingenecho zurück in die Scheide. Einen kurzen Augenblick blieb sie stocksteif stehen, als wenn sie überlegen müsste, was nun zu tun war. Dann zückte sie Tessaiga.
 

Naraku spürte die Macht, die das Schwert ausstrahlte, als es sich verwandelte. Diese Frau vor ihm schien den Kampf, den sie eben ausgefochten hatten, nur als Aufwärmung anzusehen! Aber das sollte ihm nur recht sein. Je eher sie richtig zur Sache kamen, desto eher bekam er ihren Juwelensplitter. Die zerfetzten Teile seiner Arme lagen immer noch außerhalb des Bannkreises. Doch Naraku setzte diese diesmal nicht zusammen, sondern verwandelte sie in etliche kleine eigenständige Wesen, die nun auf seine Gegnerin zuschossen.
 

*
 

Endlich! Die restlichen Youkai verzogen sich und Sesshoumaru hatte freie Bahn.

Er konnte jedoch noch immer nicht ausmachen, wo sich Anis befand. Aber er roch sehr wohl den kleinen Hund, um den sie sich immer so sorgte.

Mit rasend schnellen Sprüngen eilte er in die Richtung, die ihm seine Nase wies. So kam er auch recht schnell an den Rand des Bannkreises und stoppte seinen Lauf. Prüfend streckte er eine Hand aus und berührte die glitzernde Oberfläche der Wand.

Ein kurzer, schmerzhafter Stromschlag lief durch seinen Körper und Sesshoumaru wusste, dass Naraku ihn scheinbar nicht dort drin haben wollte. Das konnte nur bedeuten, dass er gerade beschäftigt war. Und die Tatsache, dass die Spuren des Hundes und auch Anis feine Duftspur genau hier endeten, versetzte Sesshoumaru in einen tiefen Angstzustand. Angst und Sorge, wie er sie noch nie zuvor gespürt hatte. Nicht um sich selbst, natürlich nicht, aber um Anis. Naraku war bei ihr und er würde ihr noch sonst was antun, wenn er nicht rechtzeitig auftauchte. Seine Verzweiflung wurde jedoch sofort von einem unbändigen Hass erstickt. Mit einer ruhigen und fließenden Bewegung zog er Tokjin.
 

*
 

Anis spürte, wie sich Narakus Energien veränderten. Mehrere kleine Youkai stürmten auf sie zu. Aber die junge Frau hatte nicht vor, sich mit solch einem Gesindel abzugeben. Heftig schwang sie Tessaiga und die Dämonen wurden in der Luft zerrissen. Ihr Blut ergoss sich über den Boden und Anis fluchte innerlich. Bei soviel Flüssigkeit auf der Erde könnte sie nur zu leicht ausrutschen. Genau das hatte zweifellos auch Naraku vor gehabt.

Anis schickte ihre erste Windnarbe auf den Hanyou zu, bevor der eine Chance hatte, seine fehlenden Körperteile zu erneuern. Sein Bannkreis hielt, doch die übrigen Fleischklumpen außerhalb der Barriere wurden atomisiert. Bevor sich Naraku überhaupt etwas erholen konnte, feuerte sie schon die nächste Ladung ab. Naraku, der seinen Bannkreis gerade aufgelöst hatte, um sie erneut anzugreifen, wurde unter dem blendendem Licht in Hunderte seiner Einzelteile zerlegt.

Erschöpft ließ Anis das Schwert sinken, das sich auf einmal tonnenschwer anfühlte. Müde wollte sie sich von dem grausigen Schauplatz abwenden, als ihr ein schimmerndes Licht ins Auge fiel.

Wie Tausende kleine Würmer krochen Narakus Einzelteile auf einen gemeinsamen Punkt zu. Im Zentrum lag ein großer Haufen brauner Masse, auf dessen Oberfläche ein seltsames Mal zu sehen war, welches Ähnlichkeit mit einer Spinne hatte. Fasziniert starrte Anis auf das merkwürdige Ding, unfähig, irgendetwas zu unternehmen. Doch sie zögerte zu lange. Viel zu lange.

Ehe sie sich versah, stand Naraku wieder vollkommen unverwundet vor ihr, was der Schwertkämpferin einen gehörigen Schrecken einjagte und bei ihr auch gleichzeitig das Fass zum Überlaufen brachte.

Mit einem wütenden Aufschrei, der eher dem eines Tieres als einem menschlichen Wesen glich, stürmte sie auf ihren Feind zu. Der jedoch vollführte eine unverschämt lässige Bewegung und plötzlich wuchsen viele wulstige Muskelstränge, allesamt von einer Übelkeit erregenden Farbe, aus dem Boden heraus und umgaben ihn mit einem schützenden Wall, während einige gleichzeitig wieder Anis angriffen.

Die Kämpferin sprang elegant mehrere Meter nach oben und nährte sich Naraku nun von oben, um so dem Gestrüpp aus zupackenden Klauen und knöchrigen Fingern auszuweichen. Doch noch ehe sie überhaupt begriff, was geschah, bildete sich schon wieder eine schimmernde Kuppel aus violettem Licht über dem Kopf ihres Gegners, an dem sie schmerzhaft abprallte.

Das seltsame Gemisch aus dämonischen Armen schoss jetzt von allen Seiten auf sie zu und riss sie mit sich fort. In dem Getümmel verlor sie dann zu allem Überfluss auch noch Tessaiga und konnte sich nun kaum mehr wehren, während die merkwürdigen Gebilde sie wie eine reife Pflaume vom Baum pflückten. Sie wurde grob auf den Erdboden geworfen und nur wenige Hundertstelsekunden später verformten sich die Enden der plumpen Muskelstränge zu tausenden spitzen Krallen, die nun auf sie herabstießen. Weitere dieser unangenehmen Gebilde schossen aus der Erde unmittelbar neben ihr heraus und schlossen sich fest um ihre Arme und Beine. Überall spürte sie den Schmerz, als Narakus Krallen sie durchbohrten.

Eigentlich was sie ja gewappnet gegen Schmerz, es machte ihr normalerweise nicht so viel aus. Um so erstaunter und entsetzter war sie, als dieser Schmerz urplötzlich um ein Vielfaches schlimmer wurde. Entsetzt riss sie die Augen auf. Sie wusste ganz genau was das zu bedeuten hatte:

Naraku hatte ihren Juwelensplitter entfernt.
 

*
 

Mit aller Kraft stieß Sesshoumaru sein Schwert durch den Bannkreis. Eine winzige Schweißperle bildete sich auf seiner Stirn, als er mit der Klinge mühsam durch die Wand schnitt. Aber nach einigen Augenblicken hatte er es geschafft. In der Barriere war ein hauchfeiner Spalt entstanden, den Sesshoumaru leicht erweitern konnte, bis er schließlich groß genug war, um hindurch zu schlüpfen. Genau das tat der Inuyoukai dann auch, bevor er mit langen Sätzen weiter der Spur folgte. Schon einige Momente später konnte er sie sehen: Anis, wie sie von seltsamen Gebilden festgehalten wurde, die wie Krakenarme aussahen und von Naraku ausgingen, welcher ein hämisches Grinsen aufgesetzt hatte.

Die junge Frau konnte ihn von hier aus unmöglich sehen, denn er befand sich auf Narakus andere Seite. Sofort wollte er ihr zur Hilfe eilen und rannte auf seinen verhassten Feind zu, um ihm in den Rücken zu fallen. Doch eine Bewegung von der Seite lies ihn herumfahren. Instinktiv lies er seine Energiepeitsche hervorschnellen.

Keine Sekunde zu früh. Mit einem dumpfen Geräusch prallte eine Kettensichel von seiner Lichtattacke ab und fiel zu Boden.

Rasselnd holte der Besitzer der Waffe diese wieder ein und machte sich zum erneuten Wurf bereit.

Sesshoumaru kannte diesen Menschenjungen mit dem leeren Blick, der Narakus Befehle ausführte. Beim letzten Mal hatte er ihn verschont, doch nun war er nicht gewillt, dies noch einmal zu tun. Zweifellos rechnete Naraku mit dem Tod des Jungen und Sesshoumaru stieß es ab, nach dessen Pfeife zu tanzen, aber er hatte jetzt einfach keine Zeit!

Wieder ließ er seine Peitsche hervorschnellen und der Menschenjunge machte auch überhaupt keine Anstalten ihr auszuweichen.

Eilig wandte Sesshoumaru sich wieder um, die Leiche des Jungen nicht beachtend. Auch die wespenartigen Insekten beachtete er nicht, die nun ein winziges, violettes Ding aus dem Nacken des jungen Dämonenjägers entfernten. Für ihn zählte nur noch eins: rechtzeitig zu Anis zu kommen.
 

*
 

Mit letzter Kraft befreite Anis ihre Beine aus der Umklammerung und stieß diese sofort in die Höhe, um einen weiteren Angriff durch die Youkaiarme abzuwehren. Der Tritt wirkte und gab ihr ein wenig Freiraum, den sie nutze, um auch ihre Arme frei zu bekommen. Kaum hatte sie das geschafft, als sie auch schon mit einer blitzschnellen Bewegung erneut Klingenecho aus der Scheide zog. Mit Hilfe der Waffe zerhackte sie rasch die auf sie zuschnellenden Arme und gewann Zeit, um sich zu orientieren. Aus den Augenwinkeln bekam sie mit, wie ein seltsames, fliegendes Insekt von Naraku in Empfang genommen wurde. Mit einem Mal fing dieser an, in einem strahlenden Licht zu leuchten. Die Helligkeit zwang Anis ihre Augen zu schließen, wodurch sie den Schatten nicht bemerkte, der in hohem Bogen über Naraku hinweg huschte und hinter ihr landete. Vollkommen gelähmt starrte Anis auf das Schauspiel, das sich ihr bot. Eine schreckliche Vorahnung ergriff von ihr Besitz.

Anis wusste, was dieses Licht, welches die ganze Lichtung erleuchtete, bedeutete. Naraku hatte ihren Juwelensplitter absorbiert und dieses fliegende Ungeziefer musste ihm gerade ebenfalls einen gebracht haben. Dunkle Schlieren und die erhöhte böse Ausstrahlung ihres Gegenübers bestätigten ihre Vermutung.

Das Juwel der vier Seelen war wieder zusammengefügt worden. Und es befand sich in Narakus Besitz.

Damit war ihr Ende besiegelt.
 

Dennoch war Anis nicht gewillt, so einfach aufzugeben. Narakus Gestalt wuchs um ein Vielfaches an und ihm sprossen weitere Körperteile an allen möglichen und unmöglichen Stellen. Ein Großteil davon schnellte bereits wieder auf sie zu.

Anis wirbelte ihr Schwert herum. Die magischen Klingen trafen auf einen besonders dicken Fleischstrang - und prallten davon ab!

Entsetzt duckte sich die junge Frau unter dem Angriff weg. Eine Sekunde später hatte sie sich auch schon wieder aufgerichtet.

Dann ging alles ganz schnell.

Sie hörte, wie eine ihr nur zu vertraute Stimme ihren Namen rief. Blitzschnell drehte sie sich um und konnte gerade noch reagieren, als der Muskelstrang, dem sie eben ausgewichen war, nun wieder auf sie zugeschnellt kam. Hastig wich sie zur Seite aus.

Nun wollte sie aber Gewissheit haben, wer ihr diese Warnung zugerufen hatte und für einen Moment ließ ihre Aufmerksamkeit Naraku gegenüber nach. Ein fataler Fehler, wie sich herausstellte.

Ein grässlicher Schmerz durchzuckte plötzlich ihren Körper. Für einen winzigen Moment schien die Zeit stehen zu bleiben.

Anis sah quälend langsam an sich herunter. Ein dicker, vorn zugespitzter Arm Narakus hatte sie von hinten durchbohrt. Das widerwärtige Teil guckte noch vorne aus ihrem Bauch heraus. Blut tränkte ihren Kimono. Seltsamerweise spürte sie für diesen einen Augenblick überhaupt nichts. So lange, bis Naraku das Teil wieder mit einem Ruck aus ihr heraus zog. Da betäubte gellender Schmerz all ihre Sinne.

Fast wie in Zeitlupe sank sie auf die Knie. Scheppernd glitt Klingenecho aus ihrer Hand.

All das dauerte kaum einige Sekunden. Sekunden, in denen sowohl Sesshoumaru als auch Naraku sich keinen Millimeter bewegten. Der Inuyoukai war noch zu geschockt, um überhaupt zu einen Finger zu rühren, als er Anis zusammenbrechen sah. Naraku kostete den Genuss seines Sieges voll aus und labte sich an dem Leiden seiner Feindin und an Sesshoumarus deutlichem Entsetzen.

Es dauerte jedoch nicht lange, bis Sesshoumaru die Situation begriff. Innerhalb eines Wimpernschlags war er bei der Frau, die er liebte und die nun kurz vor dem Tod stand.

Er fing ihren stürzenden Körper gerade noch rechtzeitig auf, bevor sie hart auf dem Boden aufprallte. Ihr Blut verfärbte seinen weißen Kimono rot, als er ihren langsam erschlaffenden Körper an sich presste und entsetzt in ihr Gesicht starrte.

Ein letztes Mal öffnete sie den Mund und flüsterte so leise und schwach, dass selbst Sesshoumaru Mühe hatte, sie zu verstehen:

„Sess...houma...ru... Ich wollte....nicht...sterben... Verzeih mir...!”

Dann schloss sie die Augen und ihr Körper entspannte sich vollends.
 

XxX
 

Ich, weiß, ihr werdet mich jetzt alle hassen! *auf Anis' Leichnam deut* Aber ich konnte einfach nicht widerstehen!

Außerdem hab ich euch ja gewarnt, da mindestens eine Person sterben wird. Nun, ich hab zwei draus gemacht, kohaku musste ich auch aus dem Weg räumen, ich brauchte seinen Splitter... Tja, damit das Sesshoumaru Kohaku umgebracht hat, hat er ja ziemlichen Mist gebaut. Jetzt hat der nämlich das komplette Juwel beisammen.

Wer im nächsten kap auf eine weiter haarsträubene Kampfszene hofft, den muss ich leider enttäuschen. So richtig zum Kampf wird es nämlich nicht mehr kommen, dank Sesshoumarus Grausamkeit... (müsst ich nicht verstehn)
 

Was Makotoko angeht, tja, er liebt Anis, Anis liebt ihn und Sesshoumaru scheint es ziemlich schwer zu haben, sich dazwischen zu drängen. Okay, jetzt hab ich es wohl schon verraten, das Anis nicht ewig tot bleiben wird. Wenn man das mal voraussetzt, scheint Makotoko tatsächlich der Einzige zu sein, der dem Glück der beiden noch im Wege steht. Ihr könnt euch aber darauf verlassen, das ich auch dieses problem lösen werde. ha, ihr werdet Augen machen... *träum* Aber bis zur großen Auflösung dauert es noch etwas. Wer die ganze ff wirklich super-ausführlich gelesen hat, der ahnt vielleicht schon etwas.

Bin gespannt auf eure rateversuche, sobald ihr aus dem bisschen schon was rausfiltern konntet.

Wiederbelebt

So, ich habe endlich ein neues Kapitel fertig.

Die nächsten Fluchtversuche werden jetzt etwas schneller hintereinander kommen, vielleicht ist euch aufgefallen das die Prozentanzahl der Fertigstellung der ff mit jedem Kapitel das das Wort 'Fluchtversuch' beinhaltet, auf eine glatte Zehnertahl steigt. Also, um auf die hundert Prozent zu kommen, werden Sesshouamru und Anis zeimlich oft und ziemlich schnell hintereinander voneinander getrennt.

Die Kapitel werden dann zwar den titel 'Fluchtversuch' tragen, aber das ist bitte nicht wortwörtlich zu sehen.

Anis wird nämlich ab jetzt keinen einzigen richtigen Fluchtversuch vor Sesshoumaru mehr planen. Der aber fässt ihr Verschwinden dann leider aber immer genau SO auf.^^ Schlechte Erfahrungen.^^

So, jetzt genug gelabert, es geht weiter.

Damit ihr den Anschluss nicht verliert: naraku hat grad Anis umgebracht und zwar genau vor Sesshoumarus Augen. So, und jetzt wird mal ne Runde Blut vergossen!
 

XxX
 

Weg.

Alles war weg.

In Sesshoumarus Innerem herrschte eine dröhnende Leere. Er hörte Narakus spottende Worte überhaupt nicht. Er hörte gar nichts.

Er starrte nur in Anis’ wunderschönes Gesicht und fühlte nichts.

Keine Trauer. Keinen Schmerz. Keine Wut oder Hass auf Naraku.

Das alles sollte erst später kommen.
 

Er drohte zu versinken. Drohte zu ertrinken in dieser unendlichen Leere.

Doch irgendwo, ganz tief in seinem Inneren, war noch ein letztes bisschen Verstand, das nicht von der Leere ergriffen worden war, die alle Gefühle hinweggespült hatte. Der Wille zu überleben. Sein Stolz und seine Ehre, ein letzter Gedanke: Er würde diesen Kampf nicht verlieren. Er würde nicht aufgeben. Er würde kämpfen. Für Anis.

Woher nahm Sesshoumaru die Kraft, jetzt noch logisch denken zu können? Er wusste es nicht. Aber die Abwesenheit aller Gefühle ermöglichte es ihm, einen klaren Plan zu fassen.

Anis war tot, ja, aber es gab auch noch einen letzten, verzweifelten Hoffnungsschimmer, dass dies nicht so bleiben musste.

Er hatte Tensaiga. Er würde sie zurückholen können.

Vorausgesetzt, ihr Körper wurde im Kampf mit Naraku nicht endgültig vernichtet und genau das, befürchtete Sesshoumaru würde geschehen, wenn er sich auf ein letztes Duell mit dem Hanyou einließ.

Mit einer erstaunlichen Ruhe und Gelassenheit hob Sesshoumaru sanft Anis’ Körper hoch und stand auf.

„Was ist? Willst du schon aufgeben, Sesshoumaru? Es wundert mich, wie du dieses Menschenweib behandelst. Ich hätte dir kein Verhältnis mit so einem erbärmlichen Wesen zugetraut. Aber wie der Vater so der Sohn, nicht wahr? Auch dein Vater ließ sich doch auf eine schwächliche Menschenfrau ein und musste dafür sein Leben lassen. Dir wird es jetzt nicht anders ergehen! Ich werde dich töten, hier und jetzt. Dann kannst du deiner Geliebten ins Jenseits folgen!”, sagte Naraku hämisch.

Sesshoumaru hatte kein Ohr für ihn. Der Halbdämon wusste nicht, was er wusste. Dieser miese Meuchelmörder wusste überhaupt nichts. Seine Worte berührten ihn nicht. Aber solange er weiter über ihn spottete, griff er nicht an. Und das war alles, was jetzt zählte.

Kurz reckte Sesshoumaru die Nase in die Höhe und fand schließlich, was er suchte: Den Geruch von Anis’ kleiner Hündin. Er hatte sie bald entdeckt, sie presste sich einige hundert Meter weiter entfernt flach auf den Boden und hielt die Augen vor Entsetzen und Angst weit aufgerissen.

Doch Naraku schien es Leid zu sein, sich mit jemanden zu unterhalten, der sowieso nicht antworten würde.

Ein riesiger Fangarm, zehnmal größer als die, die er hatte, bevor er das Juwel absorbierte, schoss auf Sesshoumaru zu.

Dieser nutze das aus, um unauffällig mit einem gekonntem Sprung in die unmittelbare Nähe der Hündin zu kommen.

Vorsichtig ließ er Anis zu Boden gleiten und packte dann die vollkommen überraschte und verängstigte Arekisu am Nackenfell und hielt sie in die Höhe.

Mit einigen äußerst bösartigen Blicken, einem Fingerzeig zu Anis und in den Wald hinein und einigen hündischen Lauten machte er dem Tier verständlich, was er von ihr verlangte.

Sofort nachdem Sesshoumaru sie losgelassen hatte, verbiss sich Arekisu in den Stoff von Anis Kimono und zerrte ihren Leichnam mit sich fort in den dunklen Wald hinein.

Beruhigt wandte sich Sesshoumaru wieder der naheliegensten Bedrohung zu. Es wurmte ihn ganz furchtbar, seine Liebe in den Pfoten eines gewöhnlichen Hundes zu lassen, doch das war momentan die einzige Möglichkeit, Anis’ Körper aus dem Weg zu schaffen. Nur wenn dieser nicht weiter beschädigt oder gar gänzlich vernichtet wurde, konnte er sie mit Tensaiga wiederbeleben. Und nur wenn sie nicht hier war, ob nun tot oder lebendig, konnte er so kämpfen, wie es nötig war, um Naraku zur Strecke zu bringen. Er hatte sie nicht gleich zurückholen können, weil sie sicher noch lange Zeit zu schwach sein würde, um sich allein zu entfernen, geschweige denn, um zu kämpfen. Und sicher hätte ihr Stolz ihr verboten, sich von Arekisu fortschleifen zu lassen.

Deswegen hatte er der Hündin befohlen, Anis wegzubringen. Sollte er selbst in diesem letzten Kampf sterben, so sollte Arekisu seinem Halbbruder und dessen Freunde holen und ihnen Tensaiga bringen, damit sie Anis wiederbelebten.

Es war eine verzweifelte Hoffnung und sie beruhte nur auf einem Tier und doch vertraute Sesshoumaru darauf. Was hatte er schon für eine Wahl?
 

Naraku konnte nicht erkennen, was genau geschah, nachdem Sesshoumaru ihm ausgewichen war. Doch als er wieder hervor trat, war die Leiche der Frau nirgends zu sehen. Doch das interessierte ihn auch nicht sonderlich.

Ohnehin war ihm noch ganz schwindelig von der Macht, die das Juwel ihm verleihte. So dauerte es eine Weile, bis er die Lage richtig begriff, die sich auf einmal schlagartig verändert hatte.

Sesshoumaru kam ganz langsam und drohend auf ihn zu. Er zog kein Schwert und machte auch keine anderen Anstalten, eine Waffe zu zücken.

Der Trottel!, dachte er sich noch. Naraku glaubte tatsächlich schon, wenn auch noch etwas zweifelnd, dass Sesshoumaru sich mit seinem Tod abgefunden hatte und ihm deswegen so bereitwillig entgegenkam.

Aber etwas an diesem Bild störte diese Theorie und das war der Ausdruck in seinen Augen.

Nichts in seinem Gesicht zeigte irgendeine Gefühlsregung doch in seinen Augen sah er eine tief verankerte Grausamkeit, die selbst ihn erschütterte. Schon allein seine Bewegungen, so geschmeidig und elegant wie die eines Raubtieres auf der Pirsch, wohnte etwas von dieser Grausamkeit inne. Eine tiefe Bedrohung ging von ihm aus.

Sesshoumarus Youki stieg mit einem Mal auf ein Vielfaches an und die Luft um ihn herum färbte sich rot, sodass es so aussah, als würde er in Flammen stehen. Und dazu noch dieser Blick, dieser eisige Blick, der schon allein zum töten fähig zu sein schien, dieser Blick, der hasserfüllt auf Naraku ruhte. Die Macht, die von ihm ausging, das begriff der Hanyou nun, diese Macht war um einiges größer als seine eigene. Selbst jetzt, wo er die Macht des Juwels in sich hatte, fühlte er sich angesichts dieser unglaublichen Energien nur noch wieder wie der minderwertige Hanyou, der er auch schon gewesen war, bevor er in den Besitz des Juwel gekommen war. Gegen diese Macht, diesen Hass und diese Grausamkeit seines Gegners würde er nicht bestehen können.
 

Noch immer herrschte in seinem Innerem eine Leere, wie sie nicht einmal in einem schwarzen Loch zu finden gewesen wäre. Sesshoumaru ließ seinem Youki freien Lauf, sodass es seinen Körper verließ und sich um ihn herum sammelte. Seine Haare wurden ihm von einer plötzlichem Windböe aus seinem Gesicht geweht, obwohl es ein vollkommen windstiller Tag war. Langsam schloss er die Augen und konzentrierte sich auf das, was jetzt kommen würde. Hinter seinen geschlossenen Lidern arbeitete es. Als er seine Augen mit einem Mal wieder öffnete, leuchteten diese in einem furchterregendem Rot.

Der Rest der Verwandlung dauerte keine Sekunde. Sesshoumarus Gesichtszüge verzerrten sich auf angsteinflößende Weise und eine riesige Staubwolke verhüllte alles Weitere.

Als auch dieser Staub vom Wind davongetragen war, stand dort, wo sich eben noch Sesshoumaru befunden hatte, ein riesiger weißer Dämonenhund mit leuchtend roten Augen, einer strahlend blauen Mondsichel auf der Stirn und je zwei magentafarbenen Streifen rechts und links neben seiner Schnauze. Er überragte Naraku bei weitem, war sogar größer als die Bäume rundum.

Spitze Zähne blitzten weiß auf, als er zum Sprung ansetzte.
 

Der Kampf war kurz und glich eher einem grausamen Abschlachten.

Naraku mochte durch die Macht des Juwels stärker geworden sein, doch er war auch größer und damit hundert mal schwerfälliger.

Gigantische Pranken rissen erst den leuchtenden Bannkreis und dann auch Naraku selbst auseinander. Wie ein Wurm wurde er zertreten. Wie ein rohes Stück Fleisch wurde er von scharfen Reißzähnen zerfetzt. Riesige Massen an übel riechendem Blut und widerwärtig stinkendem Miasma verätzte die gesamte Lichtung und einen Großteil des Waldes.

Ein aufmerksamer Beobachter hätte noch eine weitere, in diesem Augenblick unwichtige, am Ende aber weltbewegende Kleinigkeit bemerkt, durch die der Hanyou später auch nicht mehr in der Lage sein sollte, sich zu regenerieren und die ihm so schließlich den Tod brachte:

Durch den Druck, welchen die titanischen Tatzen des Hundes auf das verdorbene Fleisch seines Opfers ausübten, wurde ein kleiner Gegenstand aus dessen Körper gepresst und durch einen Spalt zwischen den Krallen des Inuyoukais katapultiert. Unbeachtet kullerte der Gegenstand einige Meter weit und blieb dann schließlich vollkommen harmlos wirkend auf der Erde liegen.

Es war eine kleine, schwarz schimmernde Kugel: Das Juwel der vier Seelen.
 

*
 

„MAKOTOKOOOO!”, schallte ein schriller Schrei durch das ganze Haus.

„Hergott, was ist denn los?!”, brüllte die Stimme eines jungen Mannes zurück.

Kurz darauf waren schnelle Schritte zu hören die die Treppe zum Keller hinab eilten.

Die Tür zu dem unterirdischen Raum wurde mit solcher Kraft aufgerissen, das sie glattweg aus den Angeln fiel.

Ein junger Mann mit brauen Haaren stürmte in den Keller, an seiner Seite ein Hund mit aufmerksam aufgerichteten Ohren.

Im Zimmer befand sich eine außergewöhnlich hübsche junge Frau mit braunem Haar und aufwendig geschminktem Gesicht. Doch Ihre Schönheit wurde durch gerötete Augen und dunklen Tränenspuren auf ihrem Antlitz gemindert. Sie lehnte schluchzend an der Wand des Raumes und starrte mit unendlichem Entsetzten in den Augen auf etwas, was sich in der Mitte des Zimmers befand.

„Mitsura, was ist denn los?! Warum kreischt du denn so laut, das hat man ja am anderen Ende der Welt gehört!”, sagte Makotoko grinsend und kniete sich neben die aufgelöste Frau.

„Sieh doch!”, brachte Mitsura unter einigen weiteren Schluchzern hervor und deutete mit dem Finger quer durch das ganze Zimmer.

Makotoko wandte sich in die angegebene Richtung - und erstarrte.

Das Lächeln gefror auf seinem Gesicht und wirkte nun kalt und hohl, bevor es schließlich - was in den letzten zweihundert Jahren nicht mehr geschehen war - vollkommen aus seinem Antlitz verschwand und purer Fassungslosigkeit Platz machte.

Die unheimliche Stille, die sich daraufhin breit machte, wurde schließlich unterbrochen von einem herzzerreißendem Jaulen, das aus der Kehle des Hundes drang.
 

Dabei war in diesem Raum eigentlich überhaupt nichts, was solch eine Reaktion bei den anwesenden Dämonen hätte hervorrufen können. Dort stand nur ein einfacher kleiner Tisch, auf dem sieben unterschiedlich farbige Kerzen standen. Fünf brannten, eine war wohl soeben erloschen, dem Rauch nach zu urteilen, der von ihr aufstieg und die letzte war ganz aus.

Und dennoch gab es natürlich einen Grund, warum die Youkai ihre Fassung verloren. Denn die Kerzen, die dort standen, mochten zwar unscheinbar aussehen, aber dennoch waren sie von einem mächtigen Zauber durchwoben. Jede von ihnen war einem Mitglied der Familie Vanderobe gewidmet. Die letzte, erloschene Kerze, die in einem blassen Gelb schimmerte, gehörte einst Mitsuras Schwester Natasushi, die vor rund zweihundert Jahren gestorben war.

Die darauf folgende Kerze bestand aus türkis-grünem Wachs. Die Flamme dieser Kerze hatte bis jetzt immer mit einer besonders kräftigen Farbe geleuchtet, doch nun war auch sie erloschen.
 

Wehleidig klagend sankt Mitsura vor dem kleinen Tisch zu Boden und begann jetzt hemmungslos zu weinen.

Sanfte Hände legten sich auf ihre Schultern. Zärtlich strich Makotoko der jungen Dämonin eine Träne aus dem Gesicht.

„Weine nicht. Meinst du, Anis hätte gewollt, dass du wegen ihr weinst?”, flüsterte er ihr tröstend ins Ohr, doch seine Stimme klang nicht halb so fröhlich wie sonst.

Mitsura wischte sich die letzten Tränen aus dem Gesicht und stand entschlossen auf.

„Du hast Recht! Lass und sofort ins Mittelalter aufbrechen! Wir werden herausfinden, wie das passieren konnte und wir werden Anis rächen!”, sagte sie impulsiv und blanker Hass loderte in ihren Augen auf.

„Beruhige dich, Mitsura. Wir müssen es erst Kantashira und Sukerumaru sagen. Dann werden wir in die andere Dimension reisen. Die Zeit des Trainierens ist vorbei”, erwiderte Makotoko und auch in seinem Blick lagen trotz der ruhigen Worte nur Rachelust und Blutdurst. Ein tiefes, bedrohliches Knurren von dem Hund an Makotokos Seite bekräftigte diese Worte.

Der junge Dämon wandte sich von den Kerzen ab und ging ruhig die Treppen hinauf, gefolgt von dem treuen Hund, der ihm ständig wie sein Schatten folgte. Es sah nicht so aus, als ob ihn das Geschehen dort unten interessiert hatte, doch Mitsura wusste, dass es ihm noch sehr viel mehr weh tat, als ihr selbst. Er hatte Anis schließlich fast genauso gut, wenn nicht noch ein wenig besser gekannt als sie selbst und dieses Ereignis musste ihn innerlich zerrissen haben.

Doch Makotoko zeigte fast nie, was er fühlte. Immer verbarg er sich hinter seiner freudig lächelnden Fassade. So war es schon immer gewesen.

Bevor sie Makotoko folgte, sah auch Mitsura noch einmal traurig zu der erloschenen Kerze hinüber. Die Kerze, die Anis’ Tod anzeigte.
 

*
 

„Bist du wirklich ganz sicher?”, fragte Shippo zum sechsten Mal.

„Natürlich bin ich sicher! Narakus Gestank würde ich unter Tausenden wieder erkennen und Sesshoumarus ganz genauso!”, schimpfte Inuyasha und verpasste dem Fuchsdämon eine harte Kopfnuss.

„Inuyasha, sei nicht immer so gemein zu dem armen Shippo! Er hat doch eine ganz einfache Frage gestellt”, wies ihn Kagome zurecht, die wie immer von Inuyasha getragen wurde, während Sango und Miroku auf Kirara ritten.

„Ein Frage mit einer absolut vorhersehbaren Antwort...”, fügte Miroku belehrend hinzu.

„Hat sich denn alles gegen mich verschwooooren?!”, heulte Shippo wehleidig.

„Unsinn, Shippo! Inuyasha ist nur ein wenig...gereizt”, antwortete Kagome beruhigend.

„Keh! Gereizt ist ja wohl etwas untertrieben! Ich mach sie alle beide kalt, Sesshoumaru UND Naraku! Spürst du schon das Juwel, Kagome?”, erwiderte der Hanyou und verrenkte sich fast den Hals um Kagome ins Gesicht zu sehen.

„Ja, das tue ich”, bestätigte das Mädchen.

„Spürst du auch...”, Sango brach kurz ab.

„Einen einzelnen Splitter? Nein. Demnach können weder Anis noch Kohaku dort sein”, sagte Kagome zu der Dämonenjägerin.

„Ja... Entweder das, oder... Oder das Juwel ist bereits vollständig”, murmelte ihre Freundin traurig.

„Wir werden schon einen Weg finden, um Kohaku zu retten. Bestimmt!” versuchte Miroku sie aufzuheitern.

„Vielleicht hast du Recht, Miroku. Aber irgendwie spüre ich... Ich befürchte... Das wir schon zu spät kommen...” Tränen traten in ihre Augen und sie schluchzte laut.

Kagome antwortete jetzt lieber nicht. Es mochte gut möglich sein, dass ihr Bruder tatsächlich tot war und sie wollte ihr keine unnötigen Hoffnungen machen.

„Wir werden sehen, Sango. Wir werden sehen...”, murmelte sie leise.
 

*
 

Kein Zweig, nicht ein Blatt bewegte sich, als Sesshoumaru völlig lautlos auf die Lichtung heraus trat, auf der Ah-Uhn und Arekisu sich befanden. Sie waren leicht zu finden gewesen und das nicht nur wegen dem ausgeprägtem Geruchssinns des Inuyoukai, sondern auch wegen der unübersehbaren Schleifspur von Anis’ Körper, den die Hündin hierher gebracht hatte.

Das sonst eher scheue Tier kam sofort auf ihn zu gerannt und blieb erst einen Meter von ihm entfernt stehen. Mit großen treuen Augen sah sie ihn an und ein stummes Flehen lag darin.

Sesshoumaru streckte kurz die Hand aus und strich dem Tier über den Kopf, doch seine Gedanken waren ganz woanders. Dann ging er langsam zu seinem Reitdrachen hinüber, der ihm respektvoll Platz machte und die Sicht auf Anis frei gab.

Die Hand des Youkais wanderte zu Tensaigas Griff, welcher bereits schwach pulsierte. Die Umgebung schien sich zu verändern, wurde dunkel und unscharf. Nur der Körper seiner Geliebten strahlte in einem unheimlichen Licht. Fünf der kleinen, verschrumpelten Gestalten saßen neben, teils sogar auf ihr und streckten ihre dürren Finger nach ihrem Licht aus. Die schwächlich wirkenden, koboldähnlichen Geschöpfe waren nur für ihn sichtbar und Sesshoumaru fragte sich unwillkürlich, warum einige von ihnen Waffen trugen.

Er zog Tensaiga aus der Scheide.

Was passierte eigentlich mit den Boten des Jenseits, wenn die Klinge des wiederbelebenden Schwertes sie zerriss? Nie hatte er sich darüber Gedanken gemacht, doch manchmal stellte man in den unpassendsten Situationen die unpassendsten Überlegungen an.

Sauber und mit nur einem einzigen Schwerthieb zerteilte Sesshoumarus Schwert die unheimlichen Gestalten, deren Körper sofort irgendwo im Nichts verschwanden.

Vorsichtig sank Sesshoumaru neben Anis auf die Knie und hob sie ein wenig hoch, um in ihr Gesicht zu sehen.

Noch rührte sie sich nicht.

Sesshoumarus Hände krallten sich in ihren Kimono. Die Spannung war unerträglich. Was wäre, wenn sie nicht mehr aufwachte...?

Nein, solch einen Gedanken würde er nicht ertragen. Anis würde wieder leben! Sie würde wieder bei ihm sein und alles wäre wie zuvor! A

ber stimmte das überhaupt? Konnte es jemals wieder wie zuvor sein? Nein, nicht wenn Tensaiga seinen Dienst nicht richtig getan und Anis nicht gleich die Augen öffnen würde.

Zaghaft strich der Daiyoukai der Frau übers Gesicht und stellte erleichtert fest, das ihre Haut schon etwas wärmer war. Oder bildete er sich das ein?
 

Was ist das? Ich.. Ich spüre meinen Körper wieder... Aber... Sollte ich nicht eigentlich... tot sein?, dachte die junge Frau verwirrt.

Mühsam öffnete Anis die Augen, überrascht, dass so etwas für sie überhaupt möglich war. Sie hatte wirklich gedacht, ihr letztes Stündlein hätte geschlagen. Oder war sie am Ende nur bewusstlos geworden? Nein, das war nicht möglich. Ihre Wunde war doch viel zu stark gewesen und ohne den Juwelensplitter hatte sie nur noch die schmächtigen Selbstheilungsfähigkeiten eines Menschen - kaum ausreichend also für ein faustgroßes Loch im Magen, welches wohlgemerkt Nnicht von Hunger herrührte. Eigentlich hätte sie tot sein müssen. Aber warum konnte sie dann noch ihre Lider anheben?

Nur verschwommen klarte sich ihre Sicht im Schneckentempo auf. Das erste, was sie also in ihrem wiedergewonnenem Leben sah, war Sesshoumarus Gesicht.

Ob nun Himmel oder Hölle, aber das ist nie und nimmer das wirkliche Leben...!, dachte sie sich, denn in Sesshoumarus Augen sah sie auf einmal etwas, was er nur so selten und so schwach zeigte, dass sie immer gedacht hatte, es wäre gar nicht vorhanden. Sie sah Gefühle in seinen Augen. Tiefe, schwerwiegende Gefühle. Sie sah eine unheimlich große Erleichterung, ein unglaubliches Maß an Glück und Freude. Entweder spielte ihr die Fantasie einen Streich, oder es war etwas absolut Grauenhaftes passiert, anders konnte sie sich dieses Maß an positiven Gefühle, die der Inuyoukai ausstrahlte, nicht erklären. In beiden Fällen war es wohl besser, wenn sie schnell wieder den Löffel abgab...

Sesshoumaru ließ sie jetzt wieder los und erhob sich.

„Kannst du aufstehen?”, fragte er und sein Gesicht wurde wieder so ausdruckslos wie eh und je. War es doch nur eine Sinnestäuschung gewesen? Hoffentlich. Sein Blick hatte ihr irgendwie Angst eingejagt..

Mühsam stemmte Anis sich hoch. Erstmals sah sie jetzt an sich herunter.

Beinahe hätte sie sich übergeben. Noch immer war ihr Kimono voller Blut und aus dem unförmigen Loch in ihrem Bauch guckten die abgebrochenen Enden ihrer Rippen heraus. Es sah grässlich aus.

Dennoch spürte sie in diesem Bereich ihres Körpers nicht den leisesten Anflug von Schmerz. Es war, als wäre die Verletzung überhaupt nicht da. Seltsam...

Langsam erhob sie sich nun und stützte sich mit einer Hand an Ah-Uhn ab. Ah-Uhn? Sie sah sich um. Wo zum Teufel war sie hier und was noch viel wichtiger war: Wie war sie hier her gekommen? Wo war Naraku? Was war passiert?

Schlagartig kamen alle Erinnerungen an den Kampf zurück und eine große Verwirrung, gepaart mit gewaltigen Kopfschmerzen, machte sich in ihr breit.

„Was... Ist hier eigentlich los?!”, murmelte Anis halblaut und an keine bestimmte Person gerichtet. Ihre Stimme klang leicht hysterisch und sie war tatsächlich kurz davor, sich die Haare zu raufen.

„Der Kampf ist vorbei. Narakus Tod hast du allerdings verpasst”, antwortete Sesshoumaru mit leicht spöttischem Unterton.

„Aber was ist mit mir los?! Ich hab ein riesiges Loch im Bauch: Diese Wunde ist absolut tödlich! Aber abgesehen davon, dass ich mich so schwach wie ein Wackelpudding fühle, tut mir überhaupt nichts weh!” Ihre Worte wurden von Arekisu mit einem kräftigen Bellen unterstützt, die ihre Worte zwar nicht verstanden hatte, aber dennoch den scharfen Tonfall bemerkte.

Sesshoumaru aber zuckte nur mit den Schultern, was bei ihm recht seltsam aussah, und sagte dann:

„Sei doch froh. Du scheinst Glück gehabt zu haben.”

Anis starrte ihn entgeistert an. Er wusste, was mit ihr los war, er wusste es ganz genau, aber er schwieg darüber. Warum? Nur um sie zu ärgern, um sie als dumm da stehen zu lassen? Oder wollte er die Wahrheit einfach nicht sagen?

Die junge Frau beschloss, nicht weiter darauf einzugehen. Vielleicht hatte er ja auch Recht und sie sollte wirklich zufrieden sein damit, dass sie noch am Leben war.

„Wir gehen”, meinte Sesshoumaru plötzlich und wandte sich bereits ab.

„Warte!”, rief Anis ihm rasch hinterher.

Sesshoumaru sah sich stirnrunzelnd um. Hatte er sich gerade verhört, oder hatte Anis es gerade tatsächlich gewagt, ihm einen Befehl zu geben!?

„Ich muss noch mal zurück, mein Juwelensplitter ist noch da hinten!”, sagte die junge Frau und ehe Sesshoumaru überhaupt verstanden hatte, was sie vor hatte, war sie auch schon mit lautem Knacksen und Rascheln hinter den nächsten Bäumen verschwunden.

Vollkommen verdutzt blieb der Daiyoukai zurück und musste die letzten paar Sekunden erst einmal verdauen.

Hatte Anis ihm tatsächlich etwas befohlen?! Nein, das weigerte er sich hinzunehmen. Es war eine Bitte gewesen, nichts weiter. Und diese Bitte musste er ihr gewiss nicht erfüllen. Vor allem dann nicht, wenn er der festen Überzeugung war, das Inuyasha und seine Truppe, welche er schon vor längerer Zeit wahrgenommen hatte, bald an dem selben Ort auftauchen würden, zu dem auch Anis wollte.

Also setzte sich nun auch Sesshoumaru in Bewegung, zurück zu dem Ort, an dem Narakus stinkende Überreste gemütlich vor sich hin schwelten...
 

*
 

„Er war ein guter Junge, der vielerlei üble Sachen über sich ergehen lassen musste. Wir wollen ihn in Erinnerung behalten, so wie er war, bevor Naraku ihn unter seine Kontrolle zwang. Ich bin sicher, dass es ihm nun im Jenseits besser ergehen wird. Ruhe in Frieden, Kohaku.”

Miroku beendete seine kleine Trauerrede und alle senkten schweigend den Kopf. Das einzige Geräusch, das zu hören war, war Sangos leises Schluchzten, die sich noch immer nicht von ihren anfänglichen Heulkrämpfen erholt hatte. Still trauerte die Gruppe um den mutigen Jungen, der den Kampf eigentlich nie geliebt hatte. Sie hatten ihm ein schönes Grab hergerichtet und auf die aufgeschütteten Erde die einen kleinen Grabhügel bildete, hatte Sango ein notdürftig aus Zweigen zusammengebasteltes Kreuz gesteckt.

Die Freude über Narakus Tod war von Kohakus Ableben getrübt worden. Der Feind war besiegt, doch keiner von ihnen hatte seine Rache wirklich ausüben können, da sie an dem Kampf nicht beteiligt gewesen waren. Inuyasha war drüber besonders erbost. Das nicht zuletzt auch, weil er ganz genau wusste wer für Narakus Tod verantwortlich war. Überall hing Sesshoumarus Geruch in der Luft herum. Außerdem - doch das hatte er den anderen nicht gesagt - hatte er im Gegensatz zu seinen Freunden die Spuren an Kohakus Körper bemerkt. Er war nicht, wie diese dachten, gestorben, weil ihm Naraku den Splitter genommen hatte. Nein, an seiner Leiche konnte der Hanyou ganz genau einige üble Verletzungen sehen. Die Haut war an diesen Stellen fast vollkommen zerrissen. Solche Spuren hinterließ nur Sesshoumarus Energiepeitsche, da war er sich sicher. Rasch hatte er die Wunde verdeckt.

Doch das hatte er Sango nicht gesagt. Wer weiß, vielleicht hätte sie sich an seinem Halbbruder rächen wollen und das hätte sie selbst sicher nicht überlebt. Diesen Job würde Inuyasha irgendwann für sie übernehmen, das nahm er sich vor.

Nun - endlich - war er auch überhaupt wieder in der Lage dazu, denn er hatte die Lichtung nach ihrer Ankunft als Erster gründlich in Augenschein genommen. Dabei hatte er viel Fakten wahrgenommen, die ihm verrieten was hier passiert war:

Zuerst einmal natürlich: Naraku war besiegt worden. Dessen Überreste waren auf brutalste Weise zerrissen und über den ganzen Platz verstreut worden.

Dann natürlich Sesshoumarus Geruch und die Spuren einer gewaltigen dämonischen Aura, was Inuyasha zu dem Schluss brachte, dass sein Halbbruder sich verwandelt hatte, um Naraku zu zerfetzen.

Als nächstes hatte er eine weitere Blut- und Schleifspur entdeckt, die er jedoch nicht ganz zuordnen konnte. Das Blut hatte keinen bestimmten Geruch, es duftete nur ein wenig nach Blumen...

Aber Inuyasha hatte es sich nicht weiter angesehen, denn da war ihm auch schon Kohakus Leiche ins Auge gefallen. Er hatte die anderen sofort benachrichtigt. Natürlich war auch er traurig, oder besser wütend wegen seinem Tod gewesen, vor allem, da er als Einziger seinen Mörder kannte.

Während Miroku und Sango den Bruder der Dämonenjägerin begruben, hatte Kagome das Juwel der vier Seelen gefunden. Unter ihren Berührungen wurde es sofort geläutert und das Mädchen hatte es rasch wieder verstaut.

Inuyasha war auch noch nicht dazu gekommen, mit ihr darüber zu reden, da er noch eine andere, für ihn selbst ganz besonders wichtige Sachen entdeckt hatte: Am Rande der Lichtung lag ein altes, verrostetes Schwert. Der Hanyou hatte es sofort als Tessaiga wiedererkannt. Seine Freude darüber, sein Schwert endlich zurück zu haben, hatte alles andere übertroffen. Sogar die Scheide hatte irgendwo zwischen Narakus langsam verderbendem Fleisch hervorgraben können.

Nun würde ihn bestimmt nichts mehr davon abhalten, Sesshoumaru zu töten!

Außer vielleicht ein kräftiges ‘Sitz’ von Kagome, welches sie neuerdings immer aussprach, wenn er schlecht über seinen Halbbruder redete. Er konnte das absolut nicht verstehen. Schön, Sesshoumaru hatte sie vor Naraku gerettet und ja, sie waren miteinander verwandt und sollten sich Kagomes Meinung nach auch dementsprechend verhalten. Nagut, er hatte auch ihren größten Erzfeind erledigt und sie damit alle von einem schlimmen Übel befreit. Und vielleicht hatte er sie wegen ihrer Meinung auch mehrmals ziemlich aufgebracht angefahren und beleidigt, aber war es damit gerechtfertigt, das sie ihn immer wieder zu Boden schickte?

Er wusste genau, was Kagome jetzt sagen würde. Sie würde nur ein Wort sagen, ein Wort, dieses verhasste Wort, das mit dem Buchstaben ‘S’ anfing...
 

*
 

„Makotoko, wo bleibt ihr denn?!” rief Mitsura wütend und riss die Tür zum Keller auf. Seit geschlagenen zwanzig Minuten stapfte sie durch das ganze Haus und suchte ihn. Dabei hatte er doch nur ‘kurz mal sein Schwert holen’ wollen! Aber darauf, das er schon wieder in dem düsteren Keller saß, wäre sie nicht so schnell gekommen. Normalerweise mied er diesen Ort wie die Pest.

„Was macht ihr denn noch hier? Anis’ Kerze wird auch nicht wieder an gehen, wenn ihr darauf starrt”, sagte sie müde.

„Mitsura. Komm her und sieh dir das an”, erwiderte Makotoko dumpf.

„Was denn?”, meinte Mitsura genervt.

„Du glaubst nicht, dsas die Kerze wieder an geht, wenn ich darauf starre? Du irrst dich”, antwortete Makotoko und klang schon wieder neckisch. Dämonen brauchten nicht besonders lange, um ihre Trauer zu überwinden, oder es wenigstens so aussehen zu lassen.

Stirnrunzelnd ging sie zu dem Youkai hinüber und setzte sich neben den Hund, der Makotoko auch jetzt nicht von der Seite gewichen war.

Und da stockte ihr der Atem.

Auf dem Docht der türkis-grünen Kerze, der bis eben noch schwarz, verkohlt und vor allem leer gewesen war, tanzte nun munter eine kleine Flamme.

Mitsura schlug die Hand vor den Mund.

„Aber... Wie ist das möglich?!”, stammelte sie fassungslos.

Makotoko drehte sich zu ihr um. Er strahlte übers ganze Gesicht. Typisch.

„Keine Ahnung, aber das ist doch auch nicht wichtig! Anis lebt, und das ist alles was zählt! Und jetzt komm, wir holen sie aus dieser lebensgefährlichen Zeit heraus!”, sagte er voller Enthusiasmus und stand auf.

Mitsura nickte langsam. Was sollte sie auch sonst tun? Wenn es nur den kleinsten Hoffnungsschimmer gab, dass ihre Schwester noch lebte, dann würde sie bis ans Ende der Welt oder eben auch ans Ende der Zeit gehen, um sie zu treffen. Und sie wusste, dass es Makotoko nicht anders ging.
 

*
 

„Was ist denn hier passiert?!”, sagte Anis bestürzt, als sie die bis zur Unkenntlichkeit zerrissenen Fetzen eines Jetzt-nicht-mehr-Hanyous sah.

„Anis, bist du das? Oh, Gott, du siehst ja furchtbar aus!”, ertönte auf einmal Kagomes Stimme und die junge Frau sah sich rasch nach der Sprecherin um, sie hatte die restliche Truppe noch gar nicht bemerkt.

„Danke für das Kompliment. Aber was machst du denn hier?”, erwiderte sie erstaunt und biss sich im selben Moment auf die Lippe. Was sollte sie schon hier machen?! Es war doch klar, schließlich waren sie auch auf der Suche nach Naraku gewesen.

„Na wir haben doch auch Naraku gesucht!”

Ächem.

„Ja, stimmt... Aber sag mal... Hast du irgendwo meinen Juwelensplitter gesehen? Naraku hat mir weggenommen... Drecksack...”, murmelte sie noch immer leicht verwirrt vor sich hin.

„Der Splitter ist in Narakus Körper mit dem übrigen Juwel verschmolzen, sodass es jetzt wieder vollständig ist. Ich kann ihn dir nicht zurück geben...”, meinte Kagome und Anis sah ihr an, dass sie deswegen eine Auseinandersetzung mit ihr schon befürchtete.

Anis jedoch winkte ab. „Schon okay, ich hab ihn dir ja ohnehin versprochen...” Kagome sah erleichtert aus.

Das schwarzhaarige Mädchen kam jetzt auf ihre Freundin zugelaufen und drückte diese mit sanfter Gewalt auf den Boden. Anis sah sie verdattert an. Was sollte denn diese Aktion?!

„Anis, sieh nur! Du hast ja eine absolut grässliche Wunde dort! Ein Wunder, das du überhaupt noch stehen kannst! Die Verletzung muss sofort versorgt werden”, meinte sie bestimmt und wuselte auch sofort zu ihrem Rucksack. Zwei Sekunden später stand sie mit Verbandszeug, Heilsalben und einem halben Dutzend Kräuter vor der Verletzten.

Anis starrte sie entgeistert an. „Ich muss nicht versorgt werden! Das ist ni-” Sie hatte eigentlich ‘Das ist nichts’ sagen wollen, doch die Worte blieben ihr im Halse stecken, als ihr einfiel, dass ihre Wunde alles andere als ‘Nichts’ war.

Nun war auch der Rest der Gruppe auf den Neuzugang aufmerksam geworden und Miroku war der Erste der bei ihnen war.

„Vielleicht kann ich beim Verarzten der Wunde behilflich sein?”, fragte er mit einem schmierigem Lächeln, welches Anis keinen Zweifel daran ließ, dass er schon wieder unanständige Gedanken hegte. Sie wollte ihm gerade eine schlagfertige Antwort entgegenfeuern, als jemand anders das schon für sie übernahm.

”Fass sie einmal an und du bist tot!”, knurrte eine leise Stimme hinter ihnen.

Anis stutzte. Genau das hatte sie gerade auch sagen wollen...

Kagome schnappte nach Luft und machte einen Satz beiseite, nachdem sie sich umgedreht und Sesshoumaru erkannt hatte.

Anis konnte ihren Schrecken nicht verstehen; sie hatte ihn sofort an der Stimme erkannt. Außerdem war seine Drohung doch nun wirklich nicht sooo angsteinflößend gewesen. Nagut, im Gegensatz zu ihr hätte er sie aber wohl auch durchgeführt.

Aber...Wieso hatte er bitte schön überhaupt eingegriffen?! Ihm konnte es doch nun wirklich egal sein, wer sie verarztete, selbst wenn es ein notgeiler Hoshi war.

Da Anis nun bemerkte, dass auch Inuyasha auf sie aufmerksam geworden war und er die Tatsache, dass Sesshoumaru sich so nah bei seinen Freunden befand wahrscheinlich nicht so einfach hinnehmen würde, stand sie nun rasch auf und setzte einen streitschlichtenden Blick auf.

„Hört mal Leute, mir geht’s super und ich brauch garantiert keine Verarztung, von niemandem. Seht doch selbst!” Und mit diesen Worten stieß sie ihre Hand von hinten direkt durch das große Loch im Bauch, welches durch einige blutige Fetzen ihres Kimonos bisher verdeckt gewesen war.

Ihre Hand guckte nun für alle gut sichtbar aus ihrem Fleisch heraus und Anis fühlte sich wie ein Zauberer auf einer dieser albernen Shows, wo sie Jungfrauen zersägten. Alle, mit Ausnahme von Sesshoumaru, starrten sie vollkommen verdattert an und Kagome klappte die Kinnlade herunter.

„Ich spüre da überhaupt nichts!”, versicherte sie lächelnd und drehte ihre Hand einmal rum, wobei etliches Blut aus der Wunde drang, „Ich hab gegen Naraku gekämpft und er hat mich mit so einem komischem Ding aufgespießt und ich bin ohnmächtig geworden oder sowas. Als ich wieder aufgewacht bin, hab ich gar keine Schmerzen mehr gespürt und war auch auf irgendeiner anderen Lichtung...”

Zu ihrer großen Verwunderung sahen jetzt auf einmal alle zu Sesshoumaru hinüber. Unschlüssig tat Anis es ihnen gleich. Alle sahen so aus, als wenn sie die Antworten auf ihre unausgesprochenen Fragen nun von dem Inuyoukai wollten, was sie wiederum in ihrer Vermutung bestätigte, dass er irgendetwas damit zu tun hatte.

„Sesshoumaru, du hast doch nicht etwa...?”, sagte Inuyasha nicht sehr intelligent und er klang dabei vollkommen fassungslos. Alle anderen wirkten ebenso erstaunt, um nicht zu sagen völlig überrumpelt.

„Was? Was hat er?”, fragte Anis und sah von dem Hanyou zu Sesshoumaru und wieder zurück. Verdammt noch mal, was verschwiegen die vor ihr?!

„Hast du etwas dagegen?!”, erwiderte der Inuyoukai mit hochgezogener Augenbraue, woraufhin ihn jetzt aller nur noch geschockter ansahen.

„Könnte mich mal bitte jemand aufklären?!”, fauchte Anis wütend und blickte auffordernd zu Kagome, damit Sesshoumaru ja nicht auf die Idee kam, sie hätte ihn angesprochen.

„Tensaiga kann die Toten wiederbeleben...”, murmelte diese geistesabwesend, woraufhin Anis nur noch verwirrter war. Wer zum Teufel war Tensaiga? Den Namen hatte sie noch nie gehört.

Nun wurde es dem Daiyoukai aber anscheinend zu bunt, er packte Anis am Handgelenk und wollte sie mit sich zerren. Diese war im ersten Moment etwas überrumpelt, wollte ihm dann jedoch ohne Weiteres folgen, doch da machte ihr Inuyasha einen Strich durch die Rechnung.

„Rühr sie nicht an, Sesshoumaru!”

Und zu ihrem Entsetzen zog er ein ihr nur zu bekanntes Schwert. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie Tessaiga ja im Kampf verloren und es auch später wohl niemand wiedergeholt hatte...

Da sie nicht besonders scharf auf einen Kampf war, suchte sie verzweifelt nach einer Möglichkeit, die kommende Auseinandersetzung schon im Keim zu ersticken. Damit musste sie sich wohl beeilen, denn Sesshoumaru wandte bereits mit tödlicher Langsamkeit seinen Kopf zu seinem Halbbruder und sah diesen mit einem derart vernichtenden Blick an, dass Anis unwillkürlich an Narakus schäbige Überreste denken musste.

„Inuyasha, musst du dauernd Streit suchen?! Dir geht es doch gar nicht um mich, du kannst mich ja nicht mal leiden, was übrigens auf Gegenseitigkeit beruht. Du brauchst doch nur einen Anlass, um einen neuen Kampf anzufangen und ich rate dir: Lass es sein!,” meinte sie mit einem gespieltem Seufzer.

„Genau, Inuyasha! Sitz!”, unterstützte sie Kagome, die wohl Angst um ihren Lieblingshanyou hatte. Anis warf ihr einen dankbaren Blick zu, als Inuyasha zu Boden rauschte.

Gleichzeitig fragte sie sich aber auch, wie sie Sesshoumaru von einem Kampf abhalten sollte. Das Inuyasha mit Tessaiga vor dessen Nase rumgefuchtelt hatte, trug nicht gerade zur Besserung der Lage bei. Wenn der Daiyoukai das Schwert für einen Moment vergessen haben sollte, so war die Möglichkeit, ohne einen Kampf zu entkommen, wohl jetzt auf Null gesunken.

Zu ihrer großen Überraschung warf Sesshoumaru jedoch nur einen verächtlichen Blick auf seinen am Boden liegenden Halbbruder, murmelte etwas das wie „Erbärmlich!” klang und wandte sich wortlos wieder zum Gehen. Anis zog er dabei mit sich, aber wohl nicht, um sie ernsthaft daran zu hindern, dort zu bleiben. Sein Griff war nicht sonderlich fest und Anis hätte sich unter Umständen wohl daraus befreien können, doch daran dachte sie nicht im Traum. Und in genau in solchem schien sie sich gerade zu befinden: in einem Traum. Wie anders hätte sie sich erklären können, dass Sesshoumaru sie immer noch bei sich haben wollte? Es hatte nur zwei Gründe gegeben, warum er sie als Dienerin bei sich aufnahm:

Erstens hatte sie sich um Rin kümmern sollen. Sie hatte versagt.

Zweitens sollte sie mit Tessaiga für ihn kämpfen. Sie hatte versagt.

Warum zum Teufel sollte er eine solche Versagerin noch bei sich behalten?! Wenn er sie jetzt getötet hätte, dann hätte sie ihm das vermutlich nicht einmal übel genommen. Vielleicht hätte sie an seiner Stelle genauso gehandelt.

Keiner der anderen machte noch irgendwelche Anstalten, sie am Gehen zu hindern und als sie außer Hörweite von Inuyasha und den anderen waren, ging Anis noch einmal das Risiko ein und sprach ihn darauf an.

„Wa... Warum hast du dir nicht Tessaiga genommen?” Jetzt fing sie wieder an, ihn zu duzen!

„Warum sollte ich deinen Fehler wieder gut machen?!”, fuhr er sie unwirsch an.

Anis zuckte zusammen, ließ aber nicht locker: „Du hast mir aber auch nicht die Chance gegeben, meinen Fehler wieder gut zu machen.”

„Hättest du es denn getan?”, meinte er nur gelangweilt, woraufhin Anis schwieg. Das schien ihm Antwort genug zu sein, denn er beendete das Thema mit einem verächtlichem „Das war klar.”.

Anis dachte eine Weile lang über seine Worte nach. Die offensichtliche Frage, die sie nicht gewagt hatte zu stellen, nämlich, warum er sie noch immer duldete, sie sogar zwang mit ihm zu kommen, hatte er nicht beantwortet. Warum nicht? Sie war doch nur ein Werkzeug seinerseits, ein Werkzeug, das unbrauchbar geworden war. Warf man unbrauchbare Werkzeuge nicht eigentlich fort? Anis hatte zwar nicht wirklich vor, auf dem Müll zu landen und ‘fort’ hörte sich in ihren Ohren auch nicht mehr ganz so verführerisch wie früher an. Dennoch konnte sie einfach nicht umhin, Sesshoumarus Taten und die Gedanken dahinter verstehen zu wollen. Warum tat er das alles? Sie war ihm doch nur ein unnötiger Klotz am Bein. Warum entfernte er sie nicht oder erlaubte ihr zumindest, sich selbst zu entfernen?

Bei dieses Gedanken fiel Anis wieder ein, was Kagome auf ihre Frage geantwortet hatte: ‘Tensaiga kann die Toten wiederbeleben...’

Wer zum Teufel war Tensaiga?! Und was hatte dieser Typ mit Sesshoumaru zu tun? Sie hatte keine weitere Person gesehen, als sie aus ihrer Ohnmacht erwacht war. Was hatte das nur zu bedeuten...? Und vor allem: Sollte sie Sesshoumaru erneut danach fragen? Würde er ihr antworten?

Vielleicht, vielleicht auch nicht. Wenn sie ganz ehrlich zu sich war, wusste Anis nicht einmal genau, ob sie die Antwort überhaupt wissen wollte.

Aber Eines stand fest: Eine Person, die Tote wiederbeleben konnte, musste verdammt mächtig sein, vielleicht sogar noch mächtiger als Sesshoumaru, auch wenn das schwer vorstellbar war. Der Gedanke, dass sich der Daiyoukai mit solch einer Person zusammengetan hatte, jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Niemand sollte in der Lage sein, die Toten zurückzuholen, das war gegen die Natur! Niemand sollte solche Macht besitzen.

Aber wenn ihre Theorie stimmte, dann bedeutete das gleichzeitig, dass sie, wenn auch nur für kurze Zeit, tot gewesen war. Und es bedeutete, dass man sie wiederbelebt hatte. Und sicher bedeutete es dann auch, dass Sesshoumaru das veranlasst hatte, auch wenn es ihr schleierhaft war, wie der Inuyoukai eine so mächtige Person wie Tensaiga dazu überredet haben könnte, aus welchen Gründen auch immer. Zumal sie keinen weiteren Dämon oder gar einen Menschen auf der Lichtung gesehen hatte. Doch die Tatsache, dass auch Sesshoumaru ab und zu mal Hilfe annehmen musste und das es noch mächtigere Personen als ihn gab, beruhigte sie etwas. Vielleicht war ihr persönlicher Weltuntergang doch noch nicht ganz so nahe, wie sie anfangs befürchtet hatte.
 

Das die Wirklichkeit ganz anders aussah und das Tensaiga ein Schwert und noch dazu das Schwert von Sesshoumaru war, ahnte Anis zu diesem Zeitpunkt noch nicht...
 

XxX
 

Tja, dieses kleine Missverständniss mit Tensaiga wird sch schon ziemlich bald auflösen, das sag ich euch.

Und wenn es so weit ist, enthülle ich euch auch endlich den wahren Grund, warum ich Arekisu erfunden habe. Ihr Einsatz kommmt nämlich dann auch mal endlich!

Miasma

Also ich war ja selbst etwas überrascht als ich festgestellt habe, das ich ja schon wieder genug geschrieben habe um es zu einem Kapitel zusammenzufassen. Kurz dachte ich daran es etwas länger zu machen, aber dann hättet ihr auch wieder warten müssen.

Nagut, dachte ich, dann bringst du halt erstmal nur ein Übergangskapitel rein. Ist auch net so schlimm, oder?
 

XxX
 

Der heutige Tag war besonders düster. Dicke Wolken hatten sich am Horizont zusammengebraut und man musste wirklich kein Genie sein, um zu erraten, dass es bald regnen würde.

Die Luft war kalt und feucht. Viele der sonst so grünen Blätter der Bäume hatten sich gelb und rot gefärbt. Ein Herbststurm nahte.

Dem waren sich auch die zwei erwachsenen Personen bewusst, die sich, wie auch die Tiere der Umgebung, einen wetterfesten Unterschlupf gesucht hatten. Ein weißhaariger, großgewachsener Mann mit einer schwarzen Rüstung, der keine Lust hatte wie ein durchnässter Narr auszusehen, eine junge schwarzhaarige Frau, die den Regen noch nie leiden konnte und ein zweiköpfiger Drache mit einer schwarzen Hündin auf dem Rücken, der ebenfalls froh war, dem ungemütlichem Wetter zu entgehen, saßen zusammen in einer engen, aber trockenen Höhle.

Der Regen ließ nicht im Mindesten nach.

Ah-Uhn war nach einer Weile weggedöst, Arekisu schlief schon lange. Anis und Sesshoumaru aber waren hellwach. Im Gegensatz zu seiner weiblichen Begleitung hatte der Inuyoukai seine Augen jedoch geschlossen, ein deutliches Zeichen dafür, dass all seine anderen Sinne aufs Äußerste geschärft waren.

Anis jedoch achtete überhaupt nicht auf ihre Umgebung. Weder auf Sesshoumaru, noch auf das Wetter. Auch um ihre schlimm aussehende Verletzung, die in letzter Zeit zwar völlig mit Blut verkrustet, aber noch lange nicht verheilt war, kümmerte sie nicht weiter. Sie war tief in Gedanken versunken und versuchte noch immer, das Rätsel um Tensaiga zu lösen.

Drei Tage war es jetzt her, seit sie zum wiederholtem Male auf Naraku getroffen war. Drei Tage, seit ihrem merkwürdigen Filmriss, von dem sie immer noch nicht glauben konnte, dass ihr Tod dafür verantwortlich war. Drei Tage, seit Kagome ihr von einer Person erzählt hatte, die Tote wiederbeleben konnte und den Namen Tensaiga trug. Drei Tage, seit die Angst vor der Macht dieser Person immer weiter gestiegen war. Was mochte jemand, der selbst dem Tod Widerstand leistete, wohl noch alles vollbringen können?

Noch immer spukten ihr diese Ereignisse im Kopf herum, doch sie hatte es nicht gewagt, Sesshoumaru darauf anzusprechen.

Obwohl sie hier mit zwei Youkai und einem Hund in einer kleinen Höhle saß, fühlte sie sich so allein wie noch nie zuvor. Wie gerne hätte sie jetzt jemanden gehabt, dem sie all ihre verwirrten Gedanken mitteilen konnte. Am liebsten wäre sie jetzt zu hause bei Mitsura und Makotoko. Sogar ihre Eltern vermisste sie etwas, obwohl es eigentlich immer eher ihre Geschwister gewesen waren, die sich um sie gekümmert, ihr Sachen beigebracht hatten, sie getröstet, die überhaupt ihre ganze Erziehung übernommen hatten.

Dann, schlagartig, kam ihr ein ganz anderer Gedanke. Im Keller in ihrem Haus wurden doch die Lebenskerzen ihrer Familie aufbewahrt. Was wäre, wenn alle schon Bescheid wussten, dass sie hier schon einmal gestorben war, beziehungsweise, wenn sie gar nicht wussten, dass sie inzwischen wieder lebte? Würden sie herkommen, um sie zu rächen? Anis kannte Mitsura und Makotoko gut, wenn sie von dem Vorfall Wind bekommen hatten, würde sie nichts davon abhalten können herzukommen. Ihre Eltern würden sicher nicht kommen. Die waren sowieso nie gut auf sie zu sprechen, weil sie es immer noch nicht geschafft hatte, das Siegel zu brechen, welches ihre Youkai-Kräfte unter Verschluss hielt. Ihrer Meinung nach war es sicher ihre eigene Schuld, wenn sie so unvorsichtig war und sich nur mit den mickrigen Fähigkeiten eines Menschen ausgestattet einem Gegner entgegenstellte, der fast das komplette Juwel der vier Seelen besaß. Im Grunde war es das ja tatsächlich... Wie auch immer, aus dieser Klemme war sie ja nun raus und sie hoffte inständig, dass Mitsura und Makotoko nicht hier her kommen würden. Wenn sie herausfänden, dass Sesshoumaru der Grund war, warum sie jetzt schon über zwei Jahre nicht zu Hause war und wenn sie bemerkten, dass Anis’ eigentlicher Mörder Naraku bereits tot war und es demnach auch niemanden gab, an dem man sich hätte rächen können, dann würden sie sich in ihrer Rachelust sicher einfach auf Sesshoumaru stürzen. Das bedeutete Tod. Und Anis war überhaupt nicht erpicht darauf, Mitsura oder Makotoko zu verlieren. Aber möglicherweise wären es ja auch gar nicht sie, die dann eine Niederlage erleiden mussten. Zusammen waren sie stark, nahezu unschlagbar. Zu dritt könnten sie Sesshoumaru vielleicht sogar töten, besonders ,wenn sie Mitsuras Geheimwaffe mit einbezog. Bei dem Gedanken, wie ihre Schwester den Daiyoukai auf ihre ganz spezielle Art angriff, wurde ihr schlecht. Wobei natürlich nicht sicher war, ob sie mit ihrer Magie Erfolg haben würde, was Anis ein wenig beruhigte. Doch wenn alle Stränge rissen, war ja auch noch Makotoko da und auch dieser Youkai hatte ein paar raffinierte Techniken parat.

Nein! Sie durften auf keinen Fall hier her kommen! Anis wusste nicht warum, aber die Vorstellung, dass Sesshoumaru sterben könnte, war für sie auf einmal genauso schlimm, als wenn ihre Schwester oder Makotoko dies täten. Aber sie würde sich hüten über das ‘Warum’ dieser Aussage nachzudenken!
 

„Anis! Was ist los mit dir?”, ertönte plötzlich eine Stimme.

Mit grober Gewalt wurde die junge Frau aus ihren Gedanken gerissen, als eine krallenbewehrte Hand sie an der Schulter packte. Verwirrt schüttelte Anis den Kopf und kehrte langsam in die Wirklichkeit zurück. Überrascht stellte sie fest, dass es aufgehört hatte zu regnen. Ah-Uhn stand wieder reisebereit am Ausgang der Höhle und sah sie mit großen Glubschaugen an. Wegen der Aussicht auf Bewegung schien sich auch Arekisu zu freuen, was man an er heftigen Bewegung ihres Schwanzes erkennen konnte.

Anis blickte wieder zu Sesshoumaru, der stirnrunzelnd auf sie herab sah. Schnell senke sie den Kopf wieder, murmelte eine Entschuldigung und stand auf.

„Was soll das Anis?! Du stehst schon die ganze Zeit so neben dir. Deine Aufmerksamkeit lässt extrem zu wünschen übrig.” Merkwürdigerweise klang seine Stimme bei diesem Tadel gar nicht drohend, sondern eher aufgebracht. Anis war aber wohl die einzige Person, die das hätte feststellen können, da sie inzwischen gelernt hatte, auf solche Kleinigkeiten zu achten und sie aus seinem kühlen Tonfall heraus zu filtern.

„Verzeiht, ich habe nur... Über eine bestimmte Frage nachgedacht...”, murmelte sie leise.

„Und warum stellst du diese Frage nicht einfach?”, erwiderte Sesshoumaru gelangweilt.

„Ich glaube nicht, dass das eine so gute Idee wä-”

„Wenn deine Aufmerksamkeit deiner Umgebung gegenüber weiterhin nachlässt, weil du über irgendein unwichtiges Thema nachgrübelst, bringt uns das überhaupt nichts”, unterbrach er sie unwirsch.

„Nagut... Also... Wer ist Tensaiga?”, brach es aus ihr heraus.
 

Sesshoumaru war für einen Moment ehrlich überrascht. Mit so einer Frage, eine Frage mit einem völlig absurden Inhalt, hatte er nicht gerechnet.

„Es gibt keine Person, die diesen Namen trägt”, antwortete er ihr, nachdem er zu dem Schluss gekommen war, dass dies wohl tatsächlich eine ernstgemeinte Frage war.
 

Anis ließ ein wenig enttäuscht den Kopf hängen. Mit solch einer Antwort konnte sie nichts anfangen. Sollte sie Kagome falsch verstanden haben?

Sesshoumaru hatte die Höhle bereits verlassen und Anis folgte ihm rasch. Doch der Inuyoukai blieb noch einmal kurz stehen und sagte leise:

„Tensaiga ist ein Schwert.”

Sofort blieb Anis wie angewurzelt stehen und starrte ihn verdattert an. Ein Schwert? Ein Schwert, das Tote wiederbelebte? Nagut, aber wem gehörte dieses Schwert? Es war sicher jemand Besonderes notwendig, um es auch benutzen zu können. Sicher eine sehr mächtige Pers- Oh nein!

„Dein Schwert?!”, hinterfragte sie entsetzt und ihr Blick wanderte an Sesshoumarus Seite, wo neben Tokjin noch eine zweite Waffe steckte. Soweit sich die junge Frau erinnern konnte, hatte er diese Klinge noch nie benutzt.

„Ja”, bestätigte er, „Es kann die Boten des Jenseits vernichten, sodass die Seele des Verstorbenen freigelassen wird.”

Okay, DAS ging definitiv ÜBER ihr Auffassungsvermögen.

Das Tensaiga ein Schwert war, hatte sie ja schon überrascht. Aber das es dann auch noch Sesshoumarus Schwert war! Das bedeutete doch, rein theoretisch gesehen, dass er sie wiederbelebt hatte. Und wenn sie das ‘Warum’ jetzt mal außen vor ließ und diesen gedanklichen Faden weiterspann, dann gelangte Anis irgendwann (in ihrer überragenden Intelligenz) zu dem Punkt, an dem ihr klar wurde, das Sesshoumaru alles, wirklich alles mit ihr anstellen könnte. Er war verdammt stark und er könnte sie auch einfach mal schnell umbringen und sie dann wieder zum Leben erwecken, nur um sie dann wieder umzubringen, wenn er mal besonders schlechte Laune hatte. Hatte er sie deshalb noch bei sich behalten? Als Spielball für seine Launen? Auf der einen Seite gefiel ihr das überhaupt nicht, auf der anderen Seite musste sie sich wieder ins Gedächtnis rufen, dass sie ja rein gar nichts dagegen machen konnte. Wie oft hatte sie schon versucht zu fliehen, aber nun kamen ihr diese Versuche irgendwie lächerlich vor. Natürlich hatte er sie gefunden! Sie war ihm hilflos ausgeliefert und hätte nicht einmal mehr die Möglichkeit, sich selbst umzubringen! Natürlich war Sesshoumaru eigentlich nicht der Typ, der Leute einfach nur aus Vergnügen tötete, aber allein die Möglichkeit, dass er, jetzt sogar mehrfach, dazu in der Lage war, schreckte sie doch sehr ab.
 

„Was ist los?”, fragte Sesshoumaru, der schon weiter gegangen war und nun feststellen musste, dass Anis ihm nicht mehr folgte.

Er sah zu der jungen Frau zurück, die ihn nur mit einem Ausdruck stummen Entsetzens im Gesicht anstarrte. Stirnrunzelnd überlegte Sesshoumaru, ob er vielleicht etwas Falsches gesagt hatte. Was war denn so schlimm an der Erkenntnis, von ihm, beziehungsweise von seinem Tensaiga wiederbelebt worden zu sein? (Manche würden ihr Leben dafür geben...)

Man konnte richtig dabei zusehen, wie sich Anis zusammenriss, bis sie es schaffte, ein säuerliches Lächeln zustande zu bringen.

„Verzeiht, aber... Eure Macht...macht mir Angst...”, flüsterte sie und Sesshoumarus mehr oder weniger amüsierte Laune verflog augenblicklich.

Von was für einer Macht redete sie?! Die Tatsache, dass er Tensaiga beherrschen konnte, sah er eigentlich eher als eine Schwäche an. Eine Schande, um genau zu sein. Nur weil er seinen Vater so sehr achtete, behielt er es überhaupt bei sich. Sicher, inzwischen war er mehr als froh darüber, dieses Schwert zu besitzen, aber das war etwas anderes.

Außerdem, wenn Anis so etwas sagte, verhieß das nichts Gutes! Wenn sie Angst vor ihm hatte, würde sie sicher auch bald wieder versuchen zu fliehen. Es ging ihm mit der Zeit doch langsam gewaltig gegen den Strich, dass er ihr immer hinterherrennen musste. Natürlich wusste er aber auch gleichzeitig, dass er gar nicht anders können würde. Er konnte nicht davon ablassen, ihr zu folgen und er könnte sie auch niemals für ihre Flucht bestrafen.

„Du brauchst keine Angst vor meiner Macht zu haben, solange sie auf deiner Seite steht”, sagte er möglichst beruhigend, was gar nicht so einfach war, da es in ihm schon wieder brodelte. In seinen Worten befand sich auch eine versteckte Warnung, dass sie seine Befehle nicht missachten sollte, oder eben wieder abhaute. Er hoffte nur, dass sie das nicht falsch interpretierte und sich eingeschüchtert fühlte.

Leider war genau das der Fall.
 

*
 

KLATSCH!

„Idiot! Musstest ihr sie alle umbringen?!”

Makotoko rieb sich die schmerzende Wange, wo Mitsuras Ohrfeige ihn getroffen hatte.

„Musst du dich so darüber aufregen?!”, murrte er zurück.

„Das hätte man auch anders regeln können!”, rief die Youkai erbost und deutete anklagend hinter sich. Der Boden dort war übersät von Dutzenden verbrannten Leichen. Ein ganzes Dorf hatte Makotoko platt gemacht und wer von den Menschen nicht fliehen konnte, wurde von ihm getötet.

„Um die ist es nun wirklich nicht schade. Erstens waren es Dämonenjäger und zweitens haben die sowas von hinterm Mond gelebt...”, murmelte er ohne Reue und grinste schon wieder. Sein Hund bellte zustimmend. Mitsura warf beiden einen äußerst missmutigen Blick zu. Sie hätte Makotoko am liebsten noch eine gepfeffert, aber da das anscheinend keine sonderlich große Wirkung hatte, ließ sie es lieber.

„Passt bloß auf, dass ihr euch das Menschenmorden nicht angewöhnt”, schimpfte sie.

Makotoko grinste nur noch breiter. „Okay.”

Mitsura knurrte. „Ich geh meine Sachen holen.”

Sauer stapfte sie über das Leichenfeld. Die Menschen, die sie gefangen genommen hatten, waren natürlich nicht in der Lage, ihr alle Waffen abzunehmen, da sie einige davon unter anderem auch an äußerst intimen Stellen verwahrte. Aber ein gutes Dutzend Wurfmesser- und nadeln hatten sie trotzdem gefunden.

Eigentlich war es ja nur Mitsuras Absicht gewesen, sich in dem Dorf ein wenig umzusehen. Bald hatte sie festgestellt, dass fast ausschließlich alle hier in dem Dorf Dämonenjäger der übelsten Sorte waren. Für sie kein Problem, schließlich konnte sie ihre dämonische Aura perfekt unterdrücken, was sie ja in einer Welt, wo man gezwungen war unter Menschen zu leben, hatte erlernen müssen. Auch die Tiere mit ihren feinen Nasen und zuverlässigen Instinkten bekamen nichts mit, denn Mitsuras Geruch war, genau wie der von Anis, für keine noch so begabte Nase feststellbar. Der einzige Grund, warum man sie trotzdem nicht für einen Mensch gehalten hatte, bestand in ihrer Kleidung. In ihren neumodischen Jeans, dem knallrotem Tob und der fellbesetzten schwarzen Winterjacke fiel sie hier auf wie ein bunter Hund. Auch silberne Ohrringe und ihr einfaches Make up war hier etwas Außergewöhnliches.

Nun, da der Dorfpriester bei ihr keine dämonische Aura spüren konnte, was hatten sie da gemacht? Sie hatten sie doch tatsächlich als Hexe auf dem Scheiterhaufen verbrennen wollen! Das es sowas im Mittelalter gab, daran hatten sie gar nicht gedacht, als sie vor drei Tagen in den Brunnen gestiegen waren.

Wütend kramte Mitsura in den Trümmern des Hauses des Dorfältesten und hatte bald ihre Waffen wieder gefunden. Es wäre vielleicht klüger, auch noch passende Kleidung mitgehen zu lassen, aber die Stoffe hier waren entweder halb verbrannt oder zu grob, sodass sie unangenehm auf der Haut kratzten. Mitsura entschied sich daher dafür, ihre eigenen Sachen anzubehalten. Sie würde dann halt einfach nicht mehr unter Menschen gehen.

Für diese wäre das ohnehin besser. Als Makotoko nämlich von ihrer ‘Gefangennahme’ Wind bekommen hatte, nutzte er die Gelegenheit sofort, um endlich mal seine dämonischen Kräfte offen benutzen zu können und sie an den niederen Lebensformen zu testen. Mitsura wusste nicht, ob es ihm wirklich darum gegangen war, sie zu befreien, schließlich musste selbst er genug Grips im Kopf haben, um sich nicht der falschen Annahme hinzugeben, die Menschen wären mit ihr auch nur in die Nähe des Scheiterhaufens gekommen, oder ob es wirklich sein Beschützerinstinkt war, der da durchgekommen war. Mitsura war ihrer Schwester eigentlich nicht so ähnlich, aber Makotoko verwechselte sie dennoch ab und zu. Er hatte sich immer rührend um ihre kleine Schwester gekümmert und dank seinem ewig fröhlichem Lächeln, bei dem sicher jede Frau dahin geschmolzen wäre, konnte man ihm auch nie lange böse sein. Mitsura war wohl eine der wenigen, die immun gegen seinen Charme war. Dabei war es meistens gar nicht Makotokos Absicht, sich dermaßen an die Frauen ranzumachen. Alle Frauen machten sich an ihn ran. Trotzdem war es ihm bisher immer gelungen, seine Verehrerinnen abzuschütteln, wenn er selbst nichts von ihnen wollte, was so gut wie immer der Fall war.
 

„Ich nehme mal an, du hast nicht besonders viel in diesem Dorf erfahren, nicht wahr?”, fragte Makotoko lächelnd, als sich Mitsura ihre Messer wieder in den Gürtel steckte, gut verdeckt von der Jacke, und wieder zu ihm kam.

„NEIN! Wie denn auch, wenn ihr mir dazwischenfunkt?!”, keifte sie noch immer auf hundertachtzig. Der Youkai hob beschwichtigend die Hände.

„Ist ja gut, bleib auf dem Teppich! Es ist ohnehin besser, wenn wir unsere Informationen bei Dämonen und nicht bei Menschen einholen. Oder glaubst du, dass Anis in das feudale Mittelalter gekommen ist, um den alten Waschweibern beim Hühnersuppe kochen zu helfen? Wohl kaum. Sicher gibt es ein paar Youkai, die jetzt leider keine Verwandte mehr haben...”, schlug Makotoko vor.

„Ja... Ihr mögt Recht haben. Lasst uns ein paar Ungeheuer aufspüren...”, gab sich Mitsura schließlich geschlagen.

Der junge Mann schlug ihr freundschaftlich auf die Schulter und ging dann voran. Seine abgewetzte Lederjacke wehte im Wind. Sie passte farblich überhaupt nicht zu seinen anderen Klamotten, aber er trug sie immer, selbst im heißesten Sommer. Sicher, Temperaturen machten ihnen als Youkai nicht aus, aber unter gewöhnlichen Umständen hätte sich Mitsura trotzdem gefragt, warum er immer dieses alte Ding trug. Doch das hier waren keine normalen Umstände und die Frau wusste, dass dieses Leder extra dafür gemacht war, dass sich scharfe Krallen tief hinein graben konnten, ohne den Träger unangenehm zu sein.

Grund dafür war Makotokos Hund. Noch während der Youkai sein Tempo beschleunigte, setzte dieser ihm nach, stieß sich heftig vom Boden ab und landete zielsicher auf der rechten Schulter seines zweibeinigen Freundes. Da das fellbesetzte Wesen nur ein wenig kleiner als ein Kalb war, hätte ein Mensch ihn sicher nicht auf diese Weise tragen können. Doch für die Youkai war dies das einfachste Mittel, um den Hund mit zu nehmen, wenn sie auf dämonische Art reisten. Genau das hatten sie nämlich vor.

Makotoko ließ sich von dem Sprung seines Freundes nicht im Mindesten aus dem Gleichgewicht bringen, er war es gewohnt. Mit einem hohen Satz erhob er sich in die Luft und landete auf einem Ast des nächsten Baumes. Mitsura folge ihm sofort. In Sekundenschnelle befanden sich beide hoch über den Bäumen. Sie flogen nicht richtig, immer wieder sanken sie ein bisschen ab. Doch die Youkai brauchten sich nur kurz einmal mit der Fußspitze an einem kleinen Zweig abstoßen, und schon ging es wieder fünfhundert Meter voran. Winzige Holzstücken, die selbst unter dem Gewicht eines Spatzen gewankt hätten, bewegten sich überhaupt nicht, als die Dämonen sie auf ihrem Weg leicht antippten. Fast schon schwerelos glitten sie durch die Lüfte, aber ein Flug war es trotzdem nicht. Natürlich konnten einige Dämonen auch richtig fliegen, aber das erforderte sehr viel mehr Energie. Diese Art über den Wipfeln der Bäume zu schweben, war viel einfacher, erforderte aber auch Konzentration. Diese Art zu reisen nannte man ‘Federflug’, da man sich in solch einer Situation tatsächlich fast wie in Schwerelosigkeit bewegte.

Alle Vanderobes und auch fast der ganze Rest der spanischen Youkai ihrer Art beherrschten diese magische Fortbewegungstart. Auch Anis hatte sie einmal erlernt, doch wie fast alles andere war auch diese Fähigkeit bei ihr versiegelt. Sie selbst war die Einzige, die dieses Siegel brechen konnte, denn bei jedem funktionierte es anders. Mitsura würde ihr nur zu gerne helfen, aber dazu war sie nicht in der Lage...
 

*
 

Nachdenklich sah Sesshoumaru dabei zu, wie Anis das Feuer für die Nacht vorbereitete. Ah-Uhn und Arekisu hatten dringend eine Pause gebraucht und auch Anis sah schon sehr erschöpft aus. Der Inuyoukai glaubte zu wissen, woran das lag. Er kannte sich nicht gut mit Menschen aus, doch fest stand, dass, auch wenn Anis kein Mensch war, sie doch in den meisten Fällen nur mit den schwachen Fähigkeiten eines Menschen ausgestattet war. Ihre Selbstheilungskräfte jedoch kamen schon annähernd an die einer Youkai heran. Doch bei der großen Bauchwunde, die sie sich im Kampf mit Naraku zugezogen hatte und an der sie gestorben war, schien das anders zu sein. Vielleicht lag es an Narakus giftigem Miasma, am Verlust ihres Juwelensplitters, oder auch an etwas anderem, aber Fakt war, dass die Wunde einfach nicht von alleine heilen wollte. Doch weiter ausbreiten tat sie sich auch nicht, was ihn etwas beruhigte. Dennoch glaubte Sesshoumaru, dass ihr Körper noch immer mit den inneren Verletzungen zu kämpfen hatte und man deshalb von außen keine Veränderung sah. Anis spürte zwar keine Schmerzen, doch der Verlust der Energie, die sie unwissentlich nutzte, um sich zu heilen, machte sich in ihrer ständigen Erschöpfung bemerkbar.

Die Sorge um sie hatte ihn schließlich dazu bewegt, ihre Marschrichtung zu ändern. Sie waren jetzt auf dem Weg zu einem alten Bekannten seines Vaters, der sich besonders gut mit sämtlichen Heilmethoden auskannte. Angeblich hatte er sogar dabei geholfen, den Zauber um Tensaiga zu legen, der es dem Schwert ermöglichte, die Toten wiederzuerwecken. Er müsste sich also damit auskennen.

Sesshoumaru konnte viele der alten Berater seines Vaters nicht ausstehen und den Heiler Surainu hatte er nur ein einziges Mal gesehen. Wenn er genauso nervig und feige wie Myouga oder so ein vergesslicher Trottel wie Totosai war, konnte man ihn wohl vergessen. Möglicherweise hatte er aber tatsächlich etwas mehr auf dem Kasten. Sollte dieser Fall nicht eintreten, war er nutzlos für Sesshoumaru, dann würde er ihn aus dem Weg schaffen.

Surainu lebte in einem keinem Tal, umringt von hohen Bergen, sodass der einzige Zugang durch die Luft war. So wurde verhindert, dass solch niedere Lebensformen wie die Menschen dort Zutritt hatten.

Sie waren schon recht nah an den Bergen, die höchsten Gipfel konnte man hinter dem Wald bereits erkennen. Morgen würden sie sich mit Ah-Uhn an diesen Ort aufmachen. Es war wirklich ganz gut, dass der Drache sich vor dem langen Flug noch einmal ausruhen konnte...
 

*
 

Müde öffnete Anis die Augen, geweckt von der Tatsache, dass der Boden merkwürdig zu wanken schien. Mühsam hob sie den Kopf und sah sich um. Zuerst erblickte sie weit und breit nur ewig blauen Himmel. Es dauerte eine Weile, bis sie sich bewusst wurde, dass sie auf Ah-Uhns Rücken saß. Das war auch der Grund für das übelkeiterregende Schaukeln, der Drache befand sich nämlich hoch in den Lüften.

Verwirrt drehte Anis den Kopf nach hinten und - wie sie schon fast erwartet hatte - saß dort Sesshoumaru. Er hatte den Blick starr nach vorn gerichtet und lenkte das Reittier mit den Zügeln. Sie selbst wurde von ihm völlig ignoriert.

Stirnrunzelnd wandte sie den Kopf wieder nach vorne. Seit wann flogen sie schon? Sie war gestern Abend wohl wider Willen doch eingeschlafen. Das hatte sie eigentlich nicht vor gehabt, doch in den letzten Tagen war sie immer merkwürdig ausgelaugt gewesen, obwohl sie nicht besonders viel machte.

Ein lautstarkes Gähnen riss sie aus ihren Gedanken. Anis lächelte. Arekisu, die quer über dem Rücken des Drachens lag, war jetzt scheinbar auch aufgewacht. Sesshoumaru musste auch sie auf Ah-Uhns Rücken gehoben haben, während die Hündin noch schlief. Irgendwie konnte Anis sich das Bild, wie der Daiyoukai sie und das Tier zu dem Drachen trug, nicht wirklich vorstellen. Er hätte sie doch auch einfach aufwecken können! Aber so war es ja immer, warum einfach, wenn es auch kompliziert ging?

Müde hob ihrer vierbeinige Freundin den Kopf und sah sich verwirrt um. Ihre samtigen Pfoten fanden auf den glatten Schuppen des Drachens kaum einen Halt. Fast wäre sie ausgeglitten und abgestürzt, doch die junge Frau hielt sie noch rechtzeitig fest.

Anis sprach der nun leicht verängstigten Hündin beruhigend zu und strich ihr sanft über das rabenschwarze Fell. Sie wusste, wie man mit Hunden umging.
 

Sesshoumaru starrte noch immer nur nach vorne. Er musste sich wirklich dazu zwingen, denn wie viel lieber hätte er seinen Blick doch auf die Schönheit vor ihm gerichtet. Er sollte sich wirklich besser zusammenreißen!

Der Inuyoukai bemühte sich nach allen Kräften, Anis zu ignorieren. Doch das war gar nicht so einfach, erst recht nicht, als sie auf einmal leise zu sprechen anfing. Ihre liebliche Stimme klang in seinen Ohren wider. Es hörte sich fast schon wie ein Lied an. Leise, beruhigende Worte kamen über ihre sinnlichen Lippen, die Sesshoumaru hinter ihrem schwarzen Haar nur erahnen konnte. Das Bedürfnis, diese harten Zügel loszulassen und mit seiner Hand über ihre braune Schulter zu streichen, wurde immer größer. Wie gerne würde er sie doch jetzt einfach nur im Arm halten, seine Haut eng an ihre schmiegen. Aber das konnte er nicht, er durfte sich doch nichts von seinen Gefühlen anmerken lassen! Die Gefahr, dass sie ihn zurückstoßen würde, war schon allein schlimm genug, doch wie würde es erst nach außen wirken? Sie wäre seine Schwäche im Kampf, wäre immer in Gefahr, weil seine Feinde es auf sie abgesehen hätten. Das wollte er ihr auf keinen Fall zumuten, erst recht nicht in ihrem Zustand. Sie war doch schließlich so schwach... Keiner seiner Feinde durfte von seiner Zuneigung zu ihr erfahren, unter keinen Umständen! Seine Liebe musste geheim bleiben, vor allen Wesen der Welt. Auch vor Anis und am besten sogar noch vor ihm selbst.

Es war das erste Mal, das sich Sesshoumaru ernsthaft Gedanken darüber machte, was passieren würde, wenn er sich ihr offenbarte und er war zu dem Schluss gekommen, dass es in einer Katastrophe enden würde. Von allen anderen Punkten einmal abgesehen, war es sowieso seine Pflicht, als Erbe des Fürsten der westlichen Länder, eine Dämonin aus einem ebenfalls fürstlichem Haus zu heiraten. Diese Vorstellung versetzte ihm einen Stich. Wie könnte er sich jemals einer anderen Frau nähern, wenn doch seine Liebe Anis gehörte? Sie war die Einzige, mit der er... Nein! So sollte er nicht denken! Diese sinnlosen Grübeleien führten ihm die Aussichtslosigkeit seiner Lage nur noch deutlicher vor Augen. Es wäre am besten, wenn er sie einfach vergessen würde. Doch Sesshoumaru wusste, eher würde er sterben als dies zu tun. Er würde sie immer lieben. Es war fast... als wäre er ihr das schuldig...
 

*
 

Leise kratzte die Feder über das Papier. Lange, verschnörkelte Buchstaben überzogen das weiße Material. Eine braune Hand mit langen Krallen führte die Feder.

Doch plötzlich hob der Schreiber seinen Kopf. Langes, weißes Haar fiel ihm über die Schulter. Kluge Augen blitzten im schwachen Kerzenschein.

Langsam erhob sich der rund zweitausendfünfhundert alte Inuyoukai und legte seine Arbeit bei Seite. Seine Kleidung war schlicht, sogar etwas schmutzig und wies einige Blutflecken auf, die wohl nie wieder aus dem Stoff zu waschen waren.

Seine Wohnstatt sah von außen nur aus wie eine winzig kleine Holzhütte. Tatsächlich war sie aber in Wirklichkeit riesengroß. Sobald man das Haus betrat, fand man sich in einem großen, lichtdurchfluteten Raum wieder. Es gab viele Zimmer hier und in den meisten schliefen kranke oder verletzte Youkai. Es war kein gewöhnlicher, sondern ein magischer Heilschlaf. Es gab aber auch andere Zimmer, die nicht für diejenigen gedacht waren, die die besondere Heilgabe des Youkai in Anspruch nahmen. Eines davon war eine riesige Bibliothek, in der sich alle möglichen und unmöglichen Bücher fanden. Ein anderes war vollgestopft mit allerlei Tinkturen, verschiedenen Medizinen und auch weniger appetitlichen Gegenständen, wie Froschaugen, ganze Fingernägel oder Haifischzähne. Es gab ein ganzes Regal nur voll mit hunderten von verschiedensten Arten von Blut, von Schlangenblut über Menschenblut bis zu Drachenblut war alles vertreten. Büschelweise Haare hingen von der Decke, alle in den unterschiedlichsten Farben, die meisten stammten auch von Youkai. Gleich im Raum nebenan waren nochmals Tausende von Zutaten für magische Tränke untergebracht, diesmal jedoch hauptsächlich aus der Pflanzenwelt. Fast alle bekannten und auch einige noch unbekannte Moos- und Farnarten gedeihten in gläsernen Behältern vor sich hin. Nicht wenige von ihnen mussten scheinbar auch mit lebendigem Fleisch gefüttert werden.

Der Besitzer all dieser Kuriositäten hatte nun einen weiteren Kunden wahrgenommen, dessen Aura sich in einem beachtliche Tempo seinem improvisiertem Krankenhaus nährte. Er kannte diese Aura noch gut, obwohl er sie erst ein einziges Mal gespürt hatte und da war sie auch noch nicht so stark gewesen. Dennoch konnte er sofort sagen, wem sie gehörte. Aber - Warum kam er hier her? Das würde ihn wirklich sehr interessieren...
 

*
 

Eine Erschütterung ließ Anis aus ihrem Halbschlaf aufwachen. Müde öffnete sie die Augen und stellte sogleich fest, dass Ah-Uhn bereits wieder gelandet war. Langsam richtete sie sich auf. Sie fühlte sich noch schwächer als gestern, es war grauenhaft. Arekisu war bereits abgesprungen und sah sie von unten herauf erwartungsvoll an. Sesshoumaru war ebenfalls schon unten und wartete. Etwas verwirrt glitt nun auch die junge Frau vom Sattel, verschätzte sich aber mit der Entfernung und stürzte eher, als das sie sprang. Sie wäre wohl auch ziemlich hart unten aufgekommen, hätte Sesshoumaru sie nicht rechtzeitig aufgefangen. Er half ihr wieder hoch und obwohl es sich für Anis sehr seltsam anfühlte, war sie froh, dass er bei ihr war. Gleichzeitig schien es aber auch irgendwie falsch zu sein. Sesshoumaru flößte ihr eine merkwürdige Art von Ehrfurcht ein und es war einfach nicht richtig, dass sie, die sie doch im Gegensatz zu ihm so schwach war, so nah bei ihm war. Sie hätte sich wesentlich besser gefühlt, wenn sie doch nur nicht so schwach wäre! Wenn sie ihre wahren Kräfte doch noch besitzen würde! Aber das war nicht so und wenn sie Pech hatte, würde es auch noch eine ganze Ewigkeit dauern, bis sie ihre vollständigen Fähigkeiten zurück erlangt hatte.

Erschöpft trottete sie hinter dem Daiyoukai her, achtete dabei überhaupt nicht auf ihre Umgebung. Sie bemerkte auch nicht wirklich, dass Sesshoumaru Ah-Uhn und Arekisu den Befehl gab dort zu bleiben. Erst als sie vor einer schäbigen kleinen Hütte standen, sah sie wieder auf. Was wollte Sesshoumaru denn hier?
 

Sesshoumaru beäugte den feuchten, schon leicht angefaulten Holzgriff der Tür und weigerte sich kurzerhand, diesen anzufassen. Stattdessen hob er die Hand und klopfte ein paar mal gegen die Tür, die ein beunruhigendes Knarren von sich gab, als wolle sie gleich auseinander brechen.

Bereits eine Sekunde später wurde die Tür aufgerissen. Im Rahmen stand ein etwas in die Jahre gekommener Inuyoukai mit weißem Haar und kleinen schwarzen Augen. Er sank sogleich vor Sesshoumaru auf die Knie, berührte mit der Stirn den Boden und sagte:

„Seit gegrüßt, edler Sesshoumaru, Sohn des Inu-” Weiter kam er nicht, denn Sesshoumaru packte ihn kurzerhand am Kragen und zischte unwirsch, bevor er den verdutzten Heiler wieder runter ließ.

Aus den Augenwinkeln schielte der Daiyoukai währenddessen zu Anis hinüber, die zwar neben ihm, aber noch nicht im Sichtfeld des Hausherrn stand. Beinahe hätte dieser dumme Surainu den Namen seines Vaters ausgeplaudert und damit wäre auch klar gewesen, wer er selbst war. Da Anis sich sowieso schon vor ihm und seiner Macht zu fürchten schien, wollte er den Bogen lieber nicht überspannen und ihr verraten, dass er der baldige Fürst des Westens war.

„Nun... Eh... Herr... Kommt doch bitte herein. Welcher glücklichen Fügung habe ich euren Besuch denn zu verdanken...?”, stotterte Surainu, trat hastig bei Seite und streckte einladend die Hand aus.

Sesshoumaru nahm seine Worte missbilligend zur Kenntnis. Dieser Youkai freute sich wahrlich über jeden Kunden und sei er noch so gefährlich. Jeder, der seine Dienste in Anspruch nahm, musste einen gewissen Preis dafür zahlen. Wenn man dies nicht tat oder nichts hatte, was dem Heiler gefiel, dann musste man für eine unbestimmte Zeit als Diener bei ihm arbeiten. Bezahlt wurde immer vor der Behandlung und wer ihn betrog, der konnte ziemlich sicher sein, von ihm vergiftet zu werden, ohne das man es selbst überhaupt mitbekam. Surainu war der beste seiner Kunst und er kannte sogar Gifte, die ihm selbst gefährlich werden konnten. Es war riskant, sich mit ihm einzulassen, deswegen kam man auch nur hierher, wenn einem nichts anderes einfiel. Jedenfalls war das bei den meisten so.

Und - auch wenn Sesshoumaru dies nie zugegeben hätte - er war schon recht verzweifelt. Wenn Anis es nicht schaffte, ihre Wunde von allein zu verschließen, dann mochte sie sich weiter ausbreiten und das Miasma könnte irgendwann sogar ihren ganzen Körper zerstören. In diesem Fall könnte nicht einmal Tensaiga helfen, von der Tatsache, dass er es bei ihr bereits einmal benutzt hatte und dies kein zweites mal an ein und selben Person gelang, einmal ganz abgesehen.

Er musste sich also wohl oder übel etwas einfallen lassen, was Surainu gefallen könnte, so ungern er das auch tat. Aber Anis ging vor seine eigenen Interessen. Sie war da aber auch die einzige Person...

Mit hoch erhobenem Haupt schritt Sesshoumaru an dem Heiler vorbei in das innere des Hauses, welches von außen klein und schäbig wirkte, innen jedoch riesengroß und mit allerlei Verzierungen ausgestattet war. Nun, besser jedenfalls als das alte Skelett inmitten der Lavasümpfe von Totosai.

„Anis!”, rief er seine Begleitung unwirsch, die wohl gar nicht richtig mitbekommen hatte, dass sie ihre Füße bewegen sollte. Sie musste wirklich schon sehr geschwächt sein. Rasch lief die junge Frau zu ihm, misstrauisch beäugt von dem alten Inuyoukai, der nun wieder die Tür schloss.
 

XxX
 

So, wer jetzt sehnsüchtig auf ein treffen zwischen Makotoko und Mitsura und Anis und Sesshoumaru gewartet hat, der muss jetzt wohl enttäuscht sein. Immernhin müssen sie ganz Japan durchsuchen und Anis ist ja auch getarnt. Die berühmte Suche nach der Nadel im Heuhaufen eben. Aber wenigstens erfahrt ihr auch etwas über ihre fähigkeiten. Bis sie ihren großen Auftritt haben, dauert es noch eine Weile. Ihr müsst euch also etwas gedulden!
 

Ein besonderes Lob noch an blackheart_, die es doch tatsächlich geschafft hat zu JEDEM der Kapitel ein Kommi zu hinterlassen, OBWOHL sie nicht von Anfang an dabei war und die jetzt aufgeholt hat.^^

Ich möchte mich natürlich auch bei all meinen anderen treuen Kommischreibern bedanken, bei Somi und kittykatty(fast immer die Ersten^^), bei Geany-chan(die die längsten Kommis schreibt), bei Aoko_, fausballtier, hammamoto und foxgirl, bei meiner Freundin _Corchen_ und auch bei meinen neusten Lesern(die ich net schreiben kann... och Gott, was habt ihr nur für komplizierte Namen!?) Noirophelia und yuuenrandy (ich habs geschafft! Musste mir die Namen aber aufschreiben...).

So, ich mache die 'Danksagung' an dieser Stelle, weil die ff jetzt hiermit offiziell... *Trommelwirbel*... In die Halbzeit geht! (Vielleicht nicht unbedingt von der Kapitelanzahk her, aber im Chema der Story wird um diese Zeit doch gedanklich hier ein Strich gesetzt)

Hoffentlich bleibt ihr mir auch in der zweiten Hälfte noch als Leser erhalten!

Wie immer gilt: Wer ein Kommi schreibt, kriegt eine ENS wenn es weitergeht!

Heilung

Arrgh. verfuckt, ich habs wieder nicht geschafft!

Ich habs wieder nicht geschafft den Höhepunkt mitreinzubringen, hat einfach nicht gepasst! Also wieder nur ein Hinhaltekapitel, ich hoffe ihr seit nihct enttäuscht das die nächste Hälfte der ff so anfängt.

Aber ich hatte in letzter Zeit nicht viel Gelegenheit zum Schreiben, weil meine mutter 40 wurde und, naja, die Party musste eben ich (zusammen mit meiner Schwester) schmeißen.

Wie haben also bis über beide Ohren in den Vorbereitungen gesteckt. Und außerdem musst ich noch den neuen Harry Potter auslesen. Ich hab ihn heute bekommen, aber vorher schon manchmal in der Schulbibliothek reingeguckt (da konnt man sich den abba nocht ausleihn9 sodass ich ihn an einem tag durch hatte.^^)

Und deswegen ist halt so viel Zeit draufgegangen und ich wollt euch nicht länger warten lassen.

Also, hier ein spannungs-überbrückungs-kapitel:
 

XxX
 

„Nun, edler Herr... Womit habe ich denn die Ehre eures Besuches verdient?”, fragte Surainu höflich, nachdem er Sesshoumaru und Anis in eine Art Warteraum geführt hatte. Die beiden hatten dort auf ein paar bequemen Sitzkissen nebeneinander Platz genommen, sodass sie Surainu gegenüber saßen.

„Eure Fähigkeiten werden benötigt”, antwortete Sesshoumaru schlicht.

Der alte Youkai hob überrascht eine Augenbraue; „Ihr benötigt meine Fähigkeiten?”

„Mach dich nicht lächerlich. Wer hat denn behauptet, dass ich sie benötige?”, erwiderte der Angesprochene kalt.

„N...Niemand! Das wollte ich damit nicht sagen!”, beteuerte Surainu sofort, „Aber was...?”

Zur Antwort packte Sesshoumaru Anis und zog sie zu sich heran. Mit einer raschen, ungeduldigen Geste zerrissen seine messerscharfen Klauen ihre Kleidung knapp unterhalb der Brust und die grässliche Wunde darunter wurde sichtbar.

„Diese Verletzung ist es, um die du dich kümmern sollst”, sagte er zu dem Heiler, während seine Hand noch immer auf Anis’ nackter Haut ruhte, die sich kein Stück bewegte.

Die junge Frau war in einer Art Trance versunken, seit sie sich auf dem Boden niedergelassen hatten. Sesshoumarus heranrasende Krallen hatte sie gar nicht richtig wahrgenommen. Erst als sie einen kühlen Luftzug um ihre Mitte herum spürte, kam sie auf die Idee, ihre Augen zu benutzen.

Ihr Kimono war nun an der Stelle, wo die Klauen des Daiyoukai knapp an ihrer geschundenen Haut vorbeigeschrammt waren, völlig zerfetzt. Dabei hatte sie sich in den letzten Tagen fast nur noch mit dem Flicken ihrer Kleidung beschäftigt. Alle Arbeit umsonst, war ihr erster Gedanke.

Ihre Verletzung, immer noch gut sichtbar, löste bei ihr dann sofort wieder Übelkeit aus. Sesshoumarus, an Surainu gerichtete Worte, nahm sie gar nicht wahr, wohl aber seine Hand, die nach wie vor auf ihrem Bauch ruhte. Ihr ganzer Körper musste wohl schon im Fieber glühen, was sie allerdings dank Tensaiga nicht spüren konnte. Die Kälte von Sesshoumarus Hand führte ihr dies jedoch vor Augen. Es war merkwürdig erfrischend. Die Berührung ging ihr durch Mark und Bein und ein heftiges Zittern, ähnlich wie das Krabbeln hunderter von Ameisen, machte sich in ihr breit, je länger es dauerte.

Ich werde verrückt, stellte sie vollkommen sachlich für sich selbst fest. Sie war kurz davor, den Verstand zu verlieren. Vermutlich hätte sie das schon längst, würde Tensaiga nicht den Schmerz unterdrücken. Doch die Erschöpfung, und sicher zum Teil auch Narakus giftiges Miasma hatten irgendetwas in ihrem Hirn kaputt gemacht und nun verlor sie den Verstand.

Anis wusste das, es schien ihr ganz natürlich. Sogar die Farben vor ihren Augen verschwammen bereits, gesprochene Worte wurden zu undeutlichem Gemurmel.

Was sollte man tun, wenn wahnsinnig wurde? Vermutlich genau das Gegenteil von dem, was der nicht vorhandene Verstand einem sagte.

Hm, wonach war ihr denn gerade? Ihr war jetzt nach fliegen, hoch über den Wolken zu schweben und alles hinter sich zu lassen. Vermutlich war es also das beste, einfach still hier sitzen zu bleiben, auch wenn sich alles in ihr dagegen sträubte.

Und was wollte sie gerade gar nicht? Hm, sich anstrengen. Sie wollte jetzt entspannen, sie wollte nichts sehen, nichts hören.

Vielleicht war es also besser, genau das zu tun? Hinzuhören, was auch immer da für Geräusche an ihr Ohr klangen? Die undeutlichen Gestalten vor ihr, ihr bekannten Personen zuzuordnen, sie zu erkennen? Ja, sie war sich ganz sicher, dass dies das Falscheste war, was sie jetzt machen konnte, also tat sie es. Schließlich war sie ja verrückt.
 

Surainu sog zischend die Luft zwischen seinen Zähnen ein, als er die Wunde erblickte. Diese Frau durfte eigentlich überhaupt nicht mehr am Leben sein. Zumal zusätzlich auch ein seltsamer Geruch von der Verletzung aus ging, wonach er sicher war, dass diese vergiftet war.

„Könnt ihr mir sagen... Wie das passiert ist?”, fragte er Sesshoumaru. Eigentlich hätte er auch die Frau selbst ansprechen können, doch die schien ihm gerade etwas weggetreten, vermutlich eine Folge des Giftes.

„Sie wurde im Kampf verletzt. In der Wunde hat sich anscheinend noch ein Rest Miasma festgesetzt. Sie starb, doch Tensaiga belebte sie wieder. Seitdem ist sie fast ständig erschöpft und achtet kaum noch auf ihre Umgebung”, erklärte sein Gegenüber erstaunlich sachlich. Surainu war, als hätte er absichtlich gesagt, ‘Tensaiga belebte sie wieder’ und nicht, ‘Ich belebte sie wieder’. So eine Handlung sah ihm nämlich, nach allem, was er über den Erben des Fürsten der westlichen Länder gehört hatte, gar nicht ähnlich. Vermutlich wollte er dies auch nicht offen sagen.

Der Heiler beugte sich vor und nahm das mehr als faustgroße Loch ein wenig näher unter die Lupe. An einigen Stellen war das Fleisch bereits entzündet und geschwärzt. Noch einige Tage länger und diese Frau wäre bei lebendigem Leibe verwesen. Das Sesshoumaru Tensaiga eingesetzt hatte, erklärte einiges. Vermutlich ging von der Verletzung eine Art Virus aus, das nun auf ihr Bewusstsein übergegriffen hatte. Doch wie sollte er das dem Daiyoukai am besten erklären?

„Nun, es steht wahrlich sehr übel um sie, das will ich euch nicht verschweigen. Das Gift des Miasmas hat sich scheinbar schon sehr weit vorgearbeitet. Die Symptome sind eindeutig. Sehen sie, ihr Blick ist ganz leer. Vermutlich ist sie kurz davor, dem Wahnsinn zu verfallen. Es grenzt an ein Wunder, dass sie hier noch so ruhig sitzt. Ihre Selbstbeherrschung muss enorm sein. Aber wenn das so weiter geht, wird sich ihr Körper früher oder später regenerieren wollen und sich selbst in eine Art Heilschlaf versetzten. Höchstwahrscheinlich würde sie jedoch nicht mehr aus diesem erwachen, das Gift würde sie bei lebendigem Leibe zerfressen, sogar ihre Knochen würden schmelzen. Wenn sie nicht umgehend behandelt wird, hat sie nur noch einige Tage zu leben.”

Surainu lobte sich in Gedanken selbst. Einige Tage waren übertrieben, sie hätte es sicher noch Wochen ausgehalten und seine Beschreibung traf auch nur auf den schlimmsten Fall zu, auch wenn sie sich vermutlich tatsächlich nicht alleine würde heilen können. Aber das wusste Sesshoumaru ja nicht. Wenn dieses Wesen ihm noch irgendwie von Nutzen sein konnte oder sie ihm - was eher unwahrscheinlich war - irgendetwas bedeutete, würde er für sie bezahlen müssen. Und Surainu wusste schon ganz genau, was er von ihm verlangen würde. Hach, herrlich, es war wirklich ein Glück, dass Sesshoumaru höchstpersönlich hier vorbei kam. Heute musste sein Glückstag sein!

„Kannst du sie heilen?”, meinte Sesshoumaru nur kühl.

Ha, dachte sich derweil Surainu, als er diese Worte hörte, er hat angebissen!

„Selbstverständlich, doch es wird eine Weile dauern und ich müsste sie nach der Behandlung auch noch einige Tage zur Überwachung hier behalten”, erwiderte er und fügte seiner kleinen Sammlung an ganz besonderen Trankzutaten bereits gedanklich eine weitere Substanz zu, die vom zukünftigen Herrn des Westens persönlich stammen würde...

Sesshoumaru sah ihn mit einem undefinierbarem Blick an und Surainu sah sich seine Belohnung bereits wieder in Luft auflösen, doch dann sagte er:

„Tu, was du tun musst. Sollte ihr Zustand nach einer Woche noch irgendwelche Mängel aufweisen, wirst du dafür bezahlen müssen!”

Der Heiler verstand seine Worte sehr wohl, er würde gewiss mit dem Leben bezahlen, wenn seine Arbeit nicht gut war. Doch diese Drohung kümmerte ihn nicht weiter. Seine Arbeit war immer gut und nicht er würde schließlich bezahlen müssen...

„Mit dem größtem Vergnügen, Herr!”, sagte Surainu strahlend, „Ich werde sofort alle Vorbereitungen treffen. Wenn es euch nichts ausmacht, so entschuldigt mich kurz.”

Er verneigte sich noch einmal kurz und stand dann auf. Eilig lief er zu einer schwarzen Tür an einer Seite des Raumes. Bevor er jedoch dahinter verschwand, drehte er sich noch einmal um. Stirnrunzelnd reckte er seine Nase nach oben und schien zu schnüffeln. Dann sah er Sesshoumaru entschuldigend an und sagte:

„Verzeihung, aber erlaubt mir die Frage, ist diese Frau ein Mensch oder ein Dämon? Sie riecht seltsamerweise nach keinem von beidem, sondern nach Lavendel. Ein häufig vorkommendes Kraut, das manchmal für Parfüm genutzt wird, doch es ist unüblich, dass es den Geruch einer Person so sehr übertüncht.”

„Ist es denn wichtig, was sie ist?”, fragte Sesshoumaru mit einem drohenden Unterton.

„Nun...ja. Einem Mensch darf ich bestimmte Kräuter nicht geben, weil der Körper sie nicht verträgt. Wenn ich dieselben jedoch bei einem Youkai auslasse, könnte die Heilung unvollständig werden, oder sogar ganz ausfallen”, antwortete er.

Sesshoumaru schwieg für eine ganze Weile, bevor er sagte: „Gib ihr die Kräuter. Sie verträgt viel.”

Surainu verneigte sich noch einmal, bevor er den Raum verließ und die Tür hinter sich schloss. Außer Sichtweite der aufmerksamen goldenen Augen schüttelte er ratlos den Kopf. Wenn es tatsächlich so war und Sesshoumaru wirklich nicht wusste, was genau sie war, dann hatte er soeben mit ihrem Leben gespielt. Andererseits konnte er sich schwerlich vorstellen, dass der Daiyoukai tatsächlich keine Ahnung hatte, was für ein Wesen ihn da begleitete. Dazu kam noch, dass er ja wohl mehr als genug Gelegenheit gehabt hatte, es herauszufinden.

Aber was soll’s, er musste sowieso nur die Befehle befolgen. Aber wenn es dieser Frau letztendlich nicht besser ging, konnte er ja schlecht Sesshoumaru die Schuld in die Schuhe schieben, weil er ihm gesagt hatte, welche Kräuter er verwenden sollte. Nun, wie auch immer, er war sicher, es hin zu bekommen. Aber das würde teuer werden, oh ja!
 

*
 

Plitsch, plitsch plitsch.

Der glatte Stein hinterließ winzige Wellen auf der Wasseroberfläche. Er kam sechs mal auf, bevor er im See versank.

Wieder wurde ein Stein geworfen. Dort, wo der sich schnell im Kreis drehende Kieselstein die Wasseroberfläche berührte, breiteten sich immer größer werdende Kreise in alle Richtungen aus. Der zweite Stein schaffte es acht mal, nicht im Wasser zu versinken. Dann ging auch er unter.

Ein lautes Seufzen war zu hören. Am Ufer des Sees saß eine weibliche Youkai, den Kopf auf die Hände, welche lange scharfe Krallen hatten, gestützt. Ihre Haare waren dunkelbraun und ihre Augen leuchteten blau.

„Ach, verdammt!”, rief die Frau plötzlich aus. Der nächste Stein landete mit einem weitaus weniger elegantem Platscher im Wasser.

„Wenn ich wenigstens einen kleinen Hinweis hätte...”, murmelte sie vor sich hin.

Doch plötzlich wurde die Youkai aus ihren Gedanken gerissen. Misstrauisch sah sie nach hinten und nahm kurz die Witterung auf. Der Wind trug ihr den Geruch eines unbekannten Dämons entgegen. Noch einmal schnüffelte sie, um den fremden Duft zu analysieren. Der Youkai war schon erstaunlich nah. Als sie alle Informationen aus dem Geruch herausgefiltert hatte, stahl sich ein bösartiges Lächeln auf ihr Gesicht. Dort kam ein Wolfsdämon. Ein männlicher.

Verstohlen grinsend griff sich die junge Frau an den Gürtel und holte eine kleine Flasche heraus, auf dessen Etikett etwas in einer fremden Sprache stand. Sie zog rasch den Korken heraus, schüttete sich etwas von der cremeartigen Flüssigkeit auf die Hand und verschloss sie wieder. Nun verrieb sie die Substanz eilig auf ihren Armen, im Gesicht und ein wenig auch auf den Beinen. Dann richtete sie ihre Jacke wieder, setzte sich ans Ufer zurück und wartete, während sie darauf bedacht war, ihre Aura sorgfältig zu unterdrücken. Der Besucher konnte kommen. Sie hatte Lust mit ihm zu spielen.
 

*
 

Der Youkai lächelte hämisch, als er auf die zerfetzten Überreste die Dämonen hinunter sah, die durch seine Klauen zerrissen wurden. Für diese niederen Wesen hatte er noch nicht einmal sein Schwert gezogen.

Ein lautes, aufforderndes Bellen ertönte. Der Dämon wandte sich um. Hinter ihm stand der große, rotbraune Hund und wedelte mit dem Schwanz.

„Ist ja, gut, ich komm ja schon”, meinte der junge Mann verschmitzt und ging zu seinem vierbeinigem Freund hinüber. Schon als er nur drei Schritte an dem Hund vorbeigegangen war, setzte dieser zum Sprung an und saß eine Sekunde später, fest durch seine Krallen, die tief in die alte Lederjacke des Mannes schnitten, verankert, auf der Schulter des Youkais. Dieser schwankte nicht um einen Millimeter und begann nun, das lange Fell seines Freundes zu kraulen, woraufhin dieser genüsslich brummte.

„Wo sollen wir jetzt hingehen, was meinst du? Sollen wir einfach weitergehen und die Gegend nach Anis abfragen? Dann sollte ich meine Aura in Zukunft vielleicht nicht unterdrücken. Die Dämonen denken alle, ich bin ein Mensch und greifen mich an, ohne zu antworten. Das gibt unnötig viele Leichen. Andererseits krieg ich meine Tarnung bestimmt nie wieder so gut hin und ich kann einfach nicht offen als Youkai rumspazieren. Womöglich krieg ich dann sogar Ärger mit den hier herrschenden Clans, weil ich mich hier unrechtmäßig aufhalte”, flüsterte er leise, an den Hund gewandt. Dieser legte den Kopf schief und stieß eine Art Knurren aus, fast, als wenn er die Worte verstanden hätte.

„Nein, wir können sie nicht alle umbringen! Nagut... Können schon... Aber das sollten wir nicht! Es würden immer mehr kommen. Außerdem wollen wir doch kein Aufsehen erregen, das können wir auf der Suche nach Anis nicht gebrauchen”, fuhr er mit seinen augenscheinlichen Selbstgesprächen fort.

Sein stummer Gesprächspartner ließ etwas deprimiert den Kopf hängen.

„Na du bist mir ja eine tolle Hilfe! Ich hab ja gleich gewusst, dass wir uns nicht von Mitsura trennen sollen”, murrte der Youkai.

Keine Reaktion.

„Was glaubst du, ob sie ihren großen Beschützer Makotoko schon vermisst?”, fragte er und stupste dem Hund freundschaftlich gegen die Nase. Dieser wiederum nieste einmal und sah ihn dann schon fast spöttisch an.

„Sicher, du hast Recht! Sie wird sich schon längst wieder einen anderen angelacht haben. In dieser Hinsicht kann man ihr wirklich nichts ausreden. Aber wer weiß, vielleicht kommt sie so sogar ans Ziel. Besser jedenfalls als wir”, meinte Makotoko und wies vielsagend auf die Dämonenleichen.

Sein Hund nieste erneut und legte dann den Kopf gelangweilt zwischen seine Pfoten.

Makotoko seufzte. „Also weiter dem Lavendelduft nach. Ich hätte nie gedacht, dass es diese Pflanze hier so häufig gibt. Und niemand hat Anis gesehen, weder Mensch noch Dämon. Na das kann ja noch eine Weile dauern...”

Mit einer anmutigen Bewegung sprang Makotoko auf einen höhergelegenden Felsen, von dort auf einen Ast und arbeitete sich immer weiter im Baum hoch, bis er schließlich im Federflug über die höchsten Wipfel der Bäume glitt.

Irgendwann würde er Anis schon finden...
 

*
 

„Hey Kouga! Warte doch auf uns!” schallte ein geradezu verzweifelter Ruf durch den Wald.

„Gib’s auf, der hört doch eh nicht auf uns”, meinte eine zweite Stimme.

„Das ist doch nicht zu glauben! Obwohl er die Juwelensplitter nicht mehr in den Beinen hat, ist er immer noch so wahnsinnig schnell! Wie sollen wir da jemals hinterher kommen, Ginta?”, schimpfte der Youkai.

„Laufen, Hakkaku. Laufen. Und zwar möglichst schnell”, murrte Ginta nur lustlos.
 

*
 

Was ist das nur für ein Geruch? So etwas habe ich noch nie zuvor gerochen. Was ist das nur?, fragte sich Kouga, der Wolfsdämon, in Gedanken. Seine beiden Freunde hatte er, ohne es zu merken, schon lange abgehängt.

Seine Nase sagte ihm, dass er seinem Ziel schon sehr nah war - der Quelle dieses verlockendes Duftes. Er roch überhaupt nichts anderes mehr, alle seine Gedanken waren darauf ausgerichtet. Noch einmal beschleunigte er sein Tempo. Er konnte auch kaum etwas sehen, denn der Wirbelsturm, der ihn immer beim Laufen einhüllte, verdeckte die Sicht. Aber das machte nichts, da ein Wolfsdämon sich nun einmal nicht nur auf seine Augen verließ.

Als er ganz sicher war, sein Ziel erreicht zu haben, bremste er schlitternd ab und kam zum Stehen.

Er stand nun am Ufer eines Sees, wie er bald feststellte. Dort, auf einem mächtigen Felsen, saß eine zierliche Gestalt, eine Frau, in äußerst merkwürdigen Kleidern. Ihr Anblick nahm ihn sofort gefangen. Fast schon scheu trat er näher heran, ohne in ihr Sichtfeld zu gelangen, um sie genauer zu betrachten.

Ihre dunkelbraunen Haare schimmerten im Sonnenlicht golden und ihre Augen strahlten wie zwei tiefblaue Edelsteine. Ihre Haut hatte die Farbe von frischem Honig, ihre Lippen waren sanft geschwungen und von kirschroter Farbe. Die langen, schwarzen Wimpern gaben ihrem Gesicht einen äußerst anreizenden Anstrich und an ihren Ohren, die nach oben hin spitz zuliefen, glitzerten winzige Anstecker, die wie kleine Sterne geformt waren, sodass es so aussah, als hätte sie die Himmelskörper selbst vom Firmament gepflückt.

Erst mit dem zweiten Blick nahm er wahr, dass sie eine sehr ungewöhnliche Kleidung trug. Sie hatte doch tatsächlich eine Hose an! Das schickte sich für Frauen überhaupt nicht. Diese Hose sah zudem auch noch einmal sehr seltsam aus. Sie schien aus sehr grobem Stoff gefertigt, hatte jedoch viele Verzierungen, die eine aufwendige Herstellung hinwiesen. Sie war sehr eng und betonte ihre schlanken Beine besonders gut. Darüber trug sie einen schwarzen Mantel, der ihr bis zu den Knien ging. Er war vorne mit allerlei Schnallen verschlossen und hatte hinten eine fellbesetzte Kapunze. Alles in allem waren es Männersachen, die jedoch auf merkwürdige Weise so umgestaltet waren, dass ein Mann sich darin sicher zu weibisch gefühlt hätte.

Aufgrund ihrer Ohrenform nahm Kouga an, dass es sich hierbei um eine Youkai handelte. Jedoch konnte er keinerlei Ausstrahlung feststellen. Verwirrt schnüffelte er noch ein wenig, doch das Einzige, was er wahrnehmen konnte, war dieser äußerst merkwürdige Duft der von ihr ausging. Es war sicher kein normaler Körpergeruch, wie ihn jedes Wesen hatte. Oder? Der Wolfsdämon konnte sie einfach keiner Youkaiart zuordnen, auch wenn er sich hundertprozentig sicher war, das sie eine Dämonin war.
 

Heilige Hundewurst, was steht der denn da noch rum?!, dachte sich derweil Mitsura, die schon seit Minuten bemerkt hatte, dass der Kerl da hinter dem Gebüsch sie angaffte, Erwartet der etwas, dass ichden ersten Schritt mache?! Das kann er sich abschminken!

Nun, aber auch für solche, etwas scheuen Fälle, hatte sie ein Mittel. Gegen alles war ein Kraut gewachsen...

Nagut, dann eben Plan B..., dachte sie sich, setzte eine zutiefst betrübte Miene auf und seufzte einmal hörbar. Sie beugte sich etwas nach vorne und ließ sich ihre Haare ins Gesicht fallen, sodass der Wolfsdämon von seinem Standpunkt aus nicht ihre Grimasse erkannte, die sie nun schnitt. Mit einigen Gesichtsverkrampfungen konnte sie schließlich eine kleine Träne aus dem einen Auge quetschen.

So, das muss jetzt aber reichen. Wenn der kein Gentleman ist und eine zu Tode betrübte und äußerst attraktive Frau trösten will, dann bin auch ich mit meinem Latein am Ende!, dachte sie sich. Wolfsyoukai hatten eine sehr empfindliche Nase, sicher würde er ihre Tränen riechen. Dann musste er nur noch nah genug herankommen, und es war um ihn geschehen...
 

Kouga machte ein bestürztes Gesicht. Noch einmal witterte er kurz, doch es bestand kein Zweifel. Diese Frau dort drüben weinte! Er konnte es ganz genau riechen.

Was mochte wohl passiert sein? Welches Scheusal wagte es, eine solche Schönheit zum Weinen zu bringen!?

Unwillkürlich packte ihn die Wut. Anfangs hatte er nur vorgehabt, sie zu beobachten, aber jetzt wollte er mit ihr reden, sie trösten, was auch immer passiert war.

Mit einigen kräftigen Bewegungen bog er das Gebüsch auseinander, möglichst geräuschvoll, damit sie sich nicht erschreckte. Dennoch blickte die Braunhaarige etwas verwirrt, als er sich ihr nährte. Kouga verlangsamte seine Schritte, hob lächelnd eine Hand und sagte:

„Schon gut, ich will nichts Böses. Ich hab dich nur zufällig gesehen und... Du scheinst über irgendetwas sehr traurig zu sein. Willst du mir sagen, was los ist? Ich meine...”, Der Wolfsdämon fing an zu stottern. Was bildete er sich eigentlich ein? Was sollte er überhaupt sagen?, „Es geht mich natürlich nichts an, aber... Vielleicht kann ich dir ja helfen...”

Na toll, Kouga! So ein abgegriffener Spruch! Jetzt denkt sie sicher, ich bin nur irgend so ein Idiot, der sich an sie ranmachen will., schalt er sich selbst. Doch zu seiner großen Überraschung und auch Erleichterung, lächelte die Dämonin nun, wenn auch ein eher trauriges Lächeln.

„Es... Es ist nichts... Es geht nur um familiäre Probleme... Ich will dich nicht damit belasten”, meinte sie entschuldigend.

„Nicht doch! Es wird bestimmt besser, wenn du es mir erzählst”, antwortete Kouga. Zögernd kam er etwas näher und setzte sich neben die Dämonin, wenn auch in höflichem Abstand.

„Nun... Meine Schwester ist jetzt seit fast drei Jahren verschwunden und ich hatte sogar einmal Grund zur Annahme, sie sei gestorben. Ich wollte sie suchen, um mich nach ihrem Befinden zu erkundigen, doch bisher blieb meine Suche erfolglos. Ich bezweifle, dass du sie gesehen hast. Sie ist nicht im Vollbesitz ihrer Youkaikräfte und tarnt sich deswegen als Mensch”, berichtete die Youkai traurig.

„Oh, das mit deiner Schwester tut mir Leid. Weißt du denn wenigstens ungefähr, wohin sie gegangen sein könnte?” fragte er. Normalerweise würde eine Youkai, die nicht ihre vollständige Kraft entfalten konnte, doch zu Hause bei ihrer Familie bleiben und nicht so einfach verschwinden, oder?

„Nun, sie wollte sich wohl ursprünglich einer jungen Miko anschließen, die in Begleitung eines Inuhanyou war. Deren Ziel war es wohl, irgendein magisches Juwel zu finden... Jedenfalls hat sie das in einer Art Abschiedsbrief geschrieben, kurz bevor sie loszog”, erklärte die Dämonin müde.

Kouga fiel bei der Beschreibung die Kinnlade herunter. Ein Inuhanyou? Eine Miko? Sie meinte doch nicht etwa...?

„Ich glaube, ich kenne diese Leute! Ich habe sie erst kürzlich getroffen, doch da war keine mir unbekannte Menschenfrau, eh, Youkai dabei.”

Die Frau schaute erstaunt auf. „Du kennst sie? Weißt du, wo sich die Gruppe zur Zeit aufhält?”

Kouga überlegte kurz, wo er Kagome und Inuyasha zum letzten Mal gesehen hatte. „Ich weiß es nicht. Doch ich könnte euch ungefähr die Richtung weisen. Am besten...” Er pausierte kurz, „Am besten geht ihr nach Norden.”

„Die junge Frau stand erfreut auf. „Vielen Dank! Du hast mir wirklich sehr geholfen! Ich werde mich sofort auf den Weg machen. Vielleicht wissen diese Leute wo Anis steckt.”

Sie wollte schon aufstehen und losgehen, doch Kouga hielt sie fest.

Aber da auf einmal wurde ihm ganz anders, eine merkwürdige Hitze durchströmte seinen Körper und das Blut in seinen Adern schien zu kochen. Die Umgebung vor seinen Augen verschwamm, das Einzige, was er noch klar sehen konnte, war das Gesicht der Person vor sich. Wieder bemerkte er diesen betörenden Geruch, der von ihr ausging. In seinem Inneren fing es an zu kribbeln, als hätten sich Tausende von Schmetterlingen in seinem Magen verirrt. Ein Schauer der Erregung durchfuhr ihn. Er konnte nicht umhin, die Frau vor sich näher zu betrachten, ihre schlanken Beine, ihre schmale Taille und ihre gut proportionierte Brust. Er fragte sich, wie es wäre, diesen göttlichen Körper zu berühren und nach und nach wurde diese Frage zu einem Wunsch. Er wollte sie, sie und keine Andere, er wollte sie besitzen, sie lieben und er wollte, dass sie ihn liebte.

Doch dann entzog sie sich sanft seinem Griff und der ganze Spuk war vorbei. Die Hitze in ihm verschwand, ebenso wie der Wunsch nach ihrem Körper. Doch das Kribbeln blieb, dieses leichte Kribbeln, das ihn sehr verwirrte. Was war nur grad mit ihm los gewesen?! Was... Verdammt, was hatte er denn da gerade für schmutzige Gedanken gehabt?!

„Wolltest du noch etwas sagen?”, fragte ihn die Youkai. Sie machte ein derart unschuldiges Gesicht, dass Kouga den ihm zuvor gekommenen Gedanken, sie könnte ihn verhext haben, sofort wieder verwarf.

„Jaah... Ich... Ich wollte dich fragen... Äh... Ob ich vielleicht mit dir kommen soll.... Ich kenne den Geruch der Leute, die du suchst und würde sie bestimmt wieder finden. Ohne Hilfe ist es doch genauso schwer, sie zu finden, wie deine Schwester, nicht wahr?”, stammelte er etwas zusammenhangslos, ihm war immer noch ein wenig schummerig.

„Das ist eine großartige Idee! Du kannst mir sicher gut bei der Suche helfen. Außerdem... macht das Reisen zu zweit doch noch viel mehr Spaß, nicht wahr...?”

Kougas Herz schlug ihm bei diesen Worten bis sonst wohin, so sehr freute er sich über ihre Antwort. Er durfte mit ihr zusammen reisen!

Moment mal, wieso hatte er das eigentlich gewollt? Naja, egal. Es würde sicher eine Menge Spaß machen.

Hä, wieso Spaß?, meldete sich der Zweifel wieder, Was sollte an einer Reise schon Spaß machen? Was dachte er da denn überhaupt für komisches Zeug?

„Sag mal...”, fing die Youkai nun an, wandte sich ganz zu ihm und hob flüchtig eine Hand ,um sich die Haare aus dem Gesicht zu streifen. Zufällig berührte sie ihn dabei flüchtig am Arm und plötzlich waren da wieder diese merkwürdigen Gefühle, nur für einen Wimpernschlag lang, aber doch stark genug, um Kougas Zweifel an der Richtigkeit seiner Entscheidung vollkommen auszulöschen.

„Sag mal, wie ist eigentlich dein Name?”, fuhr die Frau nun fort.

„K...k...kou...ga....”, stotterte er hilflos, während er schon wieder ganz benommen von ihrer Berührung war.

„Wie bitte?”, fragte sie deshalb auch gleich mal nach.

„Ich... Ich heiße Kouga!”, sagte er diesmal etwas gefasster und schämte sich dabei in Grund in Boden, vor ihr wie ein dämlicher Idiot zu erscheinen.

„Mein Name ist Mitsura”,erwiderte sie mit einem unwiderstehlichem Lächeln, doch in ihren Augen war kein Spott zu erkennen, eher sowas wie... Verständnis?

„Hm... Okay... Dann machen wir uns mal auf den Weg, was?”, meinte Kouga zögernd.

„Ja!”, erwiderte Mitsura erfreut, wandte sich mit einer eleganten Drehung um und marschierte Richtung Norden. Der Wolfsdämon folgte ihr. Bald schon hatte er aufgeholt.

Einerseits wollte er Abstand von ihr halten, da sie ihm irgendwie gruselig erschien, andererseits verspürte er auch das merkwürdige Bedürfnis, ihr so nah wie möglich zu sein. Die Frage, wie viel die Entfernung zwischen ihnen betragen sollte, löste sich dann aber von selbst, denn Mitsura stieß sich einmal kräftig vom Boden ab und rauschte in einer Mischung aus Flug und Sprung in die Höhe. Eine Sekunde später landete sie sanft wie eine Feder auf einem hauchdünnem Zweig einer nahestehenden Buche, die unter ihrem Gewicht nicht einmal zitterte. Sofort stieß sie sich wieder ab und jetzt endlich hatte auch Kouga erkannt, dass dies anscheinend ihre Art war, schnell vorwärts zu kommen. Auf der Stelle rannte er ihr hinterher, denn inzwischen hatte sie schon eine beachtliche Entfernung zurück gelegt. Um seine Beine legte sich ein gewaltiger Wirbelsturm der ihn kurze Zeit später auch schon vollständig einhüllte, bevor er ihn nachhetzte.
 

Ginta und Hakkaku wurden von ihm vollkommen vergessen...
 

*
 

Surainu war gerade mit dem gröbsten Teil seiner Behandlung fertig und legte Anis gerade einen frischen Verband an, als Sesshoumaru das Zimmer betrat. Der Heiler hatte die junge Frau in einen tiefen Heilschlaf versetzt, der einer Bewusstlosigkeit ähnelte. Ihre innere Verletzung war so stark gewesen, dass er echte Probleme mit dem Auftragen der Heilsalben gehabt hatte. Das Gift hatte außerdem seine Magie mehrmals erfolgreich abgestoßen. Aber letztendlich hatte er es doch geschafft. Sie Verletzte war noch lange nicht über dem Berg, aber sie würde es schaffen.

„Wie geht es ihr?”, ertönte die kalte Stimme seines Auftraggebers hinter Surainu. Unwillkürlich musste dieser schmunzeln, machte sich der Daiyoukai tatsächlich Sorgen?

„Die Wunde wird wieder vollständig verheilen. Im Moment...schläft sie”, antwortete er.

„Ich wollte wissen, wie es ihr geht! Spürt sie Schmerzen? Wird sie sich weiterhin so komisch verhalten, wenn sie aufwacht?!” Seine Stimme klang zornig, fast drohend, doch es bestätigte nur die Vermutung des Heilers, dass dort vor ihm wohl die einzige Frau lag, die jemals sein Herz hatte berühren können. Fast schon ehrfürchtig hielt er in seiner Arbeit inne und betrachtete das Gesicht der Frau. Was war wohl an ihr so besonders?

„Ihr könnt beruhigt sein, sie wird keine bleibenden Schäden davon tragen. Ich bin sicher, dass sie keine Schmerzen spürt, weder durch meine Magie, noch durch ihre Verletzung, dafür hat Tensaiga gesorgt. Sie wird lediglich etwas mehr erschöpft sein, wenn sie aufwacht, deshalb habe ich euch bereits gebeten, sie noch etwas hier zu lassen, um einen Rückfall zu vermeiden.”

Er konnte die Unruhe des Dämons, welche sich in seinem aufgewühltem Youki widerspiegelte, hinter sich spüren und wusste, dass er mit der Antwort nicht zufrieden war. Die Atmosphäre begann sich zu verändern und Surainu beeilte sich mit dem Verband, um möglichst schnell von hier weg zu kommen.
 

Sesshoumaru beobachtete missbilligend, wie Surainu den Verband festzurrte, sich hastig vor ihm verbeugte und mit der Ausrede, er müsse sich um die anderen Patienten kümmern, aus dem Raum verschwand. Dem zurückgebliebenen Inuyoukai war das nur Recht.

Nun war er allein mit der schlafenden Anis. Sie lag auf einer Bahre, die entfernt einem Operationstisch glich. So brauchte er sich nicht bücken oder niederknien, als er ihr jetzt langsam die Haare aus dem Gesicht strich und ihr friedliches Antlitz betrachtete. Ihr Brustkorb hob und senkte sich in regelmäßigen Abständen, was eine gleichmäßige Atmung verriet. Sie sah zu lebendig aus, um bewusstlos zu sein, aber auch zu ruhig, um als schlafend durchzugehen.

Die Sorge um sie nagte an seinem Herzen und hinterließ einen spürbaren Schmerz. Sesshoumaru wehrte sich schon lange nicht mehr dagegen, das hatte er längst aufgegeben. Er hatte akzeptiert, dass da jetzt etwas neues in ihm war, etwas, das vorher nicht dort gewesen war und von dem er immer gedacht hatte, es hätte dort nichts zu suchen. Nun wusste er es besser.

Zärtlich strich er ihr über die Wange, vollkommen in Gedanken versunken. Wohin sollte das alles denn noch führen? Sicher war es ein Fehler gewesen, sie hierher zu bringen, Sesshoumaru hatte ganz genau gespürt, wie seltsam Surainu ihn angesehen hatte. Er wurde das Gefühl nicht los, dass der alte Heiler etwas ahnte. Natürlich würde er ihn sofort töten müssen, sollte der senile Hundedämon irgendwelche Gerüchte in die Welt setzen. Mit Sicherheit war das auch Surainu bewusst. Aber würde er die Klappe halten können? Es wäre sicher ein Skandal, käme heraus, dass der zukünftige Fürst des Westens sich in eine Frau verliebt hatte, deren Herkunft, Blutstatus, Rasse, Abstammung, deren Rang nicht bekannt waren. Er würde ja nicht einmal beweisen können, dass sie ein Dämon war und er glaubte zu wissen, dass selbst Anis das nicht konnte. Für ihn selbst hatten diese Sachen an Wichtigkeit verloren, doch etliche andere Youkai dachten anders. Das Blut war alles, was zählte. Ob es rein war oder verschmutzt, erst- oder zweitklassig... menschlich oder fürstlich. Und obwohl Sesshoumaru sich hundertprozentig sicher war, dass es nichts an seiner Liebe zu Anis ändern würde, fragte er sich doch, was für Blut durch ihre Adern floss.
 

XxX
 

Ist nur relativ kurz heute, ich hoffe es hat euch dennoch gefallen (und schreibt mir WIE es euch gefallen hat!)

Eiskalt

Hehe...

so lange Wartezeit...

Aber jetzt meld ich mich auch wieder. (kittykatty hat mich dran erinnert das ich auch mal wieder weiter machen muss... *Hand schüttel*)

Lasst euch nicht vom Titel täuschen, diesmal geht es eher um Mitsura^^ Nagut, ne kleine Es-funkt-Situation ist auch wieder mit drin zwischen Anis und Sess. Muss ja iwie vorangehen, nicht?

Aber ich hab es immer noch nicht geschafft den nächsten 'Fluchtversuch' (und Fluchtversuch bitte wirklich in Anführungszeichen!) mit reinzubringen. Vllt beim nächsten kap.
 

XxX
 

Müde schlug Anis die Augen auf. Über ihr war die weiße Decke eines Raumes zu sehen, ohne die üblichen Unebenheiten und offensichtlich aus Stein gefertigt. Zuerst glaubte sie, sich in einem Krankenhaus in der Neuzeit zu befinden. Der strenge Geruch nach Desinfektionsmitteln verstärkte diesen Effekt noch. Die junge Frau wollte sich aufrichten, musste jedoch erschrocken feststellen, dass sie das nicht konnte. Nicht, da,s sie irgendetwas daran gehindert hätte, aber sie besaß einfach nicht die Kraft dazu. Selbst das Drehen ihres Kopfes, um sich umzusehen, erforderte erschreckend viel Energie.

Der Raum war leer, das konnte sie auf den ersten Blick sehen. Sie lag auf einer Art Bahre und die Wände des Zimmers gaben ihr das Gefühl, eingesperrt zu sein. Den einzige Ausgang stellte eine Tür am anderen Ende des Raumes dar, die ebenso weiß wie die Wände waren.

Anis spürte den plötzlichen Drang aufzuspringen und diesen klaustophorischen Ort zu verlassen, doch sie konnte sich kein Stück bewegen. Ihr Körper war bleischwer und alle ihre Muskeln schienen sich gegen sie verschworen zu haben.

Plötzlich aber öffnete sich die Tür mit einem leisen Klicken und schwang auf. Anis bemühte sich, dorthin zu sehen, aber sie konnte niemanden erkennen. Die Tür war wie von Geisterhand aufgegangen und obwohl sie nun leise, tapsende Schritte hörte, konnte sie noch immer keine Person ausmachen.

Fieberhaft versuchte sie sich zu erinnern, wie sie überhaupt hierher gekommen war. Warum nur war sie so maßlos erschöpft? So hatte sie sich erstmals gefühlt, kurz nachdem ihre Youkaikräfte versiegelt wurden und sie ihren Tätigkeiten einfach weiterhin nachgegangen war, ohne dabei zu berücksichtigen, dass ein Mensch auch mal Ruhe brauchte. Sie hatte sich in einem unvorstellbarem Maße überanstrengt. Kein Wunder, damals war sie noch ein Kind. Aber das hier war etwas anderes, sie hatte keine Ahnung, was mit ihr los war.

Die Schritte kamen näher und noch immer hatte Anis keine Ahnung, wer es war. Dann - sie hätte beinahe einen Herzinfarkt bekommen - landete ein zirka zehn Kilo schweres Gesicht auf ihren Füßen und endlich erkannte sie ihren Besucher. Es war Arekisu.

Erleichtert atmete sie aus und beobachtete die Hündin, als sie vorsichtig tapsend am Rand der Liege balancierte und schließlich neben ihr sitzen blieb, sodass Anis ihr ins Gesicht sehen konnte. Die schwarzen Augen funkelten sie besorgt an und die knuffigen Schlappohren hingen schlaff herunter.

„Na meine Süße, wie geht’s dir?”, flüsterte Anis müde und war selbst entsetzt, wie heiser ihre Stimme klang.

Die schwarze Hündin legte ihren Kopf schief und schaute noch besorgter. Das wiederum sah so süß aus, dass Anis schließlich doch lächeln musste.
 

Zwei Räume weiter unterhielt sich Sesshoumaru gerade mit Surainu.

„Der Zustand ihrer Begleiterin hat sich stabilisiert, ich bin sicher, dass sie noch heute aufwachen wird”, sagte der Heiler gerade überzeugt. Sesshoumaru nahm es mit einem Nicken zur Kenntnis.

„Nun... Da wäre allerdings noch eine Sache”, fuhr der Inuyoukai fort. Sesshoumaru ahnte, worauf er hinaus wollte, sagte aber trotzdem nichts.

„Ihr wisst sicher: Forschung ist die beste Medizin. Ich verlange kein Geld für meine Dienste, aber ihr versteht sicher, dass ich nicht umsonst arbeite....” Er geriet ins stottern, bekam unter dem stechenden Blick des Daiyoukai kaum noch ein Wort heraus. Der Angesprochene beobachtete das mit versteckter Belustigung. Er wusste durchaus, dass er gezwungen war, Surainu den Preis zu zahlen, den er verlangte. Anis war noch nicht vollständig gesund und wenn er den Heiler jetzt tötete, könnte dieser ihr nicht mehr helfen, sollte sie rückfällig werden. Wenn er ihn jedoch ohne Bezahlung am Leben ließ, war das Leben seiner Geliebten in noch größerer Gefahr. Wer garantierte ihm denn, dass Surainu ihr nichts antun würde? Er konnte nicht immer daneben stehen und aufpassen, außerdem kannte er sich nicht so gut mit der Vegetation aus. Das einzige Kraut, dass er unter hunderten wieder erkennen würde, war Lavendel, denn das hatte den selben Geruch wie Anis...

„Was willst du?”, fragte er schließlich und es klang etwas herausfordernder, als er es beabsichtigt hatte.

Surainu straffte die Schultern, verneigte sich kurz und sagte dann:

„Wie ich hörte, seid ihr in der Lage, eine ganz spezielle Giftattacke einzusetzen. Das ist bei Hundedämonen höchst ungewöhnlich, da wir keine Giftdrüsen besitzen, wie zum Beispiel Schlangendämonen. Für das Leben eurer Begleiterin wäre es sicher machbar, dass ihr mir für meine weitere Forschung ein Gläschen von eurem Gift bereitstellt”, schloss er und sah ihn abwartend an.

Sesshoumaru hätte jetzt laut losgelacht, wenn er sich nicht schon vor Jahrhunderten geschworen hätte, solche Emotionen nicht zu zeigen. Er kannte Surainu nur vom Hörensagen, aber er wusste, dass seine Forderungen normalerweise höher ausfielen. Sein Vater hatte sich damals einen ganzen Fingernagel ausreißen müssen, was gewiss auch für ihn sehr schmerzhaft gewesen war. Sesshoumaru hatte seine eigene Autorität wohl etwas unterschätzt. Aber gut, Surainu konnte nicht wissen, wie viel ihm an Anis lag und das er bereit gewesen wäre, alles für sie zu geben.

Der alte Heiler hatte sein Schweigen und seine unbewegte Miene wohl zu seinem eigenen Ungunsten gedeutet und war deshalb sichtlich erleichtert, als sein Gegenüber ihm mit einem knappen Nicken sein Einverständnis gab.

Surainu seufzte sichtlich erleichtert auf, verneigte sich wieder und führte ihn dann durch ein Labyrinth auf Gängen und Zimmern in einen Raum, der vollgestopft mit allen möglichen Arten von Behältern war. Die meisten waren aus Glas, in den verschiedensten Formen, einige waren aus Metall oder gar Holz. Es gab auch welche, bei denen Sesshoumaru absolut nicht sagen konnte, aus was sie bestanden. Manche beinhalteten Flüssigkeiten in unterschiedlichen Farben. Ein zähflüssige, rubinrote Masse wurde träge durch ein gut fünf Meter langes Rohr gepresst, welches an den Wänden entlang verlief.

Der Heiler wuselte durch den Raum, öffnete Hunderte von Schränke und warf den Inhalt achtlos zu Boden, offenbar auf der Suche nach einem bestimmten Gegenstand. Als er diesen endlich gefunden hatte, sah der Raum aus wie eine Müllhalde, Surainu hatte sich wohl extra beeilt, um seinen Kunden nicht warten zu lassen.

Wieder verbeugte er sich, und hielt ihm nun ein seltsames Gebilde hin, welches Sesshoumaru ihm abnahm. Er betrachtete es eine Weile und kam zu dem Schluss, das es aussah wie ein zu klein geratenes Horn...

„Was ist das?”, fragte er den Heiler, mit nur mäßiger Neugier.

„Das, Herr, ist der ausgehöhlte Zahn eines Drachen. Nur dieses Material wird in der Lage sein, eurem Gift, was eine stark ätzende Wirkung hat, standzuhalten”, antwortete der alte Youkai.

Sesshoumaru betrachtete den Zahn weiterhin und fragte sich dabei, woher zum Teufel dieser alte Knacker so viel über sein Gift wusste. Er beließ es jedoch dabei, nahm den hohlen Zahn in die linke Hand und fuhr die Krallen seiner Rechten aus. Er spürte das Gift in seinen Adern fließen, das vertraute, warme Pulsieren setzte ein. Tief grub er die Klauen in die makellos weiße Innenwand des Zahnes, überrascht, dass dieses Material kaum nachgab. Ein beißender Geruch verbreitete sich zusammen mit einem grünem Dampf aus, der gleich darauf aufstieg.

Als das merkwürdige Gefäß etwa zur Hälfte mit einer zischenden, unangenehm riechenden und neongrünen Flüssigkeit gefüllt war, reichte Sesshoumaru ihn wortlos Surainu, wandte sich um und verließ den Raum. Dem, vor Glück strahlende Gesicht des Heilers, der den Drachenzahn mit dem absolut tödlichem Gift in seinen Händen wie einen besonders großen Schatz betrachtete, schenkte er keine Beachtung.
 

*
 

Mitsura verharrte urplötzlich mitten in der Luft, Kouga bemerkte es zu spät und raste erst einige Meter weiter, bis er schließlich bremsen konnte. Die Youkai über ihm sank nur extrem langsam nach unten, schien das jedoch nicht zu bemerken. Ihre Augen huschten aufmerksam über die Wipfel der Bäume unter ihr.

„Was ist los?”, rief der Wolfsdämon beunruhigt nach oben. Tief sog er die Luft ein, für den Fall, dass sie etwas gewittert hatte. Er selbst hatte nichts bemerkt. Allerdings bereitete es ihm sogar schon Mühe, sich allein auf den Weg zu konzentrieren, da er immer wieder nach oben schauen musste. Ihre Schönheit nahm ihn vollkommen in Besitz, was interessierte ihn schon die Landschaft? Obwohl er mit der fremden Youkai kaum ein Wort gewechselt hatte, hatte er sich bis über beide Ohren in sie verliebt. Mehrmals hatte er ihr das schon sagen wollen, doch Mitsura machte keine Anstalten anzuhalten und durch den von ihm verursachten Wirbelwind konnte er nicht einmal seine eigene Stimme hören.

Nun aber, wo sie Gefahr zu wittern schien, war es wohl ein ungünstiger Augenblick, um ihr seine Gefühle zu gestehen.

„Weißt du, es gibt da so ein großartiges Sinnesorgan, das nennt man ‘Nase’. Wenn du noch nie etwas davon gehört hast, wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, um es erstmals einzusetzen”, spottete Mitsura und landete dann leichtfüßig auf einem nur wenige Zentimeter breiten Zweig.

Kouga, der Mitsura viel zu schön fand, um ihr wegen dieser sarkastischen Antwort böse zu sein, hielt es für das Beste, einfach mal zu gehorchen. Doch egal wie intensiv er die verschiedenen Gerüche in der Luft auch studierte, noch immer konnte er nichts gefährliches ausmachen.

„Was?”, fragte er noch einmal nach. Mitsura stöhnte.

„Dieser Geruch! Das ist die Alpenaster!”, erwiderte sie ungeduldig.

Der Name sagte Kouga überhaupt nichts, aber es klang wie eine Pflanze.

„Na und?” Er fand den Haken an der Sache nicht.

„ALPENaster! Alpen, wie das Gebirge in Europa! Diese Blume wächst in Hochgebirgen oder Wiesen, aber nicht im Wald und schon gar nicht hier im Tiefland!”, fauchte sie ärgerlich.

Der Wolfsdämon verstand überhaupt nichts. Was regte sie sich denn so auf, nur weil hier eine Blume nicht am rechten Platz wuchs?

Mitsura schien sein verwirrtes Gesicht gesehen zu haben, denn sie erklärte:

„Überleg doch mal! Diese Pflanze sollte es hier gar nicht geben! Das bedeutet, dass sie jemand hierher gebracht hat. Aber es ist weder Mensch noch Dämon zu riechen!”

„Na dann hat eben einfach jemand - Oh...!” Endlich verstand er. Natürlich, niemand würde sich nur wegen des schönen Geruchs so mit Parfüm einnebeln, also musste jemand diesen Duft als Tarnung benutzen. Er fragte sich nur, weshalb sie diesen Geruch so genau kannte, das sie ihn unter all den anderen Gerüchen der anderen Pflanzen herausfiltern konnte.

„Und was machen wir jetzt?” Schließlich wussten sie ja nicht, ob dies Freund oder Feind war.

„Wir gehen hin! Ich kenne nur eine Person, die Alpenaster zur Überdeckung seines Geruches verwendet. Er ist ein guter Freund von mir und auch auf der Suche nach Anis. Vielleicht hat er ja schon eine Spur”, erwiderte sie vergnügt und setzte sich wieder in Bewegung.

„Sag mal, verdeckst du deinen Geruch eigentlich auch so?”, beeilte sich Kouga zu fragen, bevor er ihr nachsetzte.

„Ja. Aber ich benutze Goldnesselblätter.”

Damit war das Gespräch erstmal beendet. Einige Sekunden später verringerte sich Mitsuras Geschwindigkeit wieder und gleich darauf landete sie in einigem Abstand von Kouga entfernt auf dem Boden. Dieser hielt ebenfalls an.

Kurz herrschte eine drückende Stille. Der Wind rauschte in den Blättern der Bäume und eine unmerkliche Spannung baute sich auf.

Dann - urplötzlich und ohne jedes Geräusch - landete ein junger Mann vor ihnen. Seine hellbraunen Haare passten überhaupt nicht zu den blauen Augen. Seine Ohren liefen spitz zu, sein Lächeln wirkte etwas schelmisch. Ein großer Hund sprang von seiner Schulter herunter und blieb - alle Muskeln angespannt - neben dem Youkai stehen.

Er wirkte wenig beeindruckend, strahlte jedoch eine versteckte Macht aus, die vor Unterschätzung warnte. Er sah ungewöhnlich attraktiv aus, was Kouga überhaupt nicht gefiel. Wie hatte Mitsura noch gleich gesagt? ‘Er ist ein guter Freund von mir...’

Außerdem trug er ebenso seltsame Klamotten wie seine Begleiterin, und der Tatsache, dass Mitsura den Neuankömmling mit einem liebevollen Lächeln begrüßte, ließ darauf schließen, dass sie sich schon länger kannten. Alles in allem beschloss Kouga, den Typen sofort zu töten, sollte sich herausstellen, dass zwischen ihm und Mitsura irgendetwas laufen sollte.
 

„Ach nein, Mitsura! Du hast es schon wieder getan!”, sagte Makotoko anklagend. Mitsura wusste im ersten Augenblick nicht was er meinte, bis der Youkai in Kougas Richtung nickte.

„Du hast schon wieder einen verhext!”

Ein fieses Grinsen stahl sich auf ihr Gesicht. „Woher wollt ihr das wissen?”

„Ich bitte dich, jeden Kerl der in deiner Nähe ist und der mich bei unserer ersten Begegnung so böse anstarrt, hast du verhext! Ich werd nie begreifen, warum die immer glauben, wir hätten was miteinander. Hörst du, Kleiner? Wie haben nichts miteinander, also hör auf mich mit deinen Blicken aufzuspießen, ich bin nämlich kein Wildschwein.” Seine Stimme klang höchst beleidigt, was im krassem Gegensatz zu seinem breiten Grinsen stand. Kougas Miene jedoch hellte sich sofort auf. Kopfschüttelnd wandte der Youkai sich wieder von ihm ab.

„Naja, von dir hab ich ehrlich gesagt auch nichts anderes erwartet. Hatte er wenigstens nützliche Informationen oder hast du ihn nur zum Zeitvertreib mitgenommen?”, fuhr er mit einem spöttischem Unterton fort.

Daraufhin zuckte Mitsura nur mit den Schultern. „Mehr oder weniger beides. Er kennt die Leute, mit denen Anis damals gegangen ist. Die wiederum wissen dann sicher, warum sie so spurlos verschwunden ist. Tja, und dann wollte er mich auf meiner Suche unbedingt begleiten...” Nun lächelte auch sie, allerdings etwas heimtückisch.

„Naja, dann machen wir uns gleich mal auf, was? Und pass auf, dein Wolfsdämon macht gerade wieder Annährungsversuche”, sagte Makotoko und starrte auf eine Stelle, etwas links von Mitsura.

Diese fuhr sofort herum und musste feststellen das sich Kouga, ob nun unbeabsichtigt oder nicht, von hinten angeschlichen hatte. Seine Hand war verlangend nach ihr ausgestreckt, sein Gesicht ihrem schon ganz nah und seine Augen wirkten glasig. Mitsura zweifelte stark daran, dass er noch irgendetwas von dem Gespräch mitbekommen hatte.

„Uups... Das Zeug ist ja stärker als ich es in Erinnerung hatte...” Bedächtig wich sie einen Schritt vor ihm zurück. Makotoko schüttelte sich derweil vor Lachen, für ihn war das alles nur ein riesiger Spaß.

Mitsura warf ihm einen bitterbösen Blick zu und öffnete ihre Jacke. An der Innenseite waren dutzende von kleinen Fläschchen festgemacht. Eine davon holte sie heraus, öffnete sie und hielt sie Kouga unter die Nase.

„Was denn, machst du die Wirkung jetzt etwa wieder rückgängig?”, fragte Makotko noch immer lachend.

„Nein. Das Zeug neutralisiert lediglich die Nebenwirkungen. Er wird wohl auch weiterhin völlig hin und weg von mir sein...”, murmelte Mitsura. Sie verschloss die Flasche wieder und verstaute sie sicher. Einige Sekunden lang geschah gar nichts, doch dann blinzelte Kouga einmal, sah sich verwirrt um und bemerkte dann augenscheinlich, dass er noch immer die Hand ausgestreckt hielt. Hastig zog er diese zurück und ein Rotschimmer legte sich über seine Wangen. Mistura beachtete das nicht und drehte dem Wolfsdämon wieder den Rücken zu.

„Wir sollten jetzt wirklich weiter gehen. Ich will nicht noch mehr Zeit verschwenden”, sagte sie unwirsch, da sie alle ein bisschen bedeppert anzusehen schienen. Ein lautes Bellen ertönte und Makotokos Hund sprang ihm auf dessen Schulter, offensichtlich bereit zur Abreise.

„Na wenigstens einer stimmt mir zu...”, flüsterte Mitsura noch, bevor sie sich vom Boden abstieß. Maotoko folgte ihr sofort und einen Augenblick später glitten sie nebeneinander im Federflug durch die Luft, während Kouga unten erst einmal die Lage begreifen musste und ihnen dann in seinem Wirbelsturm folgte.
 

*
 

Langsam öffnete Sesshoumaru die Tür und trat ein. Zu seiner Überraschung war Anis bereits wach. Außerdem saß die schwarze Hündin neben ihr auf dem Bett. Kurz flammte ein unbestimmter Zorn in ihm auf. Dieses Tier hatte seinen Befehl missachtet, sie sollte eigentlich draußen bei Ah-Uhn warten. Wie zum Teufel war sie herein gekommen?! Doch da Anis sich anscheinend über ihre Anwesenheit zu freuen schien, sagte er nichts weiter. Stattdessen trat er nun an ihr Lager heran und setzte sich auf die Kante der Liege. Anis sah zu ihm auf. Ihr Gesicht war merkwürdig ausdruckslos. Sie rührte sich nicht, nur die Tatsache, dass ihre Augen offen waren, bewies, dass sie wieder bei Bewusstsein war.

„Was ist passiert, Sesshoumaru?”, fragte sie leise. Erschrocken stellte der Youkai fest, wie traurig ihre Stimme klang.

„Dein Zustand hat sich seit dem Kampf mit Naraku immer weiter verschlechtert. Es gab Zeiten, da warst du nicht mehr ganz bei dir. Unser Weg führte zufällig an dieser Wohnstätte eines Heilers vorbei und ich befahl ihm, etwas gegen das Gift zu tun, welches Naraku dir durch sein Miasma eingeflößt hat. Wir werden noch eine Weile hier bleiben, bis du wieder reisefähig bist. Sonst würdest du mich nur behindern”, log er rasch. Dass er extra einen weiten Umweg in Kauf genommen hatte, um sie hierher zu bringen, dass er sie am liebsten sofort wieder mitgenommen hätte, um mit ihr allein zu sein, dass er den Heiler für seine Dienste hatte bezahlen müssen, das alles verschwieg er ihr.

„Was... Hat er gemacht? Warum... Bin ich so schwach? Ich kann mich nicht bewegen...”, flüsterte sie leise, verzweifelt.

„Es wird dir bald besser gehen”, antwortete er, schwor sich jedoch in Gedanken, Surainu den Hals umzudrehen, sollte dem nicht so sein.

Seine Aussage schien sie jedoch nicht zu beruhigen. Sie sah so unendlich traurig aus... So verzweifelt, ja fast ängstlich.

„Werde... ich sterben?”, flüsterte sie, ihre Stimme wurde bereits schwächer.

„Natürlich nicht!”, sagte Sesshoumaru empört. Sie sollte nicht so etwas sagen, das war nicht gut!

„Du wirst nicht sterben! Ich... Ich werde es nicht zulassen. Du wirst wieder ganz gesund. Du brauchst keine Angst zu haben. Das hattest du doch noch nie. Du hattest doch nie Angst vor dem Tod”, sprach er eindringlich auf sie ein. Vielleicht war es nicht gut, so offen zu sprechen, doch er hatte das Gefühl, dass sie das jetzt brauchte. Vorsichtig nahm er ihre Hand in seine eigene. Sie war eiskalt.

„Nein... Ich habe keine Angst vor dem Tod. Aber... du... wirst nicht da sein...” Ihre Stimme klang jetzt noch leiser, war kaum noch zu verstehen.

Eine kleine Stimme, der Rest seines Verstandes, der sich noch nicht verabschiedet hatte, warnte ihn vor den folgenden Worten. Er durfte nicht so sanft, so zärtlich mit ihr sprechen. Aber es war das erste Mal, dass sie sich darüber nicht zu wundern schien. Es war das erste Mal, dass es ihr nicht peinlich war. Das erste Mal... wo sie fast ein wenig darauf einging. Er musste jetzt ehrlich sein.

„Ich werde immer bei dir sein, Anis. Ich werde dich nie verlassen”, schwor er ihr ebenso leise und drückte ihre Hand ein wenig, wie um seine Worte zu bekräftigen.

Ihre Lippen formten ein leichtes Lächeln, als sie sagte: „Danke... Für alles.”

Dann schlossen sich ihre Augen wieder. Sofort beschlich ihn ein höchst ungutes Gefühl und er prüfte rasch an ihrer Hand nach, ob ihr Puls noch da war. Erleichterung machte sich in ihm breit, als er diesen fand. Ihre Atmung war ebenfalls zu hören, ruhig und gleichmäßig. Sie war eingeschlafen.

Etwas Kühles, Nasses streifte plötzlich seine Hand und er blickte zu Arekisu, die noch immer auf der anderen Seite der Bahre saß und ihn mit ihrer Nase angestubst hatte. Beruhigend und auch etwas in Gedanken versunken strich er ihr über den Kopf.

„Sie wird wieder gesund werden. Sie muss”, flüsterte er.
 

*
 

„KAGOMEEEE!”, brüllte ein kleiner Kitzune, die Stimme war durch den ganzen Wald zu hören. Zwei Sekunden später war ein weißhaariger Hanyou neben dem Fuchsdämon aufgetaucht, welcher gerade einem schwarzhaarigem Mädchen fröhlich auf den Arm hüpfte. Seit Narakus Tod und der Zusammensetzung des Juwels war schon einige Zeit vergangen. Es gab nun für Kagome keinen Grund mehr, hierher in die Epoche der kriegerischen Staaten zu kommen, wenn sie Inuyasha ihre Gefühle nicht gestehen wollte. Und das traute sie sich nicht. Das Mädchen wäre zwar gerne schon eher gekommen, aber nur, wenn Inuyasha sie abgeholt hätte.

Dieser wiederum hatte tagelang nach einer Ausrede gesucht, um sie zurückholen zu können, aber ihm war einfach keine eingefallen. Er hatte sich einfach nicht getraut, ihr zu sagen, dass er sie gerne um sich hatte. Würde sich doch dämlich anhören. Aber jetzt endlich stand sie wieder vor ihm. Inuyasha hätte sie zur Begrüßung am liebsten in die Arme geschlossen, aber vor Shippo würde er das sicher nicht machen. Also fragte er, höchst unkultiviert:

„Hast du wieder ein paar getrocknete Kartoffeln mitgebracht?”

Kagome war zwar schon etwas beleidigt, dass er ihr so kam, doch sie lächelte nur nachsichtig und begann ihren Rucksack zu durchwühlen.

„Hier, bitte sehr!”, sagte sie dann und reichte ihm eine Plastiktüte mit dem gewünschtem Essen. Für Shippo holte sie gleich noch ein paar Lollis raus, bevor dieser wieder quengelte, sie würde Inuyasha bevorzugen.

Inuyasha wollte seine Tüte gerade öffnen, da erstarrte er mitten in der Bewegung.

„Inuyasha, was ist denn los?”, fragte Kagome sofort besorgt.

„Da... Da kommt... Kouga!”, antwortete Inuyasha etwas verwirrt. Was wollte dieser verdammte Wolf hier?! Sie hatten ihn nicht mehr gesehen, seit Naraku ihm die Juwelensplitter abgenommen hatte. Wieso musste er unbedingt jetzt auftauchen, wo Kagome gerade zurückkam?! Wenn der sich wieder an sie ranmachen sollte...!

Er wurde jedoch radikal aus seinen Gedankengängen herausgezerrt, denn wie aus dem Nichts fielen auf einmal zwei Menschen aus dem Himmel. Der eine landete rechts von ihm, der andere links und beide packten ihn sofort je an einer Schulter.

Er fühlte sich sofort eingeengt, machte sich von den beiden los und sprang einen Satz vorwärts. Schützend stellte er sich dabei vor Kagome, die Hand an Tessaigas Griff.

Sofort erkannte er seinen Irrtum. Diese beiden waren keineswegs Menschen. Der eine, ein braunhaariger junger Mann mit einem spöttischem Lächeln auf dem Gesicht und einem... eh... einem Hund auf der Schulter hatte ebenso spitz zulaufende Ohren wie die Frau neben ihm. Inuyasha fiel sofort auf, dass die beiden die selbe merkwürdige Kleidung trugen, wie sie einige Leute in Kagomes Zeit an hatten. Sollten die beiden etwa von der anderen Seite des Brunnens kommen? Unmöglich! Die Beiden waren Youkai, da war er sich sicher. Sie besaßen zwar keinerlei Ausstrahlung, doch die konnte man ja verdecken. Auch ihr Geruch war nicht eindeutig, nicht geruchlos, aber er fügte sich nahtlos in die Umgebung ein. Aber ihr selbstsicheres Auftreten, die Tatsache, dass sie keine Waffen führten - vielleicht glaubten sie so etwas nicht nötig zu haben - und vor allem die Art, wie sie so plötzlich aufgetaucht waren, waren für Inuyasha Beweis genug, dass es sich hierbei um Youkai handelte.

„Tagchen!”, sagte der Mann auf einmal.

„Hä?”, machte Inuyasha nicht sehr intelligent. Das ihn ein Youkai - ein wildfremder - begrüßte und dann auch noch auf solch lässige, unbeschwerte Art, war vollkommen neu für ihn und verwirrte ihn ordentlich.

„Du, ich glaub der versteht dich nicht...”, flüsterte die Frau ihrem Begleiter ins Ohr.

„Hm... Do you speak japanese?”, versuchte es der Youkai nun in einer anderen Sprache. Der belustigten Miene des Mannes nach zu urteilen machte Inuyasha gerade das berühmte Fragezeichen-Gesicht.

„Entschuldigt bitte, er ist manchmal ein wenig schwer von Begriff...!”, sprang nun Kagome ein, die - im Gegensatz zu Inuyasha - die englischen Worte des Mannes durchaus verstanden hatte.

„Ja, das merk ich schon...”, meinte der Braunhaarige grinsend, hob eine Hand und fuchtelte damit ein paar mal vor Inuyashas Gesicht herum. Dieser schaute nämlich leicht schielend in eine vollkommen andere Richtung. Sein Mund stand offen und er sabberte sogar ein wenig.

„Oh, ich glaube, dass ist meine Schuld. Er scheint auf meine Mischung anders zu reagieren als der Wolfsdämon. Zum Glück hab ich ihn vorhin nur an seinem Suikan und nicht direkt auf der Haut berührt, sonst wäre er wohl dem Wahnsinn verfallen”, flüsterte die Frau.

„Wieso hat er anders reagiert?”, fragte der Mann verwirrt. Kagome verstand kein Wort.

„Naja, normalerweise hätte er sich auch in mich verlieben müssen. Das klappt doch aber nur bei Personen, die nicht selbst schon so verliebt sind. Der da hat anscheinend schon eine, deswegen ging die Wirkung des Duftstoffes nach hinten los. Kouga hat also seine große Liebe noch nicht gefunden”, erklärte Mitsura. Dies tat sie allerdings diesmal auf spanisch, damit Kagome nichts verstand. Sie musste ja nicht alles wissen.

Makotoko antwortete in der selben Sprache:

„Also sind deine Tinkturen wirkungslos, wenn dein Opfer verliebt ist?!” Das war dem Youkai neu.

„Nein, nur bei einigen. Es gibt auch welche, wo die Personen ihre Liebsten vergessen, aber die sind nur halb so stark. Da ich damit oft nur meine Feinde einnebele und die dann meistens auch bösartig und nicht an Frauen interessiert sind, klappt das meistens ziemlich gut. Außerdem ist es ein wenig moralischer, findet ihr nicht?”, erklärte Mitsura.

„Naja, wie man’s nimmt. Wenn die dann wahnsinnig werden, haben sie auch nicht mehr viel von ihrer großen Liebe”, erwiderte Makotoko und grinste dabei so breit, als wenn ihm diese Vorstellung trotz allem ziemlich amüsierte.

„Nein. Erstens lässt die Wirkung bald nach und zweitens wird man um so weniger wahnsinnig, je doller man diese Person liebt. Der Halbtrottel da ist also nur einer kindlichen Schwärmerei verfallen. Da würde sicher keine Beziehung draus wachsen”, murmelte die Youkai.

Kagome stand die ganze Zeit dumm daneben, versuchte zwischendurch Inuyasha wieder zur Besinnung zu bringen, der noch immer auf irgendeine unbestimmte Stelle im Wald starrte und dabei unglaublich dumm aussah.

„Hey, was habt ihr mit Inuyasha gemacht?! Macht das wieder weg!”, rief sie nun leicht verzweifelt. Mitsura und Makotoko hörten auf, in spanisch über Inuyashas Liebesleben zu debattieren und wandten sich nun dem Menschenmädchen zu.

„Keine Sorge, das geht mit der Zeit wieder weg. Der hat nur grad ein paar Tagträume...”, antworte Mitsura, verschwieg aber wohlweislich, dass dies wohl ein paar äußerst erotische Tagträume waren, in denen sein Schwarm wohl eine ziemlich schmutzige Rolle spielte...

„Genau! Wir wollten euch eigentlich nur was fragen. Wir suchen eine junge Frau. Schwarze lange Haare, Lieblingsessen Tomatengratin, Tierliebhaberin, ruhiges Gemüt -vorausgesetzt, sie hat nicht ihre fünf Minute - eine Vorliebe für Lavendel und vermutlich schon mindestens einmal gestorben. Kennst du jemanden, auf den diese Beschreibung passt?”, sagte Makotoko und kassierte einen Rippenstoß von Mitsura, weil er so respektlos über Anis sprach.

„Ähm... Heißt diese Person vielleicht Anis?”, fragte Kagome vorsichtig.

„Ganz genau! Wo ist sie hin, wer hat sie umgebracht und wann hast du sie zum letzten Mal geshen?”, bohrte Makotoko sofort nach. Sein Hund bellte auffordernd.

„Nun ja... Sie wurde von einem Hanyou namens Naraku getötet, doch der ist schon tot. Sesshoumaru hat sie mit seinem Schwert Tensaiga wieder zum Leben erweckt und sie dann mit genommen... Das ist schon eine ganze Weile her...”, meinte Kagome verwirrt.

„Sesshoumaru? Wer ist das? Was will er von Anis? Ist sie in Gefahr?”, fragten die beiden Youkai gleichzeitig.

„Sesshoumaru... Das ist Inuyashas älterer Halbbruer”, sagte sie und zeigte dabei auf besagten Hanyou, dem jetzt schon leicht der Speichel aus dem Mund tropfte, „Aber im Gegensatz zu ihm ist er ein vollständiger Dämon und sehr mächtig. Wie ich hörte, regiert er hier sogar einen Teil des Landes oder so... Aber sagt mal, warum wollt ihr das denn wissen und wer seit ihr überhaupt?”, wollte nun auch Kagome aufgeklärt werden.

„Ach, wir haben uns ja noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Mitsura und das da ist Makotoko. Wir suchen Anis, um sie wieder zurück nach hause zu bringen”, erklärte die junge Frau.

„Ach... Hab ich dich nicht sogar schon einmal gesehen? Bist du nicht... Anis’ Schwester?” Vage erinnerte sich Kagome nun wieder an die junge Frau, die sie damals kurz gesehen hatte.

„Ja richtig. Aber nun sag mal, wo können wir diesen Sesshoumaru denn finden?”, fragte Mitsura.

„Tut mir Leid, das weiß ich nicht. Aber meistens treibt er sich hier in der Gegend rum, wir treffen ihn nämlich leider ziemlich oft. Die beiden Halbbrüder verstehen sich nämlich nicht sonderlich gut, weißt du. Sesshoumaru hasst und verachtet Inuyasha, weil er ein Hanyou und kein vollständiger Inuyoukai wie er selbst ist. Er hasst alle Menschen und alles menschliche...”, flüsterte Kagome leise, wohl besorgt, ob die beiden Youkai ebenso waren. Zwar müsste Anis, Mitsuras Worten nach auch eine Youkai sein, doch sie benahm sich immer wie ein Mensch. Vielleicht sind die beiden auch Halbschwestern und Anis war ein Hanyou?

„Ach du scheiße! Anis ist doch als Mensch getarnt! Also entweder muss dieser Sesshoumaru wirklich verdammt scharfe Sinne haben, wenn er das durchschaut hat, oder sie schwebt wirklich in Lebensgefahr!”, rief Mitsura aufgeregt.

„Dann haben wir keine Zeit zu verschwenden. Ein einzelner, ziemlich mächtiger Inuyoukai der mit einem Schein-Menschen durch die Gegend zieht, sollte doch irgendjemanden aufgefallen sein. Sicher finden wir die beiden schnell. Wenn der Anis irgendetwas angetan hat, wird er mein Schwert zu spüren kriegen!”, fluchte Makotoko. Kagome wunderte sich ein wenig über seine Worte, konnte sie doch bei ihm überhaupt kein Schwert ausmachen. Aber schließlich war er ein Dämon, sicher hatte er ein paar Tricks auf Lager.

„Na gut, aber dann gehen wir erstmal Kouga einsammeln”, unterbrach ihn Mitsura, „Danke sehr, du hast uns echt geholfen! Dein liebestoller Hanyou wird gleich wieder zu sich kommen!” Bei den letzten Worten lächelte sie schelmisch.

Makotoko hatte sich bereits zum Gehen gewendet und mit einigen Sprüngen zum Anlauf, rauschten sie schließlich in die Höhe und verschwanden aus Kagomes Sichtfeld.

Diese wandte sich wieder Inuyasha zu und musste feststellen, das der Hanyou inzwischen Nasenbluten hatte...
 

*
 

„Kouga, was schaust du so blöd aus der Wäsche? Komm schon, oder wir gehen ohne dich weiter!”, rief Mitsura einem ziemlich verdattertem Wolfsdämon zu. Der saß mitten auf einer Lichtung auf dem Boden und starrte Mitsura an als wäre sie ein Geist.

„Was hast du schon wieder mit dem gemacht?”, flüsterte Makotoko leise.

„Naja, ich wollt ihn nicht mit zu dem Hanyou und dem Menschenmädchen nehmen, also hab ich eine Art Doppelgänger von mir herbeigezaubert. Eine Illusion. Da ich jetzt wieder da bin, hat sich wohl grad die Illusion in Luft aufgelöst und jetzt ist er verwirrt”, erklärte die junge Frau grinsend.

Aber so fies war sie ja nicht, also trat sie an Kouga heran und erklärte ihm die Sachlage.

Der Wolfsdämon war über das Erfahrene höchst verärgert. Er hatte Mitsura, oder besser ihrer Doppelgängerin, nämlich seine Gefühle gestanden und wollte gerade um ihre Hand anhalten. Es hatte ihn ohnehin schon etwas Überwindung gekostet und nun stellte sich heraus, dass dies nur ein Trugbild gewesen war. Ob er den Mut aufbringen würde, sie noch einmal zu fragen? Es war schon das erste Mal recht schwierig gewesen. Und alles umsonst... Jetzt musste er sich noch mal mit ihr verloben.

Mein Gott, er hatte sich einmal mit Ayame verlobt, mit Kagome auch mal, und nun gleich zweimal mit der selben Frau. Aber diesmal war es ihm ganz ernst, diesmal war er sich hundertprozentig sicher.

Es musste sich nur mal wieder eine Gelegenheit ergeben, sie allein zu sprechen.

Kouga trat zu den beiden Youkai heran und diese erklärten ihm, dass sie nach einem Inuyoukai namens Sesshoumaru suchten, der mit Inuyasha verwand war. Er selbst hatte den großen Halbbruder des Hanyous erst einmal gesehen, kannte aber seinen Geruch. Also machten sie schließlich aus, dass alle noch einmal einzeln suchen sollten. Mitsura verabschiedete sich zuerst von Makotoko und sagte, sie wolle noch kurz mit Kouga allein sein.
 

Dem Wolfsdämon schlug bei diesen Worten das Herz schneller. Als der Youkai mit seinem Hund im Schlepptau verschwunden war, trat die junge Frau langsam auf ihn zu.

„So und nun zu dir... Wenn du Sesshoumaru und meine Schwester findest, dann unternimm bitte nichts, sag mir dann einfach Bescheid, ja? Ich denke, du wirst mich schon finden”, flüsterte sie und ihre Stimme klang in seinen Ohren ungemein verführerisch.

„Ja, ich werde dich immer finden! Ich... Ich liebe dich!”

So jetzt war es raus, endlich. Aber wie würde sie reagieren?

Auf eine Ohrfeige oder ähnliches gefasst, kniff er die Augen zusammen. Stattdessen spürte er jedoch eine sanfte Hand, die ihm über die Wange strich. Erstaunt öffnete er die Augen wieder und sah in ihre strahlend schönen blauen Augen.

„Ich weiß...”, flüsterte sie ganz leise.

Kougas Herz schlug immer heftiger, wieder stieg diese Hitze in ihm auf, wie immer, wenn sie ihn berührte. Die Gefühle die er dabei empfand waren diesmal jedoch nicht nur pures Verlangen und Sehnsucht nach ihrer Nähe, sondern... Liebe. Ja, er war sich ganz sicher, er liebte sie.

Zaghaft hob auch er eine Hand, strich an ihrer Schulter und ihrem Hals entlang zum Nacken und zog sie sanft zu sich heran. Seine Krallen vergruben sich in ihrem braunen Haar und ihre Lippen fanden den Weg zueinander. Er küsste sie sanft und zärtlich, mit so viel Liebe, wie er nur konnte. Mitsura erwiderte den Kuss willig und in diesem Moment war er wohl der glücklichste Wolfsdämon in ganz Japan.

Doch sie lösten sich schon recht bald wieder voneinander, vertieften den Kuss nicht weiter. Es war ein Abschied und Abschiede waren umso schmerzhafter, je länger sie dauerten. Sie machten auch nicht mehr viele Worte und mit einem letzten Lächeln entfernte sich nun auch Mitsura, in die entgegengesetzte Richtung wie Makotoko. Kouga sah ihr noch einige Sekunden hinterher, bevor auch er sich umdrehte und in eine dritte Richtung verschwand...
 

Mitsura bewegte sich sehr schnell vorwärts, ihre Fußspitzen berührten kaum die dünnen Zweige. Sie dachte nicht weiter über das nach, was auf der Lichtung geschehen war. Kouga war nur ein Werkzeug, das glaubte, sie zu lieben. Er war so leicht zu manipulieren gewesen!

Sie hatte ihn nur deshalb geküsst, weil die Wirkung des Duftstoffes, der diese falsche Liebe bei Kouga hervorrief, über große Entfernung hin nachließ. Wenn der Wolfsdämon sich also in eine andere Richtung auf die Suche machte, würde ihm der Schwindel mit der Zeit auffallen. Mit dem Kuss hatte sie die Bindung zu ihm verdoppelt. Er würde ewig in dem Glauben bleiben, sie zu lieben, solange, bis sie selbst diese Bindung wieder auflöste. Irgendwann würde sie das sicher machen, sicherheitshalber dann wohl auch seine Erinnerungen an sie löschen, oder ihn notfalls eben auch töten müssen. Aber noch war er nützlich, schließlich war er nun einmal der Einzige, der Sesshoumarus Geruch kannte.

Ein Werkzeug, nichts weiter. Ein Werkzeug, das man fortwarf, sobald man es nicht mehr benötigte. Und wenn es Gefahr lief, sich gegen einen zu wenden, musste man es vorher eben zerstören. In solchen Sachen war Mitsura eiskalt. Sie hatte sich noch nie richtig selbst verliebt und das würde auch in Zukunft so bleiben. Sie wusste die Liebe zwar durchaus zu schätzen und respektierte dieses Gefühl wie jedes andere, da es im Kampf auch ein großer Ansporn sein konnte. Aber es war natürlich auch das Gefühl, welches man am meisten ausnutzen konnte. Und genau darauf hatte sie sich spezialisiert....
 

XxX
 

Jaja, Mitsura ist schon eine ziemlich fiese Kreatur.

Die spielt mit Kouga Katz und Maus^^

Warum Inuyasha Nasenbluten gekriegt hat könnt ihr euch doch denken, oder? XD

Der fünfte Fluchtversuch

TADAAAA!

Pünktlich zum Nikolaus, jetzt das neue kapitel on!!!!

Bis Makotoko, sein Hund und Mitsura auf Anis&Sesshoumaru treffen dauert es bestimmt noch ein/zwei kapitel, aber sie nähern sich der Sache!

Tja, und Anis haut schon wieder ab (siehe Titel) diesmal ist es jedoch mehr oder weniger ein Unfall....
 

XxX
 

In den nächsten Tagen ging es Anis zusehends besser, was alle mit viel Erleichterung hinnahmen. Sesshoumaru, weil er stellenweise fast vor Sorge um seine Geliebte umgekommen war, Anis, weil sie sich endlich wieder bewegen konnte und Surainu, weil es bedeutete, dass er weiterleben durfte. Der Heiler hatte der jungen Frau verboten, das Haus zu verlassen, da sie dort Gefahr lief - und sei es auch nur durch irgend ein Missgeschick - sich erneut zu verletzen, oder das die Wunde noch mal aufbrach. Dieser gefiel das überhaupt nicht und es gab ein heftiges Streitgespräch, doch als sich dann auch noch Sesshoumaru höchstpersönlich aus Surainus Seite gestellt hatte, gab Anis sofort klein bei. Nun, da sie so eingesperrt war, verbrachte sie die meiste Zeit in der schier unermesslich großen Bibliothek des Heilers. Die Bücher dort waren sehr vielseitig und beschränkten sich nicht nur auf alle möglichen und unmöglichen Heilmethoden. Es gab auch sehr interessante Sachen dort, ein wenig geschichtliche Informationen über Japan allgemein oder auch Dutzende von Landkarten aus der ganzen Welt. Einige waren so falsch, das Anis sich zusammenreißen musste, um sie nicht aus Empörung sofort zu zerreißen. Schließlich hatte sie ihr ganzes Leben lang in Europa, am anderen Ende der Welt gelebt und war auch durchaus gebildet. Hier wurde zum Beispiel Italien nicht in Form eines ‘Stiefels’ sondern eher einer überdimensionalen Gießkanne dargestellt.

Gut die Hälfte des Lesestoffs, den es hier zu finden gab, drehte sich um die Tier- und Pflanzenwelt. Die andere Hälfte befasste sich hauptsächlich mit Magie. Es gab dämonische Magie, Drachenmagie, Elfenmagie, heilige Magie, Elementarmagie, Göttermagie und noch tausend andere Arten. Es gab einige Zauber, die sie selbst auf der Stelle hätte ausführen können. Vorausgesetzt, sie würde fünf Hühnerbeine, drei geschnittene Wellhornschnecken und einen Kübel Menschenblut parat haben. Das brauchte man um eine Kerze anzuzünden...

Doch einmal fiel ihr ein Zauber ins Auge, der sie sofort faszinierte. Es war eigentlich kein richtiger Zauber, es hatte mehr mit Meditation zu tun. Es ging darum, wie man mit Tieren sprechen konnte. Nun ja, nicht richtig sprechen, aber man konnte zumindest die Gedanken des Tieres lesen und ihm seine eigenen Gedanken übermitteln. Anis dachte dabei natürlich gleich an Arekisu. Nur leider trieb die Hündin sich immer draußen rum, seit sie im sauberen, aus Marmor gefertigtem Wartezimmer mal eine ihrer Hinterlassenschaften, naja, eben hinterlassen hatte. Surainu war darüber nicht sehr erfreut gewesen, aber da die Hündin nun mal unter Sesshoumarus Schutz stand, hatte er sich natürlich nicht beschwert. Nur eben rausgejagt.

Wie also sollte sie zu ihrer vierbeinigen Freundin kommen? Einmal hatte sie sich schon versucht raus zu schleichen, musste dann aber entsetzt feststellen, dass Sesshoumaru draußen Wache stand! So gern sie sich auch mit Arekisu unterhalten hätte, so ungern würde sie das nun mit ihm tun. Seit ihrem Gespräch vor ein paar Tagen glaubte sie ihm nie wieder in die Augen sehen zu können. Im Nachhinein war es ihr unheimlich peinlich gewesen. Warum sie solch wirres Zeug im Fieber zusammeng estammelt hatte, konnte sie sich beim besten Willen nicht erklären. Doch seine Worte hallten noch immer in ihren Ohren wider. Sein Versprechen, sie nicht allein zu lassen. Aber sie war ja selbst Schuld, wieso hatte sie ihn auch provoziert?!

‘Nein... Ich habe keine Angst vor dem Tod. Aber... du... wirst nicht da sein...’ hatte sie gesagt. Warum? Was hatte sie da geritten? Hatte sie etwa Angst, dass er sie verlassen würde? Mehr noch, als vor dem Tod? Das war doch ausgemachter Unsinn! Anis wollte doch gar nicht bei ihm sein. Sie wollte doch weg von ihm, wollte fliehen. Jedenfalls hatte sie das bis jetzt geglaubt. Ihre Worte, im Fieberwahn ausgesprochen, hatten keinerlei Bedeutung!

Oder doch? Sprach man nicht die Wahrheit gerade dann aus, wenn man nicht bei Sinnen war? Stimmte es? Konnte es sein, dass das, was sie gegenüber Sesshoumaru empfand, nicht nur Abneigung war?

Quatsch! Es wäre töricht zu sagen, er wäre ihr auch nur sympathisch. Er war ein skrupelloser Mörder. Aber... Er war ein skrupelloser Mörder, der ihr versprochen hatte, sie nicht zu verlassen... Und sie hatte sich daraufhin auch noch bei ihm bedankt! Sie musste wahrlich von allein guten Geistern verlassen sein. Aber was machte sie sich eigentlich etwas vor? Hatte Sesshoumaru nicht schon oft genug gesagt, dass sie nur eine Gefangene war? Hatte er nicht schon oft genug gesagt, dass er einen weiteren Fluchtversuch nicht dulden würde? Ja genau, das musste es sein. Das hatte er gemeint, als er sagte, dass er sie nie verlassen würde. Ja nicht einmal sterben durfte sie ohne seine Erlaubnis. Sie gehörte ihm, mit Leib und Seele. Und sie sollte ihn dafür hassen. Warum aber tat sie das nicht?

Warum hüpfte ihr kleines dummes Herz vor Freude, wenn sie seine Silhouette durch das Fenster hindurch beobachtete? Warum stieg diese Hitze in ihr auf, wenn er sie bemerkte und sich in ihre Richtung umwandte? Wieso brachte sie jedes mal kein einziges Wort heraus, wenn sie sich wieder hatte davon schleichen wollen, und Sesshoumaru sie erwischte? Wieso nur konnte sie sich nie von seinen goldenen Augen losreißen, wieso sehnte sie sich immer wieder danach, in ihnen versinken zu können? Und wieso hatte sie auf einmal Angst vor ihm?

Angst, wenn er ihr nahe kam. Angst, wenn er sie ansprach. Angst, wenn sie ihn und Surainu belauschte, wie sie über sie sprachen. Angst. Immer wieder Angst. Und dennoch wollte sie immer wieder in seiner Nähe sein. War das nicht ein Widerspruch?

Schluss damit, rief Anis sich selbst zurecht. Sie musste endlich aufhören, sich Gedanken über so etwas zu machen. Wenn sie nicht aufpasste, würde sie sich noch glatt in ihn verlieben und das war gewiss das Letzte, was sie wollte.

Entschlossen stand die junge Frau auf und sah sich um. Hinter dem Fenster ging die Sonne unter. Wie so oft nachdem sie sich dazu hatte hinreißen lassen, einen dieser Gedankengänge zu verfolgen, die alle ihr Ende bei dieser einen, ganz bestimmten Person hatten, fand sie sich nun in der Bibliothek wieder. Neben ihr lag ein großer Haufen Bücher und - eigentlich mehr um sich abzulenken - fing sie an sich die Titel durchzulesen und nach einer passenden Lektüre zu suchen. Bald hatte sie gefunden, was sie suchte.

Anis zog ein schweres, in Leder gebundenes Buch heraus. ‘Innere Ruhe’ stand in abblätternden Goldbuchstaben auf den Einband geschrieben. Es war der Band, in der es eine Anleitung gab, wie man mit Tieren kommunizieren konnte. Anis klappte es an der Stelle auf, wo diese zu finden war - voraussichtlich hatte sie schon ein Eselsohr in die Seite gemacht - und begann zu lesen:
 

Um ihre Gedanken mit schwächeren Lebensformen wie Tieren teilen zu können, brauchen sie zunächst einmal eine harmonische Umgebung. Am besten ist es, die Übung im Freien durchzuführen. Suchen sie sich ein stilles Plätzchen und gehen sie sicher, dass sie von niemanden gestört werden. Nun brauchen sie das Tier, mit dem sie kommunizieren wollen. Sie müssen ihm mit einem silbernen Messer eine kleine Wunde beibringen und das Blut auffangen. Ziehen sie damit einen möglichst großen Kreis um sich und das Tier. Nun setzen sie sich ihm gegenüber und schauen sie ihm fest in die Augen. Verbannen sie alle Gedanken aus ihrem Kopf und konzentrieren sie sich nur auf ihr Gegenüber. Dann sprechen sie leise die folgenden Worte:

‘Ichi Uiruru daine Jidenkenu Resenu. Imu Ausutausuchi defueru ofufunbafure ichi deru metsuine Jidenkenu.’
 

Anis klappte das Buch wieder zu. Sie wusste nicht was sie davon halten sollte. Warum zum Teufel musste man einen Kreis aus dem Blut des Tieres, mit dem man sprechen wollte um sich ziehen?! Das war doch gerade zu...barbarisch!

Aber wer sagte denn, dass das auch unbedingt notwendig war? Sicher war es nur eine Ausschmückung der ganzen Sache. Nur zu gerne hätte sie es mal ausprobiert, aber wie sollte sie hier raus kommen?

Nun, andererseits musste sie ja auch nicht ewig hier drin hocken. Schon bald würde Anis wieder gesund sein und wenn sie erst mal wieder mit Sesshoumaru zusammen durch die Gegend streifte, würde sich sicher eine Gelegenheit ergeben.

Bei dem Gedanken an Sesshoumaru musste Anis wieder an den letzten Augenblick denken, wo sie allein mit ihm zusammen gewesen war. Verdammt, war das peinlich! Sicher dachte er jetzt sonst was von ihr. Sie konnte nur hoffen, dass er die Sache nicht mehr ansprach. Wenn man es ganz genau nahm, war es wirklich ein Wunder, dass sie noch lebte... Wie auch immer, wenn sie dieses Meditations-Dingensda einmal ausprobieren wollte, musste sie wohl oder übel versuchen, diesen höchst komplizierten Spruch auswendig zu lernen. Das zu Üben würde sie hoffentlich ein wenig ablenken.
 

Nachdem sie eine halbe Stunde lang immer wieder leise murmelnd des Spruch vor sich her geflüstert hatte und ihn mittlerweile tatsächlich schon auswendig konnte, wurde sie jäh aus ihren Gedanken gerissen, als hinter ihr plötzlich Schritte ertönten. Jemand hatte die Bibliothek betreten und nach einem raschen Blick nach hinten stellte sie fest, dass es Surainu war. Der alte Youkai kam zielstrebig auf sie zu und hielt erst kurz vor dem Tisch an, an dem Anis über dem staubigen Buch brütete. Er verbeugte sich höflich vor ihr, nachdem sie sich umgedreht hatte und sagte dann:

„Anis, ich würde sie gerne noch ein letztes Mal untersuchen. Lor- äh, ich meine euer Begleiter, Sesshoumaru, wird langsam ungeduldig und möchte so bald wie möglich weiter.” An seinem Tonfall und der Tatsache, dass er nach Schweiß und Angst roch, konnte die junge Frau erkennen, dass er das Schlimmste befürchtete, sollte sie noch nicht reisefertig genug sein. Seinem kleinen Versprecher schenkte sie keine besondere Beachtung, auch wenn sie sich kurz fragte, was er eigentlich hatte sagen wollte. Naja, war wohl nicht so wichtig.

„Ich komme schon...”, erwiderte sie mit den Gedanken schon wieder im Buch, stand auf und folge dem Heiler aus der Bibliothek.
 

Sesshoumaru unterdrückte mühsam den Drang, wie ein Tiger im Käfig auf und ab zu laufen, während er auf Anis und Surainu wartete. Die letzten Tage waren für den Inuyoukai, der das Warten an sich nicht gewohnt war, die reinste Folter gewesen. Am schlimmsten war diese Endlosschleife an Hoffnungen und Enttäuschungen, die sich immer wieder in seinen Gedanken abspielte. Er hatte sich fest vorgenommen, sich von Anis loszureißen, sie und die Gefühle, die er für sie hatte, einfach zu vergessen. Kurz bevor sie aufgewacht war, war er sogar schon soweit gewesen, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, Anis hier bei Surainu zu lassen und allein zu verschwinden. Doch dann... Er hatte ihr versprochen, sie nicht zu verlassen und abgesehen davon, dass er seine Versprechen immer einzuhalten gedachte, hatten ihre Worte auch eine längst begrabende Hoffnung in ihm geweckt. Die Hoffnung, irgendwann wenigstens annähernd von ihr so sehr geliebt zu werden, wie er es für sie tat. Je mehr er darüber nachdachte, desto unsinniger kam ihm diese Hoffnung vor, da Anis zu diesem Zeitpunkt nun einmal nicht ganz zurechnungsfähig gewesen war, deshalb tat er das auch möglichst selten.

Immer wenn er einmal flüchtig einen Blick auf sie erhaschte, während sie hinter den Fenstern des Gebäudes zu sehen war, machte sich ein eigenartiges Glücksgefühl in ihm breit, sofort vernichtet von der Tatsache, dass sie ihn nie wirklich ansah, ihm überall auswich, wo sie nur konnte und auch kein Wort mit ihm redete. Hatte er irgendetwas falsch gemacht? Oder beschäftigte auch sie dieses Gespräch so sehr und wollte sie ihm durch diese offene Ablehnung sagen, dass das nichts, aber auch wirklich gar nichts bedeutet hatte? Allein die Vorstellung war für ihn so schrecklich, das er unbewusst seine Hand zur Faust ballte und auf den Boden starrte, fest entschlossen, keine Miene zu verziehen.

„Sesshoumaru!” Er hob den Kopf, die Stimme erkennend. Der Ruf hallte durch die Luft zu ihm herüber und klang wie ein heller Glockenton im finsteren Innern seiner Seele. Ausgesprochen von Anis, die ihn wie ein Engel strahlend in seiner persönlichen Hölle besuchte.

„Surainu sagte, dass ihr weiter wollt. Er meinte, ich sei jetzt wieder völlig gesund.” Ihre Worte holten ihn in die harte Realität zurück. Er hatte schon fast vergessen, wie er Surainu... gedrängt hatte...

„Wo ist er?”, fragte er, denn außer Anis selbst konnte er keine andere Person wahrnehmen.

„Er sagte er müsste noch etwas erledigen...”, antwortete sie und der Youkai wusste sofort, was sich hinter dieser Aussage verbarg.

„Surainu hat also nicht den Mut mich zu verabschieden...”, murmelte er leise, „Wie auch immer, wie gehen jetzt.” Er nickte befehlend zu Ah-Uhn hinüber, auf dem es sich Arekisu bereits bequem gemacht hatte. Die junge Frau folgte der Aufforderung sofort und stieg auf den Drachen. Sesshoumaru trat heran und setzte sich hinter sie. Die Möglichkeit allein zu fliegen hatte er schon lange in den Wind geschlagen. So war es viel bequemer, besonders wenn Anis vor ihm saß...
 

*
 

„Ja, ich bin auch ganz deiner Meinung. Hier riecht es eindeutig nach Lavendel. Aber es ist ein alter Geruch...”, flüsterte eine leise Stimme. Eine Antwort war nicht zu hören, aber das schien den Sprecher nicht weiter zu stören, denn er redete munter weiter:

„Ich verwette mein Schwert darauf, dass Anis hier war. Der zweite Geruch stammt eindeutig von einem Inuyoukai, eine Art Drache war auch dabei. Und dann vielleicht noch irgendein stinknormaler Hund, aber der könnte auch später dazu gekommen sein, was meinst du?”

Diesmal war ein lautes Bellen zu hören. Eine schwarzbraune Schnauze neigte sich zum Boden und beschnüffelte die Leute, die darauf lagen.

„Ich weiß, ich weiß. Wegen dem vielen Blut kann man kaum noch was riechen. Aber ich bin mir trotzdem ganz sicher!”, sagte der junge Mann entschieden, aber auch irgendwie rechtfertigend. Der Hund an seiner Seite schnüffelte weiter an dem Blut, das in großen Lachen über die Erde lief.

Vierzehn tote Menschen lagen auf dieser Lichtung um die Feuerstelle, drei krepierte Pferde und ein paar leblose Hühner. Eine Bande von Händlern hatte hier Rast gemacht, so lange jedenfalls, bis Makotoko ihnen allen den Garaus gemacht hatte. Dafür gab es keinen bestimmten Grund, sie hatten sich einfach nur geweigert, ihren Rastplatz zu verlassen. Es war nämlich zufällig genau der Ort, an dem auch Sesshoumaru und Anis einige Tage zuvor gerastet hatten, bevor sie Surainu erreicht hatten. Makotoko hatte das gerochen und ein Haufen Menschen störte eben die Spurensuche. Da hatte er sie eben schnell mal beseitigt. Ein Fehler, wie sich im Nachhinein herausstellte, denn das viele übelkeiterregende Blut stank schlimmer als ein Mensch allein es jemals hätte machen können.

Dennoch, dank seiner gut ausgebildeten Youkaisinne konnte Makotoko ziemlich genau die Richtung ausmachen, in die die Gesuchten weitergereist waren.

„Komm, wir müssen da lang. Zwischen diesem hier und dem letzten Lager, was wir entdeckt haben, ist zwar eine ganze Weile lang nichts zu riechen, aber das kann auch daran liegen, dass sie geflogen sind. Wenn sie also diese Richtung beibehalten, finden wir sie bestimmt schnell. Und dann versetz ich diesem Sesshoumaru einen deftigen Tritt in seinen arroganten Arsch, niemand nimmt mir ungestraft Anis weg!”, drohte Makotoko ins Leere hinein.

Wieder ein lautes Bellen, diesmal klang es drohender.

„Natürlich, verzeih mir. Niemand nimmt uns Anis weg!”, meinte der junge Mann voller Sarkasmus und verneigte sich spöttisch vor dem geflecktem Hund. Eine Sekunde später war dieser ihm auch schon wieder auf die Schulter gesprungen, was Makotoko als ‘Befehl’ nahm, sich endlich weiterzubewegen.

„Nun sei mal nicht so ungeduldig! Ich lass dir schon noch ein Stück von dem Mistkerl übrig, keine Bange!”, meinte der Mann lachend, stieß sich vom Boden ab und fegte dann mit einem Affenzahn durch die Lüfte, nur gelegentlich hier und da einen Zweig berührend um den Federflug aufrecht zu erhalten.
 

*
 

Anis und Sesshoumaru waren die ganze Nacht und auch den darauflegenden Tag lang durchgeflogen aber spätestens am jetzigen Abend brauchte der Reitdrache wieder eine Pause. Also landeten sie auf einer der zahllosen Lichtungen und bereiteten sich auf die nächste Nacht vor, da Sesshoumaru es für ausreichend erachtete, erst am nächsten Morgen weiter zu ziehen. Sie zündeten kein Feuer an, erstens weil Arekisu es nicht mochte, zweitens weil keiner es brauchte, drittens weil es Aufsehen erregte und viertens, weil es die Nachtsicht verdarb. Bevor sie sich jedoch auf eine längere Wartezeit einrichteten, bat Anis Sesshoumaru noch einmal einen kleinen Abendspaziergang mit Arekisu machen zu dürfen. Unter der Bedingung, sich nicht zu weit zu entfernen, durften sie gehen.

Das war die Gelegenheit, auf die Anis so lange gewartet hatte. Sie entfernte sich vom Lagerplatz, gerade so, das Sesshoumaru sie noch riechen, aber nicht hören konnte. Nachdem sie ein hübsches Plätzchen gefunden hatte, ließ sie sich auf einem Baumstumpf nieder und befahl Arekisu, sich vor ihr hinzusetzen. Abwartend sah die Hündin die junge Frau an, welche sich nun an den Spruch zu erinnern versuchte, den man brauchte, um mit Tieren sprechen zu können. Auf das Blut wollte sie allerdings verzichten und zog deshalb nur einen dünnen Ring aus Blättern und Zweigen um sich und das Tier. Dann setze sie sich wieder im Schneidersitz vor ihre vierbeinige Freundin und versuchte sich zu entspannen.

Wie das so immer ist, wenn man versucht, an nichts zu denken, schwirren einem unzählige Gedanken durch den Kopf und verwirren einen total. Es dauerte deshalb eine Weile, bis Anis sich einigermaßen beisammen hatte. Dann begann sie flüsternd zu sprechen:

„Ichi Uiruru daine Jidenkenu Resenu. Imu Ausutausuchi defueru ofufunbafure ichi deru metsuine Jidenkenu.”

Sofort durchströmte sie ein höchst eigenartiges Gefühl. Ihr ganzer Körper begann zu kribbeln, bald spürte sie ihre Füße nicht mehr und fragte sich schon, ob diese vielleicht eingeschlafen sein. Aber dieses Phänomen setze sich fort, es war, als würde sie praktisch aus ihrem Körper herausgesogen werden. Ein erschrockener Aufschrei entglitt ihrer Kehle. Sie konnte sich kaum mehr bewegen, nicht einmal ihre Augen konnte sie mehr offen halten. Es war ein höchst seltsames Gefühl und langsam fragte sie sich, ob das denn überhaupt richtig so war.

Spätestens aber, als sie nichts mehr um sich herum spürte, weder Wind noch die Erde unter ihren Sohlen oder sonst irgendetwas ganz natürliches, als sie das allabendliche Gezwitscher der Vögel nicht mehr wahrnahm, spätestens da wusste sie, dass etwas furchtbar schief gelaufen war.

Und ihr Körper sackte leblos zu Boden...
 

*
 

„Okay, hier ist noch so ein Lager. Ich denke, wir können uns jetzt ziemlich sicher sein. Pass auf, du gehst jetzt und holst Mitsura, ja? Ich heb dir auch noch was von dem Kerl auf, nachdem ich ihn zerfetzt hab”, sagte der Youkai und tätschelte dem Hund vor sich freundschaftlich den Kopf. Dieser aber knurrte und bewegte sich nicht vom Fleck.

„Na gut wenn’s denn sein muss. Dann warte ich mit dem Kampf eben ,bis du wieder da bist”, gab sich Makotoko geschlagen. Der Hund setze - soweit man das bei Hunden erkennen kann - ein zufriedenes Gesicht auf und trottete langsam Richtung Wald davon.

Der Youkai streckte sich einmal, spreizte die Finger und blickte dann zu dem hohen Gebirge auf, welches sich in der Ferne als dunkler Umriss vor dem Himmel abhob. Irgendwo dort war Anis und er würde sie schon bald finden...
 

*
 

Beinahe wären sie in der Luft zusammengeprallt. Mitsura drehte sich mitten in der Luft, als auf einmal von unten aus dem Wald heraus eine Gestalt auf sie zugeschossen kam. Gerade noch so bekam sie die Kurve hin und landete elegant auf einem hauchdünnem Zweig.

Mit einem schaurigen Rauschen fuhren die Baumkronen auseinander und vor ihr - ebenfalls auf einem zarten Ast stehen bleibend - war nun ein junger Mann erschienen. Seine hellen Augen erfassten die Youkai sofort und ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.

„Makotoko, habt ihr mich erschreckt! Was zum Teufel macht ihr hier, ihr solltet doch in einer ganz anderen Richtung suchen!”, fuhr Mitsura ihr Gegenüber unwirsch an.

„Reg dich ab! Ich habe gute Neuigkeiten. Ein paar hundert Meilen von hier entfernt gibt es ein paar alte Lagerplätze, wo noch Anis’ Geruch dran hängt. Nun ist eigentlich ziemlich sicher, wo sie sich aufhält, oder zumindest, wo wir mehr Informationen herkriegen können”, erzählte der Youkai fröhlich.

„Ah ja.... Sag mal, wo habt ihr eigentlich eure bessere Hälfte gelassen?”, fragte sie dann misstrauisch, da sie nirgendwo den großen, gefleckten Hund sehen konnte, der Makotoko sonst immer begleitete.

„Ich bin meine eigene bessere Hälfte!”, protestierte der Mann gespielt beleidigt.

„Na wenn das so ist... Ich hoffe, wir kommen nicht zu spät...”, murmelte Mitsura leise vor sich hin, bevor sie sich gemeinsam mit dem anderen Youkai auf den Weg machte.

„Sag mal, was ist jetzt eigentlich mit Koga?”, fragte er sie neugierig, während sie hoch über den Wipfeln der Bäume durch die Lüfte rauschten.

„Ach der...! Der wird wohl sein restliches Leben lang nach Sesshoumaru suchen, um mir einen Gefallen zu tun, es sei denn, ich treffe ihn zufällig vorher. Das wird aber bestimmt nicht passieren, da wir ja nur vorhaben, Anis wieder mit in unsere Zeit zu nehmen. Ich glaub nicht, dass wir den noch mal wieder sehen”, meinte sie schulterzuckend.

„Er ist dir also völlig egal?”, versicherte sich ihr Gesprächspartner, aber es klang nicht etwa entsetzt, vorwurfsvoll oder verwundert, sondern eher so als frage er um Erlaubnis, ihn umbringen zu können.

„Ja... Aber lass ihn trotzdem in Ruhe. Er wird schon keinen Schaden anrichten”, antwortete Mitsura. Sie wusste, dass Makotoko ihre eigenen Opfer gerne tötete - aus welchem Grund wusste sie nicht, es war ihr auch immer egal gewesen - doch seltsamerweise wollte sie nicht, dass Makotoko auch ihren Wolfsdämon tötete. Er war zwar im Grunde nicht viel anders als ihre bisherigen Opfer, doch im Gegensatz zu ihnen war es für ihn nun wirklich einfach nur Pech gewesen, an sie zu geraten. Zur falschen Zeit am falschen Ort, wie man so schön sagt. Er war weder ihr Feind gewesen, noch war er in irgendeiner Form gemein zu ihr gewesen, denn auch Rache war für sie schon Grund genug, einen wildfremden Mann zu verführen...

Aber eigentlich hatte Koga sowas ja nicht verdient. Wenn sie ihn das nächste mal treffen sollte, würde sie den Zauber aufheben und seine Erinnerungen an sie löschen. Das war das mindeste, was sie tun konnte. Dann konnte er wieder ein ganz normales Leben führen, ohne für immer an sie gebunden zu sein.

„Mitsura?”

„Ja?”

„Woran denkst du gerade?”, fragte der Youkai neben ihr.

„Wie bitte?”, erwiderte sie, überrascht über den plötzlichen Themenwechsel.

„Woran denkst du grade?”, wiederholte er.

„An Handschellen!”, sagte Mitsura wie aus der Pistole geschossen. War ja nicht mal so falsch. Sie hatte sich gerade gefragt, ob sie mit Koga vielleicht hätte befreundet sein können. Dann hatte sie an Freundschaftsbänder gedacht und irgendwie hatten die Handschellen, die die Menschen in ihrer Zeit benutzen, gewisse Ähnlichkeit damit. Was genau sie gerade gedacht hatte, wollte sie Makotoko irgendwie nicht erzählen.

„An Handschellen?! Sag mal, was hast du nur für schmutzige Gedanken?!”, empörte sich der junge Mann, der da anscheinend wieder an was anderes dachte...

Mitsura wurde rot. „Nein, doch nicht in dem Sinne...!”

„In welchem dann?”

Sie öffnete gerade den Mund, um etwas zu erwidern, schloss ihn dann aber wieder weil ihr nichts einfiel, öffnete ihn wieder und murmelte dann nur: „Ach vergiss es.”

Der Youkai grinste sie nur hinterhältig an und meinte dann: „Ich will gar nicht wissen, an welchen Mann du da im Zusammenhang gedacht hast.”

„Na an dich bestimmt nicht!”, keifte sie erbost zurück, erntete aber nur ein spöttisches Lachen.

„Du solltest mit deinen Gedanken eher bei der Sache bleiben!”, belehrte er sie mit einem neunmalklugen Grinsen, stieß sich etwas heftiger vom nächsten Zweig ab und sauste davon.

„Hey, warte auf mich!”, rief ihm Mitsura nach und legte ebenfalls einen Zahn zu. Der konnte was erleben!
 

*
 

„Nein ihr Dummköpfe, das gehört doch nicht dahin!”, brüllte der alte Heiler und gestikulierte zu einem der turmhohen Regale hin.

Seit Sesshoumaru und seine Begleiterin, deren Namen er immer wieder vergaß, abgereist waren, fühlte er sich, als sei ihm ein ganzes Gebirge von den Schultern genommen worden. Keine Patientin hatte ihm jemals so viel Sorgen bereitet wie diese Frau, und zwar, weil er sich des Todes sicher sein konnte, falls er versagte. Dummerweise hatte sie sich anscheinend einen Spaß daraus gemacht, seine ganze Bibliothek durcheinander zu bringen und nun scheuchte er seine Diener von einer Ecke in die nächste und ließ sie die Bücher, die sie heraus geholt hatte wieder an ihren angestammten Platz stellen.

Gerade ließ er sich, erschöpft vom vielen Schreien, auf einem Stuhl nieder, als plötzlich hastige Schritte ertönten.

Die Tür zur Bibliothek wurde aufgerissen und ein großgewachsener Youkai kam keuchend herein gestürmt. Es war ein Vogeldämon, das konnte man an den sanft geschwungenen Flügeln, die über seinem Rücken gefaltet waren, erkennen. Er würde fast wie ein Engel aussehen, wäre da nicht sein Gesicht, das durch einen langen, gebogenen Schnabel mit vielen spitzen Zähnen darin geradezu verunstaltet wirkte. Auch sein Gesichtsausdruck war nicht gerade friedlich.

Surainu erinnerte sich an ihn. Vor etwa einem halben Jahr war er zu ihm gekommen, da seine Frau an einer üblen Krankheit litt. Er hatte sie heilen können, doch weder sie noch ihr Gefährte hatten bezahlen können. Also hatte sich der männliche Vogelyoukai gezwungenermaßen freiwillig angeboten, bei ihm die Schulden abzuarbeiten. Der Vorteil bei Youkai als Diener war, dass man ihnen ruhig ein paar Jahre mehr aufdrücken konnte, schließlich starben sie nicht so schnell wie Menschen. Dieser Dämon hatte noch etwa zweieinhalb Jahrhunderte abzuarbeiten.

Doch der Heiler hatte nicht lange Zeit, um in Erinnerungen zu schwelen, denn sein Diener wollte ihm offenbar etwas mitteilen...

„Dämon-..... Tote... Will sie sprechen, Herr... tot...”, brachte er mühsam und immer noch keuchend hervor.

„Wie bitte?”, sagte Surainu verdutzt.

Doch er sollte nie mehr eine Antwort erhalten. In diesem Moment tauchte eine zweite Person hinter dem Youkai auf. Und der schnitt dem Diener nicht nur das Wort, sondern auch den Kopf ab.

Blut spritzte in alle Richtungen, doch die braune Lederjacke des Mannes blieb sauber. Der Türrahmen verfärbte sich rot und der Rumpf des Vogeldämons sackte leblos auf den Boden. Die rote Flüssigkeit bahnte sich ihren Weg und der abgetrennte Kopf rollte über den weißen Marmor und hinterließ eine schaurige Spur. Langsam rollte der Kopf auf Surainu zu, der wie erstarrt da stand und tippte gegen seine Schuhspitzen.

Ein junger Mann mit braunen Haaren und einem äußerst grausamen Lächeln trat aus dem Türrahmen heraus und stieg über die Leiche hinweg. Von seiner Hand, an dessen Ende die Krallen immer noch ausgefahren waren, tropfte das Blut, zu viel, als das es nur von dem so eben erledigtem Youkai hätte stammen können.
 

*
 

Sesshoumarus Kopf ruckte nach oben. Er witterte etwas, ein Unheil. Es war wie ein bitterer Geschmack im Mund, der ihm sagte, dass etwas nicht in Ordnung war.

Da sonst keine anderen Youkai wahrzunehmen waren, galt sein erster Gedanke sofort Anis. Augenblicklich stand er auf und verließ die Lichtung, auf der sich jetzt nur noch Ah-Uhn befand. Trockenes Laub raschelte unter seinen Schritten, er gab sich keine Mühe leise zu sein. Der Inuyoukai orientierte sich eher am Geruch des Hundes der bei Anis war, denn ihr seltsamer Tarngeruch fügte sich nahezu perfekt in die Gerüche des Waldes ein.

Je näher er ihr kam, desto drängender wurde das leichte, unangenehme Kribbeln in seinem Nacken und spornte ihn an die Geschwindigkeit zu erhöhen.

Die böse Vorahnung, die schon fast Besitz von ihm zu ergreifen schien, bestätigte sich auf grausame Weise. Anis lag regungslos auf der Erde, die Augen geschlossen. Ihre langen schwarzen Haare lagen wie ein Fächer ausgebreitet da. Neben ihr saß Arekisu, die sehr verwirrt dreinschaute.

Sesshoumaru beachtete die Hündin nicht und kniete sich neben seiner Geliebten nieder. Ihr wunderschönes, sonnengebräuntes Gesicht war geradezu unnatürlich blass. Der Youkai beugte sich über sie, wobei ihm seine eigenen Haare ins Gesicht fielen, und suchte an ihrer Halsschlagader nach dem Puls.

Doch da war nichts. Kein Anzeichen, dass ihr Herz noch tatkräftig Blut durch ihren Körper pumpte. Keine Atmung war festzustellen. Kein Anzeichen, dass sie noch lebte.

Verzweiflung ergriff ihn und ließ ihn kaum noch einen richtigen Gedanken fassen. Vielleicht, so versuchte er sich zu beruhigen, hatte sie nur einen Schock oder so etwas erlitten...? Sesshoumaru gab ihr eine saftige Ohrfeige, doch auch davon wachte sie nicht auf.

Langsam richtete der Youkai sich wieder auf.

Er konnte es nicht fassen. Ihr Zustand ließ nur diesen einen Schluss zu, dennoch weigerte er sich zu akzeptieren, dass Anis wirklich tot war. Das durfte einfach nicht wahr sein. Nicht sie. Nicht jetzt. Sie konnte ihn doch nicht einfach verlassen! Das durfte nicht wahr sein....

Seine Hand zitterte als er sie auf Tensaigas Griff legte. Wie üblich schien sich die Umgebung für einen Augenblick zu verdunkeln. Nur Anis’ Körper strahlte ein gewisses Licht aus, denn er war das einzig Tote in der Nähe. Aber anders als sonst fehlten diesmal die Boten des Jenseits. Die kleinen, verschrumpelten Gestalten waren nirgendwo zu sehen.

Natürlich nicht, dachte er sich. Tensaiga konnte jede Person nur einmal wieder zum Leben erwecken. Anis war bereits einmal gestorben. Er konnte nichts mehr für sie tun.

Verzweiflung, Panik und Trauer mischten sich mit einer eigenartigen Wut. Niemand war hier gewesen, niemand hatte ihr etwas antun können. Da Sesshoumaru keine Todesursache feststellen konnte, war für ihn klar, dass sie dies selbst zu verantworten hatte. Sie selbst musste sich umgebracht haben, so wie sie es schon einmal tat. Warum? Er hatte eigentlich geglaubt, dass sie schon etwas besser mit ihm auskam. War es, weil er ihr gesagt hatte, dass er sie nie verlassen würde? Hatte sie das etwa als Drohung empfunden? War er selbst Schuld an ihrem Tod? Nein, genau genommen gab es eigentlich gar keinen Grund für ihr Verhalten. Also, warum war sie wieder gegangen? An den Ort, von dem auch Tensaiga sie nicht zum wiederholtem Male zurückholen konnte? Warum? War es ihr zu zuwider, in seiner Gegenwart zu bleiben? Hasste sie ihn so sehr? Der Gedanke schmerzte. War es ihr wirklich so wichtig, vor ihm zu fliehen? Immer und immer wieder? Warum nur? Es war jetzt schon das sechste Mal, das sie ihn verlassen hatte. Bisher hatte er sie immer zurückholen können, aber jetzt...? Was würde jetzt geschehen? Hatte er sie wirklich für immer verloren?

Aber Moment mal... Vielleicht war es ja doch nicht Selbstmord gewesen? Vielleicht waren es die Nachwirkungen der Wunde? Hatte Surainu sein Handwerk nicht ordentlich erledigt?

Nachdenklich wanderte sein Blick zu Arekisu, die noch immer wie schon bei seiner Ankunft relativ verwirrt auf ihrem Platz saß. Natürlich, so musste es sein. Warum sonst hätte sie die Hündin mitnehmen sollen...?

Er würde zu dem Heiler zurückkehren und entweder er konnte sie wieder zurückholen, oder er würde ihm einen so grausamen Tod bescheren, das er sich wünschen würde, nie geboren worden zu sein...!
 

XxX
 

So, zwei Sachen zu diesem Kapitel: Erstens: Wer gründlich gelesen hat dem dürfte ein kleiner 'Inhaltsfehler' aufgefallen sein. Ich kann euch aber beruhigen, das ist alles so geplant und gehört dazu! Denkt also mal ein bisschen drüber nach.

Zweitens: Anis ist natürlich nicht wirklich 'geflohen' und hat sich ja auch nicht absichtlich selber umgebracht, aber Sesshoumaru denkt das eben und weil ich in meiner ff ja auch irgendwo eine Gliederung haben muss, heißt dieses Kapitel eben 'DER FÜNFTE FLUCHTVERSUCH'.

Wer jetzt gleich ausrasten will von wegen ich lasse Anis sterben, der mag sich bestimmt noch an die kleine Hoffnung namens Surainu stützen. Dann werdet ihr aber genauso enttäuscht sein wie Sesshoumaru, denn der hatte vorher ja schon Besucht von Makotoko.

Aber ich möchte euch trotzdem noch einmal nahelegen das auch dies nur ein FluchtVERSUCH ist, das heißt sie VERSUCHT (gezwungendermaßen) zu fliehen, das heißt nicht das es KLAPPT!(Auch wennes im erstenmoment wohl tatsächlich so aussieht als wenn sie tot wäre, aber der Schein trügt bekanntlich, also geht mir nicht gleich wieder in die Luft, ja?)

Im falschem Körper

uffffff.... Es hat wieder soooo lange gedauert...

Aber es ist eben Weihnachten und dasist bei mir halt total stressig, besonders die kommende Woche. Ich hoffe nichts sehnlicher als das ich vor Weihnachten noch mal ein kap rausbringen kann, denn in den Ferien hab ich überhaupt keine Zeit zu schreiben, weil wir nämlcih verreisen. Über Weihnachten und Neujahr bin ich auf nem ganz anderen Kontinent, da werd ich unter Garantie nicht an den Combi können. Falls ich es trotz allem nicht schaffen sollte, wünsch ich euch jetzt schonmal fröhliche Festtage!

Nun zu diesem Kapitel: Zwar wird auch aufgeklärt was nun mit Anis passiert ist (siehe Titel) aber hauptsächlich geht es wieder um Mitsura und Makotoko (M&M). Di ebeiden entwickeln erstmal einen Schlachtplan und der hätte sogar gelingen können, wäre Makotoko nicht wieder seiner Lieblingsbeschäftigung, dem Menschenmorden, nachgegangen.

Näheres dazu jetzt....
 


 


 

Im falschem Körper

Oder: Schlachtplan, bestimmt vom ominösen BAUCHGEFÜHL!
 

„Wer bist du? Und wieso tötest du meine Diener?" fragte der alte Heiler erbost. Das ging ja wohl nicht an das da einer einfach so in sein Haus spazierte und seine untergebenen abmurkste, selbst wenn dieser Kunde noch so gut bezahlen konnte.

„Sie konnten meine Fragen nicht beantworten..." flüsterte der junge Mann bedrohlich, noch immer mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht.

„W...Was für Fragen?" wollte Surainu nun schon etwas ängstlicher wissen.

„Ich suche eine bestimmte Person. Eine junge Frau, vermutlich in Begleitung eines weißhaarigen Inuyoukais und eines niederen Drachen. Ich weiß das sie hier waren, der Geruch hängt noch in der Luft. Nun will ich wissen wo genau sie sind. Kannst du mir da weiter helfen?" erwiderte der Fremde und ließ keinen Zweifel daran, dass eine Verweigerung der Aussage schlimme Folgen für ihn haben würde.

„I...I...Ich...Ich weiß nicht... Sie waren hier, die Frau war schwer verletzt. Auf Sesshoumarus Wunsch hin habe ich ihre Wunde geheilt und ihr vermutlich so das Leben gerettet." Surainu schickte eine Stoßgebet zum Himmel das dieser Youkai vor ihm mit Sesshoumarus neuester Errungenschaft nicht auf Kriegsfuß stand.

Der Neuankömmling sah tatsächlich für einen Moment irritiert, vielleicht sogar gesorgt aus, aber er behielt sein Lächeln auf und sagte:

„Ich wollte wissen wo sie jetzt sind. Wo wollten sie hin, in welche Richtung sind sie gegangen?"

Surainu schluckte hart.

„I...I...Ich..." stotterte er um Zeit zu gewinnen. Aber eine Sekunde später stand der Fremde genau vor ihm, schloss seine krallenbewehrte Hand fest um seinen hals und drückte langsam zu...
 

Makotoko betrachtete den keuchenden alten Youkai der von seinen Klauen in der Schwebe gehalten wurde mit einem hundsgemeinem grinsen, doch innerlich kochte er vor Wut. Diese Suche dauerte schon viel zu lange. Die Tatsache das Anis anscheinend schon einmal lebensgefährlich verletzt worden war bedeutete für ihn nichts anderes, als das dieser Sesshoumaru scheinbar nicht auf sie aufpassen konnte. Oder noch schlimmer, das er sie gefangen hielt, sie irgendetwas angestellt hatte, vielleicht zu fliehen versuchte und er sie dann dafür bestraft hatte. Was natürlich vollkommen ungerecht war. Bevor er ihr noch mehr antun konnte, musste er sie finden! Und wenn ihm dieser alte Greis nicht weiter helfen konnte, dann war das eben sein Pech.

„I...I...Ich glaube... sie wollten nach... nach... nach Norden...!" brachte der alte Youkai mühsam hervor.

Makotoko lächelte nur spöttisch. Es war so offensichtlich das er keine Ahnung hatte.

„Dir wurde wohl noch nie das Märchen Pinoccio vorgelesen, was? Andernfalls wüsstest du nämlich, dass es böse endet wenn man anderen eine Lüge auftischt..." erwiderte er, die Stimme voller beißenden Sarkasmus. Makotoko was nicht auf den Kopf gefallen, er hatte an Surainus verzweifeltem Gesichtsausdruck erkannt, dass dieser nicht den leisesten Schimmer hatte wohin Sesshoumaru mit Anis verschwunden war. Nur um nicht von ihm getötet zu werden hatte er sich wohl schnell etwas ausgedacht. Aber so leicht würde er diesen miesen Lügner nicht davon kommen lassen.
 

Mit einem letzten, grausamen Lächeln drückte er zu.. Seine langen, scharfen Krallen die er statt Nägeln an den Fingern hatte gruben sich tief in das Fleisch seines Gefangenen. Dann gab es ein furchtbar ekliges Geräusch als Surainus Kopf abgetrennt wurde, wie ein Stück Seife aus Makotokos Hand flutschte und einige Meter durch die Luft segelte.

Der Youkai rümpfte die Nase als das Haupt des Heilers mit einem hässlichem Platsch in einer der vielen Blutlachen landete.

Der junge Mann ließ den nunmehr leblosen Körper zu Boden fallen. Stirnrunzelnd betrachtete er seine blutbefleckte Hand, als würde er sich über die Verunreinigung ärgern. Lässig wischte er sie am Kimono des Gefallenen ab.

Kurz sah er sich noch einmal in der großen Bibliothek um. Ob es in diesem riesigen Haus noch etwas Anständiges - oder auch Unanständiges - zu holen gab? Immerhin, die Diener die noch nicht die Flucht ergriffen hatten, waren inzwischen von ihn getötet worden. Eine Störung brauchte er also nicht zu erwarten...

Letztendlich entschied er sich aber doch dagegen und beschloss stattdessen lieber Mitsura entgegen zu gehen. Er würde ihr sagen müssen, dass die Spur die er zu finden geglaubt hatte, hier schon wieder aufhörte. Wirklich jammerschade, er hätte gern noch ein paar von diesen Büchern mitgehen lassen. Einige davon sahen richtig interessant aus.

Schon wollte er sich umwenden und den Raum verlassen, als ihm ein schweres, in Leder gebundenes Buch ins Auge fiel, welches aufgeschlagen auf einem Tisch lag. Bedächtig trat er näher heran und drehte es um. 'Innere Ruhe' stand auf dem Buchrücken geschrieben.

Diesmal war Makotokos Lächeln friedlich. Anis hätte dieses Buch gefallen... Kurzerhand klappte Makotoko seine Entdeckung zu und steckte es ein. Wer weiß was man noch damit würde anfangen können...
 

*
 

Anis fühlte sich merkwürdig. Um genau zu sein fühlte sie sich überhaupt nicht. Denn das WAS sie spürte, war garantiert nicht sie selbst. Das wusste sie einfach. Sie wusste es, noch bevor sie überhaupt die Augen öffnete. Ihre Haut prickelte und juckte. Tausend Gerüche, die sie sonst nie hätte wahrnehmen können, strömten auf sie ein. Auch verspürte sie eine eigenartige Angst die irgendwie... nicht ihre eigene zu sein schien... Sie fühlte den Boden, die Erde, kleine Steine und Blätter unter ihren Füßen, obwohl sie sich sicher war, eben noch Schuhe getragen zu haben. Nicht einmal ihre Kleidung spürte sie mehr, was sie dann doch etwas beunruhigte.

Und dann – ohne das Anis ihren Lidern den Befehl dazu gegeben hatte – öffneten sich diese von ganz alleine und sie konnte die Lichtung überblicken.

Was sie sah, traf sie wie ein heftiger Schlag ins Gesicht. Dort drüben neben dem Baumstumpf lag sie selbst! Es war, als würde sie in einen Spiegel blicken, nur das ihr Spiegelbild scheinbar bewusstlos war. Gleich daneben saß Sesshoumaru, der sich über ihr Abbild beugte.

Vorsichtig wollte sie auf ihn zugehen, doch ihre Beine gehorchten ihr nicht. Dann wollte sie etwas sagen, wollte Sesshoumaru fragen, was hier vor sich ging, doch sie bekam nicht einmal die Kiefer auseinander. Dafür spürte sie jetzt aber eine große Verwirrung, die nichts mit ihrer eigenen Fassungslosigkeit wegen ihrer Lage zu tun hatte. Angst, für die sie keinen Grund sah. Anis versuchte sich gewaltsam zu beruhigen, dachte an friedliche Blumenwiesen und glatte Seen. Es half. Die Ruhe breitete sich in ihr aus und schwemmte die Angst fort.

Hastig folgte sie Sesshoumaru, der den leblosen Körper, der ihr so ähnlich sah, nun vom Boden gehoben hatte und damit im Wald verschwand. Moment mal, wann hatte sie denn beschlossen, ihm zu folgen? Gar nicht! Ihre Beine bewegten sich von ganz alleine und was noch viel kurioser war: Sie lief auf allen Vieren! Anis warf einen Blick auf ihre Hände, die im Einklang mit ihren Füßen lange Sätze machten. Auf der Stelle traf sie der nächste Schock, der ihre schlimmsten Vermutungen bestätigte. Sie hatte gar keine Hände mehr. Sie hatte Pfoten. Kräftige, mit schwarzem Fell bedeckte Hundepfoten.

Der Zauber, den sie hatte ausführen wollen, war furchtbar schief gegangen. Und nun steckte sie zusammen mit Arekisu in deren Körper.
 

Sesshoumaru wandte sich um, als er hinter sich ein leises Winseln hörte. Dort hatte sich Anis' schwarze Hündin dicht an den Boden gepresst, scheinbar vollkommen in Panik verfallen und wohl den heftigen Wunsch unterdrückend, auf der Stelle Reißaus zu nehmen.

Eine winzige Spur von Mitleid regte sich in ihm. Vielleicht hatte das, was Anis passiert war, ziemlich grauenhaft ausgesehen,und die Hündin war jetzt traumatisiert...?

Kurz blickte er auf das leblose Gesicht seiner Geliebten hinunter, welche er auf den Armen trug und dann wieder zurück zu Arekisu. Vage erinnerte er sich daran, wie Anis ihn – kurz nachdem sie ihr Haustier entdeckt hatte – darum gebeten hatte, für die Hündin zu sorgen, sollte sie irgendwann einmal nicht mehr dazu in der Lage sein. Er hatte es ihr versprochen...

„Komm mit“, sagte er mit monotoner Stimme und setze seinen Weg fort. Aber erst nachdem er glaubte, schon fast aus der Sichtweite des Tieres verschwunden zu sein, nahm er ihre tapsenden Schritte hinter sich wahr, als sie ihm folgte.
 

Es dauerte nicht lange, bis sie die Lichtung erreicht hatten, auf der Ah-Uhn noch immer friedlich vor sich hin schnarchte. Der Inuyoukai konnte nicht recht glauben, dass hier immer noch alles genau so aussah wie vor seiner grauenhaften Entdeckung. Wie konnte hier noch alles so friedlich sein, wenn doch seine eigene kleine Welt innerhalb von Sekunden vollkommen in sich zusammengebrochen war? Wie konnte die Sonne noch immer so hell scheinen, wenn doch Anis' Lebenslicht verloschen war? Wie konnte der Himmel nur seine ewig blaue Farbe behalten, wenn er nicht in der Lage war, sich in ihren Augen widerzuspiegeln? Wie konnten Bäume und Sträucher, Blumen und Gräser, wie konnten Pflanzen und Tiere weiter atmen, wenn doch Anis damit aufgehört hatte?

Wie konnte Arekisu so fröhlich über die Lichtung rennen, über umgestürzte Baumstämme und Steine springen, als wolle sie ausprobieren, wie schnell sie rennen und wie hoch sie springen konnte? Ja, wenn er es sich recht überlegte, benahm sich die Hündin geradezu unnatürlich fröhlich. Gerade begann sie wie wild in der Erde zu graben. Einige Sekunden später turnte sie auch schon auf Ah-Uhns Rücken herum und war sogar dreist genug, dem Drachen ins Ohr zu beißen, doch dieser schlief einfach weiter. Nun kam sie zu ihm und Anis herüber, welche er inzwischen auf der Erde abgelegt hatte. Einen Moment lang dachte er ernsthaft, dass die Hündin sich jetzt auf sie stürzen würde, um mit ihr zu 'spielen', aber die Hündin setzte sich lediglich ganz nah vor seine Geliebte, beschnüffelte sie kurz und sah dem Inuyoukai dann ruhig in die Augen. Sesshoumaru wurde aus ihrem Verhalten nicht schlau. Erst kauerte Arekisu sich vollkommen verwirrt und verängstigt zusammen, dann hüpfte sie wie besessen durch die Gegend als hätte sie eine Sprungfeder verschluckt und dann starrte sie ihn mit ihren großen treuen Augen an, als wollte sie ihm irgendetwas mitteilen. War das denn noch normal?
 

Nachdem Anis den ersten Schock überwunden hatte, fand sie die Tatsache, dass sie im Körper eines Hundes steckte, gar nicht mal so übel. Es war erstaunlich, wie viel besser beispielsweise der Geruchssinn eines Hundes im Vergleich zum Menschen war. Natürlich hatte Anis das schon vorher gewusst, aber es war doch etwas anderes, es selbst zu erleben. Auch das Laufen auf allen Vieren war zwar nicht neu für sie, aber doch etwas ungewohnt. Zum Glück hatte Anis Arekisu inzwischen perfekt unter Kontrolle. Sie konnte das Bewusstsein des Tieres ganz leicht in den hintersten Winkel verschieben und übernahm dann sozusagen selbst die Kontrolle über ihren gemeinsamen Körper. Anis' schiere Abenteuerlust und ihr Bewegungsdrang steckten auch Arekisu an. Zusammen mit ihr fegte Anis über grüne Wiesen und sprang über die verschiedensten Hindernisse. Sie bemühte sich, den neuen Körper richtig zu kontrollieren, wer wusste schon wie lange sie noch darin festsitzen würde. Also übte sie so lange, bis Arekisus Kraftreserven aufgebraucht waren.

Sesshoumaru beobachtete sie die ganze Zeit über mit einem äußerst missbilligenden Blick, doch sie kümmerte sich nicht darum. Er hatte ihr befohlen, ihm zu folgen und das bedeutete sicher, dass er ihr – selbst in dieser Gestalt - nichts tun würde. Was ihn dazu bewegt hatte, wusste sie nicht, schließlich war Arekisu eigentlich ihr Hund. Aber während der Zeit mit Sesshoumaru hatte sie eins lernen müssen: Stell keine Fragen. Eine Antwort gab es sowieso nie.

Anis rannte in einem plötzlichen Entschluss auf Sesshoumaru zu. Er hatte ihren 'alten' Körper nicht weit von Ah-Uhn entfernt abgelegt. Wie aus Stein gemeißelt saß er da und schien seine ganze Aufmerksamkeit nur Anis' Körper zu widmen, was dazu führte, dass sich deren Geist - der sich ja im falschen Körper befand – fragte, ob ihr vielleicht irgendwelche hässlichen Furunkel oder ähnliches aus dem Gesicht sprossen. Vorsichtig schlich Anis um sie herum und setzte sich dem Inuyoukai gegenüber. Seiner unbeachtet musterte sie sich selbst, konnte aber nichts Außergewöhnliches feststellen. Kurz schnupperte sie, ob vielleicht ihr Tarngeruch aufgeflogen war, doch alles was ihr – außer natürlich Sesshoumarus Geruch – in die Nase stieg, war der Lavendelduft.

So wie es aussah, würde sie wohl nie erfahren, was ihn so an diesem Anblick faszinierte. Es war fast wie damals, als...- Nein, das war doch unsinnig. Und doch... Ja, genauso regungslos hatte er auch da gesessen, als Rin gestorben war. Konnte es wirklich sein... War es möglich... dass Sesshoumaru trauerte?! Die Vorstellung war absurd. Sicher, rein theoretisch wäre es möglich. Schließlich konnte er ja nicht wissen, dass Anis keineswegs gestorben war. Und obwohl Anis noch keine Ahnung hatte, wie sie das anstellen sollte, war sie der festen Überzeugung, schon bald wieder in ihrem eigenen Körper zu sein. Aber das wusste ER ja nicht. Rein theoretisch war es also möglich. Praktisch allerdings würde sich wohl eher die Sonne anfangen um den Mond zu drehen, als das Sesshoumaru um SIE trauerte. Bei Rin könnte sie es unter Umständen ja noch verstehen, aber sie fand keinen Grund, warum Sesshoumaru ihren Tod so bedauern sollte. Anis konnte sich nicht vorstellen, dass sie Sesshoumaru so viel bedeutet haben sollte, dass sie ihm überhaupt irgendetwas bedeutet haben sollte.
 

*
 

„Na toll und was machen wir jetzt?!“, schimpfte Mitsura wütend.

„Hey, ich kann doch nichts dafür, dass dieser olle Dämon dauernd vor uns davon läuft!“, meinte Makotoko eingeschnappt, aber dennoch grinsend, weil er sehr wohl wusste, dass Sesshoumaru nicht wirklich vor ihnen 'floh'.

„Na wie auch immer, wir sollten erstmal einen Schlachtplan erstellen...“, fing Mitsura an, seine Aussage ignorierend.

„Schön, wir haben nur leider die Bomben und Luftgewehre im zwanzigstem Jahrhundert vergessen!“ erwiderte der junge Mann sarkastisch, als wäre das alles nur ein Spiel.

„Haha“, machte Mitsura tonlos, „sehr witzig. Ich meinte natürlich einen Plan, um Anis und ihren Entführer zu finden und Sesshoumaru zu vernichten!“

Die beiden Youkai saßen im Schneidersitz auf einer Waldlichtung, schon ziemlich weit entfernt von dem Blutbad, das Surainus alte Heimstätte nun darstellte. Makotokos Hund war auch wieder bei ihnen und gab nun auf seine Art sein Kommentar zum Besten: Er gähnte geräuschvoll.

„Ganz genau!“, rief sein Besitzer daraufhin aus.

„Was?“, fragte Mitsura, die befürchtete etwas verpasst zu haben. Makotoko deutete auf den Hund und sagte dann:

„Ich bin ganz seiner Meinung! Wir sollten nicht so viel nachdenken, sondern besser aus dem Bauch heraus entscheiden.“

„Ach ja, und sagt euch euer Bauchgefühl auch, wo wir Anis finden?“, erwiderte Mitsura herausfordernd.

„Hm, lass mal sehen...“ Makotoko befeuchtete einen Finger mit der Zunge und hielt ihn dann in den Wind. Dann schnüffelte er kurz und blickte zu seinem Hund, als wollte er eine Zustimmung von diesem erhalten. Das Tier nieste.

„Okay, wir müssen Richtung Süden“, sagte er dann vergnügt. Mitsura starrte ihn daraufhin nur böse an. „Und das habt ihr jetzt so einfach festgelegt?!“

„Ähm... Ja“, war die Antwort. Die Youkai konnte darüber nur verständnislos den Kopf schütteln.

„Pass auf, wir müssen mit Logik an das Problem rangehen. Seht mal her...“ Und sie griff nach einem Stock und begann eine grobe Landkarte ihrer Umgebung in den Sand zu zeichnen. „Hier sind wir. Und hier habt ihr den Heiler umgebracht... Und da und da sind die verlassenen Lager, die wir gefunden haben. Wenn wir diese miteinander verbinden... Ja, seht mal, was da rauskommt...“ Und so ging es noch eine ganze Weile weiter, Mitsura malte Striche und Kreuze auf die Erde, bis kein Mensch mehr durchgeblickt hätte. Glücklicherweise waren sie aber keine Menschen und auch Makotoko konnte ihrem Vortrag folgen, wenn man davon absah, dass er dabei fast eingenickt wäre.

„Wir gehen also davon aus, dass Sesshoumaru nach Westen unterwegs war. Aber dann hat er abrupt die Richtung gewechselt und ist nach Norden, zu diesem Heiler gegangen.“ Sie deutete auf einen kleinen Punkt der Surainus improvisiertes Krankenhaus darstellen sollte.

„Ich bezweifle, dass er ursprünglich in diese Richtung wollte. Er hat diesen Bogen wohl nur wegen Anis gemacht, der verrückte Arzt sagte ja, sie sei schwer verletzt gewesen. Wir können also ruhigen Gewissens davon ausgehen, dass er nun wieder auf seine alte Route zurückkehrt.“ Sie machte eine Pause, als erwarte sie Zustimmung. Makotoko beugte sich vor und besah sich die Karte näher, grinste dann noch ein wenig breiter und sagte:

„Aber was ist, wenn Sesshoumaru nur ein dreckiger Herumtreiber ist? Vielleicht behält er diese Richtung einfach bei? Anis kann ihm ja nicht so wichtig sein, wenn er zulässt, dass sie tödlich verletzt wird. Folglich ist es ihm egal, wohin er unterwegs ist.“

„Nein“, meinte Mitsura und hörte sich dabei an, als wolle sie einem kleinen Kind erklären, dass eins plus eins zwei ergibt, „seht euch die Strecke noch einmal genau an. Meint ihr es ist Zufall, dass sie genau an der Grenze der westlichen Länder der Inuyoukai verläuft? Sesshoumaru muss eine Art Krieger oder Soldat sein, der entlang dieser Grenze patrouilliert.“ Ihr Gesprächstpartner ging noch immer nicht auf den ernsten Ton ein und schien alles daran setzen zu wollen, ihre Darstellung zu widerlegen:

„Mitsura, diene Theorie ist genial! Aber sie hat zwei Fehler: Erstens würde ein Soldat nicht zwei Jahre lang einer Frau, selbst wenn sie so hübsch wie Anis ist, hinterher rennen und zweitens sind das überhaupt nicht die Grenzen. Der Westen und der Süden sind ein Reich, das weiß doch jedes Kind.“

„Makotoko, ihr habt wohl euer Gehirn im zwanzigsten Jahrhundert gelassen. In fünfhundert Jahren sind diese Länder vereint, ja, aber in dieser Epoche sind sie noch verfeindet! Die große Schlacht im Jahre 1506 und deren Folgen stehen hier erst kurz bevor! Und das mit dem Krieger, naja, selbst unter denen gibt es Ausnahmen. Wer weiß, vielleicht ist Anis sogar an einen Adligen geraten. In dieser Zeit haben die meisten von ihnen mehr Zeit als Verstand.“

Makotoko hatte ihr nur mit halbem Ohre zugehört, er war zu sehr damit beschäftigt, einen Schmetterling zu beobachten, der sich auf der feuchten Nase seines Hundes niedergelassen hatte.

„Vielleicht irrst du dich auch und Sesshoumaru ist einfach nur ein guter Freund von diesem Heiler? Es wäre doch auch möglich, dass er noch einmal zurückkommt. Vielleicht hat er sogar etwas vergessen. Ich bin dafür, dass einer von uns hier bleibt und auf ihn wartet. Wenn er tatsächlich in deine angegebene Richtung gelaufen ist, könnten wir ihn so einkreisen“, murmelte er gedankenverloren und fragte sich dabei, wie lange dieser Schmetterling wohl noch zu leben hatte.

„Ihr seid ja nur zu faul euch wieder auf die Socken zu machen!“, warf ihm Mitsura beleidigt vor.

„Natürlich nicht!“, protestierte Makotoko nun und ahmte Mitsuras beleidigte Art auf grausame, aber treffende Weise nach. In Gedanken aber zählte er den Countdown runter bis sein Hund, der das Insekt auf seiner Nase bereits lauernd beobachtete, nach diesem schnappen würde.

„Gut, dann habt ihr sicher nichts dagegen wenn ICH hier bleibe, und IHR Sesshoumaru ALLEIN verfolgt!“, schimpfte Mitsura jetzt ziemlich aufgebracht. Fünf, vier, drei, zählte Makotoko.

„Ach, mach doch was du willst...“ Zwei, eins...- RATSCH! Der Schmetterling hing mit zerfetzten Flügeln zwischen den scharfen Reißzähnen des Hundes. Makotoko johlte auf und klatschte begeistert in die Hände, sehr zum Verdruss von Mitsura.

„Schön, wenn ihr euch beruhigt habt könnt ihr ja losgehen“, meinte sie bissig.

„Hä, was ist los?“, fragte Makotoko und guckte die junge Frau an, als hätte er noch nie ein Wesen wie sie gesehen.

„Ihr geht da lang“, sie deutete in die Ferne, „und sucht Sesshoumaru und Anis, während ich hier warte, ob sie zurückkommen.“

„Äh, warte mal, wollen wir das nicht lieber umgeke-“ wollte der Angesprochene protestieren, doch Mitsura schnitt ihm das Wort ab:

„Und das hier“, sie zog das Buch, welches der junge Mann dem nunmehr totem Heiler aus seiner Bibliothek gestohlen hatte, aus seinem Gürtel, „das nehme ich.“

„Wozu das denn?“, fragte Makotoko baff.

„Na weil ich mir ziemlich sicher bin, dass die beiden NICHT hier auftauchen werden und mit einem guten Buch werd ich jetzt versuchen, die übermäßig lange Wartezeit tot zu schlagen, bis ihr mir Sesshoumarus Kopf bringt!“, erwiderte sie giftig.

„Woher willst du wissen, dass das ein gutes Buch ist und kein langweiliges?“, fragte Makotoko grinsend. Doch auch darauf hatte Mitsura eine schlagfertige Antwort parat:

„Das sagt mir mein BAUCHGEFÜHL!“ Und damit streckte sie die Arme aus und schob den Youkai grob zum Rand der Lichtung. Dieser ließ sich nur unter lauten Protesten von ihr zum Waldrand bugsieren, bis sie ihn losließ und demonstrativ in die andere Richtung marschierte. Kurz bevor sie außer Sichtweite war lugte er allerdings noch einmal hinter einem Baum hervor und rief ihr hinterher:

„Übrigens hast du mich mit deinen Berechnungen Richtung Süden geschickt! Wir hätten uns also die ganze Chose sparen und auf meinen Bauch hören sollen.“ Im nächsten Moment musste er einem spitzkantigem Wurfmesser ausweichen, welches mit Lichtgeschwindigkeit Mitsuras Hand verlassen hatte und nun auf sein Gesicht zuraste. Makotoko konnte nur noch knapp ausweichen und die Waffe blieb vibrierend bis zum Heft im dicken Holz einer uralten Eiche stecken. Ein Schauer, der nichts mit der Tatsache zu tun hatte, dass ihm sein Hund gerade wieder ängstlich auf die Schulter gesprungen war und sich dort festhielt, indem er seine Krallen durch die Lederjacke in das Fleisch des Youkais bohrte, lief ihm über den Rücken. Hastig machte er sich aus dem Staub, wodurch er das rote Aufblitzen in Mitsuras Augen nicht mehr wahrnahm. So schnell wie möglich eilte er mit seinem Hund im Federflug davon, seine Füße berührten kaum die obersten Zweige der Bäume. Hoffentlich würde sich das Gewitter, welches sich jetzt sicher bei Mitsura zusammenbraute, bei seiner Rückkehr nicht entladen...
 

Vor Wut kochend wie ein tätiger Vulkan zog Mitsura ihr Messer aus dem Holz und ließ es in eine ihrer dreißig Dutzend Taschen gleiten, in welchen sie auch ihre schier unermessliche Auswahl an Liebestränken verwahrte. Die Jacke allein mit all diesen Gegenständen wog sicher schon das Doppelte ihres eigenen Körpergewichts – für eine Youkai kein Problem.

Nachdem die junge Frau ihre Waffe eingesteckt hatte, warf sie noch einen vernichtenden Blick auf Makotokos Silhouette, die in der Ferne hoch über den Bäumen zu schweben schien und immer kleiner wurde. Langsam verrauchte ihr Zorn und sie bereute es fast schon wieder, ihn so angefahren zu haben. Was, wenn ihm jetzt etwas passieren sollte? So wie sie ihn kannte würde er sofort auf Sesshoumaru losgehen. Was, wenn dieser nun stärker als er selbst war? Sicher, es gab nicht sehr viele, die Makotoko im Kampf gewachsen waren, aber trotzdem. Ihr persönlich wäre es lieber, wenn sie den fremden Youkai alle zusammen angreifen würde. Am besten wäre es natürlich, wenn sie dabei auch Anis und deren Youkaikräfte zur Verfügung hätten. Zusammen mit ihr selbst, Anis und Makotoko wäre es ein leichtes, Sesshoumaru zu töten. Sie könnten sich sogar aus dem Staub machen ohne ihn zu töten, was in den meisten Fällen viel schwieriger war, musste man sich doch auf eine Verfolgung gefasst machen. Aber da Anis' Kräfte immer noch versiegelt waren und Makotoko nun Sesshoumaru allein gegenüberstehen würde, machte sich Mitsura doch schon Sorgen. Schließlich war der Gegner höchstwahrscheinlich ein ausgebildeter Krieger und da im zwanzigsten Jahrhundert nun wirklich nicht sehr viel gekämpft wurde, mochte auch Makotoko etwas eingerostet sein. Die Sache schien einfach noch zu sehr von Zweifeln behaftet zu sein, als das sie noch problemlos gelingen könnte.

Einige Sekunden lang kämpfte Mitsura mit sich und fragte sich, ob sie Makotoko hinter her laufen sollte, entschied sich aber letztendlich dagegen. Mochte ja sein, dass er keinen Erfolg hatte, aber er wusste auch wo seine Grenzen waren. Er würde sich nicht so einfach umbringen lassen. Und wenn er zurück kam, konnten sie es immer noch zu dritt versuchen.

Etwas beruhigt nahm Mitsura das Buch zur Hand, welches sie Makotoko abgenommen hatte und las nun zum ersten Mal aufmerksam den Titel. 'Innere Ruhe'... Was wollte er denn damit? So etwas war doch eher Anis' Geschmack. Ob er es für sie besorgt hatte? Wie auch immer, damit würde sie sich sicher auch ein wenig die Zeit vertreiben können. Die Youkai befestigte das Buch sicher damit es ihr nicht herunter fiel, und hob dann den Kopf. Bald hatte sie einen besonders großen Baum mit weit ausladender Krone ausgemacht, stieß sich vom Boden ab und stand einen Wimpernschlag später auf einem kräftigen Ast. Von hier aus konnte sie dank ihren Augen, die besser waren als die jedes Adlers, gut die kleine Hütte sehen, in der früher einmal der Heiler gelebt hatte... Sollte Sesshoumaru tatsächlich hier auftauchen - und das bezweifelte sie – dann würde sie ihn rechtzeitig bemerken.

Seuftzend setzte sich Mitsura auf den Ast, richtete die umliegenden Zweige so aus, dass man sie von unten nicht sehen konnte und machte es sich bequem. Dann zog sie das Buch wieder hervor, schlug es auf und begann zu lesen...
 

*
 

Die kühle Luft strich angenehm über ihr Fell und trug allerlei interessante Gerüche mit sich, die Arekisu unbedingt erforschen wollte. Doch Anis erlaubte es ihr nicht. Es wurde immer schwieriger, die Hündin davon abzuhalten, zu tun was sie wollte, denn das benötigte viel Konzentration und die hatte Anis im Moment einfach nicht.

Sie befanden sich hoch oben in den Lüften auf Ah-Uhn und Anis hätte sich gerne die Landschaft angesehen, die unter ihnen dahin zog, doch leider hatte sie feststellen müssen, dass Arekisu schlecht davon wurde. Sesshoumaru, der hinter ihnen saß, hielt Anis’ richtigen Körper im Arm und es sah so aus, als würde sie nur schlafen. Es verwunderte sie immer wieder, wie sanft er mit dem Körper umging, als wäre er so zerbrechlich wie hauchdünnes Glas. Als sie noch drin gesteckt hatte, war er nicht so gewesen...

Sesshoumaru sagte nie ein Wort, natürlich nicht. Zu wem hätte er auch sprechen sollen? Zu einem Hund? Zu einem Reitdrachen? Zu einer Scheintoten? Keiner von ihnen hätte ihm antworten können. Doch je länger Anis in Arekisus Körper war, desto unwohler fühlte sie sich in der fremden Haut. Am Anfang war es ja noch ganz lustig gewesen, aber jetzt... Sie machte sich große Sorgen, was, wenn sie gar nicht mehr in ihren alten Körper zurück kehren konnte? Wenn sie für immer ein Hund bleiben musste? Und was hieß hier schon für immer, ein Hund wie Arekisu hatte nicht einmal annähernd die Lebenszeit, wie sie es in ihrem alten Körper gehabt hätte. Allerdings wäre es natürlich möglich, dass ihre Seele wieder in ihre eigene Haut zurück kehren würde, wenn Arekisu starb. So hatte es Anis schon mehrmals gejuckt, sich von Ah-Uhns Rücken in die Tiefe zu stürzen, um diesem Dasein ein Ende zu bereiten und ihr altes Leben wieder zu kriegen. Aber das wäre ihr doch etwas undankbar ihrer Gastgeberin gegenüber erschienen. Es musste doch noch eine andere Möglichkeit geben...!

Der Tag war etwa zur Hälfte um, als Sesshoumaru sich - seit Stunden zum ersten Mal - regte. Er veränderte ihren Kurs leicht und runzelte die Stirn. Bald darauf konnte auch Anis, die nun zum Glück Arekisus Nase hatte, den Geruch wahrnehmen, den Sesshoumaru schon zuvor gerochen hatte: Blut. Menschenblut, ganz eindeutig und das nicht nur von ein paar Wenigen. Doch erst zehn Minuten später kam die Ursache dessen in Sicht und Anis wäre vor Schreck beinahe vom Drachen gefallen.

Dort unten war ein Dorf, ein Menschendorf, und es war vollkommen zerstört. Überall lag Blut, laute Schreie erfüllten die Luft: Es war ein Bild des Grauens. Doch das war es nicht, was Anis so sehr aus der Bahn warf. Sie hatte eine Gestalt dort unten entdeckt und der leichte Geruch, kaum wahrnehmbar, aber für Anis, die so sehr geübt darin gewesen war ihn aufzuspüren, deutlich zu riechen, dieser Duft bestärkte sie noch in ihrer Vermutung. Es roch nach dieser kleinen Blume, Alpenaster genannt, die hier in Asien sicher nicht zu finden war. Und sie kannte nur einen Grund, warum dieser Duft hier zu riechen war. Als sie dann auch noch unweit dieser Person einen großen, gefleckten Hund erkannte, war sie sich vollkommen sicher: Dort unten war Makotoko.

In diesem Moment fand ein regelrechter Vulkanausbruch an Gefühlen in Anis statt. Hätte sie im Augenblick kein schwarzes Fell, dann würde man sehen, dass sie käseweiß geworden war. Sie wusste nicht, was sie jetzt tun sollte. Als erstes wollte sie gleich zu ihm hinunter, wollte ihm um den Hals fallen und ihn am besten nie mehr loslassen, so sehr hatte sie ihn vermisst. Makotoko hatte nach ihr gesucht, er hatte sie vermisst und er war hier, um sie zu holen. Diese Tatsache, die in Makotokos Fall sicher eine Art großer Liebesbeweis darstellte, rührte sie zutiefst, schließlich scherte er sich normalerweise um nicht allzu viele Leute. Aber er war gekommen, er war da, hier, und das machte ihre momentare Lage gleich viel einfacher. Er würde sie auch in dieser Gestalt erkennen, auch wenn sie ein bisschen würde nachhelfen müssen.

Aus reinem Instinkt heraus hätte sich Anis in diesem Momant tatsächlich fast von Ah-Uhn gestürzt, aber sie stoppte noch rechtzeitig. Es wäre unklug, nicht bei dieser Höhe und nicht in dieser Gestalt. Sollte sie auf sich aufmerksam machen? Wegen dem ganzen Blut würde er sie hier oben nicht wahrnehmen können und Sesshoumaru machte natürlich keinerlei Anstalten anzuhalten, geschweige denn zu landen. Gleich würde er wieder außer Sichtweite sein. Aber wenn Makotoko hier her kam und ihren leblosen Körper sah, würde er bestimmt ausrasten und angreifen, dann waren so ziemlich alle in Gefahr. Sesshoumaru würde sicher auch nicht sanft mit ihm umgehen. Zu allem Überfluss konnte Anis auch noch nirgendwo Mitsura sehen, die vielleicht jetzt die Einzige gewesen wäre, die Makotoko hätte stoppen können, wenn sie selbst nicht dazu in der Lage war und das war sie gerade wirklich nicht.

Verzweifelt beugte sich Anis über Ah-Uhns Hals, unbeachtet das Arekisu dabei fast das Essen hoch kam, und starrte nach unten, hatte nur noch Augen für ihn, für Makotoko, den sie so sehr liebte und der sie nicht sehen konnte. Sie durfte ihn nicht rufen, er war zwar sehr stark und hätte sicher auch eine Chance gegen Sesshoumaru gehabt, aber sie befanden sich hoch in der Luft und Anis hatte keine Möglichkeit ihm klar zu machen, dass sie NICHT tot war.

Die Lage war zum verrückt werden und obwohl sich alles in Anis dagegen sträubte, musste sie sich wohl oder übel damit abfinden, dass die blutige Lichtung mit ihm zusammen hinter den Bäumen verschwand, während Ah-Uhn darüber hinweg flog. Nur einen Hoffnungsschimmer gab es noch - Makotoko suchte nach ihr, Mitsura dann sicher auch und die beiden waren schon so weit gekommen: Sicher würde sie sie noch wieder sehen und wenn Sesshoumaru das nächste Mal landete, würde sie sich wenn nötig auch selbst auf die Suche nach ihnen machen. Nichts würde sie davon abhalten; auch nicht Sesshoumaru selbst! Der es aber wahrscheinlich auch gar nicht mitkriegen würde, wer beachtete schon einen einfachen Hund? Anis lächelte, doch in ihrem jetzigen Körper sah es wie ein Zähnefletschen aus. Makotoko würde sie erkennen, da war sie sich sicher. Oder wenigstens einer von ihnen...
 

XxX
 

Ja, nun weiß endlich auch Anis Bescheid, das 'die Rettung' naht. Es gibt nur ein klitzekleines Problem: WILL sie überhaupt gerettet werden?

Aus diesem falschem Körper bestimmt, aber vor Sesshoumaru...?

Ich hoffe das ich die finale Begegnung mit ins nächste kap reingequetscht kriege, denn sonst würde sie ja erst nächstes Jahr kommen, und ehrlich gesagt: Das will ich euch nicht antun.

Übrigens: Ich hab mich für euch extra ins Zeug gelegt, es ist jetzt *auf die Uhr schau* es ist jetzt schon dreiviertel vier und ich wollte das kap unbedingt noch vor der 'Wochenend-Welle' reinstellen (super Begriff, hab ich von _Corchen_ ^^). Ich denke nämlich, mit diesem Kapitel werden wir die zweihunderter-Grenze was die Kommentare betrifft überschreiten, darauf freu ich mcih schon! XD

Zerrissene Seelen

ACHTUNG! AN ALLE LESER DIE WENIG POST BEKOMMEN!

So, das ist erstmal das letzte kap für circa zwei Wochen.

Ich bin über den Ferien im Urlaub, genauer gesagt in Thailand. Wer dieses Kapitel bis zum 23 durchgelesen hat, der kann mir im Kommi auch gerne seine Adresse schicken, dann kriegt er ne Ansichtskarte von mir. _Corchen_ und kittykatty kriegen auch schon eine^^

Aber wie gesagt, am 23 flieg ich los, wenn ihr also ne Karte wollt müsst ihr euch beeilen! ISt nen bisschen kurzfristig, ich weiß, aber ich hat das kap erst jetzt ferig...
 

So, und nun zum heutigen Kapitel. Es wird noch mal richtig romantisch, ich war wieder in Stimmung und hab auch öfters Sesshoumarus Gedanken mit rein gebracht. Tja und dann... dann geschieht das achte Weltwunder.... naja, und Mitsura trifft auch noch kurz am Ende auf Sessy, aber (und ich verfluche mich dafür) Makotoko schafft es nicht mehr in dieses kap.
 

XxX
 

Sesshoumaru war sehr nachdenklich. Den ganzen Weg über hatte er versucht, sich auf den Flug zu konzentrieren, aber es hatte ihm nicht recht gelingen wollen. Der Schmerz und die Trauer drohten ihn innerlich zu zerreißen und nichts vermochte ihn davon abzulenken.

Als sie an dem zerstörtem Dorf vorbeigekommen waren, hatte Sesshoumaru unwillkürlich das Tempo erhöht. Er wollte jetzt kein Blut sehen. Blut erinnerte ihn wieder an Tod und Tod... Nein, daran wollte er nicht denken. Noch gab es Hoffnung für ihn, für Anis. Noch hielt er es für möglich, dass Anis nicht tot war, sondern ihre Leblosigkeit einfach eine Nachwirkung der Behandlung war. Zudem gab es da einen Fakt, der ihn darin noch unterstützt hatte: Es war schon fast drei Tage her, seit Anis zusammengebrochen war und abgesehen davon, dass sie sich eiskalt anfühlte, hatte sie sich nicht verändert. Bei jedem normalem Toten hätte schon die Leichenstarre, vielleicht sogar die Verwesung eingesetzt; ob nun Mensch oder Youkai. Doch Anis’ Haut war noch genauso weich wie eh und je. Ihr blumiger Duft noch immer so unergründlich.

Noch gab es Hoffnung für sie. Das bildete er sich jedenfalls ein. Sie konnte nicht von ihm gegangen sein. Sie durfte nicht.

So in Gedanken versunken hatte er Arekisus merkwürdiges Verhalten erst bemerkt, als diese fast vom Drachen stürzte. Widerwillig hatte Sesshoumaru seinen Blick nach unten, auf das blutüberströmte Menschendorf gelenkt. Er konnte die Ursache all dieser Toten nirgendwo ausmachen, sie schienen einfach alle reihenweise ihre Köpfe zu verlieren. Doch nach einer Weile des genaueren Hinsehens bemerkte Sesshoumaru eine einzelne Gestalt mit einem Hund an der Seite; die einzige Person die munter zwischen den anderen hin und her zu laufen schien, während diese krepierten. Jedoch konnte er keinerlei dämonische Aura wahrnehmen und das viele Blut verdeckte jeden Geruch. Weitaus merkwürdiger fand er aber, dass der Anblick dieser Person die Hündin vollkommen aus der Bahn zu werfen schien. Das konnte er sich beim besten Willen nicht erklären.

Aber er dachte auch nicht weiter darüber nach, denn in diesem Moment verschwand das Dorf hinter den Bäumen und die Landschaft setzte sich wie gewohnt fort.
 

Der Blutgeruch des Menschendorfes war noch nicht einmal ganz verklungen, als diese rote Flüssigkeit schon wieder zu riechen war. Diesmal aber stammte dieses Blut von Dämonen, da war sich Sesshoumaru sicher. Zudem war es wohl auch schon ein paar Tage alt, denn er konnte den Anfang von Fäulnis und Verwesung wahrnehmen. Dieser Umstand brachte Sesshoumaru fast zum Verzweifeln, denn sie hatten die Gebirgskette nun überquert die Surainus kleines Reich von der übrigen Welt abschnitt.

So wusste er es praktisch schon lange bevor er es sah: Dutzende Leichen lagen auf dem Rasen und die Tür zu der kleinen, unscheinbaren Hütte war eingetreten. Dahinter konnte man in einen weitläufigen Raum sehen, von dem einige Türen wegführten. Von außen wäre man nie auf die Idee gekommen, dass dort so viele Zimmer rein passten. Aber dieser Zauber beeindruckte Sesshoumaru diesmal überhaupt nicht. Seine Aufmerksamkeit galt den gut dreißig geflügelten Dämonen, die sich überall im Eingangssaal und vor dem Gebäude tummelten. Geieryoukai, die sich an den Leichen satt fraßen.

Sesshoumaru ließ nur einmal kurz seine Lichtpeitsche hervor schnellen, die mehrere Dämonen auf einmal enthauptete. Die Anderen suchten daraufhin schleunigst das Weite und der Daiyoukai betrat, Anis bei Arekisu und Ah-Uhn zurücklassend, das Haus.

Innen erwartete ihn noch mehr Blut, noch mehr tote Dämonen und Youkai, die er selbst aus dem Weg schaffen musste, Aasfresser, die sich hier an dem Fleisch der Gefallenen gütlich taten. Es war einfach nur widerlich und müsste Sesshoumaru nicht dringend mit Surainu sprechen, hätte er nie einen Fuß über die Schwelle gesetzt.

Dummerweise musste der Inuyoukai feststellen, dass der Heiler auch nicht viel besser aussah als seine Gefolgschaft. Sein Kopf, der am anderen Ende des Raumes lag, war mit einem leicht grünen Film überzogen, über die offene Wunde am abgetrennten Hals krochen einige eklige weiße Maden und als Sesshoumaru näher trat, flatterten hektisch einige überdimensionale dämonische Krähen von der Leiche auf. Der alte Youkai war bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt und noch bevor Sesshoumaru die Hand an Tensaigas Griff legte, wusste er, dass es keinen Sinn hatte. Die Boten des Jenseits hatten seine Seele wohl schon fort getragen, keiner von ihnen war mehr zu sehen und ohnehin hätte er in diesem Körper keine Gelegenheit mehr dazu gehabt, ihm seine Fragen zu beantworten.
 

Mit Surainu war Sesshoumarus letzte Hoffnung gestorben, Anis könnte jemals wieder die Augen öffnen. Als er aus der Hütte heraus trat, fühlte er sich vollkommen leer, als hätte ein besonders hungriger Vampir ihn ausgesogen. Abwesend griff er nach Ah-Uhns Zügeln und führte den Drachen außer Sichtweite des grausigen Festschmauses der Geieryoukai, auch wenn er den Gestank nicht ganz verdrängen konnte.

Langsam hob er Anis' leblosen Körper vom Drachen und legte sie auf der feuchten Erde nieder.

Und als er ihr ins Gesicht sah, die geschlossenen Augen erblickte und als ihm diese unheimlich Gewissheit, dass sie nie wieder zu ihm sprechen würde, erst richtig klar wurde, da war es, als würde etwas in ihm zerbrechen. Tausend spitze Glassplitter schienen sich in seiner Brust eingenistet zu haben und seine Beine mochten ihn nicht mehr tragen, sodass er sich auf einem Fels neben Anis niederlassen musste. Er nahm nicht einmal mehr wahr, dass Arekisu sich mit leise trippelnden Schritten entfernte, er nahm gar nichts mehr wahr. Er fühlte sich so schwach wie nie zuvor und seine Hand zitterte, als er mit ihr einige widerspenstige schwarze Haarstränen aus Anis’ Gesicht wischte.

„Es tut mir Leid...”, flüsterte er erstickt und meinte es wörtlich. Er hatte Anis nicht beschützen können, er hatte sie nur einmal zu oft aus den Augen gelassen und dann das...
 

*
 

Mitsura war gerade auf Seite zwehundertsiebenundachtzig in dem Kapitel ‘Selbstfindung’, als ihr der unverwechselbare Geruch eines Hundedämons in die Nase stieg. Der Wind blies aus einer ungünstigen Richtung, so dass sie ihn erst bemerkt hatte, als er mit seinem Reittrachen die Bergkette schon fast überquert hatte. Alarmiert klappte Mitsura das Buch zu und steckte es ein. Sofort holte sie einmal tief Atem und analysierte die einzelnen Gerüche. Ja, da war ein Inuyoukai, vermutlich Sesshoumaru. Dabei war auch ein niederer Drachendämon, den sie von ihrer Position aus bereits sehen konnte und ein scheinbar normaler Hund, auch wenn sie sich fragte, was der wohl bei dieser bunt zusammen gewürfelten Gruppe zu tun hatte. Und da war noch etwas... Ja, nur ganz schwach und man musste wohl auch wissen, wonach man suchte, aber da war tatsächlich ein Hauch von Lavendelduft wahrzunehmen.

Mitsuras Herz machte einen kleinen Hüpfer. Gleich würde sie - nach zwei endlos erscheinenden Jahren - ihre geliebte Schwester wieder sehen...!

Vorsichtig, um ja kein Geräusch zu machen, sprang die Youkai von ihrem Ast herunter und landete leichtfüßig auf dem Boden. Kaum hatten ihre Füße diesen berührt, da zückte sie auch schon zwei scharfe Wurfmesser, prüfte noch einmal den Wind, sorgte dafür, dass ihre Aura auch wirklcih vollständig verdeckt war und duckte sich dann hinter ein dichtes Gebüsch.

Wachsam beobachtete sie die Gestalt des Drachens. Langsam sank dieser tiefer und landete schließlich nicht weit von der morschen Hütte entfernt. Mitsura versuchte, einen Blcik auf ihre Schwester zu erhaschen, doch der großgewachsene Inuyoukai, der einen weißen Haori und eine schwarze Rüstung trug und dessen lange weiße Haare im Wind wehten, verdeckten ihr die Sicht. Doch zum Glcük entfernte er sich nach einer Weile von dem Reitdrachen und schritt nun auf die Hütte zu. Kaum war er darin verschwunden kam Mitsura aus ihrem Versteck heraus und rannte rasch zu dem Drachen. Dieser schnaubte und wich zurück, doch sie war ohnehin nicht an ihm interessiert. Ihre Augen waren starr auf die Gestalt auf Ah-Uhns Rücken gerichtet. Es war Anis, doch so wie es aussah, war kein Leben mehr in ihr.

„Anis?!”, flüsterte sie halb entsetzt, halb fassungslos. Mitsura schwankte zwischen Verwirrung, Enttäuschung, Unglauben und schierer Panik, doch bevor sie auch nur einen Finger hätte rühren können, landete etwas großes, haariges auf ihrer Brust und warf sie zu Boden. Mitsura unterdrückte einen Aufschrei und zerrte das Ding von sich runter, doch es stürzte sich gleich wieder auf sie. Es dauerte verhältnismäßig lange, bis die Youkai erkannte, dass es wohl Sesshoumarus Hund war, der sie hier angriff. Jedoch schien er sie nicht wirklich verletzten zu wollen. Jedenfalls versuchte das Tier nicht, seine Zähne oder Krallen in ihren Hals zu rammen oder ähnliches. Im Gegenteil, jetzt schmiegte der Hund seinen Kopf wie eine zutrauliche Katze an ihrem Arm und wollte ganz offensichtlich gestreichelt werden.

Ganz verdattert setzte sich Mitsura auf und strich dem Tier ein paar mal zaghaft über das rabenschwarze Fell, was diesem offenbar sehr zu gefallen schien.

„Was bist du denn für ein komischer Kauz?”, fragte Mitsura lächelnd und vergaß für einen Moment ihre Schwester.

Der Hund - bei genauerem Hinsehen erkannte sie, dass es eine Hündin war - schmiegte sich noch doller an sie, schob den Kopf unter ihre Hand und ließ sich von ihr kraulen.

Doch ein jähes Geräusch störte die friedliche Stille. Es war noch etwas entfernt doch Mitsura war sich sicher: Sesshoumaru kam zurück. Hastig stieß die Youkai die Hündin von ihrem Schoß, sprang auf und warf noch einen letzten Blick auf Anis. Aber sie konnte jetzt nichts machen, das musste sie einsehen.

Mit einem gewagtem Hechtsprung bezog sie hinter einem Vogelbeerbaum Stellung, welcher sie durch Unkraut und anderes Dickicht gut abschirmte. Als der weißhaarige Inuyoukai den Drachen erreichte, blieb ihr fast das Herz stehen, noch immer zitterten einige Blätter an ihrer Deckung. Doch Sesshoumaru war anscheinend zu sehr in Gedanken versunken, er widmete sich sofort Anis, hob sie vom Drachen und legte sie behutsam auf den Boden.

Blanker Hass durchströmte Mitsura wie eines ihrer paar hundert verschiedener Gifte. Dieser ausgeblasene Schneemann mit der absolut unterkühlten Miene sollte nur seine schmutzigen Hände von ihrer Schwester lassen! Was hat er dir nur angetan, Anis?, fragte sie sich traurig.

Doch Sesshoumaru war nicht der Einzige, der gerade nicht auf seine Umgebung achtete. So war Mitsura ziemlich überrascht, als sie auf einmal ein heftiges Zerren an ihrem Hosenbein spürte. Sie sah verdutzt nach unten, ein wenig verärgert, weil man sie aus ihren Gedanken gerissen hatte. Konnte man sich nicht mal eine Sekunde lang darauf konzentrieren, jemanden so richtig hemmungslos zu hassen?! Doch ihr Zorn schwand schnell wieder, als sie die schwarze Hündin erkannte. Ungeduldig zerrte sie an dem Stoff. Mitsura kannte sich aus mit Hunden und wusste sehr wohl, dass das eine ausdrücklicher Aufforderung war, dem Tier zu folgen. Einerseits war sie natürlich eine Youkai, ließ sich also von einem Tier nichts sagen und hatte auch gerade andere Dinge im Kopf. Andererseits hätte es ein stinknormaler Hund nie gewagt, an ihrem Hosenbein zu ziehen, wenn er nicht entweder sehr vertraut mit ihr, oder aber sein Grund sehr wichtig war. Vorausgesetzt er war allgemein nicht lebensmüde...

Noch einmal warf sie einen Blick auf ihre Schwester, und die Hündin zerrte noch heftiger. Sollte sie etwa etwas mit Anis zu tun haben? In diesem Fall wäre es wahrscheinlich tatsächlich besser, sie würde ihr folgen...

Wie auch immer, Mitsura war gerade machtlos und wollte auch keinen direkten Angriff starten, weil Anis immer noch bei diesem Meuchelmörder war. Also ließ sie sich unter höchsten Vorsichtsmaßnahmen, damit kein eisgekühlter gemeingefährlicher Youkai sie bemerkte, von ihr abführen...
 

Sesshoumaru war es, als hätten sich alle seine Sinne abgeschalten. Alle Geräusche drangen wie aus weiter Ferne zu ihm und schienen ihm Illusionen vorspielen zu wollen. Ein Knacken eines Zweiges, als wäre jemand gestolpert. Ein Rauschen des Windes, als würde ihm jemand leise Worte ins Ohr flüstern. Ein Rascheln hinter dem nächsten Baum, als wollte sich jemand davonschleichen. Und immer wieder Schmerz, so viel davon, schlimmer als er es je gespürt hatte. Mit zitternden Händen bettete er Anis’ Kopf auf seinen Schoß und fuhr ihr durch das seidenweiche Haar. Ihre Haut war kalt, so kalt. Ihre geschlossenen Augen mit den langen, geschwungenen Wimpern wirkten fast schon friedlich.

„Ich vermisse dich so, Anis...”, murmelte er kaum hörbar. Er würde nie mehr mit ihr sprechen können, nie mehr ihre Stimme hören...

Ein Hauch von Verstand drängte sich in seine Gedanken, riet ihm von ihr abzulassen, ihre Leiche zu vergraben oder zu verbrennen, um Abschied nehmen zu können. Doch das wollte er nicht. Noch nicht. Es war noch zu früh. Es wäre fast, als würde er sie damit selbst umbringen.

„Wieso hast du das nur getan...?” Seine Worte waren voller Verzweiflung, er schämte sich nicht dafür. Es war ja niemand hier und es wäre ihm nur recht, wenn Anis ihn hören könnte, wenn sie ihm antworten könnte, wenn sie endlich aufwachen würde...

„Ich liebe dich”, wisperte er leise und doch hallte jedes Wort so laut in seinem Kopf wider, als hätte er es in die Welt hinaus geschrien. Es tat gut, die Worte endlich auszusprechen, auch wenn sie keine Bedeutung mehr zu haben schienen, weil niemand mehr da war, der sie hätte vernehmen können. Er hatte sie verloren, seine große Liebe und er wusste, dass sie niemals durch irgendjemand anderen zu ersetzten wäre.

„Ich liebe dich! Wieso musstest du mein Herz so zerreißen? Dieses Herz, das sich so sehr nach dir sehnt?” Immer verzweifelter wurde seine Stimme und er musste sich zusammenreißen, um seinen Schmerz nicht laut heraus zu schreien.

Erschrocken spürte er, wie seine Augen feucht wurden, wie etwas heißes aus ihnen herauskam und über seine Wange glitt. Ein winziger Tropfen fiel herab und benetzte Anis’ zartes Antlitz.

Es war das erste mal in seinem Leben, dass Sesshoumaru weinte. Nicht einmal als Kleinkind oder Baby hatte er das getan, auch nicht, als sein Vater gestorben war. Er war selbst überrascht darüber und blinzelte rasch, um die Tränen zurückzuhalten. Bald schon hatte er sich wieder unter Kontrolle, doch dieses Gefühl blieb, dieses tief verankerte Gefühl, etwas Geliebtes für immer verloren zu haben.
 

*
 

Kaum waren sie außer Hör- und Sichtweite, da ließ sich Mitsura entkräftet auf den nächsten Baumstumpf nieder. Sie hatte jetzt wirklich keine Lust auf irgendwelche hündische Spielereien und es gab auch wirklich Wichtigeres. Zum Beispiel musste sie noch Makotoko umbringen, dafür, dass ihm der so lange gesuchte Feind durch die Lappen gegangen war. Doch die Hündin war offensichtlich der Meinung, das hätte noch Zeit, denn sie turnte vor ihr herum und machte die ulkigsten Kunststücke, als wolle sie irgendetwas pantomimisch darstellen. Wirklich aufmerksam wurde Mitsura erst, als das Tier sich mit den Zähnen einen Stock griff und offenbar versuchte, eine Nachricht mit Hilfe von Schriftzeichen in den Sand zu zeichnen. Ein Tier, das so etwas tat, oder überhaupt intelligent genug war, auf solch eine Idee zu kommen, war gewiss nicht normal.

Leider waren die Buchstaben im Sand sehr unleserlich, als Hund ließ es sich eben schlecht schreiben. Das Tier hörte auch bald auf damit, doch der Grund schien ein anderer zu sein. Die Hündin war regelrecht erstarrt. Ihre Augen schienen sich zu weiten und es war, als würde sie über etwas sehr erstaunt sein.

Dann - ohne Vorwarnung - sprang sie auf Mitsura zu und drückte sie mit ihren Pfoten erneut zu Boden. Zwar hätte die Youkai sich leicht befreien können, aber dieses Geschöpf hatte etwas seltsam vertrautes an sich und so ließ sie es gewähren. Das Tier aber hatte sich jetzt in ihre Jacke verbissen und zog und zerrte wie verrückt daran. Aus einer ihrer Taschen, die die Hündin in Fetzen riss, fiel das Buch heraus, welches Mitsura noch kurz zuvor gelesen hatte. Sofort ließ ihre neue vierbeinige Bekanntschaft von den Überresten der Jacke ab und stürzte sich auf das Buch. Mitsura, die nun genauso angefressen aussah, wie sie sich fühlte, wollte das Buch gerade wieder einstecken, doch der Hund hinderte sie daran. Nun fuhr er mit den Tatzen ungeschickt über den Buchrücken und schaffte es tatsächlich irgendwie, diesen aufzuklappen. Als nächstes versuchte er, die Seiten umzublättern, doch es blieb bei einem kläglich scheiternden Versuch. Mitsura wäre fast ein Lachen entfahren, das Ganze sah einfach zu komisch aus. Doch sie hatte nun auch endlich begriffen, was die Hündin wollte.

Lächelnd setzte die Youkai sich vor das Buch und fing langsam an, Seite für Seite umzublättern. Die Augen des Hundes huschten flink über das Pergament und Mitsura war sich sicher, dass sie die geschriebenen Worte verstand.

Nach etwa fünf Minuten waren sie in der Mitte des Buches angekommen. Die junge Frau fragte sich mittlerweile, ob sie den Verstand verloren hatte, das sie hier mit einem Hund saß und ihm half, die Buchseiten umzublättern, während doch ihre Schwester...

Eine samtig weiche Pfote drückte sanft auf Mitsuras Hand und hinderte sie daran, die nächste Seite aufzuschlagen. Die Hündin schien den Text zu überfliegen, stupste die Youkai dann sanft mit ihrer Nase an und bedeutete ihr unmissverständlich, ebenfalls zu lesen. Mitsura tat es und runzelte dabei die Stirn. Es ging im großen und ganzen um eine Art Telepathie mit niederen Lebensformen wie Tieren. Wie... Hunden! Mitsura las nun aufmerksamer die Anleitung durch, wie man einen Kreis aus Blut ziehen musste und dann eine Art Bannspruch von sich gab.

Mit zusammengekniffenen Augen musterte sie erneut die Hündin. War es möglich, dass Anis dies mit ihr gemacht hatte, aber dabei etwas schief gegangen war? Immerhin hatte sie Makotoko zufolge lange Zeit bei dem Heiler und - wie sie ihre Schwester kannte - sicher auch in dessen Bibliothek zugebracht.

Noch einmal warf Mitsura einen Blick auf das Buch vor ihr. Erst jetzt fielen ihr die winzigen Buchstaben am Ende der Seite auf. Nur ihren äußerst scharfen Augen hatte sie es zu verdanken, dass sie den Text überhaupt lesen konnte.

Noch während sie las, fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Ungläubig starrte sie auf die Hündin vor sich.

„Anis?!”, flüsterte sie leise, geschockt. Das Tier ruckte heftig mit dem Kopf auf und ab, was Mitsura als Nicken deutete. Fassungslos starrte sie das Geschöpf an, in dem ihre Schwester festsaß. Dann machte sich Erleichterung in ihr breit. Anis war nicht tot, sie hatte nur... einen unglücklichen Unfall erleiden müssen.

Plötzlich grinste Mitsura und sah dabei Makotoko auf unheimliche Weise ähnlich.

„Wenn du das nächste mal mit Magie herumspielst, dann tu uns allen einen Gefallen und ließ vorher das Kleingedruckte...! Du hast wirklich Glück, dass hier eine Anleitung zur Rückverwandlung steht.”

Mitsura fuhr mit dem Finger bis zum Ende der Seite. Die Hündin rückte näher an ihre Seite und dann begann die Youkai laut zu lesen:
 

Bei eben erläutertem Zauber ist es vielleicht nötig, einige Hinweise zu geben:

Sollte der Spruch nicht korrekt ausgesprochen werden, das betreffende Tier den Blutkreis zu früh verlassen oder andere Fehler auftreten, kann es passieren, dass die Gedanken des Tieres sich entweder nicht mit ihnen verbinden können, oder aber, dass diese Verbindung zu stark ist. In diesem Fall ist es möglich, dass durch das magisch geknüpfte Band die Seele des Meditierenden in den Körper des Tieres gezogen wird und dort zusammen mit der tierischen Seele gefangen ist. Sollte dieser - höchst bedauerliche - Fall in Kraft treten, müssen sie eine dritte Person kontaktieren. Sie müssten den Körper des Tieres soweit beherrschen können. Treten sie nun zusammen mit der dritten Person in einen zuvor vorbereiteten Kreis (Blut der dritten Person, von Wunde durch Silbermesser s.o.), ihr normaler Körper darf allerdings nicht darin verbleiben!

Diese Person muss nun die oben genannten Worte rückwärts aufsagen und sich dabei auf den Wunsch konzentrieren, die beiden Seelen zu trennen und in ihren richtigen Körper zu befördern.
 

Schwungvoll legte Mitsura das Buch bei Seite und sah die Hündin voller Tatendrang an.

„So, na dann wollen wir mal, was?” , rief sie glücklich, „Es wäre doch gelacht, wenn ich zwischen all meinen Messern kein silbernes finden würde!”
 

*
 

Sesshoumaru stand einfach nur da, die Hand am Schwertgriff und rang mit sich. Er hatte beschlossen, Anis zu begraben, schließlich konnte er nicht ewig neben ihrem toten Körper sitzen und vor sich hin trauern, auch wenn er das gern getan hätte. Dennoch stand er jetzt schon geschlagene fünf Minuten mit dem Rücken zu Anis und konnte sich einfach nicht dazu durchringen, eine von Tokjins Energiewellen in den Boden zu jagen, um ihr so ein Grab zu bereiten. Er konnte es einfach nicht. Er war noch nicht bereit dafür.

Abrupt drehte er sich um und ging zu seiner Geliebten zurück. Er hatte ihr aus Decken und Fellen - aus denen normalerweise Ah-Uhns Sattel bestand - ein Lager bereitet, sodass er fast auf gleicher Augenhöhe war, als er sich nun neben sie setzte.

„Ich kann das nicht...”, murmelte er. Wie oft hatte er so etwas schon gesagt? Eigentlich noch nie. Er konnte doch normalerweise immer alles und wenn nicht, gab er es nicht zu.

„Wieso machst du es mir so schwer...?” Zärtlich strich er ihr über die Wange. Die Liebe zu ihr schien ihn zu durchströmen, breitete sich als eine beruhigende Welle der Wärme über ihn aus. Langsam beugte er sich zu ihr herab, kam ihrem Gesicht immer näher und wagte dann endlich das, was er sich bisher nicht einmal in seinen kühnsten Träumen zu wünschen gewagt hatte.

Als seine Lippen von den ihren abließen, hatte er das Gefühl, als wäre ihm eine große Last von den Schultern genommen worden. Minutenlang saß er einfach nur neben ihr und genoss dieses Gefühl, denn er war sich sicher, es zum letzten mal zu spüren. Er schien keine Kraft mehr in den Beinen zu haben und im Grunde wollte er auch gar nicht aufstehen. Er wollte nur hier sitzen und Anis ins Gesicht sehen, die letzten Augenblicke genießen, bevor er sie gehen lassen musste...
 

*
 

„Okay.... Der Kreis ist fertig. Los, komm her und bring das Buch mit”, befahl Mitsura, die bereits in einem kleinen, rot umrandeten Kreis stand. Aus einem kleinem, bereits wieder verheilendem Schnitt an ihrem Handgelenk tropfte Blut.

Im nächsten Moment stand die Hündin mit dem Buch in der Schnautze vor ihr und wedelte vergnügt mit dem Schwanz. Die Youkai nahm das Buch, schlug die passende Seite auf und stöhnte.

„Ach Gott, wie soll man denn DAS rückwärts lesen?! Das könnte ich ja nicht mal vorwärts... Scheiße, was ist, wenn ich was falsch ausspreche? Ich hab keinen Bock, auf einmal in deinem Körper zu landen oder so... Was soll denn das heißen, „Ihci Ururiu eniad irgendwas? Oder muss man ganz von hinten anfangen? Ach, was solls, ich fang einfach mal an. Mehr als schief gehen kann es auch nicht”, meinte sie nicht sehr ermutigend. Sie prüfte noch einmal, ob sie und der Hund auch wirklich innerhalb des Kreises standen, und dann versuchte sie ihr Glück...

„Uneknedij eniustem ured ihci erufabnufo ureufed Ihcusuatusua umi.Uneser Uneknedij eniad Ururiu ihci.”

Nichts passierte.

„Anis? Bist du es? Einfach nicken, wenn ja, okay?”, fragte Mitsura und beugte sich zu dem Hund herab. Dieser kniff den Schwanz ein und knurrte. Für Mitsura allerdings war das ein gutes Zeichen.

„Hm, dann scheint es geklappt zu haben...”, murmelte sie, „Ich werd mal nach deinem Körper sehen... Eh... Warum red ich mit einem Hund, sie kann mich doch jetzt nicht mehr verstehen...?” Kopfschüttelnd wandte sie sich um. Es wurde Zeit, dass sie wieder unter ihresgleichen kam.
 

*
 

Anis glaubte, sie müsse sich übergeben. Kaum hatte Mitsura das letzte Wort ausgesprochen, fühlte sie sich, als wäre sie in einer Rakete oder so, im freien Fall - schwerelos. Eine Sekunde später jedoch konnte sie sich selbst wieder spüren. Das erste was sie fühlte, war Kälte. Der Herbst schien sich mit aller Kraft bemerkbar machen zu wollen.

Voller Erwartung ob das mit dem Seelen zurück tauschen auch wirklich geklappt hatte, öffnete sie die Augen - und erlitt sofort den nächsten Schock.

Sie blickte genau in Sesshoumaru Gesicht, die goldenen Augen weiteten sich und der Inuyoukai sah mindestens genau so fassungslos aus, wie Anis sich fühlte. Beide sprachen gleichzeitig den Namen des Anderen aus, Anis setzte sich auf und Sesshoumaru wich ein Stück zurück.

„Anis, du.... Du lebst! Was... Was hat das zu bedeuten?!”, fragte Sesshoumaru und die junge Frau war sich sicher ihn noch nie so verwirrt, ja geradezu aufgelöst erlebt zu haben.

„Ich... Ich wollte einen Zauberspruch ausprobieren, den ich in einem von Surainus Büchern gefunden habe und dann... Irgendwas ist schief gegangen. Ich wollte eigentlich mit Arekisu sprechen, aber stattdessen war ich auf einmal IN ihr und... Ach, ich weiß auch nicht, es war alles sehr seltsam und dann hab ich mich selbst gesehen und-” All das sprudelte in einem atemberaubendem Tempo aus ihr heraus, so lange hatte sie nicht sprechen können, doch Sesshoumaru stoppte ihren Redeschwall indem er ihr langsam einen Finger auf den Mund legte.

„Beruhige dich, Anis. Jetzt ist alles wieder gut...”, sagte er, aber es klang eher, als wolle er sich selbst beruhigen.

Langsam hob Anis ihre eigene Hand, Sesshoumaru nicht aus den Augen lassend und berührte zaghaft seine Finger, die noch immer auf ihrem Gesicht ruhten. Ein Gefühl der Erleichterung machte sich in ihr breit. Hier fühlte sie sich sicher, geborgen, und es tat so verdammt gut, wieder Sesshoumarus Stimme zu hören. Obwohl sie immer bei ihm gewesen war, war es so schön, auch endlich wieder von ihm gesehen zu werden.

Sesshoumarus Hand zuckte bei der Berührung zurück, doch mehr aus reinem Instinkt hielt Anis sie fest. Ihre Finger griffen ineinander und beide fühlten sich wie in einer Trance versunken. Anis spürte Sesshoumarus Haut an ihrer eigenen. Es war ein seltsames Gefühl. Obwohl sie so viele Wochen miteinander gereist waren, hatte sie ihn doch nie wirklich berührt, nicht auf diese... Weise. Noch immer in den wunderbaren Augen ihres Gegenübers versunken, versuchte sich Anis daran zu erinnern, wer er war, das dies nicht sein durfte, das Sesshoumaru es nicht wollte, nicht so, wie sie es wollte. Aber was wollte sie eigentlich?

Doch bald schon strömten neue, viel intensivere Gefühle auf sie ein, als Sesshoumaru seinen Griff auf einmal verstärkte und sie mit einem Ruck an sich zog. Anis war unfähig sich zu bewegen, er hatte sie fest in die Arme geschlossen und drückte sie sich an seine Brust. Er vergrub das Gesicht in ihren Haaren und sie spürte seinen heißen Atem im Nacken. Sie waren sich noch nie so nah gewesen, nicht seelisch. Anis konnte ihn regelrecht fühlen, spürte sein Herz heftig schlagen, noch schneller sogar als ihr eigenes.

Eigentlich durfte dies gar nicht geschehen und doch konnte Anis nicht umhin einzusehen, dass es sich richtig anfühlte. Hierhin gehörte sie, hierhin, in Sesshoumarus Arme, und nirgendwo sonst hin.

„Ich habe dich so vermisst...!”, flüsterte Sesshoumaru leise, doch jedes seiner Worte brannte sich in ihr Gedächtnis ein. Sie hatte ihn auch vermisst. Ihn und... diese Geborgenheit, diese Zärtlichkeit, diesen Schutz diese... diese Liebe... So sehr hatte sie es vermisst, hatte sich danach gesehnt, ohne es wirklich bemerkt zu haben. Aber Liebe? Konnte es wirklich sein, dass Sesshoumaru sie liebte? Ihr Herz schlug bei diesem Gedanken noch höher.

Der Youkai ließ sie wieder los, doch Anis wünschte, seine Umarmung hätte ewig angehalten. Doch nun konnte sie wieder in seine Augen sehen, die ohne eine Spur der grausamen Kälte waren. Da war so viel, Erleichterung, Glück, vielleicht ein wenig Scham, weil er offen seine Gefühle zeigte, aber nirgendwo eine schlechte Empfindung. Und sie wusste die Antwort, ja, er liebte sie wirklich. Und sie war froh darüber. So verdammt froh.

„Ich war immer bei dir, Sesshoumaru. Ich werde immer irgendwie bei dir sein”, flüsterte sie und wusste, dass es wahr war. Selbst wenn sie tatsächlich einmal nicht mehr bei ihm sein würde, wenn er sie wirklich liebte, dann würde er sie nie vergessen und eine Person verschwand erst dann vollkommen, wenn man sie vergaß.

„Ja...”, wisperte Sesshoumaru leise und ehe Anis es sich versah, hatte er sie wieder in die Arme geschlossen. „Du bist immer bei mir... Dafür werd ich schon sorgen.”

Anis lächelte in sich hinein, als sie das hörte. Es war wie ein Beweis, dass dies auch wirklich Sesshoumaru war. Er wollte immer alles alleine machen...

Ein jähes Geräusch riss die beiden aus ihren Gedanken. Ein kurzes Surren war zu hören und einige Hundertstelsekunden später stecke in einem Baumstamm direkt hinter den beiden - nur wenige Zentimeter von ihren Köpften entfernt - ein metallenes Messer, das im Sonnenlicht schimmerte.

Die beiden führen jäh auseinander und wirbelten herum.

Am anderen Ende der Lichtung stand Mitsura, an ihrer Seite Arekisu. Schon zückte sie zwei neue Wurfmesser.

„Wage es ja nicht noch einmal, meine Schwester zu bedrohen, du räudiger Köter!”, zischte die Youkai voller Hass in Sesshoumarus Richtung.
 

Anis kämpfte mit gemischten Gefühlen. Einerseits war sie fast schon amüsiert, wie sehr Mitsura Sesshoumarus... eh... Haltung ihr gegenüber wohl fehl eingeschätzt hatte, andererseits schämte sie sich jetzt auch ein bisschen und fühlte sich fast so, als wäre sie bei etwas Verbotenem ertappt worden. Gleichzeitig hatte sie wohl auch allen Grund, sich Sorgen zu machen, Mitsura ließ gerade ihre sonst so gut verborgene dämonische Aura aufflammen und es war unmissverständlich, dass sie auf einen Kampf hinaus war. Wer von den beiden - Sesshoumaru oder Mitsura - den größeren Schaden davon tragen würde, war sicher eine interessante Frage, aber Anis wollte sie gewiss nicht beantwortete haben.

„Mitsura, du verstehst das falsch...!”, startete sie einen verzweifelten Versuch einen Streit, oder eher den dritten Weltkrieg, im Keim zu ersticken, doch unglücklicherweise war es ausgerechnet Sesshoumaru, der als erstes auf die Idee kam, sie zu unterbrechen:

„Anis, du kennst diese Person? Dann schick sie lieber weg, oder ICH werde gezwungen sein, das zu tun...” Er hatte seine eisige Maske wieder aufgesetzt und von der eben noch da gewesenen Stimmung schien nichts mehr übrig geblieben zu sein. Schade...

„Das ist Mitsura, meine Schwester, sie hat mir geholfen in meinen...Körper zurück zu kehren. Wir haben uns lange nicht gesehen und sie wollte mich nur mal besuchen...”, flüsterte Anis und sah Mitsura dabei eindringlich an, um ihr zu bedeuten. jetzt ja kein falsches Wort zu sagen.

„Ha, gib dir keine Mühe, Anis. Makotoko ist in zwei Minuten hier, ich kann ihn bereits riechen, wir alle zusammen werden es locker schaffen, deinen Entführer zu erlegen. Du brauchst nicht mehr zu schauspielern!”

Mitsura hatte genau das getan, wovon Anis gehofft hatte, sie würde es nicht tun und die junge Frau schloss kurz entsetzt die Augen. Beim Gedanken an Makotoko überlief sie ein Schauer: So gern sie ihn auch wieder sehen würde, das war der unpassendste Moment, in dem er hätte auftauchen können. Wenn er tatsächlich kam, wären sie zusammen vielleicht wirklich in der Lage, Sesshoumaru zu... Nein, daran wollte sie auf keinen Fall denken.

„Schauspielern...?!”, flüsterte Sesshoumaru neben ihr und Anis, die Entsetzliches ahnte, wandte den Kopf zu ihm. In seinen Augen sah sie jetzt hinter seiner eisigen Maske die maßlose Wut und auch eine gehörige Portion Enttäuschung. Dieser Anblick verletzte sie mehr, als sie sich eingestehen wollte. Er glaubte doch nicht wirklich, dass sie...?

„Nein! Sesshoumaru, so ist es nicht, das musst du mir glauben!”, flehte Anis leise, so dass ihre Schwester es nicht hören konnte. Sie wusste, Mitsura meine es nur gut, aber manchmal war das Gute eben genau das, was man am wenigsten brauchte.

Die Augen des Daiyoukais flatterten nun zu ihr herüber und zum ersten Mal seit langem fürchtete sich Anis vor ihm.

„Ich lasse dich nicht gehen!” , flüsterte er mit dieser tödlichen Gefährlichkeit in der Stimme, „Niemals!”

XxX
 

Boar, ich hab echt überlegt ob ich dieses Kapitel 'Sesshoumarus Tränen' nenne, aber ich hab befürchtete das diese krasse Unrealistik einige schon beim Lesen des Titels verschrecken könnte.

Ja, Sesshoumaru hat GEWEINT in diesem Kapitel. Gleich darauf küsst er Anis. Dann ist er peinlich berührt und im nächsten Moment fühlt er sich verraten. Und das alles in weniger als zehn Minuten!

Da möcht ich doch mal ein Lob hören, das ich mutig genug war so viele unrealistische Sachen auf einmal niederzuschreiben.

Ein Dutzend Messer

Soa, nach zwei Wochen Thailandurlaub bin ich jetzt endlich auch wieder am Start!

Es war wirklich anstrengend dieses Kapitel in nur zwei Tagen niederzuschreiben, aber da ich im Urlaub genug Zeit hatte um mir über den Ablauf Gedanken zu machen, habe ich es dennoch geschafft.

ich weiß das ich an einer besonders fiesen Stelle aufgehört haben, doch nun werde ich die Spannung lösen. Dennoch habe ich das Unmögliche geschafft und es schon wieder NICHT geschafft, die finale begegnung zwischen Sesshoumaru und Makotoko reinzubringen. Vielleicht kommt die auch gar nciht, wer weiß...?
 

XxX
 

„Bist du tatsächlich so lebensmüde, dich mit mir anlegen zu wollen?”, meinte Sesshoumaru spöttisch an Mitsura gewandt.

„Ich bezweifle, dass du sehr viel dagegen einzuwenden hättest”, erwiderte diese scharf.

„Ich hab aber was dagegen einzuwenden!”, schaltete sich nun Anis ein, was alle gleichermaßen zu überraschen schien.

Sesshoumaru beobachtete argwöhnisch, wie Mitsura sich zu ihrer Schwester wandte und diese ansprach:

„Ich glaube nicht, dass du in der Lage bist, das zu entscheiden. Es wäre für alle das Beste, wenn du dich hier heraushältst und die Fliege machst, jedenfalls solange der Kampf dauert. Hier werden nämlich gleich die Fetzen fliegen.”

„Ja, ganz genau, und zwar DEINE Fetzen! Vielleicht solltest du dir das tatsächlich nicht anschauen”, meinte Sesshoumaru daraufhin selbstgefällig. Mitsura ließ nur ein verächtliches Schnauben hören.

„Ich werd auf keinen Fall-”, setzte Sesshoumarus Geliebte an, doch die beiden Streithähne unterbrachen sie gleichzeitig:

„Anis?”

„Was?”

„Verschwinde!”, riefen sie wie aus einem Mund.

Empört wandte sich Anis zuerst zu Sesshoumaru, dann zu ihrer Schwester, doch beide schüttelten entschlossen den Kopf.

Die Schwarzhaarige hatte jetzt gründlich die Nase voll. Sie warf dem ungleichem Paar einen bitterbösen Blick zu, gab sich jedoch von der Mehrheit geschlagen und marschierte in den Wald hinein. Doch schon nach wenigen Schritten musste sie sich bemühen, die Tränen zurück zu halten.

„Soll’n die sich doch gegenseitig die Köpfe einschlagen!, dachte sie zornig, doch im Grunde wünschte sie sich das Gegenteil. Wie man es auch drehte und wendete, sie mochte Sesshoumaru und das Letzte was sie wollte, war im Streit mit ihm auseinander zu gehen. Von ihrer Schwester ganz zu schweigen.

Wer würde den anstehenden Kampf gewinnen? Und wie schlimm mochte der Verlierer zugerichtet sein?

Am meisten sorgte sie sich um Sesshoumaru. Falls der Fall eintreten würde, das er Mitsura besiegte - was schon allein unwahrscheinlich genug war - dann würde er es früher oder später mit Makotoko zu tun bekommen und das würde mit Sicherheit seine letzten Kraftreserven aufbrauchen. So unbesiegbar er auf den ersten Blick auch schien, DAS würde er nicht überleben.

Und ich selbst auch nicht, dachte sie bestürzt, wenn ich unter die Klingen gerate...

In sofern war es vielleicht auch ganz gut, das sie nicht bei den Kämpfenden geblieben war. Es wäre sinnlos, die beiden davon abzuhalten, aufeinander loszugehen. Sie musste das Ende des Kampfes ganz einfach abwarten. Wenn Sesshoumaru gewann, nun, Mitsura hatte sicherlich irgendein Mittel um ihn davon abzuhalten, sie zu töten. Aber wenn ihre Schwester siegte, bestand wenig Hoffnung, das Sesshoumaru es überlebte. Sie ließ selten Verletzte zurück. Hinzu kam, dass Anis keine Ahnung hatte, wie stark ihre Schwester in den letzten Jahrhunderten geworden war. Es war gut möglich, dass sie in dieser Zeit das Stadion einer Daiyoukai erreicht hatte. Allerdings konnte es ebenso gut möglich sein, dass Sesshoumaru durch einen reinen Zufall überlebte. Wenn sie nämlich mit ihrer Vermutung tatsächlich Recht hatte und Sesshoumaru sich in sie verliebt hatte, dann waren Mitsuras stärkste Gifte nicht mehr zu gebrauchen. Andererseits könnte sie in den letzten zwei Jahren auch neue Kampftechniken mit ihren Messern erlernt haben, was eine äußerst erschreckende Vorstellung war, da sie auch vorher schon unvorstellbar gut gewesen war. In dieser Hinsicht musste Anis einfach hoffen, dsas Sesshoumaru den Kampf überlebte. Die Chancen dazu standen schlecht und im Grunde hoffte sie auf ein Wunder, doch das Mitsura dabei ihr Leben lassen musste, war weitaus unwahrscheinlicher.

Ihres Wissens nach besaß ihre Schwester etwa siebenhundert verschiedene Gifte. Nur etwa zweihundert davon zeigten überhaupt eine Wirkung auf einen Daiyoukai. Dreißig galten nicht für Inuyoukai... Wenn sie dann aber davon ausging, dass Sesshoumarus Körper anders auf Gifte reagierte - darauf brachte sie die Giftattacke Dokkasso - blieben nur etwa hundert Gifte übrig, die in die engere Auswahl kamen. Circa zwanzig davon trug Mitsura ständig bei sich, die großen Wert auf Qualität legte. Davon waren die Hälfte Liebestränke, die bevorzugten Waffen ihrer Schwester. Sieben wirkten nur unter der Bedingung, dass sich das Opfer selbst zu keiner Anderen hingezogen fühlte. Übrig blieben nur drei Tränke, jeder äußerst wertvoll und schwer herstellbar.

In diesem Moment war Anis sehr froh, so gut über ihre Schwester Bescheid zu wissen. Diese war in sämtlichen Schmugglergeschäften Japans Stammkundin, natürlich immer unter falschem Namen. Die Giftmischerei war Mitsuras große Leidenschaft und nichts hatte sie daran hindern können, unter der Villa ihrer Eltern ein geheimes Tunnelsystem zu erbauen, wo sie in speziell geschützten Laboratorien die in zwielichtigen Spelunken gekauften Zutaten unter hochexplosiven Bedingungen zusammenbraute. Mitsura hatte Anis einmal dort mit hinunter genommen, was zur Folge gehabt hatte, dass das gesamte Haus beinahe in die Luft geflogen war. Doch falls Sukerumaru und Kantashira wussten, dass sie auf einer tickenden Zeitbombe saßen, störte es sie herzlich wenig. Wahrscheinlich wären sie, wenn sie zugeben würden es zu wissen, gezwungen gewesen, Mitsura die ganze Sache zu verbieten (was nichts bringen würde, da diese eben einen anderen Weg gefunden hätte, um weiter zu machen) und wollten ihr einfach nicht den Spaß verderben.

Wie auch immer, wenn Mitsura eines dieser drei Gifte einsetzte - und das würde sie zweifellos irgendwann tun - war die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, das es Sesshoumaru zumindest heftig widerstreben sollte, sie zu töten. Was allerdings zur Folge hätte, das Mitsura den Inuyoukai umbringen würde...

Sollte wider Erwarten dieser Fall nicht eintreffen, war der Einzige der das Blatt noch wenden könnte Makotoko. Er würde den - nach dem Kampf zweifellos schwer verletzten - Sesshoumaru mit Leichtigkeit besiegen können.

Genau deshalb war es jetzt auch so wichtig, das Anis ihn fand, bevor er mit Sesshoumaru zusammentraf, denn das wäre sein endgültiger Tod. Es war nicht viel, aber es war im Moment das Einzige, was sie tun konnte.
 

*
 

Sesshoumaru und Mitsura standen sich stumm gegenüber, beide warteten, bis Anis außer Hörweite war. Sobald dies geschehen war, begann der Kampf.

Sesshoumaru griff als Erster an.

Tokjin wirbelte hinunter, doch Mitsura ließ sich fallen, rollte sich zur Seite weg und kam hinter Sesshoumaru wieder zum Stehen. Dieser drehte sich mit Lichtgeschwindigkeit um, ließ die Klinge wieder auf seine Gegnerin herabfahren und musste erneut feststellen, das die junge Frau abtauchte. Zornig ließ er seine Energiepeitsche hervorschnellen. Mit dem Schwert von oben und dem Licht von unten kommend war die Dämonin gezwungen, einen äußerst akrobatischen Salto aus dem Stand heraus vorzuführen. Ihre Augen blitzten, als sie einige Meter weiter entfernt auf dem Boden aufkam.

Sesshoumaru hatte das Problem schnell erkannt. Da er selbst sehr groß war, griff er mit dem Schwert immer von oben an. Mitsura jedoch war klein, wendig und flink. Da sie kein Schwert benutzte, war Tokjin in diesem Kampf nicht mehr wert als ein Stock.

Die Youkai schien eine Strategin zu sein. Sie hatte bisher noch nicht angefangen zu kämpfen, war nur ausgewichen. Ein schlauer Zug, zuerst einmal die Kampftechniken des Gegners zu erforschen, um ihm den Überraschungseffekt streitig zu machen. Aber das würde ihr nichts nützen...

Sesshoumaru hielt Tokjin schräg vor sich und verharrte in dieser Verteidigungsposition. Er musste diese Dämonin aus ihrem Schneckenhaus heraus locken, sonst hatte das alles hier für ihn keinen Sinn. Tatsächlich schien diese nun doch eher auf einen Angriff aus zu sein. Vorhin hatte sie in jeder Hand einen Dolch gehabt, doch nun hatte sie ein gutes Dutzend Messer zwischen ihre Finger geklemmt. Es sah ein wenig so aus, als hätte sie zu groß geratene Krallen. Mit dem Unterschied, dass sie diese Krallen auf ihn werfen konnte. Dennoch - glaubte sie wirklich, ihn mit einem schlichten MESSER besiegen zu können?!
 

Nach einigen Minuten musste er diese Meinung überdenken. Diese Youkai eröffnete ihm ein völlig neues Kapitel in der Kunst des Messerwerfens. Sesshoumaru hatte sein Schwert wieder eingesteckt, um nun seinerseits Mitsuras Kampftechniken auszutesten. Nun war er es, der ständig ausweichen musste. Ihre Angriffe kamen so schnell, dass er momentan nicht einmal in der Lage gewesen wäre, selbst die Hand gegen sie zu erheben.

Sesshoumaru biss die Zähne zusammen und drehte sich zur Seite. Dennoch verfehlte ihn die Klinge nur knapp und ein weiterer Riss in seinem Kimono gesellte sich zu den bereits vorhandenen hinzu. Diese Frau war gut, sehr gut. Obwohl sie selbst schon viele kleine Wunden davon getragen hatte, war noch nicht das kleinste Bisschen ihrer Siegesgewissheit gewichen. Der Daiyoukai hatte das ungute Gefühl, dass sie tatsächlich nur darauf aus war, ihn mit einem Messer zu treffen und es folglich einfach immer wieder probierte. Auch ging ihre Munition nicht zur Neige. Ihre Finger waren wohl auf magische Weise mit den Messern verbunden und sobald sie ihr Ziel verfehlt hatten, machten sie - meist noch mitten in der Luft - kehrt und flogen rückwärts in ihre Hand zurück. Sesshoumaru hatte auch feststellen müssen, dass diese Messer eigentlich gar keine Messer waren, denn sie hatten keinen Griff. Das andere Ende war ebenfalls zu einer Klinge zugespitzt und als Sesshoumaru diese Tatsache zum ersten Mal hatte feststellen müssen, hatte ihn die Wurfnadel beinahe von hinten durchbohrt. Die Zielgenauigkeit der Youkai war wirklich so perfekt, dass sie nur noch von Sesshoumarus Reflexen, Kampferfahrung und jahrhundertelangem Training im Ausweichen übertroffen wurde. Nur seine Kleider ließen immer Schnitte erkennen, was seine Gegnerin mit äußerster Genugtuung beobachtete.

„Strampel noch ein bisschen weiter, mein Hündchen, bald hab ich dich ausgezogen...”, gurrte Mitsura und warf ihm einen vielsagenden Blick zu.

Sesshoumaru glaubte sich verhört zu haben.

„Was bildest d-”

Doch Mitsura gehörte nicht zu den Frauen, die ihre Opfer ausreden lassen. Wo andere - und sicher auch anständigere - Gegner sich jetzt ein heißes Wortgefecht geliefert hätten, sah sie die Chance ihren Feind endlich zu treffen und den Kampf für sich zu entscheiden. Mit einer blitzschnellen Bewegung warf sie ein halbes Dutzend ihrer Wurfnadeln auf einmal.

Ihr Plan ging auf.

Obwohl Sesshoumaru noch im allerletzten Moment zur Seite sprang, konnte er nicht verhindern, dass sich eine der Klingen in seinen linken Arm bohrte. Wütend riss er sie aus dem Fleisch, doch es war nicht die Wunde, die ihn so zornig machte. Es war Mitsuras selbstgefällige Miene. Sie sah aus, als glaubte sie ihren Sieg schon fest in der Tasche und das gefiel ihm überhaupt nicht.
 

*
 

Anis war noch immer damit beschäftigt, sich ihren Weg durch Bäume, Sträucher und Unterholz zu kämpfen. Wahrscheinlich machte sie einen Lärm wie eine ganze Elefantenherde, aber das war ihr nur recht. Schließlich war die Wahrscheinlichkeit, dass Makotoko sie zuerst fand, deutlich höher, als das es umgekehrt passierte. Und tatsächlich - schon nach zehn Minuten ertönte eine Stimme, irgendwo aus den Baumwipfeln:

„Suchst du etwas Bestimmtes, Herzblatt?”

Anis’ Blick raste nach oben und fiel auf den Youkai, der dort in den Ästen saß, einen großen gefleckten Hund auf der Schulter, von dem man gar nicht angenommen hätte, das er dort Platz fand. Ein Lächeln breitete sich auf dem Gesicht der untenstehenden Frau aus.

„Makotoko, da seid ihr ja endlich! Wo habt ihr denn die ganze Zeit gesteckt?!”, rief Anis ihm zu.

„Sehr höfliche Begrüßung...”, murmelte Makotoko und landete mit einem gekonntem Sprung vor der jungen Frau.

„Wo ist Mitsura?”

„...ist das nicht klar...?”, antwortete Anis mit einer Spur von Bitterkeit.

„Ah, dann war sie es also, die dich da raus geholt hat. Schade, ich hatte gehofft dass ich dein Lebensretter sein würde...”, erwiderte der Youkai grinsend.

„Unsinn, das war ganz anders, Sesshoumaru-” Sie brach ab. Sie konnte Makotoko doch nicht erzählen, dass ihr Entführer sie liebte, das würde alles nur noch schlimmer machen. Und wenn man es ganz genau betrachtete, war sie sich in diesem Punkt ja nicht einmal hundertprozentig sicher.

„Wie auch immer, Herzblatt, wir gehen jetzt am besten gemeinsam zum Kampfplatz und unterstützen deine große Schwester.” Er deutete auf sich und dann auf seinen Hund, der bereits voller Vorfreude auf ein blutiges Gemetzel glücklich mit dem Schwanz wedelte.

„Du bleibst hier und rührst dich nicht von der Stelle.” In den letzten Worten schwang eine unverhohlene Warnung mit.

„Das könnt ihr gleich vergessen, ich-” Doch Makotoko trat energisch an sie heran und legte ihr einen Finger auf den Mund. Anis verstummte sofort und ihr fiel schlagartig ein, dass sie noch vor ein paar Minuten in einer ähnlichen Pose mit Sesshoumaru verharrt hatte und wurde rot.

„Du tust was ich dir sage, klar?”, flüsterte Makotoko mit einem Ernst in der Stimme, den man so selten bei ihm beobachten konnte, dass die junge Frau unwillkürlich nickte.

„Gut...”, wisperte der Dämon vor ihr und seine Züge wurden etwas weicher, „Es ist nur zu deinem eigenem Besten, Herzblatt...”
 

*
 

Mitsura wurde zunehmend unruhiger. Wieso passierte nichts? Natürlich brauchte das Gift eine gewisse Zeit, um sich im Körper zu verteilen, aber doch nicht so lange!

Wieder wich sie einem Schwerthieb aus, sprang hoch in die Luft und stieß sich dabei an einem Baum ab. Mit Hilfe des Federflugs gelangte sie auf die andere Seite der Lichtung auf einem mehr oder weniger stabilem Ast, fünf Meter über dem Boden. Sesshoumarus Wunde war bereits wieder verheilt und die Wirkung war überfällig!

Es sei denn... Nein, Mitsura konnte es sich beim besten Willen nicht vorstellen, aber es gab keine andere Möglichkeit mehr: Sesshoumaru musste verliebt sein...! Aber in wen?

Mitsura verlor den Boden unter den Füßen, als die Energiepeitsche des Daiyoukai den Ast, auf dem sie stand, sauber zerteilte.

Er war doch die ganze Zeit über mit Anis zusammen gewesen, oder? Aber das würde bedeuten - hastig huschte sie unter Sesshoumarus Schwert hindurch - das Sesshoumaru und Anis - die Energiepeitsche traf sie an der Schulter, ihre Konzentration war schlichtweg nicht mehr vorhanden und die Youkai sah sich gezwungen, den Federflug abzubrechen und sich ihrem Gegner zu stellen, der mit erhobener Waffe auf sie zu kam.

Plötzlich fiel ihr ein in welcher... Pose sich die beiden befunden hatten... Sollte sie diese falsch gedeutet haben? Nun, wenn dem tatsächlich so war, war Mitsuras stärkste Waffe unbrauchbar. Ärgerlich, aber nicht zu ändern.

Mit einem gewaltigen Satz brachte sich die Youkai vor ihrem Gegner in Sicherheit und gewann so einige Sekunden für sich. Hastig öffnete sie eine Tasche an ihrer Hose und zog ein kleines, feuchtes Tuch heraus. Eigentlich war es nur für den Notfall gedacht, aber das hier ging auch locker als solcher durch. In Windeseile hatte sie einige ihrer Messer mit dem giftgetränkten Tuch bestrichen. Gleich darauf musste sie auch schon wieder einer ungeduldigen Lichtpeitsche ausweichen. Der Angreifer hatte es wohl satt, das sie sich auf den Bäumen versteckte. Vielleicht wollte er auch nur möglichst schnell zu seiner Geliebten zurück...

Mitsura holte tief Luft und machte sich für ein kompliziertes Manöver bereit. Kaum hatten ihre Füße den Boden berührt, da raste sie auch schon los, einen senkrechten Baumstamm hinauf, sprang wieder hinunter, stieß sich erneut von der Erde ab und landete wieder auf einem großen Ast. So ging es eine ganze Weile weiter, Sesshoumaru stand nur unten, drehte sich im Kreis und bemühte sich, sie nicht aus den Augen zu verlieren. Er ahnte jedoch nicht, dass das scheinbar nutzlose Herumgehüpfe seiner Feindin durchaus einen Sinn hatte. Er sah die doppelklingigen Wurfnadeln nicht, die Mitsura im Kreis auf den Bäumen verteilte. Die scharfen Klingen waren tief ins Holz gerammt und als alle zwölf Waffen an ihrem Platz waren, schien auch Sesshoumaru zu begreifen, das dies eine Falle war. Doch diese Erkenntnis kam zu spät. Mitsura ließ sich genau in die Mitte der Lichtung fallen, direkt neben Sesshoumaru, stieß sich erneut ab, bevor er sie richtig erfassen konnte, schwebte durch die Luft und verharrte, fast schwerelos, hoch über ihrem Gegner. Dann ballte sie ihre Hände zu Fäusten und zog sie eng an den Körper. Der Zauber, den sie heimlich ausgelegt hatte, aktivierte sich.

Von der Stelle wo sie mit ihrem merkwürdigen Tanz angefangen hatte - in der Mitte der Lichtung auf dem Boden, sieben Meter unter ihr - aus, spannten sich unsichtbare Fäden zu jedem der Messer und dann wieder zu Mitsuras Händen. Von überall her um den kahlen Fleck zwischen den Bäumen rasten die Waffen auf diesen Punkt am Boden zu, und genau dort stand Sesshoumaru.

Den ersten drei Messern konnte er noch ausweichen, doch dann traf ihn eines in die Seite und betäube für einen Wimpernschlag seine Bewegungen. Dieser winzige Moment reichte vollkommen aus und während er noch zwei weitere Messer von der anderen Seite abwehrte, traf ihn ein halbes Dutzend Klingen in den Rücken und ließ ihn vor Schmerz aufstöhnen.

Mitsura sah es mit Genugtuung und landete - allerdings in einem weiten Sicherheitsabstand von dem Verletzten entfernt. Die sechs abgewehrten Wurfnadeln zischten in die Hand der Dämonin, doch Sesshoumaru rührte sich nicht. Noch immer stand er aufrecht, doch wie lange dieser Umstand noch anhalten mochte, war mehr als unklar. Mitsura beobachtet ihn wortlos und wartete darauf, dass er zusammenbrach. Die Wunden mussten ihn ganz fürchterlich schmerzen, es war seit Urzeiten in ihrer Familie vererbt, dass von ihnen zugefügte Wunden das Fleisch verbrannten und auffraßen. Selbst die Knie des stärksten Daiyoukai mussten unter diesen Schmerzen einknicken.

Das er gut die Hälfte ihrer Wurfmesser hatte abwehren können, war zwar bedenklich, aber jetzt nicht mehr von Bedeutung. Das Gift, das den Messern zusätzlich anhaftete, war lediglich eine Versicherung für sie selbst. Sesshoumaru würde sterben, ja, aber somit hatte sie auch noch dafür gesorgt, dass er sie nicht würde mit ins Jenseits reißen... wollen.

Doch dann geschah etwas Seltsames, ja geradezu Unheimliches: Sesshoumaru richtete sich mit einem Ruck zu seiner vollen Größe auf und starrte sie aus rotglühenden Augen an. Sein Blick hatte etwas Glasiges und die Youkai wusste, dass dies von dem Gift herrührte, welches seinen Verstand benebelte. Nur mühsam schien er sein dämonisches Selbst zurückzuhalten, doch den Hass konnte auch der trübende Nebel nicht aus seinen Augen vertreiben. Den Hass eines wilden Tieres auf alles, was ihn auch nur in kleinster Weise am Überleben hindern könnte und im Moment waren das Mitsuras Wurfmesser in seinem Rücken.

Die Youkai erschauderte unter dem loderndem Blick. Das Einzige was sie wohl noch vom Tod trennte, war die kleine, von ihr selbst in sein Hirn eingepflanzte Stimme, die ihm nun sicher riet, sie in Ruhe zu lassen. Eine Gänsehaut kroch ihr über die Haut auf dem sich die Nackenhaare aufstellten als sie erkannte, welche unerschöpfliche Kraft in dieser Kreatur, diesem Dämon steckte und dessen machtvolle Aura die Luft zum Knistern brachte.

Mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Erschrecken begriff sie, dass dieser Dämon sie schon viel früher hätte besiegen, töten können. Doch warum hatte er es nicht getan? Weil sie Anis’ Schwester war? Vielleicht. Vielleicht wusste er aber auch gar nicht umzugehen mit dieser gewaltigen Menge an Energie. Nun, in diesem Fall hatte sie wirklich unverschämtes Glück gehabt.
 

Sesshoumaru fühlte sich grässlich. Orientierungslos. Alle Geräusche drangen nur gedämpft zu ihm vor und er konnte kaum atmen, als würde ihm jemand die Luft abschnüren. Der Youkai konnte keinen klaren Gedanken fassen, sie entschwanden immer sofort, sobald er danach greifen wollte.

Aber am schlimmsten war der Schmerz. Noch nie hatte er einen so großen Schmerz gespürt. Es fühlte sich an, als würde er bei lebendigem Leibe verbrennen. Jede Zelle seines Körpers krümmte sich zusammen, sein Rücken stand in Flammen und machte jede Bewegung zu einer Höllenqual.

Er wusste, er musste etwas machen, seine Feindin stand noch immer genau vor ihm. Doch obwohl er einerseits den unbändigen Wunsch verspürte, das Einzige zu töten, was er noch klar vor sich sah, flüsterte ihm etwas zu, dass er es lieber bleiben lassen sollte. Sie war nicht seine Feindin, sondern eine Freundin. Aber stimmte das auch?

Er versuchte sich zu erinnern, doch das Einzige was passierte war, dass ein anderes Bild vor seinem inneren Auge auftauchte. Es war ebenfalls eine Frau und sie glich der Person vor ihm auf merkwürdige Weise, dennoch waren sie beide ganz unterschiedlich. Dann erkannte er dieses Bild und ärgerte sich für einen Moment über sich selbst, dass er so lange gebracht hatte. Anis. Wie hatte er sie nur vergessen können?

Seine Sicht klarte etwas auf, der Druck auf seinen Ohren schwand ein wenig. Dafür spürte er den Schmerz in seinem Rücken jetzt um so deutlicher und es dauerte eine Weile, bis die Erinnerung an den Kampf ihn wieder einholte.

Trotzdem verspürte er nicht die geringste Lust, die Schuldige dafür zur Rechenschaft zu ziehen. Doch er musste es tun, sonst würde sie ihn wieder angreifen und mehr Schmerzen würde er einfach nicht ertragen können.
 

Mitsura hielt den Kampf für beendet, die übrigen Messer steckten bereits wieder in ihrem Gürtel. Dennoch trat sie noch einmal an den Inuyoukai heran, um sich von ihrem Sieg zu überzeugen.

Ein Fehler.

Mit einer Bewegung - so schnell das kein Auge ihr hätte folgen können, weder menschlich noch dämonisch - zielte Sesshoumaru mit dem Schwert in ihre Richtung und eine Sekunde später lag es auch schon an ihrem Hals an, bereit sie sofort zu töten, sollten sie auch nur einen Finger rühren. Der Daiyoukai atmete etwas schneller und zu seinen Füßen bildete sich eine Blutlache, aber es war nichts mehr von dem Wahnsinn zu sehen, der eben noch aus seinen Augen gesprochen hatte. Dennoch zögerte er den entscheidenden Schlag durchzuführen, der einzige Umstand, der Mitsura klarmachte, dass das Gift noch immer wirkte. Dann sprach er und es war diese eisige Stimme mit dem vernichtenden Ton, der ihr Angst machte:

„Wenn du jetzt aufgibst... Werde ich dich am Leben lassen. Du würdest nicht schnell genug an deine Waffen heran kommen...”

Verdammt, da hatte er sogar Recht! Oder... Vielleicht...

„So, glaubst du, ja?”, flüsterte sie mit einem bösartigen Grinsen. Dann ballte sie ihre freie Hand zur Faust...
 

Sesshoumaru konnte einen schmerzerfüllten Aufschrei nicht mehr unterdrücken, als die Messer in seinem Rücken sich mit einem Ruck wieder bewegten und dann direkt durch seinen Leib stießen, um in die Hand ihrer Besitzerin zurückzukehren.

Danach spürte er nur noch Schmerz. Nun schienen auch seine Eingeweide zu brennen, doch er wusste es besser: Sie waren vollkommen zerrissen. Es klang nicht ab, wurde immer schlimmer, während er keuchend zu Boden sank, das Schwert fiel ihm aus der Hand, doch der erlösende Tod wollte nicht kommen, nicht einmal die Bewusstlosigkeit, die allem ein Ende bereitet hätte und -

Moment mal. Sehnte er sich da gerade nach dem Tod?! Das ging ja wohl nicht an!

Wie aus weiter Ferne klang da plötzlich eine Stimme, die sagte: „Ich gebe auf, Sesshoumaru. Ihr habt gewonnen..."

Gewonnen, ja klar. Aber vorher hatte sie ihn noch schön so zugerichtet, dass er kaum noch den nächsten Tag überleben würde. Toller Sieg!, dachte er mit einem Anflug von Galgenhumor, was für ihn doch sonst so untypisch war.

Er sah seinen Tod schon vor sich, auch wenn dieser ihn noch leiden ließ. Und während Mitsura ihm noch einen letzten, kaltblütigen Blick zu warf und sich dann wortlos umwandte und die Lichtung verließ, da spürte Sesshoumaru in seinem Herzen, dem einzigen Organ das wie durch ein Wunder unbeschädigt geblieben war, einen schmerzhaften Stich.

Er hatte noch so viel vorgehabt...

Doch nun war es zu spät.

Er würde Anis nie sagen können, wie sehr er sie liebte...
 

Mitsura überlegte angestrengt, was sie jetzt machen sollte. Zuerst einmal musste sie wohl Anis wieder finden, doch durch das ganze Blut, das auf der Lichtung, die sie gerade verlassen hatte, verteilt war, konnte sie ihren Geruch nicht feststellen. Nun, in diesem Fall wäre es wohl am besten, einfach in die Richtung zu gehen, in die sie sich ohne Zweifel wenden würde, nachdem sie mit Makotoko zusammengetroffen war: nach Süden, zum Dorf Musashi, wo der Knochenfressende Brunnen stand.

Also machte sie sich auf den Weg, ohne Eile in der Hoffnung, dass vielleicht doch noch einer der beiden auf sie treffen würde.

Tatsächlich stieg ihr einige Minuten später Makotokos Geruch in die Nase. Sie blieb stehen und wartete, bis er hinter einigen nahen Büschen hervorgetreten war. Sein Hund lugte hinter seinen Beinen hervor.

„Mitsura, was machst du denn hier?”, fragte er, offensichtlich überrascht sie hier anzutreffen.

„Das selbe könnte ich euch fragen! Wieso seid ihr nicht bei Anis?”, konterte Mitsura unwirsch. Nicht das sie ihrer Schwester nicht zu getraut hätte, sich gegen eventuelle Gegner zu verteidigen, aber sie dürfte doch noch etwas aufgelöst von ihrem plötzlichem Auftauchen sein.

„Anis geht es gut, sie wartet nicht weit von hier auf mich. Aber was ist mit dir? Hast du Sesshoumaru erledigt?”, forschte er nach.

„Natürlich! Er dürfte gerade so langsam vor sich hin sterben... Jedenfalls wird er uns nicht mehr in die Quere kommen”, erwiderte sie.

Doch ihr Gegenüber schien über diese Aussage nicht sehr erfreut zu sein:

„Soll das etwa heißen, dass du mir REIN GAR NICHTS von ihm übrig gelassen hast?!”, schimpfte er, doch ein breites Grinsen nahmen seinen Worten die Härte.

Mitsura zuckte mit den Schultern.

„Ihr wisst, dass ich schon lange nach jemanden suchte, an dem ich meine neue Kampftechnik ausprobieren konnte. Sie hat übrigens perfekt funktioniert.”

„Ach Gott, da tut mir der Ärmste schon fast wieder ein bisschen Leid. Das hat sicher eine Menge Blut gegeben, was?”, fragte der Youkai, sah allerdings überhaupt nicht so aus, als ob ihm irgendetwas Leid täte.

Wieder ein Achselzucken.

„Damit muss er leben.”

„Leben? Glaubst du etwa, dass er es überleben könnte?”, erkundigte er sich ungläubig.

Mitsura zögerte.

„Ich weiß nicht, aber... Für einen kurzen Moment, da... Er hat einfach so eine unglaubliche Macht ausgestrahlt. Es war unheimlich... Ich habe ihn irgendwie...”, wieder zuckte sie mit den Schulten, „zu leicht besiegt, versteht ihr? Ich hätte nicht in der Lage sein sollen, ihn zu töten. Das schien nicht richtig.”

Falls ihre Worte den Dämon vor ihr beunruhigt haben sollten, zeigte er das nicht. „Damit müssen wir uns jetzt nicht weiter abgeben. Sobald wir wieder in der Neuzeit sind, werden wir über diese Sache nur noch lachen!”

Mitsura zweifelte nicht daran, dass ER über diese Sache lachen würde. Sie hatte einfach ein ungutes Gefühl bei der Sache. Als wäre der ganze Ärger noch lange nicht vorbei, sondern würde jetzt erst richtig anfangen. Sie würde wohl tatsächlich erst wieder aufatmen können, wenn sie wieder in ihrer Zeit waren...

„Und was machen wir jetzt?”, fragte Mitsura etwas unschlüssig.

„Wir? Gar nichts! Du gehst am besten schon mal vor, zu diesem Knochenfressenden Brunnen, während ich noch schnell Anis abhole”, sagte Makotoko daraufhin.

Mitsura nickte langsam. Mit einem aufmunterndem Lächeln wandte sich der Youkai um und - immer seinen Hund an den Fersen habend - entschwand rasch aus ihrem Sichtfeld.

Doch die junge Frau war keineswegs beruhigt. Sie hatte eine Vorahnung, eine schlechte.

Je länger sie diese auf sich einwirken ließ, desto mehr fühlte sie sich beobachtet. Es schien ein drohendes Unheil zu nahen, etwas, was sie nicht in Worte fassen konnte. Ob es etwas mit Sesshoumaru zu tun hatte und der unheimlichen Macht, die er ausgestrahlt hatte?

Auf einmal war sie sich gar nicht mehr so sicher, dass er wirklich keine Gefahr mehr darstellte. Es war unlogisch, ja, aber das änderte nichts daran, dass ihr ihr Instinkt sagte, das die Gefahr noch längst nicht vorbei war.

Beunruhigt sah Mitsura noch einmal hinter sich, doch dort waren nur Bäume zu sehen. Natürlich, was hatte sie auch anderes erwartet?

Sesshoumaru war tot, basta. Und das war verdammt noch mal auch gut so!

Entschlossen wandte Mitsura sich wieder um und lief in den Weg weiter entlang.

Sie wurde immer schneller, rannte schließlich; der Fahrtwind peitsche ihr ins Gesicht und wischte die unglückseligen Gedanken aus ihrem Kopf. Dann stieß sie sich ab, schwebte durch die Luft im Federflug und nichts war mehr wichtig.

Die Freiheit um sie herum tat gut.

Der Kampfplatz, auf dem so viel Blut geflossen war, wurde immer kleiner und verschwand schließlich ganz in der Ferne.

Mitsura drehte sich nicht um.
 

XxX
 

*schluchts*

Ich wollte es nciht soweit kommen lassen...

Ich hatte es wirklich nicht vor...

Aber es ist nunmal passiert...

gut, wie ihr vielleicht bemerkt habt, das letzte Stückchen mit Mitsura und makotko hab ich nur mit reingebracht, um das Kapitel voll zu kriegen.

Naja, an Aktion hats diesmal wohl nicht gemangelt, was? *smile*

Es ist übrigens meine erste richtige Kampfszene bei der ich absolut gar keine Hilfe in Anspruch genommen hab.

Obwohl, dafür darf ich jetzt wohl kein Lob erwarten, was? Ihr wollt mich sicher sowieso wegen der Sache mit Sesshoumaru umbringen...

Der sechste Fluchtversuch

So, jetzt geht es also weiter, und zwar gleich wieder ordentlich mit dem sechsten Fluchtversuch.

Zu euren Kommentaren: Einige fanden es seltsam das Anis Mitsura und Sesshoumaru einach so allein gelassen hat. Man muss aber dazu sagen, das sie erst mal sowies nicht mit Mitsuras Tod gerechnet hat, da die sich gegen Männer ja recht gut wehren kann. =)

Und was Sesshoumaru betrifft so hätte sie auch nie damit gerechnet das er sterben könnte. Sie glaubte er könnte sich lange gegen ihre Schwester halten, bis die dann iwann aufgeben würde. Außerdem hatte sie auch keine Ahnung, das Mitsura diesen Messer-Trick beherrscht. Und ein einzelnes Messer, oder auch ein Dutzend, aus nur einer einzigen Richtung hätte er ja auch leicht abfangen können. Mitsuras Hauptwaffen sind nunmal Gfte und da ist Sesshoumaru gegen die meisten immun. Es hat ja auch tatsächlich nur soweit gewirkt das er sie nicht getötet hat. Tja, und am Ende HAT sie ja auch aufgegeben^^

Wie auch immer, bereuen tut sie es natürlich trotzdem sobald sie es erfährt. Aber man muss auch sagen: Sesshoumaru ist bis jetzt wirklcih erstmal nur ein guter Freund für sie, nciht mehr und nciht weniger. Und in dem Moment wo sie abgehauen sit war sie wohl auch ziemlich stinkig, einerseits weil Mitsura sie unterbrochen hat, andererseits weil beide sie aus dem Weg haben wollten. Und sie war verwirrt darüber, das sie nun herausgefunden hat was Sesshoumaru für sie empfundet.

Naja, ich hoffe das sind euch genug Gründe um ihr Verhalten zu verstehen.
 

XxX
 

Sesshoumaru glaubte, sich noch nie schlimmer gefühlt zu haben. Es war an sich schon grauenhaft genug, dass er von sechs Messern direkt durchbohrt worden war, aber diese Wunden konnte er zudem nicht mit seinen dämonischen Kräften heilen. Es waren magische Verletzungen, die sein Fleisch von innen verbrannten, ohne das er etwas dagegen tun konnte.

Dennoch lebte er. Wäre er ein Mensch, so wäre dies schon lange nicht mehr der Fall gewesen. Selbst Anis war mit nur einem einzigen Loch im Bauch gestorben, er aber hatte ein halbes Dutzend davon.

Doch der Tod ließ auf sich warten. Sicher würde er bald eintreten, aber noch nicht jetzt. Und Sesshoumaru wollte die ihm verbliebene Zeit nutzen, um noch ein letztes mal Anis zu sehen.
 

Einzig und allein dieser Gedanke verschaffte ihm die Kraft, sich langsam an einem nahen Felsen hoch zu ziehen, bis er schließlich aufrecht stand.

Dennoch schien ihn der Schmerz überwältigen zu wollen. Mit Schrecken wurde ihm klar, was passieren würde, sollte dies tatsächlich geschehen. Wenn alles zu viel werden würde, dann würde sein Youki, sein innerer Dämon, die Kontrolle über seine Seele gewinnen, ähnlich wie es Inuyasha erging ,wenn er in einer lebensbedrohlichen Situation Tessaiga verlor. Nur war Sesshoumaru das bisher so gut wie nie passiert.

Kurz, als er Mitsura angesehen hatte, da war es beinahe so weit gewesen. Aber noch hatte er sich zurückhalten können. Trotzdem wusste Sesshoumaru, dass er sich nicht mehr lange würde beherrschen können. Sein Dämon drängte nach außen und wollte seinen Körper einnehmen, sein Instinkt stritt sich mit seinem Verstand. Er spürte bereits, wie seine Finger taub wurden, wie seine Klauen sich krümmten, ohne das er den Befehl dafür gegeben hatte.

Sesshoumaru wusste, dass ihn nichts und niemand mehr aufhalten könnte, wenn er erst einmal verwandelt war und dennoch konnte er es nicht zurückhalten. Er fühlte, wie die Schmerzen verschwanden, wusste, dass dies ein schlechtes Zeichen war und fühlte sich dennoch erleichtert.

Dann geschah etwas Seltsames. Sesshoumaru ließ den Fels los, an dem er sich bisher noch festgehalten hatte und ging sicheren Schrittes in den Wald hinein. Nichts tat ihm mehr weh und er konnte keine seiner Bewegungen kontrollieren, aber dennoch war er noch vollkommen klar im Kopf. Er wusste was er tat - auch wenn es nicht in seinem Sinne war.

Hatte er sich bereits verwandelt? Hatte der Dämon in ihm bereits die Kontrolle über seinen Körper und seine Seele gewonnen? Es fühlte sich nicht so an, doch warum spürte er dann keine Schmerzen mehr? Er beobachtete seine Bewegungen wie ein Außenstehender, nahm keine davon wahr.

Er wusste, dass sein oberstes Ziel, sobald er sich verwandelt hatte, sein Überleben war. Folglich müsste er jede scheinbare Bedrohung sofort angreifen. Das er hier gemächlich und ohne Eile zwischen den Bäumen daherging, nicht einmal aufsah, als direkt über ihm ein Eichhörnchen raschelnd von einem Baum zum Nächsten sprang, das passte nicht.

Und dann begriff er.

Sein oberstes Ziel war nicht, zu überleben. Sein Ziel war, Anis zu sehen. Und der Dämon erfüllte ihm den Wunsch, versuchte es zumindest, ganz gleich ,ob er dabei sterben würde oder nicht.

Aber das war mehr als ungewöhnlich. Niemand konnte sich mehr kontrollieren, wenn der wahre Dämon zum Vorschein kam. Niemand war so mächtig. Nicht einmal sein Vater hätte das gekonnt. Aber es gab keine andere Erklärung.

Auf einmal spürte Sesshoumaru einen gewissen Stolz in sich, das er sich auch in dieser Lage noch in gewissem Maße kontrollieren konnte, das er seinen Vater übertreffen konnte.

Er musste sich also lediglich auf Anis konzentrieren - für ihn die einfachste Sache der Welt. Wenn sein Wunsch, sie zu sehen, nicht stark genug war oder er abgelenkt wäre, würde er sich nicht kontrollieren können. Solange er dies aber tat, konnte er sich selbst im Zaum halten.

Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet Anis den dämonischen Sesshoumaru bezwingen könnte?
 

Sesshoumaru hatte viel Mühe, sein Youkai und seine Witterung zu unterdrücken, oder eher, dem anderen Wesen, das er nun war, dies zu befehlen. Er wollte Anis sehen, ja, doch er hatte bemerkt, dass sie nicht allein war und er wollte gewiss nicht von diesem fremden Mann oder auch nur von seinem Hund entdeckt werden, der sich in ihrer Gesellschaft befand.

Wer zum Teufel war der Kerl?

Ob es nun daran lag, das er gerade nicht er selbst war oder nicht, jedenfalls konnte er bei diesem Typen weder Youki spüren, noch seinen Geruch aufnehmen. Nun gut, eine Aura ließ sich verbergen, das tat er selbst ja gerade auch. Doch der Wind kam aus der Richtung der zwei, so wurde sein eigener Geruch zwar fortgetragen, doch der des fremdartigen Mannes, der bestimmt ebenfalls ein Youkai war, müsste ihm direkt in die Nase wehen!

Dabei schienen seine Sinne in diesem... Zustand, sogar noch etwas verschärft zu sein. Was sein anderes Ich jedoch als Bedrohung auffasste, als Zeichen des Nicht-entdeckt-werden-Wollens, weil man etwas Böses vor hatte, das schaffte Sesshoumaru weitgehend zu ignorieren, kannte er es doch schon von Anis.

Sesshoumaru wünschte, er wäre näher an den beiden dran, um ihre Worte verstehen zu können, ohne selbst entdeckt zu werden. Kaum hatte dieser Wunsch in seinen Gedanken Gestalt angenommen, da setzte er sich auch schon in Bewegung, ohne das sich nur das kleinste Blättchen unter seiner Sohle regte. Dabei gab es jede Menge Laub hier, der Herbst war nämlich allmählich herein gebrochen und die Bäume verloren ihr Grün. Trotzdem war kein einziges Geräusch zu hören und diese Lautlosigkeit war ihm selbst unheimlich.

Doch dann drangen die ersten Worte an sein Ohr, und all das war nicht mehr wichtig...
 

„...werden an die Decke gehen, wenn sie das hören.” In Makotokos Stimme klang nur Amüsement mit.

„Es ist mir ziemlich egal, was sie denken...”, meinte Anis daraufhin.

„Bist du etwa immer noch sauer? Die Sache ist doch schon Jahrhunderte her, Herzblatt”, erwiderte der Youkai stirnrunzelnd.

„Ich kann ja verstehen, warum sie es gemacht haben... Trotzdem, hier hätte ich sie gut gebrauchen können. Immer wenn ich mich vergessen habe und etwas Youki einsetzten wollte, bin ich fast ohnmächtig geworden! Und damit das ein Ende findet...”, meinte die junge Frau ärgerlich.

„Ach komm schon, das war doch oft genug Gesprächsthema. Du warst damals die Wildeste, Herzblatt, da war es klar, dass du solch eine Aufgabe kriegst. Abgesehen davon haben es alle jungen Youkai gemacht. Ich und deine Schwester schließlich auch. Und? Hat es uns geschadet?”, antwortete Makotoko herausfordernd.

„Da wäre ich mir nicht so sicher...”

„Hey!”, rief der Dämon gespielt beleidigt aus, „Du hast dich jetzt überhaupt nicht mehr zu beschweren. Schließlich dürftest du deine Youkaikräfte schon bald wieder haben, Herzblatt.”

Auf Anis’ Gesicht legte sich ein Hauch von Rosa.

„Darum geht es nicht! Ich finde die Idee allgemein beschissen, das alle jungen Dämonen ihre Kräfte abgeben mussten! Und die Alten durften natürlich so bleiben wie sie sind...”, schmollte sie.

Ihr Gegenüber seufzte. „Es war eben nötig. Das Land hat nun mal beschlossen, dass die Youkai sich der Zeit anpassen müssen und unter Menschen leben sollen. Die jungen Dämonen, die ihre Kräfte noch nicht unter Kontrolle haben, hätten diese Regel am ehesten verletzt. Und sobald sie ihre bestimmte Aufgabe erledigt haben, bekommen sie ihre magischen Fähigkeiten ja auch wieder. Auch wenn diese Aufgaben meistens erst in einem höheren Alter zu erledigen sind. Du bist schon in diesem Alter. Du solltest einsichtig genug sein, deine Eltern nicht für etwas beschuldigen, was sie tun MUSSTEN. Es ist ja nicht für immer, Herzblatt”, beruhigte er sie.

„Ich weiß...”, seufzte Anis, „Aber ihr habt leicht reden. Ihr habt eure Aufgabe schon erfüllt!”

„Ja, und glaub mir, es war zwar verdammt schwer, aber es hat sich gelohnt. Ich hab nicht nur meine Kräfte wiedergewonnen, sondern auch noch etwas ganz anderes...”

Sein Hund bellte zustimmend.

„Trotzdem mach ich mir Sorgen. Ihr beide habt euch seitdem völlig verändert. Mitsura war wie ausgewechselt. Es... Es macht mir Angst, weil man hinterher nicht mehr zurück kann...”, murmelte Anis.

„Schon, aber in meinen Augen war es vorher weitaus schlechter. Und Mitsura hat jetzt auch viel mehr Spaß”, schob Makotoko ihren Einwand beiseite.

„Hm...”, machte sie nur.

„Wenn es dich tröstet: Ich werde dich immer lieben, egal wie du dich veränderst. Und du mich hoffentlich auch!”, meinte Makotoko grinsend.

„Das ist nicht witzig!”, empörte sie sich.

„Unsinn, Herzblatt. Das Leben ist lang, man muss aufpassen, dass es nicht langweilig wird”, scherzte er wieder, offenbar genoss er es, sie zu ärgern.

„Nun, WIE AUCH IMMER, ihr seid doch bestimmt nicht zum Plaudern zurück gekommen. Was ist denn nun mit Mitsura?”, wechselte sie das Thema.

„Ah, gut das du mich dran erinnerst, Herzblatt. Ich hätte sonst vollkommen die Zeit vergessen. Wir sollten uns schnell auf den Weg zum Knochenfressenden Brunnen machen”, sagte Makotoko beiläufig.

„Wieso? Mitsura ist doch-”, plötzlich wurde sie blass, „Ist der Kampf etwa schon vorbei?!”

„Natürlich, was hast du denn gedacht?”, war die Antwort und Anis wurde noch blasser.

„Und was ist... mit Sesshoumaru?”, fragte sie mit zitternder Stimme.

„Was soll mit dem sein? Tot, vermute ich”, erwiderte er, überrascht über ihre Stimmlage.
 

Anis erstarrte.

Das konnte nicht sein! Sesshoumaru konnte nicht tot sein! Es war einfach nicht möglich. Es war doch viel zu stark! Sie hatte ja damit gerechnet, dass es hart für ihn werden würde, aber niemals damit, dass er sterben würde. Wenn sie das gewusst hätte, dann wäre sie doch nie und nimmer so einfach gegangen, sie hätte ihr Möglichstes getan, um die beiden vom Kampf abzuhalten!

Nein, es war unmöglich, dass Sesshoumaru tot war. Anis wusste, wie zäh er war. Ihre Schwester war mächtig, ja, aber Sesshoumaru war doch mindestens genauso stark. Abgesehen davon hätte der Kampf viel länger dauern müssen, hätten beide wirklich Ernst gemacht.

Oder... War es etwa genau das? Hatte Sesshoumaru überhaupt nicht die Absicht gehabt, Mitsura zu töten, weil diese ihre Schwester war? Anis hätte eigentlich damit gerechnet, dass der Daiyoukai Tokjins Energiewellen nutze. In diesem Fall konnte Mitsura noch so schnell sein, aber da sie immer eher auf den Nahkampf aus war, hätte sie dabei unweigerlich schwer verletzt werden müssen. Jedenfalls so schwer, das sie nicht mehr richtig mit ihren Messern umgehen konnte.

Für gewöhnlich betäubte Mitsura ihre Gegner nur mit ihren Giften und tötete nicht, doch wenn es sich nicht vermeiden ließ schnitt sie dem Opfer hinterher die Kehle durch. Sesshoumaru jedoch war zu stark, er würde sich selbst vollkommen benebelt noch zu wehren wissen, da war sie sich sicher.

Es war unmöglich, dass ihre Schwester stärker als der Youkai sein konnte. Oder hatte sie irgendeinen Trick angewendet? Ein Trick, von dem sie selbst nichts wusste? Sollte es ihr tatsächlich gelungen sein, ihn zu töten?

Sie selbst hatte es ja schon einige Male erfolglos probiert, sie wusste, wie hart ein Kampf mit ihm war. Andererseits war dies wohl auch kein Schwertkampf gewesen.

Trotzdem wollte diese Nachricht einfach nicht in ihren Kopf hinein. So war das Ganze bestimmt nicht geplant gewesen! Anis hatte extra Makotoko aufgesucht, bevor er Mitsura zur Seite springen konnte, die durch ihre Gifte wahrscheinlich ohnehin am Leben bleiben würde. Sie hatte damit gerechnet, dass Sesshoumaru sich nicht von ihr ‘abschlachten’ ließ und sie einfach wegen seiner größeren Ausdauer in die Flucht schlagen konnte. Nie hätte sie daran gedacht, dass Mitsura inzwischen auch eine andere Möglichkeit zu töten gefunden haben könnte. Hatte sie sich wirklich so dramatisch verbessern können? Ja, beantwortete sie sich die Frage selbst, in ihrer Familie waren schon die seltsamsten Dinge geschehen. Wieso hatte sie nicht damit gerechnet? Warum war sie nur so dumm gewesen?

Ihre Gleichung war nicht aufgegangen. Sesshoumaru hatte das mit dem Leben bezahlen müssen. Nein! Nein, das wollte sie nicht wahrhaben, das ging nicht! Sie würde es nicht glauben, bis sie es mit eigenen Augen gesehen hatte!
 

Keine dieser Gedanken verriet sich auf ihrem Gesicht, ihre Miene war wie zu Stein erstarrt.

„Er ist...tot...”, flüsterte sie.

„Sicher. War doch klar, nachdem er dich zwei Jahre lang hier gefangen gehalten hat!” Auf einmal wurde seine Stimme misstrauisch, er kannte diesen Gesichtsausdruck bei ihr: „Du hattest doch nicht etwa was mit ihm, oder?”

Doch Anis antwortete nicht. Sie ging langsam zu einem nahen Felsbrocken und ließ sich darauf nieder, zeigte keine Regung. Noch immer liefen die Gedanken rund hinter ihrer unbewegten Maske. Mit leerem Blick starrte sie durch Makotokos Hund hindurch.

Der braunhaarige Youkai kniete sich vor ihr nieder. Vorsichtig strich er ihr übers Gesicht, seine Hand ruhte an ihrer Wange. Doch seine Züge hatten etwas Hartes, Entschlossenes.

„Anis, hat dich dieser Dämon belästigt?”, fragte er leise.

Die junge Frau schaute ihn an, als würde sie ihn zum ersten Mal klar sehen, dann schüttelte sie langsam den Kopf.

„Du kannst es mir ruhig sagen”, versicherte er ihr, doch Anis sagte:

„Er... hat mir nichts getan. Am Anfang schon, aber... Es war nicht nötig, ihn zu töten”, sagte sie erstickt, doch mit einer Gleichgültigkeit, die fast noch schlimmer zu ertragen war, als wenn sie geschrien hätte und die ihrem Gegenüber ihre Gefühle viel deutlicher offenbarte, als es Worte hätten tun konnten. Niemand wusste so gut wie er, was in ihr vorging.

„Ich verstehe...”, murmelte er und richtete sich wieder auf. Nichts von dem üblichen Grinsen war mehr zu sehen. „Du hast dich in ihn verliebt.”

Anis starrte ihn an, jetzt doch etwas aus der Bahn geworfen. „Nein”, sagte sie dann bestimmt.

„Dann hat er sich in dich verliebt”, meinte er gleichgültig.

Diesmal antwortete sie nicht, was er als ‘ja’ deutete. Seufzend ließ er sich neben ihr auf dem Boden nieder.

„Was machst du dir dann solche Gedanken? Du hättest ihn so oder so nie wieder gesehen, nachdem wir wieder in unserer Epoche wären. Sein Tod macht für dich keinen Unterschied mehr”, behauptete er.

Sie nickte abwesend, dann erhob sie sich und meinte sie:

„Wir sollten jetzt zum Brunnen, nicht wahr?”

Makotoko musterte sie noch kurz, zuckte dann jedoch mit den Schultern und wandte sich von ihr ab. Anis folgte.
 

Sesshoumaru hatte genug gehört. Kaum waren die Schritte der beiden verklungen, ließ er sich kraftlos an einem Baumstamm hinunter sinken. Er fühlte die Verwirrung seines Dämons, der irgendetwas zu tun brauchte. Doch der Daiyoukai hatte kein Ziel mehr. Nichts, für das es sich lohnen würde, zu leben. Er hatte Anis noch ein letztes Mal sehen können, doch was er gehört hatte, warf alles Geschehene in ein anderes Licht. Er hatte nun Gewissheit, dass es ihr gut ging, dass sie ohne ihn zurecht kommen würde. Sie brauchte ihn nicht. Sie hatte bereits jemand anderen, der sie liebte, und den sie anscheinend ebenfalls liebte.

Die Bestätigung, dass sie tatsächlich eine Youkai, wenn auch ihrer Fähigkeiten beraubt, brachte ihm keine Befriedigung mehr. So wie es sich angehört hatte, würde sie ihre Kräfte wohl bald wieder zurück erhalten und dann konnte sie mit ihrem Geliebten in Ruhe leben, in einem friedlichem Land, wo auch immer das sein mochte. Was sollte sie auch schon hier wollen? Hier gab es nur Tod und Verderben für sie. Sie sollte bei ihrer Familie sein und eine eigene gründen. Er sollte das akzeptieren...

Aber er konnte es nicht.

Anis war das Wichtigste in seinem Leben. Er konnte sie nicht so einfach aufgeben.

Nicht, ohne noch ein letztes Mal mit ihr gesprochen zu haben.

Nicht, ohne ihr seine Liebe gestanden zu haben.

Nicht, ohne eindeutig von ihr abgewiesen zu werden!
 

*
 

„Wartet bitte kurz”, sagte Anis plötzlich und blieb stehen.

„Was ist?”, fragte ihre Begleitung und hielt ebenfalls inne.

„Ich möchte gerne die Stelle sehen, an der der Kampf stattgefunden hat. Es müsste hier in der Nähe sein”, erklärte sie ruhig, aber in Wirklichkeit war sie sehr aufgeregt. Sie hatte das Gespräch möglichst schnell unterbrechen wollen, um zum Kampfplatz zu kommen, der glücklicherweise auf der gleichen Strecke wie der Zeitenbrunnen lag. So konnte sie jetzt einfach so tun, als wäre es ihr eben erst eingefallen. Sie wollte sich selbst davon überzeugen, dass Sesshoumaru wirklich tot war. Wenn ja... Lieber nicht daran denken. Aber wenn er noch lebte... Nun, sollte er tödlich verletzt sein, dann konnten Mitsura und Makotoko machen was sie wollten, dann würde sie sich um ihn kümmern. Sie war sich sicher, dass es noch Hoffnung gab.

„Na gut, wenn es denn sein muss...”, murmelte Makotoko geschlagen.

Wie auf ein geheimes Kommando kam auf einmal sein Hund aus den Büschen gesprungen, der bereits eine Strecke vorgelaufen war. Er schnüffelte kurz am Boden und rannte dann in eine andere Richtung weiter. Auch Makotoko hatte den Geruch von getrocknetem Blut wahrgenommen und führte Anis nun auf die Lichtung, wo Sesshoumarus Leiche liegen musste. Es dauerte etwa zwanzig Minuten, bis sie dort angekommen waren und sie schweiften doch etwas von ihrem eigentlichem Weg ab, aber wenn Anis ihren Feind unbedingt noch einmal tot sehen wollte, na gut, an ihm sollte es nicht liegen.

Doch als sie auf der Lichtung angekommen waren, stutzte er doch etwas.

Da war nichts.

Kein Körper, von Messern durchbohrt. Keine zusammengekrümmte Gestalt, die in ihrem eigenem Blut lag. Aber Blut war da, jede Menge Blut. Einige Tropfen auf dem sonst noch unberührtem Sand zeigten an, das sich dort jemand Schwerverletztes entlang geschleppt haben musste.

Makotoko drehte sich zu Anis um, doch die schien seltsamerweise überhaupt nicht betrübt oder wütend zu sein.

Das wiederum machte ihn selbst ziemlich wütend. Was war zwischen den beiden gelaufen, dass Anis, obwohl sie zwei Jahre lang gezwungen war, bei ihm zu sein, sich dennoch nicht seinen Tod herbei wünschte? Er hoffte, sie würde es ihm sagen, wenn sie ihn tatsächlich lieben sollte, wie er befürchtete. So wie das alles aussah, hatte sich dieser Kerl nämlich tatsächlich in sie verliebt, oder begehrte sie zumindest. Wenn Anis ihn nicht eindeutig in die Schraken wies, konnte ihr Übles dabei geschehen. Wenn sie jedoch auch nur den Hauch von Zuneigung zeigte, würde es den Inuyoukai ermutigen, sich ihr weiter zu nähern und das würde Makotoko bestimmt nicht zulassen! Anis würde mit niemandem zusammen sein, den sie nicht liebte, dafür würde er schon sorgen. Selbst wenn der Typ so etwas wie ein Freund für sie war - und alles deutete darauf hin - dann würde er ihn töten müssen, denn Sesshoumaru wollte gewiss mehr als eine Freundschaft und er wollte nicht, dass sie sich bedrängt fühlte.

„Er war ein Freund für dich, nicht wahr?”, fragte er, um Gewissheit zu haben. Er musste sie aufklären, damit sie es verstand.

Anis nickte.

„Ja, er... Er schien am Anfang sehr verschlossen und er ist sicher auch alles andere als nett, aber... Ich bin lange mit ihm gereist und... So etwas verbindet irgendwie, weißt du?”, erklärte sie und diesmal war er sich sicher, dass sie die Wahrheit sagte und ihm nichts verschwieg. Aber er konnte sie verstehen. Es stimmte, wenn man lange mit einer Person unterwegs war, vollkommen voneinander abhängig, dann freundete man sich fast zwangsläufig mit ihr an, auch wenn man diese Person bis über den Tod hinaus hasste, davon könnte er sein eigenes Lied singen.

„Ich glaube nicht, dass er in dir ebenfalls nur eine Freundin sah”, sagte er offen heraus.

Die junge Frau machte eine hilflose Geste, halb Schulterzucken, halb Nicken.

Er seufzte. „Ich werde davon absehen, ihn zu verfolgen. Jedenfalls heute. Sollte er trotz allem eine Möglichkeit finden uns... besuchen zu kommen, werden wir härtere Maßnahmen ergreifen müssen.”

Anis sah ihn dankbar an. „In Ordnung. Lasst uns... Lasst uns möglichst schnell verschwinden, bevor er wieder kommt.”

Makotoko wusste, dass sie trotz seiner Worte befürchtete, er würde sich wie eine wilde Bestie auf Sesshoumaru stürzen, sobald er in Sicht war, doch er belächelte diese Bemerkung nur.
 

„Gibt es noch irgendetwas was ich wissen muss, bevor wir zurück gehen?”, fragte Anis, einfach nur, um etwas zu sagen. Seit gut einer Stunde liefen sie in zügigem Tempo durch den Wald, und sie konnte das Schweigen, das sich zwischen ihnen aufgebaut hatte, nicht mehr ertragen.

„Naja... Da du nach Menschenmaßen theoretisch noch zur Schule gehen müsstest, haben wir uns für dein Fehlen natürlich eine Ausrede ausdenken müssen”, erwiderte Makotoko. Er schien wieder ganz der Alte zu sein, doch die junge Frau wusste es besser.

„Und, was habt ihr den Behörden erzählt?”

„Das kannst du dir doch sicher denken. Wir sagten, dass eine entfernte Cousine von dir aus Spanien dich zu sich eingeladen hat. Als du nach Wochen nicht wieder kamst und wir die Nachricht von... äh... von irgend so einer Tussi bekamen, dass du noch ein wenig länger wegbleiben würdest, stellten wir uns auf eine lange Wartezeit ein. Wir haben erzählt, dass du dort überraschend ein Studium angeboten bekommen hast und dass du deine Schule dort beenden wirst, bevor du nach Japan zurückkehrst. Zum Glück ging die Rechnung auf, wärst du früher wieder aufgetaucht, dann wären wir aufgeschmissen gewesen”, erzählte der Youkai.

„Dann brauch ich jetzt also nicht mehr in die Schule? Na wenigstens etwas...”, murmelte sie daraufhin.

Makotoko sah sie mit einem seltsamen Blick an, sagte jedoch nichts.

„Wie weit ist es eigentlich noch? Nach Menschenmaßen, meine ich. Da ich ja keine Youkaikräfte habe...”, setzte Anis an.

„Oh, es ist gar nicht so weit von hier. Dennoch, vielleicht ist es besser, wenn ich ein wenig nachhelfe...” Der braunhaarige Dämon blieb stehen und wartete, bis sein gescheckter Hund es sich auf seiner Schulter bequem gemacht hatte. Anis sah ihn verwirrt an, als er daraufhin einen Arm um ihre Hüfte schwang. Ohne eine Erklärung abzugeben, stieß er sich dann kräftig vom Boden ab und schwebte auch rasch in die Höhe. Das zusätzliche Gewicht schien ihn nicht im Mindesten zu belasten.

Anis schlag die Arme um seinen Hals, um sich besser festzuhalten, bevor Makotoko auf einem nahen Ast landete, sich wieder abstieß und so im Federflug ihre Reisestrecke erheblich verkürzte...
 

*
 

Sesshoumaru hatte es mit Mühe und Not geschafft, sich zu Ah-Uhn zu schleppen, welcher kurz vor dem Kampf das Weite gesucht hatte. Vielleicht sollte er den Reitdrachen frei lassen, der kam sicher auch gut ohne ihn zurecht.

Dort ließ er sich erneut erschöpft zu Boden sinken und verbrachte die nächsten zehn Minuten damit, das fremde Wesen in ihm zu kontrollieren, welches jetzt, wo es die Verwirrung, die Enttäuschung und die Verzweiflung seiner Seele spürte, wieder heraus drängte, um zu töten. Aber dem wollte er sich unter keinen Umständen beugen.

Seine Wunden verheilten langsam wieder und dennoch würde es einige Tage dauern, bis sie vollständig verschwunden waren. Aber es geschah wenigstens, auch wenn Sesshoumaru nicht genau wusste, ob er das für sich als gut oder schlecht werten sollte. Es bedeutete zwar, dass er höchstwahrscheinlich dem Tod entrinnen würde, aber was sollte er dann machen? Er konnte nicht einfach weiter machen wie bisher. Sein Leben war sinnlos geworden. Es hatte keinen Inhalt mehr.

Das Einzige was er sich gewünscht hatte war, mit Anis zusammen zu sein. Doch sie war besser ohne ihn dran. Wieso hatte er das erst jetzt erkannt? Auch wenn ihr Glück ihm mehr am Herzen liegen sollte als sein eigenes, so wünschte er sich doch, das alles anders gekommen wäre.

Wer war nur diese seltsame Typ bei ihr gewesen? Er hatte so fröhlich, so unbeschwert gewirkt und doch so sauer, als die Sprache auf ihn selbst gekommen war.

Sesshoumaru konnte sich nicht vorstellen, dass Anis so jemanden lieben könnte. Er passte doch gar nicht zu ihr! Aber daran konnte er nichts ändern. Dieser fremde Youkai kannte Anis wohl schon viel länger. Vielleicht waren sie sogar einander versprochen.

Es schmerzte ihn sehr zu wissen, dass er keine Chance hatte.

Aber es schmerzte noch viel mehr zu wissen, dass er nie eine Chance gehabt hatte.

Anis hätte ihn nie lieben können, aus dem einfachen Grund, weil sie schon jemand anderen liebte.

Doch Sesshoumaru war sich mit einem Mal todsicher, dass dieser Mann, mit dem er sie zusammen gesehen hatte, nicht der Richtige für sie war! Er könnte sie niemals glücklich machen!

Aber... Konnte er selbst es denn?
 

Sesshoumaru stand auf.
 

Nein, er konnte es auch nicht. Genau genommen wusste er nicht einmal, wie er das anstellen sollte. Ganz davon abgesehen, dass alle Personen, an dem ihm irgendwann einmal etwas gelegen hatte -
 

Er setzte sich langsam in Bewegung
 

- eines frühen und meist unnatürlichem Todes starben und Sesshoumaru wusste, dass dies geschah, um ihm selbst Schaden zuzufügen. Denn es setzte seltsamerweise erst ein, nachdem sein Vater tot war. Viele hatte er auf diese Weise verloren, alle von unterschiedlichen Personen getötet und doch aus dem selben Grund: Um ihm seelische Schmerzen zuzufügen Meistens klappte es.
 

Der Wind strich ihm die weißen Haare aus dem Gesicht, als er immer schneller wurde.
 

Das war auch der Grund, warum er sich vor allen so verschlossen hatte. Rins Tod war nun der Erste, den er seit langem wieder betrauerte. Wenn Anis hier, bei ihm bleiben würde, wäre es nur noch eine Frage der Zeit, bis auch sie ihr Leben lassen müsste. Es sei denn natürlich, -
 

Sesshoumaru hörte in der Ferne Schritte, doch es interessierte ihn nicht, war doch Menschengeruch zu erahnen.
 

- sie würde seine Gefährtin werden, dann würde es niemand mehr wagen, sie anzurühren, da es Grund genug für eine Kriegserklärung wäre und derjenige im Handumdrehen den ganzen Westen gegen sich hätte. Doch für ihn als zukünftigen Fürsten, jetzt bereits als Lord, war es ein Ding der Unmöglichkeit, sie zu heiraten.
 

Der Geruch des Menschen kam näher. Es war eine Frau. Aber ein gewöhnlicher Mensch, nicht Anis...
 

Seine Braut müsste eine hochgestellte Adlige, am besten eine Hime* sein. Doch Anis war weder das Eine, noch das Andere, im Gegenteil, wenn er nach dem Gespräch gehen konnte, das er zufällig mitgekommen hatte, dann kam sie nicht einmal aus dieser Epoche, war eine Zeitreisende, -
 

Jetzt kam sie in Sicht, es war wohl eine Bäuerin.
 

- vielleicht sogar eine Ausländerin.

Eine Heirat? -
 

Ob er sie töten sollte?
 

- Unmöglich! -
 

Er wandte sich ab. Nein, es wäre Zeitverschwendung. Sesshoumaru wollte einfach an ihr vorbei gehen, sie hatte ihn noch nicht entdeckt.
 

Es war richtig, dass sie jetzt in ihre Zeit zurückkehrte. Sie würde nicht hier bleiben können, hatte sie doch Freund und Familie dort. Wobei er allerdings immer noch der Meinung war, dass dieser Typ nicht der Richtige für sie war!
 

Aaaaaaaahhhhhhhhhh!
 

Ein markerschütternder Schrei riss ihn aus seinen Gedanken.

Verwirrt bemühte er sich, seiner Umgebung etwas mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Er befand sich nicht mehr an dem Ort, wo er eben noch gewesen war, Ah-Uhn war nirgendwo zu sehen. Was war denn passiert? Er konnte sich nicht erinnern, sich fortbewegt zu haben. Andererseits, das bestimmte er selbst seit neuestem ja auch gar nicht mehr. Verdammt, dieser Dämon musste schon wieder die Kontrolle gewonnen haben!

Aber was hatte ihn überhaupt gestört?

Dann erkannte er es. Dort vor ihm kniete eine Menschenfrau, ein einfaches Weib mit schlichter Kleidung. Sie zitterte am ganzen Leib und er konnte ihre Angst riechen. Wahrscheinlich war sie eben bei einem nahen Fluss oder einer anderen Wasserquelle gewesen, denn neben ihr lag ein großer Krug, zerbrochen, und Wasser breitete sich auf der harten Erde aus, die nur wenig Flüssigkeit fassen konnte.

Ob sein Anblick sie so sehr erschreckt hatte? Möglich, das kannte er schon, aber für gewöhnlich erkannten ihn diese niederen Wesen nicht sofort als Dämon.

„Verschwinde!”, sagte er, um sie loszuwerden, doch er selbst war überrascht über den Klang seiner eigenen Stimme. Sie klang hart und rau, als hätte er es verlernt zu sprechen.

Die Menschenfrau stolperte in ihrer Hast von ihm wegzukommen über ihre eigenen Füße und war binnen wenigen Augenblicken verschwunden, auch wenn er sie noch lange riechen und ihrer panischen Schritte hören konnte. Hier irgendwo in der Nähe musste ein Menschendorf sein...

Aus irgendeinem Grund fiel sein Blick plötzlich auf den Krug, den sie zurückgelassen hatte und die Wasserlache, die sich darum gebildet hatte.

Und da hätte er beinahe entsetzt nach Luft geschnappt.

Nun konnte er verstehen, warum diese Frau so panisch geworden war. Es lag tatsächlich an ihm, oder besser - was aus ihm geworden war.

Sesshoumaru hatte ja gewusst, dass er sehr schwer verletzt war und auch, dass diese Wunden wohl nicht so bald heilen würden, doch es war auch nicht das viele Blut, das inzwischen an seiner Kleidung verkrustet war, so dass er keine blutige Spur mehr hinter sich her zog. Nein, Blut war er gewohnt. Es war sein Gesicht, was in so aus der Fassung brachte. Die dunklen Streifen darauf hatten sich verbreitet und hätten sicher gut die Hälfte seines Gesichts bedeckt, wäre dieses nicht ebenfalls ein Stück gewachsen. Seine Augen leuchteten blutrot und aus ihnen blickte eine Boshaftigkeit, die Sesshoumaru selbst nicht bei sich kannte. Aber er spürte sie bei dem fremden Wesen in ihm, das doch schon immer zu ihm gehört hatte.

Auch seine Hände waren verwandelt, sie glichen eher breiten Tatzen mit steinharten Krallen daran. Nun bemerkte er zum ersten Mal auch, das Tensaiga an seiner Seite heftig pulsierte. Anscheinend wollte es verhindern, dass der Dämon vollkommen die Kontrolle über ihn gewann.

Mühsam zwang Sesshoumaru alle Konzentration auf sein anderes Ich und tatsächlich konnte er beobachten, wie seine Pfoten langsam wieder händeähnliche Form annahmen und seine Haut, welche bereits mit feinem, weißen Pelz überzogen war, wieder glatt und unbehaart wurde. Dennoch blieb sein Gesicht, das in seiner menschlichen Gestalt wenigstens ein bisschen Farbe besessen hatte, jetzt schneeweiß, so hell wie das Fell seiner wahren Gestalt. Mit den roten Augen, die er ebenfalls nicht verdrängen konnte und den ohnehin schon unüblich langen Fangzähnen, wirkte er ein wenig wie ein Vampir...

Sesshoumaru schob den Gedanken bei Seite. Wenn er sich nicht auf seine Handlungen konzentrierte, würde der Youkai dies für ihn erledigen und das war bestimmt nicht sehr gut für die Umwelt. Was hatte er überhaupt hier gewollt? Warum hatte der Dämon ihn hierher gebracht? Noch dazu in dieser halbverwandelten Form? Was sollte er hier, in der Nähe eines Menschendorfes, wo es nichts gab, was ihn interessieren könnte?
 

*
 

„Endlich! Wieso habt ihr denn so lange gebraucht?!”, fuhr Mitsura sie ungeduldig an, als Anis und Makotoko in Sicht waren. Sie schwebten sanft vom Himmel herunter und landeten elegant vor der Youkai und dem Brunnen. Sofort sprang ein großer brauner Hund von der Schulter des Angekommenen und begrüßte die Dämonin stürmisch, dicht gefolgt von Anis selbst. Die beiden umarmten sich freundschaftlich und erkundigten sich nach dem Befinden des jeweils anderen.

Seit dem Abstecher zum Kampfplatz war Anis deutlich besserer Laune. Wäre ihr ehemaliger Begleiter tatsächlich tot gewesen, hätte sie ihrer Schwester bestimmt nicht so herzlich gegenübertreten können.

„Also, sagt schon, was hat euch aufgehalten? Ich warte bestimmt schon seit einer Dreiviertelstunde hier!”

„Sorry, aber Anis musste sich unbedingt noch einmal den Kampfplatz ansehen”, erklärte Makotoko.

„Warum denn das?”, sagte die Angesprochene verdattert.

„Um festzustellen, dass die mutmaßliche Leiche sich vom Acker gemacht hat!”, erwiderte er.

„Unsinn, Sesshoumaru IST tot! Oder... Oder etwa nicht?” Ein Schauer lief der Youkai über den Rücken, als sie an den stechenden Blick dachte, mit dem sie der Daiyoukai zum Schluss gemustert hatte.

„Er lebt und er ist entkommen. Keine gute Mischung, wenn du mich fragst. Aber wir haben trotzdem beschlossen, ihn nicht zu verfolgen, solange er uns nicht wiederholt belästigt”, erklärte er.

Mitsura zuckte dazu nur mit den Schultern. Ihr war es egal, was mit dem Inuyoukai passierte, solange sie ihn nur nie wieder sah. Der hatte bestimmt auch so etwas wie Rachegelüste.

„Wie hast du es überhaupt geschafft, ihn zu besiegen?”, fragte Anis und ihre Schwester glaubte kurzzeitig sich verhört zu haben, wie sonst würde sich da dieser kleine Vorwurf in ihrer Stimme erklären lassen?

Dennoch erklärte sie bereitwillig, wollte sie es sich ja nicht gleich auf dem ersten Tag mit ihrer kleinen Schwester verscherzen: „Wenn meine Messer ihr Ziel verfehlen, kehren sie noch in der Luft um und fliegen in meine Hand zurück. Ich verteilte sie auf der Lichtung und ließ sie durch einen speziellen Zauber aus den verschiedensten Richtungen auf meinen Gegner zufliegen. Dann machte er den Fehler und stellte sich, bereits mit Messern bespickt, genau vor mir hin. Ich brauchte nur noch meine Waffen zurückzurufen... Es ist ein Wunder, dass er es überlebt hat.”

Anis schloss kurz entsetzt die Augen. Sie wusste, was es hieß, regelrecht durchbohrt zu werden, Schmerzen zu fühlen. Was Mitsura da jedoch beschrieben hatte, war eine ganz andere Liga, etwas, was sie sich in ihren kühnsten Alpträumen nicht gewagt hatte vorzustellen. Und sie bereute es ganz fürchterlich, die beiden allein gelassen zu haben.

„Anis? Alles in Ordnung?” Mitsura fuchtelte mit ihrer Hand vor dem Gesicht ihrer Schwester herum.

„Was? - Ja, mir geht es gut...” Danach sah sie allerdings überhaupt nicht aus.

„Du brauchst keine Schuldgefühle wegen ihm zu haben. Ich nehme alles auf mich, okay?”, versuchte sie sie zu trösten, da sie ja bereits ahnte, was in ihr vorging.

„Warum glaubst du-”, wollte diese daraufhin fragen, doch ihre Schwester unterbrach sie:

„Hey, ich bin sicher, dass er total verknallt in jemanden ist und da du wohl die Einzige warst, die über längere Zeit über bei ihm war...” Sie warf einen unsicheren Blick auf Makotoko, doch der blickte demonstrativ in eine andere Richtung und tat, als würde er sie nicht hören. Also sprach sie weiter:

„Ich glaube auch nicht, dass dies so schnell nachlassen wird. Er hat keine einzige Wirkung auf das Dietmare gezeigt und dieses Gift hat immerhin schon bei seinem Halbbruder eine beeindruckende Reaktion hervorgebracht...” Sie dachte an den ungemein dümmlich aussehenden Hanyou und verkniff sich ein Grinsen, „Er liebt dich wirklich und es ist durchaus möglich, dass wir ihn noch einmal zu Gesicht bekommen. Da du ihn jedoch nicht wirklich als Feind zu sehen scheinst, werden wir von einem Kampf absehen. - Nicht wahr?” Dabei sah sie fast schon drohend zu Makotoko. Dieser machte eine kurze, abgehackte Bewegung, die man mit viel Fantasie und fünf zugedrückten Hühneraugen noch als Nicken durchgehen lassen konnte, auch wenn ihm selbst dies viel Überwindung zu kosten schien. Dann schien er auf einmal brennend interessiert an einer Fliege, die über das Fell seines Hundes spazierte.

Mitsura wandte sich wieder an ihre Schwester:

„Versprich mir aber bitte eines: Du schleichst dich nicht wieder davon, okay? Wir werden dich nur beschützen können, wenn du das auch zulässt.”

Eine Welle der Dankbarkeit für ihre Schwester überkam Anis und spülte den Ärger über das was sie mit Sesshoumaru gemacht hatte hinfort. Sie konnte Mitsura einfach nicht böse sein, darin war sie schon immer eine große Niete gewesen.

Aber sie durfte sich jetzt wenigstens sicher sein, dass Sesshoumaru von den beiden nichts zu befürchten hatte - und sie selbst wäre ihn dann endlich los.

Anis stimmte also zu, bis ihr der seltsame Gedanke kam, dass es vielleicht gar nicht so toll wäre, Sesshoumaru für immer los zu sein. Sie hatte sich so sehr an ihn gewöhnt, das - Nein, es war besser so. Wenn sie hier bleiben würde, würde sie bestimmt nie wieder in die Neuzeit können, dafür würde dieser sture Hund schon sorgen. Sie konnte ihm aber auch unmöglich anbieten, sie zu Hause zu besuchen. Solch ein Ereignis hätte Hollywood vielleicht brennend interessiert, als Gozilla 2 oder so, aber im Praktischem taugte diese Idee eher wenig, dachte sie sich sarkastisch.

Nein, eigentlich war es ganz gut so, wie es gekommen war. Anis wünschte nur, sie hätte sich noch einmal richtig von Sesshoumaru verabschieden können...

„Wir sollten jetzt verschwinden, da kommen Menschen...”, meinte Makotoko unvermittelt.

„Genau. - Ich geh schon mal vor..” Mit diesen Worten stieg Mitsura auf den Brunnenrand und sprang gleich darauf mit einem elegantem Satz hinein.

Kaum war sie verschwunden, breitete sich eine peinliche Stille zwischen den Zurückgebliebenen aus. Makotoko rang sich schließlich doch dazu durch, das Schweigen zu brechen:

„Du... Du musst nicht unbedingt mitkommen, wenn du lieben hier... bei ihm... bleiben willst...” Er sah aus, als fühle er sich verpflichtet das loszuwerden, auch wenn es ihm ganz und gar nicht behagte. Selbst sein Hund ließ traurig den Kopf hängen.

„Nein, ich... Ich hätte mich einfach noch einmal gerne von ihm verabschiedet, weißt du?”, sagte sie zögernd.

„Oh ja, das hätte ich auch gerne...”, murmelte Makotoko, aber es war kein Zweifel, dass dieser Abschied etwas anders verlaufen wäre.

Anis tat, als hätte sie seine Worte nicht gehört, vielleicht hatte sie das tatsächlich nicht. „Es ist meine Schuld, dass er jetzt so leiden muss und das wollte ich nicht. Das alles geschah nur aufgrund eines-”, sie zuckte hilflos mit den Schultern, „-unglücklichen Missverständnisses.”

„Daran können wir jetzt nichts mehr ändern. Lass und die Vergangenheit ruhen lassen, okay?”, beschwichtigte er sie und diesmal war sein Lächeln sanft und voller Fürsorge.

Anis wusste, warum sie ihn liebte.

„Ja. Das ist jetzt vorbei...”, flüsterte sie mit einer gewissen Traurigkeit. Aber sie würde lernen, es zu akzeptieren. Sie würde es lernen müssen.

Makotoko griff nach ihrer Hand und half ihr auf den Rand des Brunnens hinauf. Noch ein letztes, aufmunterndes Lächeln, dann sprangen sie beide gleichzeitig ab, um endlich zurück in ihre eigene Welt zu gelangen...
 

Hime* = Prinzessin
 

XxX
 

Tja, das mit dem 'inneren Dämon' hab ich mir auf die Schnell ausgedacht, brauchte ja ne Möglichekit wie Sessy überleben kann^^

Er verfällt also langsam dem Wahnsinn, kann nicht sterben und will doch nicht wirklich leben. Ich sag es euch gleich, der Dämon wird wirklich noch GANZ die Kontrolle über ihn gewinnen. Er kann das nämlich nciht selbst zurückmachen, da müsste er sich extrem konzentrieren und dazu hat er einfach nciht die Nerven. Außerdem wird es mit jeder Sekunde die er so halb-verwandelt blebt schwieriger, das rückgängig zu machen.

Ich erklär's nochmal: Er kann seinen Körper nicht kontrollieren, das macht der 'andere' Youkai. Aber er kann diesen Youkai in gewisser weise befehlen was er zu tun hat, durch seine tiefsten Wünsche sozusagen. Allerdings kann er nicht bestimmen, auf welche Weise seine Ziele erreicht werden, und das wird ihm noch beinahe zum verhängnis...

Daheim in der Neuzeit

hm... die ff nähert sich so langsam einen punkt, wo ich wohl noch einmal abrechen werde. Dann ist sie erstmal zu ende. ich schreib dann allerdings noch etwas weiter, sowas wie eine Fortsetzung die aber gleich bei dieser ff angeschlossen wird. sozusgen eine etwas längere Pause.

Ich würd euch dann raten zu warten bis ich alles fertig hab und es wieder (stückchenweise) reinstelle, denn das ende wird dann sicher ein tragisches sein. (also, das erste Ende.)

jetzt erfahrt ihr erstmal etwas über die Youkai in der Neuzeit, wie sich so verhalten, vor den Menschen verstecken und so weiter. Sesshouamru hat dann noch einen kleinen Part am Ende...
 

XxX
 

Der Higurashi-Schrein in Tokyo war recht klein, so dass es mit drei Personen und einem Hund von der Größe eines ausgewachsenen Rottweilers doch ganz schön eng darin wurde. Als dann auch noch die Tür aufgerissen wurde und zwei weitere Personen - die wohl das Stimmengewirr gehört hatten - hinzukamen, war der Raum so voll, das man aufpassen musste nicht jemandem auf die Füße zu treten, oder gar wieder rückwärts in den Brunnen zurückzufallen.

Kagome und ihre Mutter starrten ihre plötzlichen Besucher verdattert an. Sie sahen alle mehr oder weniger mitgenommen aus, als wären sie gerade von einer abenteuerlichen Reise aus dem Mittelalter zurückgekehrt.

„Hi Kagome, ich hoffe es stört dich nicht, dass wir hier so reingeplatzt kommen.” Kagome wandte den Blick zu dem schwarzhaarigen Mädchen, das gesprochen hatte. Sie hatte keine Ahnung wer das war, geschweige denn woher sie ihren Namen kannte. Waren das blutrünstige Dämonen, die es auf ihr Leben abgesehen hatten? Solche hatte sie selbst nämlich noch gut in Erinnerung.

Ihre Mutter jedoch schien die Tatsache, dass da eine wildfremde Bande - sicher unrechtmäßig - auf einmal auf ihrem Grundstück stand, nicht weiter zu betrüben.

„Nein, nein, Besuch ist uns immer willkommen. Kommt doch rein, wir bereiten gerade ein Fest vor! Ihr könnt auch dazu kommen”, lud sie die Fremden wie selbstverständlich ein. Leider schienen die drei dieser Vorstellung überhaupt nicht abgeneigt. Ein braunhaariger junger Mann, der die beiden Frauen um einige Zentimeter überragte und dessen braune Augen bei der Erwähnung einer Party zu leuchten anfingen, verneigte sich höflich und antwortete:

„Wir würden gern noch länger bleiben, aber ich denke, es ist besser, wenn wir erst einmal nach Hause gehen.”

Die Frau an seiner anderen Seite, ebenfalls mit braunen Haaren, allerdings dunkleren, nickte eifrig und sah aus, als wäre sie Partys gewohnt, bei denen hinterher das ganze Haus in Schutt und Asche lag. „Ja, wir würden uns sehr freuen, mit euch feiern zu können. Was steigt hier eigentlich für eine Party? Und wann soll sie stattfinden? Wir würden selbstverständlich gerne kommen...”

Nun ergriff Kagome doch das Wort:

„Die Feier ist morgen, beginnt um zwanzig Uhr. Ich habe vor ein paar Wochen mein letztes Schuljahr abgeschlossen und hab jetzt eine Lehrstelle gekriegt.”

„Genau und weil es heutzutage so schwer ist, eine Lehrstelle zu kriegen, feiern wir morgen Abend diesen Anlass. Jeder ist willkommen!”, sagte ihre Mutter und Kagome unterdrückte einen Fluch. Diese Leute hatten sich noch nicht einmal vorgestellt, wer wusste schon, was die vor hatten?!

„Wunderbar! Wir werden bestimmt kommen.” Mit diesen Worten fasste die junge Frau ihre beiden Begleiter an den Händen und quetschte sich anschließend aus dem Schrein heraus. Sie entfernten sich zügig, doch Kagome und Frau Higurashi waren noch so überrumpelt, dass sie fast fünf Minuten an Ort und Stelle stehen blieben, selbst nachdem die Besucher schon längst hinter der nächsten Hausecke verschwunden waren.

Kagome zermarterte sich währenddessen das Hirn, wo sie diese Leute schon einmal gesehen hatte, doch seltsamerweise war es ihre Mutter, die ihr auf die Sprünge half:

„Nette Leute, nicht war? Das eine Mädchen kenne ich, ich hab sie ein paar mal auf der Straße getroffen. Sie wohnt in der alten Villa, die die Vanderobes gekauft haben. Allerdings hab ich sie schon seit ein paar Wochen nicht mehr gesehen...”

Nun fiel es auch Kagome wie Schuppen vor den Augen.

Natürlich - Die einzige Person von drüben, außer Inuyasha, die sie kannte, war Anis Vanderobe! Und auch ihre Schwester, Mitsura Vanderobe hatte sie schon einige Male gesehen. Zuletzt tatsächlich im Mittelalter, damals waren sie und dieser merkwürdige Typ mit dem Hund regelrecht aus dem Himmel gefallen. Es waren wirklich Dämonen, hatte ihr Inuyasha bestätigt, nachdem er sich dieser komischen Symthome entledigt hatte, die das Erscheinen der beiden damals hervorgerufen hatte und über dessen Wirkung er partout nicht sprechen wollte.

Youkai! Auf ihrer Party! Und ihre Mutter, ahnungslos wie sie war, hatte sie eingeladen. Da konnten sie vom Glück reden, wenn sie das alle überlebten. Schließlich waren sie keineswegs ungefährlich. Sicher, sie schienen sich unter den Menschen sozusagen zu verstecken, aber trotzdem! Sogar Anis konnte sehr gefährlich sein, den Kampf gegen Sesshoumaru hatte Kagome nicht ganz vergessen können, selbst wenn es jetzt schon über zwei Jahre her war.
 

*
 

„Sukerumaru!” Der Ruf schallte durch den weiten Raum und warf ein Echo zurück.

„Ja, ich weiß...”, kam die Antwort.

In dem Raum befand sich ein großer, muskulöser Mann mit glattem Haar, das ihm bis über die Schulterblätter fiel und von kräftiger roter Farbe war. Seine grünen Augen bissen sich ganz furchtbar mit dieser Haarfarbe.

Er trug eine schwarze Lederhose, die ihm viel Beweglichkeit ließ. Sein Oberkörper war nicht bekleidet und in der Hand hielt er ein scharfes Langschwert, dem man auf dem ersten Blick ansehen konnte, dass es von einem Meister seiner Kunst angefertigt worden war. Er hielt die Waffe etwa auf Schulterhöhe, strich mit seiner Hand fast liebevoll darüber und murmelte einige Worte in einer fremden Sprache, die heute kein Mensch mehr kennt. Nur einen Wimpernschlag später schien sich das Schwert wortwörtlich in Luft aufzulösen.

Nun kam er auf die blonde Frau zu, die noch immer an der Tür stand. Ihre braunen Augen beobachteten ihn, als er sich das weiße Hemd griff, das an einem Haken neben dem Türrahmen hing. Dazu kam noch ein bodenlanger, lederner Mantel. Nachdem er auch diesen an hatte, folgte er der Blonden, die schon recht ungeduldig schien, aus dem Zimmer und schloss hinter sich die Tür.

Sie gingen den Flur entlang und die Treppe hinunter.

„Sie müssten gleich da sein, Kantahira”, sagte der Mann, doch es klang eher wie eine Feststellung als wie eine Frage.

„Ja, wir werden es bemerken, wenn es so weit ist”, erwiderte die Frau an seiner Seite, deren Name Kantashira lautete.

Die Ankunft der Youkai, die sich da nährten, hatten beide sofort gespürt. Genau für diese Zwecke hatten sie ihr Haus nämlich mit speziellen Aufspürzaubern umgeben.

Der erste Bannkreis um ihre Villa reichte ziemlich weit. Er war dafür zuständig, das er seinen Erschaffern zeigte, wenn ein starker Youkai mit oder ohne gebannte Kräfte (oder in seltenen Fällen auch ein Mensch oder Hanyou mit besonderen Fähigkeiten) sich nährte. Er ließ solche Leute jedoch ohne große Probleme passieren, war so gut wie gar nicht zu spüren wenn man nicht genau wusste, wonach man suchte und noch dazu schwer zu brechen. Der zweite Bannkreis lag enger, schloss nur das Haus mit ein. Er war nur für Youkai zu spüren, Menschen bemerkten ihn überhaupt nicht, auch keine Mikos, aber er war keineswegs schwach. Er konnte nur von jemandem durchschritten werden, der mit den Vanderobes verwandt war. Besucher mussten extra von einem Familienmitglied eingeladen werden, bevor sie über die Schwellte traten. Wer versuchte, mit Gewalt einzubrechen oder die Tür einzutreten, bekam einen sehr starken Stromschlag und prallte gegen eine unsichtbare Wand. Jedenfalls waren das die harmlosesten Folgen, die nur beim ersten Versuch eintraten und Menschen abschrecken sollten.

Sukerumaru und Kantashira waren nun im Erdgeschoss angekommen. Im Grunde hielten sie sich kaum hier, im Wohnzimmer oder in der Küche auf, die waren praktisch nur für menschliche Besucher da. Anis’ und Mitsuras Zimmer, sowie das Gästezimmer lagen im ersten Stock, die Räume der Eltern im Zweiten. Aber eigentlich wohnten sie alle nur auf dem Dachboden. Für Menschenaugen war dieser staubig und morsch und sie erzählten allen, dass er einsturzgefährdet sei. In Wirklichkeit hatte er die Ausmaße eines kleinen Schlosses, da er immer wieder erweitert und magisch vergrößert worden war. Dort gab es die verschiedensten Räume und Zimmer und in einem davon hatte Sukerumaru auch gerade Schwertkampf trainiert. Das war in der heutigen Zeit eigentlich nicht mehr nötig, aber er war nunmal in einer Gegend aufgewachsen, wo jeder eine Waffe trug und die meisten Dämonen machten dies auch heute noch. Einmal im Monat fanden in unbewohnten Gegenden sogar Schwertkämpfe unter Youkai statt, Duelle die normalerweise nur bis zur Ohnmacht gingen, aber es gab auch Ausnahmen, wo mehr oder weniger aus Versehen doch mal jemand starb.

Einmal im Jahrhundert fand solch ein Duell zwischen Youkai der verschiedensten Arten auf internationaler Basis (freiwillige Teilnahme) statt: auf Leben und Tod, alle Waffen waren dann erlaubt. Dämonen brauchten eben immer noch ein bisschen Gewalt, das lag in ihrer Natur. Wenn sie keine Menschen - ihre bevorzugte und meist auch natürliche Beute - angreifen durften, mussten sie ihre ‘Aggressionen’ eben an ihren Artgenossen ausleben.

Die niederen Dämonen, die Unmengen von Fleisch benötigten, lebten meist in Gebirgen, abgeschottet von der Zivilisation und hatten sich vermutlich schon längst gegenseitig ausgerottet, von den Hochrangigen kümmerte es niemanden, wenn sie nicht zufällig miteinander verwandt waren.

Im Gegensatz dazu wurden die Beziehungen zwischen den einzelnen, reinblütigen Youkaifamilien enorm verbessert, es gab keine Kriege oder Blutfehnden mehr zwischen ihnen. Auf einer dieser - meist stinklangweiligen - Versammlungen, an der meist mehrere Länder teilnahmen und die mehrmals im Jahr stattfanden, hatten sich auch Sukerumaru und Kantashira kennen gelernt.

Und nun hatten sie eine Zeit lang um ihre gemeinsamen Kinder fürchten müssen.
 

Sukerumaru war als Erster unten und riss die Haustür auf. Tatsächlich, da kamen sie alle gemächlich die Auffahrt hochgetrabt. Mitsura, Anis, Makotoko und sein Hund, alle waren sie wohlbehalten zurückgekehrt! Und natürlich benahmen sie sich, als wäre nie etwas gewesen.

Die Wiedersehensfreude war verhältnismäßig groß, aber nach Menschenmaßen hielt sie sich eher in Grenzen. Über Mitsura und Makotoko hatten sich die beiden Erwachsenen keine sonderlich großen Sorgen gemacht: Beide konnten auf sich selbst aufpassen und waren ja auch weitaus kürzere Zeit weg gewesen, so etwas hatten sie schon öfters getan. Doch bei Anis hatten sie sich schon so ihre Gedanken gemacht. Für Youkai waren zwei Jahre nicht einmal ganz vierzehn Tage, aber angesichts dessen, das sie diese Zeit im kriegerischem Mittelalter zugebracht hatte und sie bisher keine einzige Meldung erhalten hatten und wenn man dann noch bedachte, dass sie zwar ihre Waffe mitgenommen hatte, sich aber ansonsten nicht wie die hochrangige Youkai, die sie war, wehren konnte, dann waren sie über die Tatsache, dass sie nun putzmunter vor ihnen stand, doch recht erleichtert.

Nachdem die allgemeine Begrüßung vorbei war und sie alle gemeinsam im Wohnzimmer saßen, musste Anis erst mal alles ganz genau erzählen, was sie in der Epoche der kriegerischen Staaten alles erlebt hatte. Die Lage dort war allen unbekannt, da sie genau diese betreffenden Jahrhunderte in Frankreich zugebracht hatten. Doch besonders viel konnte Anis ihnen darüber auch nicht erzählen, menschliche Geschichte interessierte niemanden so besonders und der einzige Youkai, der ihr etwas hätte sagen können, hatte dies nur ein einziges Mal getan und die Namen der Fürsten, die er genannt hatte, hatte sie schon wieder vergessen.

Das Wenige, was von den Dämonen geschichtlich übermittelt wurde, hätte in eine hohle Hand gepasst. Der nächste bemerkenswerte Youkaikrieg hätte dort erst in einigen Jahren stattgefunden.

Dennoch war es sehr spannend und ehe Anis mit ihrem Bericht fertig war, war die Nacht herein gebrochen. Das störte die Youkai freilich überhaupt nicht, Schlaf hatten sie schließlich nicht nötig. So erzählte Anis immer weiter, ließ jedoch auch einige Details (wie zum Beispiel die Sache mit der Schneehöhle) außen vor, die nicht für ihre Familie wichtig zu sein hatten oder die ihr peinlich waren. Die Zeit in dem Menschendorf übersprang sie fast vollkommen, denn das ließ sich mit nur einem Wort beschreiben: langweilig!

Selbst hier in der Stadt mit Menschen war es nicht SO langweilig. Dabei war hier für ihresgleichen nun wirklich nichts los. Die meisten Youkai in der Neuzeit verbrachten ihre Zeit ohnehin damit, die Menschen zu ärgern und nach ihrem Willen zu formen. Die Regierung der meisten Länder zum Beispiel bestand nur aus Dämonen. Große Politiker, Künstler oder Kriegsherrn - alles Youkai. Menschen waren generell mit ihrem kurzem Leben gar nicht in der Lage, geschichtstaugliche Dinge zu tun, oder gar zur Perfektion zu bringen. Youkai im Rechtswesen sorgten für Lücken im Gesetz, die Dämonen mehr Freiheit ließen, was unter anderem eine große Arbeitslosigkeit unter den Menschen zur Folge hatte. Die Youkai erzogen die Menschheit nach ihrem eigenem Willen, ohne das diese es mitbekamen. Selbst im Schulwesen waren einige von ihnen tätig. Das einzig Lästige war natürlich, dass man mindestens alle zwanzig Jahre umziehen und von vorn anfangen, wobei man sich immer verkleiden musste, weil es natürlich auffiel, wenn die Youkai nicht wie normale Menschen alterten.

In einigen Ländern war es schon seit mehreren Jahrhunderten üblich, dass Youkai und Menschen friedlich zusammenlebten, ohne das die niederen Lebensformen von ihnen von den ‘Anderen’ wussten. Japan war eines der letzten Länder gewesen, in der diese Ordnung eingeführt worden war. So fanden sich auch in der frühen Geschichte der ‘angeblichen’ Menschen die Spuren von Youkai. Einer von ihnen, der besonders gut malen konnte, war von einem Land ins Nächste gereist und unter verschiedenen Namen wie ‘Hundertwasser’, ‘Piccasso’, ‘Leonardo da Vinci’ oder ‘Rembrandt’ berühmt geworden. Ihm hatte der Ruhm gefallen. Er erfand verschiedene Lebensgeschichten, eignete sich unterschiedliche Style an und lebte manchmal sogar an mehreren Orten nter verschiedenen Identitäten gleichzeitig, auch wenn das ständige Herumgehetze sicher mal lästig geworden war. Die Menschen hatten die ganze Sache natürlich noch mit erfundenen Details ausgeschmückt und so mancher Youkai hatte über ihre Dummheit gelacht. Auch in der Welt der Musik gab es ähnliche Beispiele, begabte Youkai (in diesem Fall meist Vogelyoukai) scheuten keine Mühe, sich immer wieder als eine andere Person zu verkleiden, Masken zu schneidern, sich falsche Bärte anzukleben und Perücken aufzusetzen. Heutzutage war das einfacher. Man brauchte sich nur die Haare zu färben, vielleicht ein wenig Schminke aufzutragen und schon war man an so entfernten Orten wie Mexiko nicht mehr als (beispielsweise) König von Thailand zu erkennen.

Die jüngeren Dämonen gingen lieber als Popstar oder Modell auf die Bühne, doch fast alle hielten das nur zwei oder drei Jahre durch und gönnten sich zwischen all dem Rampenlicht immer mal wieder eine Pause, indem sie einen höchst dramatischen Tod vortäuschten und sich bei irgendeinem bekanntem Youkai mit guten Beziehungen einen neuen Ausweis, andere Unterlagen und eine neue Identität beschafften. Die waren dann nicht mal gefälscht, weil sie ja richtig hergestellt werden, nur eben von Youkai, die es nicht weiter verrieten.

Die Vanderobes waren da nicht anders, auch sie waren mehrere Jahre in verschiedenen Ländern aktiv gewesen und wollten nun ein paar Jahrzehnte in Japan bleiben und auch wenn sie in einigen Jahren wohl aus Tokyo ausziehen mussten, so hatten sie in nächster Zeit doch nicht vor, das Land zu verlassen.
 

Erst um drei Uhr nachmittags kamen auch die letzten Gespräche zum Erliegen. Mitsura, ihre Schwester und Makotoko durften sich endlich entfernen und die Mädchen verbarrikadierten sich sogleich in Mitsuras Zimmer.

Dort angekommen fiel eine gewisse Anspannung, die sie immer in der Nähe ihrer Eltern verspürten, von ihnen ab. Als Youkai waren sie natürlich zu absolutem Gehorsam gegenüber ihren Eltern, den Ranghöheren, erzogen worden, selbst wenn diese Vorstellung innerhalb der Familie etwas veraltet waren. Untereinander konnten sie freier, ja manchmal sogar mit weniger Respekt reden, es war entspannter. Die Tatsache, dass sich Sukerumaru und Kantashira scheinbar nicht um sie kümmerten, betrübte sie nicht im Mindesten. Im Gegenteil, sie waren stolz, dass ihre Eltern so viel Vertrauen in sie setzten und ihnen nicht allzu viele Verbote erteilten. Zudem wurde Privatsphäre in diesem Haus mehr als alles andere geschätzt. So verschluckten hier zum Beispiel die Wände jegliche Gerüche und Geräusche und machten es so selbst einem Dämon unmöglich, sie in irgendeiner Weise zu beobachten. Natürlich hatten sie eigentlich nichts zu verbergen, aber es war doch angenehm zu wissen, dass private Gespräche auch wirklich privat blieben.

Mitsuras Zimmer war - für jemanden, der sich kaum darin aufhielt - recht luxuriös eingerichtet. Gegenüber dem großen Himmelbett stand auf einem, mit reichlicher Verzierung geschmückten Holztisch, ein Computer samt Fernseher. Auf dem Kleiderschrank auf der anderen Seite des Zimmers (begehbar und ebenfalls magisch vergrößert) thronte eine Hightech-Stereoanlage und stapelweise CDs. Daneben stand ein etwas kleinerer Schrank mit weiterer Technik und anderen Privatgegenständen Mitsuras. Auch bei diesem Möbelstück wäre man von außen nie darauf gekommen, dass der Innenraum fast noch größer war als das Zimmer der Dämonin an sich.
 

Nachdem die Tür verschlossen war, ließ sich Anis auf das riesige Bett fallen und atmete einmal tief ein und aus.

„Ach, ist das schön mal wieder in einem richtigem Bett zu liegen!”, rief sie aus, drehte sich auf den Bauch und schlang die Arme um das Kissen.

Mitsura griff sich eine Fernbedienung und die Stereoanlage aus dem Schrank fing, zusammen mit fünf Lautsprechern die im Raum verteilt waren, mit einem riesigem Krach an, einen höchst menschenfeindlichen Song über die Weltherrschaft der Youkai abzuspielen: etwas, das man nur unter Beweis von Youki kaufen konnte. Doch Anis traute ihrer Schwester - die jede Art von Musik liebte, wenn sie nur laut genug war - durchaus zu, dass sie sich den Text niemals wirklich genau angehört hatte.

„Wieso musst du dir immer so lautes Techno-Zeug anhören?”, beschwerte sie sich laut schreiend, um das Gedröhne zu übertönen.

„Weil es gerade in Mode ist!”, rief Mitsura, drehte die Lautstärke dann aber doch ein wenig runter; wohl Rücksicht nehmend auf Anis’ menschliche Ohren, die zwar nicht so genau hören konnten wie gewöhnliche Dämonen, aber auch nicht wie geschulte Youkai-Ohren in der Lage waren, den Krach einer explodierenden Atombombe (eine Erfindung eines chemisch begabten Youkai, in der Hoffnung, die Menschen würden sich gegenseitig ausrotten) völlig zu ignorieren und nicht einmal als besonders unangenehm zu betrachten. Das zu erreichen war sehr schwierig gewesen, da die Vanderobes zu einer Youkai-Art gehörten, die sehr gute Ohren hatten.

„Bist du sicher, dass das jetzt in Mode ist? Du warst seit Wochen nicht hier”, erwiderte Anis grinsend.

„Ich besorg mir die Musik ja auch immer schon Wochen, bevor sie überhaupt in Mode kommt! Du weißt, ich hab da so meine Beziehungen”, antwortete ihre Schwester.

Anis konnte sich sehr lebhaft vorstellen, was für eine Art ‘Beziehungen’ da gemeint waren.

„Weißt du was, Anis? Wir werden dich nach diesem ganzen Mittelalter-Kram mal etwas auf andere Gedanken bringen. Es scheint dich ja doch sehr zu beschäftigen - mehr als dir gut tut”, eröffnete Mitsura ihr plötzlich. Anis schwante Böses. „Und woran hast du dabei gedacht?”

„Nun, heute Abend gehen wir ja zu Kagomes Party. Bis dahin müssen wir dich noch zurecht machen, die Zeit ist knapp. Und morgen... Morgen lad ich dich ins Kino ein. Dann sehen wir weiter”, zählte Mitsura stolz auf.

Anis gab nur ein undeutliches Brummen von sich, welches sofort als Zustimmung gewertet wurde:

„Als Erstes müssen wir dir etwas Ordentliches zum Anziehen besorgen - Ich such dir was Hübsches raus und du nimmst währenddessen ein heißes Bad. Komm, beeil dich, wir haben nicht einmal mehr fünf Stunden!”
 

*
 

Anis stand - nur mit einem Handtuch bekleidet, welches sie geschickt um ihren Körper gewickelt hatte - im Badezimmer und trocknete sich mit einem zweiten Handtuch die tropfnassen Haare ab. Die swimmingpoolgroße Wanne, aus der sie gerade gestiegen war bewies, dass auch dies ein magisch vergrößerter Raum war. Auch er befand sich auf dem Dachboden und wäre wohl eines (Menschen-) Königs würdig gewesen. Der Fußboden bestand aus einem Mosaik aus bunten Steinen, welches von oben betrachtet das Zeichen der Vanderobes bildete: drei silberne Punkte, die im Dreieck eng aneinander angeordnet waren. Die Wände waren mit kunstvollen Wandmalereien verziert und zeigten die wunderbarsten Bilder aus der Unterwasserwelt. Auf einem großen Regal in der Ecke stapelten sich die Handtücher. Da Youkai jegliche Verschmutzungen vermieden und ohnehin selten oder gar nicht schwitzten, kam es selten vor, das sie überhaupt badeten: Dämonen konnten sich praktischerweise mittels Magie reinigen.

Einmal alle zwanzig Jahre veranstalteten sie einen Großputz, nämlich immer dann, wenn sie in ein anderes Haus umzogen. Die magischen Räume konnten natürlich nicht immer wieder neu angelegt werden, deshalb wendete man einen komplizierten Trick an, mit dem man die Ursprungsmagie der Zimmer nicht im Raum selbst, sondern in der Tür, die zu diesem führte, versiegelte. So konnte man dann die Tür aus den Angeln heben und im neuen Haus wieder einbauen; dahinter befand sich dann das magische Zimmer, so als würde das eigentliche gar nicht existieren. Manchmal machte man sogar ein Loch in die Mauer, wenn das Haus nicht genügend Türen hatte. Die Möbelpacker hielten sie allerdings immer für verrückt, wenn sie neben den üblichen Möbeln auch noch ein Dutzend Türen mitnahmen. Aber Menschen konnte man glücklicherweise mit ein paar Münzen zum Schweigen bringen.

Die Tür öffnete sich und Mitsura trat ein, über ihrem Arm hingen ein paar Kleidungsstücke. Ihr Blick streifte Anis nur, die gerade das Handtuch, welches sie für ihre Haare benutzt hatte, in den zehn Meter tiefen Wäschekorb warf. Die Youkai hielt ihre Nase schnüffelnd in die Luft, dann bekam ihr Gesicht einen ärgerlichen Ausdruck.

„Anis, was soll das? Was hast du da ins Wasser getan?!” Zornig ließ sie die Kleidung auf einen Stuhl fallen, ging zum Becken und schöpfte etwas Wasser ab.

„Wieso? Ich hab einfach irgendeine Sorte Schaumbad reingetan...”, antwortete Anis verwirrt, während ihre Schwester das Wasser langsam wieder zurück plätschern ließ.

Mitsura seufzte. „Anis, das war kein normaler Badeschaum! Warum liest du dir nie die Etiketten durch?!”

Die Angesprochene wurde blass. „Sag jetzt nicht, dass ich mich gerade selbst vergiftet hab!”, klagte sie.

„Nein, aber das Zeug löst Farbe auf. Wenn deine Haare das nächste Mal mit Wasser in Berührung kommen, entfärben sie sich. Dann kannst du dich von der schwarzen Farbe, mit der du sie gefärbt hast, verabschieden!”, erklärte sie.

„Soll das etwa heißen, ich krieg dann meine natürliche Haarfarbe wieder?!”, rief sie entsetzt und betrachtete eine Haarsträne, die sie zwischen den Fingern drehte, mit neuem Widerwillen. „Aber dann trau ich mich ja nicht mehr auf die Straße...”, protestierte sie dann.

„Das ist nicht mein Problem. Aber du kannst dir die Haare erst wieder färben, wenn die alte Farbe raus ist. Sonst ist es wahrscheinlich, dass es misslingt und am Ende werden sie dann grün oder so...”

Anis nickte. Ja, es stimmte, die dauerhaften - oder zumindest mehrere Jahrzehnte haltenden - Haarfärbungsmittel waren extra für Dämonen gemacht, da es natürlich einige Arten gibt, die blaue, grüne, weiße oder sonst was für verrückte Haarfarben hatten. Besonders ärgerlich war das für Dämonen mit gebannten Kräften wie Anis. Alle dämonischen Merkmale verschwanden, die Ohren wurden rund, die Fingernägel stumpf, die Sinne geschwächt und die Fähigkeiten schlichtweg ausgelöscht. Aber Haar- und Augenfarbe blieben, genau wie die typischen Zeichen einer hochrangigen Youkai die Arme, Beine und teilweise auch das Gesicht zeichneten. Doch diesen konnte man mit Schminke beikommen, heutzutage gab es farbige Kontaktlinsen, und eben Haarfärbungsmittel.

Anis bekam ein flaues Gefühl in der Magengegend, wenn sie an die Folgen dachte, würde sie das nächste mal mit Wasser in Berührung kommen: Sicher würde sie sich total zum Affen machen!

„Na dann wasch ich das Zeug jetzt eben raus und dann färben wir sie wieder!”, forderte Anis dann.

„Nix da! Das brauch zu viel Zeit und wir haben nicht einmal mehr ganz vier Stunden! Außerdem ist unser Vorrat sowieso ausgeschöpft und es ist schwer an das Zeug zu kommen, ich hab keine Ahnung wo man das hier in Tokyo her kriegt. Aber ich verspreche dir, dass wir uns morgen mal etwas genauer umsehen, wir werden schon was finden. Bis dahin musst du einfach aufpassen”, legte Mitsura fest.

„Können wir das wirklich nicht gleich machen? Es muss doch noch was da sein! Ich hab extrem lange Haare, da werd ich nicht immer aufpassen können!”, bettelte sie und betrachtete ihre Haare missmutig, die so lang waren, das sie fast den Boden berührten.

„Nun stell dich nicht so an, da fällt mir auch noch was ein. - Hier, zieh das mal an. Da ich nicht genau weiß, wie die Stimmung auf der Party sein wird, hab ich ein Zwischending zwischen Vornehm und Fetzig genommen...”, wechselte sie geschickt das Thema. Mitsura reichte ihr ein langärmliges blaues Sweatshirt mit silberner Schrift drauf, dazu eine schwarze Feinstrumpfhose und einen Jeansrock mit vielen Kettchen dran. Zusammen mit einem Paar kniehohen Stiefeln passte es recht gut zu Anis.

Die beiden Frauen zogen sich jetzt um. Mitsura trug nun ein knielanges weißes Kleid, das mit Hunderten von glitzernden Paletten bestickt war und von dünnen Spagettiträgern gehalten wurde. Ihre Füße steckten in flachen weißen Sandalen mit silbernen Verzierungen dran, das eisige Herbstwetter vollkommen ignorierend. Während Anis auf Schmuck verzichtet hatte, war Mitsura mit Dutzenden von silbernen Armbändern behängt, passend zu den sternförmigen Ohrringen und der kunstvoll gearbeiteten Kette.

Beide betrachteten ihre Erscheinung aufmerksam in der riesigen Spiegelwand, die die gesamte hintere Wand einnahm.

„Alles klar, jetzt müssen wir nur noch etwas mit unseren Haaren machen...”, murmelte Mitsura. Anis stöhnte. Sie wusste, dass dies nach der Vorstellung ihrer Schwester die meiste Zeit in Anspruch nehmen würde.
 

Drei Stunden später...

„So, fertig!”, rief Mitsura hocherfreut aus und legte den Kamm beiseite.

Anis atmete erleichtert auf und stand vom Stuhl auf. Mitsura hatte doch tatsächlich geschlagene zwei Stunden an ihren Haaren rumgefummelt, nachdem sie eine Stunde für ihre eigenen gebraucht hatte. Das Schrecklichste an der ganzen Sache war, dass ihre Schwester ihr gut die Hälfte ihrer Haare einfach abgeschnitten hatte! Sie reichten jetzt nur noch knapp bis zur Hüfte, was Anis ihr sehr übel nahm. Doch Mitsura hatte überhaupt nicht nach ihrer Meinung gefragt, sondern sie kurzerhand abgesäbelt. Darauf hatte ein ganz hässlicher Streit gefolgt, den die Youkai letztendlich gewonnen hatte. Sie meinte, solch lange Haare wären ohnehin völlig unpraktisch, außerdem würde sie so weniger Gefahr laufen, mit Wasser in Berührung zu kommen, wenn sie weniger Haare hätte. Nachdem dann auch die Spitzen noch sauber abgetrennt wurden, so dass alle Haare gleich lang waren, hatte sich Anis wieder etwas beruhigt. Mitsura hatte ein wahres Meisterwerk der Flechtkunst auf ihrem Kopf erschaffen, ohne das es zu protzig aussah. Sie selbst hatte einen einfachen Franzosenzopf, in dem weiße Bänder eingeflochten waren.

„Es ist jetzt fast um sieben, in einer Stunde fängt die Party an. Was machen wir bis dahin?”, fragte Anis jetzt, nachdem sie sich nochmals ausgiebig im Spiegel betrachtet hatte und zu dem Schluss gekommen war, dass es besser wäre, den Streit mit ihrer Schwester zu begraben.

„Ist doch klar: Wir machen Makotoko Feuer unter dem Hintern! Ich wette mit dir, dass er sich noch nicht einmal umgezogen hat!”, war die Antwort.

Also verließen die beiden Frauen das Bad und gingen den Flut entlang, die Treppe hinunter in das Zimmer, das hier als Gästezimmer gehalten wurde, und in dem sich Makotoko immer aufhielt, wenn er zu Besuch war.

Sie klopften höflich an und warteten dann auf eine Antwort, die jedoch ausblieb.

„Makotoko? Seid ihr schon fertig? Wir müssen doch zu Kagomes Party!”, rief Mitsura.

Die Tür öffnete sich, ohne das sie jemand berührt hätte.

Dieses Zimmer war so gut wie leer, es stand nur ein verstaubtes, nie benutztes Bett darin und eine Ecke war mit vielen Sitzkissen ausgepolstert. Dort saß Makotoko, neben ihm sein Hund und schauten sie überrascht an.

Mitsura jedoch schnappte nach Luft, durchquerte den Raum mit wenigen Schritten und riss dem Youkai etwas aus der Hand.

„Sagt mal seid ihr völlig von Sinnen?! Ihr habt euch ja noch nicht einmal zurecht gemacht, sondern sitzt hier und lest COMICS?!” Sie fuchtelte mit dem bunten Heft vor seiner Nase rum.

„Hey, gib das sofort wieder her!”, protestierte der junge Mann und wollte ihr das Heft aus der Hand reißen, doch sie wirbelte herum und warf den Comic Anis zu, die noch immer an der Tür stand.

Geschickt fing sie es auf und betrachtete die bunten Bilder.

„Makotoko, warum müsst ihr immer so etwas Brutales lesen?”, fragte sie anklagend und deutete mit dem Finger auf die Titelseite, wo eine besonders blutige Szene festgehalten wurde.

Mitsura, der Makotokos therapiefälliger Büchergeschmack überhaupt nicht interessierte, keifte: „Wir kommen in einer halben Stunde wieder, und dann seid ihr fertig, kapiert!?”

„Ja, ja, alles klar. - Ach, ihr seht übrigens toll aus, Mädels!”, fügte er noch grinsend hinzu, den Verlust seines Comics offenbar mit Humor nehmend.

Mitsura funkelte ihn nur wütend aus ihren blauen Augen an und schlug dann die Tür hinter sich zu.

„Ich WETTE mit dir, dass er wieder seine zerfetzte Lederjacke anzieht!”, sagte sie dann zu Anis. Die konnte über ihr Verhalten nur den Kopf schütteln. Mitsura legte sehr viel Wert auf ihr Äußeres, aber noch mehr auf ihres, und Makotokos. Manchmal war es eine schwere Last, sie zur Schwester zu haben...
 

*
 

Sesshoumarus Zustand verschlechterte sich mit jeder Minute. Der Dämon hatte ihn an den Rand seines Bewusstseins gedrängt und die Zeiten in denen er wie ein Außenstehender seine eigenen Taten beobachten konnte, waren nun vorbei. Es war, als hätte er seinen Körper komplett verloren. Er konnte nichts sehen, nichts riechen, nichts hören und nichts fühlen, kurz: Keiner seiner Sinne teilte ihm mehr etwas mit. Um ihn herum war nur Schwärze, eine undurchdringliche Finsternis. Dennoch hatte er es irgendwie geschafft, seinen Verstand zu behalten.

Noch hatte er nicht vollkommen die Kontrolle verloren. Aber sein Youki, das, was ihn zu einem Dämon machte, schien sich nun in ein selbstständiges Wesen verwandelt zu haben. Ein Wesen, das selbst denken, selbst handeln konnte. Aber es war keineswegs intelligent.

Das Wesen war wie ein Neugeborenes, das die Welt zum ersten mal mit eigenen Augen sah und sie sonst nur von Erzählungen kannte. Es schien sogar so, als würde es in Sesshoumarus Seele, die es fast unbeabsichtigt gefangen hielt, so etwas wie einen Vater, einen Erzeuger sehen, was er ja in gewisser Weise auch war. Diese Kreatur kannte keine Gefühle, keine Ehre, keinen Stolz, kein Verlangen nach Macht, keine Blutsucht oder Kälte, keine Gleichgültigkeit oder Neugier, nichts, was Sesshoumarus Seele eigentlich ausmachte. Aber es wusste, dass sein einziger Zweck, der Grund warum es auf dieser Welt war, einzig der war, dass es Sesshoumaru gehorchte. Es begriff nicht einmal, was es war. Wenn es zu ihm sprach, so sprach es immer in der Mehrzahl, als traute es sich nicht, nach eigenem Befinden zu entscheiden, wofür Sesshoumaru sehr dankbar war.

Aber es stellte Fragen.

Unheimlich viel Fragen.

Es war fast wie eine Stimme ohne Klang, die der Inuyoukai hörte. Ein fremder Gedanke, der sich zwischen seine eigenen schlich und den er dennoch sofort von seinen eigenen unterscheiden konnte, weil er so voller Macht war.

Dieses Wesen wollte seinen innigsten Wunsch erfüllen. Es wollte das tun, was er tun wollte. Das Problem war nur, das Sesshoumaru keine Ahnung hatte, WAS er wollte und dem Wesen daher auch die gewünschten Befehle nicht geben konnte.

Was sollen wir jetzt tun?

Da, schon wieder. Woher sollte er denn wissen, was jetzt zu tun war? Das Denken fiel ihm so viel schwerer, wenn dauernd jemand dazwischen redete. Er brauchte Ruhe, damit der nachdenken konnte.

Ruhe.

Oh Schreck. Jetzt glaubte es bestimmt wieder, es müsste alles vernichten, was die Ruhe störte. Zu dumm, das dieses Wesen seine Gedanken lesen konnte und diese noch dazu meist falsch interpretierte. Er müsste direkte Befehle geben...

„Wo sind wir?”, fragte er das Geschöpf, wobei er sich ein wenig dämlich vorkam, mit sich selbst zu sprechen, zumal kein Laut über seine Lippen drang, jedenfalls keiner, den er hätte hören können. Er hatte ja schließlich keine Gewalt mehr über seinen Körper.

Im Wald.

Ah, natürlich. Im Wald.

„Also hast du dich nicht von der Stelle gerührt?”

Ich?[(I]

„Wir!” Verdammt, verstand dieses Wesen nicht, das er sich nicht zu ihm dazu zählte?!

Wir haben uns bewegt. Ist das nicht richtig?

Womit hatte er das verdient?! Konnte er nicht einfach klare Antworten haben?! Diese Kreatur schien regelrecht Angst davor zu haben, etwas zu tun, was ihm nicht gefallen könnte. Das war ja gut und schön, nur leider tat es manchmal auch einfach Dinge, wovon es glaubte, sie würden ihm gefallen. Meist taten sie das nicht.

„Beschreibe mir die Umgebung!” Er hätte ja lieber befohlen, dass sich dieses Wesen zurückzog, aber leider hatte dieses genauso wenig Ahnung wie er, wie es das machen könnte.

Da sind Bäume. Unten ist Gras.

Na toll. Als wenn es in einem Wald anders aussehen könnte.

„Sehen wir irgendetwas, was nicht in das Bild hinein passt? Etwas, das vielleicht von Menschen gebaut ist?” Wenigstens brauchte er die Begriffe die er verwendete nicht zu erklären, denn er brauchte sich diese Dinge nur vorzustellen und das Wesen wusste, was gemeint war. Den Rest setzte es aus seinen Erinnerungen zusammen, um seine Befehle zu verstehen.

Nein.

Hm.

„Riechen wir etwas, was darauf hindeutet, dass es in der näheren Umgebung so etwas gibt?” Er musste schließlich wissen, ob in der Nähe Menschen waren, die ihn beim Nachdenken stören könnten, und die dieses Wesen sicher töten würde. Das nämlich war nicht in seinem Sinne, ein letztes Bisschen Ehre wollte er sich schon behalten.

Ja.

Musste man ihm denn alles einzeln aus der Nase ziehen?

„Und was?”

Totes Holz.

Totes Holz... Was könnte das sein? Ein Haus? Vielleicht sogar eine Siedlung?

„Geh dort hin!”

Sesshoumaru konnte die Freude des Dämons spüren, endlich eine Aufgabe zu haben.

Er wartete. Aber es passierte nichts. Da er seinen Körper nicht spüren konnte, wusste er nicht, ob er schon am Ziel war.

„Sind wir da?”

Ja.

„Du musst mir immer Bescheid sagen, wenn du einen meiner Befehle ausgeführt hast!”, sagte er zornig.

Das werde ich tun.

Na hoffentlich.

„Also, was ist es?”

Ein Brunnen.

Ein Brunnen? Also musste doch in der Nähe ein Menschendorf sein...

„Kannst du Menschen riechen?”

Ja.

„Weit weg?”

Nein. Ein Dorf ist in Sichtweite.

Herrje, warum nur war dieses Biest so wortkarg?!

„Antworte mir ausführlicher! Nähert sich uns eine Person?”

Nein. Es ist niemand zu sehen. Weder Mensch noch Dämon. Wir können auch niemanden im näherem Umkreis riechen oder spüren.

Na toll. War nur die Frage, was für dieses Wesen ‘im näheren Umkreis’ war.

„Kannst du diesen Geruch wahrnehmen?” Sesshoumaru versuchte sich so gut es ging an Anis’ Geruch zu erinnern und ihn so dem Wesen zu übermitteln.

Ja. Aber er ist ganz schwach.

Sesshoumarus Herz hätte jetzt sicher schneller geklopft, hätte er irgendeine Macht über dieses. Das Wesen schien seine Aufregung zu spüren, denn es fragte:

Ist das gut?

Ob es gut war? Gute Frage. Anis musste hier gewesen sein, aber was sollte er mit dieser Information anfangen?

„Sag mir, ob der Geruch irgendwohin führt.”

Er endet beim Brunnen.

Endete? Daraus konnte er sich beim besten Willen keinen Reim machen.

„Sicher?”

Ja. Er verschwindet spurlos. Aber ich glaube, es ist der Geruch einer Pflanze.

Belustigt stellte Sesshoumaru fest, dass sich das Wesen fast wie ein ängstlicher Diener benahm, der sich nicht traute, seinem Herrn direkt mitzuteilen, dass er es für sonnenklar hielt, dass dort um den Brunnen herum einfach ein paar Blumen wuchsen, die diesen Geruch verströmten. Mit dem Unterschied, dass dieses Wesen keine Angst kannte.

„Geh zu dem Brunnen”, befahl er und wartete eine Weile, bevor es antwortete:

Wir sind da.

„Siehst du dort dieses-” er übermittelte das Bild einer Lavendelblüte, „-Kraut da irgendwo?”

Nein.

Also war tatsächlich Anis da gewesen....

Was sollen wir jetzt tun?

Grrrrr... Das Ding sollte ihn nicht so hetzen! Wie sollte er denn da in Ruhe nachdenken?!

„Setz dich hin und... Und heile die Wunden!”, befahl er kurzerhand, weil ihm nichts Besseres einfiel. Schließlich müssten die Wunden, die er vom Kampf mit Mitsura davongetragen hatte, immer noch nicht ganz verschlossen sein.

Wir werden leben?

Diese erfreute Stimme machte ihm fast ein wenig Angst. Ja, obwohl sein oberstes Ziel im Moment nicht wirklich Überleben war - so etwas vergaß man, wenn man keine Schmerzen spürte - war die Vorstellung des Todes sicher etwas unangenehm für sein anderes Ich. Außerdem zeigte diese Frage, dass es sich nicht um den Zustand des Körpers gekümmert hatte. Vielleicht wäre Sesshoumaru nach einer Weile einfach aufgrund der Wunden gestorben, weil sein Youki nicht daran gedacht hatte, die Wunden heilen zu lassen. Er hätte es nicht einmal bemerkt.

„Ja.... Heile die Wunden und rühr dich nicht von der Stelle, während ich nachdenke. Aber wenn jemand kommt, sag mir sofort Bescheid!”

Ich habe verstanden...

Hoffentlich hatte es das wirklich...
 

XxX
 

So, von der Party werden die Mädels dann wohl etwas enttäuscht werden. Aber für beide gibt es dann doch ncoh etwas mehr oder weniger erfreuliches.

und dann taucht ncoh jemand auf, den alle toal vergessen hatten (mich eingeschlossen) und NEIN, es ist NICHT Sesshoumaru gemeint. Der ist nämlich nciht der Erste der bemerkt hat, das Anis' Spur in dne Brunne führt.

Und, NEIN, es ist auch nicht Inuyasha gemeint! (der Dödel ist so dumm das ich mich geweigert hab ihn in nächster Zukunft ochmal mit reinzubringen...)

Lahme Party

Oka, tut mir Leid das ich euch schon wieder mit einem zwischen kapitel langweilen muss, aber einige Details sind nun mal wchtig und ich will den Höhepunkt auf den das ganze hinausläuft, nämlich das Zusammentreffen mit Sesshoumaru, nicht teilen und es in zwei kpitel stecken...

Einige von euch haben den jenigen schon erraten, der Anis jetzt einen Besuch abstatten wird^^
 

XxX
 

"Mitsura?", sagte Makotoko langsam.

„Ja?”, antwortete Mitsura ebenso langsam, Böses ahnend.

„Würdest du mir freundlicherweise noch einmal erklären, warum du uns in diesen Kindergarten geschleppt hast?” In den Worten lag krampfhaft unterdrückte Panik.

„Eh...”. wich sie aus, wäre allerdings ebenfalls am liebsten geflüchtet.

Das Wort ‘Party’ war hier wirklich fehl am Platz. Als die beiden Frauen mit Makotoko im Schlepptau das Haus der Higurashis betreten hatten, mussten sie sich sehr am Riemen reißen, um nicht sofort wieder kehrt zu machen. Es war einfach nur grauenhaft.

An der einen Zimmerseite war eine Art Buffet aufgebaut. Doch so lecker Chips und Cola für Menschen auch sein mochten, Mitsura und Makotoko weigerten sich etwas davon anzurühren und Anis tat es ihnen - aufgrund ihrer Einstellung zu gesundem Essen - gleich. Die Musik die hier abgespielt wurde, war grässlich schnulzig und Mitsura musste sich immer wieder in Erinnerung rufen, dass diese Kagome noch nicht einmal zwanzig war, in ihren Augen noch ein Baby. Ebenso wie alle anderen hier.

Warum nur hatte niemand von ihnen daran gedacht, dass dies hier eine Menschenparty war, dass alle hier noch so JUNG waren und dass es eine reine Kindergartenveranstaltung zu sein schien?

Und so saßen die drei also an einem kleinen Tisch in der Ecke, versuchten krampfhaft nicht zu den giggelnden Mädchen und den, mit ihren Muskeln protzenden Jungen zu gucken und langweilten sich langsam aber sicher zu Tode, während die Höflichkeit es ihnen verbot, aufzuspringen und diesen Kindergarten hinter sich zu lassen. Mitsura war sogar zu entnervt, um sich darüber aufzuregen, das Makotoko sich partout nicht von der Idee hatte abbringen lassen, seine alte Lederjacke anzuziehen.

Aber das war noch nicht einmal das Schlimmste. Es schien tatsächlich so, als wäre jedes einzelne dieser Menschenmädchen - und kurioserweise auch die Jungen - in diesem Raum zum selben Zeitpunkt läufig geworden. Makotoko erging es am schlimmsten. Kaum hatte er das Zimmer betreten, als er sich auch schon in einer Traube schwärmender Mädchen wieder fand, die anscheinend alle darauf aus waren, ihn für eine Nacht für sich zu gewinnen. Es brauchte alle Selbstbeherrschung die er aufbringen konnten, sie nicht einfach zu töten und es dauerte eine ganze Weile, bis sie begriffen, dass dieses äußerst unhöfliche Verhalten von dem ganzen Alkohol verursacht wurde, der hier literweise ausgeschenkt wurde. Mitsura war nicht viel besser dran, mit dem Unterschied, dass ihre Verehrer sich nicht an sie herantrauten, sondern sie nur mit gierigem Blick anstarrten und den Mund nicht mehr zubekamen. Anis dagegen war schon eifrig beim Ohrfeigen austeilen; sie klatschte jedem Kerl eine der sie anfassen wollte. Dabei dachte sie fast sehnsüchtig an einen gewissen Youkai zurück, den sie hier gut gebrauchen könnte.

Aus schierer Panik vor dieser paarungsfreudigen Meute, die vollkommen vom Alkohol benebelt war, hatten sich Makotoko und Anis zusammengetan und nach einer allesüberzeugenden Kussszene zwischen den beiden wurden sie endlich ein wenig in Ruhe gelassen. Nur leider traf das für Mitsura, die keine solche Ausrede aus dem Hut zaubern konnte, überhaupt nicht zu. Eigentlich hätte sie ja nichts dagegen, sich mit einem männlichem Wesen zurückzuziehen, aber es war schon immer und würde auch in Zukunft unter ihrer Würde sein, sich von einem MENSCHEN anfassen zu lassen.

Nachdem sie eine geschlagene halbe Stunde gebraucht hatten, um die Meute zu beruhigen, die aufgrund ihrer natürlichen Ausstrahlung ganz verrückt nach ihnen war, schafften sie es endlich einen kleinen Tisch in der dunkelsten Ecke des hell erleuchteten Raumes zu besetzten. Fortan suchten sie verzweifelt nach einer Möglichkeit sich zurückzuziehen ohne: erstens, unhöflich zu sein, und zweitens, es nicht wie eine Flucht aussehen zu lassen. Die Tatsache, das Kagome wie ein Türsteher den Ausgang bewachte, machte die Sache sich unbemerkt davonzuschleichen nicht gerade leichter. Schließlich kam ihnen der Zufall zur Hilfe:

Auf einmal hörten die drei ein lautes Fauchen und sahen sich um. Unweit von ihnen entfernt stand eine weiß-braune Katze, die große Ähnlichkeit mit einem Schwein hatte. Ihre Augen waren starr auf Makotokos Hund gerichtet, der unter dem Tisch lag. Kagome hatte eigentlich gewollt, dass der Youkai ihn draußen ließ, aber da der Anstalten gemacht hatte sie umzubringen wenn er seinen Hund nicht mitnehmen durfte, hatte sie sich rasch geschlagen gegeben. Tja, und dieser Kater konnte Hunde wahrscheinlich nicht leiden.

Der rotbraune Hund sah mit treuen Augen zu seinem Besitzer hinauf und die beiden weiblichen Youkai neben ihm konnten ganz genau sehen, wie er dem Tier zuzwinkerte.

Eine Sekunde später brach ein riesiges Geschrei unter den Partygästen aus, als der Hund aufsprang und den Kater durch das ganze Zimmer jagte.

„Buyo, komm her, hier her!”, rief Kagome verzweifelt, aber die Menschen hätten schwören können, dass der Hund die Katze extra von ihr fortjagte.

„Makotoko, was soll das?”, fragte Mitsura gereizt, als die beiden Tiere sich nun daran machten, das Buffet gründlich zu zerstören.

Makotoko hatte inzwischen einen Lachanfall bekommen.

„Ach kommt schon, diese lahme Party muss doch ein wenig aufgemischt werden! Abgesehen davon ist es doch nicht meine Schuld!”, verteidigte er sich immer noch grinsend.

„Das war nicht richtig! Pfeif ihn zurück, sofort!”, forderte Anis.

„Na gut, Herzblatt, dann komme ich wenigstens hier raus.” Mit diesen Worten erhob sich Makotoko und durchschritt den Raum. Auf dem Weg zur Tür wurde er von mehreren Mädchen angesprochen, die unbedingt mit ihm tanzen wollten, doch er ließ sie abblitzen mit der Ausrede, er müsse seinen Hund zurückpfeifen.

„Einer hat’s geschafft. Der wird bestimmt nicht zurückkommen”, stellte Anis trocken fest.

„Tja, diesen Menschen scheint die Vorstellung, dass Makotoko mit dir zusammen sein könnte, nicht besonders abzuschrecken.. Jetzt sind nur noch wir beide übrig...”, meinte Mitsura grinsend.

”Stimmt, im letzten Jahrhundert waren sie noch nicht so aufdringlich...”, bestätigte Anis.

„Es ist eine Schande, dass es hier keine - Moment mal!” Mitsura starrte auf die Tanzfläche, als hätte sie einen Engel gesehen.

„Was ist denn?”, fragte ihre Schwester verwirrt.

„Guck mal, siehst du den Typen da hinten? Ich wette mit dir, dass das ein Youkai ist!”, sagte sie und deutete auf einen jungen Mann, der am anderen Ende des Raumes stand. Mitsura hatte ein Leuchten in den Augen, als würde sie kurz vor dem Ertrinken sehen, wie ihr jemand einen Rettungsring zuwarf.

„Wie kommst du darauf?”, fragte Anis.

„Nun, erstens riecht er nach Brennnesseln, zweitens musst du dir nur seine Bewegungen angucken, da sieht man schon, dass es keiner von diesen tollpatschigen Menschen ist, drittens sind seine Augen gelb und viertens sieht er genauso verzweifelt und genervt aus, wie ich mich fühle”, zählte sie auf.

„Aha. Naja, kann ja sein. Vielleicht hatte irgendeiner von diesen Menschen durch einen unglücklichen Zufall einen Dämon kennengelernt... Gefällt er dir?”, antwortete sie.

„Naja, nicht so ganz mein Geschmack, aber besser als gar nichts. So komm ich auch hier weg...” Sie erhob sich und legte ihrer Schwester abwesend eine Hand auf die Schulter, „Den nehm ich mit nach Hause...”

Und schon war sie über die Tanzfläche davon geschwebt, um den Fremden anzusprechen. Der sah bei ihrem Anblick aus, als würde Weihnachten vorverlegt werden und kaum zehn Minuten später hatten die beiden sich auch schon davongeschlichen.

Anis, die sich nun als einziger Unmensch im Raum äußerst unwohl fühlte, wartete noch einigen Minuten auf Makotoko bis ihr klar wurde, dass der wohl eher draußen auf sie warten würde, um endlich wieder nach Haus zu kommen. Er tat wahrscheinlich noch immer so, als müsste er seinem Hund hinterherjagen, nur um nicht wieder zu der Party zu kommen.

Also stand die junge Frau nun ebenfalls seufzend auf, die sehnsüchtigen Blicke der männlichen Menschen ignorierend. An der Tür fragte Kagome halb enttäuscht, halb erstaunt ob sie etwa schon gehen wolle und Anis antwortete, sie wollte einfach nur einmal frische Luft schnappen. Hoffentlich würde sie auch noch eine Ausrede finden, um sich zu verdrücken...
 

Der Wind strich Anis angenehm kühl über das Gesicht, als sie das Haus verließ, in dem die geschmacklose Musik noch immer dröhnte. Aber hier draußen war es schon etwas ruhiger und es stank auch vor allem nicht so sehr nach Alkohol und Zigarettenrauch.

Plötzlich hörte die junge Frau ein leises Winseln und drehte sich erschrocken um. Ihr Blick streifte über den Hof, den uralten Baum in der Umzäunung und glitt schließlich zu dem alten Schrein.

Der Schrein.

Der Schrein, mit dem Brunnen darin.

Dem Brunnen.

Dem Brunnen, auf dessen anderen Seite -

Wieder das Winseln. Vorsichtig überquerte Anis den Hof, jetzt doch neugierig geworden, wobei sie sich, obwohl niemand in der Nähe war, seltsam schutzlos vorkam. Dennoch wollte sie herausfinden, woher dieses Geräusch kam, gleichzeitig schwor sie sich jedoch auch, das sie nicht in den Schrein hineingehen würde.

Aber warum denn nicht?, flüsterte ihr eine leise Stimme zu, Willst du ihn denn nicht wieder sehen?

Ihn... Sesshoumaru... Natürlich wollte sie ihn wieder sehen, er war schließlich ein Freund von ihr, sie hatte keine Ahnung, ob er überhaupt noch lebte, ob er ihre Hilfe benötigte. Sie hatte sich nicht von ihm verabschiedet, ihn nicht um Verzeihung gebeten für das, was ihre Schwester ihm angetan hatte, wofür sie sich selbst die Schuld gab, weil sie es nicht verhindert hatte. Natürlich wollte sie ihn wieder sehen! Aber das zählte nicht. Es zählte nicht, was sie wollte. Es zählte nicht, dass die Sorge um ihn sie immer überrannte, wenn sie an ihn dachte, weswegen sie gewissermaßen gezwungen war, genau das nicht zu tun. Es zählte nicht, dass sie jetzt nichts lieber tun würde, als in diesen Schrein zu gehen, in den Brunnen zu springen und sich selbst davon zu überzeugen, dass es Sesshoumaru gut ging und das er ihr verziehen hatte. Es zählte nicht, weil die Realität anders aussah.

Unwissenheit konnte sehr erleichternd sein. Anis könnte einfach davon ausgehen, dass es dem Youkai gut ging. Schließlich hatte er ja auch noch gelebt, als sie aufgebrochen waren. Er hatte es noch geschafft, sich aus eigener Kraft fortzubewegen, also würde er auch mit den Verletzungen klar kommen. Und diese Möglichkeit untergrub auch die letzten Zweifel, sie solle hier bleiben. Diese Möglichkeit, dass dort, in der anderen Welt, ein Sesshoumaru auf der Höhe seiner Macht nur darauf wartete, sie in der Luft zu zerreißen. Nun gut, vielleicht würde er dies nicht tun, aber schon allein die Tatsache, dass er dazu in der Lage war, beruhigte sie nicht gerade.

Nein, sie konnte bestimmt nicht zurück. Warum sollte sie auch? Nur, um sich zu entschuldigen? Dafür, dass sie seine Dienerin hatte sein müssen? Dafür, dass sie die größte Demütigung ihres Lebens erlitten hatte? Dafür sollte ER sich entschuldigen! Außerdem, wer wusste schon, wie es weiter gegangen wäre, wären ihre Geschwister nicht rechtzeitig aufgetaucht. Möglicherweise hätte Sesshoumaru sie sogar zu seiner Geliebten gemacht, gegen ihren Willen. Hatte Mitsura nicht so etwas gesagt? Sie fürchtete, er würde kommen, um sie zurückzuholen, weil er sich in sie verliebt hatte. Schließlich sah er sie doch als sein Eigentum an. Aber - wenn man es genau betrachtete - Sesshoumaru war kein Mann, der besonders viel von Liebe verstand. Anis hatte schon davon gehört, dass sich mächtigere Dämonen einfache Dienerinnen in ihr Bett holten, behaupteten (und glaubten es manchmal auch selber) es wäre nur zum Vergnügen, hatten sich aber in Wirklichkeit in diese verliebt. So eine Affäre wurde natürlich gerne vertuscht. War Sesshoumaru auch einer von dieser Sorte? Würden ihm Gerüchte, dass er gern mit Frauen anbändelte, mehr missfallen als solche, in denen es hieß, dass er sich verliebt hätte? Wie groß war sein Stolz, was ließ er zu, was nicht?

Tatsache war jedoch, dass es in beiden Fällen alles andere als ratsam war, zu ihm zurückzukehren. Eine Affäre war gewiss nicht die Art von Beziehung, die sie sich wünschte, schon gar nicht mit Sesshoumaru. Und selbst wenn er seine Liebe aufrichtig zugeben und zeigen würde, so konnte sie, dank der Tatsache, dass sie nicht das selbe für ihn empfand, doch nicht für immer bei ihm bleiben. Aber genau das würde er von ihr fordern. Bei Hundeyoukai hieß es immer: Ganz oder gar nicht. Sie wusste das, auch wenn sie und ihre Familie keine waschechten Hundedämonen waren. Doch in der Neuzeit zählte reines Blut nicht mehr allzu viel, wenn es nicht unbedingt mit Menschen vermischt war. Das höfische Protokoll war abgeschafft worden, Männer und Frauen waren gleichrangig was das Recht betraf und Scheidung nach einer Hochzeit war zu jeder Zeit und ohne Schande möglich. Auch wenn Anis lieber einen Mann hätte, den sie wirklich liebte und der sie liebte, als viele Gelegenheitslover wie Mitsura, das Prinzip der Unabhängigkeit blieb. Im Mittelalter hatte es noch ganz anders ausgesehen. Wenn Anis sich dafür entscheiden würde, zurückzukehren, dann würde dies für immer sein. Das ihre Geschwister sie nach dem Zwischenfall würden besuchen dürfen, bezweifelte sie ebenfalls. Ihre Familie würde nicht mehr zu ihr vorgelassen werden. Wieso sollte sie das alles in Kauf nehmen für einen Mann, den sie nicht liebte? Es war einfach nur albern.

Sie hatte nichts in der anderen Welt verloren. Hier ging es ihr doch gut. Sie hatte alles was sie brauchte und auch hier würde sie früher oder später einen Mann finden, der sie heiraten würde. Doch die Zeit dazu drängte.

Denn das war Anis’ Aufgabe, die sie zu erledigen hatte, um ihre Youkaikräfte wieder zu gewinnen: Sie müsste sich an einen Mann binden.

Wieder erklang das Winseln, diesmal näher als zuvor. Anis schüttelte kurz den Kopf, um diese Gedanken los zu werden und bemühte sich nun erstmals wirklich, ihre Umgebung wahrzunehmen. Erschreckt stellte sie fest, dass sie genau vor dem alten Schrein stand, die Hand schon am Türknauf, um ihn zu öffnen. Wie von der Tarantel gestochen zuckte sie zurück, die aufwallende Panik niederkämpfend. Doch da erklang das klägliche Geräusch wieder und diesmal bestand kein Zweifel, woher es kam. Nun kam auch noch ein eindringliches Kratzen und Schaben an der Innenseite der Schreintür hinzu und hinter Anis’ Stirn begann es fieberhaft zu arbeiten. Um ihre Neugier zu stillen müsste sie die Tür öffnen, was ihr allerdings ganz und gar nicht in den Kram passte, denn wer wusste schon, ob sie dann noch an sich halten konnte, und nicht sofort in den Brunnen sprang?. Andererseits... Sie müsste ja nicht hinein gehen...

Vorsichtig, und unendlich langsam schob die junge Frau die Tür beiseite. Zuerst konnte sie gar nichts erkennen, denn drinnen war es stockduster. Aber dann fiel ein Streifen Mondlicht herein und Anis schnappte nach Luft.

„Arekisu!”, rief sie dann völlig überrascht aus. Die kleine Hündin hatte sie ja vollkommen vergessen...
 

„Anis, was zum Teufel soll das denn?!”, fragte Makotoko entnervt.

„Ach kommt schon, auf einen mehr oder weniger kommt es doch auch nicht an!”, bettelte Anis.

„Wir können aber nicht jeden streunenden Hund aufnehmen, der uns über den Weg läuft!”, protestierte er weiter.

„Och biiiitte! Sie weiß doch sonst nicht wo sie hin soll, in der Großstadt kennt sie sich nicht aus, sie braucht uns!” Anis sah ihn flehend an. Die beiden standen, zusammen mit ihren Hunden, in einer verlassenen Gasse, so dass sie sich sicher sein konnten, dass ihr Gespräch nicht belauscht wurde. Makotoko hatte sie hierher gebracht, nachdem Anis weit genug von Kagomes Grundstück entfernt gewesen war. Wie sich heraus gestellt hatte, hatte er tatsächlich nicht vorgehabt wieder auf die Party zurückzukehren. Und jetzt diskutierte er mit ihr über Haustierhaltung...

„Wieso bist du nur so vernarrt in dieses Vieh?! Du schleppst doch sonst auch nicht jeden x-beliebigen Köter an, Herzblatt”, meinte Makotoko, eigentlich eher scherzeshalber.

„Aber ich hab sie doch schon so lange, und-”

„Mooooohooooment mal! Was soll das heißen, du hast sie schon so lange?! Kommt sie etwa aus dem Mittelalter?!”, unterbrach er sie.

Anis biss sich auf die Lippe, so wie er das betonte, schien er diesen Umstand nicht gutzuheißen.

Makotoko deutete das Schweigen richtig: „Anis, weißt du denn nicht was das bedeutet?”

Nun war sie doch etwas irritiert.

„Wie meint ihr das? Es ist doch egal ob Arekisu nun aus dem Mittelalter kommt, oder nicht...”

„Es ist eben NICHT egal! Wenn dieses Vieh so schlau war und deine Spur bis zum Brunnen verfolgen konnte, wie lange, glaubst du, wird es dauern, bis auch andere kommen werden?”, fuhr er fort und da, endlich, fiel auch bei ihr der Groschen.

Natürlich, wenn Arekisu ihre - ohnehin schon sehr schwache - Witterung in die Neuzeit hinein verfolgen konnte, so war es doch möglich, dass sie jemand dabei beobachtet hatte. Und selbst wenn dies nicht der Fall wäre, war es sehr wahrscheinlich, dass jemand mit einer guten Nase sich wunderte, warum ein Hund in einen Brunnen springen sollte. Vor allem, wenn dieser Jemand Arekisu, ihre Witterung und vor allem auch ihre Besitzerin kannte. Sollte diese Person dann auch noch auf der Suche nach Anis sein und dabei feststellen, dass der Geruch ihrer Hündin am, beziehungsweise IM Brunnen endete, so würde sich diese Person gewiss einmal die Mühe machen, in besagten Brunnen hineinzuspringen. Der Einzige, der all diese Bedingungen erfüllte und folglich genau dies tun würde, war -

„Sesshoumaru!”

„Ganz genau. Aber jetzt ist es nun mal passiert, wir können nichts mehr tun und es ist gleich, wo dieses Tier bleibt. Wir können nur hoffen, dass niemand unsere Spur verfolgen kann. Um ganz sicher zu gehen, sollten wir trotzdem den Weg durch das Stadtzentrum nehmen, die Luft ist dort derart von Abgasen verpestet, dass vielleicht sogar eine Chance vorhanden ist, dass Sesshoumaru mit seiner ach so feinen Nase sofort umkippt...” Anis hatte für Makotokos Scherz nur ein bitteres Lächeln übrig. Sie hatte nicht vergessen, dass er zwar gesagt hatte, er würde Sesshoumaru nicht verfolgen, doch er hatte ihr ebenso versichert, dass er ihn töten würde, sollte er hier auftauchen.

„Vielleicht irrt ihr euch aber auch... Vielleicht hat er die Spur gar nicht entdeckt? Er müsste doch immer noch zu sehr geschwächt sein und bis er wieder ganz bei Kräften ist, sollte die Spur schon verwischt sein...”, versuchte die junge Frau es.

„Da magst du Recht haben... Wir sollten nichts überstürzen, sondern erst einmal nur etwas vorsichtiger sein. Ich hab nämlich ehrlich gesagt auch keine Lust, wegen einer bloßen Vermutung die Stadt zu wechseln... - Ich würde sagen, das besprechen wir am besten mit Mitsura. Ich werd sie auf dem Weg mal anrufen...”

Anis seufzte erleichtert auf. Diese Antwort gab ihr zumindest noch eine kleine Gnadenfrist. Sie war sich ziemlich sicher, ihre Schwester von einer blutigen Tat abhalten zu können. Allerdings sollte das wohl möglichst schnell passieren, bevor Makotoko es sich vielleicht noch anders überlegte.

„Lasst uns nach Hause gehen!”, schlug sie deshalb vor.

Der Dämon warf zwar noch einen letzten Blick in die Richtung von Kagomes Grundstück, wo auch der Schrein war, doch dann nickte er.

„Ja, lass uns deine kleine Freundin in ihr neues Zuhause bringen...”
 

*
 

Sesshoumaru kämpfte noch immer gegen sich selbst. Er konnte sich einfach nicht entscheiden, was er nun tun sollte. Sein Herz riet ihm natürlich, zu Anis zu gehen, sie zu finden, in die Arme zu schließen und ihr endlich zu sagen, was er für sie empfand. Sein Verstand allerdings sagte etwas ganz anderes.

Anis gehörte nicht ihm. Das hatte sie nie getan, auch wenn er es manchmal behauptet hatte. Anis gehörte jemand anderem. Sie hatte bereits einen Gefährten, jemanden den sie liebte und der sie liebte, mit dem sie durch Magie verbunden war.

Inuyoukai banden sich immer für ihr Leben lang an eine Person, wenn diese starb, so währte ihr eigenes Leben meist auch nicht mehr sehr lange. Bei einem bestimmten Ritual, welches einer menschlichen Hochzeit nicht unähnlich war, wurden ihre Seelen miteinander verschmolzen. Natürlich war echte Liebe dabei keine Voraussetzung. Oftmals wurden die Mädchen schon mit wenigen Jahren verlobt, einem anderen versprochen. Doch wenn solch ein Ritual erst einmal durchgeführt worden war, ließ es sich nicht wieder rückgängig machen. Verheiratete Youkai konnten nicht mit jemand fremden zusammen sein. Eine Ausnahme war es natürlich, wenn der zweite Partner menschlich war, so wie bei seinem Vater. Anis aber war eine Youkai. Wenn sie diesen Dämon - Sesshoumaru entsann sich, dass sein Name Makotoko war - zum Gefährten genommen hatte, dann durfte er sich da nicht einmischen. Eine lebenslange Bindung galt seit Urzeiten als höchstes Gut. Es wäre ein Verbrechen, dies zu zerstören, indem er seiner Liebe zu Anis freien Lauf ließe. Dazu kam natürlich, dass die junge Frau dieser Verbindung, sehr zu Sesshoumarus Missfallen, überhaupt nicht abgeneigt schien. Er musst einsehen, dass sie unerreichbar für ihn war. Es sei denn natürlich, die beiden wären kein festes Paar... Was lief wohl zwischen Makotoko und Anis wirklich? Natürlich wäre es für Sesshoumaru in seiner jetzigen Lage fatal, würde er sich falsche Hoffnungen machen, aber dennoch... Ob er es wagen sollte, dies herauszufinden? Oder sollte er sich lieber von seiner Angebeteten fern halten? Wer wusste schon, ob er sich bei ihrem Anblick noch beherrschen könnte. Bei ihrer makellosen Schönheit... Nein, vermutlich könnte er das nicht. Aber vielleicht könnte er sie wenigstens aus der Ferne sehen... Einfach nur, um sie wissen zu lassen, dass es ihm gut ging. Aber interessierte sie das überhaupt? Machte sie sich Sorgen um ihn, oder war sie froh ihn los zu sein? War es ihr gleichgültig? Sesshoumaru betete zu allen ihm bekannten Göttern, dass dem nicht so sei. Was hätte er nicht alles dafür gegeben, jetzt zu wissen wie es ihr ging, was sie gerade machte, wo sie war und was sie über ihn dachte. Alles. Alles würde er dafür geben.

Dummerweise hielt sein Youki das für einen Befehl.
 

*
 

„Mein wunderschöner Engel... Ich liebe dich!”, flüsterte der Youkai leise.

Mitsura lächelte, doch der Schalk blitze in ihren Augen. Natürlich liebte er sie! Jedenfalls glaubte er das. Dafür hatte sie gesorgt.

„Oh Rikamaru, du bist ja so süß!”, säuselte sie dem Tigerdämon ins Ohr.

„Wirklich?” Er sah sie aus gelben Augen an. Katzenaugen. Die Hundeyoukai störte es nicht, was für ein Youkai er war. Er war nur ein weiterer Name auf ihrer Liste.

„Sicher, ich hab dich doch eben gekostet...” Dieser Tiger war wirklich gut gewesen... Mitsura konnte seine Erregung noch immer spüren.

Sanfte Hände strichen über ihren Körper. Die Hundedämonin hätte nicht der feurigen Küsse gebraucht, die Rikamaru auf ihre Haut pflanzte, um zu wissen, dass er eine zweite Runde wollte. Wie ungeduldig!

Der Youkai küsste an ihrem Hals entlang, drehte ihre Brustwarzen zwischen den krallenbewehrten Fingern und zeigte ihr seine Begierde. Mitsura stöhnte erregt auf, als die Lust auch sie ergriff und krallte ihre Hand in seinen Haarschopf. Ihr Körper reckte sich seinem entgegen und da - klingelte ein Handy.

Beide hielten mitten in der Bewegung inne.

„Lass es klingeln, mein Engel...”, flüsterte Rikamaru verführerisch, er erkannte wohl, dass es nicht sein Klingelton war.

„Aber es könnte wichtig sein...”, murmelte Mitsura. Seufzend kroch sie unter dem Tiger hervor.

„Wichtiger als ich?”, fragte er leicht beleidigt.

Mitsura gab ihm einen Kuss auf die Wange.

„Nimm’s nicht persönlich.” Sie schnappte sich ihr Handy aus der Tasche bei ihrem Kleid, welches am anderen Ende des Raumes lag. Dann eilte sie rasch ins Nebenzimmer, damit Rikamaru das Gespräch nicht belauschen konnte. Wer weiß, vielleicht war ja einer ihrer anderen Lover dran.

„Hallo?”, meldete sie sich.

„Mitsura? Wir haben ein Problem. Da ist ein Hund aus dem Brunnen gekrochen...”, sagte die Stimme am anderen Ende, die Mitsura als Makotokos erkannte.

„Doch nicht etwa...?”, wollte sie alarmiert fragen, wurde jedoch unterbrochen:

„Nein, eine ganz normale Hündin. Aber Anis kennt sie, und du weißt was es bedeutet, wenn diese Töle sie verfolgen konnte...”

Er brauchte den Satz nicht zu ende führen.

„Okay, ich komm sofort. Wir sollten verhindern, dass Anis noch mehr Hunde anzieht.” In diesem Moment spürte sie, wie sich zwei starke Arme um ihren Oberkörper legten. Warme Lippen wanderte über ihren Hals.

„Ähm... Es könnte vielleicht doch noch etwas dauern...”, sagte Mitsura in den Hörer.

Rikamaru drückte sie sanft an sich, sie konnte seinen Atem auf ihrer Haut spüren. Als sie sich in seine Arme zurückgleiten ließ, spürte sie sein versteiftes Glied an ihren Schenkeln.

„Beeil dich aber, ja?”, tönte Makotoko wieder aus dem Handy.

„Wer ist das?”, fragte Rikamaru hellhörig, als er die männliche Stimme vernahm.

„Mein.. Mein Bruder! Er sagte, es gibt ein Problem mit unserer Schweste”, erwidte sie rasch. Schließlich wollte sie nicht, dass die Eifersucht ihr diese zweite Runde verdarb.

„Na dann... Du bleibst doch noch ein bisschen bei mir, nicht wahr, mein Engel?”, flüsterte Rikamaru. Er war zu sehr von seinen Hormonen benebelt, um noch weiter nachzuhaken.

„Aber wirklich nur ein bisschen...”, flüsterte Mitsura.

Der Tigerdämon drehte sie mit einem Ruck um, sodass sie ihm ins Gesicht sah. Stürmisch drückte er seine Lippen auf die ihre, verlangte Einlass. Mitsura fiel das Handy aus der Hand, als sie die Arme um seinen muskulösen Oberkörper schlang und den Kuss erwiderte.

„Nur ein bisschen...”, keuchte der Dämon als sie sich wegen Luftmangels trennten.

Nur noch ein bisschen...
 

*
 

Es hatte ganze zwanzig Minuten gedauert, bis Anis und Makotoko beim Haus angekommen waren, da der Youkai nicht zwei Hunde und Anis im Federflug tragen konnte. Außerdem hatten sie den Weg durch die Großstadt genommen, wo es kein Dämon mit einer guten Nase sehr lange aushielt, geschweige denn einen bestimmten Geruch verfolgen konnte, wenn er nicht gerade genau darauf geschult worden war.

Die beiden gingen sofort hoch auf den Dachboden und Anis öffnete die dritte Tür rechts vom Gang. Sofort tönte ihr lautes Gebell entgegen, ein Knurren und Kläffen von der Sorte, wie es niemals nur ein einziger Hund zustande bringen könnte. Tatsächlich beherbergte dieses Zimmer ein ganzes Rudel Hunde, manche von ihnen hatten auch noch ein bisschen Youkaiblut in sich.

Der Raum war riesig, er hatte sicher die Ausmaße eines Fußballfeldes. Der Boden bestand hauptsächlich aus festgetretener Erde, auf der die vielen Pfoten guten Halt fanden, doch an einigen Stellen war er auch mit Gras bewachsen. Sogar einige Bäume waren in der Ferne zu sehen. Ein großes Becken mit Wasser, das einem natürlichem See nachempfunden war, sorgte dafür, dass kein Tier durstig bleiben musste.

Mindestens zweimal am Tag kam ein Familienmitglied hier herauf und erschuf ein Dimensionsportal, durch das die Tiere nach draußen gelangten, meist in einen Wald oder ähnlichem. Dort konnten sie selbst jagen und hatten so viel Auslauf wie sie wollten. Nach exakt zwei Stunden wurde erneut ein Portal erschaffen, die Hunde hatten ein ausgezeichnetes Zeitgefühl und einen noch besseren Orientierungssinn, so dass sie immer pünktlich an dem Ort waren, von wo aus sie ausgesetzt worden waren. Wenn doch einmal jemand zurückbleiben sollte, so wurde das Rudel erneut ausgeschickt, um den Fehlenden zu suchen.

Anis und Makotoko wurden stürmisch von den Hunden begrüßt, beide hatten sich ja lange nicht mehr hier sehen lassen. Anis liebkoste den braunschwarzen Leithund kurz, er war der Stärkste im Rudel, was sicher etwas damit zu tun hatte, dass sein Urgroßvater ein niederer Hundedämon gewesen war.

„Gurinmu, sei so gut und nimm Arekisu mit in dein Rudel auf, ja?”, sprach sie ihn dann an.

Gurinmu wandte seinen großen struppigen Kopf und sah die schwarze Hündin aus funkelnden Augen an. Weder Anis noch Makotoko zweifelten daran, dass das Tier bei seinen Artgenossen aufgenommen werden würde, Gurinmu würde sich nie einem so ausdrücklichem Befehl widersetzen. Trotzdem war es wichtig, dass sie auch wirklich von allen akzeptiert wurde.

Das Leittier, welches nur wenig kleiner als Makotokos Hund war, beschnüffelte kurz die verängstigte Arekisu, die sich dicht bei Anis auf den Boden gedrückt hatte. Die Hündin, welche den respektheischenden Blick durchaus bemerkte, rollte sich zitternd auf den Rücken: bei Hunden eine absolute Unterwerfungsgeste. Gurinmu schien das zu genügen, denn er beugte sich kurz hinunter, stupste die Schwarze sanft mit der Schnauze an, woraufhin diese bald wieder auf den Pfoten stand. Der Leithund wandte sich jetzt wieder um und trottete zu seinem Rudel zurück, welches die Szene neugierig beobachtete hatte. Anscheinend hocherfreut über ihre neue Familie folgte Arekisu ihm schwanzwedelnd zu den anderen.

„Tja... Da geht meine letzte Erinnerung an die alten Zeiten dahin”, flüsterte Anis leise. Sie hatte das seltsame Gefühl, ihre kleine Freundin nie wieder zu sehen, obwohl sie doch im selbem Haus bleiben würde!

Ihre letzte Erinnerung... An frühere Zeiten... Und an Sesshoumaru. Würde sie ihn jetzt endlich loslassen können? Wollte sie das überhaupt? Nein, das wollte sie nicht. Sie wollte ihn in Erinnerung behalten, als einen guten Freund. Wenn es ihm doch nur gut ginge... Was machte er wohl gerade? Wo war er? Was dachte er über sie? Der letzte Punkt war ihr am wichtigsten. Hatte Sesshoumaru ihr verziehen, dass sie ihn zurückgelassen hatte? Aber sie hatte doch gar keine andere Wahl gehabt! Was ist, das ist, und kann nicht mehr geändert werden.

Anis wünschte sich nur, sie könnte sich davon vergewissert, dass er noch lebte. Sicher, sie vertraute auf seine Stärke und deswegen gelang es ihr auch ganz gut, nicht dauernd an ihn zu denken. Aber so würde es nicht ewig weitergehen können.

„Nun guck doch nicht so trübsinnig, Anis! Deine kleine Hündin wird es hier sehr gut haben”, sagte Makotoko aufmunternd, nicht wissend, dass ihre deprimierte Miene einen anderen Grund hatte.

„Ja, klar. Ihr könnt ja auch mal EUREN HUND hier lassen...”, murmelte die junge Frau.

Makotoko lachte nur schallend, als wäre diese Möglichkeit so abwegig wie Marsmenschen auf dem Mond.

„Wenn er durch das Haus rennt, zieht er immer eine Schmutzspur hinter sich her... Mitsura kann es auch nicht leiden”, murrte Anis beleidigt.

„Soll ich ihm etwa Socken anziehen? Du kannst es ja gern mal versuchen! Und Mitsura hat sich noch nie ernsthaft bei mir beschwert...”, erwiderte er grinsend.

„Wo wir gerade beim Thema sind... Wo bleibt Mitsura eigentlich?”, fragte Anis, während die beiden den Raum verließen und die Treppe wieder hinunter gingen.

„Keine Ahnung. Wahrscheinlich ist sie mit ihrem letzten Opfer noch nicht fertig, das sie von der Party abgeschleppt hat! Trotzdem dürfte sie bald wieder da sein. Ich hab sie einmal kurz angerufen, das sie sich beeilen soll. Ich denke nicht, dass sie die ganze Nacht bei ihm bleibt”, antwortete der Youkai achselzuckend.

Wie auf Kommando knallte unten auf einmal eine Tür zu.

„Anis! Bist du oben?”, rief die Stimme ihrer Schwester von unten.

„Ja, warte ich komm runter!” Die Schwarzhaarige nahm die letzten fünf Stufen im Sprung und bog um die Ecke, um ihre Schwester zu begrüßen.

„Na, hattest du viel Spaß?”, fragte sie zwinkernd.

„Sicher doch! Er war ein Tigerdämon und wirklich gut...”, antwortete Mitsura grinsend. Tatsächlich schien sie weitaus bessere Laune zu haben als noch während der Party.

„Triffst du dich mit ihm wieder?”, hakte Anis nach.

„Nö. Ich hab ihm meinen Namen zum Glück nicht gesagt, er mir aber seinen und ich hab festgestellt, dass ich schon mal Bekanntschaft mit seinem Bruder gemacht hab. Ich denke, das hätte ziemlichen Streit unter ihnen gegeben”, erwiderte Mitsura

„Ach so, und der Bruder ist wohl besser, was?”, meinte die Schwarzhaarige.

„Genau, ich will seinen wunderbaren Körper ja nicht mit Narben verunziert wissen...”, kam die Antwort völlig schamlos.

„Hey, könnt ihr vielleicht ein andermal über euer Liebesleben debattieren?!”, fuhr Makotoko dazwischen, dem es nicht sonderlich gefiel, wie die beiden über die Männerwelt sprachen.

„Da bin ich ganz eurer Meinung! Anis, komm mit, ich muss mit dir reden. Jetzt.” Mitsura packte ihre Schwester an der Hand und zerrte sie in ihr Zimmer. Makotoko wollte hinterher, doch Mitsura versperrte ihm den Weg.

„Nix da, das wird ein Mädchengespräch, da hast du nichts zu suchen! Geh schön Gassi...” Und sie schlug dem verdatterten Dämon die Tür vor der Nase zu.
 

XxX
 

ja, die Szene mit Rikamaru...

Da zwischen Anis und Sesshouamru noch nciht wirklich was läuft, ich es aber für an der ezit hielt endlcih mal was adultmäßiges, was noch nciht adult genug ist um als adult durchzugehen weil es verharmlost ist, mit reinzubringen, hab ich einfach Mitsura und ihr neuestes opfer dazu auserkoren. Sie ist Koga ja nciht gerade treu, was?^^

Mädchengespräch

Ich entschuldige mich wirklich vielmals, das es so lange gedauert hat, das war nicht geplant. Ich hoffe, es wird nciht wieder vorkommen.
 

In diesem Kapielte geht es noch recht lustig zu, bevor im nächsten dann endlcih Anis klar wird (bzw klar werden SOLL, es war schon in diesem hier geplant) das sie Sesshoumaru liebt.
 

XxX
 

„Tja, und eben haben wir sie zu den anderen Hunden gebracht..." Anis beendete ihren Bericht.

Sie saß zusammen mit Mitsura auf deren Bett und hatte ihr eben lang und breit erklärt, was da für ein 'Hund aus dem Brunnen gekrochen war'.

„Aber sag mal, worüber wolltest du mit mir denn sprechen? Das mit Arekisu hätte ich dir auch vor Makotoko erzählen können...", fuhr sie fort.

„Ach so, ja! Nun, ich halte es langsam mal für angebracht, dass deine Youkaikräfte wieder zurückkommen", klärte ihre Schwester auf.

Anis sah sie nur verdattert an. „Denkst du, ich nicht? Aber um das zu erreichen, muss ich heiraten und das hab ich in nächster Zukunft bestimmt nicht vor..."

„Erstens musst du nicht heiraten, es reicht dich zu verloben. Ich denke, die Verehrer stehen Schlange und du musst es ja nicht einlösen. Zweitens könnte es durchaus sein, dass du deine Fähigkeiten bald brauchst!", erwiderte die Braunhaarige.

„Erstens sind alle meine Verehrer frühzeitig gestorben, so dass sich kein Youkai der was auf sich hält mehr an mich ran kommt. Ich bitte dich, ich gelte inzwischen als verflucht! Zweitens glaube ich kaum, dass irgendein potentieller Gegner mich hier finden wird und wenn doch: Glaubst du ich wäre Sesshoumaru selbst mit meinen Kräften gewachsen?"

Anis sah keinen Sinn in diesem Gespräch. Mitsura hatte schon einige Male versucht, sie zu verkuppeln. Das Problem war Makotoko, der mit keiner ihrer Wahlen einverstanden gewesen war. Seiner Meinung nach war kein Youkai es würdig sie zu heiraten, wenn er nicht wenigstens einen Kampf mit ihm überstand. Tja, und da er nun mal einer der stärksten Dämonen überhaupt war, hatte das bisher noch niemand geschafft.

„Aber Anis, so kann es doch nicht weiter gehen! Was sollte das zum Beispiel heute, auf der Party? Wieso habt ihr so getan, als wärt ihr ein Paar?", fragte Mitsura.

„Na warum wohl? Damit diese notgeilen Menschen mich nicht dauernd betatschen! Das Leben ist so viel einfacher, wenn alle glauben, dass man einen festen Freund hat. Und weil Makotoko nicht zulässt, dass ich mir einen anschaffe, muss er selbst eben dafür herhalten... Und du kannst uns ja auch nicht unterstellen, dass wir uns nicht lieben...", fügte sie grinsend hinzu.

„Darum geht's doch gar nicht! Mein Gott, Anis, du bist jetzt achthundetvierundsiebtzig Jahre alt, wie lange willst du noch warten?! Möchtest du ewig Jungfrau bleiben, nur weil dein geliebter Bruder vor Sorge um dich fast umkommt, wenn dir ein Kerl einen Blick zu viel zugeworfen hat?", antwortete ihre Schwester zynisch.

„Nun nimm es mal nicht so hart! Unsere Masche ist doch perfekt! Youkai können eine Lüge wittern, aber wenn ich sage, dass ich ihn liebe und umgekehrt, ist das ja keine! Das es Geschwisterliebe ist und wir keinerlei sexuelles Interesse aneinander haben, muss ich ja nicht hinzufügen, wenn sie nicht danach fragen. Indem wir niemandem sagen, wer er ist und das er mit uns verwandt ist, hat er ja auch einen Vorteil davon! Du weißt, dass er selbst sich mit Händen und Füßen dagegen wehrt, sich eine Ehefrau zu nehmen, obwohl er noch um einiges älter ist als ich! Ihm gehen die vielen Weiber eben auf die Nerven, die ihre gierigen Blicke nicht von ihm nehmen können. Durch dieses Schauspiel wird er sie los... Jedenfalls die meisten", erzählte Ans munter und wünschte sich insgeheim, diese Masche hätte sie auch vor Sesshoumaru bewahren können. Wenn er sich nicht in sie verliebt hätte, wäre es vielleicht nie so weit gekommen und er wäre jetzt nicht da draußen, verletzt und ohne jede Hilfe...

„Aber übertreibt ihr es nicht ein bisschen? Ich meine, er gibt dir in aller Öffentlichkeit solche Spitznamen wie 'Herzblatt' und das, auch wenn gar keiner dabei ist", widersprach Mitsura.

Anis zuckte die Achseln. „Es kann immer ein Spanner hinter der nächsten Ecke lauern.."

„Trotzdem, du solltest mal mit ihm reden! Ich meine, er ist auch mein Bruder und bei mir macht er nicht so einen Aufstand", protestierte sie erneut.

„Stimmt, allerdings war 'deine Seele schon von Anfang an verdorben', wie er immer sagt und deswegen hielt er es wohl für Verschwendung... Tja, bei mir ist noch was zu retten!" Anis grinste schelmisch, als Mitsura ihr ein Kissen ins Gesicht warf. „Aber es ist doch wahr! Bei dir ist es so, das die Männer die Opfer sind. In meinem Fall wäre ich das Opfer, deswegen will er mich vor der männlichen Welt beschützen. Und - du musst zugeben - es war schon oftmals recht nützlich, er hat mich vor gut einem Dutzend Vergewaltigungen bewahrt..."

"Dennoch, du musst zugeben, dass die Jahre in denen er im Ausland war, recht erholsam waren", meinte ihre Schwester.

Anis dachte an die gemeinte Zeit zurück. Bevor sie überhaupt nach Japan gekommen waren, hatten sie ja in Frankreich gelebt. Makotoko, der schon zuvor einmal in Japan war, hatte nicht mitkommen wollen und war stattdessen für zwei Jahre nach Brasilien gegangen. Als er dann wieder in Tokyo aufgetaucht war, war Anis bereits in der kriegerischen Epoche verschollen gewesen. So waren es im Grunde nur wenige Wochen gewesen, in denn sie 'Ruhe' gehabt hatte. Tatsächlich pflegte Makotoko seine jüngere Schwester auf Schritt und Tritt zu bewachen. Sicher war das manchmal nervig, aber Anis liebte ihren Bruder und es machte Spaß, mit ihm zusammen zu sein. Natürlich war es kein Vergleich zu einem Freund im beziehungstechnischen Sinne. Anis hatte auf diesem Gebiet überhaupt keine Erfahrung, sie wusste nicht, wie sich solche Liebe anfühlte, weil sie nie Gelegenheit dazu bekommen hatte, sie zu empfinden, sah man mal von Takeo ab, dem Menschen, den sie im Mittelalter getroffen war. Doch da hatte Sesshoumaru ja Makotokos Rolle übernommen und ihn in Stücke gerissen...

„Nun, wenn du meinst, dass ein Aufenthalt in den kriegerischen Staaten Japans im sechzehnten Jahrhundert ein erholsamer Urlaub ist, dann hast du dich geschnitten!", meinte Anis sarkastisch.

„Ich mein ja nur - es wird Zeit, dass du die Liebe kennenlernst." Mitsura sah auf einmal sehr ernst aus. Anis hatte ihre Schwester noch nie mit diesem...ja beinahe einfühlsamen Blick gesehen.

„Das musst du gerade sagen!", versuchte sie die Stimmung zu brechen, die ihr allmählich unheimlich wurde.

Mitsura seufzte. „Aber genau das ist es doch! Meine Beziehungen waren immer auf körperlicher, nie auf seelischer Basis. Ich komme nicht mehr davon weg... Manchmal bereue ich es. Ich kann in einem Mann kein eigenständig denkendes Wesen mehr sehen, sondern nur eine Kreatur, die von ihren natürlichen Trieben gelenkt wird. Ich mustere sie anders, als es normal ist. Ich achte nicht auf Symphatik oder Freundlichkeit, sondern auf guten Körperbau und Blutlinie... Makotoko hat Recht, ich bin verdorben, und ich will nicht, dass du genauso wirst. Ich kann keine Seele lieben, ich kann nur einen Körper lieben. Und das ist falsch. Ich weiß das, aber ich kann nicht anders. Ich habe dieses wunderbare Gefühl, von dem alle sprechen, nie kennen gelernt. Dir soll es nicht genauso ergehen."

Anis hatte sich diese kleine Rede verblüfft angehört. Selten hatte sie ihre Schwester mit dieser... Traurigkeit diesem Schmerz sprechen hören.

„Mitsura..." Anis stand auf und setzte sich direkt neben ihre Schwester. Tröstend legte sie ihr einen Arm um die Schulter.

„Du bist nicht verdorben... Irgendwann wirst du einen Mann finden, der dich genau so liebt wie du bist, ohne das du ihn vergiften musst. Und wenn man so innig geliebt wird, dann liebt man automatisch auch wenigstens ein bisschen zurück", sprach sie beruhigend auf sie ein.

Mitsura wischte sich eine verirrte Träne aus dem Gesicht. „Du hast ja Recht...", murmelte sie leise.

„Natürlich hab ich Recht! Wirst schon sehen."

Plötzlich setzte sich die Youkai mit einem Ruck wieder auf und grinste plötzlich. „Sag mal: Du sprichst doch nicht etwa aus Erfahrung, oder?"

Anis, durch diese plötzliche Stimmungsschwankung verwirrt, nahm den Arm wieder von ihrer Schulter. Hatte sie ihr nur was vorgespielt, um sie jetzt kalt zu erwischen?

Sesshoumarus Bild zuckte durch ihre Gedanken.

„N...nein, natürlich nicht!", sagte sie, während eine unangenehme Hitze in ihr aufstieg.

„Wirklich nicht? Warum wirst du dann jetzt so rot?", fragte Mitsura grinsend.

„Ich werde nicht rot!", protestierte Anis lautstark.

„Ach so, dann hab ich also Sinnestäuschungen oder was? Komm schon, in wen hast du dich verknallt? Ach was frag ich da, da gibt es ja nur einen möglichen Kandidaten..." Mitsura lachte leise. Anis ahnte Böses.

„Nun, vielleicht war es doch ein Fehler, das ich ihn so zugerichtet hab... Bitte verzeih mir, Anis! Ich wollte deinem Geliebten nicht derart zusetzen."

„Er ist NICHT mein Geliebter! Wie kommst du überhaupt auf solchen Blödsinn?!", keifte Anis.

„Hey, da ist doch nichts Schlimmes dabei! So etwas passiert jedem mal. Außer mir..." Diesmal warf Anis ein Kissen, das ihre Schwester auch promt mitten in ihr grinsendes Gesicht traf.

„Lass das!", fauchte Anis gereizt, „Ich liebe Sesshoumaru nicht...! Wie könnte ich auch, er ist ein mieser, kaltherziger, sturer, eifersüchtiger, arroganter, menschenmordener Entführer!"

„Anis, glaub mir, du liebst ihn", widersprach Mitsura.

„Tu ich nicht. Lass uns das Thema wechseln."Anis hatte ein ganz unangenehmes Gefühl im Bauch und Mitsura guckte schon wieder so verdammt ernst.

„Wieso willst du das Thema wechseln?", fragte sie verständnislos.

„Es..." Mehr kam nicht raus.

„Ja?", fragte die Ältere nach.

„Es..." Wieder brach Anis ab.

„Jaahaaaa?" Mitsura verkniff sich das Grinsen.

„Es... - Es tut weh!", brach es schließlich aus ihrer Schwester heraus.

„Hä?", machte ihre Schwester nicht sehr intelligent und betrachtete Anis, als wäre sie verrückt geworden. Tatsächlich sah sie nicht gut aus, sie saß zusammengekauert auf der Decke, hatte den Blick starr auf den Boden gerichtet und zitterte wie Espenlaub. Eine Welle des Mitleids ergriff die Youkai.

„Was tut dir weh?", fragte sie so einfühlsam wie möglich. Diesmal war sie es, die ihrer Schwester tröstend den Arm um die Schulter legte.

„Es tut weh...wenn ich an ihn denke... Es schmerzt...ganz tief in mir..." Ihre Stimme war kaum mehr ein Flüstern.

„Was ist das für ein Schmerz?" Du Liebe Güte, mit Herzschmerz kannte sie sich überhaupt nicht aus.

„Ich weiß auch nicht... Es ist erst, seit ich wieder hier bin. Es ist so eine Art... Stechen in der Brust. Ich sehe sein Gesicht vor mir und... Es tut weh. Es ist, als würde etwas in mir zerbrechen. Das war noch nie vorher so! Ich glaub, ich bin krank oder so...", wisperte Anis.

„Das glaube ich nicht. Du... Du vermisst ihn einfach. Nach nicht einmal zwei Tagen...", antwortete Mitsura und drückte ihre Schwester enger an sich.

„Nein, das ist es nicht. Euch hab ich dort ja auch vermisst und das war...anders." Sie lehnte sich erschöpft an Mitsura. Es war merkwürdig kräfteraubend, so offen über ihre Gefühle zu sprechen.

„Wenn man jemanden... Auf diese Weise liebt... Dann ist das halt anders", erwiderte Mitsura etwas ratlos. Sie wusste es doch auch nicht genau...

„Aber ich kann mich unmöglich in ihn verliebt haben! Das... Das hätte ich doch gemerkt!", protestierte die Schwarzhaarige verzweifelt.

„Nicht verliebt. Ich bezweifle tatsächlich, dass du dich verliebt hast. Das ist etwas anderes. Verliebtsein, das ist nur eine kurzfristige Schwärmerei, dazu braucht man eine Person nicht zu kennen. Es reicht, wenn man sie nur einmal kurz sieht. Aber Liebe... Richtige, echte Liebe... So etwas hat man selten zweimal im Leben. Dazu muss man gemeinsame Erlebnisse mit dem anderen haben, Freude und Trauer gleichermaßen zusammen durchstehen. Man muss lange Zeit von ihm getrennt sein, ohne ihn zu vergessen. Echte Liebe geht bis über den Tod. Und, ja, sie kann sehr weh tun... Man merkt erst, dass man jemanden liebt, wenn es schon zu spät ist, es rückgängig zu machen." Mitsuras Blick wurde verträumt und es war klar, dass sie sich wünschte, auch einmal so lieben zu können.

„Woher willst du das denn wissen?", fragte Anis leise.

„Um ehrlich zu sein - Ich hab es mal in einem Buch gelesen. Doch ich denke wirklich, dass es stimmt. Passt doch, findest du nicht?", erwiderte sie.

Anis dachte nach. Sie HATTE gemeinsame Erlebnisse mit Sesshoumaru gehabt. Sie HATTE sowohl Freude als auch Trauer mit ihm durchgestanden. Sie WAR lange Zeit von ihm getrennt gewesen und hatte ihn dennoch nicht ganz vergessen. Und ja, ihre Liebe WAR bis über den Tod gegangen, wenn es tatsächlich das gewesen sein sollte. SO gesehen hatten sie die besten Voraussetzungen...

„Ich glaube es trotzdem nicht. Ich meine... Ich hatte noch nie den Wunsch mit ihm zu schlafen oder so..." Verlegen kratzte sie sich hinter dem Kopf.

„Himmel, Anis, das verlangt doch auch keiner!", empörte sich ihre Schwester und Anis atmete unwirkürlich aus, „Fang mit was Kleinem an, wie Küssen oder so... Du sollst ihm doch nicht gleich an die Wäsche gehen! Und ich dachte, du wärst noch nicht so verdorben wie ich..."

Anis schluckte hart.

„Aber wenn du dir immer noch unsicher bist: Ich hab mal in einem Buch eine Art Testreihe gefunden, woran man erkennt, dass man jemanden liebt...oder verliebt ist, aber das hättest du wirklich schon früher gemerkt, also trifft das für dich eher nicht zu." Die Youkai sprang auf und ging zu einem ihrer Schränke hinüber.

Zwei Minuten später kam sie mit einem recht neumodernem Buch in der Hand wieder zurück.

„Hm... Wo war denn die Seite...", murmelte sie, während sie das Papier umblätterte. Anis kam sich bei der ganzen Sache ziemlich dämlich vor.

"Das ist doch gar nicht notwendig..."

„Ah - Hier! Okay, dann wollen wir mal. Erstens: Was für ein Lieblingsessen hat Sesshoumaru?", fragte Mitsura ihre Worte ignorierend und griff sich vorsorglich einen Stift vom Tisch.

Anis starrte sie fassungslos an. Was hatte diese Frage damit denn bitte zu tun?!

„Er isst nichts, er ist ein so starker Youkai, das er es nicht braucht... Aber ich glaube, er mag Fisch", antwortete sie dann, sich an die eine Nacht zurück erinnernd, in der sie sich ein vegetarisches Essen gekocht hatte.

„Hm...", Mitsura machte ein Häkchen auf dem Blatt, „Okay, zweitens: Benenne seine Familienmitglieder!"

„Wie bitte?!" Das war ja nun wirklich daneben!

„Ach komm schon, du musst mitmachen! Sieh es als... Umfrage im Sinne der Wissenschaft!", forderte ihre Schwester bettelnd.

„Im Sinne der Wissenschaft, na du bist mit vielleicht eine! Aber gut, seine Familie, mal sehen... Also, er hat einen Halbbruder, der heißt Inuyasha. Sein Vater ist tot, den Namen hat mir nie jemand gesagt. Seine Mutter... Weiß ich nicht." Erzählt hatte er ihr nie etwas, alles was sie da wusste, stammte vom Kagome.

„Gut - Weiter.", wieder ein Häkchen, Anis fragte sich, ob sie überhaupt in dem Buch schreiben durfte, „Was tust du, wenn ihr angegriffen werdet und ihr werdet getrennt, der Feind ist bereits wieder weg." Anis wollte schon antworten, doch Mitsura hielt sie zurück: „Warte, das ist eine Ankreuzfrage. Also: Würdest du, A - den Feind verfolgen - B - Sesshoumaru suchen - oder C - dich in Sicherheit bringen, weil der Feind ja zurückkommen könnte?"

Anis brauchte nicht lange zu überlegen, in genau solch einer Situation war sie bereits einmal gewesen, als der Schneedämon ihnen den Richiru-Fluch auf den Hals gehetzt hatte: „Ich gehe natürlich Sesshoumaru suchen!"

„Gut..." Anis bemerkte das schelmische Grinsen nicht, als ein weiteres Häkchen auf dem Papier platziert wurde, „Sesshoumaru macht mit einer Andren rum... Was tust du? A - du rennst heulend davon, B - du gehst hin und klatscht ihm eine, oder C - du lässt sie machen und fragst dich, warum du nicht früher erkannt hast, dass zwischen denen was läuft..."

„Hm... C, glaub ich", antwortete sie. Eine Ohrfeige würde sie nicht überleben und warum sollte sie ein Pärchen, das so mit sich beschäftigt war, stören?

Mitsura schmunzelte, sagte jedoch nichts und mache ein weiteres Häkchen. Anis beobachtete es misstrauisch. Was würde als nächstes kommen?

„Weiter geht's. Uhuhuu....", machte sie und setze ein ganz begeistertes Gesicht auf.

„Was?!", fragte Anis schon halb panisch.

„Die Frage hier ist gut! Los: Du findest heraus, dass Sesshoumaru schwul ist und einen festen Freund hat. Du beobachtest sie, wie sie sich küssen... Was tust du? A - du gehst an ihnen vorbei und wartest gespannt auf eine Reaktion - B - du versuchst herauszufinden, ob er bi ist und bleibst weiter bei ihm - oder C - du verschwindest und schaust dich nach einem anderen Kerl um..." Mitsura grinste triumphierend, als sie Anis' entsetztes Gesicht sah.

„Können wir die Frage nicht auslassen?! Ich hab das Gefühl, du nimmst die ganze Sache nicht ernst!", maulte sie dann.

„Ich nehme sie sehr wohl ernst! Also, sag schon..."

„Dann nehm ich eben... Ach, weiß nicht, dann nehm ich A..." Anis' Gesicht - das bei der Vorstellung eines schwulen Sesshoumaru eine Farbe aus einer Mischung aus weiß und rot angenommen hatte, war starr aus dem Fenster gerichtet, sehr darauf bedacht, ihre Schwester nicht anzusehen.

„Okay, Sesshoumaru ist schwerverletzt, der Feind ist zwar schon weg aber du weißt, das du nichts mehr für ihn tun kannst und er stirbt gerade in deinen Armen. Wie würde sein letzter Wunsch lauten? A - das du ihm den Gnadenstoß gibst und ihn von seinen Qualen befreist, - B - er würde dir verraten, wo sein Testament ist, damit du seinen Wunsch nachlesen kannst, oder C - du musst ihm versprechen, ihm treu zu bleiben..."

„Was sind denn das für Fragen?! Die werden ja immer schrecklicher!", protestierte die Schwarzhaarige lautstark.

„Das sind ganz normale Testfragen... Die sind dafür da, um zu testen, wie gut du ihn kennst... Deswegen auch die Sache mit dem Lieblingsessen", erklärte Mitsura, nun wieder mit ernster Miene.

„Trotzdem, das -"

„Was findest du daran so schrecklich? Dass Sesshoumaru sterben soll, oder dass du ihm treu bleiben sollst?", hakte sie nach.

„Gar nichts, ich meine - Ach, vergiss es. Ich nehm... Ich nehm... Keine Ahnung... Keins von allem!" Das entsprach diesmal absolut der Wahrheit. Sesshoumaru konnte Schmerzen sehr gut ertragen, er würde nicht um einen Gnadenstoß bitten. Und ihr sagen wo sein Testament war, hatte auch nicht sehr viel Sinn. Erstens war Anis sich überhaupt nicht sicher, ob er eins hatte, zweitens gab es bestimmt andere Personen, die das wussten und drittens käme sie doch gar nicht da dran... Abgesehen davon, dass Sesshoumaru ihr so etwas nie auftragen würde. Und das mit der Treue... Auch Unsinn, Sesshoumaru hatte ihr ja noch nicht einmal gesagt, dass er sie liebte. Wenn er es denn noch tat...

„Nichts von allem? Hm... Ich weiß nicht, ob ich das zählen kann. Aber na gut, machen wir weiter.", Mitsura schien enttäuscht zu sein, „Okay, jetzt kommen solche Ja-Nein-Fragen. Also: Sesshoumaru will mit dir durchbrennen. Gehst du mit?"

Ein erneutes Aufstöhnen war zu hören."Durchbrennen?! Ich bitte dich, wer kommt denn auf so eine Schwachsinnsidee?!" , dennoch brauchte sie nicht lange zu überlegen und nach einigem guten Zureden ihrer Schwester, entschied sie sich für Ja.

„Sesshoumaru hat ein Kind adoptiert. Er hat es sehr gern, aber das Kind kann dich überhaupt nicht leiden und ärgert dich immer, es versucht dich von Sesshoumaru fern zu halten. Plötzlich hat das Kind einen Unfall und hängt an einer Klippe, stürzt gleich ab. Ziehst du es hoch? Oder tust du nur so, damit hinterher keiner dir was vorwerfen kann?"

Anis, die an Rin und sogar ein bisschen an Jaken dachte, antwortete diesmal sofort: „Ich zieh es natürlich hoch!" Was Sesshoumaru mit ihr angestellt hätte, würde sie sich in einem solchen Fall anders entscheiden, daran wollte sie lieber gar nicht erst denken.

Wieder ein Haken auf der Liste. „Sesshoumaru entpuppt sich als grausamer Mörder. Wendest du dich von ihm ab? Okay, ich glaub das kann ich mir schon selbst beantworten. Nein - richtig?" Anis nickte.

„Gut, jetzt eine Doppelfrage: Deine Eltern beschließen, dich mit einem wildfremden Mann zu verheiraten, der aber sehr mächtig sein soll. Wirst du es tun?"

„Natürlich nicht, auf keinen Fall! Jedenfalls nicht, wenn ich ihn nie zuvor gesehen hab. Es sei denn, es hängen hunderte von Leben da dran oder so...", kam die Antwort prompt.

„Na gut... Du hast dich schließlich doch dazu entschlossen, dem Willen deiner Eltern zu folgen. Du trittst vor den Altar und musst feststellen, dass dein Ehemann.... - Sesshoumaru ist! Würdest du die Heirat abbrechenund ein paar unanständige Flüche loslassen, weil es dir keiner gesagt hat, oder würdest du einfach so tun, als wenn nichts wäre?", fragte Mitsura, während ihr Stift schon auf die Antwort wartete.

„Ich glaube, die Frage hieß, was ich tun würde, nicht war?" Das mit den unanständigen Flüchen würde wohl kaum da drauf stehen.

„Ähm...ja. Also?"

„Hm...", brummte sie, „Ich würd einfach so weitermachen..."

„In Ordnung... Jetzt noch ein paar Fragen zum Aussehen. Also: Was für Kleidung trägt er normalerweise?"

„Du hast ihn doch selbst gesehen... Also, so lange ich ihn kenne, hatte er immer eine schwarze Rüstung an, dazu zwei Schwerter. Dann eben diese weiße Hakama und ein dazu passendes Oberteil, mir roter Verzierung. Über der Schulter trägt er ein langes, weißes Fell...", zählte sie auf.

„Eine Fellboa? Hört sich wirklich ziemlich schwul an..." Wieder hatte die Braunhaarige ein Kissen im Gesicht.

„Naja, machen wir weiter. Haarfarbe?"

"Weiß. Naja, eher silbern...", antwortete Anis.

„Alter?"

„Hm... Über neunhundert bestimmt schon." Das war schwer zu sagen, weil Youkai ab einer gewissen Grenze kaum noch alterten, und ab einer Zweiten wieder ziemlich schnell...

„Würdest du ihn als 'stark' bezeichnen? Was so Muskelbau und so betrifft?" Mitsura hatte schon wieder dieses Grinsen aufgesetzt.

„Ähm... ja..." Immerhin konnte seine Kraft nicht nur von seinem Übermaße an Youki herrühren.

„Und... Wie groß ist 'er'?" Das Grinsen wurde breiter.

„Wie groß? Äh... So um die eins neunzig? Eine Ahnung, da gab es noch keine Maßbänder!" Das Grinsen zog sich nun von einem Ohr zum anderen. Anis wurde immer unwohler.

„Ich meine doch nicht Sesshoumarus Größe! Sondern die eines gewissen männlichen Geschlechtsmerkmals, wenn du verstehst was sich meine..." Okay, jetzt war klar, woher das Grinsen kam.

„Mitsura!", schnappte Anis wütend, nachdem sie sich vom ersten Schock erholt hatte. Ihr so eine Frage zu stellen, also wirklich!

„Los, antworte ehrlich..."

„Woher soll ich das denn wissen?!", fauchte Anis einer Furie gleich. Wieder flog ein Kissen durchs Zimmer.

„Schätz einfach mal... So wenig Fantasie?" Mitsura fing das Kissen ab und schleuderte es zurück.

„DIESE Frage steht bestimmt nicht da im Buch!", knurrte Anis und sah davon ab, das kleine Gerangel zu einer ausgewachsenen Kissenschlacht werden zu lassen.

„Oh...stimmt.", Mitsura sah auf das Buch hinunter, als wäre ihr diese Tatsache eben erst aufgefallen. „Antwortetest du trotzdem?", fragte sie dann, beinahe hoffnungsvoll.

„NEIN!"

„Okay, okay. Setz dich wieder hin, letzte Frage, dann bist du erlöst. Das hier ist die Wichtigste, also streng dich an! Davon kann ein Testergebnis abhängen!" Anis, die bei Mitsuras unverschämter, und äußerst intimer Fragerei aufgesprungen war, setzte sich, jetzt wieder ein bisschen neugierig, zurück auf's Bett.

„Also?", fragte sie.

„Es ist ganz einfach: Beschreibe mir Sesshoumarus Augen!"

„Seine Augen? Naja, sie sind gelb..." Anis war etwas ratlos, diese Frage war erstens nicht so schlimm wie die vorherigen und zweitens brachte sie ihrer Meinung nach überhaupt nichts.

„Gelb? Ach komm schon, streng doch mal ein bisschen an! Gelb, also wirklich..."

„Naja, es ist eigentlich auch kein richtiges Gelb. Es ist mehr so golden.... Außer natürlich, wenn er wütend ist, dann sind sie rot...", fuhr sie fort.

„Und? Weiter? Nenn mal ein paar Details, lass dir doch nicht jeden Wurm einzeln aus der Nase ziehen!", forderte Mitsura ungeduldig.

„Na schön... Also, die grobe Form der Augen ist recht schmal und länglich, er hat ziemlich lange Wimpern, tiefschwarz, genau wie die Pupille. Die Iris ist nicht durchgängig golden, es sind immer wieder feine, helle Tupfer darin."

Eine halbe Stunde später hörte sich diese - doch recht sachliche Beschreibung - in etwa so an:

„Seine Augen strahlen wie zwei helle Sonnen am Himmel und lassen einem das Herz aufgehen! Sein Haar, so weiß wie Schnee und die blaue Sichel auf seiner Stirn, die einem abnehmenden Mond gleicht, erinnern an eine Kälte, wie sie nur von dem Blick seiner Augen übertroffen werden kann. Wie funkelnde Sterne leuchten sie, wie flüssiges Gold glitzern sie, doch der Blick ist selten so warm wie das geschmolzene Metall, dem es so ähnlich sieht. Wenn seine Iris das Mondlicht einfängt, so glaubt man darin zu ertrinken.

Aber wenn das Wetter schön ist, die Tage hell und wenn sich kein Lüftchen regt, wenn nichts seine Ruhe stört, dann sieht Sesshoumaru ganz friedlich aus und man kann die hellen Flecken in seinen Augen erkennen, zwischen all dem Gold, umrahmt von silbernen Haaren, eingebettet in ein göttliches Gesicht, erkennt man sie, von der Farbe der Federn junger Küken und genauso weich.... Doch wenn sein Blick getrübt ist, wenn die Traurigkeit ihn ergreift, wie ich es bisher nur bei Rins Tod wirklich erlebt habe, dann schleicht sich das Dunkel in seine Augen, das Gold wird trüb wie Steppengras, das sich im Winde wiegt.

Wenn er eher gereizt ist, dann ist er so gefährlich wie ein wütender Tiger, und auch die Streifen dieses Tieres lassen sich dann mit seiner Augenfarbe vergleichen.

Andererseits ist natürlich jedes Wort, das ich gebrauchen könnte, zu schade für ihn, genau wie der Boden auf dem er läuft, es nicht würdig ist, das er einen Fuß darauf setzt. Man kann Sesshoumaru nicht mit Worten beschreiben, schon gar nicht seine Augen, die Spiegel seiner Seele, die so wandelbar sind, deren Ausdruck sich nach seinen Gefühlen richtet, so dass es ein wahres Wunder ist, dass man doch nur so wenig aus ihnen lesen kann, das komplexe Wesen dahinter nicht erkennt..."

Mitsura fiel klappernd der Stift aus der Hand.

Anis, aufgeschreckt durch dieses Geräusch, verstummte mit einem Mal und sah ihre Schwester an, als würde sie sie zum ersten Mal sehen.

"Also... Ich weiß nicht was ich da sagen soll...", stotterte Mitsura etwas hilflos, überrumpelt.

„Was?", machte Anis verwirrt, sie hatte tatsächlich vergessen, dass sie nicht allein im Raum war.

„Na hör mal, dafür das du mit so einem primitivem Wort wie 'Gelb' angefangen hast, war das ja geradezu ein Fünf-Meter-Weitsprung auf der Karriereleiter zum Philosphen..."

„Was... Was meinst du?"

„Ich bitte dich! 'Zwischen all dem Gold, umrahmt von silbernen Haaren, eingebettet in ein göttliches Gesicht', schnulziger geht's ja wohl nicht! Während du jetzt mehr als eine halbe Stunde über Sesshoumarus Augenfarbe geredet hast, hab ich mal dein Testergebnis fertig gestellt, aber ich gaub nicht, dass das jetzt noch nötig ist. Du hast eindeutig und hundertprozentig deinen Seelenverwandten gefunden, so wie du vor Liebe zu ihm sprühst, wundert es mich, dass du nicht vor lauter Sehnsucht nach ihm schon Selbstmord begangen hast", klärte die Braunhaarige sie auf.

„Das... Das hab ich wirklich gesagt?!" Anis sah jetzt aus, als wüsste sie nicht, ob sie nun vollkommen geschockt, oder doch besser peinlich berührt sein sollte.

„Ja, hast du. Grad eben. Und da es inzwischen...," sie warf einen Blick auf die Uhr, „schon halb zehn Uhr früh ist, sollten wir hier wohl besser abbrechen. Sonst kommst du vielleicht noch auf die Idee, einen Liebesroman über Sesshoumaru zu schreiben. In dem du die Hauptrolle spielst..."

„Aber... Das ist unmöglich!" Anis hat sich offenbar dafür entschieden, vollkommen geschockt zu reagieren, dachte sich Mitsura sarkastisch.

„Was ist unmöglich?"

„Na ich kann mich nicht in ihn verliebt haben! Das... Das glaub ich einfach nicht!" Die Schwarzhaarige fuhr sich hysterisch mit der Hand durch das Haar.

„Wieso glaubst du es nicht? Du machst dir doch Sorgen um ihn, nicht wahr?", fragte Mitsura scheinheilig.

„Natürlich, ich meine, ich weiß doch noch nicht einmal ob er überhaupt noch lebt! Abgesehen davon das... Ich meine, aus uns könnte doch nichts werden... Ich weiß ja nicht einmal genau, wer er wirklich ist."

Mitsura legte ihrer Schwester beruhigend eine Hand auf die Schulter. „Erstens: Liebe und verliebt sein ist was anderes, das hab ich dir schon mal gesagt. Zweitens: Du kennst Sesshoumaru so gut, da macht es nichts wenn du nicht weißt, welchen Rang er unter den Inuyoukai einnimmt oder sonst was. Drittens, Sesshoumaru ist verdammt zäh, der wird schon überlebt haben. Und Viertens, wieso sollte daraus nichts werden? Er liebt dich, du liebst ihn, Friede, Freude, Eierkuchen..."

„Aber Mitsura! Ich hab's dir doch gesagt, ich liebe ihn nicht! Sonst würde ich doch... was weiß ich, sonst würde ich doch zu ihm zurück gehen, oder etwa nicht? Abgesehen davon, dass er mich bestimmt zurückweisen würde. Wir sind einfach zu verschieden! Und vor allem: was wäre mit Makotoko? Der würde doch ausrasten...", klagte Anis.

„Nun, ich denke im Grunde wünscht du dir auch, zu ihm zurück zu gehen, nicht wahr? Sich zu entlieben ist sehr schwer. Ich gebe zu, es ist möglich, aber sehr zeitraubend und aufwendig. Es kann natürlich sein, dass er dich zurückweist... In diesem Fall kommst du einfach wieder zu uns. Ich gebe dir nur einen Rat: Lass ihm Zeit. Las ihn auf dich zu kommen. Lass den Mann den ersten Schritt machen und warte, bis er dir gesagt hat, was er für dich fühlt. Und Makotoko... Tja, der wird ein echtes Problem. Ich denke, dem müssen wir es auch schonend beibringen. Wir können eigentlich sofort damit anfangen. Wir wollten sowieso in die Stadt, um ein neues Haarfärbungsmittel zu kaufen, das bietet sich doch an, wenn wir mal zu dritt unterwegs sind... Sesshoumaru läuft dir schon nicht weg", schlug Mitsura vor.

„Hey, du redest schon, als wäre alles schon beschlossen! Außerdem wäre ich mir bei Sesshoumaru nicht so sicher..."

„Oh glaub mir, der hat noch genug damit zu tun, seine Wunden zu lecken. Uns läuft die Zeit nicht davon." Dafür kassierte sie einen bitterbösen Blick, aber Anis erklärte sich schlussendlich dafür bereit, erst einmal dafür zu sorgen, dass ihre Haare dauerhaft normal aussahen und Makotoko darüber auszuquetschen, was er denn machen WÜRDE, WÄRE Anis in Sesshoumaru verliebt. Was Diese natürlich immer noch abstritt.
 

*
 

Sesshoumaru schreckte aus den Tiefen seiner Gedanken hoch, als ihn ein merkwürdiges Gefühl ergriff. Es war wie ein Ziehen, ein Zerren, als wollte jemand etwas von ihm...

„Was ist los?", fragte er sein Youki, das noch immer seinen Körper kontrollierte. Beunruhigenderweise schien es durch die Unterhaltungen mit ihm an Intelligenz gewonnen zu haben und er fürchtete schon, dass dieses Wesen bald eigenständige Entscheidungen treffen würde.

Ich glaube, wir haben eine Spur...

Wut stieg in ihm auf, als er das hörte. Warum zum Teufel wurde er erst jetzt benachrichtet?!

„Hast du dich bewegt?!", fuhr er den 'fremden' Youkai an.

Nein. Aber wir haben etwas gerochen. Da war ein Tier... Und so ein ähnlicher Geruch haftet auch an diesem Brunnen.

Sesshoumaru hielt diese Information für nicht sehr wichtig, befahl aber dennoch: „Fahr fort."

Dieser Geruch ist uns vertraut. Es roch sogar ein wenig nach uns...

„Ein Hund?" Wenn hier in der Nähe tatsächlich ein Menschendorf war, wie er vermutete, war das nicht weiter verwunderlich.

Ja. Hier kam gerade ein Hund vorbei. Er ist aber nicht in Sichtweite gekommen. Doch jetzt, wo wir diesen Geruch bemerkt haben, ist mir aufgefallen, dass hier anscheinend schon einmal ein Hund vorbeigekommen ist.

Na und? „Was ist daran so ungewöhnlich?"

Der Geruch endet beim Brunnen. Genau wie der dieser Pflanze, nach der du gefragt hast. Warum sollte ein Hund in den Brunnen fallen? Könnte es dort vielleicht einen Zusammenhang geben?[(I]

Es war das erste Mal, das dieses Geschöpf offen Vermutungen äußerte. Denn diese Tonlage, die es gerade angeschlagen hatte, war nicht mehr die eines neugierigen Kleinkindes. Es war sogar etwas wie Sarkasmus daraus zu hören. Wenn die Kreatur schon eigene Vermutungen anstellte, wie lange würde es dauern, bis sie auch eigene Entscheidungen fällte, ohne ihn mehr nach seiner Meinung zu fragen? Wie lange mochte es dauern, bis sein Youkai eine neue Seele formte, wie lange, bis er nicht mehr gebraucht wurde, um seinen Körper zu steuern? Das Wesen hatte all seine Erinnerungen, all seine Stärke, seine Macht. Das Einzige was ihm fehlte, waren jegliche Art von Gefühlen und natürlich Intelligenz. Aber wer legte schon Wert auf Gefühle? Er selbst hatte das bis vor kurzem auch nicht getan... Galt es jetzt etwa nur noch, schlauer als dieses... Dieses Ding zu sein? Wie lange würde er diesen Wettlauf aushalten? Wie lang war seine Frist, wann würde er aufhören zu existieren?

Nun, die Frage mit dem Hund war allerdings auch bedenkenswert. Gab es einen Zusammenhang zwischen Anis' spurlosem Verschwinden und dem Auftauchen von - Moment mal.

„Ist es zufällig DIESER Hund gewesen?" Sesshoumaru konzentrierte sich mit aller Macht auf den Geruch dieser kleinen Hündin, die Anis immer bei sich hatte.

Ja, genau der ist es.

Okay, jetzt hatte er wirklich eine Nuss zu knacken. Warum sollte Arekisu in den Brunnen springen? Aber halt, hatte nicht sein Dämon gesagt, auch der Lavendelduft endete am Brunnen? Sollte etwa Anis in den Brunnen gesprungen sein? Und Arekisu hinterher? Aus welchem verrückten Grund sollten die beiden das machen? Sein Youki hatte ja auch von keiner Gefahr erzählt, die sie hätte dort hinein jagen können. Es sei denn natürlich... Ja, was wäre wenn dieser Typ, dieser Makotoko, ihr in Wirklichkeit feindlich gesinnt war, sie umbringen wollte und in den Brunnen gestoßen hatte?! Die Hündin könnte er hinterher geworfen haben, um Beweise zu vernichten oder so...

Aber das war ja grauenhaft! Dann musste er sofort zu ihr!

„Spring in den Brunnen, sofort!"

Doch dieses Befehls hätte es gar nicht gebraucht, Seshsoumarus Körper hatte sich selbstständig gemacht und war soeben von alleine gesprungen. Darüber ärgerte er sich natürlich gewaltig, denn diesmal hatte das Wesen tatsächlich ohne seinen Befehl behandelt. Was, wenn er es sich im letzten Moment anders überlegt hätte? Aber dafür war jetzt keine Zeit, zuerst musste er Anis finden.

Aber... Was dann? Was, wenn er sie in diesem Zustand verletzen sollte? Sie gar töten? Was, wenn er seinen Youkai nicht im Zaum halten könnte? Nein. Diese Vorstellung war zu grausam, als das sie es wert war, noch weiter ausgemalt zu werden. Schlimmer, wenn er das tat, käme das Wesen vermutlich auf den Gedanken, es tatsächlich zu tun, nur weil es solch grauenhafte Bilder in seinem Geist sah. Nein. Er musste an etwas anderes denken. Doch das war leichter gedacht als getan. Man konnte nicht an so etwas Alltägliches wie Kohlköpfe denken, wenn es doch möglich wäre, dass man gleich die blutüberströmte Leiche seiner Liebsten finden würde. Sesshoumaru wusste in diesem Moment nicht, was schwerer war, das Gegenteil von dem zu denken was man tat, oder das Gegenteil von dem zu tun, was man dachte.
 

*
 

„Ooohhhh... Wartet einen Moment auf mich, bin gleich wieder da!" Mitsura sprang auf und entfernte sich rasch von der Dreimanngruppe. Nun saßen Makotoko und Anis allein auf der Parkbank, doch das machte ihnen nichts aus, denn Mitsura hatte ihnen beim Weglaufen ihr Eis in die Hand gedrückt. Anis, die ihr Eigenes schon verputzt hatte, machte sich nun fröhlich darüber her. Makotoko war so freundlich gewesen, es ihnen zu spendieren. Ihre Schwester hatte nämlich typischerweise all ihr Geld, das sie mitgenommen hatte, schon in den ersten paar Läden auf die sie gestoßen waren, ausgegeben. Zu allem Überfluss hatte sie sich dann auch noch etwas von ihrer Schwester geliehen, so dass die jetzt ebenfalls pleite war.

„Können wir nicht langsam wieder nach Hause gehen?", maulte der Youkai gerade. Er war ohnehin nur widerstrebend mitgekommen und jetzt, wo es so aussah als müsste er alle weiteren Einkäufe bezahlen, sank seine Begeisterung auf den Nullpunkt. Sogar sein Hund, der wie ein zweiter Schatten neben ihm hockte, ließ erschöpft die Ohren hängen.

„Nein, können wir nicht. Wir haben schließlich immer noch nichts für meine Haare, und deswegen sind wir schließlich hier. Wo bleibt Mitsura denn?! Holt sie sich schon wieder einen Verehrer nach hause?" Ungeduldig lehnte die Schwarzhaarige sich nach vorne und versuchte einen Blick auf ihre Schwester zu erhaschen. Diese stand nur ein paar hundert Meter entfernt neben einem großen, schwarzhaarigem Mann, mit dem sie sich angeregt unterhielt. Allerdings war nach Mitsuras Gesten zu urteilen der Andere weniger ANgeregt, als eher ERregt. Doch schon drei Minuten später beendete Mitsura die Unterhaltung mit einem sehr intensiven Kuss und kam wieder zu ihnen herüber. Der Fremde schaute ihr zwar noch sehnsüchtig hinterher, verließ dann allerdings den kleinen Park. Schnell war er in der Menge untergetaucht, denn dieses kleine Fleckchen Grün inmitten der Großstadt schien eine ungewöhnlich große Menge zu so früher Stunde anzulocken, obwohl es doch Samstag war. Anis vermutete, dass es zum Großteil Youkai waren, die die stinkende Luft nicht mehr ertrugen und sich zu einer Zeit, wo sich kaum Menschen hier aufhielten, hier versammelten. Vermutlich um - nicht ganz legale - Geschäfte abzuwickeln. Nicht legal, natürlich aus menschlicher Sicht.

„Seht mal her Leute, was ich gerade super preiswert gekriegt hab!" Mitsura warf Anis lässig eine kleine Flasche zu, welche diese aus Reflex auffing.

„Für deine Haare! Damit sie wieder dauerhaft schwarz werden. Sie sehen ja bereits jetzt ein wenig blass aus... Muss an der Luftfeuchtigkeit liegen." Mitsura grinste breit und tat Anis' Dankesworte mit einer Handbewegung ab.

„Wie hast du das denn bezahlt, ich denke, du hast kein Geld mehr?!", fragte Makotoko forsch, doch die Braunhaarige lächelte nur schelmisch und antwortete: „Habt ihr das denn nicht gesehen?"

„Der Kuss?", fragte Anis.

„Genau! Der war überhaupt nicht mein Typ, aber billiger geht's ja auch nicht..."

„Weißt du was? Du kannst ein richtiges Biest sein! - Lass uns jetzt endlich zurück gehen, ich hab keinen Bock mehr." Makotoko war selten schlecht gelaunt und ihn so - ohne das übliche Grinsen - zu sehen, hätte Anis beinahe dazu gebracht, ihm zuzustimmen. Letztendlich wurde das erneut von ihrer Schwester verhindert:

„Nichts da! Ich muss noch einmal ganz schnell ins 'American Mode', ich hab da neulich ein superschickes Kleid entdeckt, das MUSS ich haben!" Diesmal war es nicht nur Anis, die dabei aufstöhnte. 'American Mode' war eine fünfstöckige Einkaufspassage, und um sich dort durchzuarbeiten bräuchte man mindestens einen Monat.

„Ach kommt schon, ich weiß schon ganz genau was ich haben will, es wird nicht lange dauern!", bettelte sie, doch Makotoko war strickt dagegen.

Doch nach fünf Minuten guten Zuredens ihrer Schwester gab er schließlich auf.

Also standen sie zehn Minuten später in einem fünfstöckigem Einkaufsparadies. Zum Glück waren um elf Uhr am Wochenende noch nicht so viele Leute da und so herrschte auch nicht solch ein Gedränge auf den Rolltreppen - die freilich nicht funktionierten - was ihnen ganz Recht war, da die Kleiderabteilung im obersten Stock lag. Trotz aller Voraussagen brauchte Mitsura erst einmal gut eine viertel Stunde, um das Kleid wiederzufinden, dann hatte es nicht die richtige Größe, musste umgetauscht werden, auf einmal gefiel ihr die Farbe nicht mehr, und so weiter und so fort. Anis und Makotoko standen sich die Beine in den Bauch und starben gerade eines grausamen Todes an Langeweile, ohne das es jemand bemerkte. Zu allem Überfluss konnten sie nicht einmal mehr mit rein in das Geschäft kommen, weil die Verkäufer partout darauf bestanden, das keine Hunde hinein durften und da halfen selbst Makotokos Morddrohungen nichts. Der Youkai blieb natürlich bei seinem vierbeinigem Freund zurück, weil es ja undenkbar wäre, ihn draußen anzubinden und auch Anis leistete ihnen Gesellschaft.

Alles in allem eine halbe Stunde später kam Mitsura wieder aus dem Laden heraus - ohne etwas gekauft zu haben.

„Wolltest du dir nicht ein Kleid holen?", fragte Anis auch prompt nach.

„Schon, aber das einzige Exemplar da hatte so eine komische Naht, die war schief, und so eines wollte ich dann doch nicht... Tut mir Leid das ihr jetzt warten musstet", entschuldigte sie sich.

„Jetzt ist es zu spät! Wir schlagen hier seit Stunden Wurzeln, können noch nicht mal reinkommen und dann war alles umsonst?!", fuhr der Braunhaarige seine Schwester an.

„Nun hab dich nicht so, ich hätte eh keine Modenschau gemacht...", versuchte sie ihren Bruder zu beruhigen. Anis schloss daraus, dass es ein sehr knappes Kleid gewesen sein musste.

„Ach, lasst es doch jetzt gut sein, wir sollten uns auf den Rückweg machen...", meinte Anis schlichtend.

Ihre beiden Geschwister stimmten ihr zu und die Drei machten sich auf den Rückweg, die kaputte Rolltreppe wieder hinunter.

In der dritten Etage jedoch hielt Makotoko auf einmal an.

„Was ist denn los? Hast du was vergessen?", fragte Anis, die fast in ihn hinein gelaufen wäre.

Der jedoch schüttelte nur den Kopf und deutete auf ein gegenüberliegendes Geschäft.

Neben ihr schnappte Mitsura nach Luft, als auch sie seinem ausgestreckten Arm folge.

Anis wäre bei dem Anblick beinahe das Herz stehen geblieben. Das KONNTE doch nicht wahr sein!
 

*
 

"Und? Was siehst du?", fragte Sesshoumaru ungefähr schon zum dritten Mal. Doch wieder bekam er keine Antwort. Langsam machte sich Verzweiflung in ihm breit. Seine Körperlosigkeit machte ihm schwer zu schaffen, die Schwärze um ihn herum war so undurchdringlich wie eh und je und die Tatsache das die fremden Gedanken seines Dämons nicht mehr in seinem Geist widerhallten, ließen ihn befürchten, dass er sich vielleicht schon im Jenseits befand ohne bemerkt zu haben, dass er dorthin gelangt war. So war er regelrecht erleichtert, als er endlich die andere Stimme erkannte.

Ich sehe viel... Erstaunliches.

Erstaunliches? Was könnte dieses Wesen, das sich so uneingeladen in seinen Körper eingenistet hatte - das es schon seit Anbeginn seiner eigenen Existens in ihm vorhanden war, ignorierte er dabei - in Erstaunen versetzten? Wohl nur etwas, was ihn selbst überrascht hätte und davon gab es nicht gerade sehr viel in dieser Welt. Und in einem Brunnen sowieso nicht.

"Beschreibe mir, was du siehst“, befahl er. Nach kurzem Zögern erhielt er eine Antwort.

Ich bin in einem Raum. Ich meine nicht den Brunnen, aus dem bin ich bereits wieder heraus gesprungen. Aber vorher war ich doch im Freien. Nun bin ich in einem dunklen Raum, einem Zimmer... Ich denke, es ist ein Schrein. Es ist niemand hier...

Okay, diese Fülle an Informationen musste Sesshoumaru erst einmal verarbeiten. Es war niemand da, hoffentlich schloss 'niemand' bei dem Wesen auch Tote mit ein. Also war Anis' Leiche nicht da, demzufolge war sie nicht in den Brunnen gefallen und gestorben. War sie also tatsächlich gesprungen? Um hierher zu kommen?

Zuerst waren sie in einem Wald, auf einer Lichtung gewesen, nun in einer Art Haus? Befand sich im Brunnen etwa ein Dimensionsportal? Hatten sie eine Teleportation durchgemacht? Befanden sie sich jetzt am anderen Ende Japans? Oder in einer anderen Zeit? Eine andere Dimension? Einer vollkommen anderen Welt?

"Hast du Magie gespürt, als du durch den Brunnen gesprungen bist?"

Ja, habe ich. ich sah einen Strom bunter Lichter und funkelnde Sterne.

In jeder anderen Situation und mit jedem anderen Gesprächspartner hätte Sesshoumaru vermutet, dass die Kreatur verrückt geworden war oder doch zumindest ordentlich etwas auf die Nase gekriegt hätte. Doch er bezweifelte, dass das Wesen ihn anlog, dazu war es gar nicht in der Lage, obwohl...-

Moment mal.

Seit wann sprach dieses Ding von sich in der Ich-Form?! Verdammt, es hatte schon wieder einen Schritt in Richtung Selbstständigkeit gemacht und er hatte es nicht einmal bemerkt. Wenn doch nur Anis hier wäre... Mit ihr wäre das alles so viel leichter zu ertragen.

"Kannst du den Hund noch riechen?"

Ja, aber nur ganz schwach. Es... Es stinkt hier so sehr. Die Luft ist verbraucht.

Was hatte das jetzt schon wieder zu bedeuten?

"Geh raus aus dem Schrein und sag mir dann, was du siehst!"

Ich bin schon draußen.

Verdammt, die Antwort kam zu schnell! Es hatte schon wieder gehandelt, ohne seinen Befehl abzuwarten.

"Und? Sag schon!"

Die Spur verliert sich hier irgendwo. Dort hinten steht ein merkwürdiges Gebäude. Das Haus sieht seltsam aus... Wenn es denn ein Haus ist. Es ist nicht aus Holz und viel zu ebenmäßig gebaut. Außerdem ist es weiß... Aber darin wohnen ganz eindeutig Menschen, das rieche ich.

Okay, jetzt kannte er sein unmittelbares Umfeld. "Und weiter?"

Eine lange Treppe führt hinunter. Der Wald an dieser Stelle sieht ganz anders aus. Er besteht nicht mehr aus Bäumen wie ich sie kenne -

Wie du sie kennst, pah! Du hast doch MEINE Erinnerungen!, dachte Sesshoumaru sich beleidigt.

- die sind viel größer, reichen bis in den Himmel... Und sie sind weiß und haben Löcher. Sie sind viel dicker, wie riesige Türme ohne Baumkrone, ohne Blätter. Sie sehen fast ein bisschen wie dieses merkwürdige Haus vor dem Schrein aus. Überall an diesen Bäumen sind viereckige Metallplatten mit bunter Aufschrift... Jemand muss sie künstlich erschaffen haben, doch obwohl ich mir nicht vorstellen kann, dass dies das Werk von Menschen ist, sind nur diese schwachen Wesen hier überall zu riechen, ich spüre keine einzige Dämonenaura! Überall sind Menschen... es sind unglaubliche viele. Und es ist so laut! Ich kann keines dieser Geräusche wirklich zuordnen.

Zwischen den weißen Bauten schlängeln sich immer wieder breite, schwarze Schlangen hindurch. Sie sehen fast wie eine Art Wege aus. Darauf bewegen sich seltsame Kisten auf Rädern, es müssen eine Art Fahrzeuge sein, sie riechen metallisch, werden aber von keinem Tier gezogen. Trotzdem sind sie unglaublich schnell, für ein Ding in dem wiederum nur ein oder zwei Menschen sitzen. Möglicherweise ist dies hier ein sehr großes Dorf...

Sesshoumaru überlegte. War in der Nähe des Brunnens nicht ein Dorf gewesen? Konnte es sein, dass er sich tatsächlich in einer Nebenwelt oder einer anderen Zeit befand, in der sich die Menschen bis hier her ausgebreitet hatten? Okay, das war vielleicht noch logisch, erklärte aber noch lange nicht die seltsamen und völlig fremdartigen Gebilde, die das Wesen gerade beschrieben hatte.

Was soll ich jetzt tun?

Nun, wie wär's wenn du dich als erstes mal aus meinem Körper zurückziehst und in mein Unterbewusstsein verschwindest, damit ich wieder die Kontrolle hier habe?, dachte sich Sesshoumaru ironisch, aber das war ja leider nicht möglich. Und inzwischen bezweifelte er sogar leicht, dass der Dämon ihm freiwillig Platz machen würde.

"Sei ruhig, ich möchte nicht gestört werden!", knurrte er das Wesen an. Er wusste doch auch nicht, was jetzt zu tun war! Er wusste ja nicht einmal mehr, wie er zurück in seine Welt kam. Wieder durch den Brunnen? Aber was, wenn er dann noch weiter in der Zukunft landen würde? Ach, wenn doch nur Anis jetzt bei ihm sein würde...
 

Und die Kreatur sorge dafür, das Sesshoumaru bei seinen trübseeligen Gedanken nicht gestört wurde, was in diesem Fall hieß, dass er alle Menschen tötete, die ihm zu nahe kamen, ohne ihm weiter Bericht zu erstatten. Schließlich hatte ihm sein 'Meister' nicht verboten, seinen natürlichen Blutdurst zu stillen. Und da diese fortwährend an Anis dachte, marschierte das Wesen durch ganz Tokyo, auf der Suche nach ihr...

Eingeständnis

Okay, es geht weiter, ich denke ihr wisst schon, wie. Sesshoumaru wäre nicht Sesshoumaru, wenn es auf seinem Weg nicht ein paar Leichen geben würde. Anis kann dabei natürlich nich tatenlos zusehen...
 

XxX
 

"...die Polizei rät allen Beteiligten, das betroffene Stadtviertel umgehend zu verlassen. Die Straßen werden abgesperrt und alle Leute, die sich dort im näheren Umkreis befinden, werden evakuiert. Bisher gab es sieben Tote und zwei Schwerverletzte."

Anis konnte ihren Augen nicht vom Bildschirm losreißen. Vor dem Elektronikgeschäft hatte sich eine dicke Menschentraube gebildet, alle waren gekommen, um der Sondermeldung des Nachrichtensprechers zu lauschen, die hier in der Medienabteilung aus Dutzenden von Radios und Fernsehern drang.

"Die Identität und das Motiv des verantwortlichen Mannes sind nicht bekannt, letzteres vielleicht gar nicht vorhanden. Augenzeugen behaupten, dass er eine Art Laserwaffe bei sich hat, mit der er seine Opfer brutal verstümmelt. Es wird dringend geraten, sich ihm nicht in einem Umkreis von zehn Metern zu nähern."

Die drei Geschwister schwiegen sich betroffen an. Anis mit vor Entsetzen geweiteten Augen und Mitsura mit einer Miene, als würde sie sich fragen, womit sie das alles denn verdient hatte. Nur Makotoko wirkte so glücklich wie schon lange nicht mehr.

"Hat sich dieser Narr also doch noch hergewagt... Lang hat er gebraucht. Nun, ich denke, es wird nicht bei nur sieben Toten bleiben."

"Makotoko, das ist nicht witzig!", wies ihn Mitsura zurecht, alarmiert einen Blick auf Anis werfend, deren Gesicht mit jeder Sekunde blasser wurde.

"Sei still, Mitsura! Die geben sicher noch eine Personenbeschreibung an, das wird bestimmt lustig!"

Die Angesprochene wollte noch entrüstet etwas erwidern, doch da bestätigte der Nachrichtensprecher auf der Mattscheibe des Fernsehers im Schaufenster des Elektronikgeschäfts die Vermutung ihres Bruders und begann zu sprechen. Neben ihm wurde ein undeutliches Bild eingeblendet, auf dem praktisch nur zwei rote Augen und eine silberne Mähne zu sehen waren, durchzogen von einem gleißend grünen Leuchtstreifen.

"Berichten zufolge hat die Person lange, weiße Haare und rote Augen, was darauf schließen lässt, das sie ein Albino ist. Außerdem trägt er eine kugelsichere Panzerung. Seinem Verhalten nach ist er nicht ganz zurechnungsfähig..." So ging es noch eine Weile weiter, der Sprecher empfahl weitere Sicherheitsmethoden und wies noch einmal darauf hin, dass sich alle Menschen aus diesem Viertel, in dem er sich aufhielt, fernzuhalten hatten.

Makotoko wandte sich mit unterdrücktem Lachen ab.

"Sie bezeichnen ihn als Albino! Und 'nicht ganz zurechnungsfähig' ist auch nur ein anderer Ausdruck für 'komplett verrückt'."

"Nicht so laut! Die Lage ist sehr ernst. Wenn das Sesshoumaru ist-" Doch Mitsura wurde wieder von ihm unterbrochen.

"Natürlich ist das Sesshoumaru! Oder glaubst du, der Weihnachtsmann würde mit einer 'kugelsicheren Panzerung' durch die Gegend marschieren?!"

„Oh, ihr seid so-" Die Youkai - inzwischen hochrot - war kurz davor die Diskussion zu einem ausgewachsenen Streit heranreifen zu lassen, doch dies wusste Anis zu verhindern. "Nun hört endlich auf ihr beiden! Wir müssen etwas unternehmen..."

"Stimmt... Also, während ihr schon mal nach Hause geht, nehme ich mir dieses Problems an", bestimmte Makotoko, vom heftigen Schwanzwedeln seines Hundes tatkräftig unterstützt.

"Das werden wir nicht tun", erwiderte Anis mit fester Stimme.

"Ach, und warum nicht?", kam die überraschte Reaktion ihres Bruders.

"Weil-" Doch diesmal unterbrach Mitsura wieder das angehende Gespräch, denn sie fürchtete, Anis würde jetzt zur falschen Zeit etwas Falsches sagen.

"Weil... Weil Sesshoumarus derzeitiger Standpunkt genau zwischen diesem Einkaufszentrum und unserem Haus liegt", sprudelte es aus ihr heraus, einige Sekunden brauchend um zu begreifen, dass dies sogar der Wahrheit entsprach, "Wir müssen jetzt als erstes überlegen, was im Moment das Wichtigste ist. Und das ist weder Sesshoumarus Tod, noch die Bevölkerungsanzahl Tokyos..." Die Youkai wollte darauf hinaus, dass nicht offenbart werden durfte, dass sie alle - Sesshoumaru eingeschlossen - Dämonen waren und die Mitglieder der Regierung Japans - zu zwei Dritteln ebenfalls Youkai - ihnen sicher die Schuld für eventuelle Beschädigungen der Stadt geben würde. Sesshoumaru würde nämlich in seine Zeit zurückgehen und die Strafe für die Verletzung der jahrhunderte alten Ordnung der Geheimhaltung ihrer Rasse würde auf die Geschwister zurückfallen. Dann hätten sie eine riesige Menge Ärger am Hals, denn natürlich war es schwer, einen wildgewordenen Dämon, vielleicht sogar in seiner wahren Gestalt, zu erklären, ohne dabei übernatürliche Begriffe fallen zu lassen.

Gleichzeitig und eigentlich sogar in erster Linie, wollte Mitsura natürlich verhindern, dass Anis ihre erste große Liebe so bald schon wieder verlor, auch wenn sie selbst immer noch bestritt, dass dies so war -Mitsura war sich in dieser Sache hundertprozentig sicher. Makotoko schien da allerdings andere Ziele zu haben.

"Stimmt, das Wichtigste ist selbstverständlich Anis' Sicherheit, da er es ja offensichtlich noch immer auf sie abgesehen hat. Also müssen wir uns wohl oder übel hier verstecken, bis Sesshoumaru an uns vorbei gezogen ist, erst dann können wir zum Haus zurück... schade. Dessen Schutzschirme wird er jedenfalls nicht durchdringen können. Ich werde so lange auf euch aufpassen müssen und euch noch bis zum Haus bringen, sobald die Gefahr vorüber ist. Sesshoumaru erledige ich dann allein, sagt unseren Eltern, dass sie sich da raus halten sollen."

"Das geht nicht!", sagte Mitsura sofort, mit dem festen Ziel, alle seine Pläne zunichte zu machen, aber ohne die geringste Ahnung, wie sie das begründen sollte. Anis rührte keinen Finger, sie schien mit den Gedanken ganz woanders zu sein und damit hatte sie gar nicht so unrecht.
 

Sesshoumaru... warum bist du nur gekommen?, fragte sich Anis schmerzhaft. Was sollte das denn? Die Dinge waren vollkommen aus dem Ruder gelaufen! Sie hatte sich so sehr gewünscht, wenigstens noch ein letztes richtiges Gespräch mit ihm zu führen, aber unter den gegebenen Umständen würde das kaum möglich sein. Er war tatsächlich hier her gekommen... Ihretwegen...? Einerseits freute sie das, schließlich war es auch der eindeutige Beweis, das es ihm ganz gut zu gehen schien. Aber was, wenn er dies nicht überlebte? Seine Rüstung mochte ihn vor den Kugeln der Polizei schützen, doch vor Makotokos Schwert bot sie keinen Schutz. Sie könnte es sich nie verzeihen, wenn er sterben würde, nur weil er zu ihr kommen wollte!

Anis Augen wurden feucht, doch sie blinzelte die Tränen weg. Verdammt... Hatte Mitsura vielleicht doch Recht? Liebte sie Sesshoumaru doch? NEIN, das tu ich NICHT!, dachte sie trotzig, doch ihre Seele schrie das Gegenteil hinaus.

Aber ob es nun so war oder nicht, könnte diese Information Makotoko davon abhalten, ihn zu töten? Dann wäre sie wenigstens zu etwas nütze... Sollte sie es versuchen? Selbst wenn es eine Lüge war? Ja. Ihre Brüder würden es verstehen... hoffentlich.

"Makotoko, ich-", wollte sie ansetzen, doch die Streitenden, die wohl nun endlich einen Kompromiss gefunden hatten, ließen sie nicht zu Wort kommen.

"Okay Anis, wir haben es beschlossen! Da Sesshoumaru in gerader Linie - sei es Zufall oder nicht - auf dieses Gebäude zu kommt, wird es sicher bald evakuiert werden. Draußen aber kann er uns entdecken. Wir werden deshalb hoch auf das Dach steigen und dort einen Bannkreis errichten, der uns unsichtbar machen wird. Von dort aus können wir Sesshoumaru beobachten und werden wissen, wann es ungefährlich ist, an ihm vorbei zu kommen", erklärte Makotoko munter.

"Aber-"

"So, dann Abmarsch!", schnitt er ihr das Wort ab, drehte sich um und setzte sich in Bewegung.

"Makotoko, -" Anis wandte sich zu ihm um und wollte ihn zurückhalten, doch da legte ihr Mitsura von hinten die Hand auf die Schulter.

"Jetzt ist nicht der richtige Augenblick, Anis", murmelte ihre Schwester leise, ließ sie dann los und folge Makotoko, als wäre nie etwas geschehen. Anis, leicht verzweifelt, wollte nicht zurückbleiben und lief den beiden hinterher.
 

Einige Minuten und weitere kaputte Rolltreppen später...

"Seht mal, da hinten!", rief Mitsura aufgeregt und deutete in die Ferne. Anis, die gerade die Feuerleiter hinter sich hatte und neben ihren Geschwistern auf dem Flachdach stand, folgte mit ihrem Blick dem ausgestrecktem Arm ihrer Schwester, konnte jedoch nichts ungewöhnliches entdecken.

"Was ist?", fragte sie argwöhnisch, denn Mitsura sah beunruhigend besorgt aus.

"Siehst du diese Lichter dort hinten? Ein Mischung aus Blaulicht und dem typischen Flimmern von Youki in er Luft. Dort muss Sesshoumaru sein."

"Sesshoumaru...", flüsterte Anis und etwas Sehnsüchtiges lag in ihrer Stimme. War er wirklich dort? Anis spürte das Verlangen zu ihm zu gehen, ihm jetzt nahe zu sein. Sie verwisste ihn... Schmerzlich drang diese Erkenntnis bis tief in ihr Innerstes vor, jetzt, wo er so unerreichbar für sie wart. Aber war das gleichzusetzten mit Liebe?

"Nun, wenn er schon so nah ist, sollten wir uns besser beeilen", sagte Makotoko, "Wir müssen uns nur noch einigen, welchen Bannkreis wir anwenden wollen. Schließlich sind wir auch nur zu viert..."

"Es sollte auf jeden Fall einer sein, der uns unsichtbar macht. Außerdem müsste er eine gewisse Stabilität auf den Untergrund ausüben, falls das Gebäude einstürzt. Da wir uns nur verbergen und nicht belagern lassen wollen, hat es keinen Sinn, ihn abweisend gegenüber Feinden machen zu wollen. Dennoch sollte er uns vor herabstürzenden Trümmern abschirmen, sollte der schlimmste Fall eintreten", meinte Mitsura und zählte die Eigenschaften dabei an der Hand ab.

"Hm.. Ich glaub, ich kenne da einen. Wir können den mexikanischen Sandsturmgeierfluch nehmen", schlug ihr Bruder vor.

Die beiden Mädchen sahen ihn perplex an und Anis fragte: "Den WAS?!"

"Den mexikanischen Sandsturmgeierfluch! Noch nie davon gehört?" Da die beiden Youkai im Gegensatz zu ihrem Bruder noch nie in Mexiko waren, konnten sie nur verneinend mit dem Kopf schütteln.

"Na gut, ich erkläre ihn euch. Also, in den Wüsten und Steppen Mexikos gibt es eine spezielle Dämonenart, die Sandsturmgeier. Wie der Name schon sagt, folgen sie den Sandstürmen und ernähren sich von den Reisenden, die darin zu Grunde gehen."

"Wieso folgen sie nicht gleich den Reisenden?", fragte Mitsura verwirrt.

"Sandsturmgeier können nicht eigenständig fliegen. Ihre Körper sind zu schwer dafür. Sie haben zwar überdimensional große Flügeln mit Stahlfedern dran, doch ohne einen ordentlichen Sandsturm, der genügend Aufwind produziert und auf dem sie gleiten können, sind sie dazu verurteilt, am Boden zu bleiben und des Hungers zu sterben", kam die Antwort.

"Und dieser Bannkreis ist also gegen die Sturmgeier?"

"Lass mich doch ausreden, Mitsura! Ein Sandsturmgeier am Boden kann zwar niemanden mehr jagen, ist so aber fast noch gefährlicher. Sie können nicht nur Youki auf ihre Feinde zurückschleudern, sondern auch ihre Stahlfedern abschießen. Zwar sind sie ganz miserabel im Zielen und können diese Fähigkeiten im Rauf- und Runter eines Sandsturms nicht anwenden, aber wenn sie erst einmal im Sandmeer gestrandet sind, greifen sie alles an, was ihnen zu nahe kommt, ohne sich selbst aufgrund ihrer angeborenden Schwerfälligkeit groß von der Stelle zu bewegen. Wenn so ein armes Vieh gestrandet ist, kann es nur noch auf einen Sandsturm warten - oder auf die Jäger", erklärte Makotoko, offenbar stolz, dass er mit seinem Wissen angeben konnte.

"Das hört sich ja grausam an...", murmelte Anis.

"Oh, glaub mir, Herzblatt, wenn du siehst, wie blutrünstig und vor allem hässlich diese Biester sind, vergisst du dein Mitleid ganz schnell wieder", erwiderte er lächelnd.

"Habt ihr denn schon einmal einen gesehen?", fragte Mitsura.

"Sicher! Ich hab schon etwa fünf oder sechs von ihnen erlegt... Ist aber sehr zeitraubend. Deswegen kenne ich ja überhaupt erst diesen Bannspruch. Gewisse Körperteile der Sandsturmgeier sind sehr beliebt, doch es ist schwer, an einen Sandsturmgeierleichnam ranzukommen, weil sie wegen all den Wanderdünen meist unter dem Sand vergraben werden. Doch Schnabel, Klauen und Knochen dieser Ungeheuer geben ganz wunderbares Waffenmaterial ab, mein eigenes Schwert ist daraus gemacht. Die Federn sind aufgrund ihrer magischen Wirkung kostbarer als Edelsteine, auch sie lassen sich gut zu Dolchen umschmieden, die recht schmerzhafte Verletzungen zufügen können. Das Blut kann man als Droge an die Menschen verscherbeln... man sollte es allerdings vorher einfärben und zu Pulver verarbeiten. Bloß gut, das es an der Luft so schnell trocknet." Ein fieses Grinsen stahl sich auf sein Gesicht.

"Soll das etwa heißen, du hast sie nur wegen dem Geld getötet?!", fragte Anis geschockt.

"Nein, ich doch nicht! Das waren nur Nebenprodukte. Mir gingen die Viecher halt auf den Geist. Ich bin nämlich in einen Sandsturm geraten und nach einer Weile haben sie mich attacktiert, weil sie nicht begriffen haben, das ich kein Mensch bin und es einfach nicht checkten, warum ich in dem Sturm nicht krepierte... Ich hab mir den Geruch der Gruppe genau eingeprägt, einen kleinen Jagtkurs gemacht und sie dann aufgespürt", berichtete er munter.

"Hattest wohl Langeweile...", wisperte Mitsura.

"Wie man's nimmt. Aus den Klauen der Geier hab ich mir hinterher ja ein Schwert schmieden lassen, also war die ganze Aktion ja auch nicht ganz umsonst. Immerhin kenne ich jetzt einen Bannkreis, der uns weiterhelfen wird. Er soll eigentlich den gestrandeten Sandsturmgeier gefangen halten, aber für unsere Zwecke ist er auch genau richtig. Bei der Geierjagt geht es folgendermaßen zu: Die Jäger postieren sich im Dreieck um das Opfer herum. Der Bannkreis lässt keinen Sandsturm - in unserem Fall herunterfallende Trümmerstücke - durch, damit er nicht fliehen kann. Die Anwesenden sind für alle Außenstehenden unsichtbar, kein Geräusch dringt hindurch, damit keine eventuelle Hilfe naht. Trotzdem kann jeder beliebig den Bannkreis verlassen und auch reinkommen, die Jäger mussten sich ja mit der Wache ablösen. Da der Geier meist schon einige Tage da lag, bevor er gefunden wurde, ist er dann meist zu schwach, um den Kreis selbst zu verlassen. Damit die Truppe nicht doch durch einen Sandsturm vielleicht zugedeckt wird, verfestigt der Bannkreis den direkten Untergrund und lenkt den Wind um. Bei uns könnte also das gesamte Gebäude einstürzen, aber dieses Flachdach würde erhalten bleiben. Nur ein wenig in die Tiefe rutschen vielleicht...", schloss Makotoko.

"Na schön, dann nehmen wir den...", meinte Mitsura, die bemerkt hatte, dass das Flimmern der Luft schon bedrohlich nahe gekommen war. Jetzt konnte man das Youki ganz deutlich spüren.

"Prima, also, dann stell dich doch mal da hinten hin, Mitsura!", befahl ihr Bruder und deutete ein paar Meter weiter weg. Mitsura folge dem Befehl, während Makotokos Hund sich in einiger Entfernung ebenfalls demonstrativ auf den Boden setzte. Makotoko selbst blieb wo er war, bedeutete jedoch Anis, sich in die Mitte des so entstandenen Dreiecks zu setzen, was diese auch sogleich tat. Ihre Geschwister setzten sich jetzt auch hin und der Dämon schloss konzentriert die Augen. Die beiden Schwestern beobachteten interessiert sein vor Anstregung gerunzeltes Gesicht, als er eine Folge komplizierter Wörter aussprach. Zwei Minuten später schien sich das Dach um ihn herum zu verfärben und ein grünes Licht anzunehmen. Dieses breitete sich aus, bildete zwei Strahlen, die zunächst zu Mitsura verliefen. Die Youkai unterdrückte das instinktive Verlangen, vor dem bedrohlich auf sie zukriechendem Licht zu fliehen und blieb an Ort und Stelle sitzen. Als das Licht sie erreichte, bildete es auch um ihren Standpunkt einen kleinen Kreis und bog dann wieder ab. Nun war es zu dem Hund unterwegs, den diese Zeremonie vollkommen kalt ließ. Nachdem der Strahl auch dort wieder einen Knick gemacht hatte, kehrte er zu Makotoko zurück. Nun war Anis in einem Dreieck aus Licht eingeschlossen.

Doch die fast schon mystische Stimmung wurde von einem "Und was jetzt?" aus Mitsuras Mund unterbrochen.

"Jetzt warten wir", erwiderte Makototo.

Anis seufzte schwer. War sie vorhin noch durch die Erzählungen über die Sandsturmgeier abgelenkt gewesen, so schweiften ihre Gedanken jetzt wieder zu Sesshoumaru. Die Stille, die sich ausgebreitet hatte, empfand sie als äußerst unangenehm und konnte sich nicht dazu durchringen, sie jetzt zu unterbrechen.

Doch als das ferne Licht immer näher kam, stellte sich ein weiteres Problem: Würde sie es schaffen sich nicht zu verraten, wenn sie Sesshoumaru wiedersah? Würde sie hier still sitzen bleiben können?
 

*
 

"Helicopter an Zentrale, ich befinde mich nun direkt über dem Zielobjekt!" Die raue Stimme drang unscharf aus dem Sprechgerät. Der diensthabende Offizier griff es sich und hielt es wie ein Telefon an sein Ohr.

"Zentrale hört. Wie ist die Lage?", fragte der Polizist. Dabei räumte er sich so gut es ging einen freien Platz auf seinem, von Papieren übersähten Schreibtisch leer, um sich Notizen zu machen.

In den letzten Minuten war in Tokyos Polizeizentrale die reinste Hölle los. Alle stellten sich die selben Fragen: Wer war dieser außer Kontrolle geratene Verrückte? Wie war es möglich, dass er in so kurzer Zeit so viele Menschen tötete? Warum hatte man ihn nicht aufgehalten?

Woher sollten die einfachen Polizisten das denn wissen? Es war so gut wie unmöglich, die aufgeregte Meute vor dem Revier zu beruhigen, die alle Verwandte in dem betroffenen Viertel hatten. Einige behaupteten, dieser Irre sei ein Dämon, weil seine Augen so rot leuchteten und er hätte angeblich übermenschliche Kräfte. So ein Quatsch! Es war einfach nur eine saumäßig zugerichtete Seele, die aus dem Irrenhaus entkommen war.

"Es... es ist ein Bild des Grauens! Die Häuser sind allesamt beschädigt, die Fenster eingeschlagen. Doch die Zielperson geht in keines der Gebäude herein, scheint nur die Menschen heraus jagen zu wollen. Hinter einer Hausecke sitzen ein paar Kollegen, sie schießen auf ihn", berichtete der Polizist im Helicopter.

"Sie schießen? Haben sie etwa schon den Befehl dazu erhalten?", erkundigte sich der Beamte stirnrunzelnd.

"Das weiß ich nicht. Jedenfalls scheinen sie ihn nicht treffen zu können. Aber der Kerl hat schon vier weitere Menschen getötet, wir müssen Maßnahmen ergreifen!", kam die Antwort.

Vier Menschen... Mit den anderen waren das jetzt schon elf Todesopfer. Die Lage geriet tatsächlich außer Kontrolle.

"Wieso können sie ihn nicht treffen?!", forderte der Beamte zu wissen.

"Ich kann es mir nicht erklären. Entweder weicht er den Kugeln aus, was bei der Geschwindigkeit, mit der er sich bewegt, vielleicht sogar möglich wäre, oder sie prallen an dieser merkwürdigen Leuchtwaffe ab... Sie ist wie ein langes Seil, eine Peitsche. Keine Ahnung wo er die her hat."

Nun, von einer Laserwaffe gab es schon mehrere Berichte.

"Versuch ihn aus der Luft zu treffen, aber komm ihm nicht zu nahe!", befahl er seinem Kollegen.

"Befehl wird ausgeführt. Helicopter over", schallte es aus dem Gerät.

"Zentrale over." Hoffentlich ging das gut.

Einige Minuten geschah rein gar nichts. Der Polizist wartete ungeduldig auf eine Rückmeldung, wartete darauf, dass er dieser verrückten Meute vor den Türen endlich sagen könnte, dass sie den Täter unschädlich gemacht hätten.

Aber nichts geschah. Schließlich wählte er nochmals den Helicopter an.

"Zentrale an Helicopter, ich wiederhole: Zentrale an Helicopter, bitte kommen!"

Der Antworteknopf auf der anderen Seite wurde betätigt und ein lautes Rauschen und Knistern kam heraus.

"Scheiße! Verdammtes Drecksding!............" Wieder dieses Rauschen, ein lautes Knacken war zu hören. Dann er tönte wieder die Stimme seines Kollegen, gehetzt und geradezu verängstigt: "Keine Ahnung wie er das macht, aber dieses Komische Lichtteil hat mir eine ganze Kufe vom Helicopter abgerissen! Ich werde nicht mehr landen können! Meine Kugeln prallen einfach ab! Dieses Monster, ich - AAAAAAAAAHHHHHHHHH!!!" Ein durchdringender Schrei hallte dem Beamten ins Ohr, sodass er das Sprechgerät etwas weg halten musste. Mit vor Schreck geweiteten Augen brüllte er in die Sprechmuschel: "Zentrale an Helicopter, Zentrale an Helicopter, wo zum Teufel bist du, was ist passiert!?"

Doch es kam keine Antwort.

Nur ein Rauschen und Knacken und Knarzen und dann war die Leitung tot.
 

*
 

Das Heulen der Sirenen kam näher und dann plötzlich war ein ungeheurer Krach zu hören; wie, als wenn etwas sehr großes und sehr schweres auf dem Boden aufschlüge. Anis zog scharf die Luft ein, sprang auf und wollte zum Rand des Daches hetzen, um zu sehen was dort vor sich ging, doch ihre Geschwister hielten sie auf, indem sie laut und zornig ihren Namen riefen. Bestürzt blieb sie stehen und schaute zu ihnen zurück. Fast hätte sie vergessen, dass die beiden ihren Standpunkt ja nicht verlassen durften, wenn der Bannkreis halten sollte. Sie dürfte ihn nicht verlassen. Aber die Neugier war so groß... Was hatte diesen plötzlichen Lärm verursacht? Mitsura beantwortete ihre unausgesprochene Frage:

"Sesshoumaru muss einen Hubschrauber vom Himmel geholt haben. Eben war noch dieses typische Knattern zu hören, aber jetzt ist es weg."

"Da hat dann Tokyo wohl einen Piloten weniger!", lachte Makotoko ausgelassen, woraufhin er zwei wütende Blicke kassierte.

"Glaubt ihr... Glaubt ihr, Sesshoumaru ist etwas passiert?", fragte Anis zaghaft.

"Nein, das denke ich nicht", meinte Mitsura beruhigend, während auf Seiten ihres Bruders nur ein bösartiges "Hoffentlich!" zu hören war.

Anis ging wieder in die Mitte des Dreiecks, setzte sich jedoch nicht wieder hin, sondern marschierte wie ein Tiger im Käfig von einer Seite zur anderen und zuckte beim kleinsten Geräusch zusammen.
 

*
 

Auf der Straße hatte sich die Lautstärke extrem hoch gedreht, die Schreie der Menschen waren überall zu hören. Die Zahl der Todesfälle war auf fünfzehn gestiegen und Sesshoumaru steigerte sich immer weiter in seine Raserei. Seine Energiepeitsche zerschlug Fenster und sein Dokkasso ätzte Löcher in die Mauern der Häuser. Einige Menschen drückten sich flach gegen die Wand, wenn sie ihn sahen, dies waren die Überlebenden. Wenn jedoch Einer laut aufschrie und das Weite suchen wollte, so missachtete er dabei leider den ausdrücklichen Befehl, dass Sesshoumaru 'Ruhe' haben wollte.
 

Und dann war es so weit.

Ganz plötzlich, ohne Vorwarnung, war er da.

Sesshoumaru.

Anis konnte erneut nicht an sich halten und stürzte zum Rand des Bannkreises um ihn zu sehen, was Makotoko mit einem unwilligen Knurren kommentierte. Doch Anis war es egal. Sie sah nur noch die Person dort unten, nichts weiter.

Er sah schrecklich aus. Selbst auf diese Entfernung konnte Anis die rotglühenden Augen erkennen, hinter denen keine Seele, sondern nur noch ein Monster steckte, das zum Töten geboren worden war. Seine sonst so weiße Kleidung war mit Blut besudelt, doch es war nicht sein eigenes. Seine leuchtend helle Lichtpeitsche, die aus den Spitzen seiner Krallen entsprang, tauchte ihn in ein tödliches, aber zugleich unheimlich schönes Licht. Sesshoumaru sah und hörte nichts um sich herum. Er tötete, ohne hinzusehen. Gerade zerfetzte er wieder mit seiner Giftklaue den Körper eines Unschuldigen. Er sah vielleicht nur ein weiteres Leben, das er für sein Ziel opfert, Anis aber sah, dass es noch ein Kind war! Nein... gewesen war. Nun war es nur noch eine kopflose Leiche.

"Anis..," flüsterte Mitsura hinter ihr, "sieh dir das nicht an..."

Anis wandte ihren Blick zu ihrer Schwester, die Tränen brannten in ihren Augen.

"Das ist nicht Sesshoumaru! Egal was passieren würde, er würde nie...!" Sie fand nicht die richtigen Worte dafür. Das Kind hatte Rin ähnlich gesehen... Sesshoumaru würde nie ein Kind töten, so völlig grundlos! So etwas würde er nie tun... Das war nicht der Sesshoumaru, den sie kannte!

"Mein Gott, den hat's aber schwer erwischt. Ich glaube, wir haben jetzt doch ein Problem", meinte Makotoko, der aufgestanden war, um ebenfalls einen Blick hinunter auf die Straße zu werfen, ohne dabei jedoch seinen Platz zu verlassenen.

"Was meinst du damit?", fragte Mitsura sofort alarmiert.

"Na seht ihn euch doch mal an! Die Bullen hatten wider Erwarten Recht, er ist tatsächlich nicht bei Sinnen. Deine Messer haben ihn nicht getötet, Mitsura, nein, es ist schlimmer. Sein Youki muss die Kontrolle über ihn gewonnen haben. Er ist nichts weiter mehr als eine seelenlose Hülle... Für ihn ist das sicher schlimmer als der Tod. Und unsere Chancen sehen jetzt auch schlechter aus, weil er wirklich keine Rücksicht nehmen wird und wahrscheinlich vollkommen schmerzunempfindlich ist... bis zum Tod. Das wird ein harter Kampf... Es wundert mich nur, wie er dann hier her finden könnte. Das Schwierigste wird wohl sein, die ganze Sache zu vertuschen, wenn er erst richtig loslegt, liegt ganz Tokyo in Scherben", erklärte Makotoko.

"Nein... nicht...", wisperte Anis, in den Augen das pure Entsetzen.

"Anis?", fragte Mitsura, Böses ahnend.

"Sesshoumaru...! Er.. darf nicht..." Sie tat torkelnd einen Schritt zurück, schaute sich mit fliehendem Blick um und wirbelte dann herum.

"Anis?! Was tust du da?! Nein! Bist du denn verrückt!?". schrie Mitsura auf, doch es war schon zu spät.

Anis hechtete aus dem Bannkreis heraus, übertrat die grüne Linie und hetzte zum Rand des Daches. Ohne zu Zögern sprang sie das fünfstöckige Haus hinunter, die Hand griffbereit an der Feuerleiter und erst zwei Meter über dem Boden packte sie zu. Mit einem Ruck wurde ihr Sturz abgebremst und Anis landete unsanft auf den Füßen. Hinter sich hörte sie die aufgeregten Schreie ihrer Geschwister, doch das war ihr egal. So schnell sie konnte richtete sie sich auf und fand sich in einer kleinen Gasse wieder. Sie rannte los, noch nie war sie so schnell gerannt, jedenfalls nicht in ihrer Zeit als Mensch. In wenigen Sekunden hatte sie das Ende der Gasse erreicht. In ihrem Kopf hallte nur noch der eine Name wider, und der Wunsch zu der Person dem er gehörte zu kommen, leitete ihre Schritte fast von allein. Und dann sah sie ihn. An der anderen Straßenseite stand er, seinen Arm erhoben, um gerade erneut mit seiner Energiepeitsche einige Menschen zu zerteilen, die Augen rotglühend. Und da brach es aus ihr heraus, ein verzweifelter Schrei, wie der eines Tieres und nur das eine Wort konnte man daraus heraushören:

"SESSHOUMARU!"

Und die rotglühenden Augen wandten sich ihr zu.
 

Sesshoumaru war es, als durchzuckte ihn ein Blitz. All seine Gedanken schienen mit einem Mal still zu stehen und dann hörte er etwas. Nicht die fremde Stimme seines Youkis... sondern eine richtige. Fast schon hatte er vergessen, wie es war etwas zu hören. Doch was hatte diese Stimme gesagt? Es war ein Name gewesen... Sein Name! Diese Stimme, da rief ihn jemand! Verdammt, er hätte beinahe seinen eigenen Namen vergessen...!

Doch wer konnte das sein?

"Wer ist das?! Wer ruft mich da?!", rief er aufgewühlt, eine ihm unerklärliche Aufregung machte sich in ihm breit.

Und auf einmal verspürte er Angst. Doch es war nicht seine eigene Angst... Konnte es etwa sein, das dieses Wesen Gefühle entwickelt hatte?

Es ist... nein!

Plötzlich spürte er eine heftige Erschütterung, die Welt schien in ihren Angeln zu schwanken und Sesshoumaru wurde herausgerissen, woraus wusste er selber nicht. Er wusste nur, dass er auf einmal frei zu schweben schien, nur für eine winzige Sekunde, bis - bis er das Gleichgewicht wieder fand.

"Sesshoumaru, du musst damit aufhören! Ich tu alles was du willst, aber bitte, finde wieder zu dir zurück! Hör auf, so unnütz zu töten! Ich verspreche, das ich mit dir gehen werde, ich werde jedem deiner Befehle Folge leisten. Lass mich bei dir bleiben, bis in alle Ewigkeit!"

Diese flehende Stimme... Das war nicht sein Youki?

Nein, das war... Anis!

Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag in die Magengegend, sodass er ihre Worte gar nicht so genau wahrnahm. Und was noch viel unglaublicher war - Er hatte wieder eine Magengegend! Er... Er hatte seinen Körper zurück! Er konnte sehen, riechen und -

Und dann traf ihn die Situation wie ein weitere Schlag. Das war es, was ihn kurzzeitig aus dem Gleichgewicht gebracht hatte, Anis hatte sich ihm in die Arme geworfen!
 

Anis hielt Sesshoumaru fest umklammert, nicht willens, ihn je wieder los zu lassen. Sie hörte sein Herz schnell gegen seine Brust schlagen, spürte, wie sich die Dornen seiner Rüstung schmerzhaft gegen sie pressten, doch es war egal. Alles war egal. In diesem Augenblick wusste sie ganz genau, dass es wahr war. Sie liebte ihn. Sie liebte Sesshoumaru, sie liebte ihn aus tiefster Seele. Es tat so unendlich gut, sich das endlich eingestehen zu können. Warum nur hatte sie so lange gebraucht? Nie wieder wollte sie von ihm getrennt sein.

Dennoch rechnete sie jeden Moment damit, dass Sesshoumaru sie zurückstoßen, sie vielleicht sogar töten würde. Sie hätte es ihm vielleicht nicht einmal übel genommen, er war nicht ganz er selbst, und trotzdem...

Doch plötzliche spürte sie, wie sich zwei Arme um sie legten. Aber anstatt sie von sich weg zu reißen, drückten sie sie sanft an sich und Anis, erst überrascht, dann erleichtert, wagte es, einen Blick in Sesshoumarus Gesicht zu werfen. Seine Augen blickten voller Liebe auf sie herab, Liebe, Erleichterung und auch ein wenig Verwirrung. Nichts von der roten Glut war mehr zu sehen.

"Du wirst immer bei mir bleiben, bis in alle Ewigkeit... Ich werde dich immer beschützen. Du hast mich zurück geholt aus einem Wahn, aus dem ich ohne deine Hilfe nicht entkommen konnte... Ich danke dir, dass du zu mir zurückgekommen bist." Seine Hand wanderte in ihren Nacken und zog sie noch näher zu sich heran. Sie spürte deutlich seine heißen Atem, als er das Gesicht in ihren Haaren vergrub und sie genoss diesen Moment in vollen Zügen. Sesshoumaru war wieder normal, er war wieder der Alte! Und sie lang in seinen Armen... Augenblicklich schoss ihr die Röte ins Gesicht. Was hatte sie nur dazu gebracht solch eine peinliche Aktion zu starten?! Aber egal, Sesshoumaru hatte ihre Umarmung erwidert und das war alles, was zählte. Sie liebte ihn aus tiefsten Herzen und das hier war genau die Position, die sie sich schon immer gewünscht hatten. Sie fühlte sich hier einfach nur wohl und hätte am liebsten die Zeit angehalten.

Doch leider war dieser Moment nur von kurzer Dauer, denn da waren noch ein paar Personen, die die beiden vollkommen vergessen hatten...
 

„ANIS!“, schrien Makotoko und Mitsura wie aus einem Mund, doch diese war schon zu weit entfernt, um sie zu hören. In dem Moment wo sich die drei erhoben, flackerte das grüne Licht um sie herum und der Bannkreis brach. Aber das war nicht mehr wichtig. denn diejenige, die sie hatten beschützen wollen, befand sich nicht mehr darin.

Entsetzt beobachtete Makotoko, wie seine Schwester sich in die Arme des Youkais warf. Was hatte dieser nur mit ihr angestellt, das sie freiwillig zu ihm ging?! Na gut, sie hatte es wohl nur getan, um Tokyo zu schützen, weil Sesshoumaru es sonst zerstört hätte, aber trotzdem! Die Hunderte von Menschen die dabei starben, konnten den Dämonen doch egal sein! Woher kam diese plötzliche Aufopferungsbereitschaft?! Hatte sie das aus dem Mittelalter? Die Angewohnheit, ihr eigenes Wohl über das unbedeutender Nebenpersonen zu stellen?

Woher auch immer, das ziemte sich einer Youkai nicht! Diese Insekten waren nicht würdig, von Anis gerettet zu werden. Es konnte nicht sein, dass er seine Schwester schon wieder an diesen Bastard verlor!

“Dieses Schwein…“, Makotoko ballte die Hand zur Faust, „Den mach ich fertig!“ Ein tiefes, bedrohliches Knurren erklang.

„Makotoko, lasst das! Unsere Schwester-„ wollte Mitsura ansetzen, doch der Angesprochene unterbrach sie:

„Nein, Mitsura. Du kannst sagen was du willst, diesmal hör ich dir nicht zu! Ich werd dem Dreckskerl alle Glieder einzeln ausreißen!“ Seine Augen nahmen einen bedrohlichen Rotton an. Seine Fingernägel fuhren sich mit einem Mal aus und sein Youki – sonst immer so sorgfältig unterdrückt, das es niemand hätte spüren können – flammte mit einem Mal auf. Das Fell seines Hundes neben ihm stellte sich auf und auch er begann zu knurren.

Zehn Meter weiter unten hob Sesshoumaru den Kopf.

„Makotoko, hört auf! Er sieht uns! Wollt ihr ausgerechnet jetzt –„ Doch weiter kam sie nicht.

Mitsura wurde in einem Wirbel aus Haaren zurückgeworfen, Makotokos Hund war an ihr vorbei gesaust und sprang nun direkt von dem fünfstöckigem Haus herunter. Makotoko selbst wollte sofort hinterher, doch Mitsura hatte sich von dem Schreck erholt und hielt ihn zurück.

„Lass ihn das machen! Bitte, bleib hier! Du weißt was passiert, wenn du dich jetzt verwandelst!“ Das Rot wich aus den Augen des Dämons, als er den flehenden Blick seiner Schwester sah. „Du würdest uns alle umbringen!“ Seine Züge wurden hart, während seine Krallen sich wieder einzogen.

„Ich werde nicht hier warten! Wir werden ihn besiegen, auch wenn ich in dieser Gestalt kämpfen muss!“
 

Unterdessen begann Sesshoumaru die Lage zu begreifen. Er beobachtete mit vor Überraschung geweiteten Augen, was da auf ihn zu kam. Sein scharfer Blick hatten die beiden Gestalten und den Hund oben auf dem Dach entdeckt, als so plötzlich dort eine unheimlich mächtige Aura aufgeflammt war, die seiner eigenen fast gleichkam. Die Person, der sie gehörte, wäre sicher auch ihm gefährlich. Doch nicht einer der beiden menschlichen Gestalten war da vom Dach herunter gesprungen, sondern der Hund. Nur, das es anscheinend kein Hund mehr war…

Noch während des Sprunges wuchs seine Gestalt zu einer ungeheuer monströsen Größe an, die Augen verfärbten sich blutrot und die typisch abgewetzten Krallen eines normalen Haushundes wurden zu gigantischen Mordinstrumenten, jede so lang wie ein Schwert.

Da Makotoko seine Aura nun wieder verbarg, die des Hundes, der sich nun selbst als Dämon herausgestellt hatte, nun bei der Verwandlung jedoch wiederum offenbart wurde, dachte Sesshoumaru natürlich, dass die Aura, die er eben gefühlt hatte, diesem kleinen Youkai gehörte. Doch warum war er dann so mächtig?

Allgemein gab es drei Gestaltformen für jeden Youkai. Die dämonische, eben eines riesigen Untiers, wie es jetzt auf Sesshoumaru zu kam, auch ‚die wahre Gestalt’ genannt, die menschliche, in denn die meisten herum liefen, da sie praktischer war und die tierische, in der man wie ein gewöhnlicher Hund aussah. Die dämonische Gestalt hatte jeder Youkai von Geburt an, einige waren größer, andere kleiner. Niedere Dämonen konnte diese Form nie ablegen. Mächtigere waren in der Lage, ihre Körpergröße zu dezimieren und tierische Gestalt anzunehmen, was jedoch kaum jemand tat, da es häufig zu Missverständnissen führte, wenn derjenige seine Aura unterdrückte. Auch war man so natürlich nicht in der Lage, wirklich zu kämpfen.

Die mächtigsten Dämonen konnten zusätzlich auch noch menschliche Gestalt annehmen. Von der zweiten Sorte, dem so genannten ‚Mittelrang’ gab es allerdings nur sehr wenige…

Sollte dies dort so ein Exemplar sein? Wenn ja, besaß er dafür jedoch zu viel Youki… Wenn dieser Dämon auch in der Lage war, in die menschliche Form zu wechseln, so würde er es doch sicher tun… Kaum ein Youkai rannte als stinknormaler Hund durch sie Gegend, es galt als unziemlich und wurde in manchen Fällen auch verachtet. Deswegen wandte kein Dämon wie Sesshoumaru diese Fähigkeit an und auch diejenigen, die keine menschliche Gestalt annehmen konnten, liefen deswegen lieber in ihrer Dämonischen rum. Warum also war dieser hier anders? Hatte es etwas mit dieser sonderbaren Welt zu tun?

„Sesshoumaru… was…?“, ertönte Anis’ zarte Stimme. Sie zitterte plötzlich. Spürte auch sie die Aura? War dieser Dämon ein Feind von ihr? In diesem Fall würde er ihn um jeden Fall beseitigen!

Doch er kam nicht dazu, seine Geliebte zu beruhigen, denn in diesem Moment wurde die Erde von einem gewaltigem Aufprall erschüttert, als die vier titanischen Pfoten zugleich auf der Erde landeten.

Der Boden schwankte mit einem Mal bedächtig und Sesshoumaru ließ Anis los. Das wilde Knurren des Hundes ließ allen Anwesenden eine Gänsehaut über den Rücken laufen.

"Geh, Anis. Hier ist es zu gefährlich. Bring dich in Sicherheit!", befahl der Daiyoukai ihr, doch Anis wollte ihm offenbar nicht gehorchen. Mit schreckensbleichem Gesicht, die Augen nicht von dem Riesenhund nehmend, klammerte sie sich an seinen Ärmel und wisperte: "Nein, Sesshoumaru, du darfst nicht-" Doch Sesshoumaru hatte andere Sorgen als ihr zuzuhören. Obwohl es ihm in der Seele weh tat, packte er Anis am Arm, sodass sie ihn loslassen musste und schob sie von sich.

Dann begann auch er sich zu verwandeln.
 

XxX
 

So, im nächsten Kap gibt's also den großen kampf. Es war dochh klar, das es dazu kommen würde, nicht wahr?

Und bevor sich jetzt einige Fragen warum Anis das nciht verhindert: Die Hat grad andere probleme, die in den nächsten beiden Kapiteln dann auch näher erläutert werden...

Passend zu diesem kapitel "Eingeständnis" heißt das nächste dann "Ein Geständnis". Da kommt dann endlich etwas, was eurer Meinung sicher schon viel früher hätte kommen sollen... XD

Ein Geständnis

Tut mir Leid, die Wartezeiten werden immer länger, ich weiß. Bitte habt Verständnis dafür.
 

Der Titel lässt schon viel vermuten. Nur: WER gesteht WAS?
 

Was zuvor geschah:
 

Der Boden schwankte mit einem mal bedächtig und Sesshoumaru ließ Anis los. Das wilde Knurren des Hundes ließ allen Anwesenden eine Gänsehaut über den Rücken laufen.

"Geh, Anis. Hier ist es zu gefährlich. Bring dich in Sicherheit!" befahl der Daiyoukai ihr, doch Anis wollte ihm offenbar nicht gehorchen. Mit schreckensbleichem Gesicht, die Augen nicht von dem Riesenhund nehmend klammerte sie sich an seinen Ärmel und wisperte: "Nein, Sesshoumaru, du darfst nicht-" Doch Sesshoumaru hatte andere Sorgen als ihr zuzuhören. Obwohl es ihm in der Seele weh tat packte er Anis am Arm so dass sie ihn loslassen musste und schob sie von sich.

Dann begann auch er sich zu verwandeln.
 


 

Ein Geständnis
 

Sesshoumaru begann sich zu verwandeln. Er hätte es lieber nicht getan, denn es bestand die Gefahr, dass sein Youki erneut die Kontrolle über ihn gewann, doch die gesamte Haltung dieses fremden Hundes war herausfordernd und einer solchen Herausforderung musste man in seiner wahren Gestalt gegenübertreten.

Wieder färbten sich seine Augen rot, sein Youki stieg an und Sesshoumaru verschwand kurz in einem rötlichen Wirbelsturm. Sobald sich dieser verzogen hatte, standen sich zwei gigantische Hunde gegenüber, der eine rotbraun mit verschiedenen Sprenkeln im Fell und hochgestellten Ohren, der andere schneeweiß und mit einem buschigen Fell um den Brustkorb herum. Beide reichten mit den Schulten weit über die normalen Einfamilienhäuser hinaus, deren Bewohner inzwischen über alle Berge waren. Ihre Augen leuchteten rot und ihre Zähne waren gefletscht.
 

Oben auf dem Dach hatte Mitsura es mit Mühe und Not geschafft, ihren Bruder dazu zu überreden, die Sache vorerst vom Dach aus zu beobachten. Dennoch wurde er immer angespannter. Die beiden Untiere auf der Straße hatten angefangen, sich langsam zu umkreisen, doch der Weiße entfernte sich nie genug von seiner Schwester.

"Dieser Mistkerl macht Hundewache...", knurrte Makotoko zornig.

"Was habt ihr erwartet, er ist ein Inuyoukai!", antwortete Mitsura, glaubte aber zu wissen, dass Sesshoumaru Anis nur beschützen wollte. Woher sollte er auch wissen, dass Makotoko kein Feind war? Seine offensichtliche Angriffshaltung war auch nicht gerade fördernd.

"Makotoko, meinst du nicht wir sollten ihn zurückru-"

"Er greift an!", rief der Angesprochene, ihre Worte ignorierend. Tatsächlich, der Rotbraune machte einen gewaltigen Satz in Sesshoumarus Richtung. Der jedoch konnte gerade noch mit einem Sprung seitwärts ausweichen, doch sein Feind verfehlte ihn nur knapp und das nutze Sesshoumaru aus. Seine messerscharfen Zähne wollten sich in die Kehle des Anderen versenken und tatsächlich erwischte er ihn. Der Rotbraune, durch den Schwung des anfänglichen Angriffs stoppte mitten in der Bewegung und heulte schmerzerfüllt auf. Nicht beachtend das Sesshoumaru ihn noch festhielt, riss er sich los und das Blut aus seiner Halsschlagader spritzte in alle Richtungen. Die Wände der Hochhäuser färbten sich rot und wären dort noch Menschen drin gewesen, wären sie nun vermutlich vor Angst gestorben.

Doch auch Sesshoumaru hatte etwas Blut abbekommen, es war ihm in die Augen gespritzt und so war er für einen kurzen Moment blind. Sein Angreifer erholte sich schneller als der Weiße und sprang erneut auf ihn zu. Der blanke Hass glitzerte in seinen Augen, seine mörderischen Krallen rammten sich tief in Sesshoumarus Fleisch und sein Gebiss verankerte sich in dem Rücken des anderen. Nun war es Sesshoumaru, der ein lautes Brüllen von sich gab und er handelte instinktiv. Mit einem weiteren Heulen bäumte er sich auf, sodass der Rotbraune von ihm fort und gegen das nächste Hochhaus geschleudert wurde. Das Gebäude machte ein grässlich knirschendes Geräusch, schwankte kurz und fiel dann in sich zusammen.
 

Anis hatte den Kampf bisher einfach nur geschockt beobachtet, nicht glauben wollend, dass sich die Personen, die sie am meisten liebte, nun gegenseitig töten wollten, ohne das es einen triftigen Grund dafür gab! Schaudernd hatte sie die Augen geschlossen, als die Massen des Blutes sich nun aus Sesshoumarus Rücken ergossen, sein reines Fell blutig färbten und ihn mehr denn je wie ein Ungeheuer erscheinen ließen. Nur die Tatsache, dass die Wunden eines Dämons, wenn er sich in seiner wahren Gestalt befand, schneller regenerieren konnte, hielt sie davon ab, eine Dummheit zu tun. Mit Worten konnte sie hier nichts mehr erreichen, die beiden würden ihr nicht zuhören.

Der rotbraune, riesige Hund wurde davon geschleudert, Anis Schrei verhallte in dem Lärm, den sein Aufprall erzeugte. Hunderte kleiner und größerer Trümmerstücke lösten sich ab, als das Gebäude einstürzte. Anis sah sich panisch um, sie stand genau in der Gefahrenzone und einige dieser Steine waren groß genug, um sie zu töten.

Ächzend erhob sich der blutige Koloss, sein rotbrauner Körper wuchtete sich auf, seine Pfoten taten einen letzten Sprung und der Dämon baute sich über Anis auf, um sie vor den Trümmerstücken abzuschirmen. Mehrmals wurde er dabei getroffen, aus seinem verletzten Hals troff noch immer das Blut, doch er ignorierte es und ertrug die Schmerzen, um die junge Frau unter sich zu schützen.

Sesshoumaru selbst konnte alles nur aus der Ferne beobachten, nicht fähig anzugreifen und seine Feind ein für alle mal zu erledigen, obgleich sich hier eine so große Chance bot. Aber sein Gegner war zu nah bei Anis, er wollte nicht das Risiko eingehen, sie eventuell auch zu verletzten.
 

"Jetzt reicht's mir!", fauchte Makotoko, bei dem gerade alle Sicherungen durch platzten.

"Makotoko, warte!", rief Mitsura, doch der junge Mann war bereits zur Feuerleiter gehechtet. In wenigen Sekunden war er unten und hechtete zu Anis und dem Hund.
 

Anis hockte am Boden und stützte sich mit den Armen ab. Obwohl der riesige Hund sie schützte, hatte er nicht alle Steine abhalten können, einige hatten die junge Frau getroffen. Der aufgewirbelte Staub brannte in ihren Augen, doch das war noch nicht alles. Sobald sie den Kopf hob, wurde ihr ganz fürchterlich schlecht, ihr Magen fühlte sich an, als würde er zusammen gepresst werden und sie musste mit aller Kraft den Brechreiz unterdrücken. Ihre Beine schmerzten noch immer von dem Sprung hinunter, genau wie ihr Arm, mit dem sie sich abgefangen hatte. Ein Brennen breitete sich in ihren Gliedern aus.

Doch dann plötzlich spürte sie eine starke Hand, die sie am Arm packte. Erschreckt blickte sie auf und entdeckte Makotoko, der sie besorgt musterte.

"Anis, du musst hier weg! Er wird das nicht mehr lange durchhalten...!", flüsterte er leise und ruckte dabei mit dem Kopf zu dem Hund über ihnen, der inzwischen wieder Sesshoumaru anknurrte.

"Ich... ja... aber...!" Anis brachte kaum ein vernünftiges Wort heraus, ihre Kehle brannte wie Feuer, der Staub kratzte darin.

"Komm, ich bring dich hier weg..." Makotoko sah sich gehetzt um, dann zog er Anis zu sich heran und lud sie auf seine Arme. Er warf noch einen Blick zu dem riesigen Hund über sich zurück, dann sprang er in die Höhe und machte sich mit weiten Sätzen davon. Der Federflug trug ihn mit großer Geschwindigkeit fort, mit den Füßen berührte er immer nur kurz die Spitzen der Dächer. Die Augen der beiden Riesenhunde folgten ihm, der Weiße brüllte wütend auf als er erkannte, was der fremde Youkai da getan hatte und hetzte ihm hinterher. Mit gewaltigen Sprüngen wollte er sich an die Verfolgung machen, doch er rechnete nicht mehr mit seinem eigentlichen Gegner. Das rotbraune Ungetüm war keineswegs außer Gefecht gesetzt, er stieß sich heftig mit den Hinterpfoten ab und wollte Sesshoumaru anspringen. Im letzten Moment wirbelte dieser herum und die beiden Monster verkeilten sich ineinander. Sesshoumaru gelang es, seinen Feind in den Nacken zu beißen, doch während er ihn danach wieder von sich schleudern wollte, schrammten die Krallen des Rotbraunen an seinem linken Vorderbein entlang. Wieder floss das Blut, die Straßen verfärbten sich noch dunkler und die rote Flüssigkeit floss teilweise schon in die Abflüsse.
 

"Makotoko, wartet!", rief Mitsura ihrem Bruder nach. Auch sie folgte ihm in Federflug, bald hatte sie sie eingeholt, da ihr Bruder tatsächlich kurz stehen blieb, um auf sie zu warten. Er stand nun recht unsicher auf einem spitz zulaufendem Dach mit braunen Ziegeln und einem weiten Hof davor. Makotoko ließ Anis vorsichtig zu Boden gleiten. Diese konnte sich kaum mehr auf den Beinen halten, fand aber letztendlich doch das Gleichgewicht wieder. Mitsura landete leichtfüßig neben ihm.

"Anis, was hast du dir nur dabei gedacht?!", fuhr sie ihre Schwester sogleich an, doch es kam keine Antwort.

"Ihr beide bleibt hier, verstanden? Ich werd' mich um die beiden kümmern", sagte Makotoko, der seine Schimpfparade offenbar auf ein anderes Mal verschieben wollte. Kaum hatte er das gesagt, stieß er sich auch schon erneut vom Boden ab und rauschte davon.

"Makotoko...!", presste Anis hervor, doch er war bereits verschwunden. "Verdammt...!", flüsterte sie gepresst, den Kopf bereits wieder zu Boden gesenkt.

"Anis, ich weiß ja das du Sesshoumaru vermisst hast, aber wie konntest du in dieser Lage...!", wollte Mitsura sie anschimpfen.

"Du verstehst das nicht! Er war so anders... Sesshoumaru war nicht er selbst, als er hier her gekommen ist. Makotoko hat es doch auch gesagt, er wurde von irgendetwas kontrolliert! Mir ist jetzt klar geworden, dass ich ihn wirklich liebe. Ich konnte doch nicht mit ansehen wie er... Ich musste einfach zu ihm. Und es hat sogar geholfen! Sein Blick ist plötzlich wieder klar geworden und er hat mir geantwortet, ich - Oh mein Gott...!" Sie brach ab und ein Ausdruck schierer Fassungslosigkeit trat plötzlich auf ihr Gesicht.

"Anis? Anis,was ist mit dir?", fragte Mitsura auf einmal besorgt. Ihre Schwester hatte irgendetwas, da war sie sich sicher. Die Schwarzhaarige fasste sich an die Brust, ihr Herz schlug so schnell, als ob es gleich zerspringen wollte.

"Mitsura... Das ändert alles. Du musst Makotoko aufhalten, sofort!", flehte sie.

"Ach nee, als ob wir das nicht schon die ganze Zeit-"

"Das meine ich doch nicht! Er MUSS uns zuhören, dir zuhören, mir ist gerade etwas aufgefallen, wir können ihn überzeugen!" Ihre Stimme versagte. Von ihrer neuen Erkenntnis war ihr noch immer schwindelig.
 

Makotoko trat die nächste Tür ein und stürmte durch den Raum. Alle Fenster hier waren zerschmettert, da machte es auch nichts, wenn die Tür kaputt war. Die Besitzer würden ohnehin nicht in dieses zerstörte Haus zurückkehren können. Sorgfältig überprüfte der Youkai noch einmal, ob er seine Energie auch wirklich gut unterdrückt hatte. Sesshoumaru sollte ihn nicht bemerken, bevor er es nicht so wollte. Endlich hatte er die Rückseite des Hochhauses erreicht. Er sprang über die zertrümmerten Möbel hinweg, nur noch ein Ziel vor Augen.

Er musste zu ihm, Sesshoumaru hatte ihn sicher schwer verletzt. Alles seine Schuld...! Schlitternd kam er zum Stillstand, duckte sich nieder und kauerte sich unter das Fenster. Unten auf der Straßen waren die Kampfgeräusche der Ungeheuer zu hören. Vorsichtig schob Makotoko seinen Kopf über den Rahmen, um hinaus zu spähen, zog ihn aber eiligst zurück, als er sah, dass der weiße Hund in die Richtung des Hochhauses blickte. Gegen dieses Gebäude hatte er seinen rotbraunen Gegner geschleudert, und in diesem Gebäude versteckte sich nun Makotoko und wartete auf den richtigen Augenblick.

Da! Die beiden Giganten lösten sich voneinander, schöpften jeder neuen Atem und standen sich regungslos gegenüber. Makotoko legte die Hände an den Mund und stieß einen schrillen Pfiff aus, der Ruf eines peruanischen Rotfleckenspechts. Kein hier einheimischer Vogel, aber es würde niemandem auffallen. Niemandem, außer IHM.

Wie erwartet warf der rotbraune Riesenhund auf einmal seinen Kopf zurück, stieß ein gefährliches Knurren aus und war eine Sekunde später von bräunlichen Nebelschwaden aus purem Youki umgeben. Daraus bildete sich ein regelrechter Wirbelsturm, der Sesshoumarus Sicht zu dem Hochhaus verdeckte und in diesem Moment sprang Makotoko auf, schwang sich aus dem Fenster und direkt in die Wolke hinein.
 

Sesshoumaru wich vorsichtig einen Schritt zurück, als sein Gegner sich mit Youki einhüllte. Entweder plante dieser einen letzten Großangriff, oder... Oder er hatte aufgegeben...

Endlich verzogen sich die sichtbehindernden Wolken. Der riesige, rotbraune Hund war verschwunden. An seiner Stelle stand nun wieder der, auf normale Größe geschrumpfte Haushund und neben ihm ein - Mensch? Nein, er würde nicht noch einmal den Fehler machen, voreilige Schlüsse zu ziehen, nur weil er den Geruch des Fremden nicht auf Anhieb analysieren konnte. Der kleine Hundedämon machte sich nun schleunigst aus dem Staub und suchte hinter einigen herunter gefallenden Trümmern Deckung, während der junge Mann nun langsam und offensichtlich furchtlos auf ihn zu kam. Sesshoumaru beobachtete seine Haltung und kam zu dem Schluss, dass dieser zwar auch auf einen Kampf aus war, jedoch nicht in seiner wahren Gestalt. Also wollte auch er sich zurückverwandeln. Sorgsam saugte er alles Youki der Umgebung in sich hinein und unterdrückte, versiegelte es in sich. Langsam begann seine Gestalt zu schrumpfen. Seine roten Augen bekamen ihre goldene Farbe wieder und das Fell zog sich in seine Haut zurück. Es ging schwerer als normalerweise, das fiel Sesshoumaru sofort auf. Vielleicht war die Wirkung der kurzzeitigen Übernahme seines Youkis doch noch nicht ganz abgeklungen. Aber es funktionierte, das war die Hauptsache.

Kaum hatte er sich in seine menschliche Gestalt zurückverwandelt, da spürte er die Wunden des Kampfes wieder mit voller Härte. Die langen Schrammen an seinem linken Arm bluteten stark und die Wunden auf seinem Rücken waren auch nicht gerade leicht zu ertragen. Doch noch war er nicht am Ende... Dieser Kerl, er hatte doch vorhin Anis weg gebracht. Aber wohin nur?! Er würde es erfahren, würde es aus ihm heraus quetschen wenn nötig. Mit einer raschen Bewegung zückte er sein Schwert. Sein Nachteil war die Erschöpfung, in einem Kampf mit einem frischen Gegner würde er sich nicht auf seine Ausdauer verlassenen können. Er würde dem hier schnell ein Ende bereiten müssen!

Für einen kurzen Moment fragte Sesshoumaru sich, wie dieser Dämon überhaupt mit ihm kämpfen wollte, da er keine Waffe bei sich trug. Doch dieses Problem löste sich rasch.

Makotoko streckt eine Hand weit von sich, murmelte einige Worte in einer längst vergessenen Sprache und wenige Sekunden später hielt er ein breites Schwert in der Hand, dessen Griff kunstvoll verziert war.

"Wie...?", brachte Sesshoumaru erstaunt hervor. Woher zum Teufel hatte er auf einmal dieses Schwert?! Es war unmöglich, einen solchen Gegenstand einfach so aus dem Stand heraus zu beschwören!

"Tja mein Guter, du bist hier im einundzwanzigsten Jahrhundert, die Magie hat in den letzten fünf Jahrhunderten große Fortschritte gemacht!", lachte der Fremde ihm ins Gesicht.

In Sesshoumaru stieg ein kalter Zorn auf. Wie konnte dieser Wicht es wagen...!

In seiner Wut dauerte es eine Weile, bis die Worte wirklich zu ihm vordrangen. Im einundzwanzigsten Jahrhundert? Dämonen hatten schon sehr viel früher als Menschen angefangen, die Zeit zu zählen. Im Moment hatten sie das Jahr 56892. Allerdings bezweifelte er, so weit in der Vergangenheit gelandet zu sein. Welches Jahr hatten die Menschen bei ihm denn gerade? 1503? 1504? War er denn also ganze fünfhundert Jahre in die Zukunft gereist?!

Nun, das würde diese massive Veränderung in der Landschaft vielleicht erklären. Im Brunnen musste tatsächlich ein magisches Portal versteckt gewesen sein...

"Was denn, so überrascht?", spottete sein Gegenüber.

"So ein Unsinn. Dir wird das Lachen gleich vergehen, wenn ich dich erst mit Tokjin aufgespießt habe!", knurrte Sesshoumaru und richtete sein Schwert auf ihn.

Das schien ihn jedoch überhaupt nicht zu beeindrucken. Im Gegenteil, auf einmal brach ein lautes Lachen aus im heraus, das fast wie ein Bellen klang. Er hielt sich die Hand vor den Bauch und schüttelte sich vor Lachen. Sesshoumaru, der sich verdutzt fragte, was denn um alles in der Welt so komisch sei, vergaß vollkommen, dass er eben noch angreifen wollte.

Makotoko richtete sich wieder auf und wischte sich eine letzte Lachträne aus den Augen.

"Also wirklich! Sag bloß du hast deinem Schwert einen NAMEN gegeben! Ich meine, bei Anis konnte ich es noch verstehen, sie ist schließlich ein Mädchen, aber du...! Mein Gott, das kommt echt total schwul rüber!", kicherte er.

"Schweig! So etwas muss ich mir nicht anhören!", sagte Sesshoumaru - der nun verstanden hatte, worum es ging - erzürnt, zielte mit seiner Waffe auf das Gesicht seines Gegenübers und stürmte los.

Die Klingen prallten aufeinander, die Luft flimmerte unter dem aufwallenden Youki und das eisige Kratzen von Metall auf Metall tat in den Ohren weh.

Die beiden Kontrahenten stoben auseinander, nur um erneut wieder aufeinander loszugehen. Es folgte ein rascher Schlagabtausch und Sesshoumaru musste zugeben, dass sein Gegner nicht übel war, gar nicht übel.

"Tja mein Freundchen, auch Schwerttechniken hat man im Laufe der Zeit erfunden. Abgesehen davon, dass ein Weltreisender wie ich noch ganz andere Tricks auf Lager hat...", murmelte Makotoko verschwörerisch, als sie sich wieder Schwert an Schwert gegenüber standen.

"Halt dein dreckiges Maul und sag mir lieber, was du von Anis willst!", knurrte Sesshoumaru.

"Was ich von ihr will? Wie meinst du das? Ich will sie nur vor einem Ungetüm wie dir beschützen!", antwortete Makotoko keck.

Sesshoumarus Blick wurde noch kälter. "Also bist du tatsächlich ihr Gefährte?!"

Makotoko war für einen Moment ehrlich überrascht. Eilig stieß er den Dämon zurück, um ein wenig Abstand zu bekommen. Das war es also? Sesshoumaru glaubte, dass er und Anis zusammen seien? Scheinbar gefiel ihm das nicht... Mitsura hatte ja schon gesagt, dass er sich in seine Schwester verguckt hatte. Sollte das etwa der Grund sein, warum dieser hier mit ihm kämpfte? Nun, die Tatsache könnte man ausnutzen. Wenn er ihn anstachelte, würde er sicher unaufmerksamer werden. Andererseits könnte er auch aufgeben, wenn er diese Frage bejahte und dann wäre sein schöner Kampf dahin. Also beschloss er letztendlich, die falsche Vermutung seines Gegenübers nur halb zu bestätigen.

"Anis ist nicht meine Gefährtin. Noch nicht. Aber jetzt wo du's sagst... vielleicht sollte ich sie mal fragen. Unsere Liebe ist zwar noch recht frisch, aber..." Das reichte schon. Wieder stürmte Sesshoumaru auf ihn zu, versuchte ihm das Schwert in die Brust zu rammen. Elegant wich Makotoko aus. Wie leicht dieser Köter doch zu reizen war! Jetzt konnte der Kampf richtig losgehen.
 

Makotoko griff an. Mit zwei schnellen Schritten war er bei dem Daiyoukai und versuchte einen Querschlag von rechts, welcher sofort abgeblockt wurde. Beide griffen nun gleichzeitig an und beide Schläge gingen ins Leere, als die Krieger auswichen.

Der Youkai drehte sich und schlug mit seinem Bein zu, jedoch schaffte es Sesshoumaru, sich mit seinem Arm hochzukatapultieren und noch im Fallen trat er in Richtung des Kopfes von Makotoko. Dieser blockte mit seinem rechten Unterarm ab. Sesshoumaru bemerkte gerade noch rechtzeitig, dass nun in der rechten Hand nicht mehr das Schwert war und konnte den Schwung von der linken Hand mit dem Schwert mit seinem eigenen abfangen. Makotokos Schwert einhakend und zu Boden drückend, drehte er sich und versuchte mit seiner Ferse das Genick des Dämons zu treffen, was für diesen sicher tödlich geendet hätte. Doch Makotoko konnte gerade noch ausweichen und griff kurz darauf erneut an. Es wurden mehrere Schläge mit den Schwertern ausgetauscht, als Anis' Bruder plötzlich mit seiner geöffneten flachen linken Hand, das Schwert hatte er wieder in die Rechte gewechselt, direkt auf die Brust von Sesshoumaru zielte. Eher aus Instinkt, als aus dem Erkennen echter Gefahr wich er nach hinten aus. Das war knapp. Die Wunden hatten seine Bewegungen verschlechtert... Mit jahrelanger Übung beruhigte er sich rasch wieder.

Wieder griff Makotoko mit der flachen Hand an und dieses mal war Sesshoumaru nicht schnell genug. Die Hand traf ihn am linken Oberarm, welcher durch die Krallen des Riesenhundes ohnehin schon anfällig war. Schmerz durchzuckte Sesshoumaru, doch normalerweise hätten ihn die Jahre der trainierten Selbstbeherrschung diesen Schmerz ignorieren lassen. Aber das hier war anders, das spürte er sofort. Ein fürchterliches Brennen breitete sich in seinem Arm aus und als er - nur für einen Sekundenbruchteil - dorthin sah, musste er sich kräftig am Riemen reißen, um nicht laut aufzuschreien. Der Arm verfaulte vor seinen Augen, das Fleisch wurde schwarz und begann sich aufzulösen. Die Haut schmolz fast vollkommen herunter.

"Na, hast du die besondere Fähigkeit meines Schwertes zu spüren gekriegt? In jedem Kampf reicht mir schon ein einziger Treffer, um meine Gegner zu erledigen. Aber Glückwunsch, so lange wie du hat noch keiner ausgehalten", sagte Makotko hämisch.

Sesshoumaru trat langsam zurück, er ließ Tokjin fallen, um mit der rechten Hand seinen Arm zu umklammern. Der Schmerz war einfach unerträglich. Es fühlte sich an, als würde er bei lebendigem Leibe verbrennen und das Feuer ergriff nun auch seine anderen Glieder.

"Du hast Glück, dass ich so gnädig bin, Hundi! Ich werde dich erlösen...", flüsterte der Youkai vor ihm, doch Sesshoumarus Kampfwille war noch lange nicht erloschen.

Das feindliche Schwert fuhr auf ihn herab, doch der Daiyoukai ließ seinen Arm los und da Tokjin nicht mehr in der Nähe war, zog er nun Tensaiga, um die Waffe abzublocken. Mit einem Sprung nach hinten löste er sich aus der gefährlichen Zone und kam von seinem Gegner weg. Dennoch war ihm klar, dass jetzt schon ein Wunder geschehen müsste, wenn er jetzt keine lebensgefährlichen Verletzungen mehr davon trug.

Und genau dieses Wunder kam in Form von Mitsura gerade über die Dächer gesprungen.

"Makotoko, hör auf damit!", schallte ihr Ruf durch die Luft.

Der Angesprochene sah verwirrt auf, war für einen Moment abgelenkt und achtete nicht auf seinen Gegner. Sesshoumaru steckte Tensaiga zurück und hechtete zu Tokijin. Der andere Dämon bemerkte, wie der Daiyoukai seine Waffe zurückholte und zögerte einen Moment. Wenn Mitsura ihn JETZT störte, musste es wirklich außerordentlich wichtig sein.

"Entschuldige mich kurz...", sagte Makotoko mit einem mehr als spöttischem Lächeln, verbeugte sich dreist (nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass er auch wirklich außer Reichweite war), wandte sich um und landete mit einem graziösen Sprung neben seiner Schwester auf dem Dach eines anderen Hochhauses. Von hier aus hatte er einen guten Blick über das Chaos, das sie hier angestellt hatten. Das würde sicher noch Ärger mit der dämonischen Regierung geben...

"Mitsura, meine Liebste... WARUM ZUM TEUFEL STÖRST DU MICH!?", fauchte er Mitsura an.

"Du darfst Sesshoumaru nicht töten!", antwortete sie nicht im Mindesten eingeschüchtert.

"Ach, und warum nicht?"

"Weil Anis ihn liebt!", erwiderte sie zornig.

"Na und? Das wird sich mit der Zeit legen...", meinte Makotoko achselzuckend. Gut, sie wäre vielleicht ein paar Jahre deprimiert und wütend, aber das wäre auch schon alles... Schließlich war es nur zu ihrem besten.

"Aber... Die Lage hat sich verschärft..! Anis hat nämlich..." Und dann begann Mitsura ihm ins Ohr zu flüstern - obwohl keiner da war, der sie hätte belauschen können - warum es so wichtig war, dass Sesshoumaru am Leben blieb.

"Das... Das ist nicht wahr!", sagte Makotoko geschockt.

"Doch, ist es... Es war wohl mehr oder weniger ein Zufall, aber... Ihr müsst ihn ziehen lassen,versteht ihr?" Mitsura sah ihn flehend an.

"Ich... Aber... Hach, also gut. Dabei hatte ich ihn schon fast..." Bedauernd sah der Youkai zu Sesshoumaru hinunter. Ja, beinahe hätte er ihn getötet... Jetzt war er froh, es nicht getan zu haben.

"Ich kläre das. Geh du schon zu deinem vierbeinigen Freund, er braucht dich jetzt sicher", sagte Mitsura lächelnd.

"Danke...", murmelte er als Antwort. Ja, irgendwo da draußen war ja auch noch der rotbraune Hund, der sich im Kampf mit Sesshoumaru mindestens genauso gut geschlagen hatte wie er selbst. Er würde sich um ihn kümmern müssen...
 

Leichtfüßig landete Mitsura vor dem verletzten Inuyoukai, der seinen Arm wieder umklammert hielt. An einigen Stellen waren jetzt sogar schon die Knochen zu sehen, Rauch stieg von der Wunde auf.

"Du schon wieder...! Seid ihr alle zu feige es auf einmal mit mir aufzunehmen!? Müsst ihr euch deswegen immer ablösen?", fauchte er der Youkai entgegen.

"Nein... Ich bin nicht hier, um zu kämpfen. Was passiert ist, tut mir aufrichtig Leid. Makotoko und auch ich selbst waren etwas zu...übereifrig", antwortete sie leise, nur zu gut wissend, dass sie hier mit ihrem Leben spielte. Aber sie musste sich mit ihm gut stellen, das war sie ihrer Schwester schuldig!

"Das nützt mir jetzt auch nicht mehr viel...!", presste Sesshoumaru hervor, der Schmerz trieb ihm winzige Schweißperlen auf die Stirn.

"Bitte, lass mich deine Wunde sehen! Ich kann dir helfen...", sagte Mitsura zaghaft und trat einen Schritt auf ihn zu.

"Weg von mir!", fauchte der Youkai wütend. Mit dieser Person verband er nur noch Gefahr und erneute Schmerzen.

Mitsura blieb wie angewurzelt stehen. Dann senkte sie langsam den Kopf.

"Du solltest zu Anis gehen. Ihr geht es nicht gut... Sie ist in der Nähe des Brunnens", meinte sie dann.

Sesshoumaru erstarrte. Wie war das gerade? Warum sagte sie ihm das? Sie war doch seine Gegenspielerin, seine Feindin! Warum...?

"Wieso sagst du mir das?! Was ist... mit dem Kerl von vorhin? Warum willst du ihn verraten?!", fragte Sesshoumaru fassungslos.

"Verraten?! Unsinn, das war alles ein riesiges Missverständnis! Außerdem hat er noch was zu erledigen... Du solltest dich besser beeilen. Sonst wirst du meine Schwester bald nicht wieder erkennen...", murmelte sie.

Das genügte. Zwar nicht um Sesshoumarus Zweifel hinfort zu wischen, aber zumindest dafür, dass er sich schleunigst auf den Weg zu Anis machte. 'Ihr geht es nicht gut...' Was sollte das heißen? Was war mit ihr?!

Blitzartig wandte Sesshoumaru sich um, eine Wolke des Youki bildete sich unter seinen Füßen und er machte sich fliegend auf den Weg zu Anis. Wie gut, dass sein zweites, zerstörerisches Selbst eine unübersehbare Spur der Verwüstung hinterlassen hatte, sonst hätte er den Weg vielleicht gar nicht gefunden...
 

Anis war es mit Mühe und Not gelungen, vom Dach herunter zu klettern und erst jetzt fiel ihr auf, dass sie sich auf Kagomes Hof befand. Hatte Mitsura sie extra hier her gebracht, in die unmittelbare Nähe des Brunnens? Doch das war jetzt erst einmal nicht wichtig. Anis blickte sich hektisch um, entdeckte dann einige Büsche nicht weit entfernt und lief dort hin.

Sie wusste nicht, ob sie sich heute früh den Magen verdorben hatte oder sonst was, jedenfalls musste sie sich erbrechen. Doch Anis hatte in den letzten Tagen überhaupt nichts gegessen und dennoch wunderte sie sich etwas, als sie merkte, dass nur Blut aus ihrem Mund kam. War sie denn jetzt krank oder was?

Die junge Frau wischte sich den Mund ab und wandte sich wieder um. Da sie keine Ahnung hatte, was sie machen sollte, ging sie einfach zu dem Schrein hinüber. Zitternd ließ sie sich davor nieder. Noch immer tat ihr alles weh und sie verspürte schon wieder Brechreiz. Woher kam das nur?! Warum musste sie Blut spucken? Das war bei Ihresgleichen mehr als ungewöhnlich, zumal sie ja keine Wunde hatte.

Moment mal.

War es vielleicht einfach so, dass ihr Blut ihren Körper verlassen musste? Sie konnte sich keinen Grund vorstellen, warum das so sein sollte, aber in diesem Fall wäre es besser, sich selbst eine Wunde zuzufügen. Vielleicht reagierte ihr Körper auf irgendein Gift im Blut... Obwohl sie sich nicht erinnern konnte, wann sie denn vergiftet worden war.

Anis sah sich nach einem spitzen Gegenstand um. Doch das einzige, was ihr ins Auge viel, war der Gartenzaun, dessen Metallspitzen wohl ihren Zweck erfüllen würden. Anis stand auf und ging dort hin. Noch einmal atmete sie tief ein, hob dann ihren Arm schrammte ihn an der Spitze entlang.

Sofort quoll das Blut aus der Wunde, wie ein Springbrunnen der eingeschaltet wurde. Anis stellte erleichtert fest, dass der Brechreiz verschwunden war.

Eine große rote Lache breitete sich zu ihren Füßen aus. Die Massen an Blut, die durch die kleine Verletzung kamen, waren viel zu groß, der Wundverschluss blieb aus und Anis fühlte sich wie ein Bluter. Doch schon bald schien ihrem Körper diese Öffnung nicht mehr zu genügen und erneut spürte Anis, wie etwas in ihr hoch kam. Sie biss die Zähne zusammen und schrammte nun auch mit ihrem anderen Arm an der Metallspitze entlang, bis die Haut an der Unterseite fast gar nicht mehr da war. Bemüht nicht dorthin zu sehen entfernte sich Anis wieder von dem Zaun, das viele Blut, das aus ihrem Arm floss, bildete schon kleine Pfützen. Es tat höllisch weh, aber das machte im Moment nichts.

"Anis..."

Die junge Frau wirbelte herum. Diese Stimme...

"Sesshoumaru...!", brachte sie erstickt hervor.

Ja, er war es. Sie konnte ihm ansehen, dass er erschöpft war, aber er lebte. Doch... Er war nicht unverletzt...

"Sesshoumaru, was ist mit deinem Arm?!", fragte Anis geschockt, als sie die Verletzung erblickte.

"Es ist nichts... Nur ein Kratzer", murmelte er abwesend. Seine Augen waren fest auf sie gerichtet, doch Anis bemerkte es nicht.

"Von wegen nur ein Kratzer! Das war Makotoko, nicht wahr? Zeig mal her..." Sie erkannte die Brandspuren sofort, die Spuren ihres Bruders. Sesshoumaru wollte ihr den Arm wieder entreißen, doch Anis hielt ihn bestimmt fest. Wenn der nicht sofort behandelt wurde, würde der Arm abfallen und das würde sie bestimmt nicht zulassen, zumal sie praktischerweise gerade das Gegenmittel dabei hatte.

"Anis! Du bist ja auch verletzt! Was ist passiert?", fragte Sesshoumaru erschrocken, denn noch immer floss das Blut in Strömen aus ihrer Wunde.

"Das ist jetzt egal, es wird schon heilen", meinte Anis rasch, fing mit der hohlen Hand etwas von ihrem Blut ab und ließ es dann langsam über Sesshoumarus Wunde abfließen. Der Youkai zitterte leicht unter ihrer Hand, aber weniger vor Schmerz, sondern eher wegen der Berührung an sich. Die Haut ihrer sanften Finger war eine Wohltat für ihn. Sesshoumaru sah mit großen Augen dabei zu, wie sich vor seiner Nase wieder neues Fleisch auf seinen Knochen bildete, die Haut sich in Sekundenschnelle wieder verschloss und einen Moment später war sein Arm wieder völlig gesund.

"Was... Was hast du da getan?", fragte er perplex.

"Mein Blut hilft gegen Makotokos Attacken. Sein eigenes oder Mitsuras wären auch gegangen...", antwortete sie nur.

Sesshoumaru antwortete nicht. Er erinnerte sich wieder an Mitsuras Angebot, sie sagte, sie könne ihm mit der Wunde helfen... Aber warum nur das Blut der beiden? Als er diese Frage laut aussprach antwortete Anis:

"Das kommt halt aufgrund der Verwandtschaft..."

"Aber... dieser Makotoko..."

"Ist mein Bruder, ja. Was hast du denn gedacht?" Sesshoumaru starrte sie an. Ihr Bruder? Aber er hatte doch gesagt...

"Hat er dir etwa erzählt, dass wir zusammen wären? Das tut er immer, es ist seine Art, alle meine Verehrer zu verscheuchen, die ihm nicht gefallen... Sein Beschützerinstinkt ist sehr ausgeprägt. Aber wir haben nichts miteinander!", bekräftigte sie noch einmal.

Sesshoumaru atmete unwillkürlich auf. Seine dumme Eifersucht war völlig unbegründet gewesen!

Anis die jetzt, wo Sesshoumaru bei ihr war, sehr viel bessere Laune hatte, meinte:

"Und was machen wir jetzt?"

"Wir?"

"Ja sicher, wir. Du bist doch gekommen, um mich zurück zu holen?", meinte sie stirnrunzelnd.

Sesshoumaru hatte plötzlich ein sehr mulmiges Gefühl. Hatte er nicht eigentlich beschlossen, Anis hier bei ihrer Familie zu lassen?
 

"Sota, hilfst du mir bitte beim Wäsche aufhängen?", schallte plötzlich ein Ruf aus dem Haus hinter ihnen. Anis erstarrte.

"Verdammt, sie dürfen uns nicht sehen!" Anis packte Sesshoumaru am Ärmel und zog ihn kurzerhand in das einzig vorhandene Versteck: den Schrein. Normalerweise hätte sie für diese Aktion einen Mordversuch erwartet, doch seit kurzem war etwas Übermütiges in ihr erwacht, ein Gefühl, das ihr sagte, dass sie sich das jetzt erlauben konnte.

"Anis, was-"

"Das ist Frau Higurashi, dein Bild war in allen Fernsehern, wenn sie dich hier sieht, kommen die Bullen!", flüsterte Anis, doch der Youkai verstand kein Wort. Die junge Frau legte ein Ohr an die Schreintür und lauschte. Sota und seine Mutter schienen die Wäsche ausgerechnet vor dem Schrein aufhängen zu wollen. Zum Glück waren die Blutspuren, die Anis hinterlassen hatte, dahinter.

"Sesshoumaru?", fragte sie in die Stille hinein, weil es so ruhig war. Zaghaft tastete sie sich in der Dunkelheit voran, doch plötzlich stieß sie mit dem Knie gegen etwas Hartes, stolperte, fiel vorüber und -
 

Sesshoumaru hörte Anis Aufschrei und war sofort an der Stelle, wo sie eben noch gestanden hatte. Undeutlich konnte er hier die Konturen des Brunnens ausmachen und fluchte einmal. Dann schwang auch er sich über den Rand des Brunnens.
 

Anis zog sich erschöpft über den Brunnenrand. Hier, in der anderen Zeit hatte es angefangen zu regnen und das Himmelswasser floss in Strömen. Schon bald war Anis durchnässt, doch das war ihr egal. Diese Klettertour hatte all ihre restliche Energie beansprucht. Kraftlos sank sie an dem morschen Holz zu Boden, doch als sie die Magie des Portals erneut spürte, sprang sie rasch auf, um Sesshoumaru gegenüber zu stehen.
 

Sesshoumaru schwebte langsam aus dem Brunnen heraus, seine Miene war unbewegt. Der Regen peitschte ihm ins Gesicht und ließ ihn in einem schönen, doch zugleich tödlichen Licht erscheinen. Seine Füße berührten sanft den Boden, als er landete. Die goldenen Augen blickten auf Anis herab, die bei seinem Anblick aufgesprungen war. Ihre schwarzen Haare waren durchnässt und klebten an ihrem Körper. Ihre grünen Augen blitzten ihn an. Aus irgendeinem Grund sprang Sesshoumaru in diesem Moment ganz besonders ihre merkwürdige Kleidung ins Auge. Die Kleidung eines Menschen. Eine Youkai, die Menschenkleidung trug! Sie war tatsächlich ungewöhnlich. Nein, rief er sich zur Ordnung, nicht ungewöhnlich. In dieser seltsamen Welt hatten doch alle solche Kleidung getragen. Schlagartig wurde ihm bewusst, wie unterschiedlich sie doch waren. Anis kam aus einer vollkommen anderen Zeit...

"Sesshoumaru? Stimmt etwas nicht?", fragte sie zaghaft. Das Geräusch des Wassers dämpfte ihre Stimme.

Ihre Worte holten ihn in die Wirklichkeit zurück. Aus reiner Gewohnheit wurde sein Blick abweisend.

"Das hat dich nicht zu interessieren", antwortete er gleichgültig. Zu gleichgültig. Er konnte ihren beleidigten Blick fühlen.

"Es interessiert mich aber!", sagte Anis laut, Verzweiflung klang darin mit.

Sesshoumaru verspürte einen kleinen Stich. Es interessierte sie? Warum? Wenn sie ihn jetzt verabscheut hätte, das hätte er noch gut verstanden. Eben noch hatte er, wenn auch ungewollt, ihre Heimat zerstört und ihre Familie angegriffen. Sie selbst war durch ihn verletzt worden. Dennoch hatte sie seine Wunde versorgt, hatte immer noch Nerven, ihn so unschuldig anzulächeln, als wenn nichts gewesen wäre und sagte jetzt, es interessiere sie, ob etwas nicht mit ihm in Ordnung war? In diesem Moment wusste Sesshoumaru ganz genau, warum er sie liebte. Und er wusste gleichzeitig, dass er sie im Grunde gar nicht verdient hatte. Sie sollte jetzt bei ihrer Familie sein und ihr Leben leben. Das hatte er sich doch gewünscht. Das sie glücklich war. Warum standen sie jetzt also wieder hier, auf der falschen Seite des Brunnens? Wieso konnte nie etwas wie geplant verlaufen?

"Sesshoumaru? Wie wird es jetzt weitergehen?", durchbrach die Schwarzhaarige seine Gedanken.

Sesshoumaru sah sie nicht an. Wie es jetzt weitergehen sollte? Gute Frage! Wie gerne würde er einfach so weiter machen wie bisher, mit ihr durch die Lande ziehen. Doch in der Zeit, als der Youkai seinen Körper beherrscht hatte, hatte er sehr viel Zeit zum Nachdenken gehabt. Natürlich hatte sich dabei hauptsächlich alles um genau diese Frage gedreht. Und er war zu dem Schluss gekommen, dass es eben nicht so weiter gehen konnte. Es war an der Zeit für ihn, sich zu entscheiden. Für, oder gegen seine Liebe.

Sesshoumarus ganzes Wesen stand gegen sie. Seine Vergangenheit, seine Herkunft, seine Bestimmung, seine gesamte Lebenseinstellung. Er war der Lord, der über die westlichen Länder herrschte. Schon bald würde er den Platz als Fürst antreten müssen. Abgesehen davon, dass er sich noch nie etwas aus Frauen gemacht hatte, war Anis sicher nicht das, was man eine feine Dame nannte. Jeder würde ihm sagen, dass sie nicht die Richtige für ihn war.

Natürlich ließ sich Sesshoumaru von niemandem etwas sagen. Dennoch war er nichts weiter als ein Gefangener. Seit dem Tod seines Vaters hatte er versucht, sich selbst vor zu machen, er wäre frei. Das stimmte nicht. Er war an das Herrscherhaus gebunden, an seine Pflichten dort. Es wurde höchste Zeit, dass er seinen rechtmäßigen Posten einnahm. Das wurde ihm jetzt klar. Er würde nie mit Anis zusammen kommen können. Denn das ginge nur über eine Heirat aber - und so stand es seit Urzeiten in sämtlichen Gesetzen geschrieben - er durfte nur eine hohe Adlige oder eine Tochter eines anderen Fürsten heiraten. Bald schon würde er genau dies tun müssen. Er würde nie damit glücklich werden, aber solange Anis ihn nicht liebte, so lange wenigstens sie nicht so sehr an ihm hing, wie er an ihr, gab es noch Hoffnung, dass wenigstens einer von ihnen glücklich werden könnte.

Hinzu kam, dass er als Daiyoukai viele Feinde hatte, die sich nur zu gern an seiner Liebsten vergreifen würden, um ihn zu schwächen. Dieser Gefahr wollte er sie auf keinen Fall aussetzen.

Und was stand für seine Liebe? Nur seine Liebe selbst. Dennoch schien die Sesshoumaru in diesem Moment stark genug, um es mit all diesen guten Gründen aufzunehmen. Er wäre durchaus bereit, das höfische Leben für sie hinter sich zu lassen. Das Einzige, was diese Möglichkeit zunichte machte, war, dass Anis nie seine Gefühle erwidern könnte. Was sich zwischen ihnen aufgebaut hatte, mochte einer Freundschaft gleichkommen, doch diese hatte er wohl so eben zerstört. Das dünne Band, an das er sich wie an einen Strohalm geklammert hatte. Das letzte bisschen Zuneigung, das sie ihm entgegengebracht hatte. Wie könnte er von einer Frau, die den Luxus der Neuzeit genoss verlangen, mit ihm durchzubrennen und im Mittelalter zu leben? Wie könnte er von ihr verlangen, ihn bei sich aufzunehmen, bei einer Familie, die er beinahe vernichtet hätte?Nein, beides verbot ihm schon allein sein Stolz. So etwas könnte er nie von ihr verlangen. Er durfte es nicht.

Anis sollte glücklich werden, sollte wieder in ihre Heimat zurückkehren. Aber wie sollte er ihr das klar machen? Hallo, Anis, ich liebe dich zwar, aber ich kann dich jetzt leider nicht wieder mit nehmen? Nein, das ging nicht. Es würde nur zu unangenehmen Fragen führen. Wenn er sie wirklich loslassen, sie frei geben wollte, dann durfte er ihr nichts von seinen Gefühlen zu ihr erzählen. Sesshoumaru wusste, vor kurzem noch hatte er anders gedacht, doch nun, wo er nicht mehr Auge in Auge dem Tod gegenüberstand, schien das Bedürfnis, sich ihr zu erklären, verschwunden zu sein. Im Gegenteil, er hatte Angst davor. Angst vor Zurückweisung, die er mit Sicherheit bekommen würde.

Er hatte sich gegen Anis entschieden, aus dem einfachen Grund, weil sie nicht mit ihm glücklich werden konnte. Nun musste er die Konsequenzen tragen.

"Es ist mir egal, was du tust. Bisher warst du mein Eigentum und musstest mir folgen. Ab heute ändert sich das", sagte er so kalt wie möglich. Die Regentropfen prallten hart an seiner Rüstung ab und sein Herz schien sich diesem Takt anzupassen, brach in tausend Stücke und fiel auseinander, mit jedem Tropfen ein wenig mehr. Es war eine Qual für ihn, diese Worte auszusprechen.

"Was... Was soll das heißen?", fragte Anis leise. Ihr verletzter Tonfall war Gift für seine Seele.

"Verstehst du es nicht? Um meiner Ehre willen war ich gezwungen, dich zurück zu holen. Aber ich musste feststellen, dass du mir mehr Ärger als Nutzen gebracht hast. Da es jedoch zum großen Teil nicht deine Schuld ist, lasse ich davon ab, dich zu töten." Wie leicht ihm diese Lügen über die Lippen kamen... Jahrelanges Training konnte viel verändern. Sesshoumaru hasste sich dafür.

"Aber... Du... Du bist wirklich nur deswegen zurück gekommen?", fragte sie leise. Dem Youkai lief ein Schauer über den Rücken. Hatte sie etwas bemerkt? Verdammt, das machte es schwerer. Es reichte nicht, sie nur abzuweisen. Er würde härter mit ihr umspringen müssen. Innerlich schrie seine Seele bei den folgenden Worten auf, warum nur musste sie ihn so quälen?

"Glaubst du etwa, ich wäre wegen DIR gekommen? Bild dir nur nichts ein, Anis! Was sollte ich schon an dir finden? Verschwinde zurück in deine verrückte Welt oder sonst wohin, bevor ich mich vergesse!"

Sesshoumaru betete unwillkürlich darum, dass sie ihm nicht glauben würde. Dass sie erkannte, was hinter seiner Maske steckte. Dass sie seine Lügen aufdeckte. Seinen verachtenden Blick als gequälten entlarvte.

Aber sie glaubte ihm.

"Soll das etwa heißen, ich soll einfach so zurückkehren? Nach allem was du angestellt hast, willst du dich jetzt aus dem Staub machen!?", fuhr die junge Frau ihn an.

Ja, es ist richtig so, Anis. Sei wütend auf mich. Verabscheue mich. Hasse mich. Vergesse mich. Nichts anderes wünschte sich Sesshoumaru.

"Genau das sollst du", meinte er kalt, "ich werde mich garantiert nicht mit menschlichen Aufräumarbeiten abgegeben!" Er wandte sich von ihr ab, konnte ihr nicht mehr in die hasserfüllten Augen sehen. Es ist besser so, rief er sich immer wieder in Erinnerung. Es half nicht.

"So, ich soll also vergessen, ja? Wie denn bitte, wenn die halbe Stadt in Trümmern liegt?!" Sesshoumaru war jetzt doch etwas überrascht. Für diese Worte hätte er alles Recht, sie zu töten und das wusste sie auch. War es ihr egal? Egal, ob er sie tötete? War sie so wütend?

"Eben, als ich zu dir gekommen bin... Da hast du gesagt, dass ich bei dir bleiben kann...", murmelte sie leise.

Sesshoumaru rang sich mit aller Kraft ein verächtliches Schnauben ab. "Selbst du müsstest erkannt haben, dass ich zu diesem Zeitpunkt nicht ganz... klar war. Geh mir endlich aus den Augen!" Bitte, mach es mir nicht noch schwerer!, fügte er in Gedanken hinzu.

"Den Teufel werd' ich tun!" Ans starrte ihn aus zornfunkelnden Augen an.

Sesshoumaru drehte sich nun doch halb zu ihr um. Es half alles nichts. Er musste deutlicher werden...
 

Anis war es inzwischen vollkommen egal, ob Sesshoumaru sie für ihre Frechheit tötete oder nicht. Im Grunde war es schon verwunderlich, dass sie überhaupt noch lebte. Sie war so davon überzeugt gewesen, dass er sie liebte. Aber nun überkamen sie Zweifel. Natürlich, was sollte er denn an ihr finden? Sie war doch nichts Besonderes... Dennoch konnte sie das nicht so hin nehmen. Sie hatte ihr Herz an ihn verloren und wenn er jetzt ging, würde sie daran sterben. Sie konnte gar nicht ohne ihn sein. Nicht mehr. Es ging einfach nicht. Da lief es auf das selbe hinaus, wenn er sie jetzt tötete. Es wäre das Gleiche. Ihr Leben war verwirkt. Warum auch nicht? Wenn Sesshoumaru ihre Gefühle nicht erwiderte, diese nicht stark genug waren, damit er es sich eingestand, wenn er nicht bereit war, dieser Liebe eine Zukunft zu geben, dann hatte ihr eigenes, unbedeutendes Leben doch keinen Sinn mehr. ER war ihr Sinn gewesen. Für ihn hatte sie gelebt. Schon immer. Sie waren von Anbeginn der Zeit für einander bestimmt, das spürte sie einfach. Zu oft hatte sie das Schicksal wieder zusammen geführt. Sie hatte einfach nicht die Kraft, sich dagegen zu wehren. Wenn Sesshoumaru sie aufbrachte - gut, aber dann würde er ohne sie gehen müssen.

Trotz all dieser Gedanken war die junge Frau geschockt, als Sesshoumarus Arm vor schnellte, sie mit tödlicher Zielgenauigkeit an der Kehle packte und gegen einen Baum presste. Aus seinen kalten Augen sprach nur Grausamkeit und tiefe Entschlossenheit. Er würde nicht zögern, ihrem Leben ein Ende zu bereiten. Diese wunderschönen, goldenen Augen würden gnadenlos dabei zusehen, wie diese Klauen durch ihr Fleisch fuhren...oder?

"Du solltest dein Temperament zügeln", knurrte der Daiyoukai gefährlich.

"Besser zu viel Temperament als gar keines, du... du gefühlsloser Esel!", fauchte sie. Die Regen wurde stärker, ließ klare Umrisse verschwimmen. Das Wasser war kalt. Nicht zu vergleichen mit diesem eisigen Ausdruck seines Blickes.

"Gefühle sind etwas für Schwächlinge. So etwas Albernes besitze ich nicht", meinte Sesshoumaru nur und er ließ Anis achtlos zu Boden fallen. "Mach was du willst, aber ich werde mich nicht länger mit dir abgeben."

Das war zu viel für Anis. Er durfte jetzt nicht einfach gehen, nicht ohne sie vorher getötet zu haben! Das war er ihr schuldig! Sonst müsste sie es selber tun und dazu verspürte sie nicht besonders viel Lust. Wenn, dann wollte sie durch die Hand ihres Geliebten sterben. Er hatte das einzige Recht, sie zu töten. Sie gehörte ihm. Mit Leib und Seele. Wenn er sie nicht wollte, musste er sie vernichten.
 

"So, du willst also keine Gefühle haben, ja?", flüsterte Anis leise. Sesshoumaru konnte nicht anders, er blieb nochmals stehen. Dieser Ton gefiel ihm nicht. Er klang beinahe drohend. Was wollte sie erreichen? Wollte sie ihn anstacheln?

"Ich sag dir was, du sprühst nur so von Gefühlen! Stärke ist, sich das einzugestehen." Ja, das machte es deutlich. Sie wollte ihn reizen. Sie zielte direkt auf seine Schwachstellen, mit dem festen Ziel, ihm sein Herz herauszureißen - mit der bloßen Kraft ihrer Worte. Jedenfalls kam es ihm so vor.

"Ich habe doch selbst gesehen, wie oft du kurz vor einem Gefühlsausbruch standest! Was war, als Rin gestorben ist? Du kannst mir nicht erzählen, dass du da nicht traurig warst! Und als ich von der Klippe gesprungen bin, da hattest du Angst, nicht wahr? Angst, dass ich sterben könnte. Ich hab es dir angesehen! Hasst du nicht auch die Menschen? Auch Hass, Verachtung und Verabscheung sind Gefühle! Sogar Gleichgültigkeit! Also sag mir nicht, du hättest keine Gefühle!"

Sesshoumaru roch eine winzige Spur von Salz mitten zwischen den Tausenden von Wassertropfen, die sich aus ihren Wolkengefäßen befreiten. Anis schien jetzt wirklich wütend zu sein. Sie war bei ihren Worten immer lauter geworden, schrie jetzt schon fast. Wie Recht sie doch hatte...
 

"Woher willst du schon wissen, wie ich mich fühle!?", fauchte Sesshoumaru und erstmals klang etwas Verletztes in seiner Stimme mit. Anis genoss es. Sie verletzte ihn mit voller Absicht, wollte ihn endlich aufwecken. Aufwecken aus diesem bösartigen Traum, der ihn gefangen zu halten schien und seine Seele vergiftete. Sie verstand seinen plötzlichen Sinneswandel nicht. Sie wollte endlich wissen woran sie war!

"Beweis mir das Gegenteil! Was fühlst du denn, Sesshoumaru?! Sag es mir endlich!", schrie sie laut, schrie ihr ganzes Leid heraus. Hier und jetzt würden sie das klären, hier und jetzt, sie würde direkt angreifen, damit er der Antwort nicht mehr ausweichen konnte. Sie wollte ihn stellen, in die Enge treiben, wollte endlich eine Antwort von ihm.

"Du willst wissen, was ich fühle...?", flüsterte der Dämon, seine Stimme konnte man durch den Regen kaum verstehen.

"Ja, verdammt, das will ich!", kam die umgehende Antwort. Die Tränen vermischten sich mit dem Regen auf ihrem Gesicht.

"Ich kann es dir nicht sagen...", sagte er leise. Seine Stimme war vollkommen ruhig. Wie in Zeitlupe drehte er sich zu ihr um, kam auf sie zu. Anis konnte absolut nichts aus seiner Miene lesen und das machte ihr Angst. Dennoch blieb sie wo sie war, fest entschlossen, jetzt, wo sich alles entscheiden sollte, nicht aufzugeben. Mit dieser Antwort würde sie ihn nicht davon kommen lassen!

Der Youkai blieb direkt vor ihr stehen. Langsam hob er seine Hand, Anis betrachtete misstrauisch die langen Krallen. Wider ihrem Erwarten legte er seine Finger an ihre Wange, strich langsam ihre Haut entlang. Sie glitten an ihrer Nase entlang, über ihre bebenden Lippen und wanderten dann über ihren Hals. Anis war es, als hätte man ihr den Atem abgeschnürt. Die Atmosphäre hatte sich nahtlos verändert, der Regen kam ihr nicht mehr bedrohlich und düster, sondern eher beruhigend und sanft vor. Zärtlich fuhr Sesshoumarus Hand durch ihre Haare, doch seine unbewegte Miene störte das Bild und noch immer glaubte die junge Frau fest daran, dass seine Krallen sie jeden Augenblick durchbohren würden. Ihr ganzer Körper war angespannt, ihr Instinkt drängte sie zur Flucht, doch sie blieb standhaft.

"Ich kann dir nicht sagen, was ich fühle", wiederholte der Youkai mit fester Stimme, "aber ich kann es dir zeigen."

Sie sah in Sesshoumarus Gesicht, doch er blickte genauso unberechenbar wie zuvor, sein heißer Atem auf ihrer kühlen Haut, welche vom Regen durchnässt wurde, ließ ihr Herz höher schlagen. Dann - ohne Vorwarnung - verkrallte Sesshoumaru seine Hand von hinten in ihrem Nacken und zog sie zu sich heran.

Seine Lippen drückten sich gegen ihre eigenen und ihr Herz schlug auf einmal doppelt so schnell. Es dauerte einen Moment, bis sie überhaupt begriff, was hier geschah. Sie versuchte sich vergeblich zu entspannen, doch es wollte ihr nicht gelingen. Sesshoumaru hatte sie fest an sich gedrückt, seine freie Hand wanderte zu ihrer Hüfte. Es hätte kaum mehr ein Blatt zwischen sie gepasst, so dicht standen sie beieinander. Überrascht stellte Anis fest, dass sein Herz fast ebenso schnell pochte wie ihr eigenes.

Da waren die letzten Minuten auf einmal wie fort gewischt. Es musste ihn viel Überwindung gekostet haben, so weit zu gehen, wo er doch offensichtlich das Gegenteil vor hatte. Sie sollte ihn dafür belohnen...
 

Sesshoumaru wollte sich gerade wieder von Anis lösen, als er verblüfft feststellte, dass sie seinen Kuss zu erwidern begann. Ein wohliges Gefühl grenzenloser Zufriedenheit machte sich in ihm breit. Diese zögernden Anspielungen reichten ihm schon vollkommen aus.

Der Kuss gewann an Intensität, wurde wilder und leidenschaftlicher. Sesshoumaru fühlte sich befreit, als hätte er eine ungeheure Macht, die tief in ihm geschlummert hatte, auf einmal erweckt. Eine Kraft, die ihn nun vollkommen einhüllte, sein Handeln übernahm und ihn leitete. Er ließ sich völlig fallen, gab sich für einen Moment diesem wunderbarem Gefühl hin. Seine Zunge strich über Anis' geschlossene Lippen und verlangte nach Einlass, doch der wurde ihm nicht gewährt. Sesshoumaru knurrte leicht, er mochte es nicht, wenn man ihm den Gehorsam verweigerte. Das Alpha-Männchen in ihm verlangte die Oberhand, wollte sich nicht von Anis abservieren lassen. Er biss ihr leicht in die Unterlippe, nicht so, dass es blutete, aber doch fest genug, um die Schwarzhaarige kurz aufkeuchen zu lassen. Diesen kurzen Moment, in dem ihre Lippen geöffnet waren, nutze er dann gnadenlos aus. Seine Zunge drang in ihre Mundhöhle ein, fuhr über ihre Zahnreihen und erforschte das unbekannte Gebiet. Sanft forderte er seine Partnerin zu einem kleinen Spiel heraus, stupste zärtlich ihre Zunge an. Tatsächlich entbrannte in ihr ein kleiner Widerstand, doch Sesshoumaru überlegte es sich auf halber Strecke anders und rang sie nieder, genoss das Gefühl der Überlegenheit, das ihn dazu bemächtigte und verwöhnte und liebkoste sie, steckte all seine Liebe in den Kuss. Schon bald spürte er, wie sie sich ihm vollkommen hingab, wie sie genau wie er alles um sich herum vergaß, den stömenden Regen keine Beachtung mehr schenkte und ihr Herz synchron mit seinem eigenen schlug. Sesshoumaru wusste, dieser Moment würde sich ewig in seinem Gedächtnis einbrennen, er würde diesen glücklichsten Augenblick seines Lebens nie mehr vergessen. Selbst wenn diese das Einzige sein sollten, was ihm letztendlich von Anis bleiben würden - Erinnerungen.
 

Doch auch der schönste Moment muss einmal zu ende gehen, die Körper der beiden verlangten heftig nach Sauerstoff und so lösten sie sich schweren Herzens, um die frische Luft in ihre Lungen zu saugen.

Sanft strich Sesshoumaru ihr übers Gesicht. Alle falsche Kälte war aus seinem Blick verschwunden. An ihre Stelle war etwas anderes getreten, etwas, das Anis fast wünschen ließ, die letzten Sekunden wären nie geschehen. Er sah sie so unendlich traurig an, voller Schmerz und Leid, der nach so vielen Jahren auf einmal heraus brechen konnte. Er sah sie an wie jemand, der den wunderbarsten Punkt seines Lebens überschritten hatte und ganz genau wusste, dass es von jetzt an nur noch schlimmer werden konnte. Ohne das sie es wirklich merkte, schwappte etwas von diesem Gefühl auf sie über.

"Du hast Recht Anis. In mir wimmelt es nur so von Gefühlen. Ich hatte Angst davor, sie dir zu offenbaren. Verzeih, was ich getan habe. Es... Es macht es mir nur noch schlimmer, von dir Abschied zu nehmen."

Der sanfte Regen malte feuchte Spuren auf sein ebenmäßiges Gesicht. Seine Worte drangen nicht wirklich zu Anis durch, sie war zu fasziniert von seinem Anblick, zu benommen von dem Geschehen.

"Warum willst du unbedingt gehen?", flüsterte sie leise. Sie wusste ganz genau, dass sie ihn nicht würde aufhalten können. Sie sah es in seinem Blick. Er hatte sich gegen sie entschieden.

"Ich kann es dir nicht sagen...", antwortete er bedauernd. Feine Wassertropfen fielen von seinen Wimpern. Sein glattes Haar stieß die Regentropfen ab, sie liefen in langen Bahnen daran hinunter.

"Es geht nicht anders, nicht wahr?" Anis wusste, dass sie ihn ziehen lassen musste. Es lag etwas Endgültiges in diesem Moment. Dagegen konnte sie nichts tun. Aber wenigstens wusste sie, dass er sie liebte. Es hätte nun keinen Sinn mehr, ihm zu sagen, dass sie seine Gefühle erwiderte. Er musste einen guten Grund für sein Handeln haben und sie wollten seinen Entschluss, von dem wahrscheinlich sehr viel abhing, nicht dadurch ins Schwanken bringen. Es würde ihm sicher nur schaden.

"Nein... Es tut mir Leid." Er meinte es ernst, das spürte sie. Diese Entschuldigung galt nicht nur für den Kuss, von dem er anscheinend meinte, sie hätte ihn nicht gewollt, auch nicht nur dafür, dass er sie jetzt verließ. Sie galt für alles, was passiert war. Anis bedeutete es sehr viel, dies aus seinem Mund zu hören.

Langsam fuhr die Hand des Youkai durch ihr Haar. Zögernd, immer auf Zurückweisung wartend, beugte er sich noch einmal zu ihr herunter. Diesmal war Anis vorbereitet und erwiderte den Kuss sofort. Er ließ davon ab, ihn weiter zu vertiefen, war einfach nur zärtlich und sanft. Ein Abschiedskuss.

Seine Lippen lösten sich von ihr, kurz darauf auch seine Hand. Anis vermisste die Berührung schon einen Wimpernschlag, nachdem sie vorbei war.

"Meine Gefühle für dich werden immer unverändert bleiben... Dich aber bitte ich, mich zu vergessen", sagte er leise. Anis antwortete nicht, senkte nur den Kopf. Wäre sie dazu überhaupt je in der Lage?

"Versprich es mir!", sagte er, indem er leicht ihr Kinn anhob, um ihr ins Gesicht zu sehen. Oh warum war er nur so grausam? Wie sollte sie denn einer so direkten Anfrage ausweichen?

"Ich verspreche... Dass ich ein neues Leben anfangen werde. Nichts soll mich mehr an dich erinnern", sagte sie leise. Ihr Herz tat bei diesen Worten weh, doch sie ignorierte das Brennen in ihrem Körper.

Sesshoumarus Augen wurden noch trüber, er zwang sich zu einem schmerzlichen Lächeln.

"Viel Glück...", flüsterte er noch, dann wandte er sich ab.

Anis starte auf seinen Rücken vor ihr, den der Regen verschwimmen ließ. Warum nur ließ sie zu, das er so einfach ging? Weil es das Beste für uns beide ist, flüsterte ihr Verstand. Weil du verrückt bist!, flüsterte ihr Herz. Dummes Herz! Blödes, verdammtes Ding! Konnte es nicht einfach ruhig sein? Dieses verfluchte Ding hatte sie doch erst in diese Lage gebracht!
 

Sesshoumaru kostete es alle Selbstbeherrschung, sich nicht doch noch einmal zu ihr um zudrehen. Er war Anis sehr dankbar, dass sie ihm diesen letzten Moment geschenkt hatte. Ob es sie wohl abgestoßen hatte, ihn zu küssen? Lieber nicht daran denken!

"Sesshoumaru!", kam es plötzlich von hinter ihm. Er blieb stehen, drehte sich jedoch nicht um. Er wäre sonst wieder zu ihr zurück gelaufen.

"Vergiss nicht, man sieht sich immer zwei Mal im Leben!", sagte sie deutlich. Nun wandte er sich doch noch leicht zur Seite, sah sie über seine Schulter hinweg an. Ihre Augen blitzten entschlossen. Ein leichtes Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Ja, solche Abschiedsworte sahen ihr ähnlich! Sie hatte so gern das letzte Wort. Das war seine Anis.
 

XxX
 

Schon wieder so ein Missverständnis. Hätte Anis ihm ihre Gefühle auch gesagt, wär' er wahrscheinlich wirklich mit ihr durchgebrannt. Aber sie hat ja keine Ahnung von seinen Gründen.

Was Mitsura wohl ihrem Bruder geflüstert hat, das der sie so einfach entkommen lässt?

Der siebte Fluchtversuch

Tut mir schrecklich Leid, aber in den nächsten Kapitel wird es nicht so richtig zur Sache gehen. Ich hoffe ihr haltet trotzdem durch und lest fleißig weiter!^^

Anis bekommt schon wieder einen neuen Namen, ihre Geschwister überlegen ob sie sich undercover einschleusen und Sess kehrt in sein Schloss zurück. Im nächsten kap kommen dann auch eine ganze Menge neuer Charas dazu, ich mach zu jedem ne Charabeschreibung und würde euch wirklich raten da ab und zu mal reinzuschaun, falls euch was nicht klar ist. Und bemüht euch gar nicht erst, das nächste Zusammentreffen wird noch sehr lange auf sich warten lassen und mit Romantik ist es auch erstmal vorbei. davon hattet ihr genug im letzten kap^^
 

XxX
 

Mitsura drückte sich an die Wand des Schreins. Vorsichtig linste sie an dem Holz vorbei. Die Menschen waren immer noch da... Verdammt, wie lange brauchten die denn, um einen Korb Wäsche aufzuhängen?! Und konnten die das nicht woanders machen?!

Die Youkai wartete noch eine Viertelstunde, dann, endlich, hatten Sota und seine Mutter ihre Arbeit beendet und verschwanden ins Haus zurück. Die Dämonin kam aus ihrem Versteck hervor, vorsichtig schob sie die Schreintür auf und schlüpfte hinein. Sie wartete einen Augenblick, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Jetzt konnte sie die Umrisse des Brunnens ausmachen. Ohne weiter zu zögern sprang sie hoch und sauste in den Schacht hinab. Kurz rauschte sie noch an einem Wirbel aus Farben und Lichtern vorbei, dann landete sie auch schon sanft auf dem Boden.

Sofort schlug der Regen ihr ins Gesicht und sie fluchte leise. Kurz hob sie ihren Blick nach oben, schätzte die Entfernung ab und sprang dann mit einem mächtigen Satz heraus.

Oben stieg ihr sofort der Geruch von Blut in die Nase. Die Lichtung war verlassen, doch Mitsura roch, dass sich hier vor kurzem sowohl Sesshoumaru als auch Anis aufgehalten hatten. War das jetzt gut, oder schlecht? Eigentlich war sie nur hierher gekommen, um zu überprüfen, was denn nun aus Sesshoumaru und ihrer Schwester geworden war. Nur deshalb hatte sie den Daiyoukai verfolgt. Sie hatte sich fest vorgenommen, sich nicht einzumischen. Dennoch, die Lage gefiel ihr nicht. Obwohl der Regen die meisten Spuren fort wischte, war hier überall jede Menge Blut zu riechen, was darauf schließen ließ, dass da wirklich Massen geflossen waren. Zu allem Überfluss war es auch noch ausschließlich das Blut ihrer Schwester. Aber seltsamerweise waren keinerlei Kampfspuren zu sehen.

Langsam setzte sich Mitsura in Bewegung und folgte der Duftspur zu ihrer Quelle. Bald schon entdeckte sie rote Schlieren auf der Erde und beschleunigte ihre Schritte, trotzdem darauf achtend, nicht entdeckt werden zu können. Darauf bedacht kein Geräusch zu machen, schlich sie von Baum zu Baum. Der Blutgeruch wurde immer stärker, Mitsura lehnte sich mit dem Rücken an einen Baum, bereit sofort herum zu fahren und wem oder was auch immer gegenüber zu stehen.

"Mitsura...?", ertönte plötzlich eine leise Stimme, die die Youkai nicht sofort erkannte. Erst nach einigen Augenblicken gelang es ihr, sie als zu ihrer Schwester zugehörig zu analysieren und ihr wurde etwas leichter ums Herz. Sie hatte schon das Schlimmste befürchtet.

Dennoch fragte sie sich, woher zum Teufel Anis wusste, dass sie hier stand. Niemand mit menschlichen Sinnen hätte sie entdecken können und auch einer Youkai wäre das schwer gefallen.

Mitsura trat aus ihrem Versteck heraus. Nachdem sie sich rasch davon überzeugt hatte, dass niemand sonst da war, warf sie erstmals einen Blick auf ihre Schwester und keuchte laut auf.

Sie sah einfach schrecklich aus. Wie ein Häufchen Elend hockte sie am Boden, das Gesicht von ihren Haaren verborgen. Um sie herum hatte sich eine große, schmutzige Lache gebildet, ein Gemisch aus Blut, Regenwasser und schwarzer Farbe, die begonnen hatte, sich aus ihren Haaren heraus zu waschen. Soweit Mitsura es sehen konnte, hatte sie am ganzen Leib irgendwelche Schnittwunden und nach dem Dorn in ihrer Hand zu urteilen, hatte sie sich diese selbst zugefügt.

Mitsura sprang auf, rannte zu ihrer Schwester, kniete sich vor sie und schüttelte sie heftig an den Schultern.

"Anis, was ist mit dir los, was hast du getan?!" Ihre Haut fühlte sich heiß an, als würde ihr Blut, welches in Strömen an ihr herab floss, in ihrem Körper kochen. Mitsura machte sich ernsthafte Sorgen. Wieso nur war sie so schwer verletzt?

"Was ich getan habe? Du fragst mich... was ich getan habe?" Die Youkai wich erschrocken zurück. War das wirklich ihre Schwester? Ihre Stimme klang so kalt, so drohend und unfassbar abweisend.

"Erinnert dich das hier nicht an etwas?", fragte sie leise und deutete an ihrem geschundenem Körper herunter.

Erinnern? An was sollte sie dieses grauenhafte Bild erinnern?

"Weißt du nicht mehr, was ich dir gesagt habe? ... Und jetzt ist er fort." Ihre Stimme zitterte kurz, dann brach sie plötzlich in sich zusammen. Sie hatte offensichtlich das Bewusstsein verloren.

"Anis!", rief Mitsura erschrocken und fing sie gerade noch rechtzeitig auf. Vorsichtig legte sie ihren Körper auf den Boden. Zaghaft strich sie ihr einige Haare aus dem Gesicht und erstarrte. Anis hatte lange Brandspuren mitten im Gesicht, auf den Wangen und auf der Stirn prangte ebenfalls ein dunkles Mal.

Die Erkenntnis brach ganz plötzlich über Mitsura zusammen. Ihre Schwester war dabei, sich in eine volle Youkai zu verwandeln.
 

*
 

"Geht es dir wieder besser? ... Nein, du solltest noch nicht aufstehen. Überanstrenge dich bloß nicht!", flüsterte Makotoko leise. Beruhigend strich er dem Hund über das Fell. Die tiefe Bisswunde an seinem Hals sah schlimm aus.

"Hör mal, kann ich dich für ein paar Minuten allein lassen? Ich werde dir etwas besorgen,was die Blutung stillt. ... Keine Sorge, bis die Bullen hierher kommen, bin ich wieder da", versprach er. Die Polizei hatte sicher erst einmal damit zu tun, die aufgescheuchten Menschen zu beruhigen. Mit den Durchsuchungen würden sie sicher noch warten. So bot sich in diesem zerstörten Hochhaus, das in Trümmern lag, weil sein Hund in seiner wahren Gestalt als Youkai dagegen geworfen worden war, zahlreiche Verstecke. Hier konnte er die Wunden des Dämons - der nun wieder aussah wie ein normaler Haushund - versorgen, ohne dabei gestört zu werden. Sicher wäre es bequemer, das zu Haus zu tun, aber da ihnen seine Eltern nach dieser Sache sicher nicht gut gesinnt waren, musste es eben so gehen. Hier waren sie wenigstens sicher - dachten sie.

Doch plötzlich ertönte ein lauter Knall hinter ihnen, Makotoko fuhr auf und starrte auf die gegenüberliegende Wand des - bis auf ein paar zerstörte Möbel - leeren Raums. Der Lärm rührte von der Tatsache her, dass die Tür und auch ein Teil des Mauerwerks glattweg aus der Fassung heraus gerissen worden waren. In dem so entstandenem Loch stand ein großgewachsener, rothaariger Mann. Sein langer, schwarzer Mantel hob sich dunkel von dem weißen Staub ab, der entstanden war, als die Wand beschädigt wurde. Normalerweise mochten seine Augen grün sein, nun aber leuchteten sie in einem gefährlichem Rot.

Bevor sich einer der beiden rühren konnte, war der Fremde schon bei ihnen, packte jeden ander Kehle und presste sie gegen die nächste Wand. Der Hund, dessen Halsverletzung dabei ungemein schmerzte, winselte gequält auf, wehrte sich jedoch nicht.

"Was zum Teufel habt ihr euch eigentlich dabei gedacht?!", knurrte der Rothaarige laut. Als er merkte, dass seine Opfer nicht antworten konnten, weil er ihnen die Luft abschnürte, ließ er sie zornig zu Boden fallen und trat einen Schritt zurück.

Makotoko rieb sich den Hals, an dem jetzt rote Abdrücke zu sehen waren.

"Makotoko, halb Tokyo liegt in Scherben, Mitsura und Anis sind unauffindbar und die Leute reden von zwei Monsterhunden, die sich gegenseitig an die Kehlen gegangen sind!", fuhr er ihn an.

"Äh... ja... Das hat alles mit diesem Kerl zu tun, der Anis immer verfolgt hat...", sagte der Angesprochene ausweichend. Da der Mann vor ihm schon wieder kurz vor einem Wutausbruch zu sein schien - was in den letzten siebenhundert Jahren so weit er sich erinnern konnte nur zwei mal vorgekommen war - trat er vorsorglich einen Schritt zurück und schob seinen Hund, der sich inzwischen nicht mehr rühren konnte, schützend hinter sich.

"Diesen Sesshoumaru...? Ist er etwa durch den Brunnen hierher gekommen?"

Erleichtert bemerkte Makotoko, dass das glühende Rot in seinen Augen schon etwas blasser wurde.

"Richtig, Vater. Er war es, der die vielen Menschen getötet hat, Wahrscheinlich war er auf der Suche nach Anis...", antwortete er.

"Bevor ihr ihn gestellt habt!", knurrte der Dämon.

"Äh... nicht ganz... Wir wollten uns ursprünglich gar nicht einmischen. Wir haben zusammen mit Mitsura einen Bannkreis errichtet, der Anis verstecken sollte. Aber sie hatte sich wohl aus irgendeinem - mir unerklärlichem - Grund in diesen Dämon verliebt und ist zu ihm gerannt...", erklärte er vorsichtig. Hoffentlich kam Sukerumaru bald wieder runter, sonst würde er noch mehr Schaden anrichten als er selbst und sein Hund es schon getan hatten.

"Und dann habt ihr ihn umgebracht, oder was? Wäre das nicht mit etwas weniger Aufhebnis gegangen?" Das Schicksal schien Makotoko hold zu sein, der Youkai vor ihm beruhigte sich etwas und seine Augen wurden auch wieder normal, so dass er wieder vollkommen menschlich aussah.

"Das wollte ich, ja - Aber der war halt mal nicht so leicht umzulegen. Anis musste ich ja dann auch noch in Sicherheit bringen... Tja und dann kam auch noch Mitsura zurück, die sich eigentlich um sie kümmern sollte, und -" Plötzlich hellte sich seine Miene auf.

"Und Anis hat jetzt wieder ihre ganzen Youkaikräfte!", schloss er, übergangslos das Thema wechselnd.

"Wie bitte?", fragte Sukerumaru und blinzelte. Er glaubte tatsächlich, seinen Sohn nicht ganz richtig verstanden zu haben.

"Du hast mich schon richtig verstanden! Anis ist jetzt eine vollständige Youkai", bestätigte Makotoko noch einmal.

"Was redet ihr für einen Unsinn?! Um ihre Kräfte zurück zu bekommen, muss sie heiraten!", stellte der Rothaarige klar. Eine Heirat - unter Dämonen ein sehr umständliches Ritual - hätte er unter allen Umständen mitbekommen!

"Nein, muss sie nicht. Die Aufgabe lautet, dass sie sich an einen Mann binden muss, also reicht es aus, sich zu verloben und genau das hat sie getan. Wenn auch mehr oder weniger unbeabsichtigt...", antwortete der Youkai grinsend.

Sukerumaru runzelte die Stirn, kam aber doch zu dem Schluss, dass seine Tochter wichtiger war als Tokyos Zerstörung. Seufzend ließ er sich gegenüber seinem Sohn nieder.

"Ich höre...", gab er sich geschlagen. Makotoko grinste noch breiter und begann zu erzählen:

"Also wie gesagt, sie hatte sich in den Typen verknallt. Normalerweise laufen Verlobungen ja ziemlich feierlich ab, aber vor ein paar Tausend Jahren - daran dürfte sich nicht einmal ein mittelalterlicher Dämon erinnern - gab es auch mal ein anderes, magisches Ritual, das einer Verlobung ziemlich nahe kommt. Das basiert praktisch nur auf einem Versprechen, bei dem eine bestimmte Wortwahl eingehalten muss, die bei der heute üblichen Heirat zwischen Dämonen in abgewandelter Form auch wieder vorkommt. Da Youkai eigentlich ungern Versprechen geben, die 'für die Ewigkeit' gelten, ohne es auch wirklich todernst zu meinen, kommt es höchst selten vor, dass es zwei Dämonen - für Menschen gilt das nicht, die haben zu wenig Magie - zufällig machen. Anis jedenfalls hat genau diese magischen Worte benutzt: 'Ich verspreche, dass ich mit dir gehen werde, ich werde jedem deiner Befehle Folge leisten. Lass mich bei dir bleiben, bis in alle Ewigkeit!'

Das hat sie gesagt. Und - Zufall, Schicksal oder eiskalte Berechnung - Sesshoumaru hat genau die richtige Antwort gegeben: 'Du wirst immer bei mir bleiben, bis in alle Ewigkeit. Ich werde dich immer beschützen.'

Bei einer richtigen Verlobung kommt hinten und vorne noch was dran, aber der Kern der Aussage sind diese vier Sätze, die Treue und Schutz versprechen."

"Verstehe... Sie haben sich durch ein magisches Versprechen aneinander gebunden und damit ist ihre Aufgabe erfüllt...", murmelte Sukerumaru nachdenklich, nachdem Makotoko geendet hatte. Eines der seltenen Lächeln stahl sich auf seine Lippen.

"Ist die kleine Anis also endlich erwachsen geworden... Ich denke, da sie diesen Youkai freiwillig gewählt hat, sollten wir diese Entscheidung akzeptieren. Da er sich sogar gegen euch durchsetzen konnte, scheint er ja auch recht mächtig zu sein." Makotoko verzog dabei kurz das Gesicht, unterbrach ihn aber nicht, "Wo ist Mitsura jetzt?"

"Bei Anis im Mittelalter, denke ich. Sie wollte sehen, ob auch wirklich alles gut geht. Die Rückverwandlung in einen Youkai ist ja sehr... schmerzhaft", antwortete er.

"Sie wird's überleben, so schlimm ist es ja nun auch wieder nicht... Aber mit Mtsura hab ich noch was abzurechnen..." Sukerumaru stand auf. "Ach ja, und glaube ja nicht, dass ich vergessen habe, was ihr getan habt! Eure Bestrafung für die Verletzung der dämonischen Verfassung überlasse ich den dafür zuständigen Youkai...", sagte er noch, bevor er sich zum Gehen wandte.

Makotoko jedoch klappte entsetzt den Mund auf.

"Wie bitte?! Du kannst mich doch nicht einfach diesen... diesen Folterknechten ausliefern!", rief er erschrocken. Sein Hund stieß ein flehendes Winseln aus.

"Kann ich nicht? Was denkst du denn? Sie haben sowieso schon lägst erkannt, wer hinter diesem Chaos steckt. Anis hat sich clevererweise aus dem Staub gemacht, Mitsura hat an sich nichts verbrochen, auch wenn sie euch hätte aufhalten müssen. Ihr seid es, die alle Schuld bekommen werdet! Und das völlig zu recht", erwiderte Sukerumaru mit hoch gezogenden Augenbrauen.

"Vater, bitte! Kannst du nicht unsere Bestrafung übernehmen? Von mir aus setz uns zehn Jahre in der Sahara ohne Wasser aus, aber schick uns nicht in diese Hölle!" Panik schwang in seiner Stimme mit. "Du weißt was die da mit uns anstellen werden! Ich bin doch noch zu jung zum Sterben..."

"Du übertreibst mal wieder maßlos. Abgesehen davon wird euch schon was einfallen, um euch die Strafe zu erleichtern...", sagte der Rothaarige.

Makotoko hätte sich gerade am liebsten selbst umgebracht. Er erinnerte sich noch gut daran, wie Anis dabei erwischt worden war, wie sie zwei junge Youkai, Verehrer ihrerseits die sie ohnehin nicht angenommen hätte und die sogar unter Makotokos Würde waren, von ihm erledigt zu werden, dazu angestachelt hatte, ein Dämonenduell zu veranstalten. Einige Menschen hatten davon Wind bekommen und die dämonische Regierung von Frankreich hatte diesen Kleinkinderstreich sehr ernst genommen. Zur Strafe hatte Anis ganze zwei Wochen lang auf eine stinknormale Menschenschule gehen müssen. Sukerumaru hatte es wenigstens noch so hingebogen bekommen, dass sie ihre geplante Reise nach Japan trotzdem machen konnten. So hatte sie also ihre Strafe in Tokyo abgesessen, und war dann ins Mittelalter verschwunden. So eine harte Strafe, obwohl überhaupt niemand verletzt worden war... Für Dämonen, ob nun mit oder ohne ihre Kräfte war es einfach unter aller Würde, in solch primitive Anstalten zu gehen. Er wollte sich gar nicht erst vorstellen, wie dann erst die Strafe für ihn und seinen Hund aussehen mochte... Der pure Alptraum!

Die üblichen Strafen wie Gefängnis oder so kamen für Youkai natürlich nicht in Frage. Sie mussten ständig unter Aufsicht sein, die Ausbruchgefahr war sonst viel zu hoch. Aber die dämonische Regierung kannte noch viel grausamere Maßnahmen, die jedem halbwegs vernünftigem Dämon wie die reinste Hölle vor kamen. Praktischrweise waren sie auch auf die jeweilig Dämonenart zugschnitten, ein Maulwurfdämon beispielsweise konnte mit einem Beruf als Pilot rechnen, den er für bestimmte Zeit erledigen musste. Maulwürfe hatten schreckliche Höhenangst.

Und Makotoko wusste ebenso gut wie die dämonische Regierung, was für Hunde am aller abscheulichsten war.
 

*
 

"Mitsura..."

"Oh, du bist wieder wach? Wie fühlst du dich?" Mitsura nahm den nassen Lappen von Anis' Stirn, tauchte ihn in eine Schale mit Wasser, die neben ihr stand und legte ihn erneut auf. Der Regen hatte aufgehört und Anis hatte nun ihr Bewusstsein wieder. Mitsura hatte sie auf eine geschützte Lichtung gebracht und ihr aus weichem Gras und Laub ein bequemes Lager gemacht. Noch immer floss zahlreiches Blut aus ihren Wunden, doch es war nicht mehr ganz so schlimm wie noch vor ein paar Minuten.

"Miserabel... Warum nur tut mir alles weh? Ich kann mich kaum bewegen..." Ihre Stimme klang seltsam melachonisch.

"Deine Seele lässt jetzt alles Youki mit einmal frei. Bei der Versiegelung wurde es aus deinem Körper gesogen und fest in deinem Bewusstsein verschlossen. Jede Zelle hatte ein gewisses Maß an dämonischer Energie zur Verfügung und dein Blut hat es immer wieder erneuert. Nach der Verwandlung hast du zwei Wochen lang geschlafen, erinnerst du dich? Jetzt muss die gesamte Energie wieder aufgeteilt werden. Das bedeutet, dass das nichtmagische Blut deinen Körper verlassen muss. Deswegen hast du diesen Selbstverletzungsdrang bekommen. Dein Herz zieht das Youki jetzt direkt aus deiner Seele und produziert damit neues Blut, aufgeladen mit der dämonischen Energie. Dein gesamter Körperbau, deine Knochen verwandeln sich, damit du auch deine wahre Gestalt annehmen kannst. Jedes einzelne Blutteilchen umspült deine Knochenzellen und die Organe, damit das Youki gleichmäßig verteilt wird. Die Energie brennt sich praktisch in deinen Körper, der Grundaufbau deiner Zellen verändert sich und das verursacht die Schmerzen", erklärte Mitsura ruhig.

"Wieso... fühlt sich mein Kopf an, als würde er gleich platzen...?", fragte Anis schwach.

"Im Kopf finden die meisten Veränderungen statt. Ein Mensch nutzt nur einen geringen Teil seines Gehirns, bei dir werden bestimmte Bereiche jetzt sozusagen freigeschaltet. Dein Geruchs- und Gehörsinn verbessert sich. Aber da wir enorme Selbstheilungskräfte haben, werden die Schmerzen sicher bald weg sein, sofort nachdem die Rückverwandlung abgeschlossen ist", meinte Mitsura tröstend. Sie wusste, dass sich durch die Veränderung des Gehirns ihrer Schwester auch zwangsläufig ihr Charakter ein wenig verändern würde. Jetzt hieß es, Vorsicht zu bewahren. Wer wusste schon, wie die neue Anis sein würde...

Anis setzte sich vorsichtig auf. Mit einer Hand hielt sie sich noch den schmerzenden Kopf, der Lappen fiel zu Boden.

"Dort hinten ist ein Fluss, wenn du dich waschen willst... Das Wasser ist aber eiskalt", sagte Mitsura, die es in dieser Situatuation lieber vermied, ihrer Schwester direkte Befehle zu geben, oder sie aus gesundheitlichen Gründen zum Bleiben bewegen zu wollen. Sicher hätte sie weniger Schmerzen, wenn ihr Verlobter jetzt da wäre. Sie hatte gesagt er sei 'fort'. Allem Anschein nach glaubte sie auch nicht, dass er zurück kam. Dies hatte wohl auch ihre Seele verletzt, weshalb sie die Rückverwandlung nicht ganz so gut überstanden hatte, wie es normalerweise vorgesehen war. Mitsura dachte mit Schaudern an ihre eigene Verwandlung zurück.

Anis stand auf und ging in die Richtung, die Mitsura ihr wies. Sie roch das Wasser, bevor sie es sah. Tatsächlich, ihre Sinne hatten angefangen, sich zu verbessern. Trotzdem war sie immer noch sehr schwach auf den Beinen.

Mitsua sah ihr noch kurz hinterher, dann machte sie rasch kehrt. Mit einem unglaublichem Tempo gelangte sie im Federflug zum Brunnen und ging in ihre Zeit zurück, um Anis etwas Passendes zum Anziehen zu besorgen, ihre alte Kleidung war ja ganz schmutzig geworden. Als Youkai im Mittelalter trug man halt andere Kleidung und so wie sie ihre Schwester kannte, würde diese noch einige Zeit in der anderen Dimension bleiben.
 

Anis streifte ihre Kleidung ab und ging langsam ins Wasser. Mitsura hatte Recht, es war kalt, aber sie spürte die Kälte kaum. Zufrieden tat sie ein paar Schwimmzüge und tauchte auch einmal unter. Es war herrlich erfrischend. Sie fühlte sich, als wenn sie sich aus einer alten, schäbigen Haut schälen würde, aus der hässlichen Asche als wunderschöner Phönix auferstehen würde.

Nachdem sie genug geschwommen war, kehrte sie ans Ufer zurück und fand dort ihre Schwester vor, die einen frischen Kimono über dem Arm trug. Sie nahm ihn mit einem dankenden Blick entgegen und zog sich an. Ihre Glieder hörten allmählich auf zu schmerzen und sie fühlte sich besser. Mit zitterndem Schritt trat sie nochmals an das Wasser heran, um erstmals ihre neue Gestalt als Youkai zu sehen.

Sie war schlichtweg nicht wieder zu erkennen. Ihr Aussehen hatte sich komplett verändert. Durch das Bad hatten sich die typisch dämonischen Merkmale in ihrem Gesicht, welche sonst immer von einer dicken Schicht Make-up verborgen waren, offenbart. An ihren Wangen konnte man kleine, hellblaue Punkte erkennen, die sich zu einer Art Streifen zusammenschlossen. Dieser war allerdings nicht sehr lang und man sah ihn nur bei näherem Hinsehen. Ihre Ohren waren ein wenig spitzer geworden und auf ihrer Stirn waren drei silberne Punkte zu sehen. Ihre Fingernägel waren zu langen Krallen geworden und sogar ihre Gesichtszüge hatten sich verändert. Auf ihnen spiegelte sich all das Leid und die Traurigkeit der vergangenen Jahre wider, sie wirkte viel erwachsener. Mitsura hatte ihr wohl die farbigen Kontaktlinsen entfernt, so dass man jetzt deutlich ihre graubraunen Augen sehen konnte, in denen immer wieder gelbe Sprenkel zu sehen waren. Nur selten zeigte sie sich wirklich mit dieser Augenfarbe, denn in der Neuzeit war sie öfters gezwungen gewesen, ihre Identität zu wechseln. Auch ihren Haaren sah man die Veränderung an. Der Regen und jetzt das Bad hatten auch das letzte bisschen Farbe heraus gewaschen. Nun erkannte man die dunkelblaue Haarfarbe, die fast schwarz wirkte. Das ungewöhnliche dabei war, dass sie viele, schneeweiße Strähnen darin hatte, wodurch ihre Haare fast grau wirkten. Anis hasste diesen Effekt, doch hier würde es niemandem auffallen. Ihre Schwester hatte den Kimono ihrer neuen Gestalt passend gewählt. Er war weiß, mit blauer Verzierung und einem lavendelfarbenen Band um die Hüfte. Der Stoff war weich und edel, auf feinster Seide. Ein halbdurchsichtiges Tuch war kunstvoll in den Stoff eingearbeitet und umschmiegte sanft ihren Rücken und die Arme.

Mitsura trat mit einem Kamm von hinten an sie heran und begann, eine kunstvolle Frisur auf ihrem Kopf zu erschaffen, die sie mit einer Spange in Form eines Schmetterlings zusammen hielt. Anis spürte die Magie des Schmuckstücks. Dieses Teil würde nicht nur dafür sorgen, dass ihre Frisur in jeder Situation perfekt saß, es war auch eine versteckte Waffe.

"Anis? Ich... ich hab deinen Bogen besorgt." Zögernd reichte ihre Schwester ihr einen dünnen, kaum fingerlangen Metallstab, der an ein chinesisches Essstäbchen von weißer Farbe erinnerte. Anis nahm ihn entgegen und strich schon fast sanft über den Schaft. Ihre alte Waffe aus der Zeit, als sie ihre dämonischen Kräfte noch besaß... Da hingen Erinnerungen dran.

Ein klickendes Geräusch war zu hören, der Metallstab glühte kurz auf und eine Sekunde später hielt Anis einen schimmernden, weißen Bogen in der Hand. Der Waffe fehlte die Sehne.

"Wo du Klingenecho gelassen hast, weiß ich nicht, aber das brauchst du ja jetzt auch nicht mehr...", murmelte Mitsura.

Anis hörte ihr kaum zu. Klingenecho konnte man nicht als Youkai verwenden, nicht als Mensch und auch nicht als Hanyou. Im Grunde also gar nicht. Nur in Anis' außergewöhnlichem Fall war dies anders. Sie war kein Mensch, aber auch kein vollständiger Dämon gewesen, eine Hanyou aber auch nicht. So hatte sie Klingenecho verwenden können. Jetzt aber wäre sie dazu nicht mehr in der Lage. Doch das machte nichts, sie hatte ja schließlich ihren alten Bogen wieder. Das war hundert mal besser. Mit bloßem Willen und der Kraft ihrer Gedanken brachte sie den langen Bogen dazu, wieder in sich zusammen zu schrumpfen und eine halbe Sekunde später hielt sie wieder den dünnen Stab in der Hand. Mitsura reichte ihr ein schwarzes Seidenband, welches Anis sich um den rechten Unterarm band, nachdem sie den langen, weißen Ärmel hochgeschoben hatte. Unter dieses Tuch schob sie nun den getarnten Bogen. Dann ordnete sie ihre Kleidung wieder und sah noch einmal ins Wasser vor ihr. Dieses Spiegelbild einer vornehmen Dame war nichts als Schwindel. Sie war eine Käpferin.

"Mitsura, ich werde nicht mit dir zurück kommen. Richte unserer Familie aus, dass es mir gut geht", sagte sie emotionslos.

Mitsura nickte verstehend. Sie hatte nichts anderes erwartet. Abgesehen davon, dass Anis vorerst ihre neuen - beziehungsweise alten - Fähigkeiten austesten musste, hätte es für sie wenig Sinn, jetzt zurückzukehren. Wofür hatte sie denn endlich ihre volle Kraft, wenn sie sie in der Neuzeit doch auch nur wieder verstecken musste? Hier war das Leben für sie viel angenehmer. Sicher würde es am Anfang schwierig werden, aber dann würde alles glatt laufen - zumindest für die ersten fünfhundert Jahre. Mitsura selbst überlegte, ob sie sich nicht auch hier niederlassen sollte.

"Soll ich dich allein lassen?", fragte sie zögernd.

"Ja... tu das. Du wirst mich finden, wenn es etwas gibt."

Diese Antwort überraschte Mitsura. Dank der speziellen Kräutertinkturen, die 'Neuzeitdämonen' verwendeten, konnte man ihre Spuren nicht verfolgen. Sicher, die abgeschwächten Varianten des Geruchsstoffes für Youkai mit versiegelten Kräften reichten nicht aus, um den Geruch eines vollen Dämons zu übertünchen - demnach würde sie Anis jetzt, nach dem Bad, wieder anhand ihres Duftes finden können. Aber normalerweise benutzte man nach der Rückverwandelung stärkere Kräuter, um nicht erkannt zu werden. Aber eigentlich war es ja nur natürlich, dass sie das jetzt nicht mehr für nötig hielt...

"Hast du schon einen Plan, was du jetzt machen willst, Anis?", fragte Mitsura.

Ihre Schwester drehte sich langsam zu ihr um und sie erschrak über die vollkommene Leere in ihrem Blick. Diese Kälte, die von einer gewissen Grausamkeit sprach und doch nicht zu vergleichen war mit dem Blick ihres Verlobten. Es gab Leute, die so schauten und mit ihren Blicken am liebsten töten wollten - wie Sesshoumaru. Und es gab Leute wie Anis, denen es vollkommen gleichgültig war, was mit den Anderen geschah - ihre Blicke wirkten rein zufällig so, als ob sie Mitsura aufspießen wollten. Sie bemerkte diesen Effekt nicht einmal.

"Ich werde trainieren... Und nenn mich bitte nicht mehr Anis. Anis existiert nicht mehr... Sesshoumaru hat sie getötet." Leer. Ihr Blick war so leer, ihre Stimme so eisig. Das war wirklich nicht mehr Anis. Die Verwandlung hatte sie grundlegend verändert.

"G... Getötet...?", stotterte Mitsura erschrocken. Was sollte diese Ausdruck? Was hatte Sesshoumaru getan?!

"Schon gut. Ich bin ihm nicht böse. Im Gegenteil. Er hat mich doch zu einer Youkai gemacht, nicht wahr? Ich bin ihm dankbar." Ja, sie schien ihm tatsächlich nicht böse zu sein, dass er sie verlassen hatte. Aber ließ es sie wirklich so kalt, wie sie sich anhörte? Mitsura jedenfalls war sich inzwischen nicht mehr ganz so sicher, ob es so gut war, dass Anis jetzt eine Youkai war. Ach, was dachte sie da schon wieder? Natürlich war es gut! Sie war vielleicht sogar ein kleines bisschen mehr Youkai als sie selbst. Jaja, das Leben unter Menschen hatte sie wohl auch ein wenig weich geklopftf. Anis hatte diese Schwäche jetzt abgelegt.

"Wie... Wie soll ich dich denn dann nennen?", fragte Mitsura leise.

"Nenn mich Kuraifaia", flüsterte Anis leise.

Mitsura schluckte. 'Kuraifaia' hieß grob übersetzt 'Dunkles Feuer'. Tatsächlich mochte der Name passen: Sie würde ihre Feinde gnadenlos ausbrennen und ihre Seele war sicher auch dunkler geworden.

Sesshoumaru hatte der Welt sicher keinen Gefallen getan, als er 'Kuraifaia' verlassen hatte. Er hatte Anis ausgelöscht. Sie würde nie wieder so sein wie früher...
 

*
 

"Verdammt!", rief Sesshoumaru zornig aus und fällte einen weiteren Baum mit seiner Lichtpeitsche.

ES war einfach zum Verrücktwerden. Er konnte an nichts anderes als an Anis denken und wünschte sich schon jetzt, dass er wieder bei ihr wäre. Verzweiflung hatte ihn überrannt, sobald sie außer Sichtweite war. Sein Herz zog es zu ihr zurück, es schrie nach ihrer Nähe. Seine Liebe zu ihr zeriss ihn förmlich und um den Schmerz in seiner Seele nicht zu spüren, hatte er sich an der Natur abreagieren wollen. Es funktionierte nicht.

Kraft- und hoffnungslos ließ er sich unter einem Baum nieder - der einzige im näheren Umkreis, der nicht beschädigt war.

Die Sehnsucht nach Anis drohte ihn vollkommen zu verschlingen. Seine Hände zitterten ohne jeglichen Grund und obwohl sein Verlangen ihm unheimlich viel Energie gab, konnte er sich kein Stück mehr bewegen. Welcher hirnrissige Umstand hatte ihn nur dazu gebracht, das, was ihm am teuersten war, allein zu lassen? Welcher Teufel hatte ihm da was auch immer ins Ohr geflüstert? Er brauchte Anis, brauchte sie so sehr. Warum nur hatte er sie gehen lassen? Schimmer noch, warum war er gegangen? Warum hatte er sie zurück gelassen? Das durfte doch alles nicht wahr sein...

Plötzlich ertönte von der Seite her in Schnauben und Sesshoumaru sprang auf.

Vor ihm stand ein Drachendämon. Seine grünen Schuppen glänzten bedrohlich in der Sonne und seine zwei Köpfe sahen ihn aus treuen Augen an.

Moment mal.

Treue Augen? Erst jetzt registrierte Sesshoumaru, dass der Dämon Sattel und Zaumzeug, ja sogar Maulkörbe trug. Es war Ah-Uhn. Sein treuer Drache, der zu ihm zurückgekehrt war...

Langsam trat er an den Youkai heran und strich ihm über die buschige Mähne. Wie hatte er nur so unbemerkt an ihn heran kommen können? Wäre das ein Feind gewesen, hätte er jetzt tot sein können. So durfte es nicht weiter gehen!

Ah-Uhn hatte ihn an sein Leben erinnert, das Leben, das er geführt hatte, bevor er Anis getroffen hatte. Nun wusste er auch, warum er Anis allein gelassen hatte: Um dieses Leben weiter zu leben. Um wieder zur Normalität zurückzukehren. Zu seinem Volk zurückzukehren. Dafür hatte er sie ziehen lassen, in der Gewissheit, dass sie dieses Leben nicht mit ihm teilen konnte. In der Gewissheit, dass sie nicht ihr Leben mit ihm teilen konnte. In der Gewissheit, dass sie nicht bereit war, mit ihm ein völlig neues Leben anzufangen. Es war die beste Variante, die sich ihm geboten hatte.

Warum nur fühlte er sich dann jetzt so miserabel? Warum nur spürte er, dass er einen großen Fehler begangen hatte, einen Fehler, den er nie wieder wiedergutmachen konnte? Einen Fehler, der vielleicht sein ganzes Land beeinflussen konnte?

Unsinn, was sollte dieser Quatsch. Eine einzige Entscheidung könnte doch niemals solch riesige Ausmaße haben. Oder?

Ah-Uhn schnaubte noch einmal, seine feuchte Schnauze stupste ihn freundschaftlich in den Nacken. Sesshoumaru runzelte die Stirn. Früher hätte der Drache das nicht gewagt... Es wurde Zeit, dass er ihm wieder Manieren bei brachte. Allgemein wurde es Zeit, sein Lebe wieder in die Hand zu nehmen. Er hatte so viele Dinge vernachlässigt...

Der Drachenyoukai wurde immer dreister, jetzt stieß sein einer Kopf ihn auffordernd in den Rücken. Zornig drehte der Daiyoukai sich um und sah seinem Gegenüber in die Augen, überrascht, dort eine gewisse Portion Amüsement zu sehen. Dieses Geschöpf mochte vielleicht intelligenter sein als er gedacht hatte. Oder noch dümmer, wenn es sich solche Späße erlaubte.

Der Drache drehte seine Köpfe zur Seite und bedeutete ihm einladend, aufzusteigen. Da Sesshoumaru im Moment eh nichts anders zu tun hatte, beziehungsweise nicht wusste, was er tun sollte, folgte er der Einladung und saß auf. Sofort machte der Dämon einen Satz in die Luft und einige Sekunden später hatten sie den Wald tief unter sich gelassen. Der frische Wind, der ihm ins Gesicht schlug, klärte seine Gedanken allmählich auf. Ah-Uhn flog ohne sein Zutun geradewegs nach Westen. Für einen winzigen Moment überlegte er, ob er ihm befehlen sollte, die Richtung zu wechseln und zu Anis zurück zu fliegen, tat es aber dann doch nicht. Die Rückkehr seines treuen Reittieres kam ihm fast wie ein Wink des Schicksals vor und das sollte er lieber nicht missachten. Hatte er sich außerdem nicht gerade dafür entschieden, seinen Pflichten wieder nach zu gehen? In diesem Fall war es nur richtig, dass er zu seinem Schloss im Westen zurückkehrte.

Seufzend lehnte Sesshoumaru sich zurück und versuchte den Flug zu genießen, doch immer wieder kehrten seine Gedanken zu Anis zurück. War seine Entscheidung wirklich richtig gewesen?

Er sah nach vorne, zu der untergehenden Sonne und wusste, dass die Antwort ja war. Er war jetzt auf dem Weg in seine Heimat und das war auch gut so. Doch dann erinnerte er sich an den Geschmack ihrer Lippen und wusste, dass sein Herz auf diese Frage immer negativ antworten würde. Er hatte seine Liebe gefunden und sie fast im gleichen Moment wieder verloren. Für den Schmerz, den das verursachte, konnte auch der Ausblick auf die Heimat keine Medizin verschaffen...
 

*
 

Kuraifaia hatte Mitsura weg geschickt. Sie wollte jetzt niemanden um sich herum haben.

Ihre Verwandlung war fast abgeschlossen und sie erkannte erstmals seit vielen Jahrhunderten wieder, wie mächtig die Dämonen im Gegensatz zu Menschen doch waren. Ihre Sinne waren auf das Äußerste geschärft worden. Sie roch den Duft der Pflanzen um sich herum und hätte auf der Stelle jeden davon ihrer Quelle zuordnen können. Sie hatte auch den Geruch ihrer Schwester noch genau in der Nase und wusste, dass sie jetzt schon exakt elf Minuten und dreiundzwanzig Sekunden weg war. Sie konnte ganz genau sagen, dass sich der knochenfressende Brunnen, wo sich ihre Spur verlor, in 764 Metern Entfernung befand. Sie roch sogar noch Sesshoumaru, der doch schon etwas mehr als eine Viertelstunde fort war. Sie roch ihn in der Ferne, schon mehrere Kilometer entfernt. Und natürlich nahm sie auch ihren eigenen Geruch wahr. Es war nicht exakt der einer Inuyoukai, denn ihre Mutter war eine Schakaldämonin gewesen, eine Verwandte der Wildhunde. Wer diesen Geruch nicht kannte - und das war in Japan fast jeder - könnte sie von Weitem für eine menschliche Hundehalterin halten, denn natürlich unterdrückte sie ihre Aura vollkommen. Das tat sie eigentlich nur noch aus Gewohnheit und um eventuellen Feinden ihre wahre Stärke nicht zu verraten.

Langsam erhob sich Kuraifaia. Es war an der Zeit, ihren neuen Körper auszutesten. Doch das sollte sie lieber in einer Gegend tun, wo sie niemand sehen oder spüren konnte. Die neue Kraft in ihren Beine ließ sich beim Laufen nur schwer unterdrücken. Kuraifaia wusste, dass sie normalerweise in ihrem Alter nicht so viel Youki besitzen dürfte. Dass sie es doch tat, hing mit der Versiegelung zusammen. Ihre dämonische Energie war für mehrere Jahrhunderte vollkommen ungenutzt gewesen. Sie hatten sich gestaut und angesammelt. Dadurch war ihre Durchschittsmenge an Youki gestiegen. Wenn sie diese neue Kraft jetzt nur noch beherrschen könnte, würde sie eine beachtliche Menge an Macht erreichen können...

Doch nicht nur ihr Geruchssinn hatte sich verbessert, sondern auch ihr Gehör. Sie nahm das leise Tapsen der Eichhörnchenpfoten wahr, die bei ihrem Anblick flohen. Das Zwitschern der Vögel hoch über ihr war so laut zu hören, als sängen ihr die Tiere direkt ins Ohr. Das Unterholz knirschte, ohne das Zutun einer fremden Macht, einfach nur des Windes wegen. Auch ihre Augen waren besser geworden. Sie konnte die Maserung eines Blattes erkennen, welches hundert Meter weiter hoch oben an einem Ast hing. Sie konnte die Tautropfen im Kelch einer Blume aus hundertfünfzig Schritt Entfernung erkennen.

Kuraifaias Schritte wurden fester, sie lief schneller. Nur am Rande bemerkte sie, dass sie eine winzige Menge an Youki verbrauchte, die sofort wieder aufgefüllt wurde, da hatte sie auch schon die Geschwindigkeit eines fahrenden Zuges erreicht. Nun wurde es einmal an der Zeit, den Federflug auszuprobieren...

Kuraifaia stieß sich kräftig ab und sprang in die Höhe. Mit solch einem großen Schwung hatte sie nicht gerechnet und musste aufpassen, dass sie sich nicht in der Luft überschlug. Trotz allem landete sie sanft auf der Erde und verzog keine Miene. Ihr nächster Sprung trug sie auf einen Baum hinauf und sie blieb mit perfekter Balance auf einem hauchdünnen Zweig stehen. Na wenigstens etwas, dachte sie sich.

Den Federflug beherrschte sie noch tadellos, wie sich nach einigen Übungen herausstellte. Unwillkürlich hatte sie sich dabei immer weiter nach Süden bewegt, weg von dem Brunnen und weg von Sesshoumaru. Keinen von beiden konnte sie mehr wahrnehmen. Die Youkai wartete auf den gewohnten Schmerz, wenn sie an Sesshoumaru dachte, doch seltsamerweise blieb der aus. Umso besser... Dann konnte sie ja jetzt auch ihre Kampffertigkeiten überprüfen.

Als erstes war ihre Aurasicht an der Reihe. Kuraifaia schloss die Augen und konzentrierte sich. Vor ihrem inneren Auge flackerte ein Bild auf, erst undeutlich, dann immer schärfer. Sie sah nicht wirklich mehr mit ihren Augen, sie sah mit ihrem ganzen Körper. Sie spürte die Auren um sich herum, die Energien aller Lebewesen und Gegenstände. Sie konnte jede ihrer Stimmungen und bei den Tieren teilweise sogar ihre Handlungen vorhersehen. Sie fühlte die Bäume um sich herum, die großen Riesen, die schon so viel gesehen hatten. Trotz ihrer Müdigkeit waren sie noch kräftig und strebten dem Himmel entgegen. Ihre Umgebung war ihnen egal, solange sie nicht davon beschädigt wurden. Kuraifaia konnte ihre Energien genau von denen der anderen unterscheiden. Sie leuchteten vor ihr geschlossenen Augen in in einem kräftigen Grün. Die Energien der Tiere auf dem Boden und den Bäumen hatten andere Farben, gelb und blau, grau und rot, alles war vertreten und alles deutete auf unterschiedliche Stimmungen und Stärken hin. Sogar die Erde mit ihrem trägen, graubraunem Ton konnte sie sehen. Dennoch waren all diese Farben verschwommen und keine wirklich deutlich. Das lag daran, dass hier keine Gefahr für sie drohte. Wären hier Youkai gewesen, so würden ihre Energien alles andere in den Schatten stellen. Aber hier war niemand, jedenfalls nicht in der näheren Umgebung. Die Aurasicht war nicht für lange Entfernungen geeignet, da sich dort die Farben zu sehr überschnitten. Im Nahkampf jedoch war sie wirklich nützlich. Aus den Stimmungen und Emotionen der Gegner konnte man ganz leicht absehen, was sie als nächstes tun würden. Außerdem verbrauchte diese Fähigkeit kaum Youkai. Da Wesen mit Youki grundsätzlich stärkere Farben hatten, wusste Kuraifaia auch immer, wo sich versteckte Feinde aufhielten. Die Tatsache, dass sie im Kampf die Augen geschlossen hielt, verwirrte sie noch zusätzlich und ließ sie glauben, sie wäre eine leichte Beute. Ein Irrtum, den die meisten bitter bereuten. In ihrer Jugend, als das Kämpfen noch erlaubt gewesen war, war sie als 'Der blinde Pfeil' bekannt gewesen.

Das lenkte Kuraifaias Gedanken zu ihrer Spezialwaffe. Noch immer mit geschlossenen Augen zog sie den kleinen Stab unter ihrem Ärmel hervor. Ihr unterdrücktes Youki gab der Waffe einen bläulichen Glanz, den nur sie sehen konnte. Im Nu befreite sie die dämonische Energie und hielt den Bogen in seiner vollen Größe in der Hand. Sie besaß weder eine Sehne, noch Pfeile, doch die brauchte sie auch nicht. Mit einer geübten Bewegung fuhr ihre Hand in ihren Nacken und sie riss sich selbst eines ihrer Haare aus. Mit geschickten Bewegungen befestigte sie es an dem Bogen. Dieser hatte an den Enden jeweils zwei Scharten, man konnte ihn mit zwei Sehen zugleich bespannen. Diese bestanden aus ihrem eigenem Haar und waren deshalb mit ihr verbunden. Nur damit konnte man den Bogen richtig benutzen. Da es nach wenigen Stunden seine mystische Kraft verlor, war sie die Einzige, die ihn richtig verwenden konnte. Die zweite Sehne brauchte sie im Moment jedoch nicht. Die war für andere Fälle...

Kuraifaia spannte die Sehne und zwischen ihren Fingern entstand ein blau-weißes Licht, das sich rasch zu einem Pfeil formte. Sie zielte auf einen Tannenzapfen in 300 Metern Entfernung und schoss. Der Pfeil sauste von der Sehne und obwohl er annährend mit Schallgeschwindigkeit flog, konnte Kuraifaia die schwarze Aura sehen, die ihn umgab.

Der Tannenzapfen wurde zusammen mit einem Großteil des Baumes selbst pulverisiert.

Kuraifaia öffnete die Augen wieder. Erneut spannte sie den Bogen und wieder bildete sich ein magischer Pfeil an der Sehne. Diesmal verringerte sie die Konzentration des Youkis, mit dem sie ihn abschoss und zielte auf ein weiter entferntes Ziel. Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen, als sie die Sehne losließ. Der Pfeil hatte immer noch übernatürliche Durchschlagskraft und der Pfeil durchbohrte den Baum, auf dessen Astloch sie gezielt hatte, als bestünde er aus Butter und zischte weiter. Kuraifaia runzelte die Stirn. Sie musste noch an ihrer Präzision arbeiten. Es wäre Unsinn, im Kampf mehr Youki als nötig zu verbrauchen. Aber gut, sie hatte ja alle Zeit der Welt.

Nun wurde es langsam an der Zeit, ihre Fähigkeiten an einem lebendigem Objekt zu testen. Irgendein Youkai, der stark genug war, im Kampf mit ihr mehr als nur ein paar Sekunden lang zu überleben. Also machte sie sich wieder auf den Weg, der Federflug trug sie von Baum zu Baum und verlieh ihr übernatürliche Geschwindigkeit.
 

Erst spät am Abend legte die Dämonin eine Pause ein. Die Dunkelheit machte ihr zwar nichts aus und müde war sie auch nicht, aber sie hatte es sich nun einmal angewöhnt, in der Nacht ein wenig zu ruhen. Also ließ sie sich unter einer großen Tanne nieder und besah sich den klaren Sternenhimmel über ihr. Ihr Blick blieb an dem sichelförmigen Mond hängen und erst jetzt wurde ihr bewusst, wie sehr das Training sie von Sesshoumaru abgelenkt hatte. Nun aber konnte sie die Gedanken an ihn nicht länger verdrängen. Warum nur war er gegangen? Sie verstand es einfach nicht. Wenn er sie tatsächlich liebte, warum war er dann nicht bei ihr geblieben? Er verbarg irgendein Geheimnis, da war sie sich inzwischen sicher. Inuyoukai waren keine Einzelgänger. Sie lebten in riesigen Rudeln zusammen, bis sie eine Gefährtin beziehungsweise einen Gefährten fanden und eine Familie gründeten. Wie alle anderen Youkai auch gab es hier in Japan vier verschiedene Clans, die sich an den Himmelsrichtungen orientierten. Vier Rudel, die jedes mehrere hunderttausend Dämonen beinhalteten. Jeder Clan hatte sein eigenes Schloss, seinen eigenen Hofstaat und seine eigenen Gebiete, die er zu beschützen hatte. Neben den Hundedämonen gab es natürlich auch noch andere Youkaiarten, deren Grenzen sich mit diesen überschnitten, doch für gewöhnlich kamen sie gut miteinander aus. Natürlich gab es immer wieder Ausnahmen, Dämonen die sich nicht an die Gesetze hielten und von ihren Herrn bestraft wurden. Dabei war das Schlimmste, was einem Hundedämon passieren konnte, aus dem Rudel ausgeschlossen zu werden. Verbannung war noch schlimmer als Tod und die meisten, die ein solches Schicksal erlitten, brachten sich irgendwann selbst um. Doch Kuraifaia bezweifelte, dass Sesshoumaru ein Ausgestoßener war. Aber wenn sie ehrlich sein sollte, so hatte sie nicht die leiseste Ahnung, warum er nicht bei seinen Leuten war. Am Anfang war es wohl Tessaiga und sein Halbbruder Inuyasha gewesen. Später dann war er auf der Suche nach Anis gewesen. Dann hatte eines zum anderen geführt und irgendwie war die ganze Sache dann außer Kontrolle geraten. Aber was würde Sesshoumaru jetzt tun? Würde er jetzt, wo er sie los war, zu seinem Rudel zurückkehren? Seinem Verhalten und seinem Erscheinungsbild nach zu urteilen, musste er einen recht hohen Rang haben. War es ihm überhaupt gestattet, wegen einem bloßen Schwert sein Rudel zu verlassen? Oder war sein Rudel vielleicht gestorben und er wollte es rächen? Das war natürlich eine Möglichkeit, doch irgendetwas hielt Kuraifaia davon ab, dem zu glauben. Es musste eine andere Erklärung geben. Leider fiel ihr absolut keine ein.

Warum hast du mich zurückgelassen, Sesshoumaru? Ich wäre jetzt so gern bei dir..., dachte sie voller Sehnsucht.

Doch dann riss sie sich zusammen. Es brachte nichts, über etwas zu trauern, was man nicht mehr ändern konnte. Hatte sie ihm nicht versprochen, ein neues Leben anzufangen? Na bitte, dieses Versprechen sollte sie ja dann wohl auch halten.

Kuraifaia erhob sich und blickte noch einmal zum Himmel hinauf. Dann schloss sie die Augen, bis die bunten Lichter wieder vor ihr aufblitzten. Sie wusste nicht genau warum, aber wenn sie die Aurasicht anwendete, fühlte sie sich einfach sicherer. Sie bemerkte so bestimmte Dinge einfach viel schneller. Natürlich war hier keinerlei Gefahr in Sicht und es hätte gereicht, einfach die Augen offen zu halten. Aber sie war lieber vorsichtiger als nötig. Schließlich war sie vollkommen auf sich allein gestellt. Niemand würde kommen, um sie zu retten, wenn sie in Gefahr wäre. Niemand würde kommen...

Mit einem Satz stand sie in der Krone eines Ahorn, stieß sich erneut ab und flog so mehreren hundert Meter durch die Luft. Allmählich gewöhnte sie sich an das Youki in ihr, an ihre neuen Kräfte. Wie hatte sie es nur so lange als Mensch ausgehalten?!
 

XxX
 

SO, das war's mal wieder von mir. Ich hoffe ihr haltet durch und ich werd mich anstrengen es nicht zu langweilig werden zu lassen, ich weiß das ihr Zwischenkapitel nicht besonders mögt. Aber schreibt doch bitte trotzdem weiter Kommis, ja? Ich nehm auch Kritik an und versuchte Fragen zu beantworten.

Unruhen im Lande

In Sesshoumarus Abwesenheit ist viel passiert. Jetzt muss er sich erst einmal den Bericht der Ratsmitglieder anhören (die ab jetzt auch bei den Charakteren zu finden sind). Diese Youkai finden (empörenderweise), dass Sesshoumaru unerfahren ist. Aber das wagt natürlich keiner auszusprechen.

Anis macht derweil Bekanntschaft mit den Hundedämonen aus dem Süden, den Feinden ihres Verlobten. Aber davon hat sie ja keine Ahnung. Hätte sie mal Geschichte besser aufgepasst, vielleicht hätte sie Sesshoumaru dann mit einem gewissen Titel in Verbindung gebracht und sich so viele Scherereien erspart.
 

XxX
 

Schnüffelnd reckte er die Nase in die Luft. Da kam doch etwas...oder? Ja, er konnte es genau riechen. All seine drei Köpfe ruckten in die Höhe. Ein Mensch! Oder? Ja, es musste ein Mensch sein. Er konnte keinerlei Aura spüren. Ein wenig roch es auch nach Hund, aber... nein, es war bestimmt ein Mensch. Endlich wieder eine ordentliche Mahlzeit!

Der Wurmyoukai richtete sich etwas auf, er befand sich zwar noch in der Erde, doch die Oberfläche war nur wenige Dezimeter unter seinen Köpfen. Sein breiter Körper spannte sich an, bereit sofort durch die Erde zu stoßen und den Menschen zu verschlingen, sobald er da war. Da er sich unter der Erde befand, ahnte er nicht, das dieser vermeintliche Mensch sich von Baum zu Baum bewegte, sonst wäre er sicher vorsichtiger gewesen. Da er großen Hunger und wenig Intelligenz besaß, wunderte er sich auch nicht über die Schnelligkeit, mit der das andere Wesen auf ihn zu kam. Und erst recht nicht witterte er die Gefahr.

Die Erde brach ganz plötzlich auf, die drei braunen Köpfe des Wurmes schossen hervor. Er hatte eigentlich damit gerechnet, dass sich sein Opfer am Boden aufhalten würde, doch das tat es dummerweise nicht. Wütend bemerkte er, dass der Mensch, den er eben hatte fressen wollten, auf einem Baum saß! Naja, wie gut das er mit seiner voll aufgerichteten Größe sehr wohl bis dort hinauf kommen konnte. Mit weit aufgerissenem Maul versuchte er, seine Mahlzeit zwischen die Zähne zu kriegen, doch diese machte einen großen Satz und landete kaum eine Sekunde später hinter ihm.

Plötzlich spürte der Dämon einen höllischen Schmerz im Rücken. Er hatte kaum noch Zeit, einen gequälten Laut aus zu stoßen, da wurde sein Körper schon von einer ungeheuer mächtigen Kraft zerfetzt.
 

Kuraifaia sprang rasch zur Seite, damit das Blut des Wurmes, das nach allen Seiten spritzte, nicht ihren neuen Kimono beschmutzte. Dieser Youkai war wirklich kein Gegner für sie gewesen. Sie hatte ihn mit ihrer Aurasicht schon lange gesehen, obwohl er sich unter der Erde verkrochen hatte. Nur anhand des Geruchs hätte sie sonst nicht seine genaue Lage ausmachen können. Dennoch hatte sie ihn nicht mit dem Bogen erledigt, was eigentlich nur logisch gewesen wäre. Aber dann hätte sie vermutlich nie Zeit gehabt, ihre Nahkampfwaffe zu testen. Nachdenklich besah sie sich ihre Hand. Noch immer qualmten ihre Fingerspitzen leicht, doch von dem blutrotem Licht, das sie eben noch umgeben hatte, war nichts mehr zu sehen. Diese magische Attacke war ihre wirkungsvollste Waffe. Um sie einzusetzen, musste sie ihre Hand auf den Boden legen und ihre Youki dort hinein leiten. Dieses breitete sich von ihren Fingern wie fünft tödliche Strahlen in die Richtungen aus, in die sie zeigte. Je länger ihre Haut die Erde berührte, desto mehr Youki wurde frei und sank auch tiefer hinein. Wenn sie dann die Hand mit einem mal los riss, brach der Youkistrom nicht etwa ab, sondern wurde aus der Erde gerissen und zerfetzte diese. Wenn sich nun ein Gegner auf dieser Strecke befand, wurde er ohne Rücksicht in Streifen geschnitten. Schmerzhaft, aber schnell. Nur das viele Blut war einfach widerlich und der Boden sah danach aus, als hätte jemand mit Tessaiga die Windnarbe drauflos gelassen. Um das zu verhindern, hätte sie auch ihre Hand direkt auf den Körper des Gegners legen können, um ihn dann zu zerfetzen. Es hätte auch nicht viel Körperkontakt gebraucht, nur ein wenig. Aber bei diesem Wurm wäre das einfach zu eklig.

Traurig dachte Kuraifaia an ihre Kindheit zurück, als sie mit ihrer Schwester Natasushi, die diese Technik ebenfalls beherrschte, geübt hatte, wie viel Youki man brauchte, um einen Baum aufzuspalten, ihn jedoch nicht zu fällen. Sie hatte den Dreh viel schneller heraus gehabt als Kuraifaia.

'Stell dir vor, du nimmst ein paar schöne Stoffbänder und gräbst sie in der Erde ein. Die Enden lässt du draußen. Dann ziehst du. Die Bänder kommen zu dir zurück und dabei fliegt auch ein bisschen Erde hoch, die da drauf lag. Genau so ist es auch mit der Attacke! Du musst sehen, wie tief du dein Youki in die Erde oder auch hier in das Holz einleiten musst, damit es nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig Schaden nimmt!'

So hatte ihre Schwester ihr das damals erklärt. Leider besaß Natasushi nicht so viel Youki wie sie selbst und deswegen war sie im Kampf doch immer irgendwie besser gewesen. Die Technik hatte sie von ihr gelernt, obwohl sie eigentlich jünger als Kuraifaia war. Ja, mit ihr hatte sie sich sehr gut verstanden... Schade, dass sie nicht mehr lebte.

Jedenfalls hatte sie wohl verlernt, wie viel dämonische Energie sie in ihre Angriffe legen müsste. Da half nur eines: Üben.
 

*
 

"Seht mal, da oben!"

"Was ist das?"

"Das ist der Herr! Der Lord ist wieder zurück!"

Laute Rufe schallten über den Hof des Schlosses, als der zweiköpfige Drache in Sicht kam. Sofort versammelte sich das gesamte Personal vor den Toren und bildete eine Gasse. Kaum hatte der weißhaarige Inuyoukai den Bannkreis durchschritten, der das Dämonenschloss schütze, fielen sie alle geschlossen auf die Knie. Die beiden mächtigen Torflügel schwangen langsam auseinander und die edle Gestalt des Daiyoukai wurde sichtbar. Sofort eilte ein Diener herbei, der den Reitdrachen in einen geeignete Stall bringen sollte.

Die Rückkehr Lord Sesshoumarus weckte gemischte Gefühle in den Bewohnern des Schlosses. Einige hatten natürlich schreckliche Angst. Dies war hauptsächlich der menschliche Teil. Sie wussten nur allzu gut, dass der Herr ihre Art verabscheute, doch was sollten sie schon tun? Es gab nicht sehr viele Dämonen, die sich bereit erklärten als Diener zu arbeiten, deswegen wurden für diese Aufgaben oft Menschen her geholt. In gewisser Weise ging es ihnen gar nicht mal so schlecht, ihre Familien bekamen einen festen Preis dafür, dass sie ihre Söhne und Töchter hier her schickten und sie selbst bekamen genug zu essen. Aber wehe ihnen, wenn der Herr im Schloss weilte! Wenn ihm auch nur zufällig eine menschliche Dienerin über den Weg lief, war sie sofort des Todes. Zum Glück kam er aber auch nicht so oft und die anderen Dämonen waren etwas nachsichtiger. Dennoch war es oberste Regel, dass eine Putzfrau oder ein Arbeiter sich nur in Bereichen aufhielt, in denen er oder sie auch wirklich arbeitete, beziehungsweise wenn sie die Aufgabe hatten, das Schloss zu putzen, dies Nachts zu tun, wenn sich die Youkai in ihre Räume zurückzogen. Wenn der Lord selbst nicht da war - was er in den letzten zweihundert Jahren sehr oft der Fall gewesen war - hatte der Rat hier den höchsten Rang. Das war eine Gruppe aus siebzehn Dämonen, die meisten hatten ihren Posten schon zur Zeit des verstorbenen Inu no Taishus innegehabt. Ihre Aufgabe bestand darin, die Ländereien zu verwalten und Unstimmigkeiten mit den anderen Ländern zu stillen. Wenn Sesshoumaru da war, musste er natürlich dabei um Erlaubnis gebeten werden, andernfalls entschieden die Ratsmitglieder so, wie sie es für richtig hielten. Nur bei wichtigen Entscheidungen, die die ganze Gesellschaft der Inuyoukai der westlichen Länder auf lange Zeit betreffen würde - wie etwa eine Kriegserklärung - war es zwingend notwendig, Sesshoumarus Zustimmung einzuholen, ihm also einen Boten zu schicken. Andererseits war er zwar ein Lord und der rechtmäßige Erbe des alten Inu no Taishus, hatte jedoch bis jetzt den Fürstentitel noch nicht erlangt und musste sich in einigen Entscheidungen auch dem Rat beugen. Nun ja, wenigstens offiziell. Wenn er etwas wirklich wollte, hätte ihm natürlich auch niemand etwas entgegen zusetzen...

Doch abgesehen von der Angst der Menschen, in Zukunft auf den Gängen einfach umgelegt werden zu können, gab es auch hier und da etwas Verwunderung. Der Lord pflegte nur alle zehn Jahre hier her zu kommen, um nach dem echten zu sehen. Es war jedoch nun schon etwa 55 Jahre her, dass er das Schloss betreten hatte. Wieso kam er gerade jetzt? Hatte er etwa gespürt, dass seine Anwesenheit im Moment mehr gebraucht wurde denn je? Oder hatte er etwa die Botschaft schon erhalten, die der Rat ihm hatte schicken wollen? Nein, das war unmöglich! Der Bote war erst gestern los geschickt worden!

"Verehrter Herr... Wir sind erfreut, euch wieder hier begrüßen zu dürfen!" Aoi Yuki verneigte sich tief vor dem Lord. Er war eines der Vorstandsmitglieder des Rates und somit war es seine Aufgabe, Sesshoumaru zu begrüßen. Zurück bekam er nur einen kühlen Blick, dann ging der Youkai wortlos an ihm vorbei. Aoi Yuki unterdrückte einen Seufzer. Der Herr hatte sich kein bisschen geändert... Aber für die gegenwertige, politische Lage des Landes war das vielleicht auch ganz gut so.

"Habt ihr noch irgendeinen Wunsch, mein Lord?", fragte der Youkai.

"Ja. Ich möchte, dass du, Jijuuna Tori und Nagai mir in zwei Stunden Bericht erstattet, was sich in meiner Abwesenheit getan hat. Alles weitere besprechen wir dann." Seine Stimme klang nicht wirklich so, als wäre er daran interessiert, aber Aoi Yuki war schon froh, dass es noch keine Toten gegeben hatte. Die Zwillinge Jijuuna Tori und Nagai wären sicher nicht erfreut darüber, ihre Arbeit abzubrechen. Sie waren nach ihm die ranghöchsten Mitglieder im Rat und steckten bis über beide Ohren in der Arbeit. Aber wenn sie hören würden, dass Sesshoumaru wieder da war, würden sie sich alles stehn und liegen lassen.

Der Dämon gab einem nebenstehendem Diener einen Wink, die Angeforderten zu benachrichtigen.

Als er sich wieder umdrehte, war Sesshoumaru bereits im Schloss verschwunden.
 

Sesshoumaru stellte zufrieden fest, dass seine Gemächer im besten Zustand waren. Obwohl er sich mehr als ein halbes Jahrhundert nicht mehr hier hatte sehen lassen, hatte sich im Schloss kaum etwas verändert. Der Dämon durchquerte den riesigen Raum, die kostbaren Möbel nicht beachtend. Er ging geradewegs zum Balkon und trat dann hinaus. Der Fürstentrakt war so gut wie leer, da seine Familie entweder tot war oder nicht hier lebte. Und er selbst war ja auch nicht gerade oft auf diesem Schloss. Konnte er es überhaupt als sein Zuhause bezeichnen? Immerhin hatte er einen Großteil seines Lebens und auch seine Kindheit hier verbracht. Dennoch, die Jahre allein auf Wanderschaft waren einfach... anders gewesen. Er hatte sich frei gefühlt. Vogelfrei und immer von Feinden umringt. Aber er war frei gewesen. Hier fand er zwar etwas, das Geborgenheit gleichkommen könnte, aber das war es nicht, was er brauchte. Er brauchte kein Schloss, keine Diener, kein Königreich. Er brauchte Anis...

Ein frischer Wind kam auf und wehte hauchzarte Kirschblüten aus dem Schlossgarten auf den kunstvoll gearbeiteten Balkon. Aus irgendeinem Grund machte ihn der Anblick traurig.

Was wohl alles in seinem Reich passiert war, während er nicht hier war? Nun, bald würde er den Bericht des Rates erhalten. Bis dahin könnte er einfach noch ein wenig den Himmel beobachten und die Friedlichkeit genießen. Sie würde sicher nicht lange anhalten...
 

*
 

"Ihr müsst WAS?!" Mitsura unterdrückte nur mit Mühe ein äußerst gemeines Grinsen.

"Ja! Es ist schrecklich, katastophal, absolut grauenhaft! Das überleb' ich nicht! Und dann auch noch ganze FÜNF WOCHEN! Ich bitte dich, ich hab ja noch nicht mal jemanden getötet, das war alles Sesshoumaru! Wieso muss ICH seine Scheiße ausbaden?!" Makotoko rannte in dem Zimmer auf und ab und raufte sich die Haare. Sein Hund saß vollkommen unglücklich und mit hängenden Ohren in der Sitzecke.

"Na na, übertreibt mal nicht! In den Trümmern sind insgesamt sechs Menschen schwer verletzt worden, so unschuldig seid ihr also nicht", protestierte die Youkai.

"Willst du mir jetzt auch noch in den Rücken fallen?! Ich steh kurz vor dem Ende meines noch so jungen Lebens und du sagst, ich wär' nicht unschuldig?! Das ist ja wohl das Letzte!"

"Ihr steht wohl eher kurz vor einem Nervenzusammenbruch... Jetzt lasst euch doch nicht von der dämonischen Regierung unterkriegen!", versuchte Mitsura ihren Bruder auszumuntern.

"Aber FÜNF WOCHEN! Fünf Wochen, ich bitte dich! So groß kann der Schaden doch nun wirklich nicht sein! Das wird die Hölle auf Erden! Wie könn' die mir nur so etwas antun?! Das war'n doch nur ein oder zwei Häuser und es waren ja auch kaum Menschen da, die hat Sesshoumaru doch alle schon vertrieben. So viele Augenzeugen kann es doch gar nicht geben!" Restlos verzweifelt ließ sich Makotoko zu seinem Hund in die Kissen fallen.

"Nein, es waren ja nur so um die dreißig...", murmelte Mitsura sarkastisch.

"Eben! Das ist doch nen' Klachs! Wenn die von der Regierung nur nicht so engstirnig wären und mir erlaubt hätten, die umzulegen... Ich meine, man hätte sie als weitere Opfer der Trümmer abschreiben können, oder etwa nicht?!" Er redete sich schon wieder in Rage.

"Nun hört doch endlich auf mit eurem Selbstmitleid! Seit froh, dass die Strafe so sanft aufgefallen ist, ohne mich müsstest ihr bestimmt das Doppelte abarbeiten!" Der Dämonin reichte es jetzt auch langsam. Schließlich hatte sie extra einen Trank zusammengebraut, der die Erinnerungen an den dämonischen Kampf aus den Köpfen der Menschen vertrieb, so dass niemand wirklich mehr eine Ahnung haben würde, was da eigentlich passiert war. Aber Makotoko hatte tatsächlich eine harte Strafe abbekommen, fand Mitsura.

Die dämonische Regierung hatte genau auf die beiden schwächsten Punkte der Hundedämonen gezielt: Der ausgeprägte Gehör- und Geruchssinn. Makotoko hatte fünf Wochen lang in einer Fischfabrik zu arbeiten. Und es kam noch schlimmer: Nicht nur das dort die riesigen Maschinen zur Verarbeitung einen nicht auszuhaltenden Lärm machten, er musste auch noch die dreckigste Arbeit erledigen: Die faulen Fische von den frischen aussortieren. Der Gestank, der schon für einen Menschen SEHR unangenehm war, konnte bei einem Inuyoukai tatsächlich über lange Zeit hinweg schwere, gesundheitliche Schäden hervorrufen. Fünf Wochen lang, jeden Tag - auch am Wochenende - jeden Tag acht Stunden Arbeit, das war die schlimmste Folter die man ihm hätte antun können.

Doch trotz allem fand Mitsura, dass er es doch irgendwie verdient hatte.

"Es wundert mich überhaupt, das DU so einfach davon gekommen bist! Du warst schließlich auch dabei...", brummte Makotoko beleidigt.

"Undankbarer Flegel! Im Gegensatz zu EUCH hab ich mich nicht in einen unnützen Kampf gestürzt! Außerdem hat mich keiner gesehen, also kann man mir nichts nachweisen", antwortete sie.

"Na klar. Und außerdem hattest du schon mal was mit dem Vorsitzenden des Rats der dämonischen Regierung, stimmt's? Ich wette damit hast du ihn bestochen, der ist doch verheiratet!", meinte der Youkai neckisch.

"Haltet die Klappe!", fauchte sie daraufhin bissig.

"Hach, ist ja auch egal.... Aber sag mal, wie geht's jetzt eigentlich Anis? Wolltest du nicht zu ihr?" Er hatte bisher noch keine Gelegenheit bekommen, seine Schwester nach ihr zu fragen, weil er sich so sehr über die Nachricht von seiner Bestrafung aufgeregt hatte.

Mitsura seufzte auf einmal schwer. "Naja, sie hat halt ihre Kräfte zurück. Dummerweise scheint sie Sesshoumaru allein gelassen zu haben, kaum waren sie wieder im Mittelalter. Sie hat sich... sehr verändert."

"WIE BITTE? Der Typ hat sie allein gelassen?! Erst verfolgt er sie bis in eine andere Epoche, verlobt sich anschließend mit ihr und lässt sie dann einfach fallen wie eine heiße Kartoffel?! Und das, wo Anis jetzt ihre volle Kraft zurück hat?!" Makotoko war geradezu entsetzt.

"Ja, ich bin auch der Meinung, dass Sesshoumaru extrem lebensmüde sein muss“, murmelte Mitsura.

"Nicht nur lebensmüde! Ich kann mir vorstellen, dass sie ihm sehr viel schlimmere Sachen als den Tod antun könnte. Du weißt doch noch, was dieser Siegelheini damals gesagt hat? Alle seine Vorhersagen sind eingetroffen!" Unwillkürlich lief ihm ein Schauer über den Rücken.

Mit dem 'Siegelheini' meine Makotoko den Dämon, der damals die Kräfte der drei Geschwister gebannt hatte, damit sie sich unauffällig zwischen den Menschen bewegen konnten, bis sie alt genug waren, mit ihnen umzugehen. Er hatte vorausgesagt, dass sie sich nach der Rückverwandlung in einen Youkai grundlegend verändern würden. Mitsura beispielsweise war in ihrer Jugend einmal vergewaltigt worden und hatte seitdem eine panische Angst vor Männern gehabt. Und heute? Heute gehörte es zu ihrem Hobby, das andere Geschlecht zu verführen. Über Anis war etwas scheinbar ebenso Unglaubliches gesagt worden: Ihre Seele würde zu Eis werden und sie würde jedes Leid zurückgeben, das ihr jemand antun würde - ohne dafür bestraft werden zu können - bis sie ihre Macht auf einem Schlachtfeld voller Leichen fand.

Dazu musste man wissen, dass Anis schon immer ein eher friedliebendes Wesen war. Sie schätzte eine hübsche Blume mehr als einen kostbaren Dolch und war immer irgendwie aufgeschlossen gewesen. Ebenso war sie durchaus gewillt zu verzeihen, wenn sich jemand aufrichtig bei ihr entschuldigte. Des weiteren scherte sie sich meistens überhaupt nicht um Regeln und den Krieg hasste sie wie die Pest. Vielleicht hing das mit ihrer seltsamen Ernährungsweise zusammen - schließlich war sie Vegetarierin - aber sie verabscheute den Anblick von Leichen und wäre nie auf die Idee gekommen, über ein Schlachtfeld zu spazieren, geschweige denn an einem Kampf solchen Ausmaßes teilzunehmen.

Mitsura jedoch hatte ja beobachtet, wie ihre Schwester tatsächlich eine Wendung um hundertachtzig Grad gemacht hatte. Sesshoumaru hatte ihr ihr Herz gebrochen und das würde sie ihm sicher gleichtun - nur das sie wohl tatsächlich dieses lebenswichtige Organ zerstören und sich nicht an die Vorschriften dieser Redensart halten würde. Die Youkai erinnerte sich nur zu gut an die eisige Stimme ihrer Schwester, als sie sie weggeschickt hatte. Es würde sie wirklich nicht wundern, sollte sie Sesshoumaru bei ihrem nächsten Treffen erledigen wollen. Immerhin - bis dahin konnten noch Jahre vergehen. Jahre, in denen Anis mit Sicherheit anfangen würde, Sesshoumaru zu hassen, auch wenn das jetzt noch anders aussehen mochte.

"Weißt du wenigstens, was sie im Moment macht oder was sie vor hat?", fragte Makotoko erschöpft.

"Nun ja, so wie ich das sehe, wird sie erst einmal ihre alten Waffen trainieren. Ihr wisst - sie war von uns immer Diejenige, die in Sachen Magie am meisten Talent hatte", erwiderte sie.

"Na ja, in Ordnung, dann wird sie ja jetzt wahrscheinlich allein zurecht kommen. Ich würd ja gern zu ihr gehen, aber ich denke, sie würde mich im Moment nicht sonderlich herzlich begrüßen...", murmelte Makotoko.

"Würde sie garantiert nicht. Sie hat anscheinend wirklich vor, ein vollkommen neues Leben dort zu beginnen. Sie hat sich sogar einen neuen Namen gegeben: Kuraifaia", antwortete die Youkai.

"Tatsächlich? Na gut, Stil hatte sie schon immer. Entweder ganz oder gar nicht. - Na dann lass uns mal gehen." Er stand auf und machte Anstalten, den Raum zu verlassen. Sein Hund sprang von den Wissen und gesellte sich an seine Seite.

"Moment mal - Wo wollt ihr denn hin?", wollte sie verdutzt wissen.

"Na hör mal! Selbst wenn sie uns nicht sehen will, wir können sie ja trotzdem nicht allein da lassen. Zur Not schleusen wir uns eben auch undercover ein, darin haben wir ja schon Übung. Ich wette, nicht einmal Sesshoumaru würde uns wiedererkennen, wenn wir es nicht wollen", meinte er nur.

"Aber... Wir können doch hier nicht weg...", startete Mitsura einen Versuch.

"Wieso nicht? Unsere Eltern werden sicher nichts dagegen haben, die sagen sowieso immer, ich soll endlich ausziehen und mir ne' Gefährtin suchen. Ich werd ihnen einfach sagen, dass ich das genauso gut im Mittelalter machen kann... Und du brauchst auch endlich einen Ehemann!", fügte er hinzu.

"Na klar, die werden uns auch gerade glauben, dass alle ihre Kinder in der kriegerischen Epoche auf Brautschau gehen! Abgesehen davon meinte ich eigentlich, dass wir noch nicht SOFORT los gehen können. - Ich hätte ja um ehrlich zu sein auch nichts dagegen wieder zurück zu gehen, schon allein weil das Leben hier so langweilig ist. Ich würde mich dir schon anschließen, solange du nicht unbedingt darauf bestehst, dass wir zu Anis müssen... Die ist mir in letzter Zeit einfach zu unheimlich", erzählte sie.

"Ach komm, sie ist und bleibt unsere Schwester! Aber wir sollten ihr tatsächlich erst einmal etwas Ruhe gönnen und uns im Mittelalter einleben... - Aber sag mal, wie meinst du das von wegen, wir können nicht SOFORT zurück?", fragte er misstrauisch.

Die Antwort kam umgehend und mit einem äußerst gemeinem Grinsen: "Naja, ihr müsst doch noch eure fünf Wochen abarbeiten..."
 

*
 

Alle Vögel waren verstummt oder geflohen, kein Blättchen regte sich im Wald. Die Tiere hatten sich allesamt verkrochen und das auch aus gutem Grund - sie spürten die Dämonen.

Yoku Shinsetsuna und Kamu waren zwei Inuyoukai. Sie waren von ihrem Rudel ausgeschickt worden, um zu jagen. Diese Aufgabe hatten sie bereits erfüllt, nun waren sie unterwegs zum Fluss, um sich das Blut von den Händen zu waschen. Ihr Rudelführer Rakuna würde dafür sorgen, dass das Essen bald fertig war. Natürlich brauchten die beiden höchst selten selbst etwas zu sich zu nehmen - das Wildschwein, das sie als Beute gebracht hatten, war für ihre Hunde. Das waren ganz normale Tiere - wenn man von der Vorliebe für Menschenfleisch absah - die das Rudel ständig begleiteten und die natürlich auch versorgt werden mussten. Yoku Shinsetsuna und Kamu waren mehr als froh, heute auf die Jagt gegangen sein zu dürfen, denn das hieß, dass sie die Beute nicht in mühsamer Kleinstarbeit auseinander nehmen und haltbar verpacken brauchten - das konnten jetzt ihre Kollegen machen.

"Was meinst du, Kamu, wird Rakuna diesmal am Schloss haltmachen oder einfach zum nächsten Stützpunkt weiterziehen?", fragte Yoku Shinsetsuna seinen Gefährten, während er seine krallenbewehrten Hände in das eisige Wasser hielt.

"Woher soll ich das wissen?! Kannst du nicht mal deine Klappe halten?!", fauchte der Angesprochene unwirsch.

Yoku Shinsetsuna bedachte das nur mit einem amüsierten Lächeln. Kamu schien immer irgendeine Laus über die Leber gelaufen zu sein. Wäre er nicht so ein starker Krieger, hätte er mit seiner Unhöflichkeit sicher schon ernsthafte Probleme bekommen.

Kamu konnte den anderen einfach nicht leiden. Sie waren beide völlig verschieden, das fing schon beim Aussehen an: Er selbst hatte halblange, dunkle Haare, die schon als grün durchgehen konnten. Seine Augen waren violett, beinahe rot und seine Miene war immer irgendwie verbittert - vielleicht hing das damit zusammen, dass er seine Frau und die Welpen schon kurz nach deren Geburt verloren hatte. Wie alle Inuyoukai seines Rudels trug er eine stabile Rüstung, die eng am Körper anlag und darüber einen weiten Ledermantel, dessen Material sehr schnell zerriss. Das hatte zwei Vorteile: Erstens erkannte man ihn so nicht sofort als Krieger und zweitens war das obere Kleidungsstück zwar imposant wenn er sich schnell bewegte, aber er konnte damit nirgendwo hängen bleiben, beziehungsweise sich schnell losreißen. Ihr Rudelführer war der Einzige, der solche Kleidung nicht trug, er war ein zu guter Krieger und benötigte keine Rüstung.

Yoku Shinsetsuna war genauso gekleidet, doch sein Mantel war weitaus besser in Stand gehalten. Sowohl seine Haare als auch seine Augen waren violett, aber er wirkte bei weitem nicht so bedrohlich wie Kamu. Tatsächlich war er eher von sanftmütigem Wesen und dachte erst fünfmal darüber nach, bevor er einen Kampf begann - während der neben ihm stehende Youkai da schon fünf Kämpfe beendet hatte. Auch war er noch sehr viel jünger als Kamu, hatte noch nicht so viel Erfahrung.

Außer einem einfachen Schwert hatten die beiden keine Waffen bei sich, ihre Klauen genügten da vollkommen. Davon abgesehen gaben sie sich keine Mühe, ihr Youki zu unterdrücken, so dass jeder Depp sie als einen Hundedämon des Südens erkennen würde. Bei den Inuyoukai war ihr Land zusammen mit dem Westen das stärkste Reich und niemand würde es grundlos wagen, sie anzugreifen, oder sich überhaupt in ihr Territorium zu begeben.

Andererseits war gerade hier die Grenze vom nördlichem zum südlichem Reich und so sahen sich die beiden lieber einmal mehr um, als zu wenig. Zwar stand der Norden in dem schlechten Ruf, ziemlich laxe Sicherheitsvorkehrungen zu haben, aber sicher war sicher. Zudem waren sie ja auch eines der Grenzrudel, eine der vielen Truppen, die an den Übergängen entlangwanderten und Acht gaben, das keine fremden Hundeyoukai in ihr Land kamen. Innerhalb eines Jahres umrundeten sie das gesamte Reich und trafen manchmal auch auf andere Rudel des Südclans. So kamen sie auch nur selten an dem Schloss der Inuyoukai vorbei, in dem ihr Fürst Ninushu Omaru lebte. Dort brachte man alle Welpen hin, sobald sie einigermaßen auf eigenen Beinen stehen konnten, damit sie dort ausgebildet wurden. Da Dämonen nur sehr selten Nachwuchs bekamen, waren immer nur etwa zehn oder zwanzig Schüler dort. Dazu kam natürlich noch, dass einige Eltern es sich nicht nehmen ließen, ihre Sprösslinge selbst zu unterrichten. So war das Schloss eigentlich nur noch der Sitz der Herrscherfamilie, in ihm wurden alle wichtigen Entscheidungen getroffen, die alle Inuyoukai des Südens betrafen. Gerade jetzt, wo die Zeiten so unruhig waren, hoffte Yoku Shinsetsuna, dass sie dort einmal halt machen würden. Vielleicht könnte man einige Gerüchte aufschnappen, wie die nähere Zukunft aussehen mochte. Natürlich war es gut möglich, dass sich Rakuna dazu entschied, den Sitz der Herrschaftsfamilie zu meiden und gleich weiter zum nächsten Stützpunkt zu reisen. Entlang der Grenze waren nämlich immer wieder magische Lager versteckt, die die Rudel nutzen konnten. Erst neulich waren sie einem anderen Inu-Rudel begegnet und hatten neuste Nachrichten ausgetauscht. So bräuchten sie keinen Bericht abstatten, es wäre nicht nötig, zum Schloss zu gehen, aber dennoch...

"Hey, Yoku Shinsetsuna. Meinst du... Meinst du, es wird wieder Krieg geben?", fragte Kamu auf einmal. Sein Blick war starr auf das Wasser gerichtet, doch der Youkai verstand, was in ihm vorging. Seine Gefährtin war in einer Art Gemetzel gegen einen feindlichen Hundestamm gefallen.

"Ich weiß es nicht... Aber wenn ja, dann werden wir gewinnen", antwortete er optimistisch.

"Wie kannst du dir da so sicher sein?", knurrte er bissig.

"Na, sie haben keinen Führer! Wir Hunde haben nunmal eine strikte Rangordnung und wenn der Führer fehlt... Dann sind wir halt kopflos", erwiderte er gutgelaunt.

Kamu schüttelte den Kopf. "Mag ja sein, dass der Westen keinen Fürst hat, aber Ninushu Omaru ist zu alt für den Krieg und sein Sohn ist zu jung. Keine gute Mischung...", murmelte er.

"Hey, soll das etwa heißen, dass du Schiss hast, gegen ein paar Westler anzutreten?!", sagte Yoku Shinsetsuna herausfordernd.

"Unsinn! Aber machst du dir nicht auch Sorgen wegen der Sache mit Keisushiro?", kam die Antwort.

"Hm...", machte Angesprochener bloß. Keisushiro war der Erbe des Südens, aber zwischen ihm und seinem Vater sollte es angeblich überhaupt nicht gut laufen. Es gab sogar Gerüchte, der Jüngere wollte den Fürsten vom Thron stürzen. Solche Unstimmigkeit war natürlich gar nicht gut für den Krieg und die Mutivation der Inuyoukai.

"Das ist Politik, so etwas ist mir zu hoch. Lass uns lieber zum Rudel zurück gehen, sonst glauben die noch, wir hätten uns unterwegs verlaufen!", beendete er das Thema scherzhaft.

Kamu gab ihm einen schmerzhaften Knuff in den Arm, doch dann stand er auf.
 

Die beiden waren kaum zehn Schritte gegangen, da blieb der Ältere auch schon stehen.

"YoSet, riechst du das auch?", fragte er misstrauisch.

Yoku Shinsetsuna blieb stehen, er konnte es zwar nicht so gut leiden, wenn ihn jemand mit dem Spitznamen 'YoSet' ansprach, aber er sah darüber hinweg und prüfte stattdessen den Wind etwas genauer.

"Das... Das riecht nach einem von uns... und dann auch wieder nicht...", murmelte er verwirrt.

Kaumu nickte. "Es riecht nach Inuyoukai, aber ich kann ihn oder sie weder einem Clan zuordnen, noch ist auch nur die kleinste Spur Youki wahrzunehmen..."

"Entweder ist da jemand schwer verletzt, oder besonders stark, wenn er sein Youki vollständig unterdrücken kann", erwiderte Yoku Shinsetsuna.

"Quatsch, wir haben keine Kampfgeräusche gehört und Blut ist auch keines zu riechen. Komm YoSet, lass uns der Sache auf den Grund gehen." Kamu wandte sich bereits um und machte Anstalten, in die entgegengesetzte Richtung zu gehen, doch der Dämon widersprach: "Sollten wir nicht erst Rakuna Bescheid sagen? Nachher schickt er noch einen Suchtrupp los..."

"Blödsinn! Die Sache geht schnell, wenn es zu gefährlich wird, können wir immer noch Verstärkung holen."

Yoku Shinsetsuna warf sehnsüchtig einen Blick in die Richtung, in der er sein Rudel wahrnehmen konnte, doch dann folgte er dem Anderen seufzend. Hoffentlich brachte das keinen Ärger mit sich.
 

Kuraifaia saß mit geschlossenen Augen unter einer dicken Eiche und beobachtete die Auren der Pflanzen. Ihr Atem ging ruhig und gleichmäßig, sie war vollkommen entspannt. Die beiden näher kommenden Inuyoukai erahnte sie bereits, hatte ihren Geruch in der Nase, aber sie rührte sich dennoch nicht vom Fleck. Es war schließlich gut möglich, dass die beiden einfach an ihr vorbei gehen würden. Sie selbst hatte im Moment jedenfalls überhaupt keine Lust auf einen Kampf, da sie die letzten vier Stunden damit zugebracht hatte, ihre Krallentechnik zu verbessern. Zwar könnte man nicht behaupten, dass sie erschöpft wäre, aber ein wenig Erholung täte ihr schon mal ganz gut.

Zwischen dem matten Grün der Büsche sah Kuraifaia schon bald zwei Gestalten, die eine eher orange - was auf Zweifel und Vorsicht schließen ließ - die andere mehr braun; dieser Youkai hatte wohl nicht übel Lust auf einen Kampf. Für ihre Aurasicht leuchteten ihre Emotionen und Gefühle wie ein Leuchtfeuer durch die Gegend und ihr war klar, das die beiden zumindest erst einmal überprüfen würden, ob sie eine Gefahr für sie darstellen würde.
 

*
 

Auf dem westlichem Schloss...

"Komm herein!", hallte eine bekannte Stimme aus dem Raum.

Nagai schob die Tür zur Seite und trat ein. Sein Zwillingsbruder Jijuuna Tori und Aoi Yuki waren bereits anwesend, genau wie der Lord selbst. Obwohl man ihn davon unterrichtet hatte, war er für einen Moment überrascht. Dann jedoch fasste er sich wieder, verbeugte sich einmal tief und wartete auf Sesshoumarus Zeichen, dass er sich setzen dürfte. Dieser erteilte es und Nagai ging auf die drei Dämonen zu. Sie saßen an dem riesigen, runden Tisch in der Mitte des sonst leeren Saales, an der Stelle wo normalerweise der Rat seine Beschlüsse besprach. Der Lord hatte seine Rüstung abgelegt, doch die beiden Schwerter trug er nach wie vor - wäre dies hier nicht sein eigenes Schloss, wäre das als eine große Unhöflichkeit angesehen worden.

Rechts von ihm saß Aoi Yuki, er trug einen kostbaren blauen Kimono mit verschiedenen Verzierungen, die seinen Rang kennzeichneten. Seine hellen, blauen Augen riefen den Anschein der Entspanntheit hervor, aber das war nur Täuschung.

Zu seiner Rechten hatte Jijuuna Tori Platz genommen, seine Kleidung war wie immer in weiß und grün gehalten, passend zu seinen smaragtfarbenden Augen. Man könnte ihn durchaus als gutaussehend bezeichnen, wäre sein eines Ohr nicht fast vollkommen zerrissen. Hören konnte er damit zwar noch wunderbar, aber schön war es sicher nicht.

Nagai hatte nicht besonders viel Ähnlichkeit mit seinem Bruder, er war einen halben Kopf größer, seine weißen Haare waren glatter, seine Augen gelb und seine Ohren noch heil. Vom Charakter jedoch waren die beiden fast gleich, wenn man von einem Unterschied absah: Jijuuna Tori liebte exotische Vögel, er schmückte seine Pfeile am liebsten mit den schönsten Federn. Nagai jedoch war eher von Schlangen und anderen Reptilien fasziniert.

Wie die meisten anderen Inuyoukai im Westen auch hatten die vier alle weiße Haare.

"Jetzt wo wir alle da sind, können wir ja anfangen. Jijuuna Tori, fängst du bitte mit der Wirtschaft an...?", sagte Aoi Yuki.

"Ja... Nun, die Menschendörfer, aus denen wir Abgaben ziehen, klagen über zu hohe Steuern. Es wurden in letzter Zeit wohl viel mehr von ihnen von Dämonen überfallen als üblich. Da sie Schutzgeld an uns zahlen, haben sie sich an uns gewandt... Wir haben einige Youkai befragt, was das zu bedeuten hat und sie sagten immer, das hinge mit einem magischem Juwel zusammen..." Auf eine Handbewegung Sesshoumarus hin verstummte der Dämon.

"Dieses Juwel existiert nicht mehr. Die niederen Youkai werden sich sicher bald wieder beruhigen. Wenn nicht, werden wir sie eben davon in Kenntnis setzen, was wir zu tun pflegen, wenn unser Eigentum beschädigt wird. Abgesehen davon hegen wir nicht die Absicht, einen Youkaikrieg zwischen den Hunden und den anderen Rassen anzufangen, nur wegen ein paar mickrigen Menschen...", bestimmte er.

"In Ordnung, dann hätten wir diesen Punkt fertig. - Die Finanzen im Westen sehen ganz gut aus, allerdings gab es in den Diamantmienen am Yamagatagibirge immer häufiger mysteriöse Todesfälle, die Arbeiter weigern sich, dort weiter zu graben. Ich habe mich erkundigt und hörte, dass aus dem Gestein manchmal giftige Gase austreten, die für die menschlichen Arbeiter schädlich sind", fuhr der Dämon mit dem zerrissenem Ohr fort.

"Aber ist ist natürlich unmöglich, Dämonen dort hin zu schicken. Gasmasken helfen auch nichts. Wenn wir nicht bald etwas unternehmen, dann schnappt sich ein anderer Youkaistamm die Mienen", meinte Nagai.

Sesshoumaru schwieg und überlegte kurz. Das letzte Mal war er im Yamagatagebrigte gewesen kurz nachdem Naraku erledigt war. Anis wollte sich dort... nein, nicht daran denken. Jedenfalls waren die Berge dort nicht sehr breit, eher hoch. Wenn die Menschen nun nicht bemerkten, wann diese Gase austraten... Nun, man bräuchte eine Art Anzeiger...

Sein Blick streifte Jijuuna Tori und da fiel ihm eine Idee ein..

"Die Arbeiter sollen kleine Käfige mit Tieren drin mitnehmen, am besten Vögel. Wenn die aufhören zu singen, beziehungsweise sterben, dann wissen sie, dass ein solches Gast in der Luft ist und können den Berg verlassen, bevor sie selbst dort sterben", schlug er vor.

"Das... Das wäre eine Möglichkeit, ja... Ich werde dafür sorgen, dass sie so handeln..." Aoi Yuki machte sich einige Notizen auf einem Blatt Papier, das er dabei hatte.

"War das dann alles?", fragte Sesshoumaru und sehnte sich bereits wieder in die freie Natur zurück.

"Nun, nicht ganz, mein Lord...", kam es vorsichtig von Nagai.

"Was denn noch?", fragte er geradezu genervt.

"Nun... An den Grenzen gibt es Unruhen. Immer häufiger treten Überfälle auf die Grenzrudel auf", antwortete der Youkai zögernd. Nun wurde Sesshoumaru tatsächlich hellhörig. Überfälle auf die Grenzrudel? Das waren meist nicht gerade schwache Dämonen. Wer sollte sie angreifen?

"Was hat das zu bedeuten? An welcher Grenze tritt dies auf?", fragte er scharf.

"An der Grenze der südlichen Länder. Wir... Wir befürchten, Ninushu Omaru könnte uns herausfordern", erwiderte Nagai mit eingezogenem Kopf.

Der Daiyoukai jedoch reagierte vollkommen anders als erwartet: Er lehnte sich entspannt zurück und schloss die Augen. Für einen Moment befürchtete der Dämon, ihr Herr würde gleich aufspringen und sie alle töten dafür, das sie zugelassen hatten, dass ein anderer Fürst so dreist wurde sie herausfordern zu wollen. Danach sah es allerdings nicht aus.

"Ninushu Omaru sucht also Streit, ja? Den kann er gerne haben... Dieser alte Greis bildet sich verdammt viel ein. Wie kommt er überhaupt auf diese schwachsinnige Idee?! Der Süden ist mit uns bisher immer gut klar gekommen...", murmelte Sesshoumaru mehr zu sich selbst als zu den Anwesenden. Natürlich war ein Krieg nie wirklich gut, aber in diesem Fall könnte er vielleicht helfen, ihn von Anis abzulenken.

"Nun, wahrscheinlich will er sein Reich vergrößern. Wir wissen nicht genau, warum er das gerade jetzt tut, wir hörten, er sei nicht gerade bei bester Gesundheit und er ist ja auch nicht mehr der Jüngste. Doch er hat bereits eine Erben und es ist gut möglich, dass er für diesen den Weg ebnen will. Wenn er den Westen durch einen Krieg schwächt, können wir Keisushiro, den neue Fürsten, nicht mehr herausforden. Sonst wäre es ein leichtes, den Süden zu erobern", erklärte Jijuuna Tori.

Sesshumaru runzelte die Stirn. "Mein verehrter Vater hatte eine Pakt mit dem Süden, sie haben nie Anstalten gemacht uns anzugreifen."

"Nun, das ist so: Euer Ruf eilt euch weit voraus. Wenn es soweit ist, wird es Zeit, den anderen Fürsten eure Macht zu demonstrieren. Ninushu Omaru weiß, dass ihr... nun, anders als euer Herr Vater seid. Er wird befürchten, dass ihr ihn herausfordert, oder zumindest seinen Nachfolger. Neue Fürsten haben es in der Politik zu Anfang immer recht schwer... Sicher fürchtete der Fürst des Südens, dass ihr Keisushiro herausfordern werdet, oder vielleicht hegt dieser seinerseits sogar diesen Wunsch. Deswegen will er den Westen durch einen Krieg schwächen, solange er noch Zeit und Mittel dazu hat, damit wir sie in näherer Zukunft nicht mehr angreifen können. Somit müsste auch Keisushiro keinen erneuten Krieg beginnen. Und - mit Verlaub, mein Lord - solange ihr euch keine Gefährtin holt und somit zum Fürstenrang aufsteigt, erscheint der Westen wahrhaft verletzlich. Ninushu Omaru hätte sich keinen besseren Zeitpunkt für einen Krieg aussuchen können", erwiderte Aoi Yuki und Sesshoumaru hörte schon wieder diesen versteckten Vorwurf heraus. Aber er würde gewiss nicht heiraten, das kam überhaupt nicht in Frage.

"Westen und Süden sind schon seit langer Zeit gleich stark. Ich bin sicher, dass wir sie schlagen können", meinte er nur emotionslos.

"Mein Herr, ihr wollt es tatsächlich auf einen Krieg ankommen lassen? Meint ihr nicht, wir sollten uns erst einmal auf Verhandlungen einigen? Vielleicht gibt es eine friedliche Lösung." Jijuuna Tori war gar nicht wohl bei der Sache. Eigentlich war es klar gewesen, dass der Lord schwer zu überzeugen war, aber das er so auf den Kampf fixiert war...

"Nun, wir werden garantiert nicht zu den südlichen Kötern rennen und uns bei ihnen beschweren. Wir sollten zuerst die Grenzposten weiter verstärken, jeder Überfall soll gerächt werden. Sollte sich diese Sache nicht von allein erledigen, geben wir eine Kriegserklärung raus. Ninushu Omaru wird feststellen müssen, dass er sich mit den Falschen angelegt hat...", meinte der Daiyoukai kalt.

"Aber mein Herr -"

"Ich will nichts mehr hören! Die Sache ist hiermit abgeschlossen! - Nagai, schick einen Boten aus, ich will mit Chikara sprechen." Mit diesen Worten erhob sich Sesshoumaru, kurz nach ihm auch die Ratsmitglieder. Aoi Yuki, Nagai und Jijuuna Tori verneigten sich kurz, ehe der Lord den Raum verließ.

Die Zwillinge ließen sich seufzend wieder nieder. Das Gespräch war alles andere als gut verlaufen: In Kürze würden sie vielleicht einen Krieg am Hals haben!

"Der Lord ist noch sehr unerfahren... Man hätte es vielleicht auf friedliche Art lösen können. Möglicherweise ist alles nur ein Missverständnis...", murmelte Aoi Yuki.

"Ja, aber jetzt können wir auch nichts mehr machen. Befehl ist Befehl und wir müssen gehorchen", sagte Jijuuna Tori.

"Andererseits wird der Herr auf Seiten des Volkes sicher große Unterstützung erhalten. Der letzte große Krieg gegen die Katzen ist schon eine ganze Weile her, viele junge Kämpfer warten darauf, sich im Krieg beweisen zu können", gab Nagai zu bedecken.

"Sie werden alle gemeinsam ins Unglück stürzen... Ninushu Omaru ist zu erfahren, der Süden hätte gute Chancen, uns zu besiegen. Wir könnten ihnen sicher eine Zeit lang standhalten, vielleicht könnten wir sie sogar abwehren. Aber siegen könnten wir nicht...", murmelte Aoi Yuki.

"Ich bin der selben Meinung. - Aber lass das ja nicht Lord Sesshoumaru hören. Er scheint sich selbst ein wenig abreagieren zu müssen. Ich frage mich, ob auf seiner Reise irgendetwas passiert ist." Nagai stand auf. "Wir sollten seine Befehle weitergeben."

Jijuuna Tori nickte zustimmend und erhob sich ebenfalls wieder. Während die drei Youkai voller Sorgen den Ratssaal verließen, bedauerten sie alle mehr denn je das Ableben des Inu no Taishu. Jetzt hätten sie ihn gut gebrauchen können, war er doch schon immer der Einzige gewesen, der Sesshoumaru hatte im Zaum halten können.

Was geht ab im Süden?

Öhm, ja... Ich meld mich dann auch mal wieder.

Also, einige haben sich ja Sorgen um Anis gemacht, ob sie sich denn nun so verändert und so. Dazu muss man sagen, das sich sowohl sie als auch Sess ziemlich sicher sind, den jeweils anderen so schnell nicht wieder zu sehen. Deshalb versuchen beide, ihre Gefühle zueinander zu vergessen.

Deshalb - nicht enttäuscht sein - gibt es auch wenig Romantik in diesem Kapitel. Die beiden denken selten aneinander, so gut wie gar nicht, eigentlich. Allerdings muss man bedenken, das dieses kapitel nur einen einzigen tag beschreibt, ja? Hat also nichts zu sagen.
 

XxX
 

Die beiden Gestalten hatten sich bisher noch nicht bewegt, genauso wenig wie Kuraifaia. Noch immer beobachtete sie sie mit geschlossenen Augen durch ihre Aurasicht. Sie blieb auch völlig ruhig, als der eine Youkai plötzlich näher kam.

"Kamu, was soll das?!", zischte eine männliche Stimme und der zweite Dämon wollte den ersten aufhalten.

"Reg dich ab! Die schläft ganz eindeutig, wir können sie uns mal aus der Nähe ansehen", meinte dieser und zu dem Braun, in dem seine Gestalt für Kuraifaia leuchtete, kam eine Spur von blau hinzu, was dieser überhaupt nicht gefiel. Der Mann, der mit Kamu angesprochen worden war, trat nun vollkommen aus seiner Deckung heraus. Die Youkai bemühte sich, ihre ruhige Atmung beizubehalten, während sie durch ihre geschlossenen Augenlider hindurch das Farbenspiel der braun-blauen Gestalt (zu der sich jetzt noch etwas Grün gemischt hatte) beobachtete, die immer näher kam. Doch dann blieb er plötzlich stehen, wich sogar einige Schritte zurück.

"Yoku Shinsetsuna, das ist eine Dämonin!"

"Tatsächlich? - Ja, du hast Recht. Aber sie ist weder tot noch verwundet, wieso schläft sie dann?", antwortete der zweite Dämon, der jetzt zu Kamu trat. Kuraifaia beschloss, die beiden noch ein wenig im Dunklem tappen zu lassen. Solange sie sie nicht direkt ansprachen, musste sie ja auch nichts sagen.

"Vielleicht hat sie einen heftigen, magischen Kampf hinter sich. Ich kann überhaupt kein Youki bei ihr spüren", fuhr Yoku Shinsetsuna fort.

"Möglicherweise ist sie aber auch einfach nur enorm stark, und ist in der Lage, ihre dämonische Energie vollkommen zu unterdrücken. So etwas soll es ja geben...", murmelte Kamu.

"Meinst du? In diesem Fall ist es aber sehr unwahrscheinlich, dass sie wirklich schläft... Vielleicht sollten wir sie einfach mal ansprechen?" Wow, da denkt jemand mit, dachte sich Kuraifaia sarkastisch.

"Blödsinn, das - Hey, warte mal!" Doch der Andere war bereits einige Schritte vorgetreten, stand jetzt direkt vor der Youkai und sagte:

"Hey, aufwachen! Wir wollen mit dir reden."

Kuraifaia hielt die Augen geschlossen, antwortete jedoch trotzdem: "Ich höre." Belustigt sah sie, wie sich die Gestalt ihres Gegenübers violett färbte, ein deutliches Zeichen für Verblüffung.

"Sag mal, warst du etwa die ganze Zeit wach?!", knurrte Kamu aufgebracht.

"Sicher", antwortete Kuraifaia gleichgültig. Sie sah die Aggression des Einen genau vor sich und erhob sich langsam. Vorsichtig trat sie einen Schritt zur Seite, um nicht den Baum im Rücken zu haben, doch ihre Augen waren noch immer entspannt geschlossen. Dennoch war ihr Gesicht den beiden Youkai direkt zugewandt.

"Wer zum Teufel bist du?!", knurrte Kamu aufgebracht.

"Mein Name ist Kuraifaia", erwiderte sie ruhig.

Da schob sich plötzlich der zweite Youkai vor Kamu und meinte entschuldigend: "Verzeih bitte sein Verhalten, wir haben nur ein paar Fragen an dich. Du bist eine Inuyoukai, nicht wahr? Kommst du aus dem Westen?" Kuraifaia wandte sich ihm zu und konnte seine Angespanntheit, seine Vorsicht erkennen. Waren Westen und Süden verfeindet? Der Knochenfressende Brunnen lag westlich von hier, ja, aber...

"Nein. Ich komme vom Kontinent", erwiderte sie, ohne das es falsch war. 'Vom Kontinent' bedeutete bei den Japanern meist China oder das Festland allgemein und grundsätzlich falsch war ihre Aussage damit nicht. Schließlich hatte sie einen Großteil ihres Lebens in Frankreich verbracht und das lag eben auf einem Kontinent, auf dem Festland. Dass es ein anderer Kontinent war, als die Youkai es sich jetzt vorstellen würden, dafür konnte sie ja nichts. Eine waschechte Inuyoukai war sie zwar auch nicht, da ihre Mutter eher zu der Familie der Schakale gehört hatte, aber das diese Dämonen das einfach mal so hübsch festgelegt hatten, kam ihr natürlich ziemlich gelegen. Kuraifaia konnte die Erleichterung, die auf ihre Worte folgten, in ihrer Aura erkennen, doch der Andere war anscheinend noch misstrauisch.

„Wieso siehst du uns nicht an, wenn wir mit dir sprechen?!", fauchte er ungehalten.

"Weil ich meine Augen nicht öffnen möchte", antwortete die junge Frau sachlich.

"Und warum willst du das nicht tun?", meldete sich nun wieder Yoku Shinsetsuna zu Wort.

Kuraifaia hatte überhaupt nicht vor, einem wildfremdem Youkai ihre Fähigkeiten unter die überempfindliche Nase zu reiben, also erwiderte sie nur:

"Weil ich keinen Grund erkennen kann, warum ich mich näher mit eurer materiellen Existens beschäftigen sollte." Die beiden Männer verstanden dank ihres mittelalterlichen Wissenstandes diese hochgestochenen Begriffe überhaupt nicht - was genau das war, was Kuraifaia beabsichtigt hatte - und der Agressivere von beiden drohte sofort wieder in die Luft zu gehen:

"Sag mal, willst du uns verarschen?!"

Die junge Frau hörte nur mit halbem Ohre zu, schon seit einiger Zeit spürte sie einen dritten Youkai und der war nicht gerade schwach. Möglicherweise sogar ein echter Gegner für sie selbst, würde er sich mit den beiden Exemplaren vor ihrer Nase zusammentun. Sie selbst konnte mit ihren Kräften ja auch noch nicht perfekt umgehen. Dem Geruch zufolge war auch dies ein Hundedämon. Bald würde er da sein... Aber sie musste sich sich erst einmal um das Hier und Jetzt kümmern. Vielleicht war es ja auch gar kein Feind.

Also wandte sie sich wieder Kamu zu.

"Nun, es tut mir aufrichtig Leid-", sie verzog sarkastisch die Mundwinkel, doch das Lächeln erreichte ihre Augen nicht, "-das du mich falsch verstanden hast, aber es lag nicht in meiner Absicht, dass du dich... - Wie sagtest du so schön? - VERARSCHT fühlst."

Damit hatte sie den Youkai vor ihr jetzt erfolgreich zum Kochen gebracht.

"Du kleines...", knurrte er drohend und war schon kurz davor sich auf sie zu stürzen, wurde jedoch im letzten Moment von Yoku Shinsetsuna zurückgehalten.

"Kamu, du willst doch nicht etwa eine unbewaffnete, wehrlose Dämonin ohne Youki angreifen, die noch dazu nicht das Geringste sehen kann!?" Diese Worte amüsierten Kuraifaia schon fast, denn schließlich passte diese Beschreibung nicht wirklich haargenau auf ihre Person...

"Es ist mir vollkommen egal, ob sie hilflos ist oder nicht! Wie kann sie es wagen, uns so furchtlos und provozierend gegenüber zu stehen?!", fauchte der Inuyoukai und riss sich von ihm los.

Kuraifaia spannte sich an, doch weniger wegen dem Youkai mit dem grün-schwarzen Haaren vor ihr, sondern eher wegen der leicht unterdrückten Aura HINTER ihr, deren Besitzer anscheinend im gleichen Moment auf sie zu gesprungen war wie der rasende Dämon.

Eben wollte sie beiden mit einem Sprung nach oben ausweichen, doch der Neuankömmling erwies sich als erstaunlich schnell und ehe sie zu einer Handlung fähig war, spürte sie sich grob am Arm gepackt und aus der Angriffsbahn Kamu's befördert. Die Youkai, einen weiteren Angriff erwartend wollte sich losmachen und holte noch in der gleichen Bewegung aus, um dem Fremden einen heftigen Schlag zu versetzen, da wurde sie jedoch schon losgelassen.

Ohne große Mühe fing sie diese überraschend kommende Mischung aus Flug und Sturz ab und landete sicher auf beiden Beinen. Alle ihre Gegner befanden sich jetzt vor ihr und sie konnte die dritte Aura klar erkennen. Deren Farben waren erstaunlich ruhig und gelassen, beinahe amüsiert. Aber auch Interesse und ein wenig unterdrückten Zorn konnte sie erkennen. Kurz versuchte sie diesen männlichen Youkai nach Dämonenart abzuschätzen: War er schädlich, nützlich oder einfach für sie nutzlos?

Doch nachdem der Dämon sie kurz betrachtet hatte, wandte er sich schnell wieder von ihr ab und den beiden anderen Youkai zu. In deren Auren mischte sich sofort so etwas wie... Zerknirschtheit und Respekt. War der Neue etwa ihr Anführer?

"Kamu, Yoku Shinsetsuna, was treibt ihr hier? Ihr solltet schon längst zurück sein!", sagte der Fremde streng.

"Wir waren... abgelenkt", sagte der Zweitgenannte.

"Tatsächlich? Würdet ihr dann bitte das nächste Mal die Güte haben, euch abzumelden, bevor ihr euch vergnügen geht?", fragte er mit unterdrücktem Zorn.

Kuraifaia währenddessen dachte, sie höre nicht richtig. Vergnügen?! Meinte dieser Mistkerl etwa das, was sie meinte, das er meinte? Dann konnte er sich auf etwas gefasst machen!

Jedoch hatte sie bei ihm nicht dieses lüsternde Blau in der Aura gesehen, als er sie gemustert hatte.

"Es wird nicht wieder vorkommen, Rakuna", versicherten die beiden Dämonen einstimmig.

Rakuna, so so. Schön das sie jetzt schon mal seinen Namen wusste. Die Frage war aber immer noch, ob das ein neuer Feind war oder nicht. War das eben kein Angriff gewesen, sondern hatte er sie aus Kamu's Schussbahn holen wollen? Das hätte sie aber auch allein gekonnt...

Rakuna währenddessen hatte wohl mit seinen 'Untergebenden' abgeschlossen und wandte sich nun wieder ihr zu. Kuraifaia konnte in seiner Aura keinerlei feindliche Absichten erkennen, aber dennoch war sie etwas verunsichert. Er kam näher und noch immer war Gleichgültigkeit das Gefühl in ihm, das überwiegte.

Die junge Frau sah, dass ihr ihre Aurasicht jetzt nichts mehr nutzte. Aus seiner Mimik würde sie hoffentlich mehr lesen können. Also öffnete sie die Augen.
 

Rakuna hielt inne. Er hatte sich schon die ganze Zeit gefragt, warum diese Youkai ihre Augen geschlossen hielt. War sie vielleicht blind? Doch nein, als sie jetzt die Lider anhob und ihn mit ihren graubraunen Iriden ansah, in denen immer wieder gelbe Sprenkel zu sehen waren, war ihr Blick aufmerksam und durchleuchtend. Solche Augen hatte er noch nie gesehen.

"Und nun zu dir... Was macht eine so wunderschöne junge Youkai wie du so allein in dieser gefährlichen Gegend?" Er gab seiner Stimme einen halb verführerischen, halb sarkastischen Klang. In Wirklichkeit aber war er achtsam. Diese Dämonin trug zwar keinerlei sichtbare Waffen bei sich, hatte keine Rüstung an und wirkte auch sonst eher wehrlos. Zudem war sie in einen kostbaren Kimono gekleidet, der darauf schließen ließ, dass sie von Adel war. So jemandem brachte man das Kriegswerk nicht bei. Dennoch, der selbstsichere Ausdruck in ihrem Gesicht gefiel ihm nicht. Eine fast greifbare Gefahr ging von ihr aus. Hatten diese Idioten hinter ihm das etwa nicht gespürt? Ihre ganze Körperhaltung verriet doch, dass sie eine Meisterin war! Ein Wesen, welches die dunkle Seite der Welt gesehen hatte. Unwillkürlich lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken. Man sollte sich mit ihr gut stellen, solange man noch die Gelegenheit dazu hatte...

"Was ich hier mache? Warum fragst du? Ist das hier dein Territorium?", fragte die Dämonin mit hochgezogenden Augenbrauen.

"Ja, so könnte man es durchaus nennen," erwiderte Rakuna lächelnd. Immerhin schien sie eine Hundeyoukai zu sein, genau wie er selbst. Aber sie stammte nicht aus dem Süden, das merkte er sofort. Folglich war sie eine Fremde seiner Art und ohne seine Zustimmung in sein Revier eingedrungen. Das fiel in seinen Aufgabenbereich.

"Nun, das war nicht meine Absicht. Wenn ich hier unerwünscht bin, werde ich selbstverständlich wieder umdrehen", meinte die Youkai vor ihm.

Das wiederum hatte er jetzt aber nicht erreichen wollen. Diese Youkai war äußerst interessant und sicher würde sie noch nützlich sein können. Außerdem, wenn er Recht hatte mit seiner Vermutung, dass sich hinter ihrem unscheinbaren Wesen eine gehörige Macht verbarg, war es sicher nicht gut, wenn sie dahin zurück ging, wo sie hergekommen war - in den Westen. Rakunas Clan konnte im Moment jeden Kämpfer gebrauchen, selbst wenn es Frauen waren. Sicher würde er eine schöne Belohnung kriegen, wenn er sie überreden konnte, ihre Fähigkeiten für den Süden einzusetzen.

"Wer sagt denn, dass du nicht willkommen bist? Ich wundere mich nur, dass du allein unterwegs bist. Willst du nicht lieber mit uns kommen?", schlug er lächelnd vor.

Hinter ihm zogen Kamu und Yoku Shinsetsuna zischend die Luft ein und der Aggressivere von beiden flüsterte wütend seinen Namen, doch das machte ihm nichts aus.

"Warum sollten wir sie bei uns aufnehmen?!", zischte er ärgerlich.

"Weil ich es sage und weil sie es will, kapiert? - Stimmt doch, oder?" Bei der zweiten Frage wandte er sich wieder an die Youkai, kaum Widerworte erwartend.
 

Kuraifaia gefiel es ganz und gar nicht, dass da schon wieder jemand über sie bestimmen sollte. Andererseits - was sprach schon dagegen? Wenn sie fortan hier im Mittelalter leben wollte, würde sie sich als Hundedämonin, die sie ja nun einmal war, wohl oder übel einem Rudel anschließen müssen. Zwar käme sie auch ohne ganz gut klar, aber erstens hatte sie gerne Gesellschaft und zweitens wurde eine fremde Youkai mit ihrer Macht nicht ignoriert, wie sie ja gerade hatte feststellen dürfen. Inuyoukai pflegten ihre Territorien sehr sorgsam, geradezu eifersüchtig zu bewachen, wer sich in ihrem 'Reich' befand und sich ihnen nicht anschloss, war ihr Feind. Und da Kuraifaia keine Lust hatte, sich einen ganzen Clan zum Feind zu machen, stimmte sie Rakuna nach kurzem Überlegen zu.
 

*
 

Auf dem westlichem Schloss...

"Endlich! Da ist ja das Schloss! Mir tun schon langsam die Beine weh...", jammerte der junge Inuyoukai. Promt wurde ihm ein eisiger Blick zugeworfen. Der Unglücksvogel zog sofort den Kopf ein und machte keinen Mucks mehr.

"Chikara, warum wurden wir überhaupt her befohlen?", fragte ein zweiter Dämon. Genau wie seine Kameraden hatte auch er weiße Haare, was ihn als einen Hundedämon des Westens auswies. Vor einigen Tagen hatte das Rudel Besuch von einem Boten des Schlosses bekommen, der eine Nachricht für ihren Rudelfühlrer Chikara brachte. Ihr Anführer hatte ihnen verschwiegen, wie die Nachricht lautete und so waren sie alle etwas besorgt. Der Überbringer der Nachricht war nämlich niemand anderes als Shuppotsu persönlich gewesen - der schnellste Inuyoukai im ganzen Westen. Normalerweise überbrachte er nur sehr dringende oder wertvolle Informationen vom Rat, oder natürlich vom Lord persönlich. Dass ER hier aufgetaucht war, ließ alle vermuten, dass es wieder Ärger mit dem Süden gegeben hatte. Schließlich war der Lord schon seit Jahren nicht mehr gesehen worden, also musste die Nachricht ja vom Rat stammen.

Chikara selbst war der Einzige, der es besser wusste. Dennoch machte er sich nicht weniger Sorgen. Wenn der Lord persönlich nach ihm schickte, ohne einen Grund zu nennen, dann war da irgendetwas im Busch. Er kannte Sesshoumaru schon sehr lange, aus Kindertagen sozusagen. Sie waren zusammen ausgebildet worden. Die Inuyoukai schickten vielversprechenden Nachwuchs in einem gewissem Alter nämlich immer an den Hof, weil sie dort eine bessere Ausbildung genießen konnten. Die Jugendlichen pflegten dort nach einer Weile ihre eigenen, kleinen Rudel zu gründen, ihre eigene Hierachie aufzubauen. Sesshoumaru und Chikara gehörten der selben Generation an, lernten alles zusammen und waren sozusagen im selben Rudel, dessen Anführer natürlich immer der Lord gewesen war. Aber sie waren mehr als nur Kameraden, sie hatten mit der Zeit fast so etwas wie eine Freundschaft entwickelt. In vielen kritischen Fragen, die meist etwas mit seinem Vater zu tun hatten, hatte Sesshoumaru Chikara zu rate gezogen. War das auch dieses Mal der Fall? Oder ging es doch um den Süden?

Der Youkai seufzte leise. Er hatte keine Ahnung, was ihn erwarten würde. Ob sein alter Freund sich verändert hatte, seit er ihn zum letzten Mal gesehen hatte? Er hatte Gerüchte gehört, nach denen er sich seit einiger Zeit mit einem Hanyou beschäftigte...

Chikara hielt an. Vor ihm erhoben sich die riesigen Mauern des Hundeschlosses, die die prächtigen Türme und Nebengebäude die sich dahinter versteckten, nicht ganz verbergen konnten. Es war doch immer wieder ein beeindruckender Anblick.

"Halt! Wer bist du?", fragte die Wache neben dem Tor ausdruckslos.

"Chikara, Dämon vierten Ranges. Ich bin mit meinem Rudel auf Befehl des Lords hier", erwiderte Chikara gelangweilt. Er konnte die verwirrten Blicke, die sich seine Untergebenden hinter seinem Rücken zu warfen, förmlich spüren. Alle Dämonen der Hundeyoukai hatten sich der höfischen Hierarchie zu unterwerfen. Der erste Rang war selbstverständlich der Herrscherfamilie vorbehalten. Der zweite Rang bestand aus besonders mächtigen, einzelgängerisch lebenden Dämonen und den obersten Ratsmitgliedern. Im dritten Rang waren die höheren Ämter des Hofes, erfolgreiche Heerführer, angesehende Heiler und Magier und die Aufseher der Ordnung des Schlosses. Chiraka und sämtliche andere Rudelführer hatten den vierten Rang inne, alle ihnen Untergebende, sowie das Personal bildeten das gemeine Volk. Den untersten Rang hatten Ausgestoßende und solche Dämonen, die nicht genug dämonische Energie besaßen, um die übliche, menschliche Gestalt anzunehmen.

Nachdem die Wachen den Weg freigegeben und die Youkai durch das Tor geschritten waren, bemerkten sie sofort den Umschwung in der Atmosphäre. Als sie vor einem Jahr das letzte Mal hier gewesen waren, hatte sich niemand wirklich mit der Arbeit beeilt. Die Stimmung war locker gewesen und das Schloss einladend. Jedoch war auch eine gewisse Fahrlässigkeit zu spüren gewesen. Jetzt aber huschten überall menschliche Diener umher und bemühten sich, alles so gut wie möglich sauber zu machen, ohne dabei irgendwie aufzufallen. Angst und Schrecken lag in der Luft und die schneeweißen Mauern des Schlosses hatten es irgendwie geschafft, besonders düster und abschreckend auszusehen. Überall wurde gearbeitet, niemand schien auch nur eine freie Minute für eine Pause zu haben.

"Also ist es wahr... Der Lord weilt wieder auf Schloss Kuressento...", flüsterte einer seiner Kameraden fast ehrfürchtig.

Chikara konnte den Blick noch immer nicht von dem Gebäude nehmen, in der er seine halbe Kindheit verbracht hatte. Schloss Kuressento, ja. Es bedeutet übersetzt in etwa: Schloss des Sichelmondes, was im engen Zusammenhang mit der Herrscherfamilie stand. Sie alle hatten nämlich auf der Stirn den blauen Sichelmond abgebildet, mit Ausnahme des letzten Fürsten, Inu no Taishu, der sich sozusagen in die Familie eingeheiratet hatte. Chikara selbst hatte ebenfalls ein Zeichen auf der Stirn, wie viele hochrangige Dämonen: drei blass-violette Vierecke im Dreieck angeordnet, welche so fast die Form eines Ahornblattes hatten. Man sah diese allerdings erst aus den zweiten Blich, Chikaras Haut war ebenfalls sehr blass und zusammen mit seinen kurzen, weiß-grauen Haaren und den blaugrauen Augen verschwamm sein Erscheinungsbild fast ein wenig.

"Chikara? Was sollen wir jetzt tun?", fragte ein junger Dämon hinter ihm. Der Rudelführer drehte sich missmutig um.

"Verteilt euch einfach und macht euch nützlich. Ich weiß noch nicht, wie lange wir hier bleiben werden", gab er, für seine Verhältnisse doch ziemlich ausführliche Antwort. Große Reden waren noch nie seine Sache gewesen.

Während sich die Inuyoukai nun langsam zerstreuten, steuerte Chikara zielstrebig auf den Schlossgarten zu. Eine lange Treppe führte von der Terrasse an der Rückseite des Gebäudes dorthin. Sie war mit Efeu bewachsen, nicht etwa weil sich die Gärtner nicht darum kümmerten, sondern weil die Dämonen der Natur so viel wie möglich von ihrer Wildheit lassen wollten. So gab es keine fest angelegten Beete, jedoch schlängelte sich ein wunderschöner kleiner Bach durch die Idylle. Es gab mehrere kunstvolle Pavillons, an denen ebenfalls Pflanzen empor klettern konnten. Der Bach mündete in einem großen Becken, in dem Seerosen schwammen. Am Rande wuchsen viele alte Kirschbäume. Im Frühjahr verstreuten sie ihre zarten Blüten über das ganze Wasser, doch jetzt, im späten Herbst, hingen nur noch einige rote Blätter an den Zweigen. Chikara fand diesen Ort trotzdem besonders schön, in seiner Zeit als Auszubildener hatte er viel Zeit mit dem zukünftigen Fürsten hier verbracht. Häufig hatten sie hier beisammen gesessen um zu meditieren oder über sich um die Ungeschicklichkeit ihrer Mitschüler zu amüsieren. Heute aber war das lange her, Chikara hatte ein eigenes Rudel das ihm unterstellt war und Sesshoumaru... Ja, was hatte er wohl die ganzen Jahre über gemacht? Natürlich würde es nie jemand wagen, ihm einen Vorwurf zu machen, aber sie hätten ihn hier schon dringend gebrauchen können. Warum war er so lange ganz allein in der Gegend herumgestreunt, als wäre er ein Ausgestoßender?

"Chikara. Warum nur verwundert es mich nicht, dich ausgerechnet hier, im Garten vorzufinden?", erklang plötzlich eine kühle Stimme hinter ihm und der Inuyoukai fuhr herum.

Da stand er, der Lord des Westens, in all seiner fast schon unverschämten Schönheit. Hätte er einen etwas besseren Charakter, würden sicher viele Frauen für ihn schwärmen. Selbst sein Vater war nicht dermaßen gutaussehend gewesen. Obwohl er hier in seinem heimatlichem Schloss war, trug er dennoch seine Rüstung und zwei Schwerter an der Seite. Seine weißen Haare glänzten silbern mit einem leichten Stich ins Rote in der untergehenden Sonne. Die goldenen Augen blickten so teilnahmslos wie eh und je.

Nein, sein Aussehen hatte sich um keinen Deut verändert, und doch...

"Ich dachte mir, dass es sich hier am besten warten lässt, bis ihr nach mir schickt, mein Lord...", murmelte er ergeben. Auch wenn sie so etwas wie Freunde waren, wenn man das bei Sesshoumaru überhaupt behaupten konnte, Höflichkeit war in seiner Gegenwart immer gefordert.

"Weißt du, warum ich dich herbefohlen habe, Chikara?", fragte der Lord kühl, aber der Dämon wusste, dass dieser abweisende, fast schon drohende Ton bei ihm überhaupt nichts war. Das ging noch schärfer. Er war sogar verhältnismäßig freundlich.

Nun, an sich hatte er ja leider nicht den leisesten Schimmer, warum er hier war, aber das konnte er ja schlecht sagen.

"Geht es um den Süden?", fragte er deshalb lieber.

Sein Gegenüber zögerte. "Zum Teil", sagte er dann, "aber gut, wir können gerne zuerst mit den politischen Problemen anfangen."

Sesshoumaru wandte sich ab und ging an ihm vorbei zu den Kirschbäumen. Als er ihm folgte, fiel ihm auf, wie... müde er aussah. Natürlich hielt er sich immer noch so aufrecht, als hätte er einen Stock verschluckt, seine Haltung war würdevoll wie immer, aber er kannte seinen Herrn schon zu lange, um die Zeichen nicht zu bemerken.

Die beiden Inuyoukai ließen sich am Ufer des kleinen Sees nieder und der Lord schloss für einen Moment die Augen. Chikara gönnte ihm die kurze Entspannung von Herzen, er konnte sich gut vorstellen, dass der Rat ihn mit Neuigkeiten geradezu überrollt hatte. Allerdings wäre das nicht passiert, hätte er sich etwas früher hier sehen lassen...

Geduldig wartete er, bis der Daiyoukai zu sprechen anfing.

"Chikara... Aoi Yuki sagte, es gäbe Aufruhr an den Grenzen. Dein Rudel passiert diese Stellen doch des öfteren, du müsstest doch sicher etwas mitbekommen haben. Wie ernst ist die Lage wirklich?", begann er dann schließlich.

Der Weißhaarige konnte sich ein erneutes Seufzen nicht verkneifen. "Wünscht ihr es ausführlich?"

"Ja." Das war ein Befehl.

"Diese Trottel haben in der Tat keine Ahnung. Sie versuchen einen Haufen fauler Eier zu parfümieren, damit er nicht so abscheulich riecht." Chikara unterdrückte nur mit Mühe ein verächtliches Schnauben. Diese Hofdämonen in ihren teuren Kimonos, die den ganzen Tag in ihren Gemächern saßen, hatten seiner Meinung nach keine Ahnung vom Ernst des Lebens. Er konnte sich nicht vorstellen, wie ein so kämpferisch begabter Dämon wie Sesshoumaru es auch nur einen Tag hier aushalten konnte. Scheinbar hatte er ja jetzt schon genug. "Fakt ist jedenfalls, dass es schon eher ausgewachsenen Kriegsbewegungen als nur ein wenig Aufruhr ist. Der Südclan sammelt ganz eindeutig seine Krieger. Ich... Ich habe mir die Freiheit genommen, ein paar Spione auszuschicken." Hierbei beobachtete er Sesshoumaru genau, schließlich waren 'Ermittlungen auf eigene Faust' nicht unbedingt das, was man von einem treuen Untergebenen erwartete. Doch der Lord zuckte nicht einmal mit der Wimper und so sprach er weiter: "Nun, abgesehen davon, dass von fünf meiner besten Leute nur drei zurückkehrten, waren ihre Neuigkeiten auch nicht sehr erbauend. Die Rudel passieren den Herrschaftssitz, das Schloss, wo sich ihre Macht konzentriert, verhältnismäßig viel zu oft, manchmal wohl mehrmals im Jahr." Wieder hielt er kurz inne. Das Abendrot spiegelte sich im Wasser. Es würde nicht mehr lange dauern, und die Nacht würde ihre Schatten ausbreiten. Das war gut. Dämonen liebten das Ruhige und Dunkle. "Ich habe mich auch an der nördlichen und östlichen Grenze erkundigt. Sie meinten, dass die südlichen Hunde besonders in den letzten Monaten sehr aggressiv seinen." Der Inuyoukai rupfte gedankenverloren einen Grashalm ab und drehte ihn zwischen den Fingern. Irgendwo ertönten die Klänge einer Nachtigall.

"Das alles hat nichts zu sagen", meinte auf einmal Sesshoumaru und Chikara fuhr hoch.

"Nichts zu sagen? Aber...", wollte er verblüfft ansetzen, aber der Andere unterbrach ihn.

"Verhalten wir uns im Grunde nicht genauso? Sind nicht auch unsere Krieger unruhig? Haben nicht auch wir alle Augen offen? Würden nicht auch wir Spione umbringen, die in dieser Zeit in unser Gebiet kommen? Auch habe ich auf dem Schloss ungewöhnliche viele Krieger gesehen. Auch du dein Rudel seid hier, obwohl es noch lange nicht an der Zeit ist, einen Anstandsbesuch zu tätigen. Es ist durchaus möglich, dass der Süden uns ebenso überwacht und seinerseits nur Vorsichtsmaßnahmen trifft", erklärte er.

Chikara war bestürzt. Von dieser Seite hatte er das Ganze noch gar nicht gesehen.

"Einige hier mögen vielleicht glauben, dass ich mich voller Eifer in den nächsten Krieg stürze. Aber ich bin kein Dummkopf. Ich werde nicht unnötig die Leben unserer Krieger auf's Spiel setzen, wenn es sich vermeiden lässt. Dennoch werde ich sicher nicht vor einem Krieg zurückschrecken, wenn wir direkt herausgefordert werden", sagte Sesshoumaru leise.

"Mein Lord, ich habe nie behauptet, dass ihr- Nun, das euch das Wohl des Westens nicht am Herzen liegt. Natürlich wäre es nicht klug, voreilige Schlüsse zu ziehen", versuchte der Youkai sich zu verteidigen.

Sein Gesprächspartner schwieg. Sein Blick schien gedankenverloren auf dem Mond zu ruhen, der sich im Wasser spiegelte. "Ich befürchte nur, das Ninushu Omaru das nicht so sehen wird. Die Lage könnte sich weiter zuspitzen. Vielleicht sollten wir sogar so etwas wie... Friedensverhandlungen führen. Aber solange es keine wirklich ernsthaften Zwischenfälle gibt, ist das lächerlich...", murmelte der Lord.

"Möglicherweise wäre es klüger, erst abzuwarten..." Mit Absicht sagte er dies nicht bestimmt, eine handfeste Meinungsverschiedenheit mit dem Herr täte seiner Gesundheit sicher nicht gut.

"Das aus deinem Mund, Chikara? Du bist doch sonst immer der Erste, wenn der Schlachtruf ertönt." Darauf wusste er nichts zu erwidern.

"Ich werde noch einmal mit dem Rat darüber sprechen. Vielleicht tut sich in den nächsten Wochen etwas." Diese Worte überraschten den Rudelführer dann doch leicht: "Ihr habt vor, länger hier zu bleiben?"

"Natürlich. Wie könnte ich mein Volk jetzt im Stich lassen?", meinte Sesshoumaru.

"Sicher, ich dachte nur... Nun, ihr wart in letzter Zeit viel abwesend. Gerüchten zufolge sollt ihr..." Er wagte nicht weiter zu sprechen.

"Vor meiner Pflicht geflohen sein?", beendete dann jedoch Sesshoumaru seinen Satz. "Das ist albern. Die Ratsmitglieder bedrängten mich oft, ich solle mir doch endlich eine Gefährtin nehmen, damit ich den Posten des Fürsten beziehen kann. Doch das habe ich nicht vor." Das Gesicht des Inuyoukais kam Chikara auf einmal noch verschlossener vor als sonst. War er verärgert?

"Das Volk weiß, wer ihr Herr ist. Solange ihr hier weilt, wird es motiviert sein. Es gibt genug Krieger, die euch wenn nötig bis in den Tod folgen würden. Ihr braucht keine Gefährtin", meinte er selbstsicher.

"Doch... die brauche ich...", widersprach Sesshoumaru ihm leise.

Ein lauer Wind kam auf. Sein Freund hatte sich abgewandt.
 

*
 

Auf dem südlichem Schloss...

"Mein Lord, seid ihr euch dessen wirklich sicher?", fragte der Youkai erschrocken.

"Willst du etwa meine Befehle anzweifeln?", antwortete der Angesprochene mit hochgezogener Augenbraue.

"Keineswegs! Aber wenn wir den Westen so deutlich angreifen..." Ein flehender Blick legte sich auf die Gesichtszüge den untergebenen Inuyoukais. Dieser Auftrag war blanker Wahnsinn! Nicht das es ihm nicht gelingen würde... Lord Keisushiro hatte ihm zwanzig fähige Männer versprochen. Auch wäre es sicher nicht besonders schwer, die Grenzrudel aufzuspüren, von denen trieben sich in letzter Zeit immer mehr in den Wäldern herum. Aber dennoch... Sie ALLE auszulöschen, bedeutete auch für seine Leute große Verluste. Außerdem würde eine so offensichtliche, feindliche Handlung sicher nicht unbemerkt bleiben.

"Sagte ich es dir nicht bereits?! Der Westen hat uns herausgefordert, er will Krieg! Wir müssen ihnen die Grenze zeigen, bevor die Sache offiziell wird", meinte der Herr unwirsch.

Natürlich, in dem Fall... Tatsächlich hatte der Westen schon viele Andeutungen gemacht, die er selbst mitbekommen hatte. Ihre verschwundenen Kundschafter... Die verschärften Sicherheitsmaßnahmen des Westens an den Grenzen... Die brutalen Gemetzel. die vereinzelt auftauchten...

Und dennoch... Hatte der Feind wirklich schon inoffiziell den Krieg erklärt? Sicher, dann würden sie zuschlagen müssen. Aber wenn er mit seinem Rudel wirklich auszog, um die Hundeyoukai dort regelrecht zu jagen... Das würde die ganze Sache doch nur unnötig beschleunigen. Nebenbei würde es auch viel Zeit beanspruchen.

"Geh jetzt, mach dich auf den Weg. Aber erzähl niemandem außer den Beteiligten von eurer Mission. Wenn die Westler einen von uns gefangennehmen und dieser Jemand zufälligerweise eure Position und euer Vorhaben kennt, werdet ihr zu den Gejagten", warnte Keisushiro ihn noch.

Der Dämon beugte demütig das Haupt, erhob sich und verließ den Raum. Aber wohl war ihm bei der Sache ganz und gar nicht. Er hatte ein ungutes Gefühl dabei.

Der Lord des Südens sah seinem Ungergebenen nicht nach. Er war viel zu sehr damit beschäftigt, innerlich schon seinen Sieg zu feiern. So lange hatte er gewartet. Monate, Jahre, Jahrzehnte. Bald war es soweit. So viel Zeit hatte er damit zugebracht, die Unruhen zu schüren. Er hatte seine Leute aufgehetzt, Gerüchte verbreitet, das der Westen sie angreifen wollte, um seine Macht zu festigen, zu vergrößern. Es hatte gewirkt. Wie leicht man den Leuten doch ihre Feinde einreden konnte! Sie sehnten sich nach einer ordentlichen Schlacht. Und er, Keisushuro, würde sie ihnen liefern.

Sein Vater, der Fürst, war alt. Erst vor kurzem hatte ihn eine schwere Krankheit befallen. Die Heiler hatten diese zwar aus seinem Körper vertrieben, aber er war geschwächt. Er würde nicht mehr lange zu leben haben. Ein halbes Jahrzehnt noch, wenn er Glück hatte. Aber Glück würde er ganz sicher nicht haben. Dieser Greis hatte ja noch nicht einmal bemerkt, wie er das Volk hinter seinem Rücken anstachelte! Er hatte nichts als Verachtung für den Fürsten übrig.

Ninushu Omaru würde einem Krieg niemals zustimmen, ohne vorher alles getan zu haben, um ihn zu verhindern. Das war ein Grund, warum Keisushiro die Boten, die den Fürsten und den Rat über die Lage des Landes berichten sollte, mit reichlich Gold bestach, damit sie erzählten, was ER wollte. Nicht mehr lange und der Westen würde eine Kriegserklärung herausgeben. Der Lord des Südens wusste schließlich, wie eitel die Hunde in solchen Sachen waren. Und wenn er das, neben seinem eigenem, stärkste Land erst einmal erobert hatte, würde er mit dem Norden und dem Osten weitermachen. Er würde die Fürsten dazu zwingen, sich ihm unterzuordnen.

Wenn nur sein Vater endlich abkratzen würde...! Der war doch schon immer schwach gewesen. Er hatte seine Mutter über alles geliebt. Ha! Wenn der wüsste, das ihr Tod kein Unfall war... Aber selbst der Schrecken über ihren Verlust hatte ihn nicht ins Grab bringen können. Bedauerlich, aber nicht zu ändern. Keisushiro sorgte bereits dafür, seine Lebensspanne zusätzlich zu verkürzen. Damit hatte er sich große Mühe gegeben. Er wusste, dass sein Vater Blumen liebte. So hatte er aus einem fernen Land, noch hinter dem Kontinent, eine ganz spezielle Sorte bringen lassen, extra für Ninushu Omaru... Ein außergewöhnlicher Blumenstrauß, zum dreitausendsten Geburtstag! Die Blumen waren getrocknet gewesen, und so standen sie heute immer noch in seinen Gemächern, wo er sich oft aufhielt, um Akten durchzuarbeiten, die sein Sohn gefälscht hatte. Sie versprühten ihre giftigen Dämpfe und kein Heiler konnte sagen, woher die immer stärker werdende Schwäche des Fürsten kam. Es war ein perfekter Plan. Niemand würde ihn verdächtigen... Und sobald der Fürst endlich tot war, konnte er seinen Platz einnehmen. Wer weiß, vielleicht würde sein Vater ihm sogar noch einen letzten Gefallen tun, und den Krieg mit dem Westen für ihn gewinnen? Es wäre seine letzte Amtshandlung, bevor er den Platz räumte. Aber das spielte keine Rolle, mit den Westlern würde er auch so fertig werden. Die hatten ja nicht einmal einen Fürsten, der sie im Kampf anführen konnte! Und der Lord streunte auch irgendwo in der Gegend herum, auf der Jagt nach einem Hanyou und einem Dämonenschwert. Oh ja, in diesem Gebiet hatte er sich wohl erkundigt! Es wäre schon ein Wunder, würde er rechtzeitig zum Krieg wieder hier sein. Und selbst dann würde er die Schuld für die Aggressionen seinem Vater in die Schuhe schieben, er käme sicher nie darauf, dass der Lord dahinter steckte und sie beide gelinkt hatte.

Oh ja, es lief alles genau nach Plan. Niemand konnte etwas gegen ihn unternehmen, selbst sein Vater nicht, würde er es doch herausfinden. Er war der einzige Erbe des Südens. Der zukünftige Herrscher. Und bald wäre der Süden nicht das einzige Gebiet, das ihm unterstellt war.
 

*
 

Im Westen...

"Mein Lord? Was sagtet ihr soeben?", fragte Chikara verwirrt.

Sesshoumaru schreckte aus seinen Gedanken hoch. Hatte er das eben etwa laut gesagt? Das war nicht seine Absicht gewesen...

"Schon gut... Ich war nur in Gedanken", murmelte er, sah seinen Freund dabei jedoch immer noch nicht an. Wich er ihm aus?

Die beiden Inuyoukai schwiegen eine Zeit lang, niemand hatte so recht die Absicht, das Gespräch wieder aufzunehmen. Sesshoumaru wartete darauf, dass Chikara ihn fragte, warum er ihn wirklich hatte kommen lassen. Nur zum Plaudern garantiert nicht, das musste auch ihm klar sein. Aber der Andere sagte nichts mehr, was ihn auch nicht so sehr verwunderte. Chikara machte ungern viele Worte. Allerdings hatte das zur Folge, dass Sesshoumaru in seiner Nähe meist genauso viel sprach, wie er es normalerweise in einer Woche tat.

"Chikara, erinnerst du dich noch an den alten Tamahato?", fragte er schließlich.

"Natürlich, das war unser alter Kampflehrer für Schwert und Bogenschießen", kam die umgehende Antwort.

Sesshoumaru nickte. "Er hat sich vor etwa dreihundert Jahren zur Ruhe gesetzt. In dieser Zeit wurde die Ausbildung der jungen Kämpfer hier etwas lax und war mehr auf wissenschaftlicher Ebene orientiert. Sie sind jetzt zwar alle ziemlich gut in Magie, aber es ist kein bemerkenswerter Fechter unter ihnen. Im Moment gibt es mehrere Lehrer in dieser Stelle, die die unterschiedlichen Altersklassen unterrichten."

"Wollt ihr etwa, das ich diese Stelle übernehme?!", fragte Chikara geradezu geschockt. Sesshoumaru konnte es ihm nicht verübeln. Wer spielte schon gern den Babysitter?

"Nein, da kannst du beruhigt sein. Allerdings bräuchte ich schon jemanden, der unsere Armee ein wenig auf Vordermann bringt - du weißt schon, für alle Fälle. Mir ist kein besserer Krieger als du bekannt, von dem das Volk bereit ist, noch etwas zu lernen. Sicher, die meisten sind perfekt ausgebildet. Aber der Neuzugang... Es fehlt ihnen an Erfahrung. Auf dem Weg hierher habe ich eine Gruppe Youkai beobachtet. Sie schienen mir ausgewachsene Kämpfer zu sein, die gerade ein wenig trainierten. Aber ihre Technik... Chikara, damit sehe ich schwarz für zukünftige, kämpferische Auseinandersetzungen. Wenn du ihnen... nun, ein paar Tipps geben würdest, die sie im Gefecht gebrauchen können... Ihren Eifer anspornen..." Etwas hilflos verstummte der Lord, wie sollte er so etwas auch erklären?

"Nun, wenn ihr das von mir verlangt... Dann werde ich selbstverständlich mein Möglichstes tun", erwiderte der Youkai erschöpft.

Sesshoumaru war klar, dass sein Freund bei einem ausdrücklichem Befehl keine andere Wahl hatte, als zu gehorchen. Aber für ihn war Chikara nicht einfach ein treuer Untergebener. Sie hatten so viel miteinander erlebt... Er war der einzige Gleichaltrige, den er wirklich als seinen Freund betrachtete. Als Lord war es ohnehin immer schwer, aufrichtige Hilfsbereitschaft aus kriecherischer Schleimerei herauszufischen. Und eben weil er ihn so sehr schätzte, wollte er ihm keine Aufgabe aufdrängen, die ihm zu sehr missfiel.

"Du wärst natürlich nicht der Einzige. Ich werde mir noch ein paar weitere fähige Krieger besorgen, die dich unterstützen würden. Selbstverständlich würdest du nur die besten Schüler bekommen. Sobald du mit denen fertig bist, können sie auch anfangen sich untereinander auszutauschen", fuhr er fort.

"Die Besten? Ich bitte euch! Wer bei denen zu 'Den Besten' gilt und dennoch seine Ausbildung nicht abgeschlossen hat, hat einfach nur keinen Ehrgeiz oder einen saumäßigen Charakter!"

Man sah ihm an, dass er sich am liebsten die Zunge abgebissen hätte. Solche Unhöflichkeit und Kraftausdrücke ziemten sich in der Nähe des Lords in keinster Weise! Aber Sesshoumaru begnügte sich damit, dem Dämon einen eisigen Blick zuzuwerfen, bevor er antwortete:

"Wenn sie einen schwierigen Charakter haben, wirst du sie eben erziehen müssen. Disziplin ist in einer Armee äußerst wichtig. Ich weiß nicht, wie lange es bis zum nächsten Krieg dauert, aber da wir inzwischen etliche böse Vorzeichen zu haben scheinen, sollten wir auf alles vorbereitet sein. Also: Wirst du die Aufgabe übernehmen?", fragte er mit einmal geschäftsmäßig.

"Ja, mein Lord", erwiderte Chikara mit gesenktem Kopf. Sesshoumaru gab sich selbst zu, dass er ein 'Nein' als Antwort jetzt auch nicht mehr respektiert hätte.

Er erhob sich. "Morgen zu Sonnenaufgang erwarten dich deine Schüler auf dem Trainingsplatz. Bis dahin kannst du tun, was du willst. Was den Befehl an dein Rudel angeht, überlasse ich die Sache dir."

Nun stand auch Chikara auf. "Wenn es euch recht ist, werde ich einen neuen Rudelführer bestimmen und sie wieder wegschicken", meinte er.

Sesshoumaru musterte ihn leicht überrascht. Das eigene Rudel war für einen Hundedämon das Ein und Alles, niemand wollte das so schnell aufgeben, schon gar nicht als Rudelführer. Solch eine Position war hart erkämpft. Das Rudel war wie eine große Familie...

"Bist du sicher, dass du das tun willst?", fragte er deshalb.

"Ihr werdet sie hier nicht gebrauchen können. Außerdem nehme ich an, dass ich nicht ewig hier bleiben muss." Seine Stimme klang tatsächlich, als würde er dies als Strafe empfinden. Mit einem Mal taten Sesshoumaru seine scharfen Worte fast Leid.

"Sobald entschieden ist, ob es nun zum Krieg kommt oder nicht, würde auch ich für die Zukunft meines Rudels entscheiden müssen. Kommt es zu einer Schlacht, so besteht die Möglichkeit, dass ich nicht überlebe." Chikara sagte es gefasst, als wäre der Tod das Natürlichste auf der Welt. Nun, war er ja eigentlich auch. Jeder musste mal sterben.

Chikara sah wieder zum Wasser hin. "Für diesen Fall möchte ich meine Kameraden in guten Händen wissen." Sesshoumaru verstand ihn gut, innerhalb des Rudels gab es immer Machtkämpfe. Indem er selbst einen Rudelführer bestimmte, ihn jedoch nur als Vertreter einsetzte, konnte er gewiss sein, seine alte Stelle später auch wieder zurück zu bekommen.

"Wenn entschieden wird, dass es keinen Krieg gibt, so bitte ich euch, mich zu meinem Rudel zurück zu lassen. Aber wie die Sache auch ausgeht, sie wird sich sicher über Jahre hinziehen. Ich kann meine Kameraden doch nicht so lange hier auf dem Schloss lassen." Natürlich, er dachte praktisch. Praktisch und immer weit voraus. So wie es Dämonen tun. Wann hatte er selbst das letzte Mal so gedacht?

"Ich akzeptiere deine Bedingung", sagte Sesshoumaru, jetzt schon etwas weniger kühl. Selten hörte er seinen Freund so viel am Stück sprechen. "Du wirst deine Sache bestimmt gut machen..." Schon allein weil er, Sesshoumaru es war, der es verlangte.
 

XxX
 

Ich denke, da so viele von euch es vermuten sollte ich eure Rätseleien einfach mal bestätigen: JA, es kommt zum Krieg und JA die beiden werden auf verschiedenen Seiten kämpfen und JA das ist scheiße und JA sie werden sich verarscht fühlen ... und NEIN das soll kein DarkFic sein...

So, wer glaubt jetzt alles schon zu wissen, dessen Genie muss sich enttäuschen: Ich hatte nie die Absicht das geheim zu halten, denn der weitere Verkauf ist eigentlich sonnenklar. Dennoch habe ich mir viele, kleinere Szenen ausgedacht die das ganze zwar etwas in die Länge ziehen, aber auch unterhaltsam gestalten werden. Ich hoffe ihr bleibt weiterhin treue Leser!!

Neue Bekanntschaften

Während Sesshoumaru bei sich eine außergewöhnliche Tierliebe entdeckt, macht sich Krauaifaia auf den Weg zum Schluss des Südens. Sie lernt viele neue Youkai kennen (siehe Charabeschreibung) und schafft es zunächst erfolgreich, Sesshoumaru aus ihren Gedanken zu verdrängen. Aber der Schatten des drohenden Krieges liegt dennoch über beiden...
 

XxX
 

"Dein Name war Kuraifaia, sagst du?", fragte Rakuna.

Die Youkai nickte nur. Rakuna hatte sich als durchaus freundlich heraus gestellt, er hatte sich nochmals für Kamus Verhalten entschuldigt und ihr versichert, dass nicht alle in seinem Rudel so aggressiv waren. Er erzählte ihr viel über den Süden und die Landschaft dort.

Kuraifaia war er durchaus sympathisch. Er trug keine Rüstung wie die anderen Krieger, sondern nur ein weißes Oberteil und eine schwarze Hose. Er trug mehrere silberne Ketten und sogar einige Ringe an den Fingern. Sein langes, schwarzes Haar, in dem viele rote Strähnen zu sehen waren, trug er offen und sein Schwert war nur behelfsmäßig an seiner Seite festgeschnallt.

So war er eigentlich nicht besonders gut für ständiges Umherziehen in der freien Natur gekleidet, sondern eher wie jemand, der den ganzen Tag in seinen vier Wänden bleibt. Dies war jedoch vollkommen falsch, im Gegenteil. Rakuna war sehr naturbewusst, er kannte die Namen sämtlicher Pflanzen an denen sie vorbei kamen und tauschte sich mit Kuraifaia über alle möglichen Wirkungen bestimmter Kräuter aus.

Was seine kämpferischen Fähigkeiten betraf, so vermutete die Dämonin nach seinem Auftritt, dass seine Stärke in der Schnelligkeit lag. Sicher war er ein guter Fechter, aber er schien auch sein Youki perfekt unter Kontrolle zu haben und einsetzen zu können, was sie daran merkte, dass auch er seine dämonische Energie nicht voll zeigte, eben nur so viel, dass man erkannte, dass er ein ernster Gegner war.

Kamu und Yoku Shinsetsuna fassten die Lage unterschiedlich auf. Während Letzterer durchaus guter Dinge war und sich über den Neuzugang seines Rudels zu freuen schien, war Kamu noch miesepetriger als sonst drauf. Kuraifaia spürte seine gehässigen Blicke im Rücken, doch sie kümmerte sich nicht darum, man konnte es ja nicht immer jedem recht machen.

Die Inuyoukai konnte das Rudel schon lange riechen. Kurz bevor sie die Lichtung betraten, auf der sie sich befanden, ließ sie ihr Youki aufflammen, damit nicht noch einmal so eine Verwechslung auftreten konnte wie beim letzten Mal. Zwar zeigte sie ihre Aura nicht vollständig, aber doch so damit jeder wusste, dass mit ihr nicht zu spaßen war. Rakuna sah sie überrascht an, sagte jedoch nichts.

Rakunas Rudel bestand aus zwölf Hundedämonen, ihn selbst nicht mitgerechnet. Dazu kamen etwa zwanzig Hunde, die das Rudel ständig begleiteten. Kuraifaia bekam sie alle der Reihe nach vorgestellt, doch nicht einmal die Hälfte aller Namen konnte sie sich auf Anhieb merken. Rakuna beruhigte sie, mit der Zeit würde sie in diese große Familie ganz schnell hinein wachsen. Er sollte Recht behalten.

Natürlich waren nicht alle so nett zu ihr wie der Rudelführer, aber es gab niemanden, der auf Anhieb eine wirklich ausgewachsene Abneigung gegen sie hatte. Es gab jedoch einige Dämonen, die scheinbar mit niemandem gut klar kamen. Da war zum Beispiel Kawamaru, der zwar die meiste Zeit ruhig in irgendeiner Ecke saß, doch sobald man ihn in irgendeiner Weise beleidigte oder auch nur nervte, konnte er sehr ungemütlich werden. Tatsächlich erzählte Yoku Shinsetsuna ihr später, dass er die Hälfte aller Rudelmitglieder wohl schon getötet hätte, hätte Rakuna ihm das nicht ausdrücklich verboten. Wenn man ihm nicht genau sagte, was er zu lassen hatte, überschritt er alle ungeschriebenen Regeln. Deswegen hielten sich alle möglichst von ihm fern, da er auch sehr abweisend war.

Ganz anders waren da Ame und Kigiyakana, zwei Dämoninnen mit denen sich Kuraifaia sofort verstand. Ame war so etwas wie der Kummerkasten des Rudels, sie war sehr verständnisvoll und konnte ein Geheimnis besser verwahren als ein Stahltresor mit sechs Vorhängeschlössern. Zudem war sie eine ziemlich gute Heilerin und meist dafür verantwortlich, die Verletzen zu versorgen.

Kigiyakana hingegen konnte fließend Sarkasmus sprechen, sie sagte das Eine, dachte das Nächste und tat dabei etwas ganz Anderes. Ihre Zunge war schärfer als eines von Mitsuras Messern und es war fast unmöglich, ein ernstes Gespräch mit ihr zu führen. Trotzdem wäre sie wohl viel mehr Leuten sympathisch gewesen, hätte sie nicht eine grausame Freude daran, den Schmerzensschreien schwächerer Kreaturen zu lauschen und ihr Blut spritzen zu sehen. Ihre Lieblingsopfer waren Menschen und wenn jemand mutig genug war, sie von ihrem Hobby abhalten zu wollen, kam er meistens gleich als nächstes dran. Da sie das übrig gebliebene Fleisch immer den Hunden gab, war sie bei denen sehr beliebt, wurde geradezu angebeten.

Das Herzstück des Rudels trug den Namen Kôgyoku. Er war der einzige Nachwuchs und wurde von allen gemeinsam aufgezogen, da seine Eltern beide tot waren. Kôgyoku war erst circa 350 Jahre alt, in Menschenjahren also etwas über sieben. Dennoch besaß er schon eine erstaunliche Menge an Youki, mit dem er jedoch überhaupt nicht umzugehen wusste, weshalb er es meistens unbewusst tief in sich selbst versiegelte.

Die erste Nacht bei ihren neuen Freunden war Entspannung pur für Kuraifaia. Die Inuyoukai ließen sich auf einer schattigen Lichtung nieder und warteten auf den Morgen, keiner von ihnen benötigte Schlaf, doch bei ihren tierischen Begleitern sah das anders aus. Das Rudel war drei Tage hintereinander pausenlos unterwegs gewesen, wenn auch nur in gemächlichem Tempo, und die Hunde waren erschöpft. Kuraifaia saß mit Kigiyakana und Rakuna zusammen. Ihre neue Freundin war gerade damit beschäftigt, einem Nachtfalter die Flügel auszureißen, während sie gedankenverloren den Mond betrachtete. Kuraifaia hütete sich, dort hinauf zu sehen. Sie wusste, an wen sie diese helle Sichel erinnern würde.

"Sag mal Rakuna, ziehen wir eigentlich nur planlos durch die Gegend, oder haben wir ein festes Ziel?", fragte sie irgendwann, doch es war Kigiyakana, die antwortete:

"Rakuna ist immer auf der Suche nach hübschen Mädels wie du, die er hier aufnehmen kann!" Sie warf dem Rudelführer einen schelmischen Blick zu.

"Hana, jetzt hast du mein Geheimnis verraten!", schimpfte Rakuna gespielt und lachte.

"Du sollst mich nicht immer Hana nennen!", murrte die Youkai. Ihr Gesichtsausdruck hatte sich bei dem Wort schlagartig verfinstert, was Kuraifaia darauf schließen ließ, dass sie öfter so genannt wurde. Wie, als wenn man einen Schalter umgelegt hätte, schien ihr Blick jetzt etwas mörderisches zu haben: Genauso hatte sie auch den Nachtfalter angeguckt, kurz bevor sie ihn zerpflückt hatte.

Kuraifaia konnte ihren Ärger nachvollziehen, 'Hana' bedeutete 'Blume' und war so ziemlich das Gegenteil von Kigiyakana. Ihre grünblauen, langen Haare trug sie zu einem lockeren Zopf gebunden, nur zwei Strähnen hingen ihr über die Schultern. Anstelle der typischen, spitzen Ohren hatte sie zwei lange, pelzige, die zur Seite abstanden. Auch der lange, schwarze Schwanz der aus ihrem weiten, weißem Kimono hervor guckte bewies, dass sie eine Youkai war. An den Armen und Beinen hatte sie dunkelrote Zeichnungen, die irgendwie gefährlich nach Kriegsbemalungen aussahen. Eine Rüstung trug sie nicht, doch ihre Waffe, ein langer, metallender Speer lehnte neben ihr an einem Baum. Alles in allem war sie eindeutig eine Kriegerin und gewiss kein Mauerblümchen, weshalb Kuraifaia diese spöttische Bezeichnung 'Hana' an ihre Stelle auch als Beleidigung aufgefasst hätte. Rakuna jedoch schien Kigiyakana durchaus zu mögen. Was sich liebt, das neckt sich, kam ihr plötzlich in den Sinn und sie lächelte.

"Um deine Frage zu beantworten, Kuraifaia, wir sind eines der Grenzrudel und haben deshalb eine feste Route. Allerdings können wir dich noch nicht offiziell in unser Rudel aufnehmen, bevor wir nicht die Genehmigung dafür erhalten, da du ja vom Kontinent bist. Unser nächster Halt wird also das Schloss des Südens sein...", meinte Rakuna.

"Wo er die nächsten aufreißen wird...", fügte Kigiyakana hinzu.

"Aber Hana, was denkst du nur von mir? Du bist die Einzige für mich!", beteuerte Rakuna mit diesem versauten Lächeln, wie es irgendwie nur Männer hinkriegen.

"Oh ich bitte dich, deine Hana ist doch so zerbrechlich, die würde dein feuriges Temperament doch gar nicht aushalten!", erwiderte die Youkai und verdrehte die Augen.

"Willst du es mal ausprobieren, Hana?"

"Pech gehabt, ich steh' nicht auf Typen mit roten Augen", meinte sie schnippisch.

Kuraifaia konnte über diesen Dialog nur den Kopf schütteln.
 

*
 

Zwei Wochen später, im Westen...

Chikara fragte sich an diesem Tag zum siebten Mal, womit in aller Welt er das verdient hatte. An sich war der Job als Lehrer ja gar nicht so schlimm. Der Abschied von seinem Rudel war ihm auch leichter gefallen als erwartet. Selbst seine Schüler waren im Grunde ganz in Ordnung. Allerdings gab es da drei Ausnahmen, die ihm einfach nicht geheuer waren. Zunächst einmal war da Kowai, ein junger Dämon mit schwarz-weißen Haaren, der stets gekleidet war, als ginge es zu einer Schlacht. Er besaß so gut wie gar keine Höflichkeit, war extrem jähzornig und ließ sich von ihm einfach nichts sagen. Zwar war er in Sachen Körperkraft den anderen weit überlegen, doch an Technik mangelte es ihm viel zu viel.

Ganz anders war Abunai, ein ruhiger Youkai mit strahlend blauen Augen, der einen enormen Ehrgeiz hatte. Er war nicht, wie die Anderen, in dieser Gruppe weil er seine Ausbildung ungenügend abgeschlossen hatte, er war viel mehr ein Vorreiter aus einer jüngeren Gruppe. Sein Talent erkannte selbst Chikara an, er war fast ein wenig ZU gut und hatte eine exzellente Auffassungsgabe. Seiner Schlagfertigkeit hatte man nichts entgegen zu setzen Er blieb immer ruhig und gelassen, neigte jedoch stark zur Grausamkeit. Er packte jede Gelegenheit beim Schopf zu beweisen, dass er besser war als alle anderen. Jedoch wusste er nie wirklich, wann er eine Grenze überschritt, wann es besser war aufzuhören. Er ließ nicht ab von einem Gegner, der bereits am Boden lag, wenn dieser nicht laut und deutlich seine Niederlage gestand, was ziemlich dumm für den Unterlegenden war, wenn dieser nicht mehr sprechen konnte. Alles in allem war Abunai fast ein bisschen wie eine jüngere Ausgabe von Sesshoumaru, mit dem Unterschied, dass er alleine nichts auf die Reihe bekam. Er brauchte jemanden, der ihm Befehle erteilte, er war kein geborener Anführer. Selbstständigkeit, das war es, was ihm fehlte.

In Chikaras Augen jedenfalls war er dennoch sofort ein Lieblingsschüler. Er musste nur aufpassen, dass es nicht so viele Todesopfer gab, die mit ihm in Verbindung gebracht werden konnten.

In dieser Hinsicht musste er auch bei Korasu aufpassen. Diese Dämonin war noch recht jung, verhielt sich aber durchaus erwachsen. Ihre goldenen Augen erinnerten ihn ebenfalls an seinen Freund, doch sie hatte wenig mit ihm gemeinsam. Sie war höflich, fast schon gutmütig und er hatte sie noch niemals ausrasten sehen. Dennoch traf auf sie am besten der Spruch: "Stille Wasser sind tief" zu, denn ihr ganzes Sein hatte etwas Hinterhältiges an sich. Sie stellte sich mit dem Schwert noch recht ungeschickt an, war jedoch eine Meisterschützin mit dem Bogen. Sie bewegte sich vollkommen lautlos und konnte ihre Aura perfekt unterdrücken, hatte sich sogar einmal unbemerkt an Chikara heranschleichen können, ob nun beabsichtigt oder nicht. Der Inuyoukai hielt sie für die perfekte Attentäterin.

Seit einer Woche musste er diese Bande nun schon unterrichten und je mehr er ihnen bei brachte, desto mehr fürchtete er um das Leben der Schlossbewohner. Aber Befehl war Befehl, auch wenn er es lieber hätte, hinterher nicht die Verantwortung tragen zu müssen.

Sein Blick strich instinktiv über den Hof, als ihm ein bekannter Geruch in die Nase ströhmte. Schnell erfasste er die Lage seiner Schützlinge, ganz besonders dieser drei Problemfälle: Abunai wählte sich gerade ein neues Schwert aus von denen, die am Zaun bereitstanden, da sein altes den Youkiangriff den er zuvor durchgeführt hatte nicht standhalten konnte, Korasu legte gerade einen neuen Pfeil an die Sehne und fixierte die Zielscheibe, die in einiger Entfernung aufgestellt worden war und Kowai hatte einen menschlichen Diener im Schwitzkasten, nicht beachtend, dass der Griff eines Dämons diesem durchaus das Genick brechen konnte. Gut, dann würde sicher niemand bemerken, dass er sich mal eben aus dem Staub machte...

Chikara wandte dem Trainingsplatz, der aus einer riesigen, eingezäunten Wiese mit vielen kahlen Brandstellen bestand und außerhalb des Schlossgeländes lag, den Rücken zu und verfolgte die Fährte, die er eben noch wahrgenommen hatte. Er war überrascht, als er bemerkte, dass sein Weg ihn anscheinend zu den Stallungen führte.
 

Sesshoumaru spürte den feuchten Atem in seinem Nacken und schloss entspannt die Augen. Er genoss es hier zu sein, hier, wo ihn niemand belästigte. Wer würde den Lord der westlichen Länder schon in der Nähe der Stallungen suchen, zumal es hier für die empfindliche Nase der Inuyoukai ganz unerträglich roch? Aber das machte ihm in letzter Zeit überhaupt nichts mehr aus, denn nur hier fühlte er sich irgendwie verbunden mit IHR.

Oh ja, er dachte noch oft an sie. Die letzten zwei Wochen, in der er ihr schönes Gesicht nicht gesehen, ihre herrliche Stimme nicht gehört und ihre Lippen nicht geschmeckt hatte, hatte ihm deutlich gemacht, wie sehr sein Geist inzwischen von ihr abhängig war. Er ertrug es nie lange an sie zu denken, ohne dabei dieses schmerzhafte Stechen in seiner Brust zu spüren. Sie fehlte ihm so unendlich... Was gäbe er alles, um jetzt bei ihr zu sein.

Aber seine Gesellschaft bestand lediglich aus Ah-Uhn, dessen einer Kopf seine Schnauze vertrauensvoll in seine Halsbeuge gebettet hatte. Zum Glück sah das jetzt niemand... Normalerweise hätte er dies den Reitdrachen natürlich nicht durchgehen lassen, aber er war das einzige Lebewesen im ganzen Schloss, das ihn noch an Anis erinnerte und so hatte er eine seltsame Art von Zuneigung für den Drachen entwickelt. Dieser genoss das sichtlich. Er war jetzt sozusagen Sesshoumarus offizielles Haustier und so bekam er die beste Pflege zuteil, die Schloss Kuressento zu bieten hatte und er schien auch durchaus zu wissen, wem er das zu verdanken hatte. Die menschlichen Diener wagten über die neuentdeckte Tierliebe ihres Lords nicht den Kopf zu schütteln, sondern machten sich möglichst schnell aus dem Staub, wenn er auch nur in der Nähe war. Die Zeit des Wartens auf neue Nachrichten verbrachte der Inuyoukai meist auf dem Rücken seines treuen Gefährten, doch seine Ausflüge gingen nie länger als einen halben Tag. Heute aber war er nicht gekommen, um dem Drachen zu etwas Bewegung zu verhelfen, er wollte einfach nur loslassen von all den Gedanken, die in seinem Kopf herum schwirrten.

Doch seine Ruhe fand ein jähes Ende, als der Geruch seines Freundes Chikara den Gestank der Ställe durchdrang.

"Lord Sesshoumaru, so ein Zufall aber auch!", sagte dieser vergnügt, aber der Youkai erkannte so etwas wie Erleichterung in seinem Blick und fragte auch sofort nach:

"Du hast Probleme mit deinen Schülern?" Weshalb sonst sollte er um diese Zeit hier her kommen wenn nicht, um durch ein Gespräch mit ihm sich seiner Pflichten für einen Augenblick zu entziehen? Aber gut, nichts anderes tat er selbst ja auch gerade...

"Ehm, so würde ich das nicht nennen. Es sind alles vielversprechende Kämpfer, aber einige sind etwas... schwierig", meinte er ausweichend. In diesem fast vergnügtem Ton hatte Sesshoumaru den Anderen selten sprechen hören und war sich nun hunterdprozentig sicher, dass er nur Zeit schinden wollte, um nicht wieder zurück zu müssen.

"So schlimm?"

Chikara ließ deutlich seine Fassade fallen und sein Gesichtsausdruck bekam etwas Gequältes.

"Schlimmer...! Ich muss allen Ernstes aufpassen, dass die mir nicht das ganze Schloss zerlegen! Und wie viele Diener sie schon auf dem Gewissen haben, das wollt ihr gar nicht wissen."

"Nun, ich denke das war vorauszusehen. Aber du wirst das schon schaffen, ich vertraue da ganz auf deine Fähigkeiten." Chikara fuhr sich mit der Hand durchs Haar und seufzte schwer. "Ich werde sehen, was ich tun kann. Eine kleine Herausforderung hat ja noch niemandem geschadet", murmelte er ergeben.

"Genau das wollte ich von dir hören. Diese missratenen Plagegeister brauchen jemanden, der sie zurecht stutzt. Ich lasse dir da völlig frei Hand." Damit war das Schicksal der Schüler praktisch besiegelt, aber man konnte Chikara ansehen, das er sich über diese inoffizielle Erlaubnis sehr freute.

"Gibt es etwas Neues vom Süden?", fragte sein Freund nun.

Sesshoumaru unterdrückte ein Seufzen. Das er schon wieder daran erinnert wurde, gefiel ihm gar nicht.

"In der Tat, ja. Ich habe den Süden immer für ein ehrenvolles Land gehalten, aber scheinbar habe ich mich getäuscht", erwiderte er.

"Sie haben angegriffen?!"

"Nicht direkt, das ist ja das Problem. Sie haben mehrere Grenzrudel aus dem Hinterhalt überfallen, einige Männer getötet, aber auch viele verloren. Dennoch hören sie nicht auf. Ich habe einen Boten in den Süden geschickt und anfragen lassen, warum Fürst Ninushu Omaru den Friedensvertrag bricht, ohne wenigstens eine offizielle oder auch nur inoffizielle Kriegserklärung oder Drohung herauszugeben." Dabei hatte er den Fürsten immer für friedliebend gehalten. Aber gut, jeder hatte auch seine dunklen Seiten.

"Er hat es abgestritten?" Chikara klang verachtend. Er konnte es nachvollziehen, solch ein Verhalten war mehr als ehrlos.

"Er behauptete, er wisse von nichts und werde die Schuldigen suchen lassen. Aber das ist noch nicht alles", erwiderte Sesshoumaru und als Chikara schwieg, fuhr er fort: "Die Antwort kam nicht vom Fürsten selbst, sondern von dessen Sohn."

Chikara sog hörbar die Luft zwischen den Zähnen ein, ein Zeichen äußerster Entrüstung. Auch Sesshoumaru mochte zur Zeit nur ein Lord sein, aber da der Westen keinen Fürsten hatte, besaß er in solchen Angelegenheiten dennoch den höchsten Rang. Das eine Anfrage von ihm an den südlichen Fürsten von dessen Sohn beantwortet wurde, war eine schwere Beleidigung.

"Sie wollen scheinbar wirklich einen Krieg", sagte Chikara leise.

"Ja. Die Angriffe auf unser Volk sind im Grunde nichts weiter als Nadelstiche, sie schwächen uns nicht wirklich. Aber sie reizen die Krieger, machen sie mordlüstern. Ich wäre nicht überrascht, wenn der Süden uns so lange provoziert, bis wir eine Kriegserklärung herausgeben. Sie wollen nicht diejenigen sein, die den Vertrag brechen." Hinter ihm ertönte ein Schnauben, Ah-Uhn der scheinbar die Lust an diesem Gespräch verloren hatte, machte sich über seinen Wassertrog her.

"Wirst du diese Erklärung heraus geben?", stellte der andere Inuyoukai nun die alles entscheidende Frage.

Sesshoumaru zögerte, dachte selbst darüber nach. Natürlich konnte er solche Unverschämtheiten nicht einfach auf sich sitzen lassen, aber so ganz wohl war ihm bei der Sache nicht. Er hatte den letzten Krieg gegen die Katzenyoukai noch in guter Erinnerung. Wollte er jetzt eigenhändig einen Krieg vom Zaun brechen, noch dazu gegen seine eigene Rasse? Oder anders gefragt: Musste er es? Wie lange würde er noch abwarten können?

"Ich möchte keinen Krieg. Ich will es wirklich nicht. Aber man lässt mir keine andere Wahl..."

Chikara senkte den Kopf. "Also ist es entschieden?"

"Ich werde einen letzten Boten raus schicken, der den Süden von meiner Absicht unterrichten soll, doch ich bin fast überzeugt, dass dieser ignoriert werden wird. In diesem Fall... Werden wir das Problem mit militärischer Gewalt lösen müssen."

Sesshoumaru wandte sich wieder von seinem Freund ab, trat zu dem Reitdrachen. Während er ihm gedankenverloren über die zottelige Mähne strich, wanderte sein Blick zum Himmel und er dachte an seinen Vater. Was sollte er nur tun? Er vermisste Anis mehr als alles andere, aber er stand gleichzeitig kurz vor einem Krieg. Er wollte nichts sehnlicher, als sich auf die Suche nach ihr zu machen, aber das war nicht möglich. Er konnte doch sein Volk jetzt nicht im Stich lassen, wo es ihn so dringend brauchte. Was hätte sein Vater ihm wohl jetzt geraten? Wem sollte er folgen? Seiner Pflicht, oder seiner Liebe? Nun, im Grunde wusste er, was ihm sein verehrter Vater geraten hätte: "Hör auf dein Herz, mein Sohn", hätte er gesagt, mit seiner sanften, tiefen Stimme, die er so sehr geliebt hatte. Aber was sagte sein Herz? Was riet es ihm?

Nun, die Antwort hatte er jeden Tag auf's Neue zu spüren bekommen: Es rief nach Anis. Es verlangte nach ihr, wie jeder Teil seines Körpers nach ihr verlangte. Aber seine Vernunft sträubte sich dagegen und der Youkai wusste, dass der einzige Grund, warum er diesem Drängen nicht schön längst nachgegeben hatte, der war, dass er sicher wusste, dass seine Liebe nicht erwidert wurde. Die Gewissheit, dass ihr Herz nicht so stark nach ihm rief, wie sein eigenes, hatte ihm jede Hoffnung genommen, je mit ihr glücklich werden zu können. Wäre da nicht seine Pflicht, gäbe es wohl gar keinen Grund mehr für ihn, am Leben zu bleiben. Das war seine letzte Aufgabe, seine Pflicht zu erfüllen. Der Süden wollte einen Krieg? Den würde er bekommen! Er würde die heftigste Niederlage seit Jahrtausenden einstecken müssen, erkennen, mit wem er sich angelegt hatte. Er hatte es nie darauf abgesehen gehabt, aber gut. Er würde diesen Krieg für sich entscheiden, in der Gewissheit, dass Anis ohne ihn glücklich werden würde. Sie stammte aus einer anderen Welt, einer anderen Zeit und war gewiss so glücklich darüber gewesen ihn los zu sein, dass sie sofort wieder dorthin zurückgekehrt war. Sie wäre für ihn ohnehin unerreichbar, erinnerte er sich doch noch genau daran, wie eifersüchtig ihre Geschwister über sie gewacht hatten. Zwar hatten sie sie letztendlich mit ihm gehen lassen, aber das wohl auch nur, um diese Menschenstadt vor dem Kampf zu bewahren. Sicher hatte Anis sie gebeten, die Sache ihr zu überlassen, hatte selbst mit ihm reden wollen, ihn überreden, das er sie gehen ließ. Er hatte dies geahnt, als er ihr wieder begegnet war und er hatte ihr vorausgegriffen, wohl aus Furcht von ihr verletzt zu werden, wie er sich nun eingestehen musste.

Nein, alles in allem war es die richtige Entscheidung gewesen, sie zurück zu lassen. Dennoch, vielleicht könnte er ihr einen kleinen Besuch abstatten, wenn dieser Krieg hier vorbei war. Einfach nur um zu sehen, wie es ihr ging, ob sie auch wirklich glücklich war. Er könnte dies unauffällig tun, er müsste ja nicht mit ihr reden. Nur, um noch ein mal ihr liebliches Gesicht zu sehen...
 

*
 

Mehrere Wochen später im Süden...

Das Schloss des Südens war ein verblüffender Anblick. Man konnte es fast nicht mehr Schloss nennen, es war schon fast eine kleine Stadt. Die einzelnen Gebäude waren riesig, einige Hallen waren extra darauf ausgelegt, auch mehrere Hundedämonen in ihrer wahren Gestalt zu beherbergen. Auf den ersten Blick mochte die Bauweise ziemlich wirr erscheinen, überall waren die Bauten mit einzelnen Brücken verbunden, die sich kreuz und quer über- und durch das Schloss spannten. Der Boden bestand hauptsächlich aus angelegten Bächen und Wasserbecken. So befanden sich die Häuser in gewissermaßen auf kleinen Inseln. Es gab keinen einheitlichen Gartenbereich, dafür aber war überall zwischen den Gebäuden etwas Grün zu sehen, hier eine kleine Baumgruppe, da ein mit Blumen bewachsenes Ufer. Der Stein hatte zahlreiche Verzierungen und einige Gebäude sahen fast wie Tempel aus. Riesige Torbögen, die keinem ersichtlichem Sinn dienten, spannten sich scheinbar nutzlos von einem Fleck zum nächsten.

Kuraifaia sah dieses Schloss zu einer Zeit, als die malerischen Bäume mit Schnee bedeckt und die Bäche zugefroren waren. Mehrere Wochen waren ins Land gezogen und ihr zukünftiges Rudel hatte sein Ziel pünktlich mit dem Wintereinbruch erreicht. Von den Dächern hingen schillernde Eiszapfen herunter, die das Licht in allen erdenklichen Farben widerspiegelten. Doch für diese Idylle und Schönheit hatte sie keinen Blick, sie sah den Herrschaftssitz des südlichen Fürsten mit anderen Augen.

Das Schloss, mit all seinen Anlagen, war eindeutig auf Youkai ausgelegt. Sie konnte zwar auch viele menschliche Diener wahrnehmen, aber die Herren waren die Dämonen - und für den herumziehenden Stamm der Inuyoukai waren das erstaunlich viele, wie sie feststellte. Viele, nahezu alle der Youkai hier waren in der Lage zu fliegen, oder doch zumindest hohe und weite Sprünge zu machen. Es gab hunderte von Punkten, auf denen man sich zwischendurch niederlassen konnte, um das Schloss von oben zu betrachten, perfekt für ihren Federflug. Das viele Wasser wirkte in gewisser maßen als Abgrenzung, um Ordnung zu schaffen. Es war jedoch nicht besonders tief, man könnte locker darin stehen, außer natürlich jetzt, wo es gefroren war.

Als das Rudel und mit ihm Kuraifaia sich dem Schloss genähert hatte, waren sie noch kurz von den Schlosswachen aufgehalten worden, die keine Fremde herein lassen wollten. Scheinbar jedoch war Rakuna hier schon bekannt und sie ließen sie durch. Kurz darauf hatte Kuraifaia etwas wie ein schmerzhaftes Ziepen gefühlt: einen Bannkreis. Sie hatte Rakuna danach gefragt und er hatte erklärt, dass hier niemand hereinkäme, der dem Süden oder einem der Schlossbewohner gegenüber feindliche Absichten hegte. Würde jemand die Wachen töten oder diese ihm keinen Einlass gewähren, würde sich automatisch ein zweiter, mächtigerer Bannkreis aktivieren, der für zusätzlichen Schutz sorgte. Die Stellen, an denen die Wachen postiert waren, waren die einzigen Stellen im Bannkreis, die überhaupt durchschritten werden konnten.

Doch auch das Schloss selbst kam einer dämonischen Festung gleich. Rakuna erklärte ihr, dass das Material, aus dem das Schloss gebaut worden war, vollkommen feuerfest und sehr stabil war. Von den vielen Brücken aus ließen sich eventuelle Feinde sehr gut mit Bogenschützen oder Youkiattacken abwehren und die vielen Inseln waren ideal für Zweikämpfe. Im Kriegsfall wurden spezielle Zauber, die vor Urzeiten in das Gestein eingearbeitet worden waren, ausgesprochen. Diese hielten einfallende Feinde am Boden, die Flugfähigkeit wurde zunichte gemacht und Sprünge waren nur noch unter zwei Metern möglich. Auf diese Weise wurden die Feinde von oben attacktiert, ohne selbst hinauf zu kommen. Für solche Fälle gab es sogar einige Türen im Schloss, die ganz einfach ins Freie führten - in zwanzig Metern Höhe. Sobald man unten war, konnte man zwar nicht wieder hinauf, aber durch die Wasserabgrenzung und den geringen Platzgehalt auf den Inseln konnten sich nie zu viele Feinde auf einen Gegner stürzen.

"Kuraifaia, du guckst, als wäre das der Himmel auf Erden," meinte Kigiyakana säuerlich, als sie den skeptischen Gesichtsausdruck der Youkai sah.

"Es wird dir hier gefallen, da bin ich sicher", meinte Ame aufmunternd.

"Und wenn nicht, kann ich dir als erstes den Trainingsplatz zeigen, dann kannst du dich abreagieren", meinte Yoku Shinsetsuna lachend. Kuraifaia hatte nur einen eisigen Blick für ihn übrig, sie mochte seine Scherze nicht.

Jetzt kam auch Rakuna dazu. Er hatte eben den restlichen Inuyoukai den Befehl gegeben, sich bei Heigoku zu melden. Der war normalerweise dafür zuständig, den Soldaten ihren Fähigkeiten nach eine Stellung zu geben, beziehungsweise in Friedenszeiten einen Großteil der Verwaltung zu übernehmen. Jetzt aber war er für die Unterkünfte aller männlichen Krieger verantwortlich, die auf das Schloss gekommen waren, um sich davon zu überzeugen, was denn nun an dem Gerücht über den Krieg dran sei oder wann es endlich losgehe. Da immer mehr Youkai herkamen, war es auch seine Aufgabe, ihnen allen bestimmte Aufgaben zuzuteilen, damit sie sich nützlich machen konnten.

"YoSet, tu mir den Gefallen und mach mal was Vernünftiges: Komm endlich zu Potte!", knurrte der Rudelführer verärgert, weil Yoku Shinsetsuna noch immer bei den Frauen stand. Der Angesprochene knirschte nur noch einmal mit den Zähnen, bevor er sich davonmachte, wohl aber eher wegen dem lästigen Spitznamen, den er auf den Tod nicht ausstehen konnte.

"Hana, du bringst die Hunde weg und Ame, du zeigst Kuraifaia am besten erst einmal den Frauentrakt. Bei dem Wirbel der hier herrscht werden wir eine Weile brauche, bis der Antrag dich in unser Rudel aufzunemen, Gehör findet. Es ist gut möglich, dass wir ein paar Monate hier verbringen müssen", sagte er dann.

"Rakuna, bei aller Liebe die ich dir entgegenbringe", Kigiyakana verzog angewidert das Gesicht, "wenn du mich noch ein einziges Mal 'Hana' nennst, schlitz' ich dich auf, gebe dein Blut für Transfosionen frei, schneid' dich in kleine Würfel, verbrenne deine verschimmelten Überreste zusammen mit einem Haufen fauler Eier und reiß' dir anschließend den Kopf ab! Und das in genau dieser Reihenfolge!", zischte sie bösartig. Ame und Kuraifaia rollte genervt die Augen.

"Was redest du nur für unschickliche Dinge? Du tust immer so arrogant und unerreichbar, aber in Wirklichkeit schlägt doch auch in dir nur ein weibliches Herz...", meinte Rakuna, scheinbar vollkommen von sich und seinen Worten überzeugt.

"Komm, Kuraifaia, das kann jetzt noch Stunden so weiter gehen", meinte Ame flüsternd. Kuraifaia stimmte ihr nickend zu.

"Niveau sieht nur von unten wie Arroganz aus", erwiderte die Youkai inzwischen schnippisch.

"Ach Hana, Liebes, ich-" Weiter kam der Rudelführer nicht, denn Kigiyakana hatte mit einem Kampfschrei ihren Speer in seine Richtung geschwungen und er musste hastig den Kopf einziehen.

Kuraifaia und Ame entfernten sich derweil so rasch wie möglich. "Ist das... normal?", fragte die Youkai nach einer Weile.

"Oh - das. Ja, da brauchst du dir keine Sorgen machen. Die bringen sich nicht um", antwortete Ame nur leichthin. Kuraifaia hatte dies jedoch nicht wirklich getan, sie machte sich eher Sorgen um ihren eigenen Geisteszustand, wenn sie den ganzen Tag von solchen Irren umgeben war. Immerhin war es mittlerweile acht Wochen her, seit sie auf das Rudel gestoßen war und warum auch immer, aber es hatte sich eine gehörige Menge an Aggression in ihr angesammelt.

Ame und Kuraifaia benutzen den Weg über die Dächer und Torbrücken des Schlosses und den dazugehörigen Anlagen. Sie kamen nur gemächlich voran, weil sie immer wieder stehen blieben und Ame ihr erzählte, wo bestimmte Bereiche anfingen und endeten, wo die ausgewählten Kampfplätze und Stallungen waren, wo die Räume der Krieger und wo die der Herrscherfamilie waren. Es gab sogar so etwas wie eine Schule, für die auszubildenen Krieger, eine Weberei, ein Verwaltungshaus, die Unterkünfte für die menschlichen Diener und vieles mehr.

Der Frauentrakt selbst befand sich in der Nähe eines der vielen, winzigen Gärten. Hier endete ein Arm des Bachsystems in einem runden Becken, in dessen Mitte ein Springbrunnen aus weißem Marmor stand. Da hier die Strömung doch recht ordentlich war, war auch kein Eis zu sehen. Im Wasser schwammen mehrere, schneebedeckte Seerosen, das Ufer war wohl zur Sommerzeit mit einer Vielfalt bunter Blumen bewachsen und die Säulen, die zum Eingang des Gebäudes führten, waren dann mit grünen Ranken umschlungen. Jetzt aber sah alles gleich aus: weiß.

Es gab Dutzende Fenster, ohne jegliche Fensterscheiben, die das Licht ungehindert durch ließen. Hundedämonen kümmerten sich nicht um Zugluft, Kälte oder einfallenden Regen, aber sie waren ungern 'eingesperrt'. Deswegen hatte fast jedes Zimmer mindestens einen direkten Ausgang ins Freie. Das Wort 'Trakt' passte hier nicht mehr so recht, es glich eher einer überdachten Allee, an deren rechter Seiten sich die jeweiligen Zimmer befanden, links befand sich eben so etwas wie eine Fensterfront, nur eben ohne Glas. An den Wänden waren kunstvolle Kreidebilder gemalt, die riesige Hunde darstellten, die auf friedlichen Blumenwiesen lagen, oder wunderschöne Frauen, die man dank ihrer spitzen Ohren als Dämoninnen identifizieren konnte, falls sie nicht solch ausgefallende Hörorgane wie Kigiyakana oder Ame besaßen.

"Diese Bilder vermitteln einen völlig falschen Eindruck. Die meisten Frauen hier sind Kriegerinnen", sagte Ame, als sie Kuraifaias wenig begeisterten Blick sah.

"Sicher, aber sie sind doch alle hier, um sich um die Ausbildung ihrer Welpen zu kümmern, richtig?", fragte Kuraifaia missbilligend. Sie hielt nicht besonders viel von der mittelalterlichen Haremswirtschaft, die in den höheren Rängen noch vorhanden war und wo Frauen praktisch nur Gebärwerkzeuge waren, die man für ein angemessenes Brautgeld verkaufte.

"Nun, meistens schon. Es gibt für Frauen keinen anderen Grund, hier her zu kommen, außer sie sind in den Rudeln dabei, die hier her kommen, so wie wir. Eigentlich kann man es als getrennte Gästezimmer bezeichnen...", erwiderte Ame beschwichtigend.

"Na schön, wo müssen wir hin?" Zwar würde sie die meiste Zeit sowieso nicht in ihrem Zimmer verbringen, aber es war doch schön, einen Raum nur für sich zu haben.

Wir müssen uns bei Yûkyô melden, sie ist die Aufseherin für den Frauentrakt", antwortete Ame.

Yûkyô stellte sich als eine freundliche, optimistische Person heraus. Sie hatte blauschwarze, hüftlange Haare, die am Hinterkopf mit einer Schmetterlingsspange zusammengebunden waren. Anders als die vereinzelten Hundedämoninnen, die Kuraifaia im Vorbeigehen gesehen hatte, trug sie keinen Kimono oder Kampfanzug, sondern ein hübsches, blaues Kleid. Sie wirkte ganz und gar nicht wie eine Kriegerin und Kuraifaia konnte sich gut vorstellen, dass sie in dieses Zeiten des Kampfes noch ernste Probleme bekommen würde.

"Oh, du musst Kuraifaia sein, stimmt's? Und du bist Ame, von Rakunas Rudel. Sicher wollt ihr, dass ich euch eure Zimmer zeige. Nur zu, kommt mit!", sagte sie fröhlich und mit dem breitesten Lächeln, dass Kuraifaia je gesehen hatte. Sie beschloss auf Anhieb, dass sie diese Frau nicht leiden konnte.

Ame jedoch erwiderte ihre freundliche Geste und folgte ihr sofort, sie blieb jedoch blieb misstrauisch. "Woher kennst du unsere Namen?", fragte die Dämonin.

"Ich habe zufällig eine Hündin aus eurem Rudel getroffen, die es mir gesagt hat. Die Tiere haben sich scheinbar überall verteilt, ihr solltet sie besser zu den dafür vorgesehenden Plätzen bringen", antwortete sie lächelnd.

Ame beugte sich zu Kuraifaia und flüsterte ihr ins Ohr: "Yûkyô ist mit den Hunden besonders verbunden. Zwar kann jeder Inuyoukai mit Hunden kommunizieren und ihnen Befehle geben, aber sie kann richtig mir ihnen sprechen. Kigiyakana kann das auch, aber sie hetzt sie eher auf... Jetzt ist sie aber wohl mit Rakuna beschäftigt."

"Das ist eine Schande, sie sollte sich mehr um ihre Pflichten kümmern, statt mit dem Rudelführer rumzuflirten", rutschte es Kuraifaia heraus.

Ame machte ein verständnisloses Gesicht. "Was bedeutet 'flirten'?"

"Vergiss es."

"So, wir sind da. Das hier ist dein Zimmer, Ame, das gegenüber ist das von Kuraifaia. Wenn ihr etwas braucht, dann klingelt einfach an dem Glöckchen, das neben der Tür hängt, dann kommt eine Dienerin", erklärte Yûkyô munter. Kuraifaia warf ihr einen missbilligenden Blick zu und wandte sich ab. Energisch betrat sie ihr Zimmer und zog die Schiebetür so heftig hinter ihr zu, dass das Holz erschüttert wurde.

In diesem Moment war es ihr scheißegal, was die anderen von ihr dachten. Ihre Augen nahmen die hübschen Zimmerpflanzen überhaupt nicht wahr, genauso wenig wie die flauschigen Kissen, die am Boden lagen. Mit einem wütenden Fußtritt schleuderte sie eines davon gegen die Wand. Sie hatte keine Ahnung aus welchem Grund, aber sie fühlte sich enttäuscht und verzweifelt. Gefühle wie Wut und Hass brandten in ihr auf, ohne das sie die geringste Ahnung hatte, woher das kam.

Mit einem wütenden Knurren warf sie sich in die Kissen und vergrub ihr Gesicht darin, ihre Finger krallten sich in die Federn. Etwas Heißes floss an ihrer Wange herunter.
 

"Was war das denn gerade?", fragte Yûkyô verwirrt und starrte die Tür zu Kuraifaias Zimmer an.

"Keine Ahnung. Sie scheint ein wenig aufgewühlt zu sein. Kuraifaia war schon so angespannt, seit ich sie kennengelernt habe. Aber seit ein paar Tagen ist es wirklich schlimm. Einmal hat sie sich sogar ernsthaft mit Kawamaru angelegt. Das ist so ein mieser Typ, der alle angreift, die auch nur eine falsche Bewegung machen. Im Grunde wollte sie nur mit ihm reden, aber irgendwie kam es zum Kampf. Normalerweise hätte Rakuna sie vielleicht bestraft, weil sie ihn ganz schön zugerichtet hat, aber wir waren alle ganz froh, dass er mal etwas auf den Deckel gekriegt hat. Aber was soll's, das ist jetzt schon zehn Tage her und es ist Gras über die Sache gewachsen...", erzählte Ame.

"Ich denke, sie hat... schwerwiegende Probleme... Womit könnte das zu tun haben?", fragte Yûkyô besorgt.

"Keine Ahnung. Gestern Nacht, als der erste Schnee gefallen ist, waren alle ganz gut drauf, es sah herrlich aus, wie die weißen Flocken durch die schwarze Nacht geflogen sind. Sie war als einzige total miesepetrig..." Ame überlegte, ob Kuraifaia vielleicht einfach keinen Schnee mochte. Aber das war doch albern. Oder? Im Grunde wusste sie ja rein gar nichts über ihre Freundin.

In der darauf folgenden Nacht hatte Kuraifaia erstmals wieder das Bedürfnis, sich ordentlich auszuschlafen. Die Reise war lang und auch etwas anstrengend gewesen, aber hauptsächlich die veränderte Lage, die vielen neuen Informationen und Ergebenheiten, hatten sie erschöpft. Dennoch hatte die Youkai keineswegs die Absicht, sich in einen solchen Zustand der Achtlosigkeit zu begeben. Andererseits würde es hier natürlich auch niemand bemerken. Vielleicht sollte sie sich doch etwas ausruhen...

Die Sonne ging unter und ihre Strahlen drangen durch den dünnen Stoff, aus dem die Vorhänge bestanden. Diese waren hier, um dem Dämon im Inneren einen Ausgang zu bieten und ihn dennoch vor den Blicken anderer zu verstecken und dafür war Kuraifaia im Moment sehr dankbar.

Noch bevor die Sonne vollständig hinter dem Horizont verschwunden war, hatte sich die Youkai in die erholsame Dunkelheit begeben.
 

Sie hatte einen höchst seltsamen Traum. Es fing ganz harmlos an, sie lief mit Ame und Kigiyakana zusammen durch den Wald. Plötzlich ertönte ein gewaltiges Tösen, mehrere Bäume fielen um und zum Vorschein kam: Sesshoumaru!

Wie das in Träumen so ist, war er an die zwanzig Meter groß, aber dennoch in seiner menschlichen Gestalt. Er streckte seine riesige, krallenbewehrte Hand nach ihr aus, Kuraifaia wollte sich wegducken, musste aber feststellen, dass sie sich nicht bewegen konnte. Ihre Füße stecken fest im Eis. Moment - Eis? Tatsächlich, erst jetzt bemerkte sie, dass es um sie herum schneite.

Aus den Fingern des Inuyoukais drang eine grün leuchtende Peitsche und Kuraifaia, die wusste was das hieß, riss entsetzt die Augen auf. Doch nicht sie war es, die getroffen wurde. Stattdessen hörte sie ein Stöhnen hinter sich, drehte sich um und sah Ame und Kigiyakana, wie sie tot am Boden lagen.

Nachdem sie den ersten Schock überwunden und ihre Sprache wiedergefunden hatte, schrie sie den riesigen Sesshoumaru an: "Warum hast du das getan?! Was soll das? Warum bist du noch immer hinter mir her?!"

"Törichtes Ding! Geh zurück in deine Welt, ich brauche dich hier nicht!", rief der Hundedämon eisig.

"Aber... ich dachte...!" Tränen liefen ihr über das Gesicht, alte Wunden schienen wieder aufzubrechen.

"Was denn? Weinst du mir noch immer hinterher? Du weißt gar nichts über mich! Du bist es nicht würdig, auch nur die selbe Luft wie ich zu atmen!", schnaubte er verächtlich, und wuchs noch um einige Meter an.

Jetzt wurde es ihr zu viel. "Das glaubst aber auch nur du! Ich habe mich immer gut gegen dich geschlagen! Ich war eine echte Gegnerin für dich, gib's doch zu!", rief sie wütend. Sie wollte unter ihrem Ärmel nach dem Bogen greifen, doch der war nicht da.

Wieder schnellte die Energiepeitsche vor, drohte sie in zwei Teile zu zerreißen. Kuraifaia wich aus und landete mit beiden Beinen und einer Hand auf dem Boden. Sie wollte ihre Youkiattacke anwenden, den Boden aufreißen, doch nichts passierte. Sie konnte ihre dämonische Energie nicht spüren!

"Dummkopf! Gegen mich bist du machtlos! Du hast dich unter elendigen Menschen versteckt, nur um mir zu entkommen! Wie sollte so jemand ein echter Gegner für mich sein?!", fuhr er sie an, ein grausames Lächeln spielte um seine Lippen.

Wieder spürte Kuraifaia die Tränen. "Du hast gesagt...das du etwas für mich empfindest...", murmelte sie mit hängendem Kopf.

"Wenn ich dich tatsächlich geliebt hätte, hätte ich dich nicht zurückgelassen. Es gibt tausend andere Sachen, die mir wichtiger sind als du. Du hast mich verraten...!"

Kuraifaia zuckte zusammen. Der Boden unter ihr begann zu beben, Risse taten sich auf.

"Was soll das?! Ich habe dich nicht verraten!", rief sie panisch, während sich ein Spalt, genau zwischen ihren Füßen bildete.

"Du hast mich schon immer verraten...", sagte Sesshoumaru mit einem mal leise, "damals, an Naraku. Wegen dir ist Rin gestorben! Und du hast mich verraten, als du mich allein und schwer verletzt von deinen Geschwistern einfach zurück gelassen hast! Selbst jetzt noch stellst du dich auf die Seite meiner Feinde!" Er wirkte richtig wütend, so hatte sie ihn noch nie erlebt. Er war jetzt mindestens fünfzig Meter hoch, der Schnee wurde immer heftiger und die Kälte biss auf ihrer Haut, es war wie damals, mit dem Richiru-Fluch. Aber da war Sesshoumaru an ihrer Seite gewesen und jetzt... Jetzt war er ihr Feind! Mein Gott, er hatte Recht, sie HATTE ihn verraten!

Mit einem lauten Krachen brach der Spalt in der Erde auseinander und Kuraifaia fiel in die Tiefe. Sie schrie um Hilfe, doch das einzige, was sie sah, war Sesshoumarus eiskalte, grausame Miene. "Ich bin dein Feind, Anis. Und meine Hand wird es sein, durch die du einmal sterben wirst!"

Über ihr schloss sich der Spalt und dann war da nur noch Leere.
 

Kuraifaia erwachte schweißgebadet. Ihr Gesicht war nass und sie roch, dass sie geweint hatte. Wütend wischte sie mit dem Ärmel über ihr Gesicht, bevor sie sich gehetzt umsah. Eine Sekunde später stand sie auf den Beinen und rannte zu einem der Fenster hinüber, zog den Vorhang beiseite. Draußen herrschte Nacht, der Garten war unter einer Schneedecke verborgen. Am Morgen hatte man noch vereinzelte Blumen sehen können, nun aber sah es eintönig aus, keine einzige Person war im Umkreis wahrzunehmen.

Kuraifaias Geist aber setzte bei all diesem Weiß aus, ihr Traum kam ihr auf einmal so real vor. Nicht weit entfernt stand ein kahler Kirschbaum, von dessen Ästen Schnee fiel. Aus dieser Entfernung und mit den Nachwirkungen des Traums glaubte Kuraifaia für eine Nanosekunde, Sesshoumaru vor sich zu haben.

Wut stieg in ihr auf. Wut auf sich selbst, weil sie jetzt schon Halluzinazionen bekam und Wut auf Sesshoumaru, weil er sie jetzt schon in ihren Träumen verfolgte.

"Das ist nicht wahr", flüsterte sie leise, "Ich habe ihn nicht verraten."

Ihre Finger krallten sich in das Holzgeländer. Das mit Naraku war ihr Fehler gewesen, okay. Aber dafür hatte sie sich entschuldigt! Und die Sache mit ihrer Familie konnte er ihr nicht vorwerfen, was hätte sie schon anderes tun sollen, als mit zu gehen?! Ihre Geschwister hatten ihr nur helfen wollen, sie konnte sich doch nicht gegen sie stellen! Nein, sie hatte ihn nicht verraten! Sesshoumaru hatte nicht das Recht, ihr so etwas vorzuwerfen! Im Gegenteil!, fiel es ihr plötzlich ein, Er war es, der sie verraten hatte! Er hatte halb Tokyo zerstört um sie mitzunehmen, hatte sie aus den Händen ihrer Familie gerissen! Er hatte sie wieder mitgenommen und gerade da, als sie bereit war ihm wieder zu folgen, bis ans Ende der Welt, wenn nötig, da hatte er sie einfach zurückgelassen! Er hatte nicht das Recht, ihr irgendetwas vorzuwerfen! Er hatte ihr alles Erdenkliche angetan, ihre Freunde getötet und bedroht, ihre Heimat angegriffen und ihren Geist verwirrt. Ja, er hatte sie sogar entehrt! Durch dieses dumme Ritual war sie jetzt mit ihm verlobt! Nie wieder würde sie einen anderen Mann finden, denn wer nahm schon eine abgewiesene Verlobte zur Frau? Sesshoumaru hatte ihre gesamte Zukunft zerstört! Sie allein hätte Grund, ihm etwas vorzuwerfen! Aber nein, sie war so dumm, so naiv gewesen, sich in ihn zu verlieben!

Kuraifaias Wut steigerte sich ins Unermessliche, sie hasste diese Gefühle zu ihm. Sie konnte es sich nicht leisten, sie zu besitzen. Sie hatte so viel Mühe daran vergeudet, diese Gefühle zu verbannen, zu unterdrücken, vorzugeben sie nicht zu besitzen. Das war ein Fehler. Sie musste es nur raus lassen. Diese unterdrückte Wut auf ihn, auf sich und auf den Rest der Welt. Einfach raus damit!

Mit einem mächtigen Schlag fegte Kuraifaia den Schnee vom Rasen. Sie hasste dieses weiße Zeug, hatte es schon immer gehasst. Kalt und weiß, genau wie Sesshoumaru. Der Teufel in Engelsgestalt. Wie hatte sie nur auf ihn hereinfallen können?!

Die Youkai sank am Ufer des Beckens zu Boden, nur das leise Plätschern des Springbrunnens störte die Ruhe.

"Also gut, Sesshoumaru", sagte sie leise, entschlossen, "Was du kannst, kann ich schon lange."

Sie betrachtete ihr Spiegelbild verbissen. "Ich bin also kein Gegner für dich, ja? Das wollten wir doch mal sehen." Trotzig reckte sie ihr Kinn vor. Sesshoumaru könnte durchaus Recht haben. Sie würden sich bald in Kriegszeiten befinden und das Gebiet, durch welches sie mit dem Dämon gereist war, war größtenteils westlich gewesen. Gut möglich, das sie sich irgendwann einmal mit Kampf wieder sahen. Dann würde sie bereit sein. Sie würde ihm zeigen, dass sie kein schwaches Mädchen war, das sich unter Menschen versteckte, um ihm zu entkommen! Sie hatte einen Verrat nicht nötig. Das sie hierher gekommen war, war reiner Zufall. Eines Tages würde sie ihn wieder sehen und dann... ja, dann würde sie ihm zeigen, wozu sie fähig war! Er mochte ihren Geist verwirrt, ihren Willen geschwächt, ihr Herz gebrochen haben. Aber das war jetzt egal. Sie würde ihm alles zurückzahlen, was er ihr angetan hatte! Sie würde ihm die selben Schmerzen zufügen, die auch er ihr beigebracht hatte! Sie würde sein Herz zerstören, sie würde... Ja, sie würde ihn töten!

Die Sonne stieg langsam über den Horizont und beleuchtete den Schnee. Ein neuer Tag begann.

Und Kuraifaia war bereit.

Wandelnde Blumentöpfe

Dieses Kapitel handelt von zeitraubenden Gerichtsverfahren, mitreißenden Motivationsreden, wandelnden Blumentöpfen, heulenden Prinzessinnen, respektlosen Soldaten, und anderen, allgemeinen Kriegsvorbereitungen, kurz: Die erste Schlacht steht kurz bevor.
 

XxX
 

"Ich sage es zum letzten Mal: Nein! Du kannst nicht von mir erwarten, dass ich eine völlig Fremde mal eben so nebenbei in den Südclan aufnehmen lasse, und in Kriegszeiten schon gar nicht! Wenn du mir noch einmal mit einem solch lächerlichen Vorschlag kommst, lasse ich dich mit samt deiner Angebeteten in den Kerker werfen!"

"Ich verstehe Eure Bedenken, aber sie wäre eine große Bereicherung für unser Land! Ich würde sie vollkommen unter meine Verantwortung stellen, Herr", beteuerte der Youkai.

"Das ist -" Der Dämon brach ab, denn plötzlich hallte ein lauter Ruf durch den Saal: "Die Kitsune ist verschwunden!"

Ein Bote kam in den weitläufigen Audienzsaal gestürmt und ließ sich hastig vor einem der beiden Dämonen zu Boden fallen.

"Samuke, Herr, die Kitsune ist fort! Wir haben überall im Schloss gesucht, aber wir können sie nicht finden!" Der Youkai in den Kleidern eines gewöhnlichen Angestellten presste seine Stirn auf den Boden.

"Verdammt, was seit ihr denn für Hohlköpfe?! Könnt nicht einmal auf eine einfache Kitsune aufpassen! Sucht weiter, aber sagt dem Fürsten noch nichts. Ein Fehler und ich reiße euch in Stücke!" Dem Fürsten würde das sicher gar nicht gefallen. Er hatte sowieso schon viel zu viel mit dem Krieg zu tun. Erst vor einer Woche hatten sie die Kriegserklärung des Westens erhalten und seitdem herrschte ständig Aufregung im Herrscherhaus. Die Grenzen waren abgesperrt worden, Boten waren in alle Himmelsrichtungen ausgeschickt worden, um die Inuyoukai der einzelnen Rudel zu versammeln. Sicher, bis es wirklich losging, würde noch sehr viel Zeit vergehen, aber Vorsicht war besser als Nachsicht. Wie konnte Rakuna zu solch einer ungünstigen Zeit mit einer Fremden daher kommen?! Es war doch sicher eine Spionin! Und je stärker sie war, desto schlechter.

Aber jetzt musste er sich erst einmal um das Problem mit der Kitsune kümmern. Der Fürst selbst hatte ihm, dem Haushofmeister und damit Aufseher über so ziemlich alles was hier im Schloss geschah, extra eingeschärft, dass die Kitsune nicht entkommen durfte. Im schlimmsten Fall würde er, Samuke, die Strafe dafür erleiden müssen.

"Rakuna, du schließt dich der Suche an. Vielleicht überlege ich mir dein Anliegen dann noch einmal", befahl Samuke in einem herrischem Tonfall.

"Jawohl, Herr", sagte der Rudelführer ergeben und nahm es als Erlaubnis sich zu entfernen. Samuke sah es mit Befriedigung. Er mochte es, so höflich behandelt zu werden und jetzt, da der Fürst und der Lord zusammen mit dem Rat über eine Möglichkeit brüteten, den Krieg doch noch abzuwenden, unterlag ihm hier das ganze Schloss und die Soldaten. Diesen Luxus sollte er genießen. Wenn nur die Kitsune nicht wäre!
 

"Hey, du! Wer zum Teufel ist die Kitsune?", fragte Rakuna den nächstbesten Diener, den er auf dem Gang antraf.

Dieser verneigte sich hastig, denn er war nur ein Mensch und erkannte sehr wohl, dass er da einem höheren Wesen gegenüberstand.

"Die Kitsune, Herr, ist eine Fuchsyoukai, die vor Kurzem hier angekommen ist. Ich weiß leider auch nichts genaues", hierbei zitterte er wie Espenlaub, nur weil Rakuna eine Augenbraue hochzog, "aber Yûkyô könnte Euch vielleicht mehr Auskunft geben, die Kitsune war in einem Nebenflügel des Frauentrakts untergebracht."

Noch bevor der Mensch ausgesprochen hatte, war Rakuna schon um die nächste Ecke verschwunden. Er kannte Yûkyô gut, er erinnerte sich, als er das letzte Mal auf dem Schloss gewesen war, da... Er grinste still in sich hinein.

Vom Haupthaus aus war der Weg zum Frauentrakt nicht besonders weit und für einen Dämon, der die vielen Dächer und Torbögen nutzen konnte, schon gar nicht. So dauerte es nicht lange, bis Rakuna die Gesuchte wittern konnte. Da jedoch durchbrach ein erstickter Schmerzensschrei die Stille und der Hundedämon zuckte unwillkürlich zusammen, nicht zuletzt auch wegen dem Blutgeruch. Er blieb schwankend auf einem großen, silbernen Bogen stehen und sah auf das Geschehen unter ihm herab.

Dort befand sich eine der kleinen Inseln, doch das Wasser darum herum war gefroren und mit einer Schneeschicht bedeckt, so dass alles wie eine einzige, große Fläche aussah, an dessen einen Ende er Yûkyô erkennen konnte. Eine Fläche, die sich an einer Stelle rot gefärbt hatte. Dort lag ein männlicher Inuyoukai in einer großen Blutlache und schlug wild um sich. Über ihm hatte sich breitbeinig Kuraifaia aufgebaut, an ihre Fingern klebte frisches Blut. Die halb durchgestoßenen Augenhöhlen des Untenliegenden bewiesen seine Schmerzen.
 

*
 

Im Westen...

"Die Südler sind in dem Gebiet um Hamko eingefallen. Dort haben sie durch einen hinterhältigen Überraschungsangriff eine der wenigen, festen Ansammlungen von Höhlen, in denen ganzjährig Hundedämonen lebten, ausgelöscht. Es gab sechtzehn Tote, der Rest konnte fliehen", berichtete Nagai mit ernster Miene.

Sesshoumaru hielt seinen Blick weiterhin starr auf die Landkarte gerichtet, die man vor ihm ausgebreitet hatte. Seit er hier angekommen war, was immerhin mittlerweile schon drei Monate her war, schienen sich die kleinen Überfälle des Südens immer mehr zu häufen. Aber noch nie hatten sie es gewagt, ein so komplexes Lager anzugreifen, es waren immer nur einzelne Rudel nah an der Grenze gewesen.

Der Lord bemerkte, dass Jijuuna Tori seinen Blick suchte und nickte ihm kurz zu, als Zeichen das er sprechen durfte.

"Mein Lord, ich vermute, dass sie sich für den Tod ihrer Kameraden neulich rächen wollten."

"Dieses Rudel hat viele von unseren Truppen angegriffen, sie haben es praktisch drauf angelegt", wies er ihn zurecht.

Nun mischte sich Aoi Yuki ein: "Natürlich war es richtig,diese Dämonen zu töten. Allerdings haben sie das alles möglicherweise nur getan, um uns zu provozieren. Dieser Krieg baut sich auf einem wiederholtem Rachenehmen auf."

"Was willst du damit sagen?", fragte Sesshoumaru unwirsch.

"Um es auf den Punkt zu bringen, heute Morgen kam ein Bote aus dem Süden, mit einer Nachricht von Fürst Ninushu Omaru. Er bittet uns, die Kriegserklärung zurück zu nehmen, sie würden für die Schäden aufkommen", erwiderte der Youkai kurz.

Sesshoumaru verzog nur verächtlich das Gesicht. "Ist dieser alte Depp jetzt schon so schwächlich? Das gleicht doch schon fast einer Kapitulation! Es ist zu spät, die Kriegserklärung zurück zu nehmen, das müsste er wissen. Außerdem kann man die Leben der Krieger nicht ersetzen, die wegen diese Sache schon verschwendet wurden." Nein, für solche Leute hatte er wahrlich nur eiskalte Verachtung übrig. Allein einen solchen Vorschlag zu machen sollte unter der Würde eines jeden Lords sein.

"Ja, da habt ihr vermutlich Recht, mein Lord. Die Südler haben sich einfach schon zu viel heraus genommen, sie können keine Gnade mehr erwarten", stimmte ihm Nagai zu, während sich Sesshoumaru überlegte, dass die Südler noch nie Gnade von ihm hatten erwarten dürfen, einfach weil das absolut niemand konnte. Nun ja, es sei denn vielleicht, dieser Jemand hieß 'Anis'...

"Ich denke, es wird langsam Zeit für einen Großangriff. Alle Krieger aus dem Land sind zusammengerufen worden, wir werden ein Heer zusammenstellen. Natürlich wird es keine entscheidende Schlacht sein, aber es wird den Krieg erst richtig einläuten und die Fronten klären, diejenigen wachrütteln, die noch immer keinen Finger gerührt haben, in der Hoffnung, das Ganze würde an ihnen vorbei ziehen. Wir müssen den ersten, verhehrenden Schlag führen", beschloss der Lord.

"Gut, dann werde ich sofort alles dafür vorbereiten, wenn ihr das wünscht", sagte Jijunna Tori und Sesshoumaru nickte ihm zu.

"Dann wäre das also geklärt. Sicher werden die Südler bemerkten, dass wir uns auf eine Schlacht vorbereiten und selbst auch ihre Krieger zusammenrufen", meinte Aoi Yuki sachlich.

Die drei Dämonen erhoben sich. "Sobald der Schnee zu schmelzen begonnen hat, wird geklärt sein, wer Angreifer und wer Verteidiger sein wird..."
 

*
 

Im Süden...

"RUHE! Wenn ihr nicht auf der Stelle eure Klappen haltet, lasse ich euch die Zungen rausschneiden!", polterte Samuke wütend. Nicht zum ersten Mal an diesem Tag fragte er sich, womit zum Teufel er das alles verdient hatte. Erst die verschwundene Kitsune, dann Rakuna mit dieser Fremden und jetzt auch noch ein Gerichtsverfahren! Als wenn es die Aufgabe des Haushofmeisters wäre, sich um solche Belanglosigkeiten zu kümmern! Aber Heigoku, der unter anderem für so etwas zuständig gewesen wäre, hatte jetzt nun einmal genug mit der Aufstellung des Heeres zu tun. Die Sache fiel auch nicht in Kimerus Bereich, ein Dämon, dem alle Angestellten des Schlosses unterlagen, weil die Angeklagte keine nicht vom Hofstaat war und das Opfer ein einfacher Soldat. Auch Yûkyô, der Aufseherin des Frauentraktes und der Ersten beim Geschehen, konnte er diese Aufgabe nicht übertragen, weil es sich im Grunde um eine Angelegenheit unter Kriegern handelte. Also musste er wieder ran, na super. Das die beiden sich ständig Beschimpfungen an den Kopf warfen, war auch nicht sehr viel einfacher.

Das 'Gerichtsverfahren', wie Samuke es nannte, fand in einem kleinem Raum ohne Stühle statt, dessen Wände - wie alle Zimmer hier - ebenfalls Fenster ohne Glas besaßen. Dafür war aber ein Zauber darüber gelegt, der keine Laute hindurch ließ.

"Jetzt also noch einmal ganz von vorne: Wie ist dein Name?" Samuke sah den kräftigen Hundedämon an, der an der rechten Seite des schmucklosen Raumes stand, einen blutigen Verband um den Kopf trug und ganz offensichtlich stinksauer war.

"Mein Name ist Samhato! Und ich-"

"Stopp! Ich habe nur nach deinem Namen gefragt!", fuhr Samuke ihn an und der Youkai schrumpfte ein Stück in sich zusammen.

"Und du bist...?", fragte der Haushofmeister dann und wandte sich der jungen Frau, auf der anderen Seite des Zimmers zu.

"Ich heiße Kuraifaia", antwortete diese ruhig.

"Schön. Also, Samhato, was ist denn passiert?", wandte er sich wieder an den Geschädigten.

"Also, ich ging da völlig arglos den Platz entlang. Da fiel mir diese... diese Person", er spuckte das Wort förmlich aus und warf einen finsteren Blick auf Kuraifaia, "ins Auge und ich ging zu ihr hinüber. Ich wollte mich lediglich mit ihr unterhalten, doch sie griff mich ohne Vorwarnung an und durchstieß mit ihren Krallen meine Augen!" Er deutete anklagend auf den Verband, der ihm nur ein äußerst geringes Sichtfeld bot.

Samuke seufzte tief. Klarer Fall von Körperverletzung, da musste er sich wohl irgendeine schmutzige Strafe für diese Frau ausdenken... Schade eigentlich, besonders schlecht sah sie ja nicht aus...

"Herr, ich würde euch gern meine Version der Geschichte darlegen", sagte die junge Frau, dessen Namen Samuke schon wieder vergessen hatte, unerwartet.

"Sprich", meinte Samuke überrascht.

"Dieser widerliche Bastard verfolgt mich schon seit Tagen mit seinen anzüglichen Blicken! Als er mit heute doch entschieden zu nahe kam, brachte ich ihm einige Manieren bei, weiter nichts. Meines Erachtens ist das nicht strafbar“, erklärte sie und sah bei dieser dreisten Behauptung noch immer aus wie die Ruhe selbst. Samuke fröstelte.

"Das war Körperverletzung! Und scheinbar auch vollkommen beabsichtigt...", wandte er ein.

"Ich bitte euch, das ist in sechsunddreißig Stunden doch schon wieder verheilt. Und ich glaube mich zu erinnern, in einem Buch über das südliche Gesetz gelesen zu haben, dass es einer Frau durchaus erlaubt ist, sich gegen solche schwanzgesteuerten Kleinhirne zur Wehr zu setzen", sagte die Youkai überzeugt. Der Dämon runzelte die Stirn. Diese... Kuraifaia sah ihm so aus, als hätte sie vor der Tat die gesamte Bibliothek des Südens durchforstet, um solch ein Gesetz zu finden...

"Tatsächlich, gibt es so ein Gesetz?"

"Aber sicher! Der genaue Wortlaut war wohl: '...auf ihre eigene Art verhindern darf, dass solche Verbrechen wiederholt begangen werden...' Meine Art ist halt etwas robust. Wer mich mit seinen Blicken auszieht, dem raube ich das Augenlicht!", stellte sie mit böse funkelnden Augen klar. Samuke schluckte. Er war sich jetzt hundertprozentig sicher, dass diese Frau tatsächlich nach einer legalen Art der möglichst grausamen Bestrafung gesucht hatte.

"Nun... In diesem Fall sprechen wir wohl eher von Selbstjustiz, also..."

"Moment mal! Sie wollen doch wohl nicht ihr glauben, statt mir?! Ich bin hier das Opfer!", schnaubte Samhato empört.

Samuke lächelte gezwungen. "Nun, ganz genau genommen ist Männern das Betreten des direkten Gebiets um den Frauentrakt verboten... Dieses Gesetz ist vermutlich genauso veraltet und unsinnig wie das mit der 'Selbstverteidigung'... Ich werde wohl veranlassen, dass man beide entfernt, aber im Moment sind sie leider tatsächlich noch in Kraft..."

Der Geschädigte schnappte entsetzt nach Luft, doch Samuke, der seinen freien Nachmittag ohnehin schon schwinden sah, beendete die Sache kurzerhand: "Wenn du also nicht willst, dass ich DICH verurteile, hältst du jetzt deine Klappe und machst nen' Abgang!"

Samhato öffnete den Mund um zu protestieren, schloss ihn wieder und begnügte sich schließlich damit, Kuraifaia einen bitterbösen Blick zuzuwerfen. Diese antwortete mit einer hämisch hochgezogenden Augenbraue, bevor beide den Raum verließen.

Samuke sah ihnen nicht hinterher, sondern drehte sich einfach auf dem Absatz um und schritt mit wehendem Umhang davon, aus der zweiten Tür hinaus. Danhinter fand er sich unvermittelt dem Rudelführer Rakuna gegenüber, der ihm den Zwischenfall gemeldet hatte.

"Was denn noch? Der Fall ist geklärt! Die Frau hat gewonnen", sagte er mürrisch und wollte an ihm vorbei gehen, doch Rakuna fiel ihm ins Wort:

"Also habt ihr es euch anders überlegt? Ihr lasst Kuraifaia meinem Rudel beitreten?"

"Wie bitte, was?", fragte Samuke vollkommen perplex, bevor er die Verbindungen ziehen konnte. Ach ja, diese Fremde, die Rakuna unbedingt aufnehmen wollte... Verdammt, hieß das etwas, dass er gerade eine Spionin freigesprochen hatte?!

"Ich... Ich habe mich noch nicht endgültig entschieden! Aber ich habe beschlossen, dass sie... dass sie..." Verdammt, er hatte überhaupt nichts beschlossen! "dass sie vorerst hier im Schloss bleiben darf... Zur Beobachtung... und so..." Er geriet ins Stottern, wich nach hinten zurück und gerade als Rakuna den Mund aufmachte, um zu antworten, drehte er sich um und war mit wenigen Sprüngen schon außer Sichtweite des Dämons. Gerade noch einmal davon gekommen! Jetzt musste er sich nur noch um das Problem der Kitsune kümmern, vielleicht hätte er dann zumindest eine freie Nacht...
 

Kuraifaia lehnte sich zufrieden zurück. Ihr war durchaus klar, dass ihr solch ein Kunststück so schnell nicht noch einmal gelingen würde, sie musste vorsichtiger sein. Noch war sie kein offizielles Rudelmitglied, noch könnte man sie für solche Aktionen wie eben in den Kerker werfen, oder einfach töten. Doch sie hatte das Gesetzbuch gründlich genug studiert, um ihre Grenzen zu kennen. Vor allem jetzt, in Kriegszeiten, wo jeder mit ich selbst beschäftigt war, konnte sie sich viele Freiheiten herausnehmen.

Der Blick der Youkai glitt über den schneeweißen Garten und die zugefrorenen Wasserflächen. In einigen Ecken standen leere Blumentöpfe. Doch – halt! Einer der braunen Töpfe hatte ein höchst seltsames Muster, und – er war blutrot.

Neugierig geworden erhob sich die Dämonin, um sich den Krug näher zu betrachten. Sie hob die Hand um ihn aufzuheben, doch gerade als sie ihn berühren wollte, stieß der Topf ein leise Wimmern aus und wich vor ihr zurück!

Sich ihre maßlose Verwunderung nicht anmerken lassend zog sie ihre Hand wieder zurück.

„Zeige dich!“, knurrte sie leise, sicher das hier Magie am Werk war.

Und tatsächlich, der Blumentopf ruckelte heftig, wuchs mit einer beachtlichen Geschwindigkeit an und das Keramik schien vor ihren Augen zusammen zu schmelzen. Nur wenige Sekunden später saß vor ihr ein junges Mädchen mit blutroten Haaren und einem zerrissenem Kleid, das früher vielleicht einmal sehr schön gewesen war. Das Mädchen war eindeutig eine Youkai: Jetzt, in dieser Gestalt, konnte Kuraifaia ihr Youki deutlich spüren, auch wenn es nicht besonders viel war. Kuraifaia wunderte sich nicht wenig über diese Erscheinung. Schließlich verwandelten sich ja nicht jeden Tag Blumentöpfe in lebendige Kinder. Zumal dieses Exemplar wohl höchst verängstigt war. Es kauerte sich auf dem Boden zusammen und brachte kein einziges Wort heraus.

„Wer bist du?“, fragte Kuraifaia ruhig, doch sie erhielt keine Antwort. Allerdings schaute das Mädchen kurz überrascht auf, bevor sie den Kopf wieder senkte.

„Schon gut, ich will dir ja nichts tun“, sagte sie leicht angenervt und stand auf.

Nun schien der kleine Dämon doch verwundert. „Nicht?“ Es klang wie ein Wimmern.

Sie runzelte die Stirn. „Nein, natürlich nicht. Hab doch keinen Grund dazu“, erwiderte sie.

Das Kind senkte wieder den Kopf, doch die junge Frau konnte ein erleichtertes Aufatmen hören.

„Wie ist dein Name?“, fragte sie, bemüht freundlich. Scheinbar war ihr Gegenüber weder gefährlich, noch wusste es um seine Lage.

„M...Mein Name i-ist Su-Suchitori...“, schluchzte sie, aus irgendeinem Grud die Tränen zurückhaltend.

Kuraifaia grinste innerlich. „Su-Suchitori, ja?“, wiederholte sie.

„N-Nein, nur Suchitori!“, korrigierte das Mädchen und klang jetzt schon weniger verängstigt.

„Also, Suchitori“, sie witterte unauffällig, „du bist eine Fuchsyoukai, nicht wahr?“

„J-Ja...“, schluchzte Suchitori, und rieb sich die letzten Tränen aus den Augen.

„Und was machst du dann hier, auf einem Schloss der Hunde?“, erkundigte sie sich.

„Aber ich will doch gar nicht hier sein! Ich will nur zurück zu meiner Mama...“, murmelte sie. Wenigstens hatte sie aufgehört zu heulen...

„Wo ist denn deine Mama?“ Nur die Ruhe, ermahnte ich Kuraifaia.

„Na auf der Insel Hilrati. Sie war ja da um sich zu heilen, weil es ihr nicht gut ging. Ich war doch auf dem Weg zu meinem Papa und da... da haben sie alle totgemacht!“ Erneut brach sie in herzzerreißendes Schluchzten aus.

Okay, das war nicht gut. Kuraifaia hatte keine Ahnung, was eigentlich passiert war, und was dieses Mädchen hier machte. Aber sie würde es schon noch herausfinden. Sie musste nur diese Fuchsyoukai etwas beruhigen.

„Wie wäre es, wenn du erstmal mit in mein Zimmer kommst? Dann kannst du mir alles erzählen, was dir auf dem Herzen liegt. Vielleicht kann ich dir helfen“, schlug sie vor.

Suchitori schniefte noch einmal. „A-Aber du... du gehörst doch auch zu d-denen...“

Kuraifaia sah sie schief an. „Denen? Ich habe nicht den geringsten Schimmer, wen du meinst. Los, komm mit, du hast bestimmt eine Menge zu erzählen“, forderte sie die Kleine auf und erhob sich. „Es sei denn natürlich, du möchtest gerne weiter hier als Blumentopf in der Kälte rumstehen.“

Das endlich schien zu wirken und endlich erhob sich auch die kleine Fucksoukai. Sie schüttelte noch einmal den Schnee von ihren blutroten Haaren, dann folgte sie der Hundeyoukai.
 

In ihrem Zimmer angekommen setzte sich Kuraifaia auf die Kissenstatt und bedeutete Suchitori, es ihr gleichzutun.

„Also, dann leg mal los. Wo wohnst du denn überhaupt?“, fragte sie. Es war wohl besser, erst einmal mit allgemeinen Informationen anzufangen.

„Naja, bis vor Kurzem wohnte ich eben noch auf Hilrati, bei meiner Mama. Sie war krank und ich wollte unbedingt bei ihr sein. Als es ihr besser ging, wollte mein Vater, dass ich zu ihm zurückgehe. Also hat er eine Eskorte geschickt, um mich zurück zu holen. Und dann...-“ Sie brach abermals in ein steinerweichendes Schluchzen aus, das es fast unmöglich machte, zu ihr vorzudringen. Zögernd tätschelte Kuraifaia ihre Schulter und versuchte sie mit leisen Worten zu beruhigen. „Du musst es mir nicht erzählen, wenn du nicht willst“, versprach sie, meinte allerdings das Gegenteil. Wenn sie es nicht freiwillig erzählte, müsste sie lediglich einen anderen Weg finden.

„Wurdet ihr überfallen?“, fragte sie so mitfühlend wie möglich. Wenn ihr Vater ihr eine Eskorte mitgegeben hatte, musste Suchtori aus reichem Hause stammen.

„J-Ja... Es waren... waren Hunde...! Sie haben sie alle totgemacht!“, heulte die Kleine.

Nun war die Inuyoukai doch etwas verblüfft. Aus welchem Grund sollten Hundedämonen eine Eskorte der Kitsunes angreifen? Das ergab keinen Sinn.

„Shhh, schon gut. Es war ja nicht deine Schuld“, beruhigte sie Suchitori, schon ahnend, was dieser zu schaffen machte.

„A-Aber sie sind doch nur mitgekommen, um mich z-zu besch-schützen...“, schniefte sie.

„Und? Das haben sie doch auch geschafft, oder nicht? Du bist doch jetzt in Sicherheit. Sie würden es bestimmt nicht wollen, wenn du ihretwegen in Selbstmitleid versinkst“, meinte Kuraifaia überzeugt.

Suchitori nickte langsam und wischte sich die Tränen aus den Augen.

„So, und jetzt gehen wir mal nachfragen, wer diese bösen Hunde waren, in Ordnung? Dann finden wir auch sicher einen Weg, um dich zu deinem Papa zu bringen“, schlug sie vorsichtig vor.

Die Rothaarige sah sie einen Moment skeptisch an. „Ich werde schon dafür sorgen, dass dir nichts passiert“, versprach die Youkai, woraufhin ihr neuer Schützling tatsächlich nickte.
 

*
 

Am Brunnen...

"So. Und was jetzt?", fragte der Youkai leicht planlos.

"Habt ihr in Geschichte gar nicht aufgepasst?! Noch nie was von der großen Schlacht von 1503 gehört? Hier wird bald ein Krieg zwischen den Hundeyoukaistämmen losbrechen", antwortete die Dämonin.

"Ja, aber was hat das mit unserer Suche nach Kuraifaia zu tun?" Der Hundedämon verstand nicht und der Miene nach zu urteilen, die der Hund machte, der neben ihm saß, verstand auch dieser nicht.

"Dummkopf! Wenn sie sich hier ansiedeln will, wird sie weder in die nördlichen, noch in die östlichen Länder gegangen sein, die liegen zu weit weg von hier. Eine Hundedämonin mit ihrer Macht wird man aber nicht ignorieren, deswegen muss sie sich zwangsläufig einer der beiden Seiten angeschlossen haben. Also entweder Westen oder Süden. Um die Sache offiziell zu machen, muss sie auf das jeweilige Schloss und da man in Kriegszeiten niemandem trauen kann, wird sie erst einmal eine Zeit lang dort bleiben müssen", erklärte die junge Frau ungeduldig.

"Hm, hast Recht. Aber sag mal, du Neunmalkluge: Wer hat denn den Krieg gewonnen?", fragte der Dämon nach.

"Keine Ahnung... Aber das war jedenfalls die entscheidende Schlacht, eines der Länder muss sich unterworfen haben, sonst gäbe es in der Neuzeit ja noch die alte Grenze", kam die Antwort.

"Und was machen wir, wenn wir sie finden? Oder auch nur, wenn uns jemand erkennt?", fragte der junge Mann.

"Blödsinn! Glaubt ihr, in dem Aufzug erkennt mich jemand?!" Die Youkai zupfte bedeutungsschwer an einer ihrer schneeweißen Haarsträhnen.

"Ja, okay, du hast dir die Haare länger wachsen lassen, sie weiß gefärbt, deine Kontaktlinsen rausgenommen, sodass deine Augen wieder lila sind und hast dich ein wenig umgezogen", sagte er mit einem Blick auf die mittelalterliche Kleidung seiner Schwester, "aber glaubst du, das reicht?"

"Ach komm, immerhin hab ich meine gesamte menschliche Tarnung abgelegt. Naja, außer den Zeichen, die normalerweise in meinem Gesicht sind, aber bis auf die Haarfarbe ist das immerhin meine richtige Gestalt in dieser menschlichen Form. Außerdem kann man sowohl meinen Geruch wahrnehmen, als auch meine Aura spüren, wenn auch etwas abgeschwächt. Niemand hier hat mich je so gesehen und für euch gilt das gleiche, Makotoko!", erklärte sie augenrollend. Dabei betrachtete sie ihr Gegenüber noch einmal scharf.

Mitsura hatte das Outfit ihres Bruders sorgfältig ausgewählt. Um seinen Hals hingen einige Ketten, farblich passend zu dem feinen, magischem Haarschmuck, der dafür sorge, dass seine dunklen Stirnfransen die drei silbernen Punkte auf seiner Stirn auch wirklich verdeckten. Dazu trug er eine Art antiken Mantel, da Mitsura ihn auf keinen Fall weiterhin mit seiner abgewetzen Lederjacke herumlaufen lassen wollte, er aber nun einmal die Angewohnheit hatte, einen Hund mit äußerst scharfen Krallen auf seiner Schulter sitzen zu lassen. Normalerweise hätte sich Makotoko bestimmt gegen diesen fast feminenen Aufzug gewehrt, aber das war hier nun mal leider so üblich, man sehe sich nur einmal die ganzen Typen an, die mit bodenlangen Haaren rumrannten.

Das Haareentfärben war bei allen dreien ein großes Problem gewesen. Anis, deren Kräfte versiegelt gewesen waren und die sich somit nicht in ihre wahre Gestalt hatte verwandeln können, hatte das in gewisser Weise wie ein Mensch handhaben können. Mitsura, Makotoko und sein Hund jedoch mussten sich dafür in riesige Dämonenhunde verwandeln, wollten sie die Sache auch wirklich komplett durchziehen. Ihre Eltern hatten ihnen dabei tatkräftig geholfen und sie mit einem Schlauch abgespritzt, die Farbe aus ihrem Fell gewaschen. Makotoko und sein Hund hatten darauf verzichtet, sich daraufhin noch einmal zu färben, das hätte zu lange gedauert. Makotokos Haare waren jetzt also dunklebraun, mit einem breiten, blondem Streifen in der Mitte. Auch das Fell des Hundes hatte eine ähnliche Färbung, auf dem dunklen Fell zog sich am Rücken ein heller Streifen entlang.

"Wieso hast du dir überhaupt die Haare noch einmal färben lassen? Deine natürliche Farbe ist doch auch ganz hübsch...", fragte Makotoko.

"Darum geht es aber nicht! Habe ich es euch nicht gerade erklärt?! Du wirst in das südliche Schloss gehen, dort nach unserer Schwester suchen, ich werde mir den Westen vornehmen. Dort haben nun einmal alle Inuyoukai weiße Haare!", meinte sie überzeugt.

"Wenn du meinst..." Der Dämon gähnte geräuschvoll. "Du willst doch sowieso nur wieder den Männern hinterhersteigen..."

"Nein, ich will lediglich bei einem historischem Ereignis dabei sein. Ich war noch nie in einer Schlacht...", antwortete sie.

"Also doch nicht wegen Anis?" Und da sie schon wieder etwas sagen wollte: "Reg dich ab, ich versteh dich ja. Die Sache wird bestimmt spannend. Natürlich ist es für Anis gefährlich, zwischen den Fronten zu stehen, aber erstens ist sie jetzt eine Youkai und zweitens würde sie uns umbringen, wenn wir uns schon wieder einmischen." Dazu kam, dass er selbst durchaus Gefallen an dieser Epoche gefunden hatte. Das war wohl auch der einzige Grund, warum ihre Eltern zugelassen hatten, dass sie hier her kamen, ja sogar erfreut waren: Sie konnten die nächsten 500 Jahre hier verbringen und die beiden hätten nicht nur etwas Zeit für sich, sie konnten auch sicher sein, dass sie nach dieser Zeit, also wenn die Neuzeit sozusagen wieder eingesetzt hatte, dass sie dann wohl etwas erwachsener wären. Die Vorstellung, dass es ihn selbst in einer Zeit zweimal gab, war ihm zwar befremdlich, aber seine Eltern würden ihn so jedenfalls nicht vermissen und dadurch, dass er so lange bei ihnen gelebt hatte, täte ihm ein wenig Ruhe durchaus gut. Das Mitsura sich hier nur vergnügen wollte, daran zweifelte er eigentlich nicht, aber auch sie hatte vor, das nächste halbe Jahrtausend hier zu verbringen. Seine Schwester hatte sich fest vorgenommen, Anis, oder Kuraifaia, wie sie jetzt hieß, mit ihrem Verlobten zu verkuppeln. Ein hartes Stück Arbeit, wie er fand. Besonders, wenn Kuarifaia im Süden war, denn wenn das mit den weißen Haaren stimmte, würden sie sich gegenseitig bekriegen müssen. Er selbst sah in der Verkupplungstechnik im Grunde gar keinen Sinn mehr, aber es war wenigstens eine Aufgabe. Seiner Meinung nach hatte Sesshoumaru seine Schwester ohnehin nicht verdient und es mochte gut sein, dass sie durch die Verwandlung ihre Gefühle für ihn begraben hatte. Obwohl, wenn man sich die Bedingung, unter der das Siegel gebrochen war, näher betrachtete, wäre dieser Nebeneffekt wohl höchst unpraktisch... Allerdings waren die Umstände auch ungewöhnlich. Makotoko hoffte nur, dass sie die Verlobung lösen konnten, bevor Kuraifaia Sesshoumaru um die Ecke brachte. Andernfalls wäre ihr Ruf sehr geschädigt, möglicherweise würde sie nie wieder einen Gefährten finden. Allerdings könnten sie in diesem Fall auch weiter machen wie bisher, sie würde an seiner Seite bleiben und er könnte sie beschützen... Nein, da durfte er sich eigentlich keine Hoffnungen machen. Kuraifaia würde sich nicht mehr beschützen lassen. Das war halt der Nachteil der Verwandlung.

Ach verdammt, wieso konnten die Frauen nicht einfach so sein, wie es sich gehörte: schwach und schutzbedürftig?! Dann wäre das Leben für solche Kerle wie ihn viel einfacher. Er liebte seine Schwestern, beide gleichermaßen, aber er war eben ein Hundedämon und als solcher hatte er einen ausgeprägten Beschützerinstinkt. Dass er Anis nicht vor Sesshoumaru hatte beschützen können, hatte dazu geführt, dass sie innerlich vollkommen verwirrt war. Den Mistkerl würde er sich wirklich noch einmal zur Brust nehmen - aber nicht in der Neuzeit! Die fünf Wochen in der Fischfabrik hatten ihm allemal gereicht. Er war tagelang kampfunfähig gewesen und hatte eine schwere Geruchsunfähigkeit davongetragen, die aber dank seiner dämonischen Selbstheilungkräfte bald wieder verschwunden war. Andernfalls hätte er sich viel früher an die Vorbereitungen der Abreise gemacht.

So viele Wochen... Wie war es wohl Kuraifaia in dieser Zeit ergangen? Und was sollte er tun, wenn er ihr begegnete? Mitsura wollte sie mit Sesshoumaru zusammen bringen, überzeugt davon, dass beide sich noch immer liebten. Er selbst wollte eigentlich das genaue Gegenteil. Aber eines war klar: Er würde sich Kuraifaias Wünschen anpassen, wenn sie zu ihm zurück wollte, würde er Mitsura helfen, andernfalls würde er Sesshoumaru bei nächster Gelegenheit umbringen. Da konnte ihm keiner was. Zudem war er eigentlich ziemlich sicher, dass sie in den Süden gegangen war. Wenn nicht, hätte sie nämlich bald heraus gefunden, dass westliche Inuyoukai weiße Haare hatten und umgedreht, um in den Süden zu gehen, einfach weil sie zumindest in unmittelbarer Zukunft noch nicht auf Sesshoumaru treffen wollte. Ganz abgesehen davon, dass ihre Haare hauptsächlich blauschwarz, nur mit wenigen weißen Strähnen waren und sie somit wegen des Krieges ohnehin aus dem Westen vertrieben worden wäre. Deswegen war er auch mehr als froh, von Mitsura in den Süden geschickt worden zu sein. Allerdings hegte er auch einen leisen Verdacht, dass sie im Westen nicht Kuraifaia, sondern Sesshoumaru zu finden hoffte. Wehe, wenn sie ihn anstachelte seine Verlobte zurück zu holen! Nun gut, in dem Fall könnte er Kuraifaia aber auch immer noch in den Osten oder Norden bringen. Wie auch immer die ganze Sache stehen mochte: Sie würden es schon packen. Hoffte er...
 

*
 

Im Süden...

Samuke lief geschäftig auf und ab. Verdammt, der Krieg stand kurz vor der Tür und er konnte nichts tun, außer auf Nachrichten wegen dieser Kitsune warten! Es war aber auch zu dumm...

Plötzlich stieg dem Inuyoukai ein wohlbekannter, und oft verfluchter Geruch in die Nase. Fuchs!

Erleichtert öffnete er die Tür seines Arbetszimmers. Wider Erwarten stand dort die junge Dämonin, die ihm dieses unliebsame Gerichtsverfahren beschert hatte. Und an ihrer Seite stand die Kitsune!

„Endlich! Wo habt ihr euch nur versteckt, Prinzessin Suchitori?!“, knurrte er böse, und sofort wich die Kitsune zurück.

Kuraifaia verbeugte sich einmal.

„Herr, Prinzessin Suchitori ist sehr aufgewühlt. Scheinbar wurde ihre Eskorte von Hundedämonen angegriffen“, meinte sie.

Samuke winkte sie erst einmal verwundert herein.

„Hat sie dir das erzählt?“, fragte er die junge Frau. Als diese bejahte, fügte er hinzu: „Das ist höchst ungewöhnlich. Seit sie hier ist, hat sie kein einziges Wort mehr gesprochen.“ Stirnrunzelnd bemerkten Samuke, wie die Prinzessin der Youkai fast die Finger zerquetschte, so fest hielt sie ihre Hand.

„Es ist wahr, eine Bande von herrenloser Streuner, die schon vor ewiger Zeit aus dem Süden verbannt worden sind, hat die Kitsunes angegriffen. Fürst Shaitoto, Suchitoris Vater, wurde bereits davon benachrichtigt. Natürlich bedauern wir die Geschehnisse sehr“, erklärte Samuke, sich aus irgendeinem Grund rechtfertigen wollend. Shaitoto war ein wertvoller Verbündeter von Fürst Ninushu Omaru. Selbstverständlich hatten sie seine Tochter nicht in einem Zustand zu ihm schicken können, in dem sie glaubte, SIE wären die Mörder ihrer Männer. Das hätte zu unangenehmen Missverständnissen führen können. Im schlimmsten Fall hätte der Süden Fürst Shaitoto als ihren Verbündeten verlieren können. Um das zu vermeiden, war Prinzessin Suchitori eben hierher, auf das Schloss der Hundeyoukai gebracht worden. Dummerweise hatte sie vom Überfall der Streuner einen schlimmen Schock davongetragen, der sie glauben ließ, sie wäre entführt worden, um ihren Vater zu erpressen.

„Siehst du, Suchitori, ich habe dir doch gesagt, dass du hier in Sicherheit bist. Das hier sind die Guten“, sagte Kuraifaia zu der Kitsune, indem sie ihr beruhigend über das blutrote Haar strich und Samuke traute seinen Ohren kaum. Wie konnte diese unverschämte Spionin so... so...vertraulich mit der Prinzessin reden?! Seltsamerweise schien diese überhaupt nichts dagegen zu haben, im Gegenteil. Sie nickte schüchtern und entspannte ich sichtlich wieder.

„Nun, Prinzessin, es tut mir aufrichtig Leid, was mit eurer Eskorte passiert ist. Selbstverständlich haben wir den Übeltätern die Todesstrafe auferlegt. Sie werden euch nicht mehr belästigen“, beruhigte Samuke sie, doch die Kitsune sah nur mit bebenden Lippen zu Kuraifaia herauf.

„Schon gut Kleine, ich bin sicher, dass Samuke dafür sorgen wird, dass du bald wieder bei deinen Eltern bist, wenn du ihn nett darum bittest. Keine Angst!“, sagte diese. Eine Prinzessin der Angst zu beschuldigen war ein hohes Verbrechen, sei es auch noch ein Kind. Suchitori hätte jetzt das Recht, sie auf der Stelle zu töten und Samuke wäre sogar erleichtert darüber gewesen. Doch entgegen seiner Erwartungen nickte die Kitsune nur dankbar mit dem Kopf und richtete jetzt das Wort an ihn:

„Samuke, ich möchte wieder zurück. Ich will aber keine ganze Eskorte mehr, falls wieder etwas passiert. Ein Mann würde mir schon reichen.“ Tatsächlich klang das schon fast wie ein Befehl und da Suchitori eine Prinzessin war, musste der Hundedämon gehorchen.

„Selbstverständlich. Ich werde sogleich veranlassen, dass euch jemand zur Verfügung gestellt wird.“

Die beiden Mädchen nickten zufrieden.
 

*
 

Drei Tage später im Westen...

Misura senkt den Kopf so tief es ging. Sie fühlte ich unwohl in der engen Rüstung. Hoffentlich fiel niemandem der Blutgeruch auf, der noch immer ein wenig an ihr klebte. Sie hatte einen der Soldaten töten müssen, um seinen Platz in den Reihen des Heeres einzunehmen. Mit ihrem weiblichem Charme war das kein Problem gewesen. Die eigentliche Gefahr lag noch vor ihr. In der Schlacht kam sie mit ihren Zaubertränken nicht sehr weit. Aber mit dem Schwert, das an ihrer Seite hing und das sie praktisch nur zur Vervollständigung ihrer Tarnung benötigte, konnte sie absolut nichts anfangen. Sie würde nur ihre Dolche haben, die zwar im Einzelkampf von unschätzbarem Wert waren, ihr in einem wilden Gemetzel aber nicht fiel nützten. Vielleicht hatte sie Glück, und konnte sich rechtzeitig aus dem Gemenge stehlen. Doch jetzt galt es erst einmal, ihre eigentliche Aufgabe zu erfüllen.

Vorsichtig hob sie den Kopf wieder und ließ ihren Blick über das Heer streichen. Gut dreihundert Inuyoukai waren hier zur ersten Schlacht versammelt. Sie alle kämpften für ihre Heimat, für ihr Volk. Wie mit dem Lineal gezogen standen sie in ordentlichen Reihen da. Ihre weißen Haare, alle mit unterschiedlichen Schattierungen, wehten im aufkommenden Wind. Es war ein Lager voller gepanzerter Krieger. In der Mitte war ein großes Zelt aufgebaut, in dem die einzelnen Befehlshaber zusammen mit dem Lord den Schachtplan erstellten. Von den Feinden war noch nichts zu sehen, doch es könnte jeder Zeit losgehen.

Mitsura aber suchte nach einer bestimmten Person. Eine Person mit goldenen Augen und weißem Fell über der Schulter. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Sesshoumaru dieses ablegen würde, selbst in einer Schlacht nicht. Aber wie sollte sie ihn hier, in diesem Meer von Kriegern finden? Es war wirklich ein Jammer, dass sie ausgerechnet zu dieser ungünstigen Zeit hergekommen war. Ob sie Makotoko wohl treffen würde?

Etwas wie eine Bewegung glitt durch das Heer und alle Krieger stellten sich etwas strammer hin. Mitsura folgte unwillkürlich ihrem Beispiel und nahm ebenfalls Haltung an. Bloß nicht auffallen.

Die Zeltplanen wurden zurück geschlagen und die Befehlshaber des Heeres kamen heraus. Die Hundeyoukai wagte einen vorsichtigen Blick – und ihr stockte der Atem. Da war Sesshoumaru! Er war es, unverkennbar. Er trug seine übliche, schwarze Rüstung, die mit eisernen Stacheln bespickt war. Auch die beiden Schwerter an seiner Seite wirkten so bedrohlich wie immer, auch wenn nur eines davon wirklich gefährlich war. Die magentafarbenen Streifen in seinem Gesicht wirkten wie eine Kriegsbemalung. Sein Gesicht war ernst und verschlossen.

Wie auf ein geheime Kommando fielen innerhalb von zwei Sekunden alle Soldaten auf die Knie und beugten ihre Köpfe. Aus reinem Reflex heraus ließ auch Mitsura sich fallen, doch anders als alle anderen, die ehrfürchtig die Stirn auf den Boden drückten, lugte sie noch vorsichtig zu den Dämonen hinüber. Das unangefochtende Gehorsam, die Disziplin, die hier bewiesen wurde, erschütterte sie. Angeblich hatte doch der Westen keinen Fürsten, oder? So jedenfalls waren die Gerüchte am Hof gewesen, auch wenn sie nur wenig Zeit gehabt hatte, zu lauschen. Doch diese Kämpfer wirkten nicht im mindesten verunsichert, in ihren Augen sah sie nur die pure Siegesgewissheit. Sie dachten überhaupt nicht daran, dass sie hier ihr Leben verlieren konnten, oder auch die Schlacht verlieren könnten. Das konnte nur heißen, dass sie einen mächtigen Führer hatten, auf dessen Stärke sie vertrauten und für den sie ihr Leben geben würden, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Doch solche Loyalität brachte man doch ausschließlich seinem Fürsten entgegen! Wer also war es, der diesen Krieg anführte? Wer war es, der seine Männer solch einer Gefahr aussetzte? Wer war es, der so viel Tod und Leid brachte und wer war es, der ein Volk anführte, das nach Blut lechzte?

Sesshoumarus Blick strich über die Versammelten und Mitsura senkte hastig wieder den Kopf. Der Soldat rechts von ihr ließ ein missbilligendes Zischen hören.

„Der Clan des Südens“, sagte Sesshoumaru und seine Stimme klang ungewöhnlich laut in der ehrfürchtigen Stille die entstanden war, „hat uns herausgefordert. Sie haben unsere Kameraden getötet, ohne, dass sie einen Grund dafür hätten. Aber wird der Westen das auf sich sitzen lassen?“

Mitsura traute ihren Ohren kaum. Es war Sitte, ja fast schon eine heilige Tradition, dass der Anführer der Hunde vor jeder Schlacht eine Rede hielt. War Sesshoumaru etwa dieser Anführer?!

Ein einstimmige „Nein“, aus hunderten von Kehlen war zu hören. Mitsura überlief ein kalter Schauer.

„Ihr wollt Rache?“ Solche Heuchelei! Die getöteten Hundedämonen waren bestimmt nicht Sesshoumarus 'Kameraden' gewesen!

„Ja!“, klang es wie ein Mann.

„Ihr werdet sie bekommen“, sagte der Youkai, diesmal leiser.

„Wir werden diese nichtswürdigen Köter in die Hölle schicken!“, prophezeite Sesshoumaru und man konnte deutlich sehen, dass alle seiner Meinung waren.

„Wir werden siegen!“ Sesshoumaru reckte die Faust in die Luft und das Heer jubelte ihm zu. Es war ein furchteinflößender Anblick.

Nun traten die anderen Befehlshaber an seine Seite und beide riefen über den Lärm hinweg: „Euer Lord ist zurückgekehrt! Die Südler werden den Tag noch bitter bereuen, an dem sie Lord Sesshoumaru, Sohn des ehrenwerten Inu no Taishu, herausgefordert haben!“

Es war wie eine Explosion, die Soldaten sprangen auf, klatschten in die Hände, schrien durcheinander und stießen wütende Drohungen gegen „die südlichen Köter“ aus. Mitsura jedoch war vor Schock wie gelähmt. Sesshoumaru, der Lord des Westens? Das war ja grauenhaft! Da würde sie so ziemlich jeden ihrer sorgfältig zurechtgelegten Schritte noch einmal überdenken müssen...

Obwohl Sesshoumarus Motivationsrede an sein Volk nicht sehr lang gewesen war, hatte sie dennoch alle überzeugt. Er hatte keine Versprechungen gemacht, hatte ihnen nicht vor Augen geführt, dass einige, vielleicht sogar die meisten von ihnen, sterben würden – aber er hatte es auch nicht bestritten. Er hatte ihnen lediglich einen Sieg versprochen, doch wann dieser eintreten und wie viel er kosten würde, das hatte er nicht gesagt. All diese Männer folgten ihm blind. Nun lag es allein an ihm, sie auf den richtige Weg zu führen.

Mitsura war noch immer nicht mit in die Jubeschreie eingefallen. Noch immer starrte sie, einer Salzsäule gleich, auf den Lord des Westens. Sesshoumaru! Jetzt fiel es ihr wieder ein. Sie hatte es doch von Anfang an gewusst! Der Name war ihr bekannt vorgekommen, doch sie hatte dieses Gefühl nicht beachtet. Und Inu no Taishu! Ja, es war wenig von den Dämonen überliefert worden. Aber diese beiden Namen kannte man auch in der Neuzeit noch. Inu no Taishu, der gegen die Drachen kämpfte und schließlich einer Wunde erlag, die ihm von eben solch einem zugebracht wurde und Sesshoumaru, der den Katzenkrieg ausfocht und die Schlacht innerhalb der Hunderasse zur Entscheidung brachte. Aber welche Entscheidung? Schickte er all diese vielen, hoffnungsvollen Krieger in den Tod, oder brachte er dem Westen neuen Ruhm? Mitsura konnte sich nicht erinnern. Aber eines wusste sie noch genau: Das hier war nicht die entscheidene Schlacht! Nein, bis dahin würde es noch dauern. Es war nur ein kleines Gemetzel, das die Fronten klären sollte. Aber das machte es nicht viel besser.

Auf einmal fiel Mitsura ihr Plan wieder ein. Sie wollte doch ihre Schwester wieder mit Sesshoumaru zusammenbringen! Aber der zog gerade in den Krieg, würde vielleicht nicht zurückkehren und Anis selbst hatte sie nirgendwo gesehen – sie musste im Süden sein. Und das bedeutet, die beiden würden sich früher oder später als Feinde wiedersehen. Die Chancen auf ein liebevolles Wiedersehen standen da gleich Null.

Mitsura sah schwarz für die Zukunft.
 

*
 

Im Süden...

"Aufstellung! Haltet euch gefälligst gerade!", brüllte Heigoku die Krieger an, die sofort stramm standen.

"Na also, geht doch..." Doch nicht alle schienen die Sache ernst zu nehmen.

"Arashi, wenn du nicht sofort und auf der Stelle still stehst, werde ich dich an die forderste Front und ohne Waffen den Westlern entgegen schicken!", knurrte der Befehlshaber des Heeres einen jungen Hundeyoukai an, der scheinbar alles konnte - nur nicht still halten.

Es war aber auch wirklich schrecklich. Die ganze Woche lang schon hatte Heigoku nichts als Stress gehabt. Der Fürst überlegte immer noch fieberhaft, wie man den Krieg abbrechen konnte, doch Heigoku, der jede freie Stunde bei den Soldaten zubrachte, wusste, dass dies nichts mehr brachte. Das Volk war aufgestachelt und wollte Blut sehen.

Lord Keisushiro war da schon hilfreicher. Er ließ sich oft im Lager, welches sich einige Meilen außerhalb des Schlosses befand, sehen und entwickelte mit ihm gemeinsam und mit den anderen Befehlshabern den Schlachtplan. Den Fürsten selbst würden sie vermutlich erst bei der letzten, entscheidenden Schlacht sehen. Der Kampf, der ihnen heute bevor stand, war nur ein erstes Blutvergießen.

"Herr..."

Murrend wandte er sich der Inuyoukai zu, die schon seit einer ganzen Weile neben ihm hockte. Ihr Name war Koukuubinura und sie war die schnellste Botin im Süden und im Moment für den Nachrichtentransport zwischen dem Heerlager und dem südlichen Schloss zuständig.

"Was?!", blaffte er sie an.

"Samuke bittet um einen deiner stärksten Krieger, er hat einen Auftrag", sagte sie.

"Ich kann hier niemanden entbehren! Bei Kami, wir stehen kurz vor einer Schlacht!" Was nahm sich dieser Riesenohrdepp schon wieder für eine Frechheit heraus?!

"Er sagte, es sei von höchster Wichtigkeit. Sonst verliert der Süden einen wichtigen Verbündeten...", erwiderte Koukuubinura. Allerdings verschwieg sie ihm ihre Vermutung, dass ihre Nachricht sich nur deshalb 'höchster Wichtigkeit' erfreuen konnte, weil Samuke seine freie und vor allem stressfreie Nacht andernfalls gefährdet sah.

Sie öffnete bereits eines ihrer Dimensionsportale, das wie eine schwarze Scheibe in der verschieden Farbstrudel zu sehen waren und knapp über dem Boden schwebte. Damit würde sie auch eine weitere Person schnell zum Schloss bringen können. Erwartungsvoll sah sie Heigoku an.

Dieser seufzte geschlagen auf. Also schön, wen würde er denn wegschicken können...

Sein Blick fiel auf Arashi, der schon wieder rumzappelte. Nicht der stärkste Krieger, aber das würde auch gehen...

"Arashi! Du gehst sofort auf das Schloss und zu Samuke! Er hat einen Auftrag für dich. 'Von höchster Wichtigkeit'!" Er konnte sich ein gemeines Grinsen nicht verkneifen. Es wäre sicher eine schlimme Strafe für den Dämonen, nicht an der ersten Schlacht des großen Krieges teilhaben zu dürfen.

Arashi salutierte. "Jawohl, Boss!", sagte er mit einem Grinsen, das nicht weniger breit war als Heigokus.

Alle Umstehenden sahen ihn verblüfft, ja geradezu bestürzt an. Wie konnte man nur so respektlos sein?! Doch Arashi setzte, indem er seinen Kameraden fröhlich zuwinkte, noch einen drauf: "Tja, dann tschau, Leute! Ich mach mich dann mal auf die Socken. Hebt mir ein Stück Schokokuchen auf!" Und mit diesen Worten, die alle Anwesenden schockierten, bahnte sich Arashi einen Weg durch die Soldaten und ging geradewegs auf Koukuubinura zu. Im Vorbeigehen besaß er sogar noch die Frechheit, Heigoku freundschaftlich auf die Schulter zu klopfen, bevor er durch das Dimensionsportal schritt.

Koukuubinura selbst beeilte sich ihm nachzukommen, bevor Heigoku den Schock überwunden hatte und sich seine Wut entlug.

Kurz bevor die schwarze Scheibe ganz verschwunden war, sah man noch etwas wie einen bräunlichen Blitz, der es eben noch schaffte, durch die Öffnung zu gelangen.

Die meisten Soldaten hatten den Hund gar nicht bemerkt.
 

XxX
 

Zunächst einmal eine dickté, fette Entschuldigung, das es so ewig lange gedauert hat. Ich hatte Jugendweihe (sowas ähnliches wie Konfirmation) und das bedeutet immer viel Stress. Dazu kommt, das meine Freundin suizidgefährdet ist und ich mich um sie kümmern muss, von den ganzen Schularbeiten einmal abgesehen. Ich hoffe, nächstes Mal dauert es nciht so lange.

(ach ja, sorry wegen dem albernen Titel 'Wandelnde Blumentöpfe', aber mir ist erstens nichts Besseres eingefallen und zweitens hatte ich grad zu viel Stoff...)

Die erste Schlacht

Der Krieg hat begonnen und während Mitsura fleißig Feinde niedermäht und Makotoko für seinen Spezialauftrag Flöte spielt, macht Kuraifaia Bekanntschaft mit Fürst Ninushu Omaru.
 

XxX
 

Makotoko richtete das Gras wieder auf, so gut es ging. Jetzt war das Loch fast vollständig bedeckt. Niemand, der ihn nicht beobachtet hatte, hätte jetzt ahnen können, was hier unter der Erde lag. Dennoch, die Grasnarbe hatte er nicht richten können... Egal!

Der große, braune Hund mit dem hellen Streifen auf dem Rücken schnüffelte noch ein letztes Mal. Nein, man roch das Metall kaum noch.

„Woah, endlich bin ich das Ding los. War ja schrecklich“, brummte der Youkai und rieb sich den Rücken. Wie konnten die Soldaten des Südens nur in diesen unheimlich engen Rüstungen herumlaufen?! Aber es war nun einmal nötig gewesen, diese anzuziehen. Man hatte ihn tatsächlich für Arashi gehalten, dem Typen, den er umgebracht und anschließend die Rüstung geklaut hatte. Ohne das Teil wäre er nicht sehr weit gekommen, hätte man doch sein Gesicht erkannt, beziehungsweise nicht erkannt. Allerdings hätte er sich vorher mal erkundigen sollen, wer dieser Dämon eigentlich war. Scheinbar war der nämlich für die erste Schlacht eingeteilt worden, was Makotoko erst im letzten Moment mitbekommen hatte. Aber er war ja nicht gekommen, um an einer Schlacht teilzunehmen, sondern um Kuraifaia zu treffen! Deswegen war er auch ziemlich erleichtert gewesen, diesen Auftrag bekommen zu haben. Er hoffte bloß, seine Tarnung würde nicht auffallen. Bei Heigoku war es schon gefährlich geworden. Scheinbar hatte Arashi keinerlei Probleme mit dieser Rüstung, die überall am Körper kratzte. Er hätte wohl still gehalten. Aber sei's drum. Jetzt war er die Rüstung los, und durfte sogar zum Schloss zurück.

„Hepp!“, forderte er seinen Hund auf, der ihm sogleich auf die Schulter sprang. Dann machte er sich fröhlich pfeifend auf den Weg zum südlichen Schloss.
 

*
 

An der Grenze...

Makotokos Schwester Mitsura hingegen ging es alles andere als gut. Die Schlacht hatte bereits begonnen, die Hundedämonen gingen sich gegenseitig an die Kehle. Die Inuyoukai des Westens hatten beste Motivation, denn obwohl dies im Grunde nur ein Kräftemessen war, kämpfte Sesshoumaru Seite an Seite mit ihnen. Das wäre sicher nicht notwendig gewesen, schließlich waren weder der südliche Fürst noch dessen Sohn da, aber es spornte die Krieger an.

Misura rammte ihren Dolch durch die Brustplatte eines Feindes und sprang einige Meter in die Höhe, um sich einen Überblick zu verschaffen. Tatsächlich erhaschte sie einen kurzen Blick auf den Lord, der so viele Feinde wie eine Furie niedermähte und sich dabei dennoch elfengleich bewegte. Niemand sah ihm Wut, Erschöpfung, oder gar Angst an. Nur eine grausame Kälte, die von ihm ausging, bekamen seinen Feinde zu spüren. Schon bald hatte er einen weiten Keil in den Kreis der feindlichen Hunde geschlagen. Niemand wagte sich so recht an ihn heran.

Misura musste wieder landen, wich einer hochgestreckten Lanze aus und fällte den vor ihr stehenden Krieger mit einem gezielten Fußtritt. Ein Zweiter kam von rechts und sie rammte ihm ihren Ellenbogen ins Gesicht.

Ein Inuyoukai, den sie im ersten Moment für einen weiteren Feind hielt, kam neben sie gesprungen. Sie konnte ihren gerade schon angesetzten Schlag eben noch aufhalten, als sie seine weißen Haare sah. Er würde ihr nichts tun. Er dachte, sie käme aus dem Westen.

„Wo hast du dein Schwert?“, fragte der Fremde über den Schlachtlärm hinweg. Die Klinge in seiner Hand war blutverschmiert.

„Zerbrochen!“, antwortete Mitsura knapp und schleuderte gleich zwei ihrer Messer auf einen nahen Angreifer. In Wirklichkeit hatte sie ihr Schwert gleich am Anfang der Schacht achtlos beiseite geworfen. Sein Gewicht an ihrer Seite hatte sie gestört und aus dem Gleichgewicht gebracht. Sie kämpfte nie mit dem Schwert.

Plötzlich spürte sie einen Luftzug und ließ sich blitzschnell zu Boden fallen. Als sie sich umdrehte, stellte sie fest, dass der Youkai mit den weißen Haaren sein Schwert knapp an ihr vorbei in den Leib eines anderen Dämons gestoßen hatte, der nun zurück taumelte.

„Danke!“, keuchte sie gehetzt als sie begriff, wie gefährlich diese Situation eben gewesen war. Doch er Andere war schon weg.

Wieder ahnte sie die Berührung eher voraus, als das sie sie sah, als eine Klaue vorschnellte, um sie zu packen. Der Typ, dem sie ihren Ellenbogen ins Gesicht gerammt hatte... Er war noch nicht erledigt.

Heftig stieß sie ihm ihr Knie in den Schritt, der Mann keuchte auf und fiel in die Knie. Mitsura beendete es mit einem Messer, während sie sich schon wieder suchend nach dem Nächsten umsah. Sie sollten ruhig kommen!

Kampfbereit griff sie sich eine ganze Hand voll Messer und schleuderte diese einem Krieger in den Rücken, der gerade mit einem weiteren Weißhaarigen kämpfte. Von hinten anzugreifen mochte unehrenhaft sein, doch in einer Schlacht wie dieser war ihrer Meinung nach alles erlaubt.

Der Youkai fiel sofort tot zu Boden und indem Mitsura ihre Hand zur Faust ballte, kamen die Messer zu ihr zurück geflogen.

„Hey, das war meiner!“, knurrte der Weiße unwirsch, doch Mitsura beachtete ihn nicht. Ihr Blick suchte wieder Sesshoumaru. Sie bemerkt, dass dieser keineswegs seine volle Kraft nutzte. Er verwendete weder seine Lichtpeitsche, die hier besonders nützlich gewesen wäre, noch seine Giftklaue. Sogar Tokjin benutzte er nur wie ein einfaches Schwert. Was sollte das? Wenn er richtig kämpfen würde, könnte er hier viele seiner Männer retten! Doch wahrscheinlich wollte er nicht alle seine Fähigkeiten zeigen, bevor es unbedingt nötig war. Eingebildeter Narr!, dachte sich die Youkai zähneknirschend. Verhielt sich so ein Herrscher?! Nein, aber ein Heerführer vielleicht schon.

Den Geruch eines weiten südlichen Hundes riechend, ducke sich Mitsura weg und warf sich mit all ihrem Gewicht, das durch die Rüstung noch erhöht wurde, gegen das Bein des Angreifers. Sobald dieser auf dem Boden lag, hatte sie leichtes Spiel mit ihm.

Bisher lief es noch ganz gut, doch sie sollte nicht damit rechnen, dass alle Soldaten hier ihre Kraft und Ausdauer besaßen. Sicher wärn -

Mitsura schrie gequält auf, als sie einen brennen Schmerz in ihrem rechten Arm spürte. Ein feindliches Schwer hatte ihn durchbohrt, die Klinge war von ihrem Brustpanzer abgeleitet worden. Sonst wäre sie wohl jetzt tot.

Wütend riss Mitsura dem verdutzen Youkai das Schwert aus der Hand, und zu seiner unglaublichen Fassungslosigkeit sprang sie ihm daraufhin förmlich in die Arme – und küsste ihn. Gewaltsam drängte sie ihre Zunge durch seine Lippen und spürt noch in diesem Moment, wie seine Glieder steif wurden.

Sie ließ von ihm ab und trat einen Schritt zurück, während der Gelähmte wie ein Stein nach hinten zu Boden fiel, die Augen immer noch überrascht geöffnet. Angewidert wischte sie sich den Mund ab.

Mitsura hatte kurz vor der Schlacht noch ein spezielles Gift zu sich genommen, welches ausschließlich für das männliche Geschlecht schädlich war. Schon geringste Konzentrationen konnten den Tod innerhalb weniger Minuten hervorrufen. Durch den Kuss hatte sie den Mann getötet. Auch eine Methode, sich in einer Schlacht zu behaupten...
 

*
 

Im Süden...

Kuraifaia hatte – wie immer – nichts zu tun. Sie saß an ihrem Lieblingsplatz im Garten unter den Kirschbäumen, ließ den nassen Schnee durch ihre Finger gleiten und langweilte sich zu Tode. Gerade war eine Botin gekommen, die ihr gesagt hatte, der Krieger der Suchitori zu ihrem Vater geleiten sollte, sei nun angekommen. Da hatte sie die Prinzessin allein gelassen.

Ursprünglich hatte sie vorgehabt, ein wenig auf dem Kampfplatz zu trainieren. Dort aber hatte sie feststellen müssen, dass so ziemlich alle annehmbaren Gegner zu einer Schlacht aufgebrochen waren. Warum zum Teufel hatte ihr das niemand gesagt?! Sie hätte jetzt ihre unerträgliche Untätigkeit verschwinden lassen können, und stattdessen ein paar westliche Hunde abmurksen können! Das Vergnügen wollte sie sich nicht entgehen lassen, doch auf dem Weg zum Schlachtfed war sie auf Rakuna getroffen. Der hatte ihr erklärt, dass er selbst, sein Rudel und auch Kuraifaia noch immer mit Argsaugen beäugt wurden. Sie durfte das Schloss nicht verlassen, bevor nicht offiziell wurde, dass sie zum Süden gehörte. Und da es Rakuna war, der sie aufnehmen wollte, hatten auch er und sein Rudel da bleiben müssen. Und jetzt saß sie hier, und hatte nichts zu tun!

Die Youkai hob den Kopf, als ein fremder Geruch zu ihr strömte. Jemand hatte den Garten betreten. Das war an sich nichts Ungewöhnliches, schließlich war dieser Bereich im allgemeinem öffentlich. Doch als sie die Person entdeckte, runzelte sie doch etwas die Stirn. Der Fremde schien auf den ersten Blick wie ein gewöhnlicher Krieger, nur ohne Rüstung. Beim näheren Hinsehen jedoch erkannte sie, dass er viel älter sein musste als er aussah, auch wenn das bei Dämonen schwer einzuschätzen war. Seine violetten Haare waren so blass, dass sie schon fast weiß wirkten. Seine Kleidung war zwar schmucklos, aber von edler Machart und teurem Stoff. Ein hoher Angestellter im Palast? Ein Adliger? Kuraifaia wusste es nicht, aber sie hatte extremst schlechte Laune und verspürte nicht die geringste Lust, jetzt höflich zu sein.

Der Mann kam zu ihr herüber und blieb kurz vor ihr stehen. Ein gütiges Lächeln lag auf seinen Lippen. Unwillkürlich beruhigte sie sich etwas.

„Guten Tag, junge Frau. Ich habe dich noch nie zuvor hier gesehen, darf ich deinen Namen erfahren?“ Die Tatsache das er sie duzte ließ darauf schließen, dass er tatsächlich einen etwas höheren Rang hatte. Aber sie war ja ach nicht irgendwer! Nun gut, im Moment hatte sie wohl tatsächlich weder Rang noch Namen, aber trotzdem!

„Mein Name ist Kuraifaia“, antwortete sie knapp, ohne sein Lächeln zu erwidern.

„Tatsächlich? Darf ich mich zu dir setzen?“, fragte er höflich. Sie nickte.

Für eine Weile herrschte Schweigen, dann fragte der Mann:

„Vielleicht irrt sich meine alte Nase, aber dein Geruch weicht doch etwas ab von dem der anderen. Kannst du mir das erklären?“

Kuraifaia hob überrascht den Kopf und sah ihn an. Es lag weder Vorwurf, Misstrauen noch Feindseligkeit in seinem Blick, lediglich eine aufrichtige Neugierde. Zugleich war sie verwundert, dass er diese Abweichung bemerkt hatte. Sie war nun einmal eine Ausländerin, trug den Geruch einer vollkommen anderen Familie. Aber das anhand des Geruches zu erkennen, war wirklich...

„Nein, ihr habt Recht. Ich komme vom Kontinent. Eigentlich hatte ich vor, mich her im Süden anzusiedeln, doch wegen dem Krieg lässt man mich warten. Samuke denkt, ich sei eine Spionin.“

„Hat er das gesagt?“, erkundigte er sich.

„Nein, aber das war eindeutig. Dabei habe ich meiner Meinung nach nichts falsch gemacht...“ Die Sache mit Samhato und dem Gerichtsverfahren ließ sie lieber aus.

„Nun, der Krieg verändert manche Leute. Ich habe schon in vielen Schlachten gekämpft, doch im Grunde ist solches Blutvergießen sinnlos“, meinte er.

So, ein alter Veteran also? Hatte er sich geweigert, heute zu kämpfen?

„Der Westen hat doch den Krieg erklärt, nicht wahr? Was können wir dafür, wenn sie den Frieden brechen?“

„Nun, ganz so ist es nicht. Es gab immer wieder kleinere Überfälle an der Grenze. Die Westler sind sehr stolz und schnell beleidigt“, erwiderte der Ältere nachdenklich.

„Aber nur wegen der Ehre einen Krieg zu führen ist doch schwachsinnig!“, protestierte Kuraifaia. Sie kannte nur eine Person, die eventuell dazu fähig wäre und das war Sesshoumaru!

„Ich überlege schon seit einiger Zeit, wie man diesen Krieg beenden könnte. Das Problem ist, dass auch das Volk des Südens in gewisser maßen Blut sehen will. Die ganze Sache schaukelt sich hoch.“

"Und wenn sie endlich bereit sind einzusehen, dass all das Blut ihnen nur Leid und Tod bringt, dann ist es zu spät. Sie werden nur noch auf Rache sinnen... Ich verstehe", meinte die Inuyoukai langsam.

Plötzlich roch sie schon wieder eine Person, die sich dem Garten nährte. Bei Kami, konnte man denn nicht einmal seine Ruhe haben?! Schlimm genug, das man sie nicht zu der Schlacht gelassen hatte!

Schon bald kam ein Hundedämon in Botenkleidung auf sie zu. Kaum hatte er die beiden entdeckt, tat er etwas - in ihren Augen - höchst Ungewöhnliches. Noch so weit entfernt, ließ er sich auf der Stelle zu Boden fallen, als hätte ihn jemand mit einem Pfeil in den Rücken getroffen. Dabei murmelte er etwas Unverständliches, doch Kuraifaia konnte keine einzelnen Worte heraus hören.

Der ältere Youkai neben ihr stieß einen langen Seufzer aus.

"Komm her", befahl er gelangweilt.

Der Bote rappelte sich hastig auf, trat zu ihnen heran, und warf sich sofort wieder auf den Boden. Hatte der's mit dem Stolpern, oder was? Die junge Frau schüttelte verständnislos den Kopf, bis sie seine Worte vernahm:

"Mein Fürst... Bitte verzeiht wenn ich euch störe... Doch eurer ehrenwerter Sohn, Lord Keisushiro, wünscht euch zu sprechen."
 

*
 

An der Grenze...

"Kowai, auf die linke Seite! Verarbeite die Lanzen von diesen Kötern zu Kleinholz!", rief Chikara erbost, weil sein Schüler nur noch blind um sich schlug. War es doch ein Fehler gewesen, seine Schüler mit zu nehmen? Sie waren eigentlich noch nicht bereit für eine Schlacht. Dennoch hatte er Kowai, Abunai und Korasu mitgenommen, die drei Besten aus seiner Gruppe. Drei hervorragende Einzelkämpfer, keine Frage, aber dennoch musste er sich immer in ihrer Nähe halten, um Schlimmstes zu verhindern. Sie waren noch zu unerfahren. Außerdem war das Wort 'Zusammenarbeit' anscheinend ein Fremdwort für sie.

"Abunai, wag dich nicht zu weit vor! Halte Korasu den Rücken frei!" Die Bogenschützin konnte Hilfe gebrauchen. Er hatte sie einfach nicht dazu überreden können, im Schloss zu bleiben. Die meisten Schützen hatten trotz allem noch ein Schwert dabei, für den Nahkampf. Denn auch die stärkste Barriere aus pfeilbewaffneten Inuyoukai konnte zerschlagen werden, wenn die Krieger keine Nahkampfwaffen hatten.

Der junge, weißhaarige Dämon namens Abunai war innerhalb einer Sekunde bei dem Mädchen und führte einen Rückhandschlag gegen einen Feind aus, der ihr zu nahe gekommen war. Korasu spannte ihre Waffe. Der Pfeil drang durch die Kehle eines Gegners und ließ ihn blutüberströmt zurück stolpern.

Chikara wandte sich wieder seinen eigenen Problemen zu. Gleich zwei weitere Youkai stürzen auf ihn zu, beide mit Schwertern bewaffnet. Der ehemalige Rudelführer schwang seine eigene Waffe, beschrieb einen gleißenden Bogen und wollte den beiden den Bauch aufschlitzen, doch sie sprangen noch rechtzeitig zurück. Plötzlich spürte er seinerseits einen heftigen Schmerz im Rücken und schrie gepresst auf. Ein dritter Dämon hatte ihn von hinten angegriffen.

Chikara wirbelte herum und mit einem kräftigen Schlag der Breitseite seines Schwertes schlug er dem Feind die blutige Lanze aus der Hand, bevor er sein Leben mit einem Stich beendete.

Im gleichen Moment wurde er sich seines Fehlers bewusst. Die drei waren ein Team gewesen! Die Ablenkung von vorn... Verflucht, er hatte seinem Feind den Rücken zugewandt!

Ein widerwertiges Geräusch erklang hinter ihm, noch während sich der Inuyoukai umdrehte. Kowai hatte mit seinem schweren Schwert gleich beiden Hunden auf einmal mit einem Schlag die Köpfe abgetrennt. Mit einem ekelerregendem Platschen landeten diese auf dem Boden. Kowai grinste ihn an.

"Na wenigstens scheinst du deinen Grips doch nicht zu Hause gelassen zu haben", meinte Chikara sarkastisch, ließ sich aber dennoch zu einem dankbarem Lächeln herab. Die enorme Körperkraft des Jüngeren war manchmal wirklich beeindruckend.

Er hatte tatsächlich lange daran gezweifelt, ob er die drei mitnehmen sollte. Auch später, nach Beginn der Schlacht, war es ihm noch wie ein Fehler erschienen. Er hatte sie für kurze Zeit aus den Augen verloren, war im Getümmel von ihnen getrennt worden. Die Übermacht der Südler war an dieser Stelle erschreckend groß, nur wenige Einzelkämpfer konnten sich behaupten. Er hatte eine weißhaarige, junge Frau im Kampfgetümmel gesehen, die sich nur noch mit ein paar Messern zu verteidigen wusste, da ihr Schwert zerbrochen war. Chikara machte sich nichts vor. Entweder würde sie schnell den Tod finden, oder es gelang ihr, ein feindliche Schwert zu erbeuten. Etwas anderes blieb ihr hier nicht mehr übrig. Wer konnte sich schon allein mit einem Dolch bewaffnet gegen einen voll ausgerüsteten Schwertkämpfer stellen? Noch dazu als Frau. Dennoch hatte diese so verbissen gekämpft, als wüsste sie noch nicht um ihr Ende. Der ehemalige Rudelführer, jetziger Lehrer, konnte darüber nur den Kopf schütteln.

Chikaras Blick suchte nach dem Lord der westlichen Länder, konnte ihn jedoch nirgendwo entdecken. Nun ja, er würde ihn sicher nach der Schlacht sehen.

„Abunai, was zum Teufel machst du da?! Du sollst doch Korasu beschützen!“, schrie der er plötzlich, als er sah, wie zwei feindliche Inuyoukai gleichzeitig auf Korasu los gingen, die sich mit ihrem Bogen nur auf weite Distanz zu verteidigen wusste. Der weiße Haarschopf seines jungen Schülers wirbelte herum. Er stach mit dem Schwert nach einem Krieger der ihm im Weg stand, und beeilte sich seiner Mitschülerin zur Hilfe zu kommen. Dennoch glaube Chikara für einen Moment, trotz des Lärm von aufeinander klirrendem Stahl, brechenden Knochen und spritzenden Blut, welcher eine Schlacht immer begleitete, ein leise Zähneknirschen von Abunai zu hören. Er hasste es, getadelt zu werden! Doch wenn er sich ablenken ließ und auf die Finte der Gegner herein fiel, nämlich die beiden voneinander fort zu locken, war er selbst Schuld!

Der Youkai blockte eine niederrasende Klinge mit dem Unterarm ab, der Armschützer bewahrte ihn vor Verletzungen. Er stieß den Widersacher zur Seite, orientierte sich kurz und eilte dann zu einer Gruppe weißhaariger Hundedämonen, die zu dritt versuchten einen wohl äußerst starken Krieger nieder zu ringen. Schnell fand er sich in deren Rhythmus ein und bald lag der Südler tot zu ihren Füßen.

Einer der Dämonen nickte ihm freundschaftlich zu, ein Anderer klopfte ihm sogar auf die Schulter.

Ja, es sah tatsächlich gut für den Westen aus. Doch Chikara war ein viel zu erfahrender Krieger, um jetzt schon den Sieg sicher zu glauben.
 

*
 

Im Süden...

„Arashi?“

„Ja?“

„Wie weit ist es denn noch?“

Makotoko unterdrückte ein Seufzer. Wie oft hatte die Fuchsprinzessin ihn das jetzt schon gefragt? Zehn Mal? Zwanzig Mal? Er hatte aufgehört zu zählen.

„Seht einmal, Prinzessin, warum sucht ihr euch nicht eine Beschäftigung, um euch die Zeit ein wenig zu vertreiben?“, schlug er vor.

„Aber hier gibt es doch nichts....“, meinte sie.

Tatsächlich, hier gab es wirklich nichts. Immerhin flogen sie mehrere Meter über den höchsten Wipfeln der Bäume in der Luft. Samuke hatte nämlich um jeden Preis vermeiden wollen, dass solch ein Massaker noch einmal passierte. Er hatte Makotoko -von dem immer noch alle glaubten, er wäre Arashi - und Suchitori ein äußerst praktisches Transportmittel zur Verfügung gestellt: Einen Greifen. Das war zwar kein waschechter Dämon, aber ebenfalls ein sehr magisches Wesen. Der gefiederte Kopf eines Adlers besaß einen Schnabel von tödlicher Schärfe und die krallenbewehrten Pranken des Löwenkörpers waren nicht weniger gefährlich. Und das Beste war: das Ding konnte fliegen und hatte Platz genug für zwei hinter den goldbraunen Flügelansätzen. Sogar sein Hund hatte da mit rauf gepasst. Die Prinzessin schien sich sofort in ihn verliebt zu haben, er ruhte mit dem Kopf auf ihrem Schoß und ließ sich hinter den Ohren kraulen, während Makotoko hinter der Kitsune saß und den Greifen lenkte.

Dieses Vieh wiederum war auch nicht viel klüger als eine besonders intelligente Krähe. Sein Name war Kou und er schien zwar jeden an ihn gerichteten Befehl zu verstehen und gehorchte auch, konnte aber nicht wirklich eigenständig denken.

Die Rasse der Hundeyoukai bevorzugte schon seit Urzeiten solche Reittiere. Man nahm sie für lange Reisen in denen man nicht durchgängig fliegen wollte, oder natürlich auch, falls man dies gar nicht konnte. Sie waren meist äußerst treu und verteidigten ihre Reiter bis auf's Blut, wenn dies nötig war. Allerdings waren sie auch extrem teuer. Greife waren selten, meist wurden niedere Youkai wie Pferde, Katzen (Makotoko erinnerte sich, irgendwann mal eine Dämonenjägerin mit einem solchen Reittier gesehen zu haben), Vogelartige oder manchmal sogar Kühe dafür genommen. Hunde und auch Wölfe kamen aufgrund ihrer Abstammung niemals in Betracht. Es gab auch Gerüchte, nach denen sich einige Hundedämonen Drachen als Reittiere hielten, doch Makotoko wusste nicht was er davon halten sollte. Drachen waren sehr schwer zu zähmen und ließen sich von fast niemandem etwas sagen, selbst die niederen nicht. Anis hatte zwar erzählt, dass dieser Sesshoumaru sich einen Reitdrachen hielt, doch das hielt er für eine Ausnahme. Wenn überhaupt, so würden sich nur sehr mächtige Herrscherhäuser Drachen halten. Sicher gab es auch im Süden welche, doch die waren für besondere Anlässe gedacht.

Schon einen Greifen konnten sich nur wenige, hoch gestellte Adlige leisten, deswegen war dies für den Transport einer Prinzessin wohl auch angemessen.

„Hm... Wartet bitte kurz, Prinzessin.“ Makotoko sprang aus dem Sattel und landete auf einem der Bäume unter ihnen. Er suche eine Weile im Geäst und brach schließlich einen relativ dicken Zweig ab. Nachdem er diesen eingesteckt hatte, trug ihn der Federflug wieder zu dem Greifen hinauf.

„Arashi, was willst du denn mit diesem Stock?“, fragte die Kitsune neugierig.

Beinahe hätte Makotoko sie berichtigt, sein Name sei nicht Arashi. Aber so war er ihr nun einmal vorgestellt worden, schließlich wusste niemand, dass er sich durch einen Mord in den Süden eingeschmuggelt hatte.

„Das werdet ihr gleich sehen, Prinzessin,“ erwiderte der Hundedämon. Er zückte ein kleines Messer, schnitt die Enden des kaum ellenlangen Stock ab und entfernte die Rinde. Dann ritzte er einige Markierungen in das Holz und legte den Zweig anschließend auf seine flache Hand. Suchtori hatte sich zu ihm umgedreht und wartete jetzt gespannt das weitere Geschehen ab.

Makotoko schloss die Augen, seine rechte Hand ruhte auf dem Rücken seines Hundes. Er runzelte die Stirn vor Konzentration, bis das Bild des Holzstückes vor seinem inneren Auge erschien.

Die Kitsune wusste nicht, was in ihrem Begleiter vorging. Doch sie sah ganz genau, wie die Luft um den Zweig herum rötlich zu flimmern begann. Das Holz erzitterte, ohne von seiner Hand zu fallen. Fasziniert beobachtete Suchitori dieses kleine Wunder. Sie kannte die Illusionszauber der Füchse gut, beherrschte selbst einige davon. Was aber hatte dieser Hund hier vor? Solche Magie hatte sie noch nie gespürt.

Der Zweig hatte begonnen sich zu drehen. Immer schneller kreiste er um eine eingene Achse, das helle Holz verschwamm vor ihren Augen. Winzige Späne bildeten ich auf Arashis Handfläche. Als sie genauer hinsah erkannte sie, dass an den Stelle, an denen der Inuyoukai zuvor die Markierungen eingeritzt hatte, sich nun schmale Löcher bildeten.

Arashi öffnete die Augen wieder.

„So, fertig. Das sollte genügen“, sagte er und das Flimmern der Luft legte sich. Er hielt nun eine zierliche, kleine Flöte in der Hand.

Er reichte sie ihr. „Willst du sie ausprobieren?“

Suchtori wurde rot. „Ich kann... Ich kann doch nicht Flöte spielen...“, nuschelte sie verlegen. Angeblich schickte sich das nicht für eine Prinzessin. Ihre Eltern hatten nie erlaubt, dass sie ein Musikinstrument spielte.

Arashi lachte. „Das ist ganz einfach! Ich kann es auch nicht besonders gut, aber ein paar Lieder kenne ich. Du musst nur in das eine Ende hinein blasen und dabei ein paar – ein paar, nicht alle! - Löcher zuhalten. So entsteht ein Ton. Du kannst die Kombination beliebig ändern. Wenn du eine bestimmte Reihenfolge immer wieder wiederholst und nicht immer sofort von einem sehr hohen zu einem sehr tiefen Ton springst, wird es eine Melodie“, erklärte ihr Arashi lächelnd. Suchtori wurde ganz warm. Er war so freundlich, ganz anders, als sie sich die Hundedämonen immer vorgestellt hatte. Eifrig griff sie nach er Flöte.

Sie versuchte einige Töne darauf zu spielen, doch es hörte sich schrecklich an. Traurig ließ sie das Instrument sinken.

„Soll ich dir etwas vorspielen?“, fragte Arashi. Die Kitsune lächelte und reichte ihm die Flöte. Der Dämon setzte sie sogleich an die Lippen und nach ein paar zögernden, abtastenden Tönen, die viel lieblicher klangen als bei ihr, fand er sich in der Melodie zurecht.

Es klang einfach wunderbar. Arashi spielte, als hätte er in seinem Leben nie etwas anderes getan, als hätte er sich vollkommen der Musik verschrieben.

Das Lied selbst jedoch fand die Prinzessin ziemlich eigenartig. Sie hatte die Melodie jedenfalls noch nie zuvor gehört.

Arashi endete und ließ die Flöte sinken.

"Boah, du glaubst nicht wie schwer es ist, Heavy Metal auf einer Blockflöte zu spielen!", sagte er seufzend. Suchitori kannte diese Musikrichtung nicht, aber es hatte ihre Langeweile doch etwas vertrieben.

"Kannst du mir noch etwas vorspielen?", bat sie, den berühmten Hundeblick imitierend, wie nur Kleinkinder ihn zustande brachten.

"Aber sicher, Prinzessin", antwortete Arashi, alias Makotoko. Würde es nicht allen Hundeyoukai im Blut liegen, sich um ihre Welpen zu sorgen, er hätte sicher nicht zugestimmt. Doch egal ob das Kind nun ein Inuyoukai, eine Kitsune oder gar ein Mensch war - solange sie jung und schutzbedürftig waren, nahm selbst der kälteste Hundedämon sie bei sich auf. Davon waren auch nicht Makotoko oder seine Schwester, ja nicht einmal Sesshoumaru verschont geblieben...
 

*
 

Eine Woche später im Westen...

Sesshoumaru rang den Drang nieder, sich genervt die Schläfe zu massieren. Er saß im gut gefülltem Ratssaal im westlichen Schloss und gönnte sich noch einen letzten Augenblick der Ruhe, bevor er die Versammlung eröffnen musste. Die letzten zwei Tage waren der pure Horror für ihn gewesen, so viele Formalitäten mussten erledigt werden und er hatte sich stundenlang Berichte von Kundschaftern und Auswertungen über die Schlacht anhören müssen. Da hatte er sich ja noch auf dem Schlachtfeld selbst wohler gefühlt!

Dreihundertfünfzig Hundedämonen hatten an dem ersten großen Blutvergießen gegen den Süden teilgenommen. Der Ausgang dessen hatte im Grunde nichts zu bedeuten. Noch immer konnte sich alles wenden. Aber dennoch entschied der erste Sieg, beziehungsweise die erste Niederlage über die Motivation der Krieger.

Ihre Gegner waren knapp in der Überzahl gewesen. Natürlich gab es keine genauen Zahlen, doch er schätzte das feindliche Heer auf über vierhundert Krieger. Beide Seiten hatten ihre Verluste zu beklagen.

Hundedämonen waren mit ihren Kameraden sehr verbunden. Jeder einzelne Tote bedeutete eine Lücke in der Gesellschaft. Niemand war auf die Dauer so leicht ersetzbar, denn unter Dämonen gab es eher selten Nachwuchs. Doch genau das war der Grund, warum im Krieg so viele Feinde wie möglich getötet werden mussten. Man ließ keine Verletzten zurück, Gnade gab es nicht. In dem Wissen, dem Feind so den meisten Schaden zuzufügen, galt für jeden einzelnen Kämpfer nur eines: Möglichst viele Gegner in die Hölle zu schicken, bevor man selbst getötet wurde.

Aus diesem Grund waren Youkaikriege sehr gefürchtet und dämmten die Reihen der Dämonen immer mehr ein. In einem einfachen Gemetzel genügte es schließlich, sein Gegenüber schwer zu verletzen.

Man konnte bei einer Schlacht nie wirklich von Sieg oder Niederlage sprechen. Es kam immer darauf an, auf was man achtete: auf die eigenen Verluste im Verhältnis zu den geschlagenen Feinden, auf die Anzahl der wirklich mächtigen Youkai, die auf beiden Seiten gefallen waren, wer von beiden zuerst den Rückzug angetreten hatte... Es gab so viele Punkte, über die man urteilen konnte, auch wenn sie meistens im Zusammenhang standen.

Die Schlacht hatte etwas mehr als eine Woche gedauert, ohne das die Soldaten gegessen, getrunken oder geschlafen hätten. Bei Menschen wäre dies niemals möglich gewesen, doch Dämonen waren widerstandsfähiger.
 

Sesshoumaru erhob sich von seinem Platz und augenblicklich wurde es still im Saal. Alle neun Ratsmitglieder und auch die Kriegsführer, welche unter seinem Kommando den Befehl geführt hatten und jetzt an dem runden Tisch in der Mitte versammelt saßen, wandten die Köpfe zu ihm. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Doch natürlich warf keiner Eine. Nur wenige der hier Versammelten wussten schon um den Ausgang der Schlacht. Alle anderen warteten gespannt auf das Ergebnis. Sesshoumaru erhob die Stimme:

"Ich möchte euch nicht mit endlos langen Reden aufhalten", sagte er eher gelangweilt, "sondern gleich zum Punkt kommen. Die Schlacht, die vor wenigen Tagen ihren Abschluss gefunden hat und an der dreihundertfünfzig Youkai aus unseren Reihen teilgenommen haben, war ein grausiges Blutbad." Er ließ seine Worte kurz wirken und sah, wie einige Dämonen die Köpfe senkten. Dann fuhr er fort:

"Dennoch kann ich mit Stolz verkünden, dass, obwohl unsere Gegner in der Überzahl waren, fast doppelt so viele Südler ihr Leben lassen mussten, als Krieger des Westens." Auch hier legte er eine Pause ein. "Die Heiler haben mir von insgesamt neunundsechtzig Toten berichtet." Es war klar, das er damit ihre Seite meinte.

Die Ratsmitglieder klebten förmlich an seinen Lippen.

"Wir haben vier ihrer zwölf Anführer in die Hölle schicken können, doch auch Okaito, Ritamu und Hakushido sind von uns gegangen." Das waren der Anführer der Bogenschützen, der Dämon der die magischen Attacken leitete und ein Truppenbefehlshaber. Inuyoukai hatten grundsätzlich mehrere Anführer und sobald einer starb, wurde sofort ein neuer eingesetzt, damit das Heer nicht kopflos dastand, wenn man ihren Führer umbrachte. Nur der Verlust des Fürsten oder wie im westlichen Fall, Sesshoumarus Verlust, hätte schwere Folgen. Doch für die drei verstorbenen Anführer hatte man schon lange vor der Schlacht den Nachfolger festgelegt. Trotzdem schlug ihr Ableben eine besonders große Wunde in ihre Reihen.

"Unglücklicherweise hatte diese Schlacht nicht den gewünschten Effekt auf unsere Gegner. Unser Kundschafter" Sesshoumaru mochte das Wort 'Spione' nicht, "haben beobachtet, dass viele von ihnen jetzt noch viel verbissener als zuvor sind, uns zu besiegen. Sie wollen den Tod ihrer Kameraden um jeden Preis rächen." Sesshoumaru legte eine längere Pause ein und gab den Ratsmitgliedern somit die Möglichkeit, ihm Fragen zu stellen. Tatsächlich gab es bald eine Wortmeldung von Takurana, einer weiblichen Inuyoukai mittleren Alters:

"Mein Lord, dürfte ich fragen, welche Seite zuerst zum Rückzug geblasen hat?"

Diese Frage hatte Sesshoumaru bereits erwartet. Takurana machte einzig an diesem Punkt das Gelingen einer Schlacht fest. Dabei gab es viele Situationen, in denen durchaus noch ein eindeutiger Sieg hätte errungen werden können, die eigenen Verluste dann jedoch einfach zu hoch waren, um den Sieg noch gutzuheißen.

"Das Schlachtfeld erstreckte sich über fast eine Dreiviertelmeile und nach zwei Tagen zog dichter Nebel auf. Die Heere haben sich in gewissermaßen zweigeteilt und wo auf der einen Seite zuerst der Süden den Rücktritt befahl, haben auf der anderen Seite unsere Männer den Kampf schneller abgebrochen und haben sich auf den Weg zu ihren Kameraden gemacht, um ihnen beizustehen. Nachdem beide Heere sich wieder versammelt hatten, kam es zu keinem erneuten Kampf. Ich kann es dir nicht auf die Stunde genau sagen, doch ich denke, Hitozume hat als erstes aufgegeben."

Hitozume war für gewöhnlich die Haushofmeisterin im westlichen Schloss, doch nachdem sich die Krieger des Westens aufteilen mussten, hatte sie Sesshoumarus Stellung als Anführerin im anderen Teil übernommen. Die Chancen dort hatten schlecht gestanden und das wusste auch der Lord, dennoch hatte er den leisen Vorwurf bei diesen Worten nicht aus seiner Stimme vertreiben können.

Hitozume war ebenfalls im Saal anwesend. Sie sagte nichts zu ihrer Verteidigung und schaffte es sogar irgendwie, ihn einerseits offen und fast auf Bestrafung hoffend anzusehen, und gleichzeitig den Kopf zu senken, um nicht unhöflich zu wirken. Dabei ignorierte sie gekonnt Takuranas giftigen Blick. Einerseits billigte er dieses Verhalten durchaus, andererseits wirkte es, als ob sie ihn wirklich für einen grausamen Herrscher hielte - dem sie trotz allem vollkommen untergeben war. Wie anders war doch da Anis gewesen...

"Ninusu Omaru wird seine Truppen jetzt vermutlich neu sammeln. Niemand von uns hat bisher wirklich vernichtende Vorteile eingesetzt und auch die Shirosendo hatten ihren Auftritt noch nicht." Die Shirosendo, was übersetzt etwa 'Der weiße Tod' bedeutete, war der Name für eine Eliteeinheit der westlichen Hundedämonen. Sie bestand aus Kriegern, die zwar mit keiner Waffe wirklich umgehen konnten, dafür aber ihre Zähne und Klauen besser zu nutzen wussten als jeder andere. Sie kämpften hauptsächlich in ihrer wahren Gestalt und überstanden selbst die härtesten Energieattacken. Sie waren gefürchtet, sicher, aber dennoch hatte das Kämpfen in der wahren Dämonengestalt in vielen Augen etwas Abzuwertendes, etwas Primitives. Darum gab es auch nicht sehr viele Inuyoukai, die sich zum Shirosendo ausbilden ließen. Allerdings besaß jedes Heer der Hundeyoukai eine solche Einheit, die des Westens wurde aufgrund der spezifischen, weißen Fellfarbe 'Der weiße Tod' genannt. Im Allgemeinen galt es jedoch als letzte Rettung sich zu verwandeln, wenn man entweder in die Enge getrieben war, oder aber besonders wütend war. Sesshoumaru erinnerte sich noch gut daran, als er das erste Mal einen ernsten Kampf in dieser Gestalt eingegangen war. Er hatte dabei beinahe seine Arm verloren... Nun ja, das war wohl sein Fehler gewesen, schließlich war es im Grab seines Vaters auch ziemlich eng gewesen.

"Wie werden wir jetzt weiter vorgehen?", fragte jemand.

"Der Krieg hat gerade erst begonnen. Wir werden unsere Feinde beobachten und, sobald wir ein neues Heer aufgestellt haben, sie zu einem für uns geeignetem Kampfplatz locken. Ich rechne jedoch erst einmal von einer Ruhepause von mindestens fünf Tagen. Dann wird die nächste Schlacht kommen, doch dann wird sie größer ausfallen. Bis es soweit ist, werde ich mit den Kriegsführern zusammen einen Schlachtplan erstellen", antwortete der Lord ruhig. Unwillkürlich fragte er sich, was Anis wohl sagen würde, könnte sie ihn jetzt sehen. Er hasste es, so viele Worte zu machen, und doch musste er hier ganze Reden halten. Der Rat, der doch in Friedenszeiten sehr gut ohne ihn klargekommen war, war nun, im Ernstfall, vollkommen von ihm abhängig. Er war der unangefochtene Herrscher... Warum nur erfüllte ihn das mit einer gewissen Traurigkeit? Weil es niemanden gab, mit dem er diese Last teilen, dem er vertrauen konnte? Weil es niemanden gab, den er auch nur annähend als gleichwertig empfand? Ihm fehlte Anis' aufmöpfige Art, die ihn immer so gereizt hatte. Selbst wenn sie nichts tat oder sagte, hatte sie ihn manchmal auf die Palme bringen können. Manchmal brauchte er so etwas einfach. Ihm fehlte eine richtige Gefährtin. Aber nicht irgendeine, sondern Anis... Warum nur war das Schicksal so grausam mit ihm? Warum nur war es ausgerechnet die Eine, die er nicht haben konnte, nach dem sein Herz so sehr begehrte?

"Die Verletzungen der Verwundeten müssen möglichst schnell versorgt werden, damit der Heilungsprozess beschleunigt wird. Sie sollen alle schon bald wieder kampftüchtig sein", befahl Sesshoumaru und die anderen nickten ihm zustimmend zu. Niemand wagte Widerspruch...

"Wenn es keine weiteren Fragen mehr gibt, beende ich hiermit die heutige Sitzung." Die Youkai hatten jetzt sicher viel, worüber sie nachdenken mussten. Die Ersten erhoben sich. Wenn ihnen im Laufe de nächsten Tage noch etwas Wichtiges einfallen sollte, würde er davon in Kenntnis gesetzt werden. Noch mehr Arbeit... Aber das war gut, er sollte sich nicht beklagen. Es lenkte ihn von seiner unglücklichen Liebe ab. Tatsächlich hatte er es geschafft, seinen Blick länger als zwei Stunden nicht annähend in die Richtung der Stallungen wandern zu lassen, in denen sich Ah-Uhn befand: das einzige Lebewesen weit und breit, das es immer noch schaffte, ihm mit seinem bloßen Anblick an die Reise mit Anis zu erinnern. Wo sie wohl gerade war? Was machte sie wohl jetzt? War sie glücklich...ohne ihn?

Solche Gedanken waren es, die er vermeiden wollte. Sie führten zu einem Haufen Schuldgefühle, dass er sie so lange gequält hatte, zu einem unbeschreiblichem Verlangen dies wieder zu tun und zu nagenden Zweifeln, das Richtige getan zu haben.

Erste Gespräche setzten wieder ein, Stühle scharrten über den Boden.

Er hatte Anis seine Liebe bis zum Schluss nie gezeigt und er hatte auch nie etwas Ähnliches von ihr bekommen. Doch ihr Abschied, der letzte gemeinsame Moment, bewegte ihn noch heute am meisten. Er hatte es tatsächlich gewagt, er hatte sie geküsst. Und obwohl seine große Liebe nichts für ihn empfand, war sie darauf eingegangen. Aus Mitleid? Diese Vorstellung quälte ihn. Nichts war schlimmer für ihn, als das jemand mit ihm Mitleid hätte. Da wäre es ihm lieber gewesen, sie hätte ihn von sich gestoßen. So verfluchte er einerseits ihre Reaktion, ließ sie ihn doch schwach erscheinen, und andererseits war er ihr unendlich dankbar dafür. Für diesen einen, wunderbaren Moment der Vollkommenheit. Es würde alles dafür tun, ihn noch einmal durchleben zu können. Alles... Wenn er nur nicht die Gewissheit hätte, dass zwischen ihnen absolut nichts war! Die Gewissheit, dass sie es nicht noch einmal freiwillig über sich ergehen lassen würde.

Vielleicht hatte sie ja auch schon einen neuen Gefährten? Vielleicht hatte sie die Liebe ihres Lebens gefunden? Dieser Gedanken ließ die Eifersucht in ihm auffauchen, doch er musste sich auch eingestehen, dass er jetzt nichts dagegen tun konnte. Er hatte es ja auch nicht anders gewollt. Er hatte sie ja freigeben wollen. Dennoch konnte er heute manchmal nicht anders, als diesen Umstand zu verfluchen. Niemand außer ihm sollte sie je berühren! Es grauste ihm vor dieser Vorstellung. Er hatte sie als sein Eigentum angesehen, ja, aber das war ein Fehler. Sie gehörte nicht ihm, hatte ihm nie gehört. Zu spät hatte er das erkannt. Er hatte keinen Anspruch auf sie. Er war zu weit gegangen, hatte sich mitreißen lassen vom Sturm seiner eigenen Gefühle.

Anis war nicht mehr bei ihm.

Der Saal hatte sich geleert.

Er war wieder allein.
 

*
 

Im Süden...

Kuraifaia kam ihre Situation irgendwie... absurd vor. Sie befand sich, auf Einladung des Fürsten persönlich, in dessen Gemächern und... plauderte. Anders konnte sie es nicht bezeichnen. Als sie vor einigen Tagen einen schon älteren Inuyoukai im Garten getroffen hatte und bald darauf feststellte, dass dies Fürst Ninushu Omaru höchstpersönlich war, hatte sie erst einmal etwas bekommen, was einem Schock nicht unähnlich war. Schließlich hatte sie ihn nicht unbedingt seinem Rang entsprechend behandelt. Der Fürst jedoch hatte ihre Entschuldigungen mit einer lässigen Handbewegung abgetan und gemeint, es täte ihm mal ganz gut, offen mit jemandem sprechen zu können. Ja, er hatte ihr sogar gewissermaßen befohlen, ihn wie jeden anderen auch zu behandeln. Nach allem was sie gehört hatte, war sie die Einzige, der dieses Privileg entgegen gebracht worden war.

Kuraifaia hatte sich daraufhin öfters mit dem Fürsten im Garten getroffen und sie hatten lange Gespräche miteinander geführt. Sie hatte schon bald angefangen, ihm zu vertrauen und erzählte ihm die Wahrheit über ihre Herkunft und das Leben in fünfhundert Jahren. Auch von der Versiegelung ihrer Kräfte hatte sie erzählt, doch sie stellte alles so dar, als kämen diese mit einem gewissen Alter zurück und sie verschwieg ihm alles, was mit Sesshoumaru zu tun hatte.

Ninushu Omaru wiederum erläuterte ihr die näheren Umstände des Krieges, manchmal holte er sich sogar Rat von ihr. Er brachte ihr etwas von der Geschichte Japans bei und war auch sehr erpicht darauf, ihre Meinung zu allen möglichen Sachverhalten zu hören, und wie sie entschieden hätte. Das tat sie dann auch, und je nachdem wie ihre Stimmung war, tat sie es mit einigen verächtlichen Bemerkungen, einer abwertenden Handbewegung, einem üblen Scherz oder manchml sogar mit einer versteckten Beleidigung. Nie rief er sie zur Ordnung, im Gegenteil. Er ermunterte sie meist mit einem seiner gütigen Lächeln.

Vor drei Tagen war Kuraifaia offiziell zu einem Mitglied des Südens erklärt worden. Dank ihrer ungewöhnlichen Freundschaft mit dem Herrscher war das natürlich kein Problem mehr gewesen.

Heute war die Inuyoukai erstmals in das Arbeitszimmer des Fürsten hereingebeten worden, denn draußen tobte ein Schneesturm. Doch heute schien irgendetwas anders zu sein. Zuerst dachte die Dämonin, es läge an der Stimmung, denn Ninushu hatte ihr soeben vom Ausgang der Schlacht und den vielen Todesopfern berichtet. Die meisten Krieger sammelten sich schon jetzt für einen erneuten Angriff.

Das Schweigen zwischen ihnen war drückend. Der stille Hundedämon mit den blass violetten Haaren stand mit dem Rücken zu ihr am Fenster und hing offensichtlich seinen Gedanken nach.

„Mein Fürst?“, fragte Kuraifaia zaghaft.

„Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du diese Formalitäten lassen sollst?“ Obwohl sie sein Gesicht nicht sah, konnte sie sein Lächeln erahnen.

„Nun...gut... Darf ich... dir...“, ihr kam es unaussprechlich unhöflich vor, einen Fürsten zu duzen, „eine Frage stellen?“

„Nun, das hast du ja gerade. Aber ich werde dir selbstverständlich auch eine zweite beantworten.“

„Wann beginnt die nächste Schlacht?“ Woher kam dieses ungute Gefühl, das sie hatte? Das Gefühl nach... Gefahr.

„Bald... Zu bald“, antwortete er traurig.

Wieder Schweigen.

„Du wirst nicht mitkämpfen“, meinte er plötzlich.

„Wie bitte?“ Hatte sie sich da jetzt verhört?

„Du wirst nicht mitkämpfen“, wiederholte er, „Du bleibst hier im Schloss.“

Kuraifaia schüttelte verständnislos den Kopf. Die erste Schlacht hatte sie schon verpasst, sie würde bestimmt nicht er bleiben! Das war doch die einzige Möglichkeit, sich wenigstens ein wenig abzureagieren. Schon seit mehr als einer Woche spürte sie die fehlende Bewegung, dürstete es ihr nach einem ordentlichen Kampf.

„Ich will aber kämpfen!“, sagte sie unbedacht.

Der Fürst drehte sich nun doch zu ihr um und Kuraifaia zuckte kurz zusammen. In seinen Augen lag keine Nachgiebigkeit. Wenn er es so wollte, würde sie hier bleiben müssen.

„Ich habe keineswegs vor, dich hier einzusperren, Kuraifaia. Aber du bist mir in der kurzen Zeit, seit wir uns kennen, sehr ans Herz gewachsen und ich möchte dich nicht verlieren. Mit niemandem kann ich so offen über alles sprechen... Ich vertraue dir. Und ich brauche jemanden wie dich, der mir ab und zu zu verstehen gibt, was für ein durchgeknallter, alter Narr ich doch bin.“ Da war es wieder, sein Lächeln. Sie mochte es. Es war, als heilte es ihre Seele. „Auch ein Fürst macht einmal Fehler. Aber niemand traut sich, sie ihm vorzuhalten, deswegen werden sie oft nicht erkannt. Du aber bist noch jung und hast ein offenes Auge für die Welt. Du hast unter dem gemeinem Volk und sogar unter Menschen gelebt. Du könntest sicher viele Entscheidungen besser als ich fällen. Ich brauche dich an meiner Seite.“

Kuraifaia senkte beschämt den Kopf. Sie hatte wieder nur an sich gedacht, an ihre angestaute Energie, ihre Bedürfnisse. Sie war es nicht mehr gewohnt, dass sie jemand so vermissen würde, wenn sie starb. Dass jemand sie so brauchte.... Sonst kamen doch immer alle ohne sie klar.

„Gut, ich....Ich werden mich aus dem Krieg heraushalten“, gab sie schließlich auf. Ninushu Omaru nickte. Es hatte etwas Endgültiges.

Kuraifaia machte eine unbeholfene Handbewegung. „Dann... Geh ich mal...“ Noch immer spürte sie die Gefahr. Nein... Spüren war nicht das richtige Wort. Sie roch sie.

Wieder ein Nicken. Die Inuyoukai wandte sich um und ging auf die Tür zu.

Doch dann blieb sie mit einem mal wie angewurzelt stehen.

Das ungute Gefühl, das sie die ganze Zeit quälte.... Der Geruch nach Gefahr, er war hier am stärksten! Sie sah sich nach der Ursache um. Neben der Schiebetür, welche das Arbeitszimmer vom Vorraum abgrenzte, stand ein großer Tisch aus Mahagoniholz. Zahlreiche Papiere und Formulare stapelten sich darauf, Federn lagen herum. In der Ecke stand eine große Vase mit getrockneten Blumen neben einem geschlossenem Tintenfass. Nichts Ungewöhnliches also. Und dennoch... Kuraifaia widerstand ihrem Instinkt und sog tief die Luft ein.

„Ist etwas nicht in Ordnung?“, fragte Ninushu Omaru.

Kuraifaia zögerte. „Diese... Blumen....“, murmelte sie.

„Ach... Sie sind ein Geschenk von meinem Sohn Keisushiro. Recht hübsch, nicht wahr? Es ist schon eine ganze Weile her, seit er sie mir gab, wir haben sie trocknen lassen, damit sie sich besser halten“, erklärte er, offenbar etwas verwundert über ihr Interesse an ihnen.

Sie überlegte. Die Pflanzen stammten von seinem Sohn? Das konnte sie sich nicht vorstellen. Allerdings könnten japanische Youkai ja auch nicht wissen, dass...

„Vielleicht wäre es besser, diese Blumen bald zu entsorgen. Sie stehen schon zu lange hier“, meinte sie tonlos.

Der Fürst war sichtlich überrascht. „Aber wieso denn? Weißt du, ich habe seit einiger Zeit keinen allzu guten Draht mehr zu meinem Sohn und ich habe mich sehr über dieses Geschenk gefreut. Ich würde sie ungern wegschmeißen und er wäre sicher auch beleidigt...“, antwortete er.

Die Dämonin biss sich auf die Lippen. „Bitte versteh mich nicht falsch, aber... Nun, ich kenne diese Pflanze. Sie wächst im hohen Sibirien.... Ich habe einmal eine Reise dorthin unternommen. Vielleicht wollte Lord Keisushiro euch mit einer exotischen Pflanze eine Freude machen, doch diese Blume trägt nicht umsonst den Namen 'Stilles Verderben'. Im getrocknetem Zustand setzt sie Dämpfe frei, die einen Menschen innerhalb weniger Minuten tötet. Auch für Dämonen ist sie sehr schädlich. Das Gift setzt sich in den Atemwegen fest und schwächt den Youkigehalt eines Dämons. Wenn dieser Strauß schon mehrere Jahrzehnte hier steht und du zu oft an diesem Tisch sitzt, können die Dämpfe dein Leben erheblich verkürzen!“

Ninushu Omaru starrte sie unhöfisch an.

„Verzeiht, mein Lord, ich hatte sicher niemanden beschuldigen wollen...“, fügte sie schnell hinzu, als sie merkte, was für Anschuldigungen sie gerade ausgesprochen hatte. Immerhin war es Lord Keisushiro, der ihm den Strauß geschenkt hatte! Sie hatte den Youkai zwar noch nie gesehen, aber sicher war das alles ein Versehen.

„Kuraifaia, du solltest jetzt gehen“, sagte der Fürst bestimmt.

Erneut biss sie sich auf die Zunge. Jetzt hatte sie es sich verscherzt. „Entschuldigung...“, murmelte sie noch einmal. Hoffentlich hatte das kein Nachspiel.

„Nein, nein, ist schon gut. Es ist recht so, dass du mich vor der verstecken Gefahr gewarnt hast. Ich kann mich schon seit langem nicht mehr bester Gesundheit erfreuen, das geben ich zu, und die Heiler wussten bislang noch keine Ursache festzustellen. Du hast mir gerade das letzte Puzzleteil in diesem Spiel der Intrigen geliefert... ich danke dir.“
 

Als Kuraifaia den Raum verlassen hatte, ließ sich Fürst Ninushu Omaru erschöpft auf den Stuhl am Schreibtisch sinken. Sein Blick wanderte zu den unheilvollen Blumen. Stilles Verderben... Schon lange wusste er um den Verrat seines Sohnes, oder ahnte zumindest davon, doch natürlich hatte es keine Beweise gegeben. Er bekam die Männer nicht zu fassen, die diese bösartigen Gerüchte verteilten und sein Volk gegen den Westen aufstachelten. Er wusste nicht, welche Krieger genau für ihn als Spione arbeiteten. Dennoch hatte er nicht vor, sich kampflos vom Thron stürzen zu lassen. Keisushiro war jung und ungestüm, aber er war auch klug und gerissen. Er war ein hervorragender Kriegsherr, aber mit Frieden wusste er nichts anzufangen. Den fand er langweilig... Langweilig! So jemand konnte kein guter Herrscher werden. Und wenn es stimmte, was Kuraifaia gesagt hatte, dann trug sein Körper schon zu viel von dem Gift in sich. Er würde nur noch ein paar Jahre haben... Dann würde sein Sohn den Thron besteigen. Es spielte keine Rolle, ob sie den Krieg nun gewannen oder verloren. Jedenfalls für ihn nicht. Er würde das Ende nicht mehr erleben... Aber wie auch immer es ausging, es wäre schlecht für sein Volk. Wenn sie es tatsächlich schaffen sollten, den Westen zu unterwerfen, dann würde Keisushiro seine Männer mit grimmiger Genugtuung erfüllen, ihnen einreden, sie könnten alles schaffen. Dann würde er die anderen Länder zu erobern versuchen. Und wenn er auch das schaffte, würde er seine Macht auf den Kontinent ausdehnen wollen. Er wusste wohl, wo seine Grenze war, aber er missachtete sie. Er konnte nicht im Frieden regieren, deshalb suchte er stets Krieg. Und damit würde er die Hundedämonen langsam aber sicher zugrunde richten. Das konnte er nicht zulassen. Er konnte nicht nicht abwarten, bis ihm jemand Einhalt gebot. Es gab nur eine Möglichkeit zu verhindern, dass sein Volk Keisushiro blind in den Tod folgte. Man musste ihn beseitigen...

Das wiederum war aber auch nicht so einfach. Nicht nur, dass der Lord sich unzweifelhaft sträuben würde. Durch den Krieg, den er hier am Hals hatte, war es noch viel schlimmer. Wenn er Keisushiro das Recht auf seine Nachfolge verwehrte, dann war der Süden führerlos. Normalerweise hätte er ihn wohl einfach eine Zeit lang ins Exil geschickt, aber das ging aus zwei Gründen nicht: Einmal würde niemand seine Rückkehr verhindern können, wenn er selbst starb und zweitens glaubte er nicht, dass sich sein Sohn noch bessern würde und nachdem er diesen offensichtlichen Mordversuch aufgedeckt hatte, erst recht nicht. Er musste Keinsushiro alles Recht auf die Herrschaft entziehen, ihn enterben. Das fiel ihm nicht leicht, war es doch sein eigen Fleisch und Blut, das er da verurteilen musste. Darum war er schon fast dankbar für die Sache mit den Blumen, die ihm seine Aufgabe doch erheblich erleichterte. Für so kaltblütig seinen eigenen Vater zu töten, und das auch noch in aller Heimlichkeit, für so niederträchtig hatte er ihn nicht gehalten. Er hatte keinen Funken Ehre mehr in sich!

Ninushu Omaru nahm seufzend den Strauß aus der Vase. Die trocknen Blätter knisterten. Er ließ sein Youki durch den Arm in seine Fingerspitzen fließen und kurz darauf zischten kleine Flämmchen daraus hervor. Die Blumen fingen Feuer.

Wieder glitten die Gedanken des Lords zu dem Krieg. Was, wennn sie ihn verlören? Lord Sesshoumaru hatte einen äußerst schlechten Ruf, was seine Haltung gegenüber Verlierern anging. Er würde keine Gnade walten lassen. Aber er war ihm auch nie besonders machtbesessen erschienen, hatte er doch sein Land für lange Zeit allein gelassen. Dennoch, im entscheidenen Moment war er da gewesen. Er hatte in der Schlacht an der Seite seiner Krieger gekämpft. Wollte er den Süden erobern? Schießlich war er es gewesen, der die Kriegserklärung heraus gegeben hatte. Ninushu wusste, dass der Sohn des Inu no Taishu sehr stolz war. Möglicherweise würde er Ruhe geben, wenn sie sich ganz offiziell ergaben und sich seinem Willen beugten. Eine klare Regelung der Rangordnung, war es nicht das, was die Westler wollten? Noch besser wäre es natürlich, das alte Bündnis wiederherzustellen. Doch dazu müsste an das Vertrauen des Lords gewinnen, und das war nunmehr unmöglich. Wie man es auch drehte und wendete, alle Möglichkeiten liefen auf das selbe Ergebnis hinaus: Es stand sehr schlecht um die Zukunft des Südens.
 

XxX
 

Ein großes SORRY für die lange Wartezeit, ich hoffe es hat sich gelohnt.

Wie es weitergeht ist wohl zwischen den Zeilen schon zu lesen gewesen und da ich langsam den Punkt der unerwarteten Wendungen überschritten habe und nun tatsächlich langsam zum Ende koommen will, könnt ihr euch das Ende vielleicht schon zusammenreimen. Erwartet aber bloß nicht von mir, eure Vermutungen zu bestätigen, bzw. zu widerlegen, sonst verliert das Ganze seinen Witz.

Ich hoffe, das nächste kap dauert nicht so lange.

Enthüllungen

Makotokos Identität als Arashi erscheint sicher, dennoch kann er nicht erwarten, dass seine eigene Schwester ihn nicht erkennt. Hätte er sich mal nicht wieder in ihr Leben eingemischt, denn Kuraifaia ist überhaupt nicht erbaut über sein Erscheinen.

Auch Mitsura hat sich undercover im Westen eingeschleußt, doch als sie auf Sesshoumaru trifft müssen einige Fakten klar gestellt werden. Beide Geschwister begeben sich in tödliche Gefahr...
 

XxX
 

Kuraifaia hatte ihr Versprechen gegenüber dem Fürsten gehalten. Die nächste Schlacht war gekommen und gegangen. Sie hatte nicht daran teilgenommen. Die Südler sahen das Ergebnis eindeutig als Sieg für sich an, doch auch sie hatten hohe Verluste erleiden müssen. In gewisser Weise stand es jetzt eins zu eins, doch beiden Seiten war klar, dass noch lange nicht alle Kräfte aufgeboten worden waren. Derjenige, der seine Trümpfe zuerst ausspielte, würde hier den Kürzeren ziehen.

Die Youkai hätte gedacht, dass nun, wo Ninushu Omaru so viel mit dem Krieg zu tun hatte, ihre gemeinsamen Gespräche seltener werden würden, doch das Gegenteil war der Fall. Immer öfter wurde sie in den Herrschertrakt gebeten. Sie genoss diese Zeit, sicher, aber sie hätte doch gerne im Krieg mitgekämpft. Täglich beobachtete sie die jungen Recken, die sich auf dem Trainingsplatz übten und sehnte sich danach, zu ihnen zu gehören. Doch das sie die Vertraute des Fürsten war, hatte sich herumgesprochen, alle gingen ihr aus dem Weg. Sogar von ihrem Rudel wurde sie anders als sonst behandelt.

Auch heute stand sie am Gatter des Übungsplatzes und sah den Kriegern zu. Einige von ihnen hatte ihre Kämpfe soeben beendet und saßen lachend und scherzend am gegenüberliegenden Zaun. Man konnte merken, wie sehr sie sich angestrengt hatten, der Schweiß auf ihren Leibern verdeckte fast vollständig ihren Eigengeruch.

Noch immer war es kalt draußen, doch der ersten Schnee hatte zu schmelzen begonnen. Die Winter waren hier kurz. Die Krieger rieben sich mit dem weißen Nass ein. Sie alle hatten die Oberkörper entblößt. Als Dämonen konnten sie den eisigen Wind nicht spüren, der über sie hinweg fegte. Doch nicht bei allen war das der Fall. Die Menschen hier, in ihren schlecht beheizten Quartieren mussten sich in dieser Zeit wortwörtlich den Arsch abfrieren. Nicht, das es einer gewagt hätte sich zu beschweren. Aber auch der tierische Anteil der Hunde hatte es nicht leicht. Feine Eiskristalle blieben andauernd in ihrem Fell hängen. Das südliche Schloss beherbergte sicher hundert Tiere. Ein kleines Rudel konnte Kuraifaia im Windschutz eines kahlen Baumes entdecken.

Ihre Augen wanderte wieder zu den jungen Männern am Gatter. Sie bemerkte gleich mehrere anzügliche Blicke, die auf sie gerichtet waren. Doch sobald sie mitbekamen, dass ihnen das Verlangen deutlich im Gesicht geschrieben stand, wandten sie sich ab. Jeder kannte die Geschichte von Samhato, dem Krieger, dem sie die Augen durchstochen hatte. Auch jetzt versprühten ihre Augen die sengende Hitze eines Kübels Eiswürfel.

Einen der jungen Dämonen schien sie jedoch nicht einschüchtert zu haben. Er machte eine Bemerkung zu seinen Freunden, die in deren Gelächter unterging. Und jetzt kam er auf sie zu!

„Hey, Arashi, mach lieber nichts, was du später bereust!“, rief dem Tollkühnen einer seiner Kumpanen zu. Doch der winkte nur ab und lachte. Diese Lachen...

Zielstrebig kam er auf sie zu. Nur eine dumme Bemerkung und sein Kopf würde zu ihren Füßen liegen, schwor sie sich.

Sie betrachtete ihn näher. Er war der Einzige aus seinem Gefolge, der nicht schwitzte. Die Übungen schienen ihn nicht überanstrengt zu haben. Kuraifaia sog seinen Geruch ein.

Nein! Das konnte nicht sein! Wieder witterte sie. Aber es gab keinen Zweifel.

Es war Jahrhunderte her, seit sie den echten, den einzig wahren Geruch ihres Bruders zum letzten Mal in der Nase gehabt hatte. war ervom Geruch der Alpenaster umgeben, dem Kraut, welches den Großteil der Tinktur ausmachte, mit dem er seinen Geruch zu verbergen pflegte. Dennoch kannte sie ihn noch ganz genau. Makotoko!

Makotokos Lächeln wich keine Sekunde von seinem Gesicht, doch es erreichte seine Augen nicht. Sein Blick, seine Haltung, seine langsamen Bewegungen waren aufs Äußerste angespannt und vorsichtig. Von außen betrachtet schien sein Gang lässig zu sein, doch er fühlte sich, als ob er sich einer gefährlichen Raubkatze nährte und ja keine falsche Bewegung machen durfte. Der Vergleich war gar nicht mal so schlecht.

Kurafaia stieß ein bedrohliches Knurren aus der Tiefe ihrer Kehle aus. Ihr Youki ballte sich zusammen.

„Lange nicht gesehen, Herzblatt!“ Es war das Falscheste, was er hätte sagen können. Doch es ging nicht anders. Sie würde es ihm nur schwer verzeihen, dass er ich schon wieder in ihr Leben einmischte. Das letzte Mal war beinahe ihr Verlobter drauf gegangen. Er konnte es ja nachvollziehen. Und das sie jetzt Fähigkeiten und Charakter eines echten Dämons hatte, machte es auch nicht viel besser. Wenn er ihr die Chance dazu gab, würde sie ihn in der Luft zerreißen. Nun, das hatte er nicht vor. Allerdings würde sich ihr Verhalten kaum bessern, wenn er jetzt versuchte, auf sie einzureden. Sie wollte kämpfen. Sie musste kämpfen.

Makotoko hatte in der letzten Schlacht mitgekämpft. Nun ja, gekämpft hatte er nicht sehr viel. Er hatte die ganze Zeit nach Kuraifaia, Mitsura und Sesshoumaru Ausschau gehalten. Alle Gegner, die sich ihm in den Weg gestellt hatten, fielen unter grausamen Schreien seinem Schwert zum Opfer. Da das in einem Kampf dieses Ausmaßes natürlich ziemlich oft vorkam, hatte er als 'Arashi' hohes Ansehen bei seinen dämonischen Kameraden gewonnen. Dennoch waren seine Mühen umsonst, er hatte keine der gesuchten Personen gefunden. Doch das war nebensächlich, denn jetzt hatte er ja seine jüngste Schwester gefunden. Die war ihm nur leider scheinbar gar nicht gut gesinnt.

„Was wollt ihr hier?!“, zischte Kuraifaia böse.

„Ach weißt du, ich bin eigentlich nur zufällig hier...“ Das war ja nicht einmal gelogen, schließlich hätte er auch genauso gut im Westen landen können.

„Rein zufällig, ja? Tja, Pech für euch, ich habe jetzt nämlich auch rein zufällig verdammt miese Laune!“ Mit einer blitzschnellen Bewegung zog Kuraifaia die Spange, welche ihre Frisur zusammen hielt und welche im Grunde nur ein umfunktioniertes Wurfmesser war. Sie warf die Klinge auf ihren Bruder zu.

„Whoa!“, rief Makotoko aus und rettete sich durch einen geschickten Salto vor der Gefahr. Die Spange flog einen großen Bogen und wurde von der Inuyoukai wieder aufgefangen.

„Du hast wirklich vor, mich aufzuspießen, was?“, sagte Makotoko spöttisch. Er ging in Kampfhaltung. Seiner Schwester konnte er es schlecht verübeln, dass sie sich an ihm abreagierte. Vermutlich saß sie einfach schon zu lange Zeit in diesem Schloss fest.

Einer Raubkatze gleich duckte sich Kuraifaia, als Makotoko sein Schwert zog und einen Hieb auf ihren Kopf vortäuschte.

„Oh, ich kann dich auch zerfetzen, wenn dir das lieber ist“, antwortete sie sarkastisch und riss ihre rechte Hand, die sie eben noch in der Erde verkrallt hatte, hoch. Fünf gleißend blutrote Lichtstrahlen zischten durch die Luft und dass Erdreich wurde aufgerissen. Schock war das Einzige, was der Inuyoukai fühlte, bevor er im letzten Moment zur Besinnung kam und sich zur Seite warf.

Seine Kameraden am Gatter starrten die junge Frau ungläubig an. Für die Attacke eben hatte sie die Verdeckung ihrer Aura kurz außer Acht gelassen und sie bekamen einen Vorgeschmack auf die ganze Macht ihres Youkis. Zu viel, für eine gewöhnliche Kriegerin.

Lautes Bellen ertönte von der Seite her. Das Rudel Hunde, welches unter den nahen Bäumen Schutz vor dem eisigen Wind gefunden hatte, suchte nun das Weite. Nur der Leithund blieb, die Ohren wachsam aufgestellt und beobachtete fasziniert den Kampf. Seine Rute zuckte nervös.

„Du meinst es wirklich ernst, was?“, sagte Makotoko, während er die Waffe lässig mit dem Handgelenk wirbeln ließ. „Wollen wir nicht lieber noch einmal über unser kleines Problem reden?“

Kuraifaia trat einen Schritt zurück an den Zaun und griff sich ein herrenloses Schwert das dort angelehnt war.

„Ich meine es todernst“, meinte sie überzeugend und ging erneut in Kampfhaltung. „Wir haben nichts zu bereden. Entweder ihr verschwindet dorthin wo ihr hergekommen seid und hört auf euch in mein Leben einzumischen, oder ich werde euch gleich hier zeigen, was ich von euch halte!“

Er musterte seine Schwester anschätzend. „Hey, du weißt doch, ich hab immer nur dein Bestes im Sinn!“

Kuraifaias Geicht verfinsterte ich. „Falsche Antwort.“ Sie hob ihr Schwert.

Makotoko tat es ihr gleich, zögerte jedoch noch.

„Hör mal, ich will dir nicht weh tun...“ Sein Schwert war etwas Besonderes. Die Wunden die es schlug, mochten nicht besonders tief sein, aber sie taten höllisch weh. Die Verletzungen wurden schnell brandig und verursachten innerhalb von Sekunden schwere Entzündungen. Bei schwächeren Youkai reichte ein einfacher Schnitt und ihr Körper löste sich in einigen Stunden auf. Nur wer genug Youki besaß und demzufolge auch enorme Selbstheilungskräfte, konnte so etwas überleben. Dennoch musste die Stelle, an der die Verletzung saß rausgeschnitten werden, was in den meisten Fällen hieß, ein Bein oder einen Arm zu amputieren. Wenn der Schnitt jedoch am Kopf saß – die Stelle, auf die Makotoko gewöhnlich zielte – hatte man halt Pech gehabt. Das einzige Heilmittel, welches die dämonische Wirkung unterdrückte, ja sogar rückgängig machte, war Blut. Und zwar Makotokos Blut, oder aber das einer Person, die direkt mit ihm verwandt war. Für Kuraifaia war die besondere Eigenschaft des Schwertes also nicht lebensgefährlich, aber dennoch würde sie für kurze Zeit außer Gefecht sein und höllische Schmerzen leiden, sollte er sie treffen. Damit hatte sie einen entscheidenden Nachteil im Kampf mit ihm.

„Keine Sorge, ihr werdet nicht einmal in der Lage sein, mich zu berühren!“, versicherte seine Schwester ihm selbstbewusst.

Makotoko zuckte mit den Schultern. „Ich hab' dich gewarnt.“

Ohne Vorwarnung griff er an, sein Schwert zischte auf sie zu. Kuraifaia machte sich nicht die Mühe auszuweichen, sondern parierte Klinge gegen Klinge. Sie stieß ihn zurück und setzte noch im selben Moment nach, ließ ihre Waffe auf ihn zu rasen mit dem Ziel, ihm die Waffe in den Bauch zu rammen. Er wich seitlich aus und schlug ihr Schwert mit seinem eigenem zurück. Die Klingen krachten aufeinander doch Kuraifaia, die sehr wohl wusste, dass sie ihm zumindest was Körperkraft betraf, unterlegen war, machte schnell einen Ausfallschritt zur Seite. Es folgte ein Wechsel an Schlägen und Finten, ohne das einer der beiden vermochte, die Deckung des Anderen zu überwinden.

Makotoko täuschte einen Stoß auf ihr rechtes Bein vor, nur um im letzten Moment die Klinge abzuwenden und auf ihren Hals zu zielen. Seine Gegnerin drehte sich zur Seite, bekam aber trotz allem noch einen leichten Schnitt am Arm ab. Gequält schrie sie auf und wich einen Schritt zurück, doch das herausquellende Blut linderte den Schmerz fast sofort wieder. Dennoch erkannte Makotoko jetzt seine Chance und stieß erneut zu. Die Dämonin tat nun etwas sehr Dreistes, sie packte die auf sie zu rasende Klinge mit einer Hand und hielt sie so davon ab, ihr den Bauch aufzuschlitzen. Diesmal verzog sie nur kurz das Gesicht, als die spitzen Kanten der Waffe in ihre Hand schnitten.

Der Inuyoukai befreite sein Schwert aus ihrem Griff und machte eine halbe Drehung, um sie nochmals anzugreifen. Seine Schwester war jedoch keineswegs zu unterschätzen. Sie parierte den Hieb geschickt und schaffte es irgendwie, ihr eigenes Schwert einer Schlange gleich um das ihres Feindes zu schlingen und hätte ihm so beinahe die Waffe entwunden. Makotoko befreite sich aus dieser Falle, doch Kuraifaia, die das kommen sah, zog ihr Schwert nicht nach oben weg, sondern stieß nach vorne um seine Brust zu durchbohren.

Ihr Bruder ließ sich nach hinten fallen und wollte sie dann mit einem Tritt gegen das Schienbein aus dem Gleichgewicht bringen. Kuraifaia fing seinen Fuß mit der Hand ab und drückte ihn zurück.

Auf einmal wich das Grinsen aus Makotokos Gesicht, als ihm mit Schrecken klar wurde, was sie vor hatte. Ein teuflisches Lächeln umspielte Kuraifaias Lippen, als sie ihre blutrot leuchtende Hand zurück zog und ein höllischer Schmerz sein Bein hinauf raste.

Der Inuyoukai hatte es nur seinen enormen Reflexen zu verdanken, die ihn dazu veranlassten, sich zur Seite weg zu rollen, dass er nicht in Stücke geschnitten wurde, sondern die tödlichen Youkistrahlen zwar durch sein Bein flossen und dieses zerfetzten, über seinem Knie hinaus jedoch wirkungslos in die Luft rasten.

Vor Schmerz halb blind konnte der Dämon doch noch genau die kühle Spitze von Kuraifaias Schwert an seiner Kehle spüren, die ihn als geschlagen zeichnete. Irgendwie schaffte er es dennoch, ein Lächeln zustand zu bringen.

„Respekt“, keuchte er, „dass du so kaltblütig geworden bist, dass du ohne mit der Wimper zu zucken in der Lage bist, mich zum Krüppel zu machen, hätte ich dir jetzt doch nicht zugetraut, Herzblatt.“

Kuraifaias Augen glühten gefährlich rot auf.

„Hey, ich hab schon kapiert“, versicherte er ihr und ließ seine Augen über ihre Erscheinung streifen, den Schmerz ignorierend, „ich bin nicht scharf auf ne' zweite Runde, okay?“

Wie um seine Worte zu widerlegen packte er seine Schwester am Handgelenk, wand ihr das Schwert aus dem Griff und zog an ihrem Arm. Das war typisch für ihn, den Schwertarm, der schon sein Schicksal besiegelte, noch als Stütze zu benutzen, um sich selbst hochzustemmen. Dreist, aber wirkungsvoll.

Er stieß Kuraifaia leicht zurück, das Gewicht auf sein unverletztes Bein verlagernd und drückte sie gegen das Gatter. Seine Gegnerin war zu überrascht, um sich zu wehren.

Makotoko beugte sich vor, kam ihrem Gesicht immer näher und flüsterte ihr ins Ohr: „Belassen wir es hierbei, in Ordnung?“
 

„Hey! Was ist hier los?“, ertönte auf einmal eine fremde Stimme. Kuraifaia drehte blitzschnell den Kopf herum und schloss noch in der Bewegung die Augen. Sofort bildeten die Auren um sie herum ein klares Bild. Makotoko neben ihr strahlte augenblicklich Misstrauen, Unwillen und Mordlust aus, als er den Neuankömmling erblickte. Aber auch Schmerz, Ungläubigkeit und Enttäuschung von dem Kampf, den sie eben ausgefochten hatten, war noch zu sehen.

Ihr Bruder stellte sich absichtlich halb vor sie, sodass man die grausame Verletzung an seinem Bein nicht sehen konnte, welches ihn kaum noch zu halten vermochte. Gegenüber dem Fremden jedoch ließ er sich nichts anmerken.

Dessen Aura leuchtete orange, was auf Alarmbereitschaft, Misstrauen und dem Verlangen seine Langeweile zu vertreiben hindeutete.

Die Youkai wandte ihre Aurasicht nur kurz an, um die Lage zu überprüfen, dann öffnete sie die Augen wieder. Der Dämon der – in voller Rüstung – auf sie zu kam, hatte lange blonde Haare und schwarze Augen. Sie hörte, wie die übrigen Krieger am Gatter, die bis jetzt gespannt dem Kampf zu gesehen hatten, nun auf die Knie fielen. Ihr Bruder, der ihr Handgelenk fest im Griff hatte, drückte noch mehr zu, als wolle er sie daran hindern, es ihnen gleich zu tun. Was fällt dem ein!, dachte sie sich dabei wütend. Sie hätte ohnehin keine solche Geste gemacht...

„Ich hatte lediglich eine kleine Meinungsverschiedenheit mit meiner Liebsten“, antwortete Makotoko lächelnd, den Sarkasmus dabei gar nicht zu überspielen versuchend. Sie rollte mit den Augen und überlegte bereits, wie sie unbemerkt an ihr Wurfmesser herankommen könnte. Jetzt, wo er so nah bei ihr stand, könnte sie es ihrem Bruder leicht zwischen die Rippen stoßen... Dann würde ihm das Lachen vergehen!

„Ich bitte dich! Der Anstieg eures Youkis war weit hin zu spüren. Ihr müsst alles gegeben haben, als ginge es um Leben und Tod!“, meinte der Fremde, augenscheinlich verärgert, weil sie ihm nicht den gewünschten Respekt entgegen brachten.

Kuraifaia jedoch unterdrückte ein abfälliges Schnauben. Alles gegeben! Das, was sie gezeigt hatten, war Anfängerniveau! Sie hatte schließlich nicht wirklich vorgehabt, Makotoko umzubringen. Sie hatte ihn nicht einmal SO schwer verletzen wollen, wie er es jetzt war. Es hatte sich einfach ergeben, ohne das sie es würde zurücknehmen wollen. Und er hatte ja auch nicht ernsthaft gekämpft. Dennoch, für jemanden, der sie nicht kannte und der nicht wusste, wie viel Youki ihnen wirklich zur Verfügung stand, mochte dies wie ein geplantes Duell ausgesehen haben.

„Hey du verlauster Sack voll fischgesichtiger Möwenfürze! Kannst du uns beiden“, Makotoko legte bedeutungsschwer einen Arm um Kuraifaias Hüfte, welchen diese einen Moment später unauffällig zurück stieß, „nicht einmal unsere kleine Privatsphäre lassen?“

Nun war er eindeutig zu weit gegangen. Man brauchte keine Aurasicht, um zu sehen, das der Krieger vor Wut zitterte. „Wenn du deine Freundin unbedingt auseinander nehmen willst, ist das deine Sache. Aber das du mich, Lord Keisushiro, beleidigt hast, wird dir noch Leid tun!“, zischte er gefährlich.

Kurafaia schluckte. Das war Keisushiro? Verdammter Mist, mit seinem verletztem Bein würde ihr Bruder doch jetzt niemals gegen ihn ankommen! Vermutlich wusste der Lord gar nichts von der Verletzung und hielt das Blut, das er roch, für ihres. Schließlich ähnelte sich ihr Geruch aufgrund der Verwandtschaft ja doch sehr und im Eifer des Gefechts konnte man Einiges übersehen.

Mit einer Bewegung die so schnell war, das nur ein dämonisches Auge sie erkennen konnte, zückte Keisushiro sein Schwert. Zu ihrer großen Überraschung unternahm Makotoko jedoch nichts für seine Verteidigung, er lächelte einfach unverschämt weiter. Selbst als die Spitze der Klinge an seiner Kehle ruhte, gab er nicht nach.

„Aber, aber, wer wird denn gleich übermütig? Ihr solltet euch besser im Zaum halten, eure Lordschaft.“ Die letzten Worte trieften nur so vor Verachtung. Kuraifaia konnte seine Ruhe nicht verstehen. Was hatte er vor? Unwillkürlich trat sie einen Schritt zurück.

„Wenn ihr mich zum Duell herausfordern wollt, wie es die Ehre gebührt, werde ich mit Freuden annehmen“, sprach ihr Bruder weiter, versteckt Keisushiro der Ehrlosigkeit bezichtigend. Okay, das, musste sie zugeben, war ein cleverer Zug. E würde so aussehen, als hätte der Andere angefangen.

„Selbstverständlich fordere ich dich heraus! Zieh dein Schwert und wir werden sehen, wer der bessere Kämpfer ist“, forderte der Lord.

Erneut schluckte Kuraifaia. Wenn sie jetzt kämpften, würde Keisushiro gewinnen und ihr Bruder wäre tot. Und selbst wenn er den Anderen besiegte – was würde wohl Ninushu Omaru dazu sagen? Er verlöre seinen einzigen Erben. Sicher, die beiden mochten sich nicht verstehen und der Lord hätte bei der Wahl des Blumenstraußes besser aufpassen sollen, aber dennoch wäre der Fürst sicher wütend. Obwohl... In diesem Fall müsste Makotoko das Land verlassen. Das wäre sicher gut...

„Nun, ich könnte sicher kaum gegen dich bestehen“, Makotokos Lächeln strafte ihn Lügen, „deshalb bitte ich euch untertänigst“, er machte eine Verbeugung, die spöttischer nicht hätte sein können, „um eine kleine Frist, um meine Angelegenheiten regeln zu können.“

Keisushiro war mit jedem Wort wütender geworden und die Ablehnung stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben.

Jetzt aber schaltete sich Kuraifaia ein. Wenn ihr Bruder des Landes verwiesen wurde, könnte sie hier endlich ein ruhigeres Leben leben und sich langsam einen Stand aufbauen, ohne das ihr selbsternannter, scherzereißender Beschützer dauernd um sie herum sprang. Dazu müsste Keisushiro sterben. Sicher wäre das traurig für seinen Vater und der Lord würde zu einem Werkzeug ihrerseits, aber es galt alles dem höheren Wohl – ihrem Wohl.

„Mein Lord, ich bin sicher, dass sich dies einrichten lassen würde. Schließlich steht im Gesetz geschrieben, dass bei einem ehrenhaften Duell auf Leben und Tod es beiden Konkurenten frei steht, vorher ein Testament zu verfassen. Natürlich dürft ihr die Länge der Frist bestimmen.„ Ihr Bruder schaute sie überrascht an, mit Unterstützung von ihrer Seite hatte sie wohl nicht gerechnet. Vor allem weil durchaus klar war, dass Makotoko die Frist keineswegs brauchte, um sein Testament zu machen.

„Also gut, Hund“, das klang wie eine Beleidigung, „ich gewähre dir eine kurze Frist. Zwei Tage sollten genügen.“ Er grinste hämisch, während er sein Schwert zurücksteckte. Sein Blick war zu der kaum zu übersehenden Wunde geglitten, die der Inuyoukai bei der 'Verbeugung' entblößt hatte. Sie würde sehr viel mehr als nur zwei Tage brauchen, um zu heilen.

„Sehr wohl, mein Lord“, sagte Makotoko über beide Ohren grinsend und salutierte. Es sah unaussprechlich respektlos aus.

Kurafaia schüttelte gedanklich den Kopf. Makotoko würde gewinnen. Mit dieser Frist war es egal, ob er nun eine Verletzung hatte oder nicht. Er würde Keisushiro besiegen, da war sie sich ziemlich sicher. Seine Methoden mochten unehrenhaft und schäbig sein - vermutlich hatte er sich nur wegen seiner momentanen Stimmung so verhalten, oder weil ihm der Typ einfach unsympathisch war, das kam öfter vor - aber wenn man es genau betrachtete... Bei diesem Keisushiro billigte sie dieses Verhalten. Sie hoffte nur, dass ihr Bruder den Lord nicht wirklich tötete, denn dann hatte der Süden im Krieg die schlechtesten Karten. Aber wer konnte Makotoko schon daran hindern, seinen Willen durchzusetzen? Höchstens ihr Vater vielleicht. Aber den würde niemand holen gehen. Es ging ja nur um das Wohl einer ganzen Nation!
 

*
 

Im Westen...

"Chikara." Nur ein Wort, ein Name, doch der Angesprochene sah es sofort als Befehl.

"Was wünscht ihr, mein Lord?", fragte er sofort, nachdem er an Sesshoumarus Seite getreten war. Sein langjähriger Freund schien in letzter Zeit immer öfter mit den Gedanken nicht bei der Sache zu sein. Etwas beschäftigte ihn, das wusste er einfach.

Sesshoumaru sah ihn nur, aus seinen kalten Augen. "Komm mit", befahl er dann und drehte sich ohne ein weiteres Wort um.

Der Lehrer blickte sich noch einmal zum Trainingsplatz um, wo er die Ausbildung seiner Schüler bereits wieder aufgenommen hatte. Kowai nickte ihm unauffällig zu. Es stand außer Frage, dass er dem Herrn gehorchen musste, wenn dieser einen so direkten Befehl stellte.

Er beeilte sich dem Lord zu folgen, der bereits außer Sichtweite war. Er folgte seinem Geruch und war auch nicht sehr überrascht, dass er zu den Gärten unterwegs zu sein schien. Ihm fiel dann doch ein Stein vom Herzen, hatte er doch befürchtet, es gäbe schlechte Neuigkeiten, oder er selbst hätte vielleicht etwas falsch gemacht und sollte bestraft werden. Doch wenn Sesshoumaru ihn in den Garten führte, wollte er sicher ein vertrauliches Gespräch, dem niemand lauschen durfte. Doch was wurde er ihm sagen wollen, was er nicht vor den anderen Youkai tun wollte? Nach kurzer Zeit waren die beiden Hundedämonen an einem kleinen Pavillion inmitten des Schnees angekommen. Zögernd trat Chikara ein. Er wagte nicht zu beginnen.

"Chikara, erinnerst du dich an unser Gespräch, kurz nachdem ich hier eingetroffen war?" Da er keine Antwort zu erwarten schien, schwieg der Angesprochne. Natürlich konnte er sich daran erinnern.

"Damals erwähntest du den Wunsch des Rates, ich solle mir eine Gefährtin besorgen", sagte Sesshoumaru, doch an seiner Stimmlage konnte er nicht erkennen, auf was er hinaus wollte. Doch noch ehe er etwas dazu sagen konnte, fuhr er fort: "Sie haben mich heute wieder darauf angesprochen."

Chikara schluckte und war sich auf einmal ziemlich sicher, dass der Rat nun ein Mitglied weniger hatte.

Sesshoumaru drehte sich zu ihm um. "Sie mögen Recht haben, es ist höchste Zeit mich um meine Nachfolge zu kümmern. Und ich gestehe, auch ich mache mir in letzter Zeit Sorgen wegen diesem Thema."

Das verblüffte den ehemaligen Rudelführer nun doch etwas. Das 'Sorgen machen' war hier sicher nur eine Redewendung, doch es aus Sesshoumarus Mund zu hören, war doch etwas seltsam.

"Ich werde nie in der Lage sein, ein Fremde, vom Rat ausgewählt, an meiner Seite zu akzeptieren. Es ist mir schlichtweg nicht möglich", meinte der Youkai leise.

Okay, jetzt bekam er schon etwas Angst. Wenn der Lord des Westens zugab, etwas nicht zu können, dann war die Sache wirklich ernst.

"Aus... Aus welchem Grund könnt ihr das nicht?", fragte Chikara vorsichtig. Sein Freund schien die Ruhe selbst, er sah sogar ein wenig sanftmütig aus. Doch er wusste, dass er in dieser Stimmung am allergefährlichsten war.

"Ich habe mein Herz bereits verschenkt", sagte Sesshoumaru fest.

Für Chikara war es wie ein Schlag auf den Kopf. Tausende von Empfindungen strömten in diesem Moment auf ihn ein. Zunächst einmal Überraschung, Fassungslosigkeit. Sesshoumaru sollte sich verliebt haben? Das hatte er bis jetzt für unmöglich gehalten.

Erst einige Sekunden später wurde ihm die Tragweite dieser Aussage bewusst. Dass ein Lord sich verliebte, war nicht unbedingt schlecht. Es würde nur in diesem Fall seinem Ruf schaden. Vor allem, wenn die Auserwählte unter seinem Stand war, was hier der Fall sein musste, wenn er sie noch nicht zur Gefährtin genommen hatte. Natürlich könnte sie auch umgekommen sein, möglicherweise auch durch seine Hand. Oder noch schlimmer. Es könnte ja auch sein, dass sie ihm gar nicht zugeneigt war. Das wäre natürlich äußerst verletzend, doch auch in diesem Fall könnte er sie ja schlecht zwingen, bei ihm zu leben. Jedenfalls nicht auf Dauer und aus diesem Grund, so ein Typ war er einfach nicht.

Mit Schaudern dachte Chikara daran, was geschehen würde, wenn das raus käme! Der Süden würde sicher keine Mühe scheuen Sesshoumarus 'Geliebte' zu finden und hinzurichten, nur um ihm zu schaden. In Kriegszeiten waren die Nächsten der Mächtigen immer in größter Gefahr. Es ermöglichte auch Erpressung... So weit durfte es nicht kommen! Ein wenig fühlte Chikara sich durch diese Vorstellungen jedoch auch geschmeichelt, das er es war, dem Sesshoumaru dieses Geheimnis anvertraute. Er würde ihn gewiss nicht enttäuschen!

"Ich weiß nicht, wo sie ist und wie es ihr geht. Doch auch wenn ich sie nie wieder sehen kann, käme es mir falsch vor, sie ersetzen zu wollen", flüsterte Sesshouamru und klang jetzt mit einem Mal traurig.

Chikara konnte ihm nicht mehr in die Augen sehen und wandte den Kopf ab. "Eure Lage ist schwierig, mein Lord."

Ob er wollte oder nicht, aber es war seine Pflicht, einen Nachfolger zu zeugen. Er musste seine Liebe vergessen. Vorläufig mochte es reichen, wenn er dies nur bis zum Ende des Krieges tat, denn jetzt war für Gefühlte wirklich keine Zeit.

"Ja, das ist sie in der Tat. Nach meinem Ableben würde die Blutlinie meines Vaters verlöschen. Sein einziger, anderer Sohn ist ein Hanyou und damit nicht in der Lage Kinder zu zeugen." Abgesehen davon, das ein Hanyou niemals auf dem Thron würde geduldet werden. "Du weißt, wer nach mir in diesem Fall höchstwahrscheinlich die Herrschaft erlangen würde. Vorausgesetzt, wir gewinnen vorher den Krieg."

Oh ja, das wusste er sehr wohl! Sesshoumaru hatte einen älteren Cousin, der Sohn des Bruders seiner Mutter. Sein Name war Soramaru und er lebte ebenfalls auf dem westlichen Schloss. Chikara wusste, dass Sesshoumaru ihn für einen Streber hielt. Er versuchte immer es allen recht zu machen und verstand nicht, dass sein Können und Bemühen Neid bei den Schwächeren und Verachtung bei den Stärkeren hervorrief. Dabei war er durchaus fähig, seine Spezialität waren Youkiattacken und wenn der Krieg ein größeres Ausmaß gewann, würde er mit Sicherheit die Fernattacken leiten. Doch als Herrscher taugte er nicht viel. Er hatte einfach nicht das Talent dazu, war nicht für diesen Posten geboren worden. Sesshoumaru spielte in einer anderen Liga.

Dennoch, manche munkelten, Soramaru hätte mehr Recht auf den Thron als Sesshoumaru. Schließlich hätte sein Vater eigentlich Inu no Taishu werden sollen. Nur weil Sesshoumarus Vater, damals ein Fremder, die Prinzessin des Westens geheiratet und Soramarus Vater im Zweikampf besiegt hatte, war der Titel des Fürsten an ihn gegangen. Trotzdem würde es heute niemand mehr wagen, Sesshoumarus Recht anzuzweifeln. Dennoch, nach dessen Tod würde Soramaru nicht lange um den Fürstentitel kämpfen müssen.

"Mit Soramaru an unserer Spitze würde der Westen absinken", sagte Chikara überzeugt.

"Ganz genau. Ich kann mein Volk nicht so im Stich lassen", antwortete Sesshoumaru, "Ich weiß, dass ich meiner Pflich nachkommen muss. Aber es fällt so schwer... Manchmal glaube ich, der einzige Grund, warum ich diesen Krieg begonnen habe, war, vor meiner Verantwortung zu fliehen."

Diese Worte waren so untypisch für ihn, das Chikara sich für einen Moment vergaß und seinen Freund entgegen der höfischen Etikette anstarrte. Sesshoumaru hatte nie den Tod gesucht!

Er wollte gerade etwas erwidern, doch der Lord bedeutete ihm mit einer Handbewegng, zu schweigen. Er erstarrte, hatte er ihn verärgert? Doch Sesshoumaru sah nicht in seine Richtung, sondern aus dem Pavillion heraus über den Garten. Seine Haltung wirkte mit einem Mal verspannt und er witterte. Auch Chikara spitzte jetzt die Ohren. War da nicht ein Geräusch?

"Hol sie mir", sagte der sein Herr übergangslos und er wusste erst nicht, was gemeint war. Doch dann nickte der Youkai in die Richtung, aus der das Geräusch, ein leises Rascheln, gekommen war und er verstand.

Mit einem Satz war er dem Pavillion entflohen und hetzte über die schneebedeckte Wiese, die kühle Luft peitschte über sein Gesicht. Wieder hörte er ein Knistern, als wenn jemand über gefrorenen Schnee ging und jetzt roch er auch die Hundeyoukai, die sich dort versteckte. Kurz stutzte er, weil ihm der Geruch bekannt vorkam, doch Befehl war Befehl.

Mit einem weiten Sprung landete er vor der jungen Frau, die auch schnell erkannte, dass sie nicht mehr fliehen konnte. Kurz betrachtet er sie. Ihre weißen Haare waren im Schnee kaum zu sehen, doch ihre violetten Augen strahlten dafür umso mehr. Sie trug eindeutig Kampfkleidung, jedoch keine Rüstung. Irgendwo hatte er sie schon einmal gesehen...

"Komm mit. Der Lord will dich sehen", befahl er schlicht und wandte sich um, in dem Wissen, dass sie ihm folgen würde. Diese Dämonin hatte ein vertrauliches Gespräch belauscht, wenn auch vielleicht nicht absichtlich. Sie würde gewiss sterben.

"Mein Retter in der Not will mich also jetzt zum Galgen bringen, ja?", fragte sie leise.

Chikara sah sie verdutzt an. Retter in der Not? Natürlich, jetzt fiel es ihm wieder ein! Er hatte die Kleine bei der ersten Schlacht gesehen. Nie hätte er damit gerechnet, sie noch einmal wieder zu sehen, hatte sie sich doch mit nichts als ein paar Messern einer Übermacht stellen müssen. Nun, sie schien eine gute Kriegerin zu sein. Es würde schade sein um ihren Tod.

Der ehemalige Rudelführer wandte sich ab und ging zum Pavillion zurück, die junge Frau folgte ihm widerstandslos. Seltsam, er hätte mehr Gegenwehr erwartet...
 

Als Chikara zurückkehrte, sah Sesshoumaru eine schlimmsten Befürchtungen betätigt. Auch wenn sie ein wenig anders aussah und jetzt nicht mehr wie Unkraut roch, das Bisschen, was von ihrer Aura zu spüren war, konnte er ganz genau identifizieren. Selbst wenn er es gewollt hätte – und er war auf dem besten Weg dort hin gewesen – so konnte er sie doch nicht vergessen. Zu tief saßen die Schmerzen in seiner Erinnerung. Fast ein wenig verbittert beobachtete er die Youkai, immer auf einen Angriff gefasst. Sie hatte sich ohne ein Wort der Widerrede von Chikara abführen lassen, doch das mochte nichts heißen.

„Lord Sesshoumaru“, grüßte sie höflich, als wäre nie etwas gewesen. Nun, offiziell war das ja auch der Fall, musste er feststellen. Niemand wusste von den Geschehnissen auf seiner Reise. Und eigentlich hatte er auch nie vor gehabt, jemandem von diesem einen Teil zu erzählen. Immerhin, er war von einer Frau besiegt worden! Okay sie hatte es durch einen miesen Trick geschafft und es war nie sein Ziel gewesen, sie zu töten, da sie die Schwester seiner Geliebten war und ja, am Ende hatte sie zugegeben verloren zu haben. Dennoch er war danach so schwer verletzt gewesen, dass er mehr tot als lebendig war.

Schmerzen. Das war es, was er mit dieser Person, die nun hier so provozierend vor ihm stand, verband. Dennoch war er nicht in er Lage sie zu hassen. Zu groß war die Verbindung zu Anis...

„Was machst du hier?“, fragte er eisig.

Die junge Frau besaß die Frechheit, ihm direkt ins Gesicht zu blicken. „Ich habe bestimmte Kräuter und Pflanzen hier im Garten gesucht“, antwortete sie mit einem Seitenblick auf Chikara, der eindeutig sagte, dass sie nichts preisgeben würde, solange sie nicht unter sich waren. Sesshoumaru war klar, dass sie in dieser Sache wahrscheinlich sogar die Wahrheit sagte. Sie war nur zufällig hier im Garten gewesen und hatte ihr Gespräch gelauscht. Dennoch, das sie hier im Westen, in der falsche Zeit und an seinem Hof war, war wohl kaum Zufall. Aber sie würde sicher nichts Allgemeineres sagen. Dennoch probierte er es:

„Und wofür?“

„Nun, ich lasse mich zum Shirosendo ausbilden und wollte die Wirkung meiner Krallen verstärken“, meinte sie geradezu herausfordernd. Das sie von den Shirosendo, der Eliteeinheit des Westens wusste, zeigte mal wieder ihr außergewöhnliche Können. Das sie es jedoch sogar geschafft hatte, unter ihnen aufgenommen zu werden...! Zweifellos wollte sie ihm unter die Nase reiben, wie groß ihre Macht war. Das war nicht nötig. Er erinnerte sich nur zu gut daran.

Die Shirosendo... natürlich. Jeder Hundeclan benutzte im Krieg eine Anzahl von Hundedämonen in ihrer wahren Gestalt, hauptsächlich junge Krieger, die mit Waffen nicht besonders gut waren. Der Westen war der einzige Clan, der solche Dämonen speziell ausbildete. Doch es war im Grunde nur logisch, dass Mitsura zu ihnen gegangen war. Die Kunst des Messerwerfens war hier nicht angesehen, lediglich Anfänger benutzten sie normalerweise. Nun, Mitsura war nicht normal.

Das sie Gifte mischte, hatte er schon geahnt. Damals, beim Kampf gegen sie, hatte sie ihre Messer mit einem speziellen Gift eingerieben, dies wollte sie jetzt auch mit Zähnen und Klauen ihrer wahren Gestalt tun. Sicher ein kluger Zug und keineswegs verboten, solange es gegen seine Feinde eingesetzt wurde. Doch in eben diesem Punkt würde er ich bei ihr nie sicher sein.

„Chikara, du kannst zu deinen Schülern zurückkehren“, befahl er leise und sein Freund verstand sofort, dass das keine Erlaubnis, sondern ein Befehl war. Mit einem geflüstertem „Sehr wohl, mein Lord“, verließ er den Garten.

Nun war er nicht mehr auf höfliches Geplänkel angewiesen. Er sah keinerlei Grund, Anis' Schwester zu verschonen.

Ohne Vorwarnung packte Sesshoumaru die Inuyoukai an der Kehle und hielt sie vor sich in der Luft, sobald der Lehrer außer Sichtweite war. Das hier ging nur sie beide was an...

„Nenn mir nur einen, verdammten Grund, warum ich dich am Leben lassen sollte, Mitsura!“, knurrte er gefährlich.

Mitsura brachte trotz der tödlichen Situation ein Lächeln zustande.

„Weil du sonst nie erfahren wirst, was aus meiner Schwester geworden ist...“, presste sie hervor, während seine Giftklauen sich tiefer in ihren Hals gruben. Es machte ihr nichts aus. Sie war Gift mehr als alle anderen gewöhnt.

Sesshoumaru erstarrte, ihre Technik erkennend. Beinahe hätte er laut geflucht, doch er begnügte sich damit, Mitsura los zulassen und ihr einen seiner vernichtenden Blicke zu zuwerfen.

Die Youkai landete katzengleich und vollkommen sicher auf dem Boden.

„Was ist mit Anis?“,, zischte er und seiner Stimme wohnte die Kälte eines Wintermorgens in Sibirien inne. Mitsura stand ihm nur völlig furchtlos gegenüber und eine dunkle Ahnung befiel ihn. Anis sollte in Sicherheit, in der anderen Welt sein! Das ihre Schwester hier her gekommen war, war ein sehr schlechtes Zeichen.

„Warum sollte ich jemandem Informationen geben, der mich bei nächster Gelegenheit völlig grundlos töten würde?“, flüsterte sie.

Nun, er würde sicher immer einen Grund finden, sie zu töten, davon war er überzeugt. Dennoch, sie hatte Recht. Und dummerweise wusste sie das auch. Dieses sadistische Lächeln bewies dies nur zu gut. Sie musste es von ihrem Bruder haben, diesem Makotoko. Ob der sich auch in sein Schloss eingeschlichen hatte? Ein eisiger Schauer lief ihm bei dieser Vorstellung über den Rücken. Einer von ihnen war schon gefährlich genug, aber beide zusammen waren unschlagbar.

„Was willst du genau?“, fragte er lauernd. Sie wollte ihn erpressen, das war offensichtlich. Nun hing es von der Höhe ihres Preises ab, ob er darauf einging oder nicht.

"Im Grunde möchte ich lediglich die Erlaubnis, mich in Zukunft ein Mitglied der westlichen Hundeyoukai nennen zu dürfen. Die Shirosendo misstrauen mir...“ Trotz ihrer scheinheiligen Miene erkannte Sesshoumaru ihre wahren Absichten. Als Mitglied es Westens stünde sie unter seinem Schutz und wenn sie nicht einen Fehler machte der Verrat gleichkam, durfte er sie nicht töten können, jedenfalls nicht gerechtfertigt. Sie wollte Macht und Ansehen. Und wo konnte man dieses besser erlangen als im Krieg?

Rasch überschlug er die Möglichkeiten. Mitsura war durchaus fähig. Sobald letzte Zweifel an ihrer Autorität beiseite geräumt waren – und nichts anderes verlangte sie ja von ihm – würde sie sicher schnell zur Führerin aufsteigen. Dann hätte sie die Elitetruppe des Westens unter ich... Er wagte kaum sich das vorzustellen. Sie könnte den ganzen Krieg zum Scheitern bringen! Oder aber natürlich, ihm eine überraschend positive Wendung verleihen und viele Todesopfer vermeiden... Jetzt lag es an ihm, ob er das Risiko einging oder nicht.

Dies war eine Sache des Vertrauens und genau das hatte er gegenüber Mitsura ganz bestimmt nicht. Dennoch, es war die einzige Möglichkeit endlich eine Antwort auf seine Fragen zu bekommen. Wenn er die Youkai jetzt tötete oder auch nur fortjagte, würde er nie erfahren, was mit Anis nicht stimmte. Und DAS etwas nicht stimmte, daran hegte er inzwischen keinerlei Zweifel mehr. Andernfalls wäre Mitsura schließlich nicht hier...

Letzten Endes siegte die Sorge um Anis über seine Vernunft und er nickte kurz zustimmend. Immerhin, sollte sie offen gegen ihn rebellieren, konnte er sie als Lord noch immer töten. Natürlich gab es auch noch die Möglichkeit, das Mitsura nach einiger Zeit die Lust an der ganzen Sache verlor, doch das wäre zu schön um wahr zu sein. Er hielt sie für intelligent und hartnäckig genug, diese Hoffnung zu enttäuschen.

„Schön, jetzt wo wir das geklärt haben, können wir ja etwas entspannter miteinander umgehen“, meinte Mitsura auf einmal fröhlich und noch ehe er etwas erwidern konnte, hatte sie sich schwungvoll auf das Geländer des Pavillions gesetzt. Seinen Ärger über ihre vertraute Art schluckend, forderte er sie stumm dazu auf, endlich zu reden. Dem kam sie auch sofort nach:

"Also ich weiß ja nicht was du dir dabei gedacht hast, als du Anis allein gelassen hast, aber eins steht fest: Du hast ihr damit sicher keinen Gefallen getan. Und dir selbst übrigens auch nicht“, begann sie, als spräche sie mit einem alten Freund, während Sesshoumaru sie unauffällig musterte, um eventuell versteckte Messer ausfindig zu machen. Seit dem Kampf, der unvorstellbarerweise erst einige Monate zurück lag, hatte er viel mehr Respekt vor diesen unscheinbaren Waffen.

Doch Mitsura stellte gleich nächste Tatsachen fest: „Zunächst einmal: Sie ist nicht in die Neuzeit zurückgekehrt.“ Sesshoumaru verbarg seine Überraschung – oder eher die Entsetzen gleichkommende Sorge.

„Wo ist sie?“, fragte er stattdessen erstickt, „Warum ist sie nicht gegangen?“

„Oh, sie ist schon gegangen. Nur leider in die falsche Richtung. Erst dachte ich, sie wollte dir folgen, was ja auch am naheliegensten war“, sie warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu, den er nicht zu deute vermochte, „doch hier ist sie ja anscheinend nicht.“

„Natürlich nicht, das hätte ich gemerkt! Selbst du musst wissen, dass ich ihre Anwesenheit im Westen niemals toleriert hätte“, was er stattdessen unternommen hätte, vermied er zu sagen, „warum also bist du extra noch einmal hier her gekommen, wenn nicht um sie zu suchen?“

„Tja, das bringt mich zum nächsten, und wohl auch wichtigstem Punkt“, antwortete sie gelassen, „In unserer Zeit werden die dämonischen Kräfte aller jungen Youkai versiegelt, sodass sie kaum mehr als ein Mensch leisten können. Das dient hauptsächlich zur Tarnung und Sicherheit. Jedem Dämon wird eine spezielle Aufgabe genannt, die erst mit einem bestimmten Alter erfüllt werden kann und die Reife anzeigt, dann bricht das Siegel automatisch auf. Nachdem Anis diesen Riegel los war, hat sie sich also in eine echte Youkai verwandelt. Mit allem Drum und Dran.“ Sie machte eine dramatische Pause, doch Sesshoumaru war aufgrund dieser Enthüllungen erstarrt und so fuhr sie fort: „Ihr Charakter dürfte sich rapide verändert haben, doch ich hoffe, dass sich das mit der Zeit wieder eingerenkt hat. Auch ihr Aussehen hat sich sicher verändert, Geruch und Ausstrahlung so wie du sie kennst. Selbst wenn sie sich mit dir in einem Raum befinden würde, hättest du Schwierigkeiten, sie zu erkennen.“

Sesshoumaru schwieg betroffen, doch Mitsura sprudelte bereits weiter: „Da der Brunnen sich so ziemlich an der Grenze befindet, dürfte Anis entweder in den Westen, oder in den Süden gegangen sein. Gut möglich also, dass du sie erst auf dem Schlachtfeld wieder triffst.“

Der Blick de Lords wurde hart. „Nein, sie würde mich niemals so verraten“, sagte er bestimmt.

„Glaubst du? Aber woher soll sie denn wissen, dass du aus dem Westen kommst? Dort drüben nennen sie dich sicher nur 'Den Lord', wo soll sie deinen Namen aufschnappen? Sie weiß nicht, dass du hier regierst! Gut, deine weißen Haare mögen ein Hinweis sein, aber ab und zu gibt es die auch im Süden... Ich selbst habe meine ja auch gefärbt!“, hielt sie ihm vor.

„Ich kann es dennoch nicht glauben... Der Zufall wäre einfach zu groß.“

„Zufall? Mein Lieber, so etwas nennt man 'Ironie des Schicksals' und du würdest dich wundern, wie seltsam manche Fügungen zusammenkommen. Da kann es schon mal passieren, dass sich zwei Verlobte unabsichtlich auf einmal an der Spitze zweier Heere wiederfinden und-“ Doch Sesshoumaru unterbrach sie: „Du übertreibst!“, sagte er eisig. Das war kein Thema, um Scherze zu machen!

„Aber warum denn? Immerhin könnte es Anis durchaus schaffen, sich weit in der Hierarchie hoch zu arbeiten – liegt alles im Blut, sie ist schließlich meine Schwester – und dank eurer Verlobung-“ Doch schon wieder sollte es ihr nicht vergönnt sein, ihren Satz zu Ende zu führen, denn der Inuyoukai sagte zornig: „Lass diese Anspielungen! Außerdem sind wir überhaupt nicht verlobt.“

Nun schien Mitsura aufrichtig überrascht: „Sag bloß, du hast das nicht mitgekriegt?! Ehrlich mal, du kannst doch nicht deine eigene Verlobung verschlafen!“, protestierte sie.

Sesshoumaru starrte sie an. „Was soll das heißen?“

„Was wohl?! Du warst es doch, der Anis' Youkaiblut in ihr geweckt hat! Sie hat dir versprochen, immer zu dir zu halten und du wolltest sie beschützen. So oder so ähnlich waren eure Worte, kurz bevor ihr die Neuzeit verlassen habt. Nach altem Brauch kommt das einem – etwas altmodischem - Heiratsversprechen gleich, damit war Anis' Aufgabe erfüllt und ihr Siegel verschwand“, erklärte sie.

Darauf folgte nur noch Schweigen, der Lord musste das Gesagte verarbeiten. Mitsura jedoch sprudelte munter wie ein kräftiger Wasserfall weiter und schien bester Laune.

"Tut mir ja Leid für dich aber ich denke, du bist bei deiner Zukünftigen ziemlich in Ungnade gefallen." Jetzt wurde sie wieder ernst und der alte Vorwurf schwang deutlich in ihrer Stimme mit, als sie hinzufügte: "Immerhin, wer nimmt schon eine abgewiesene Braut auf? Du hast die Zukunft meiner Schwester zerstört!" Sie schüttelte traurig den Kopf. "Das ist auch der Grund, warum ich hier bin."

Nun hob Sesshoumaru doch etwas den Kopf. Die Vorwürfe schmerzten ihn sehr viel mehr, als er zugeben wollte. Das hatte er nicht gewollt!

"Was meinst du damit?", fragte er völlig emotionslos. Er verschloss alle Gefühle tief in sich, nicht willens, eines davon öffentlich zu zeigen. Er musste dieses Gespräch schnell hinter sich bringen, sonst würde seine Selbstbeherrschung wanken!

"Was wohl? Du sollst dich bei ihr entschuldigen! Und sie am besten auch noch gleich heiraten... Beweg deinen Hintern und mach dich auf die Suche nach ihr! Sie ist ganz bestimmt völlig fertig wegen dieser Sache. Entweder das, oder sie will dir den Kopf abreißen. Vollkommen verständlich... Wehe du wehrst dich!"

Sesshoumaru stieß ein leises Knurren aufgrund dieser Beleidigungen aus, obgleich er einen schmerzhaften Stich in sich spürte.

"Das werde ich ganz bestimmt nicht tun!" Entschlossen stand er auf, seine Maske nur noch mit Mühe haltend. "Unser Gespräch ist hiermit beendet. Du darfst gehen", sagte er eisig.

Nun war es an Mitsura, wütend zu werden. "Was soll das!? Du bist Anis was schuldig! Kratz dein letztes Bisschen Ehre zusammen und mach dich auf die Socken!" Mitsura war selten lebensmüde gewesen, aber jetzt einmal war es ihr das Risiko einfach mal wert. Diesem arrogantem Arschloch musste endlich mal jemand die ungeschminkte Wahrheit sagen!, waren ihre Gedanken. Der Angesprochene ahnte davon, antwortete jedoch nur mit einem alles vernichtenden Blick. Er konnte sie so gut verstehen... Sie hatte Recht. Der einzige Umstand, warum sie noch am Leben war.

"Ich gebe dir drei Sekunden.", seine kalten Augen funkelten, "Lauf!"
 

Zurück in seinen Gemächern warf sich Sesshoumaru geistig vollkommen fertig auf einen Stapel Felle. Er ließ das Gespräch in Gedanken immer und immer wieder ablaufen und versuchte zu begreifen, was passiert war. Anis, eine Youkai! Und seine Verlobte noch dazu! Von der Tatsache das sie höchstwahrscheinlich im Süden, bei seinen Feinden war, einmal ganz abgesehen! Es durfte nicht wahr sein... Doch er wusste, Mitsura würde ihn nicht anlügen. Nicht bei so einem Thema. Außerdem war ihr Vorwurf echt gewesen.
 

XxX
 

So, bald naht Chikaras großer Auftritt, der eigentliche Grudn warum ich diese Figur erschaffen habe.

Tja, und dann gibt es bald wieder einen Zeitsprung, so über 5 oder 6 Jahre...

Neue Verhältnisse

Ninushu Omaru hat den Verrat seines Sohnes aufgedeckt und zerrt diesen auch promt vors gericht.

Kuraifaia steigt so in den Rängen auf, doch was wird aus dem Duell zwischen Makotoko und dem Lord des Südens?
 

XxX
 

Der Fürst der südlichen Länder sah seinen Sohn voller Ernst an. Keine Regung war auf dessen fast jugendlichen Gesicht zu sehen und er rührte sich auch nicht.

„Was soll das werden, Vater?“, fragte er angriffslustig.

„Du weißt, was es bedeutet. Setz dich.“ Ein klarer Befehl, der wie ein Messer durch die Luft schnitt. Mit einem Mal wurde der junge Lord sich bewusst, warum sein Vater der Fürst war. Er strahlte diese Art von Macht aus, die nur einem wahren Herrscher anlag.

„Worauf wartest du?“ Der alte Youkai deutete fast einladend auf das schlichte Sitzkissen.

Keisushiro ballte in hilfloser Wut die Hände zu Fäusten. Er wagte nicht sich umzusehen.

Kurz nach Sonnenaufgang hatte ihn ein Bote zum Heiligtum der südlichen Hundedämonen gebeten. Es war eine riesige Ebene, einige Meilen vom Schloss entfernt. Sie war mit allerlei Schutzzaubern belegt, niemand, der nicht die ausdrückliche Erlaubnis des Fürsten erhielt, konnte sie betreten. Hier wurden alle wichtigen Entscheidungen gefällt, der gesamte Rat war anwesend. Auf der ganzen Ebene waren nämlich hohe Felsnadeln verteilt, dessen Spitzen abgerundet waren. Auf jedem dieser Gebilde lag ein purpurendes Sitzkissen und auf jedem davon saß ein Youkai aus dem Rat.

Heute war die gesamte anwesende Bevölkerung des Südens eingeladen und mit Ausnahme der üblichen Soldaten schien so gut wie jeder der gerade Zeit hatte, dem Ruf gefolgt zu sein. Zehn Meter unter ihnen tummelte sich das Volk, während die Mächtigen auf ihren erhöhten Positionen saßen.

Je nachdem für was das Heiligtum genutzt wurde, war die Anordnung der Anwesenden unterschiedlich. Heute war es die eines Gerichtsverfahrens. Doch nicht die Tatsache, dass er erst so kurz davor erfahren hatte, dass die kaum benutze Ebene nun wieder zur Anwendung kam, oder der Fakt, dass sein Vater riskierte ihre Krieger dem Westen auszuliefern, indem er hier eine solche Versammlung zusammen rief, ja nicht einmal der Fakt, dass man ihn aus höchst wichtigen Kriegsangelegenheiten herausgerissen hatte und ihm die Zeit raubte, machte ihn so wütend. Nein, der Grund war, dass ihm sein Vater soeben befohlen hatte, sich auf dem Platz des Angeklagten niederzulassen.
 

Auch Kuraifaia befand sich unter den Schaulustigen und musterte das Geschehen mit Interesse, nicht ahnend was Ninushu Omaru vor hatte. Sie hatte sich erklären lassen, dass hier nur wirklich wichtige Dinge besprochen wurden und das leuchtete ein. Das Gerichtsverfahren, in dem sie selbst einmal angeklagt gewesen war, war nun wirklich keine große Sache gewesen. Der Richter war nicht, wie hier, der Fürst persönlich, sondern Samuke, der Haushofmeister gewesen. Aber hier wurde augenscheinlich dem Thronerben selbst etwas zur Last gelegt, welcher sich nun doch auf der Felsnadel in der Mitte des Areals niedergelassen hatte. Deutlich konnte man seinen Zorn sehen.

Die Youkai um sie herum wurden unruhig. Keisushiro war nicht unbedingt sehr beliebt gewesen, aber dennoch war er gefürchtet und hatte viele Anhänger. Was aber sollte er getan haben, das man ihn vor Gericht holte? Für einen Augenblick kamen ihr die getrockneten Blumen in Ninushu Omarus Zimmer in den Sinn, doch sie verwarf sie den Gedanken wieder. Das war ganz sicher ein Versehen gewesen!

Ihre Gedankengänge wurden jedoch unterbrochen, als ein besonders altes Ratsmitglied aufstand, voller Ernst auf den Lord herab schaute und die Stimme erhob:

„Keisushiro, Lord der südlichen Länder, Sohn des Fürsten Ninushu Omaru, wird am heutigen Tage auf der Ebene von Inuba, vor dem versammelten Rat und einem großen Teil des Volkes des Hochverrats angeklagt.“

Sofort brachen überall winzige Geflüsterfeuer aus, beunruhigte Blicke wurde gewechselt. Einige lachten sogar auf, hielten das ganze für einen schlechten Scherz. Keiushiro selbst jedoch war aufgeprungen, seine Hand flog sofort an seine Seite, wo normalerweise sein Schwert hängen mochte. Doch natürlich lief ein Lord auf einem eigenem Schloss nicht ständig mit dem Schwert herum. Aber alle verstanden diese Geste und die Gelächter erstarben.

Zornfunkelnd sah der Inuyoukai zu dem Fürsten. „Was hat das zu bedeuten, Vater?“, knurrte er leise.

Natürlich, mit einer Anklage wegen Hochverrat konnte man nicht scherzen. Dabei konnte man von Glück sagen, wenn man nur mit dem Tode davon kam.

Der Fürst jedoch antwortete nicht, gab aber dem Youkai, der hier scheinbar in die Rolle des Staatsanwaltes geschlüpft war, ein Zeichen fortzufahren, während sich der Lord knurrend wieder setzte.

"Ihr habt hinter dem Rücken des Fürsten Entscheidungen gefällt, von denen ihr wusstet, dass er sie nicht billigen würde", fuhr der alte Dämon also fort, während der Angeklagte immer blasser wurde.

"Des Weiteren", stellte er - nachdem das Gemurmel überall erloschen war - fest, "habt ihr versucht, den ehrenwerten Ninushu Omaru zu vergiften."

Nun gab es kein Halten mehr. Überall brachen Gespräche aus, überraschte und teils auch empörte Ausrufe waren zu hören und es gab fast ebenso viele wütende, wie verwirrte Mienen. Einige, irgendwie bösartig aussehende Dämonen - Kuraifaia hatte sie verstärkt im Verdacht, Anhänger des Lords zu sein - legte sogar schon Hand an ihre Schwerter! Noch aber rührte sich niemand.

Keisushiro selbst war wieder aufgesprungen, doch Kuraifaia konnte wegen dem Trubel sein Gesprochenes nicht verstehen.

Dann jedoch hob Ninushu Omaru in einer befehlenden Geste die Hand und fast auf der Stelle wurde es still.

"Keisushiro, was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen?", fragte der Fürst ruhig.

"Was mir vorgeworfen wird, ist blanker Unsinn! Ich weiß nicht, wer euch diese Unwahrheiten hat zukommen lassen, aber dies alles sind haarsträubene Lügen! Was sollte ich für einen Grund haben, Euch zu vergiften?", meinte Keisushiro recht überzeugend.

Kuraifaia schluckte. Wenn Ninushu ihm glaubte, dann würde sie bald dort oben stehen, wegen falschen Anschuldigungen... Plötzlich war sie einen Urteil gar nicht mehr so abgeneigt.

"Du begehrst Macht! Du kannst es nicht erwarten, den Thron besteigen zu können, darum hast du mir die Krankheit in mein Herz gepflanzt, auf das ich nur noch wenige Jahre zu leben habe!" Daraufhin war erneut Getuschel zu hören, hatte doch der Fürst indirekt zugegeben todkrank zu sein! Auch wenn er im Moment nicht so wirkte.

Der Lord hatte den Kopf gesenkt, doch das scheinbar reuevolle Bild wurde kurz darauf zerstört, als er leise auflachte.

"Vater, glaubt ihr wirklich, ich, euer eigen Fleisch und Blut, würde Euch so hintergehen? Das ist enttäuschend."

Ninushu schüttelte den Kopf. "Das ist es in der Tat. Ich weiß nicht, wie du so missraten konntest! Einem solchen Tyrann wie dich, dessen erste Amtshandlung es ist, einen Krieg mit einem Land herauf zu beschwören, das bisher lange Zeit friedlich mit uns gelebt hat, kann ich mein Reich nicht anvertrauen!", stellte er mit einer Unmenge an Traurigkeit in der Stimme fest.

Keisushiros Lächeln gefror. "Was habt ihr vor?" Seine Stimme schnitt fast drohend durch die Luft.

"Ich enthebe dich deines Erbes und erkläre dich hiermit für vogelfrei."

Das gesamte Publikum schien einen Moment lang den Atem anzuhalten. Dies war für fast jeden Hundedämon schlimmer als der Tod. Des Ranges enthoben hatte der Lord jede Beziehung zu einem Rudel verloren, war ein Ausgestoßener. Zudem hatte der Fürst jedem, der dazu in der Lage war, erlaubt, ihn zu töten ohne eine Strafe erwarten zu müssen. Damit war er gezwungen zu fliehen. Damit konnte er nicht einmal Aufnahme in einem der Streunerrudel finden, welches meist nur aus Ausgestoßenen bestand, weil diese sich vor den Feinden fürchten würden, die er anziehen würde.

"Das... Das könnt ihr nicht machen! Ihr habt keinerlei Beweise! Außerdem bin ich der Einzige in eurer Blutlinie, ihr braucht einen Erben!", keuchte Keisushiro nun doch etwas aus der Fassung.

"Sei unbesorgt, für mein Erbe ist bereits gesorgt. Und was die Beweise betrifft, so habe ich die Aussagen mehrerer Youkai, die in deinem Namen den Westen angegriffen haben, um sie zu provozieren, als noch tiefer Frieden herrschte. Zudem hat mir eine vertrauliche Person erklärt, welche seltene Pflanze meine Schwäche verursacht..." Seine Augen wanderten zu Kuraifaia, die sich in diesem Moment am liebsten irgendwo verkrochen hätte, als auch Keisushiros feuriger Blick sie traf, zusammen mit denen sämtlicher anwesender Hundeyoukai, so schien es ihr. Großartig! Jetzt stand sie ganz sicher an oberster Stelle auf der Liste der Personen, die der Lord als erstes umbringen würde. Stolz reckte sie ihr Kinn ein wenig vor. Bloß keine Schwäche zeigen!

"Tatsächlich?" Ein verächtliches Lächeln kräuselte Keisushiros Lippen, während seine noch immer zornfunkelnen Augen unauffällg nach allen Seiten huschten, offensichtlich instinktiv einen Fluchtweg suchend.

"Kuraifaia, komm herauf und uns erzähle uns, was du weißt", befahl der Fürst laut.

Die Angesprochen straffte die Schultern, sah einmal herausfordernd in die Runde, bevor sie sich in Bewegung setzte. Mit einem langen Satz landete sie auf einer der noch freien Säulen und spürte unangenehm, wie sich alle Blicke ihr zuwandten. Noch vor wenigen Monaten hätte sie jetzt weiche Knie bekommen, so aber ließ sie sich auf dem purpurenden Sitzkissen nieder, als wäre es das Normalste der Welt, als Zeuge gegen einen Lord auszusagen. Sie wartete noch kurz, bis ihr Ninushu mit einer Handbewegung die Erlaubnis erteilte zu sprechen. Dann sagte sie:

"Als ich vor Kurzem auf Einladung des Fürsten hin dessen Räume betrat, fiel mir sofort ein merkwürdiger Geruch auf. Ich sprach eine Weile mit dem ehrenwerten Ninushu Omaru über den Krieg", sie wollte keineswegs, dass es so aussah als wäre sie sein Betthäschen!, "und als ich gerade wieder gehen wollte, fiel mir ein Strauß getrockneter Blumen ins Auge, die auf dem Tisch standen." Fast zufrieden bemerkte sie, wie Keisushiro noch mehr Farbe verlor. "Da ich auf einer meiner Reisen zufällig auf diese Pflanze getroffen war, erkannte ich sie sofort, da sie eine der wenigen ist, die selbst den stärksten Youkai schadet, sollte sie getrocknet sein. In diesem Fall setzt sie nämlich ein Gas frei, das über lange Zeit hinaus tödlich wirkt." Sie endete und sah sich ein wenig unsicher um, hatte sie etwas vergessen?

"Das ist doch albern!", protestierte Keisushiro sofort. "Unsere Heiler hätte dies doch sofort erkannt!"

"Nicht unbedingt", erwiderte sie, "Diese Pflanze ist nicht nur äußerst selten und kaum bekannt. Abgesehen davon, dass wenige überhaupt wissen, dass es Pflanzen gibt, die selbst im getrockneten Zustand und über Jahrzehnte hinweg giftiges Gas produzieren: Diese Blume wächst nicht einmal in diesen Breitenkreisen..." Fast hätte sie sich auf die Zunge gebissen. Diese mittelalterlichen Dämonen kannten doch die Grandnetzeinteilung der Menschen des einundzwanzigsten Jahrhunderts gar nicht! Glücklicherweise fragte aber niemand näher nach.

"Also, mein Sohn", diese Worte klangen unendlich traurig, "gibst du das begangene Verbrechen zu?"

Der Lord schwieg kurz, die Hände zu Fäusten geballt.

"Ihr glaubt also diesem Weib eher als mir?", fragte er mit leicht zitternder Stimme.

"Hier steht nicht dein Wort gegen ihres, sondern meines gegen das deine. Welches wird wohl mehr wert sein? Gestehe und rette wenigstens deine Ehre!", forderte Ninushu.

Jetzt richtete der Lord seinen Blick wieder direkt auf seinen Vater.

"Ich gestehe." Feierlich, fast wie zum Schwur hob er die rechte Hand: "Ich, Lord Keishushiro, Sohn des Fürsten über die südlichen Länder habe meinen Vater Ninushu Omaru vergiftet und hinter seinem Rücken einen Krieg provoziert, um gleich zu Beginn meiner Herrschaft Respekt zu haben!"

Kuraifaia schloss kurz die Augen. Niemand hatte den Sprecher unterbrochen und auch jetzt sagte niemand ein Wort. Zu überrumpelt waren alle von diesen Offenbarungen. Nur der Wind rauschte durch die kahlen Bäume und schüttelte den Schnee herab. Sie verstand seine Handlung durchaus, in gewissermaßen. Ein verstoßener Verräter zu sein war schon schlimm genug, aber ein verlogener, ehrloser, verstoßener Verräter, das war schon etwas anderes.

Der Fürst nickte. "Du hast zwölf Stunden Zeit, um deine Angelegenheiten zu regeln und Abschied zu nehmen. Es steht dir frei den Süden zu verlassen, doch auf dem Schloss wirst du nach Ablauf der Frist nicht mehr geduldet sein." Er erhob sich. "Die Verhandlung ist geschlossen.“

Der Lord wirkte relativ gefasst für einen Verurteilten, er sprang von der Felsnadel hinunter und machte sich sofort auf den Weg zum Schloss. Die Menge bildete respektvoll und auch etwas furchtsam eine Gasse, um ihn durchzulassen, noch immer sprach niemand.

Gerade wollte Kuraifaia ebenfalls ihren Sockel verlassen, da bemerkte, sie wie alle übrigen Ratsmitglieder aufstanden, doch nicht um - wie sie hätte vermutet - nun ebenfalls den Schauplatz zu verlassen. Vielmehr wechselten sie die Plätze, nun standen andere Säulen frei, ein neues Muster wurde gebildet. In der Menge entstand erneut eine Art Rauschen und der Lord, eben noch im Weggehen befasst, blickte fast mit so etwas wie Schock im Gesicht nach oben.

Plötzlich spürte Kuraifaia neben sich einen Luftzug, als der Fürst neben ihr landete und ihr eine Hand auf die Schulter legte. Mit unbewegter Miene befahl er ihr, sich auf eine der Säulen am Rand zu setzen.

Etwas verwirrt gehorchte sie. Von ihrem neuen Standpunkt aus hatte sie eine gute Sicht auf das Publikum und erschauderte kurz, als sie zwischen den ganzen Inuyoukai, welche hinter vorgehaltener Hand tuschelten, Keisushiro ausmachen konnte, der sie wohl mit ihren Blicken zu erwürgen versuchte. Was zum Teufel war hier los?

"Ich bitte um Ruhe!", sagte der Fürst fast leise, doch es wurde augenblicklich still. Wieder wandten sich alle Köpfe ihm zu.

"Da Keisushiro unserem Clan abgeschworen hat, ich selbst jedoch vermutlich nur noch wenige Jahre zu leben habe und und der Süden in einem Krieg wie dem, in dem wir stecken, nicht vollkommen führerlos erscheinen darf, habe ich mir bereits Gedanken über meine Nachfolge gemacht und eine Entscheidung gefällt." Kuraifaia hielt den Atem an, als sie die hunderte von Blicken im Rücken spürte. Warum sahen auf einmal alle sie an?! Wenn sie sich doch nur mit den Bräuchen der japanischen Dämonen und diesen Zeromonienmustern auskennen würde!

"Diese Wahl war sehr schwierig", fuhr der Fürst fort, "denn ich musste auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, das wir den Krieg nicht gewinnen." Die Augen des alten Dämons wanderten forschend über das Publikum, als wollte er jeden einzelnen von ihnen durchleuchten.

"Aus diesem Grund konnte es niemand sein, der mit unserer Herrscherfamilie direkt verwandt ist, denn andernfalls würde er bei einer Gefangennahme sofort hingerichtet werden. Zudem musste es natürlich auch ein starker Dämon sein und jemand, der die nötigen Mittel was Macht und Diplomatie betrifft, besitzen." Nun blieb sein Blick an Kuraifaia hängen, die sich zum zweiten Mal an diesem Tag wünschte, sofort im Boden versinken zu dürfen. Hätte sie sich nicht schon zu Anfang der Ansprache, genau wie die Ratsmitglieder, wieder auf dem Kissen niedergelassen, so hätte sie sich jetzt setzen müssen.

"Meine Wahl fiel, wie einige von euch vielleicht bemerkt haben, auf Kuraifaia, Mitglied eines Grenzrudels, welches von dem Dämon Rakuna geführt wird. Sie stammt nicht aus Japan und wird deshalb, davon bin ich überzeugt, als neutrale Meinung diesen Krieg und möglicherweise folgende Verhandlungen, gut führen können. Als Frau jedoch kann sie nicht vollkommen die Herrschaft übernehmen und da ihr zukünftiger Gefährte aus dem Süden stammen wird, wird das Blut unseres Clans in ihren Nachkommen weiterhin das Land beherrschen.“ stellte Ninushu Omaru fast sachlich fest.

Die junge Frau, über dessen Schicksal da gerade gesprochen wurde, war in eine Art Schockzustand verfallen. Seltsamerweise war ihr erster Gedanke, das der Fürst grundlegend falsch lag: Sie würde niemals Kinder bekommen...können. Schließlich war sie noch immer - durch einen unglücklichen Unfall - mit Sesshoumaru verlobt. Diesem Mistkerl. Sie konnte das Amt, das ihr da offensichtlich angeboten wurde, nicht annehmen!

"Natürlich wird sie noch viel über unsere Bräuche, Riten und Regeln lernen müssen, doch ich habe bereits persönlich angefangen, sie zu unterrichten. Ich erwarte von den Kriegern des Südens, das sie alle ihr bedingungslos folgen werden, sollte sie annehmen. Gibt es irgendwelche Einwände?", beendete er seine kleine Rede, allerdings mit einem so drohenden Unterton, als würde er jede Person die etwas einwarf, auf der Stelle zerreißen. Dennoch wagte es ein Dämon zu widersprechen und - als hätte man es schon geahnt - war dies Keisushiro:

"Vater, das geht zu weit! Sie ist eine Fremde, wie kann das Volk sicher sein, dass sein Wohl ihr auch am Herzen liegt? Möglicherweise ist sie sogar eine Spionin!"

"Du misstraust meinem Urteilsvermögen? Nun gut, was habe ich von dir schon noch zu erwarten. Doch lass dir gesagt sein, dass du, der du nun nicht mehr 'zum Volk' gehörst, dich nicht um sein Wohl zu sorgen hast!", erwiderte der Fürst, ohne wirklich auf den Einwand - welchen Kuraifaia durchaus berechtigt fand - einzugehen.

Nun musste sie sich selber aber noch mal einschalten: "Mein Fürst, ich möchte keineswegs respektlos erscheinen und ich schätze euer Angebot. Dennoch bin ich mir nicht sicher, ob ich die geeignete Person für diese Stellung bin. Ich bitte euch um einen Tag Bedenkzeit."

Erneut war Getuschel zu hören, immerhin, wer würde schon eine Möglichkeit auf Macht, Reichtum und Respekt ablehnen wollen?

"Deine Bescheidenheit ehrt dich, Kuraifaia. Dennoch sei dir die Frist gewährt. - Wenn es keine weiteren Einwände gibt, so schlage ich vor, dass wir alle nun auf unsere Posten zurückkehren. Es gibt sicher vieles, über das wir nachdenken sollten."
 

Die Ebene von Inuba leerte sich erstaunlich schnell. Es herrschte nicht einmal besonders viel Lärm, zu viele Informationen mussten verarbeitet werden. Fast war Kuraifaia überrascht, das Keisushiro so einfach hingenommen hatte, dass sie seinen Platz einnehmen sollte. Aber ihr sollte es recht sein.

Die Youkai war die Einzige, die keine Anstalten machte zum Schloss zurück zu kehren. Unbeweglich wie eine Statue saß sie auf ihrer Felsnadel und starrte einen Punkt vor sich auf dem Felsboden an. Sie konnte nicht verhindern, dass das Gefühl des Verratenwordenseins in ihr hoch stieg. Warum nur hatte ihr Ninushu Omaru nichts gesagt? Selbst diese Gespräche mit ihm waren 'Unterricht' gewesen! Alles gelogen... War er überhaupt an diesem Tag zufällig in den Garten gekommen? Suchte er schon länger nach einem Nachfolger, oder war das eine spontane Entscheidung gewesen? So viele Fragen...

Wieder spürte sie, wie ihr jemand die Hand auf die Schulter legte. Sie brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass es der Fürst war.

"Dir wird eine neue Stellung voller Macht angeboten, du wirst den höchsten Rang überhaupt haben. Was lässt dich zweifeln?", fragte er leise.

"Darf ich offen sprechen?", erwiderte sie kühl.

Er bejahte.

"Ich finde, dass es eine Unverschämtheit ist, so über meinen Kopf hinweg zu entscheiden." Ihre Stimme blieb vollkommen ruhig, doch gerade das war das Gefährliche.

"Erkläre dich", meinte Ninushu, nun auch etwas angespannt.

"Rang und Macht bedeuten mir absolut nichts. Ich bin schon durch viele Hürden des Lebens gegangen und ich habe gesehen, wie es in der untersten Schicht aussieht und wie die Wohlhabenden leben. Aber ich bin garantiert nicht zum Herrschen geboren und ich habe sicher auch nicht das nötige Talent einen Krieg zu führen. Euer So- ... Keisushiro hat vielleicht Recht. Ich kenne weder dieses Land, noch die Leute, die darauf wandeln. Abgesehen davon verspüre ich nicht die geringste Lust, mir meinen Gefährten vorschreiben zu lassen. Ich mag die verschiedensten Orte mein Zuhause nennen können, doch kann ich mit Stolz berichten, dass ich immer um meine Freiheit gekämpft habe", und nur Sesshoumaru war sie jemals in diesem unterlegen gewesen, "und ich habe nicht vor, dies jetzt zu ändern."

"Freiheit. Was ist das schon? Aller Ruhm nach einem Sieg gebührt nur einem allein, ebenso wie aller Hass nach einer Niederlage. Ist es dies wert, sein Leben danach zu richten?", fragte er ernst.

"Ja."

"Dann bist du wahrlich eine gute Fürstin." Er schnitt ihre Protestworte mit einer Handbewegung ab: "Ich habe meine Gründe, warum ich dich erwählt habe. Ich weiß, dass du es kannst... Du wirst es am Anfang schwer haben, akzeptiert zu werden, doch ich bin sicher, dass du stark genug bist, um alle Hindernisse zu überwinden. Ich vertraue in dich."

Sie neigte leicht den Kopf: "Das ehrt mich, doch es gibt noch einen anderen Punkt, weswegen ich nicht annehmen kann."

Schweigen. Also sprach die weiter: "Ihr sagtet, dass mein Gefährte aus dem Süden kommen müsse, damit das Blut des Clans in meinen Nachkommen das Land weiter regiert..."

"Möglicherweise verändern sich die politischen Verhältnisse und dir wird ein hoher Adliger aus einem der anderen Ländern angeboten, so könnten wir Verbündete im Krieg gegen den Westen gewinnen. In jedem Fall hättest du die freie Wahl, wen du zum Gefährten nimmst", meinte der Fürst schlichtend.

Sie schüttelte den Kopf. "Darum geht es gar nicht. Seht, ich... ich kann keine Kinder bekommen."

"Ich bin sicher, dass es genügend Heilmethoden..."

"Unsinn! Versteht ihr nicht, ich habe meinen Gefährten bereits erwählt!"

Nun sah sie tatsächlich so etwas wie Verblüffung bei ihm. "Das ändert natürlich die Lage... Aber sieh, natürlich ist es schwer, sich an einen anderen Mann zu binden, wenn der erste gestorben ist, aber-"

Wieder unterbrach sie ihn: "Wenn es doch so wäre! Aber er ist ja noch nicht einmal tot - leider! Es ist nur schlicht und einfach so, dass er noch gar nichts von seinem Glück weiß", sagte sie sarkastisch.

"Also bist du lediglich verlobt?"

"Lediglich! Als wenn das nicht schon schlimm genug wäre...", knurrte sie.

Der Fürst erhob sich. "Eine Verlobung kann man auflösen, zumal du diesen Dämon nicht aus freiem Willen angenommen zu haben scheinst. Und selbst wenn die Verlobung nicht aufgelöst wird, so kannst du dennoch jemand anderen heiraten. Die Bindung wird nicht so stark wie im normalen Fall sein, aber trotz allem gültig. Mach dir keine unnötigen Sorgen... Du hast alle Zeit der Welt. Und du solltest diesen Posten auch nicht wegen dieser einen Kleinigkeit ablehnen."

Kuraifaia hob den Kopf. Seine Worten berührten etwas in ihr... Er hatte Recht. Sie durfte sich ihre Zukunft nicht weiterhin von ihrer Vergangenheit leiten lassen... Nie wieder. Wie oft hatte sie sich das schon gesagt? ...zu oft....

Sie hob den Kopf und sah dem Youkai fest in die Augen. "Ich bin einverstanden. Es ist mir eine Ehre..."

Ninushu Omaru nickte langsam. "Dann habe ich also jetzt eine Tochter." Ein Lächeln. "Willkommen in meiner Familie..."
 

*
 

Nahe dem südlichen Schloss...

"Perfekt! Die Lage könnte wirklich nicht besser sein! Mich muss das Glück geküsst haben..." Ein mehr als sadistisches Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Seine Worte waren viel zu leise geflüstert, sein Opfer konnte ihn unmöglich verstehen. "Na komm schon... Ich habe ein sehr gutes Zeitgefühl. Du hast exakt sechs Minuten..."

Ja!

Endlich hatte er sich in Bewegung gesetzt. Selbst in der tiefsten Nacht, die nun herrschte, konnte der Inuyoukai seine Beute genau sehen. In exakt sechs Minuten waren es zwölf Stunden, die er gewartet hatte... so lange hatte der Lord noch seine Frist, war unberührbar. Doch die lief jetzt ab. Jetzt, gleich... Sein Ende nahte.

Da! Er hatte das Tor durchschritten! Die feindseligen Blicke um ihn herum schienen ihn nicht zu kümmern. Warum auch? Er würde ohnehin nicht mehr lange leben.

"Bist du bereit?", fragte der Youkai und wandte den Kopf zu dem großen braunen Hund auf seiner Schulter. Ein Nicken.

Makotoko zog das gläserne Fläschchen aus seiner Tasche und setzte es an die Lippen. Mit diesem verfluchten Bein, das Kuraifaia ihm zerrissen hatte, besaß er keine sonderlich guten Chancen gegen den Lord. Er wäre vor Schmerz gelähmt und kampfunfähig. Doch dieser Trank ließ ihn allen Schmerz vergessen. Er heilte nicht, nein, und dadurch, das er weniger vorsichtig war, würde sich die Verletzung enorm verschlimmern. Aber er konnte kämpfen. Wenn nötig, bis ihm das Bein abfiel. Er spürte keinen Schmerz, war nicht abgelenkt. Dennoch wusste er, wo seine Grenzen lagen. Er würde sie nicht überschreiten.

Der Dämon leerte die Flasche mit einem Zug und spürte sofort die Taubheit, die sich in ihm ausbreitete. Das Zeug war Gift... reinstes Gift. Es würde ihn auch nachhaltig noch schädigen. Egal.

Federleicht stieß er sich ab, jagte lautlos durch die Wipfel, immer seiner Beute hinterher. Er bemühte sich, sich immer entgegen der Windrichtung zu bewegen. Er wollte nicht durch die überempfindliche Nase eine Hundes entlarvt werden. Auch sein Aura verbarg er wieder vollkommen. Noch drei Minuten...
 

Keisushiro sah sich vorsichtig um. Nein, nichts zu sehen, nichts zu riechen. Er war allein.

Sein Blick fiel auf die klare Wasseroberfläche vor sich. Der Fluss trug viel Wasser. Das war gut. Man würde seine Witterung hier schnell verlieren. Etwas weiter weg konnte man einen Wasserfall sehen. Dort lag eines seiner unzähligen Verstecke, die er genau für solche Zwecke vorbereitet hatte.

Er holte noch ein letztes Mal Luft, dann sprang er.

Es war eisig. Selbst er, als Dämon, spürte die Kälte durch die Haut hindurch. Die durch den Wasserfall zustande kommende Strömung war der einzige Grund, warum hier keine Eisschollen trieben.

Mit kräftigen Schwimmzügen bewegte er sich voran. Dem Wasserfall entgegen. Niemand würde eine Spur verfolgen können...

Ein Schwall Luftbläschen stieg nach oben. Vor ihm war Dunkelheit. Sein Ziel. Seine Bewegungen wurden noch kräftiger.

Endlich, nach scheinbar endlosen Sekunden tauchte er auf und sah sich keuchend um. Er war in einer sehr geräumigen Höhle angekommen, dessen Eingang sich noch unter der Wasseroberfläche befand. Die Luft war demzufolge stickig. Aber für seine Zwecke reichte es.

Er zog sich an das Ufer und wrang erst einmal das Wasser aus seiner Kleidung. In der Höhle waren viele verschiedene Gegenstände aufbewahrt, die er brauchen würde. Sogar einige Papiere und Unterlagen waren vorhanden, er hatte sie mit einem speziellen Schutzzauber durch das Wasser gebracht. In der Ecke stand sogar ein Vogelkäfig, mit einem Falken darin. Alles was er brauchte, um seine Rache durchzuführen. Nur das jetzt nicht nur sein Vater, sondern auch diese Kuraifaia auf der Liste stand. Sobald beide tot waren, konnte der Rat gar nicht anders, als ihn zurück zu holen! Und er würde gnädig sein und ihnen diesen Wunsch erfüllen...

Die Zeit drängte. Er würde seinen Plan vorziehen müssen. Gleich jetzt würde er eine Nachricht an den Attentäter schicken, der den Auftrag zu erledigen hatte. Der Plan war simpel und im Grunde perfekt für Dämonen. Das Problem eines Mordanschlages auf diese Rasse war einfach die Verteidigung des Opfers. Sein Vater saß wohlbehütet im Schloss, da kam er nicht ran. Es wäre unmöglich, ihn im Kampf zu besiegen, ohne mit Unterstützung der gegnerischen Seite rechnen zu müssen. Man durfte schlichtweg kein Youki benutzen, das wurde sofort entdeckt und abgeblockt.

Und genau da lag der Punkt. Er würde eben NICHT mit Youki angreifen, sondern schlichtweg menschliche Waffen benutzen. Seit geraumer Zeit schon untersuchte er die neusten Erfindungen dieser niederen Rasse, diese feuerspeienden Rohre. Sie arbeiteten kurioserweise völlig ohne Magie und waren deswegen perfekt für seine Zwecke. Welcher jahrtausende alter Daiyoukai rechnete schon damit, mit einer Menschenwaffe umgelegt zu werden?! Natürlich konnte eine kleine Bleikugel einen Dämon noch nicht töten. Aber dafür hatte er auch ein Gewehr entwickeln lassen, welches extra große Kugeln abfeuerte, die zusätzlich noch mit dem stärksten Gift getränkt waren, das er hatte auftreiben können.

Natürlich war es auch schwer gewesen, einen geeigneten Attentäter ausfindig zu machen. Er selbst konnte ja nun nicht mehr ins Schloss. Auch musste es ein Mensch sein, nur die würden sich zu einer solch verräterischen Tat verleiten lassen. Aber auch dann drohte der Tod, was sein Mann natürlich nicht wusste. Er dachte, dass er rechtzeitig würde abgeholt werden, was aber nicht der Fall war. Was kümmerte ihn das Leben eines erbärmlichen Menschlings? Solange er es nur schaffte, nach seinem Vater auch noch die Frau abzuknallen.

Keisushiro ging zu dem Stapel Papieren, griff sich einen Fetzen und kritzelte eine Nachricht darauf für den Menschen, der sich im Schloss unter den Gärtnern eingeschleußt hatte. Dort würde der Fürst doch sicher einmal allein zu erwischen sein, oder noch besser, mit dieser Frau zusammen. Der Menschling war sehr gut ausgebildet, er würde es schaffen mit seiner Tarnung nah genug an die beiden heran zu kommen, dann konnte er sie gar nicht verfehlen.

Tja und wenn alles schief ging, hatte er noch ein gutes Dutzend anderer Pläne im Hinterkopf.

Er faltete das Papier zusammen und ging zu dem Vogelkäfig. Alle magischen Nachrichten wurden abgefangen, also würde er seinen Falken benutzen. Er öffnete die Tür und wartete, bis der gezähmte Vogel auf seinen Arm gesprungen war. Dann steckte er mit den Brief in das Röhrchen, das unauffällig am Rücken des Raubvogels befestigt war, schloss es und hob den Arm.

Der Vogel stieß sich einmal kräftig ab und flog ein paar Runden in der Höhle, bevor er sich in die Höhe schraubte. Am höchsten Punkt seines Verstecks befand sich ein Loch in der Felswand, die einzige Luftzufuhr. Durch dieses Loch flog der Falke hinweg, den Befehl für den Mord mit sich nehmend...
 

Draußen am Fluss hatte Makotoko beobachtet, wie Keiushiro im Wasser verschwand und nicht wieder auftauchte. Da er nicht unbedingt mit Selbstmord rechnete, konnte er sich schon ausmalen, wohin dieser gegangen war.

Ein lauter Schrei hallte durch die Luft und er wirbelte herum, doch es war nur ein Falke, der-

Moment mal. Die Vogel schien geradewegs aus dem Wasser hervor zu schießen!

„Warte hier“, flüsterte er seinem Hund zu, der daraufhin von seiner Schulter sprang und sich artig hinsetzte.

Stirnrunzelnd machte der Youkai einen langen Satz und landete am Ufer, dort wo der Falke herausgekommen war. Tatsächlich konnte er nach einigem suchen ein Loch, nicht weit vom Wasser entfernt, ausfindig machen.

Einer Eingebung folgend hob er einen Stein auf, zielte und warf ihn.

Ein hohles 'Klonk' belohnte ihn, und der Raubvogel, der schon bedenklich weit entfernt gewesen war, fiel nun wie ein Stein zu Boden.

Im Federflug setzte der Inuyoukai über den Fluss hinweg und fing dabei das Tier auf. Leichtfüßig landete er auf der anderen Seite.

Seine Vermutungen bestätigten sich, als er das dünne Rohr auf dem Rücken des Raubvogels sah und er öffnete ihn. Ein Brief.

Hastig überflog er die Seite, während sich ein verächtliches Grinsen auf seinem Gesicht ausbreitete. Genüsslich riss er das Papier in Fetzen und warf diese zusammen mit dem toten Boten in den Fluss.

Kurz machte sich so etwas wie Respekt für den ehemaligen Thronerben in ihm breit, welcher nun wirklich... kreativ war. Verschwendetes Talent, nannte man so etwas. Totes Talent. Für den Anschlag auf seine Schwester würde er ihn lange leiden lassen...

Makotoko ging am Ufer zurück auf den Wasserfall zu. Er würde hier warten, bis Keisushiro sein Versteck verließ. Er konnte Wasser nicht sonderlich gut leiden, und eine Höhle war kein guter Kampfplatz...
 

Luft! Tief atmete er ein. Schwang sich aus dem Wasser. Ließ sein Youki auflodern. Schon war seine Kleidung wieder trocken. Er stand auf.

Ein Bellen. Sein Kopf flog herum, er ging in Angriffsposition. Unter einem mächtigem Baum saß ein großer brauner Hund, der eine gelbe Fellzeichnung auf dem Rücken trug. Falscher Alarm. Nur ein einfacher Hund.

„Hey, du verlauster Sack voll fischgesichtiger Möwenfürze!“

Wieder fuhr er herum, doch er brauchte die Gestalt , die oben am Wasserfall stand nicht zu sehen, um zu wissen, wer sie war. Es gab nur eine Person, die ihm jemals einen so ordinären Ausdruck an den Kopf geworfen hatte...

„Hast du etwa vergessen, dass heute unser Duell stattfinden sollte? Du bist spät dran!“, rief der Andere spöttisch und mit einem Sprung stand er vor ihm.

Keisushiro musterte den Krieger mit besonderem Augenmerk auf dessen Verletzung. Kein Zweifel, sie war noch da, war sogar noch schlimmer geworden. Es war ein Wunder, dass er noch nicht vor Schmerz zusammengebrochen war. Verächtlich kräuselten sich seine Lippen zu einem siegesgewissen Lächeln.

„Du bist ein Narr, das du mich in deinem Zustand herausfordern willst“, stellte er sachlich fest.

„Mein Zustand ist bestens. Und was hätte ich mir für einen besseren Zeitpunkt aussuchen können? Um ehrlich zu sein, ich hatte befürchtet Schwierigkeiten mit deinem Vater zu kriegen, wenn ich dich umlege – aber dieses Problem hat sich ja nun erfreulicherweise von alleine geregelt“, erwiderte Makotoko.

Keisushiro schüttelte den Kopf. „Wäre nur ein Funken Verstand in deinem Kopf, so hättest du den Kampf mit mir gemieden, oder zumindest verschoben. Niemand hätte an deiner Ehre gezweifelt...“

„Du verstehst überhaupt nichts! Mir geht es doch nicht um Ehre! Ihr tut alle immer so, als würde sich die ganze Welt nur um dieses eine Wort drehen, aber darf ich dich mal aufwecken? Dem ist nicht so! Aber dieses Hirngespinst hat viele von euch verlausten Säcken verseucht...“, meinte der Inuyoukai überzeugt.

Der ehemalige Lord war für einen Moment irritiert. Ehre wurde im gesamten Hundeclan höher als alles andere geschätzt. Wer war dieser Mann, dass er so andere Lebenseinstellungen hatte?

Doch dann durchzuckte es ihn wie ein Blitz. Wenn sein Gegner keine Ehre hatte, dann würde er auch nicht fair kämpfen. Natürlich, das wäre ein Erklärung warum er ihn trotz seiner schlechten körperlichen Verfassung herausforderte. Ja, es erklärte vieles... aber entschuldigte nichts.

Er zog sein Schwert.

„Also gut, du elender Bastard. Wenn du kein ehrenhafter Krieger bist, brauche ich mich ja auch nicht zurückhalten.“

Er griff an.

Stahl krachte auf Stahl, als der Gegner den Hieb ebenfalls mit einem Schwert abblockte. Keisushiro drückte dagegen, wollte seinen Feind aus dem Gleichgewicht bringen. Doch dieser hielt sich nicht lange mit einem Kräftemessen auf, vollführte eine halbe Drehung und stieß sein Schwert auf seine Beine hinab. Er wich aus, merkte aber zu spät, dass dies nur ein Ablenkungsmanöver gewesen war, als Makotoko ihm mit voller Wucht ein Knie in den Magen rammte.

Er keuchte auf. Wahrlich, dieser Mistkerl kämpfte mit allen Mitteln.

Keisushiro ließ sein Schwert herumwirbeln und zielte auf das halb zerfetzte Bein seines Feindes. Dieser jedoch schien den Schlag seinerseits in Kauf zu nehmen und zielte mit der Waffe auf seine Kehle, sodass er selbst gezwungen war, seinen Angriff abzubrechen und den Hieb zu blocken. Dennoch schrieb er sich selbst einen Pluspunkt an. Der Youkai war ihm nicht ausgewichen, sondern hatte die Verteidigung des Angriffs gewählt. Das bedeutete, dass ihn die Wunde noch immer schmerzte – etwas, woran er für einen Moment gezweifelt hatte.

Wieder griff er selbst an, ließ dem andren keine Atempause. Ein Schlag von rechts, einer von links und schon fanden sich beide Youkai in einem Kreis von Finten und Techniken wieder, die beide im Schlaf auswendig konnten. Abblocken, angreifen, abblocken, angreifen. Schritt für Schritt, bis einer einen Fehler machte.

Keisushiro ließ absichtlich eine Lücke in seiner Verteidigung und tatsächlich: Sein Feind ging darauf ein. Er täuschte einen Schlag auf seinen Kopf vor, griff dann jedoch von der Seite an und – ja! Eine lange, grässliche Wunde zog sich über den Bauch von Makotoko, er stolperte zurück. Eine Hand presste er auf die Verletzung, zwischen seinen Fingern quollen schleimige, graue Schnüre hervor – Eingeweide. Der ehemalige Lord grinste. Mit dieser Wunde würde er nicht mehr lange kämpfen, er war schon so gut wie tot.

Plötzlich und ohne Vorwarnung spürte Keisushiro einen höchst unangenehmen Schmerz im Rücken und ein Gewicht, das ihn zu Boden zu drücken versuchte. Er stolperte nach hinten und hatte gerade noch genug Zeit, um zu begreifen was genau ihn denn da angegriffen hatte, als er das Schwert seines Gegners auch schon wieder auf sich zurasen sah. Nur mit Mühe drehte er sich zur Seite weg und bekam so nur einen kleinen Schnitt am Unterarm ab.

Mit einer unwirschen Geste warf er den großen Hund von seinem Rücken, welcher sich dort festgekrallt hatte. Das Tier jaulte nicht einmal, als es hart auf dem Boden aufkam. Sofort zog es sich zurück. Tatsächlich, wie auch immer es dieser Makotoko geschafft hatte dem Tier, welches anscheinend zu ihm gehörte, ein Zeichen zu geben, ohne das er es bemerkte - es hatte funktioniert. Zwar nicht so, wie wahrscheinlich ursprünglich geplant, aber was sollte es. Er war für einen Moment abgelenkt gewesen und das hatte seinem Gegner die Zeit für einen überraschenden Angriff gegeben und sein erstes Blut vergossen. Wahrlich, ein mieser Trick. Aber das war egal, sein Gegner war viel schwerer verletzt. Keisushiro war sich nun fast hundertprozentig sicher, dass dieser ein Schmerzmittel eingenommen hatte, andernfalls hätte er sich gar nicht mehr auf den Beinen halten können. Er ignorierte seine Verletzung vollkommen!

Plötzlich durchzuckte ihn ein grässlicher Schmerz an der Wunde und Keisushiros Augen weiteten sich erschrocken. Er wusste, dass er es sich nicht leisten konnte, seinen Gegner auch nur eine Sekunde lang aus den Augen zu lassen, dennoch wagte er einen kurzen Blick hinab auf seinen Arm, während er langsam rückwärts schritt um Abstand zu gewinnen, das siegesgewisse Lächeln des Dämons vor ihm ignorierend. Vorsorglich wechselte er den Schwertarm. Mit links war er zwar nicht exellent, aber immer noch ein gefährlicher Gegner. Aber was war jetzt mit der Verletzung?

Was er sah, war schlichtweg grauenhaft. Der schmale Schnitt, welcher dank seiner enormen Sebstheilungskräfte schon längst wieder hätte verheilt sein müssen, hatte sich zu einer Fleischwunde ausgebreitet, die sich bis zu den Knochen hinab ausgebreitet hatte! Dünne Rauchfahnen gingen von der Verletzung aus und brannten sich tiefer hinein.

Der Schmerz war schlichtweg betäubend, das Blut floss stetig aus der Wunde. Noch nie in seinem Leben hatte er so etwas gespürt. Dieser Youkai wollte ihn nicht einfach töten. Er wollte ihn foltern.

„Wa... Warum tust du das?“, brachte er erstickt hervor, nur das Adrenalin, welches in seinen Ohren zu rauschen schien und die Kampfeswut, die ihn ergriffen hatte, verhinderten, dass seine Hände zitterten, als er das Schwert höher hob. „Wegen dieser Kuraifaia, deiner Gefährtin?“

„Heh, du bist noch dümmer als ich dachte. Kuraifaia ist nicht meine Gefährtin, sondern meine Schwester und wenn sie der Meinung wäre, dass ich ganz offensichtlich ihretwegen eine Person töte, würde sie mich glattweg umbringen. Tja, ist ja ihr gutes Recht, jetzt, da sie in deinem Sessel hockt, was? Nein, ich mache das hier nicht für sie“, antwortete er und kam stetig näher.

„Warum... dann?“, flüsterte er, während seine Knie nachgaben und er zu Boden sank, das Schwert sinken ließ. Ein Zeichen für Unterwerfung. Jeder ehrenhafte Krieger hätte ihn nun im Normalfall gehen lassen. Aber erstens war dies kein Normalfall, weil er als vogelfrei erklärt worden war, zweitens war sein Gegner nicht ehrenhaft und drittens bezweckte er etwas anderes hiermit...

„Warum? Warum ich dich quälen, dich leiden lassen will? Warum ich so viel Blut wie möglich sehen will? Ich könnte dir ein gutes Dutzend Gründe nennen, vom Pflichtgefühl wegen der Herausforderung über das Wissen, dass du meine Schwester und den Fürsten ermorden willst, bis hin zur schlichten Antisympathie. Aber ich will ehrlich sein: Nichts davon trifft zu. Fakt ist, dass es mir einfach Spaß macht, zu töten. Ich habe schon oft über eine Laufbahn als Folterknecht nachgedacht, wusstest du das?“

Ein Lächeln stahl sich auf Keisushiros Gesicht. Makotoko wollte ihn foltern? Den Spieß konnte man aber auch umdrehen...

„Deinen Träumen muss ich hier leider ein Ende setzen. Nun wirst du einmal die besondere Fähigkeit meines Schwertes kennen lernen!“ Mit diesen Worten stemmte er sich wieder hoch, seine Waffe scheinbar als Stütze nutzend, während der Schmerz noch immer in seinem Arm pochte. Sein Dämonenblut verdrängte ihn so gut es ging, jetzt war nur der Kampf wichtig. Noch ahnte sein Feind nichts, er wirkte hilflos. Im Gegenzug dazu standen die weiß-bläulichen Wellen, die sich um den Berührungspunkt der Klinge mit der Erde auszubreiten schienen. Im Umkreis von gut zehn Metern gefroren die vom Winter ohnehin schon braunen Grashalme unter ihren Füßen zu blankem Eis. Makotoko, die Gefahr erkennend, wollte noch mit einem weiten Sprung entkommen, doch er war nicht schnell genug. Das Eis kroch wortwörtlich seine Füße hinauf und fesselte ihn an den Erdboden. Der Dämon wehrte sich nach Leibeskräften und versuchte sich dem Zauber zu entziehen, doch das dämonische und durch und durch magische gefrorene Wasser gab ihm keine Möglichkeit zur Flucht. Innerhallb weniger Sekunden war sein gesamter Körper von einem festen Eispanzer umgeben, nur sein Kopf und ein Teil der Schultern ragten noch heraus. Er war hilflos. Sein Feind war ihm hilflos ausgeliefert. Und jetzt würde er ihn ein wenig foltern...
 

*
 

Im Westen...

"Mein Lord, ich muss zugeben, dass ich mir Sorgen mache..." begann Chikara schließlich, als sein Freund noch immer keine Anstalten machte, ihm irgendetwas zu erklären.

Oh ja, und wie er sich Sorgen machte! Nicht nur das Sesshoumaru in letzter Zeit immer häufiger zu ihm gekommen war und über Dinge wie den Sinn des Lebens philosophierte, nein er machte auch ganz kuriose Andeutungen, die ihn fast glauben ließen, sein Herr wäre suizidgefährdet. Aber das konnte er ihm ja schlecht sagen, sonst könnte er selbst sich gleich als lebensmüde abstempeln lassen.

"Ich verstehe nicht, warum wir heute nicht angegriffen haben. Unsere Spione berichteten - sehr kurzfristig, das gebe ich zu - von einer großen Versammlung der Südler. Das Schloss war nicht gut bewacht, wir hätten einen großen Sieg erringen können. Warum habt ihr diese Gelegenheit verstreichen lassen?", fragte er vorsichtig. Früher hätte er für diese mehr oder minder vorlaute Art einen eisigen Blick bekommen, heute war nicht die mindeste Reaktion zu sehen. Nicht jedoch, wie sonst, dieses ignorierende, gleichgültige Schweigen, nein er hatte einfach mal den Verdacht, dass Sesshoumaru ihn überhaupt nicht gehört hatte.

"Ich vermisse sie...", flüsterte der Lord.

Chikara musste sich sehr am Riemen Reißen und sich hundert mal darin erinnern, wer hier vor ihm saß, um nicht entnervt mit den Augen zu rollen. Darum ging es also. Schon wieder!

Als Sesshoumaru ihm zum ersten Mal von seiner großen Liebe, Anis, erzählt hatte, war er noch ziemlich geschockt gewesen. Nun aber hatte sich der kaltherzige Youkai als erstaunlich gesprächig gegenüber Chikara erwiesen, sobald dieser mal das Geheimnis kannte. Und, ohne anmaßend erscheinen zu wollen: Er wollte das nicht hören. Liebeskummer, also wirklich! Es klang so... so schwach. Ihre Abscheu gegen Schwächen, vor allem menschlichen Schwächen wie der Liebe war schon immer ein Teil des starken Bandes gewesen, aus dem ihre Freundschaft geknüpft war.

"Ich kann an nichts anderes mehr denken... Mitsura gibt mir die Schuld", fuhr Sesshouamru gedankenverloren fort.

Großartig! Absolut wunderbar! Der große Lord des Westens war so in seine Frauengeschichten vertieft, dass er es versäumte, einen Krieg zu gewinnen! Nein, so konnte es wirklich nicht weiter gehen. Da musste sich etwas ändern!

"Ich sollte gehen, und sie suchen... Das ist meine Pflicht. Ich bin ja mit ihr verlobt..."

Oh nein, er würde jetzt nichts antworten! Er könnte ohnehin nur etwas Falsches sagen.

Sesshoumaru hatte ihm alles erzählt, was die Schwester seiner Geliebten ihm gesagt hatte. Erneut hatte ihn dieser Vertrauensbeweis in ihn fast erschüttert, aber dennoch konnte er nichts umhin, seinen Freund immer wieder etwas anklagend anzusehen. Was, wenn er ein Verräter wäre? Sesshoumaru gab sich da so eine unglaubliche Schwäche! Das war kaum auszuhalten!

Tja, und diese Mitsura, die war auch eine Nummer für sich. Wie Sesshoumaru vermutet hatte, besaß sie beste Aufstiegschancen. In den wenigen Stunden, die sie mit den anderen Shirosendo trainierte, konnte man bereits ihr außergewöhnliches Talent sehen. Aber das mit der Schuld stimmte auch. Wann immer sich Mitsura und Sesshoumaru zufällig auf dem Gang oder im Hof trafen, war sie ihm einen giftigen Blick zu und im Schloss wurden bereits Wetten abgeschlossen, wie viele Tage sie das überleben würde. Doch der Lord zeigte sich in vielen Dingen milder, um nicht zu sagen völlig abwesend.

"Mein Lord, ihr könnt hier nicht weg, das wisst ihr doch genauso gut wie ich..."

"Aber ich will sie so gern noch einmal sehen... Oder wenigstens wissen wie es ihr jetzt geht! Ich will sie in Sicherheit wissen. Ich möchte wissen, was sie über mich denkt... Mehr nicht. Das würde mir ja schon reichen. Wie tief bin ich gesunken, um nur für diese Informationen mit dem Gedanken zu spielen, mein Volk zu verraten?", fragte Sesshouamru, und es klang tatsächlich so, als wäre er von sich selbst erschüttert, auch wenn er äußerlich ruhig blieb. Keine Emotionen. Nicht für Außenstehende. Für Chikara jedoch war er durchschaubar geworden, und das machte ihm Angst. Wenn ein Volk einen schwachen Führer hatte, wie sollte es dann einen Krieg gewinnen?

Plötzlich kam ihm so etwas wie der berühmte Geistesblitz:

"Sesshouamru, was haltet ihr davon, wenn ich mich auf die Suche nach Ansi mache?"

"Anis", berichtete Sesshoumaru ihn automatisch.

"Natürlich, Herr. Ich könnte mich mit Mitsura in Verbindung setzen, die nötigen Informationen einholen und mich anschließend auf die Suche nach ihr machen. Sobald ich eure... erwählte Gefährtin gefunden habe, beziehungsweise ihren Aufenthaltsort weiß, werde ich zurückkommen und ihn euch mitteilen. Es sollte kein Problem sein, dann ein Treffen zu organisieren...", schlug er vor, und wartete dann gespannt auf eine Antwort.

Sesshoumaru drehte sich fast wie in Zeitlupe zu ihm um. "Das wäre... eine Idee..."

Natürlich konnte man da nicht jeden x-beliebigen schicken, durfte doch niemand von diesem Geheimnis erfahren. Aber wenn er selbst ging, hätte sein Freund so etwas wie einen Hoffnungsschimmer, an den er sich innerlich klammern könnte. Zweifellos würde seine Konzentration damit steigen und er konnte den Krieg weiter führen. Und er selbst musste sich nicht mehr dieses ewige Liebesgeschwafel anhören.

"Natürlich müsste ich erst die Ausbildung meiner Schüler zumindest auf die nächste Stufe bringen. Aber Anfang Frühling könnte ich mich auf den Weg machen..." Er vermied eine Zeit, wann er zurückkommen sollte. Wahrscheinlich sowieso erst nach dem Krieg, und dann mit leeren Händen. Immerhin, er sollte den gesamten Süden nach einer Frau absuchen, von der er noch nicht einmal den Geruch kannte, geschweige denn Aussehen oder Rang. Das konnte Jahrhunderte dauern! Aber er würde die Zeit nur auf den Krieg selbst beschränken. Jammerschade, dann konnte er selbst ja gar nicht mit kämpfen... Aber manchmal musste man eben Opfer bringen.

"Gut, Chikara. Bespreche dich mit Mitsura und richte deine Schüler her. Aber beeile dich! Du sollst so schnell wie möglich aufbrechen", stimmte der Lord schließlich zu.

Der ehemalige Rudelführer seufzte innerlich. "Ganz wie ihr wünscht, mein Lord..."

Ein wunderbarer Tag

Die Sonne scheint, die Vögel zwitschern was will man mehr? Ein wirklich wunderbarer Tag...

Ein wunderbarer Tag zum Sterben.
 

XxX
 

Makotoko glaubte, sich noch nie so miserabel gefühlt zu haben. Das Eis um ihn herum und das Gift in seinen Adern mochten den größten Schmerz lindern, aber gerade das bereitete ihm Sorgen. Er fühlte so gut wie nichts außer der Kälte mehr und die nahende Bewusstlosigkeit schien fast wie die Erlösung... Aber er durfte nicht aufgeben!

Keisushiro trat noch einen Schritt auf ihn zu, hob sein Schwert. Oh, hätte er doch nur vorhin nicht so eine große Klappe gehabt!

"Weißt du, auch ich habe manchmal Spaß am Töten. Und du wirst ein besonders qualvolles Ende finden...", sagte der Dämon ihm voraus.

"So glaubst du, ja? Ich würde ja jetzt sicher vor Angst zittern, aber dummerweise geht das in dieser beengten Umgebung nicht...", antwortete der Angesprochene gelassen. Innerlich aber krampfte sich alles in ihm zusammen. Auf einmal wurde ihm bewusst, dass er in Lebensgefahr schwebte. Er war in diesen Kampf gegangen mit einem Trumpf im Ärmel, doch in der Situation, in der er sich jetzt befand, konnte er eben diesen Trumpf nicht ausspielen. Es war ihm bisher noch überhaupt nicht in den Sinn gekommen, dass er verlieren könnte. Das schien ihm unmöglich...bis jetzt. Auch einen verlausten Sack voll fischgesichtiger Möwenfürze sollte man wohl besser nicht unterschätzen.

Der Lord unterdrückte die aufkommende Wut. "Dir wird das Lachen schon noch vergehen!", sagte er und rammte dann seine Waffe in Makotokos rechte Schulter.

Schmerz. Weißglühender Schmerz durchzuckte ihn, das Mittel musste langsam nachlassen. Man hörte die Knochen splittern, an der Klinge lief das Blut herab. Dennoch schaffte er es irgendwie, keinerlei Reaktion zu zeigen, wenn auch sein Lächeln etwas aufgesetzt wirkte.

"Wenn du mir ernsthaft weh tun willst, musst du schon eine andere Stelle treffen. Aber - nein, das geht ja nicht, weil alles andere von Eis bedeckt ist! Tja du verlauster Sack voll fischgesichtiger Möwenfürze, dumm gelaufen, was?" meinte der Inuyoukai spöttisch, auf seinen neusten Lieblingsausdruck zurückkommend.

Er würde sterben... Mit einem Mal wusste er es ganz sicher. Er würde diese Lichtung nicht mehr lebend verlassen. Es war vorbei. Einfach so. Puff - und alle seine Träume waren zerplatzt. Er würde elendig krepieren, unter der Hand eines verlausten Sackes voll fischgesichtiger Möwenfürze. Das war es sicher nicht, was er sich gewünscht hatte! Aber wie auch immer, er würde schon dafür sorgen, dass er dem ach so wunderbarem Lord noch lange im Gedächtnis blieb. Und wenn es auch nur als der Gegner war, der selbst unter Folter und im Angesicht des Todes ihn noch einen verlausten Sack voll fischgesichtiger Möwenfürze nannte.

Plötzlich bemerkte Makotoko eine Gestalt hinter dem Lord, die ihm nur zu bekannt war. Nein! Nicht jetzt!

Keisushiros Augenbrauen zogen sich zusammen. "Du wirst-"

Weiter kam er nicht, denn die außergewöhnlich große Gestalt sprang ihn von hinten an und grub ihm zum zweiten Mal an diesem Tag die Krallen in den Rücken. Der Angesprungene schrie überrascht auf und wollte den riesigen Hund von sich abwerfen.

"Diese verdammte Töle!", rief er außer sich und riss das Tier von sich herunter.

"Dummkopf, ich hab doch gesagt, du sollst wegbleiben!", schrie nun Makotoko seinerseits, was den Lord etwas zu verwirren schien. Es kümmerte ihn nicht. Warum nur musste er sich schon wieder einmischen!? Sie hatten einen festen Plan gehabt! Okay, es war einiges schief gegangen, aber das Risiko gab es immer.

Der Hund landete sicher auf allen Vieren und stieß ein kehliges Knurren aus. Keisushiro hob sein Schwert. Dieser Störenfried würde nicht mehr lange am Leben sein, das sah man in seinen mordlüsternen Augen.

"Weg da!", brüllte Makotoko sowohl laut als auch in Gedanken und endlich gehorchte das Tier. Man konnte die Verzweiflung in seinen tierischen Augen sehen. Er musste nur weg! Makotoko könnte es sich nie verzeihen, wenn er seinetwegen starb. Sein eigenes Ende mochte nun gekommen sein, aber das Tier wollte er retten! Und das ging nur, in dem er Keisushiro mit sich in den Tod zog. Er feuerte in Gedanken den Hund an doch endlich zu verschwinden, hoffend, dass dieser die telepathische Nachricht erreichen würde und wissend, dass dies tatsächlich so war. Zwischen ihnen gab es eine besondere Bindung.

Nachdem der Hund kläglich jaulend verschwunden war, bereitete sich Makotoko auf seinen letzten Mord vor, welcher im Grunde nur auf purem Glück basierte. Er sammelte alles Youki, welches er noch nicht im Kampf verbraucht hatte, tief in sich. Das Youki, die dämonische Energie, war im Grunde das einzige, was einen Dämon von einem Menschen unterschied. Ohne diese Energie war ein Youkai so schwach wie ein Wesen dieser niederen Rase.

Makotoko machte sich bereit. Man sagt, das im letzten Moment, kurz vor dem Tod, noch einmal das ganze Leben an einem vorbei zieht. Bei ihm war das nicht so. Nicht nur weil die Zeit gar nicht ausreichte, um die Jahrhunderte seines Lebens noch mal abzuspielen. Er wollte es auch gar nicht. Was brachte es schon, sich all die Gesichter noch einmal vor Augen zu führen, die er ausgelöscht hatte? Was brachte es, sein Gewissen damit zu belasten, welches doch bis heute immer geschlafen zu haben schien? Nein, seine Gedanken waren eiskalt, kalkulierend. Sein Tod war egal, er wollte nur, dass dieser verlauste Sack voll fischgesichtiger Möwenfürze mit ihm in die Hölle ging!

Mit diesem Gedanken stieß der Dämon das letzte bisschen Youki aus seinem Körper aus.
 

Das Eis explodierte. Tausende von Eissplittern flogen durch die Luft und ein besonders großer durchbohrte Keisushiro von hinten und er verlor sein Schwert. Er wurde von der Wucht gegen den nächsten Baum geworfen, welcher bedenklich schwankte. Der Rasen wurde regelrecht durchpflügt, als die große Brocken mit der Gewalt eines einschlagenden Kometen darauf nieder prasselten.

Und Makotoko spürte, wie das Leben aus ihm wich. Er hatte alles Youki was er besaß auf diesen letzten Angriff gerichtet, und seine sich langsam schließenden Augen sahen mit Genuss die ächtzende Gestalt am Boden, welche sich den Speer aus dem Fleisch zog. Zusammen mit der Wunde, die er ihm mit seinem Schwert zugefügt hatte, würde Keisushiro das nicht überleben. Vielleicht brauchte es noch einige Tage, aber dann war es aus mit ihm.

Er aber würde hier und jetzt sterben. Ohne die dämonische Energie fehlten dem Körper die Selbstheilungskräfte und er spürte fast sofort nach der Sprengung, wie die Wunden des Kampfes ihn niederstreckten. Welcher Mensch konnte noch lange leben, wenn er ein zerfetztes Bein und einen demolierten Magen hatte, aus dem die Eingeweide heraus quollen?

Seine Gedanken wanderten zu seinem Hund zurück, während er auf die Knie sank und er schickte ihm den letzten, traditionellen Gedanken, den letzten Wunsch, wissend, dass er nun in Frieden ruhen konnte.

Ein letzter Atemzug, eine kleine Wolke Nebel, die von der kalten Winterluft davon getragen wurde, dann wich das letzte Bisschen Leben aus dem einst so siegesgewissen Dämon. Sein erschlaffter Körper fiel zur Seite. Er lag mit dem Gesicht nach oben und seine langsam glasig werdenden Augen erblickten den strahlend blauen Himmel. Was für ein wunderbarer Tag doch heute war... Ein wunderbarer Tag zum Sterben...

Auf seinen Lippen lag ein Lächeln, das zum ersten Mal seit langem wieder von Herzen kam.

Der Tod war nur das nächste große Abenteuer.
 

Fünfhundert Jahre später, in einer stattlichen Villa alten Stils, im tiefsten Kerker des Anwesens, erlosch eine weitere Kerze und die Besitzer der anderen spürten alle ein merkwürdiges Ziehen tief in ihrem Herzen, als würde irgendetwas fehlen. Doch niemand konnte dies richtig zuordnen und so blieb die kleine Rauchfahne, welche von dem Schaft der schwarzblauen Kerze aufstieg, von allen unbemerkt...
 

Im Westen...

Sesshoumaru war seit Langem mal wieder bester Laune. Zunächst einmal hatte er sich das selbst nicht erklären können. Dann aber hatte er rückblickend festgestellt, das heute ein wirklich brillianter Tag war. Er hatte heute ein paar unfähige Menschen getötet, die sich eine Pause zu viel bei ihrer Arbeit gegönnt hatten, drei Bogenschützen, die mit einem unwichtigen Streit seine Nerven überstrapazierten, reif für den Heiler gemacht und - und er hatte endlich wieder eine Aussicht, Anis bald wieder zu sehen. Okay, die Aussicht war verschwindend gering, das musste er zugeben. Es war höchst unwahrscheinlich, dass Chikara den gesamten Süden nach ihr absuchen könnte und sie dann auch nur vor dem Krieg zu Gesicht bekam. Ein wenig fühlte er sich sogar schuldig, weil er seinen Freund in eine solche Gefahr schickte. Dennoch, allein dieser winzige Hoffnungsschimmer reichte aus, um ihm ein wenig seines alten Selbst zurück zu geben. Es fiel ihm leichter, grausam zu seinen Mitdämonen zu sein, es fiel ihm leichter, einen hochrangigen Youkai mit nur einem eisigen Blick in den Boden zu stampfen, es fiel ihm leichter, seine Gedanken kalkulierend und abschätzend laufen zu lassen und sich nicht von seinen Gefühlen zu falschen Entscheidungen verleiten zu lassen, es fiel ihm leichter, Mitsura mit einigen gezielten Worten aus dem Konzept zu bringen und so seine Würde beizubehalten, ohne sie töten zu müssen. Und es fiel ihm sogar leichter, Krieg gegen das Land zu führen, in dem sich Anis wohl gerade aufhielt.

Gerade widmete er sich letzterer Aufgabe, er saß mit Shuppotsu, Mitsura, Hitozume und Ishi Koori in einem großen Zelt inmitten des Heerlagers, welches sie nahe der Grenze aufgebaut hatten. Sie entwickelten im wahrsten Sinne des Wortes einen Schlachtplan für ihren nächsten Angriff. Krieg unter Dämonen war da sehr kompliziert, weil es nicht - wie bei Menschen - Festungen zu erstürmen gab, jedenfalls nicht im Hundeclan. Einzig und allein das Schloss des Südens gab es da, doch es wäre unsinnig, dieses erobern zu wollen. Das Ziel waren keine Orte, sondern bestimmte Personen, Anführer des gegnerischen Heeres. Und natürlich so viele wie möglich andere Tote.

Zu diesem Zweck hatte er nicht die Ratsmitglieder zu sich geholt, die sich eher um Wirtschaft, Finanzen oder friedlichere Politik kümmerten. Hier aber ging es um Blutvergießen, da waren andere Leute gefragt.

So saß rechts von ihm Ishi Koori, der Anführer der Bogenschützen. Er ließ nie Gnade oder Milde walten, etwas, was hier durchaus auch nicht angebracht gewesen wäre. Er war kein herausragender Stratege und machte sich nie Gedanken über den Hintergrund eines Befehls, er führte ihn einfach aus. Das verminderte sowohl die Aussicht auf Verrat, als auch auf Intelligenz... Für ihn zählte lediglich körperliche Stärke und wer gegen ihn bestand, hatte seinen Respekt. Obwohl so nicht sonderlich klug, hatte er doch seine Leute perfekt unter Kontrolle. Seine langen, gewellten weißen Haare ließen ihn fast ein wenig feminin und zerbrechlich wirken, für eine Waffe wie das Schwert war er nicht geschaffen.

Links von Sesshoumaru saß Hitozume, eine stille Dämonin und neben Chikara eine der Wenigen, denen er wirklich vertraute. Genau wie sein Freund war sie einst in seinem Rudel gewesen, als sie unter Inu no Taishu, seinem Vater, ausgebildet worden waren. Sie hatte den Befehl über einen großen Teil seiner Streitmacht, handelte klug, überlegt und immer so, dass sie möglichst wenig Verluste erlitten.

Ihm gegenüber saßen dann noch Soramaru und Mitsura, beide wollte er lieber genau im Auge behalten. Soramaru, sein Cousin der nach ihm den größten Anspruch auf den Thron hatte, war magisch sehr begabt und hatte die stärksten der Youkai unter seinem Kommando, die auf magische Attacken spezialisiert waren und so mehrere Dämonen auf einmal aus der Ferne erledigen konnten. Das waren natürlich nicht besonders viele, im Moment nur etwa fünfzig, aber es war eine wertvolle Truppe.

Mitsura jedoch war hier eigentlich fehl am Platz. An ihrer Stelle müsste normalerweise der Anführer der Shirosendo stehen. Nur war der leider schon extrem alt und beschränkte sich hauptsächlich auf die Ausbildung. So hatte er 'seine fähigste Schülerin' als Vertreterin geschickt, da er festgestellt hatte, dass sie sich nach ihrer Legitimisierung höchster Beliebtheit beim Weißen Tod erfreute und sie in gewissermaßen zusammen hielt. Damit hatten sich Sesshoumarus schlimmsten Befürchtungen bestätigt, Mitsura war dabei, seine Eliteeinheit zu übernehmen. Bedauerlicherweise musste er das so hinnehmen, da er keine wirklich handfesten Grund hatte, sie aus der Welt zu schaffen. Außerdem war sie nun einmal wegen ihm Können hier und im Krieg war das höchste Priorität.

Shuppotsu schließlich war der Letzte im Bunde. Normalerweise war er ein einfacher Bote, wenn auch der schnellste von ihnen. Für die Zeiten des Krieges jedoch wurde ein Großteil der Botschafter als Spione eingesetzt, die Shupotsu leitete. Sesshoumaru hatte ihn aber meist auch einfach gern dabei, weil er ein purer Pessimist war. Er fand selbst die kleinste Schwäche in einem perfekten Plan und schaffte es immer irgendwie, jegliche Hoffnung zunichte zu machen. Manchmal waren solche Personen aber einfach nötig, weil tatsächlich schon große Heere daran gescheitert waren, dass sie auf einem Gebiet ein Lager aufgeschlagen hatte, auf dem manchmal Erdbeben ausbrachen. Shupottsu würde einen Berg, auf den sie sich zurück zogen, um sich besser verteidigen zu können, erst einmal auf versteckten Vulkanismus überprüfen. Er war für alles immer irgendwie vorbereitet, sei es auf einen nahenden Tornado, eine Riesenwelle, die alles mit sich riss oder ein Drei-Welten-Krieg vor seiner Haustür. Aber wie schon erwähnt, im Krieg konnte man nicht vorsichtig genug sein.

Soramarus und Mitsuras Truppen würden sie in der nächsten Schlacht wahrscheinlich noch nicht einsetzen. Sie waren so etwas wie eine Trumpfkarte, die noch nicht ausgespielt werden durfte. Wenn der Gegner eine besondere Fähigkeit des Feindes zu oft sah, hatte er Zeit diese zu studieren und fand eines Tages sicher eine Möglichkeit, diesen vermeintlichen Trumpf gegen einen selbst auszuspielen.

"Shuppotsu, wo genau hält sich die südliche Armee gerade auf?", fragte der Lord und eröffnete damit übergangslos die Sitzung.

"Sie ist noch immer nahe dem Schloss stationiert", antwortete dieser kurz angebunden.

Gerade wollte er ihn auffordern, etwas präziser zu antworten, da stutzte er. Vor dem Zelt stand jemand, er konnte die Aura deutlich fühlen. Augenscheinlich wagte dieser Jemand es jedoch nicht, die Sitzung zu unterbrechen. Dennoch, wenn er sich so weit vor traute, musste es wichtig sein.

"Ist etwas?", fragte er laut Richtung Zelteingang. Tatsächlich kam kurz darauf ein junger Inuyoukai herein, und verbeugte sich kurz.

"Mein Lord, es sind zwei fremde Dämonen hier angekommen, die um eine Audienz bitten", sagte er unterwürfig.

Sesshouamru runzelte die Stirn. "Was für Dämonen?", fragte er.

"Der eine ist ein Schlangendämon, der andere ein Vogelyoukai, ein Ketsu Tori", war die Antwort.

Damit konnte er jetzt überhaupt nichts anfangen. Was zum Teufel wollten die von ihm?

"Kann das nicht warten?", fragte er gelangweilt.

Wieder verbeugte sich der Dämon, Sesshoumaru konnte seine Angst riechen. "Sie warten schon eine ganze Weile, wurden auch mehrfach kontrolliert und werden langsam ungeduldig."

"Also gut. - Hitozume, fangt schon mal ohne mich an. Ich bin gleich wieder da." Wenn nötig würde er diese aufdringlichen Youkai in Stücke reißen.

Der Lord trat aus dem Zelt heraus und ließ sich von dem Laufburschen zu einem Empfangszelt bringen. Dort angekommen ließ er sich ruhig nieder und wartete, während der Jungspund die beiden Abgeordneten holte. Es wäre unter seiner Würde gewesen, selbst zu ihnen zu gehen.

Als die beiden Dämonen eintraten, suchte Sesshoumaru in ihren Gesichtern nach einem bekannten Zug. Fest stand aber, dass er beide noch nie im Leben gesehen hatte. Was also wollten sie?

"Wie ihr vielleicht festgestellt habt, befinde ich mich gerade mitten in einem Krieg. Was ist so wichtig, dass ihr mich hier aufsucht?", fragte er ungeduldig.

Der Ketsu Tori war es, der antwortete. Sesshoumaru wusste nicht viel über diesen Vogelclan, nur das sie sich meist von Menschenblut ernährten und selten überhaupt Federn besaßen.

"Gerade dieser Krieg ist es, Lord Sesshoumaru. Der Ketsu-Tori-Clan und die Schlangendämonen wollen euch in dieser Hinsicht unterstützen", erklärte der dunkelhaarige Mann.

Sesshoumaru war milde gesagt überrascht. Das würde ja völlig neue Möglichkeiten eröffnen... Mit dem Vögeln könnten sie aus der Luft angreifen und die meisten Schlangendämonen besaßen Gift, über das sich Mitsura mit ihren Shirosendo sicher freuen würde. Allerdings wäre es ein Wunder, wenn diese zwei so unterschiedliche Rassen den Hunden einfach so aus Lust und Laune beispringen würden. Warum auch?

"Warum?", fragte er auch sogleich einmal.

Nun war es die Schlange, die sagte: "Wir wollten unsere Schuld zurück zahlen und dies ist der beste Augenblick dafür."

Schuld? Was für eine Schuld? Davon wüsste er doch! Konnten die sich nicht etwas klarer ausdrücken? Zu seiner großen Freude taten sie das tatsächlich: "Es geht um einen Halbdämon namens Naraku. Er ist mithilfe eines magischen Juwels stärker als so mancher Youkai geworden. Einer seiner Abkömmlinge hat die Orichi-Sippe vernichtet. Eine ganze Sippe, einfach mal so ausgelöscht! Dabei waren es alle fähige Krieger mit starkem Gift..."

Der Ketsu Tori fügte hinzu: "Auch wir haben wegen diesem unwürdigem Halbblut Verluste erlitten. Er hat es tatsächlich gewagt, unsere Clanführerin, die Königin, und deren Erbin zu töten!" Tränen der Wut stiegen dem Mann dabei in die Augen. "Königin Ete war sehr krank. Sie hatte einen üblen Dämon mit viel Gift im Körper gefressen. Doch sie war auf dem besten Weg zur Heilung, denn Prinzessin Abi gab ihr stets neues Blut, mehr als sie gebraucht hätte, um das Gift zu verdünnen. Und Naraku hat sie beiden getötet..."

"Auch wenn ihr euch dessen vielleicht nicht bewusst wart, so habt ihr doch die Orichi-Sippe und die Clanführer der Ketsu Tori gerächt. Wir besitzen genug Ehre, um euch auf diese Weise danken zu wollen. Abgesehen davon sind wir auch überzeugt, dass der westliche Hundeclan die südlichen Hunde besiegen wird. Deswegen sehen wir keine allzu große Gefahr für unsere Krieger darin", schloss der Schlangendämon und nickte mit seinem schuppenbedeckten Kopf.

Noch vor einiger Zeit hätte Sesshoumaru die beiden Abgeordneten mit einem verächtlichen Knurren fortgeschickt. Er brauchte keine Hilfe von anderen Dämonen, nur um sich dann vielleicht wieder revanchieren zu müssen. Aber erstens konnte er tatsächlich Unterstützung gebrauchen, und zweitens musste er ja wirklich nichts dafür tun. Außerdem könnte sich ihre Hilfsbereitschaft leicht ins Gegenteil wenden, wenn er sie mit seiner Ablehnung beleidigte. Aber das hatte er ja auch gar nicht vor.

Sesshoumaru lehnte sich ein wenig vor, um sein Interesse kund zu tun.

"Wie viele Krieger könntet ihr denn zusammenstellen?", begann er.

Das würde ein langer Tag werden. Er müsste bestimmen, wann die Vögel und Schlangen eingreifen sollten, ob die Hundedämonen ihnen Unterkunft geben sollten, vielleicht könnte man bei dieser Gelegenheit den Handel verbessern...

Oh ja, heute war wirklich ein wunderbarer Tag.
 

*
 

Auf dem südlichem Schloss...

Kuraifaia verfluchte zum ungefähr dreißigsten mal den Teufel, der sie dazu geritten hatte, das Angebot des Fürsten anzunehmen. Nie hätte sie gedacht, dass sie als zukünftige Herrscherin so viel wissen musste! Es gab eine Unmenge an Regeln und Vorschriften und als die Prinzessin, die sie leider Gottes jetzt war, musste sie sich daran halten. Die Youkai hatte durchaus eine sehr gute Ausbildung genossen, aber aufgewachsen war sie eben in Frankreich und dieses Land hatte eine vollkommen andere Kultur! Warum musste sie sämtliche Namen der Ahnenreihe der Fürsten auswendig lernen, welche noch nicht einmal mit ihr verwandt waren? Warum musste sie die größten Helden der Hundeyoukai kennen, wenn die doch zumeist alle schon tot waren? Was interessierte sie ein magisches Höllenschwert, welches der frühere westliche Fürst irgendwann mal besessen hatte, wenn das doch inzwischen auch schon wieder futsch war?

Aber sie musste nicht nur die unzähligen Bräuche und Rituale der Japaner und die Geschichte des Südens lernen, nein es kam noch schlimmer.

In Kriegszeiten musste auch eine Prinzessin mit dem Schwert und anderen Waffen umgehen. Sie war eine Meisterin darin, was allerdings nur bedeutete, dass sie dieses 'Fach' nicht unterrichtet bekam und nur knapp eine Stunde am Tag trainieren durfte. Stattdessen brachte sie ihre Zeit damit zu, Kunst zu erlernen. Musik auf einer Harfe zu spielen und die unterschiedlichsten Arten des Webens, Stickens und Nähens, waren nur ein kleiner Tel ihrer Aufgaben. Sie sollte sogar Unterrichtsstunden bei einem Goldschmied nehmen!

Und dann erst der Benimmunterricht! Sie hatte schon oft von albernen Übungen für gerade Haltung gehört, aber das sie jetzt tatsächlich mit einer teuren Vase – welche bis oben hin mit rohen Eiern gefüllt war - und fünf Büchern auf dem Kopf durch das 'Klassenzimmer' – sie war die einzige Schülerin – lief, kam ihr doch etwa suspekt vor.

Am Schlimmsten war das Stäbchenessen. Als Herrscherin würde sie manchmal gezwungen sein, an bestimmten Höflichkeitszeremonen teilzunehmen, und da war es unter Dämonen eben auch Brauch, etwas gemeinsam zu essen. Es hatte einige Zeit gebraucht, bis der Fürst den Schock überwunden hatte, dass sie als HUNDEyoukai kein Fleisch aß. Und diese kleinen Krümel, die sich 'Reis' schimpften, bekam sie einfach nicht auf diese Scheiß-Stäbchen.

Am angenehmsten waren da noch die wenigen Stunden, die sie allein mit Ninushu Omaru verbringen konnte. Er unterrichtete sie in 'Kriegskunst', wenn man das so nennen durfte. Tatsächlich bestand es nur daraus, dass sie steinernen Figuren auf einem Holzbrett hin und her schoben, welches ein Schlachtfeld symbolisieren sollte und sie nach bestimmten Regeln die gegnerischen Figuren ausschalten sollten. Tatsächlich sah das Ganze in ihren Augen aber unheimlich nach Schach aus.

Es war jedoch keineswegs so langweilig wie die anderen Fächer bei den staubtrocknen und meist ziemlich alten Lehrern, denn Ninushu Omaro erzählte ihr eine Unmenge über verschiedene Strategien und Tricks, die man im Krieg anwenden konnte. Um den Überraschungseffekt zu wahren, bestand der Fürst noch immer darauf, dass sie im Schloss blieb und sich nicht an den Schlachten beteiligte, damit der Feind nicht vorzeitig über ihre Fähigkeiten informiert werden konnte. Zähneknirschend hatte sie irgendwann dann auch zugestimmt.

Im großen und ganzen verstand sie sich blendend mit ihrem Adoptivvater, aber es gab immer wieder ein Thema, bei dem regelmäßig Streit ausbrach: Die Nützlichkeit einer politischen Heirat. Als Prinzessin bestand ihre größte Pflicht gegenüber dem Süden nun einmal im Gebären des Nachwuchses. Sobald sie geheiratet hätte, hätte sie so gut wie keine Rechte mehr. Ihr Mann konnte ihr das Kind sogar wegnehmen, oder sich ein Dutzend Nebenfrauen an seine Seite holen.

Das war eine Sache, die sie absolut nicht akzeptieren konnte. Und noch viel weniger konnte sie die Tatsache akzeptieren, das Ninushu Omaru hinter ihrem Rücken die Zustimmung für einen Ball im Norden gegeben hatte, der am heutigem Abend stattfinden sollte. Der dort regierende Fürst Arekanderu hatte diese Veranstaltung in Gang gebracht. Da der Westen, welcher ebenfalls eingeladen war einen Vertreter zu schicken, abgesagt hatte, bestand kein Grund, warum Kuraifaia sich dort nicht als Prinzessin vorstellen sollte. Und unausgesprochen blieb der Auftrag, sich dort nach einem Gefährten umzusehen.

Die Inuyoukai konnte es nicht fassen. Da war sie kaum einen Tag Prinzessin, schon wurde sie mit endlosen Unterrichtslektionen und Stundenplänen bombadiert und als wäre das noch nicht genug, schickte man sie ohne ihre Zustimmung in ein anderes Land auf einen Ball mit lauter fremden Leuten, von denen sie die männliche Seite bezirzen sollte. Dafür also der Benimmunterricht.

Fürst Ninushu Omaru hatte ihr immer wieder gesagt, wie wichtig es wäre, dort Verbündete, auch unter den anderen Rassen der Dämonen zu bekommen, aber da es ein Maskenball sein sollte zweifelte sie nicht daran, dass er diese mehr oder weniger romantischen Situationen, die sich dort boten, einfach ausnutzen wollten. Als sie ihn fragte, wie das denn mit der Geheimhaltung ihrer Stellung übereinkommen sollte, hatte er nur gemeint, dass solche Gesellschaftsabende in dem Ruf standen sehr langweilig zu sein, und sich Nachrichten darüber zumeist langsam oder gar nicht verbreiteten und dass es einen westlichen Spion für den Süden im Norden gab, war auch mehr als unwahrscheinlich. Ein langweiliger Gesellschaftsabend! Oh, was für ein wunderbarer Tag!

Liebend gern hätte Kuraifaia sich einfach geweigert dort hin zu gehen, aber eine 'Tochter' hatte ihrem 'Vater' zu gehorchen. Wie sehr sehnte sie sich doch nach der Neuzeit!

Aber alles Bitten half leider nichts und deswegen würde sie sich jetzt mit einer Eskorte aus ausgewählten Kriegern - die einzige Person die sie davon kannte, war Kigiyakana - in den Norden begeben. Das Problem war, dass die Gebiete des Westens zwischen dem Süden und dem Norden lagen. Aus diesem Grund wurde ein magisches Portal heraufbeschworen, das sie direkt und ohne lange Reise vor das Schloss des Nordens bringen würde. Normalerweise waren die näheren Umgebungen des Herrschaftssitzes eines jeden Youkaiclans gegen Portale geschützt, aber für diesen einen Tag wurde die Barriere fallen gelassen.

Und so stand sie jetzt also hier, mit einem halben Dutzend Dämonen für ihre 'Bewachung' vor einem schwarzen Loch mitten in der Realität, welches sie tausende von Kilometern transportieren sollte. Und sie hatte nicht die geringste Lust, jetzt diesen einen Schritt nach vorne zu tun. Aber sie musste es tun, das wusste sie. So drehte sie sich schweren Herzens noch einmal zum Schloss um, bevor sie schließlich den Kriegern folgte, und durch die schwarz glänzende Scheibe trat, die sie auf das nördliche Schloss bringen würde...
 

*
 

Mehrere Meilen vom Schloss entfernt...

Keisushiro spürte die unendliche Erleichterung, als er begriff, dass es endlich vorbei war. Sein Widersacher war tot. Er hatte das Duell gewonnen!

Der Lord brauchte nicht erst zu der Leiche zu gehen, um es zu überprüfen, seine feine Nase hatte den unverkennbaren Geruch sofort erfasst. Makotoko hatte zu viel Youki aus seinem Körper ausgestoßen, das konnte er gar nicht überleben. Nicht mit diesen Wunden.

Wie auf ein geheimes Kommando hin begannen seine eigenen Verletzungen sich nun wieder mit aller Macht bemerkbar zu machen. Sein Zustand war nicht viel besser als der seines Gegners noch vor einigen Sekunden gewesen war. Aber er würde schon noch durchhalten. Seine Ausbildung hatte unter Anderem auch Heilkunde beinhaltet, er würde sich zu helfen wissen. Zwar müsste er in nächster Zukunft öfter Kämpfen ausweichen – was gar nicht so leicht werden würde, da vermutlich ein Großteil der Bevölkerung jetzt hinter ihm her war - aber das war nichts, was er nicht-

„Hey, du verlauster Sack voll fischgesichtiger Möwenfürze!“

Nein! Das war doch nicht möglich!

Wie ein Zeitlupe erhob sich Keisushiro und drehte sich um. Da stand er. Der Dämon, den er gerade getötet hatte. Er stand da, vor ihm, mit einem Grinsen im Gesicht, welches ihm fast den Schädel spaltete und – er hatte nicht einen einzigen Kratzer!

Das regelrechte Loch im Bauch – weg. Die Wunde an der Schulter – nicht mehr zu sehen. Das zerfetzte Bein – geheilt. Nicht ein Spritzer Blut beschmutzte seine Kleidung, welche nicht im Mindesten zerrissen war. Das war nicht möglich!

„Hast du wirklich geglaubt, du könntest mich besiegen?“, kam es spöttisch von seinem Feind.

„Du... Du bist tot!“, keuchte der Lord und stolperte zurück. Sein Blick flog zu der Leiche, etwa zwanzig Meter weiter weg. Sie war noch da!

„Du bist nur ein Trugbild! Ich habe dich besiegt!“, schrie er nun fast.

„Ein Trugbild? Ich soll ein Trugbild sein? Wenn du meinst. Dann wirst du jetzt aber feststellen müssen, wie real die Schmerzen sind, die dir diese Sinnestäuschung deines umnachteten Gehirns jetzt beibringen wird! Ich werde dir zweigen, wer hier wen besiegt!“ Etwas, das gefährlich nach Wahnsinn aussah, glitzerte in den Augen des Anderen. Er kam mit erhobenem Schwert auf ihn zu.

War das Makotokos Geist? Nein, er war aus Fleisch und Blut, das roch er. Und er spürte auch sein Youki... Warum verdammt war es noch immer so hoch?!

„Verstehst du noch immer nicht? Ich habe dir geschickt eine Falle gestellt und du bist direkt hinein getappt. Genau wie ich es von einem verlaustem Sack voll fischgesichtiger Möwenfürze erwartet habe. Und jetzt werde ich mein Versprechen einlösen“, blanker Hass sprach dabei aus seinem Blick, „und dir einen so dermaßen qualvollen Tod bescheren, dass du dir wünschen wirst, deine Eltern hätten sich niemals kennen gelernt!“ Die letzten Worte schrie er regelrecht hinaus und zum erstem Mal sah Keisushiro, wie seine Augen blutrot aufleuchteten. In diesem Moment gestand er sich ein, dass er noch nie in seinem Leben so viel Angst verspürt hatte.

Plötzlich erschien ihm alles so unwirklich. Der Dämon schien wie in Zeitlupe auf ihn zuzukommen, sein Schwert zum Stoß bereit. Keisushiro wusste, er würde nicht mehr rechtzeitig zur Seite springen können. Das dort war sein Tod, so nah. Er hätte gedacht, dass er noch Zeit hatte...

Der ehemalige Thronerbe wusste nicht, wie Makotoko das hin bekommen hatte, aber scheinbar war der Youkai, den er im Eis gefangen gehalten hatte, nur eine Atrappe gewesen. Eine Atrappe aus Fleisch und Blut, die man hatte töten können, aber dennoch eine Atrappe... Und er war darauf rein gefallen. Mit dem ersten...was auch immer, hatte er sich schon schwer genug getan. Einen zweiten Kampf dieses Ausmaßes würde er nicht durchhalten...

Makotoko hatte ihn erreicht, stieß ihn zu Boden und funkelte ihn aus glühenden Augen an. Er war wie gelähmt, konnte sich nicht bewegen. Aus. Vorbei.

Dann kam der Schmerz. Ein langer Schnitt, der über sein rechtes Bein verlief. Und wieder brannte es so höllisch, als hätte sein Gegner noch zusätzlich Säure in die Wunde gegeben.

Keisushiro zwang sich zu seinem Arm zu sehen und schluckte. Jetzt wusste er auch, wieso er dort keinen Schmerz mehr spürte. Der Arm bestand nur noch aus einem Knochen! Nicht ein Fetzen Fleisch hing noch daran, nur die Hand sah noch verhältnismäßig gesund aus. Sein Körper musste sich vor den Schmerzen geschützt haben, indem er schlicht und einfach diesen Teil seines Körpers betäubte. Bald würde auch sein Bein so aussehen...

„Du verdammtes Arschloch, sieh mich an wenn ich dich in Stücke reiße!“, zischte der Inuyoukai bösartig. Mit festem Griff wurde sein linker Arm gepackt und zu Boden gedrückt. Schwach versuchte Keisushiro noch, sich zu wehren, aber der Dämon setzte ihm geschickt einen Fuß auf den Brustkorb und nagelte ihn so fest.

Hack.

Blut spritzte auf.

„Du bist ein mieses Stück Dreck!“

Tropf. Tropf. Tropf.

Drei Finger hatte er verloren. Er sah sie neben sich im Gras. Doch der Lord zeigte keine Reaktion. Bis der Schmerz kam. Brennend. Reißend. Unüberwindbar.

„Schrei ruhig. Lass es ruhig raus. Hier hört dich ohnehin niemand. Und selbst wenn – wer würde dir schon zur Hilfe eilen?“

Man sagt, im letzten Moment vor dem Tode zieht das ganze Leben noch einmal an eine vorbei. Erinnerungen drängen sich einem auf. Keisushiro ließ es zu.

Sein Leben war nie schön verlaufen. Die Ausbildung zum Fürsten war langwierig und sehr hart. Sein Youkigehalt war nie so hoch gewesen, wie man es bei seiner Geburt erwartet hatte. Er hatte sich seinen Respekt immer hart erkämpfen müssen. Obwohl das viele anders sahen, war ihm nie etwas in den Schoß gefallen. Er hatte für alles kämpfen müssen... Selbst die Stellung als Leithund in seinem Rudel war immer wieder umstritten gewesen.

„Was ist das für ein Gefühl, vom eigenem Vater verabscheut zu werden? Von deinem eigenem Land als Verräter beschimpft zu werden? Schämst du dich?“

Oh ja, sein Vater war der Schlimmste von allen gewesen. Er hatte ihn immer wieder zu neuen Höchstleistungen gezwungen. Egal wie gut er etwas machte, es genügte nicht. Und seine Mutter... Sie stand immer nur daneben und hatte zugesehen. Sie hatte nichts unternommen, wenn er bestraft wurde, wenn er vor den Augen eines Rudels von seinen Lehrern bis aufs Blut ausgeschimpft wurde... Einmal, nur ein einziges Mal hatte er sie darauf angesprochen. Und was hatte sie getan? Sie hatte mit den Schultern gezuckt und gemeint, er müsse halt noch besser werden. Er war damals fast noch ein Welpe gewesen!

Langer, pochender Schmerz zog sich seinen Arm hinauf.

Er hatte sich gerächt. Und wie er sich gerächt hatte! Er wusste, dass sein Vater ihn nie wirklich geliebt hatte. Nicht so, wie ein Vater seinen Sohn lieben sollte. Aber seine Mutter, die hatte ihm viel bedeutet. Und deswegen hatte er sie ihm auch weggenommen...

Hack.

Nein, er würde nicht schreien! Auch wenn der Schmerz absolut unerträglich war. Seine Mutter hatte damals geschrien.

Sie war wieder trächtg geworden. Und er hatte gewusst, sollte dieses Kind ein Junge sein, würde er seinen Posten schnell abtreten müssen. Da hatte er seine Mutter in einen magischen Sumpf gelockt. Das Monster, das dort hauste, hatte sie noch besiegen können, aber dann war sie in dem treibsandähnlichen Schlamm versunken. Er wusste es, er hatte daneben gestanden. Sie war da schon zu geschwächt gewesen... Sie hatte ihn angefleht, ihr zu helfen. Und er hatte sie nur angesehen. Ihr elendes Ende hatte sich auf immer in seinem Gedächtnis eingebrannt. Er hatte nur aus sicherer Entfernung auf sie herab geschaut und hatte keinen Finger gerührt.

Es war eines der wenigen Male in seinem Leben gewesen, in denen er geweint hatte.

Nach seiner Mutter sollte sein Vater folgen. Er hatte sich viele verschiedene Pläne zurecht gelegt, doch keiner erschien ihm wirklich gewinnbringend. Doch dann hatte Ninushu Omaru ihn kurz nach dem Tod seiner Mutter für einige Jahre ins Ausland geschickt, um 'seine Erfahrungen zu erweitern'. Vielleicht hatte er etwas gemerkt... Aber was hinter den Blumen gesteckt hatte, die er von dort mitgebracht hatte, das hatte er bis vor Kurzem nie heraus gefunden...

„Ich will wissen, ob du dich schämst!“

Keisushiro ballte die blutigen Stümpfe, welche einmal seien Hand dargestellt hatten, zur Faust.

Tropf. Tropf. Sein Blut. Es rauschte in seinen Ohren. Floss hinaus aus seinen Adern. Nichts war mehr am richtigen Platz. Er hatte die Kontrolle über die Dinge verloren. Verloren... Versager... Nichtsnutz... Wie oft hatte er das schon gehört?

„Bereue! Bereue all deine Schandtaten, bereue für die Leben, die du ausgelöscht hast!“

Reue... Was brachte das schon? Es half ihm jetzt auch nicht weiter, mit ihm war es doch gleich zu Ende. Es würde seinem Gegner nur Genugtuung bringen. Und das wollte er nicht. Er würde sich keine Schwäche geben. Er war schon immer auf sich allein gestellt und hatte hart trainiert, um möglichst mächtig zu werden. Er hatte alles allein machen müssen und oh ja – das hatte ihn mächtig gemacht. Und zu dem, was er nun war.

Keisushiro wollte etwas sagen, doch er konnte nicht. Er konnte sich nicht einmal bewegen. Noch einmal versuchte er sich aufzurichten, aber Makotoko war einfach zu stark. Wie ein Dämon aus den Legenden. Nein... Eher wie ein Teufel.

Nachdem die Zeit gekommen war und sich der Lord sicher war, dass sein Vater nur noch wenige Jahre zu leben hatte, begann er diesen Krieg zu provozieren. Schon zwanzig Jahre zuvor hatte er einige Überfälle der Streunerrudel oder Beutezüge anderer Rassen auf Hundedämonen des Südens rechtzeitig so manipulieren lassen, dass jeder den Westlern die Schuld gab. Danach war es leicht, einige rachsüchtige Youkai zu finden, die ihre Feinde im Westen suchten und schneller als er es sich zu hoffen gewagt hatte, war der Krieg schließlich hereingebrochen, denn dieses Volk bekam ihren Clanführer zurück und dessen Stolz sah sich natürlich promt mal wieder gekränkt. Hätte er die Sache nur durchziehen können, hätte er allen seine Stärke beweisen können... Niemand hätte ihn mehr für einen Versager gehalten.

„Ich... bereue nichts!“, keuchte er schwer atmend. Er würde sich keine Schwäche geben!

„Du willst nicht?! Du hast ein ganzes Land in den Krieg gestürzt! Dein Land! Nur für ein wenig Respekt hast du unzählige von Leben geopfert! Ich verachte dich so dermaßen! Du bist ein niederer Wurm! Sieh es endlich ein, dein Leben hatte von Anfang an keinen Sinn. Du hast kein Talent für einen Herrscher und dein Vater hat das erkannt! Er hat dich ersetzt durch eine Fremde aus einem anderem Land! Selbst eine Frau kann deinen Job besser erledigen als du!“ Makotokos Wut schien so greifbar, dass Keisushiro tatsächlich für einen Augenblick glaubte, sie sehen zu können. Eine kleine Stimme in ihm fragte sich, warum das so war, warum er sich nicht mehr unter Kontrolle hatte. Was gingen ihn die namenlosen Kriegsopfer an? Einen Dämon kümmerten keine unschuldigen Leben, solange sie für ihn starben. Ihn kümmerten sie doch auch nicht. Als Heerführer hatte man sich nicht darum zu kümmern. Wem das nicht gefiel, der sollte sich bei seinem Vater beschweren. Er hatte ihn so erzogen...

„Was wolltest du überhaupt erreichen? Hä? Wofür hast du gelebt? Was hat dir einen Sinn gegeben? WER hat dir einen Sinn gegeben?“, schrie ihm der Überlegende ins Ohr.

Hack.

Er keuchte auf. Sein Fuß! Er hatte seinen Fuß abgetrennt! Er wollte sich losreißen, konnte es aber nicht. Er war hilflos!

„FÜR WEN HAST DU GELEBT?!“

„AARGH!“ Nein!

Makotoko hatte ihm dieses verfluchte Schwert, das so eine miese Wirkung auf sein Fleisch hatte, direkt durch die Rippen gestoßen, knapp am Herzen vorbei. Jetzt gruben ich seine Krallen in seine Kopfhaut, er riss ihn herum, sodass er an ihm vorbei in den Himmel sehen musste.

„Weißt du eigentlich, was das für ein Gefühl ist, die Person zu verlieren, für die man gelebt hat?“

Wieder wurde er zurückgestoßen, sein Körper fiel schwach zu Boden. Da spürte er plötzlich eine Hand auf seiner Brust und öffnete mit letzter Kraft noch einmal die Augen.

Da saß er vor ihm, sein Feind, der ihm so übel mitgespielt hatte. Sein Tod.

„Siehst du den Himmel?“

Überrascht über die Frage hob Keisushiro den Kopf. Der Himmel... So unendlich und weit. Eine vereinzelte Wolke bahnte sich ihren Weg über den Horizont.

„Es ist ein wunderbarer Tag, nicht wahr?“ Der Ausdruck in Makotokos Augen hatte mit eine Mal jeglichen Wahnsinn verloren. Er wirkte fast sanft... nein, verletzt.

Die Finger auf seiner Brust verkrallten sich, grupen sich über die Schwertwunde durch den Stoff seines Kimonos. Ritzten seine Haut auf. Direkt über seinem Herzen.

„Warum musstest du ihn an einem so wunderbarem Tag töten? Warum ausgerechnet heute?!“

Ein heißer Tropfen fiel auf sein Gesicht. Eine einzelne Träne.

Die Hand des Kriegers durchdrang seinen Brustkorb wie Wasser. Das Splittern seiner Knochen hörte sich so laut an. Keisushiros Augen weiteten sich, fielen fast aus den Höhlen. Und er konnte genau sehen, wie der Hundedämon einen hässlichen Fleischklumpen aus seiner Brust heraus zog, aus dem Unmengen von Blut strömten. Blut. Es floss so schnell. Sein Hand hinab. Auf den Boden. So vergänglich.

Tropf. Tropf.

Sein Herz.

„Warum hast du uns das angetan?!“

Und er drückte zu. Das Blut spritzte weit. Sein ganzer Oberkörper wurde davon besudelt. Sein Blut.

Tropf. Tropf.

Er fiel zurück auf den Boden. Dunkelheit umgab ihn. Vor seinen Augen verschwamm das Bild.

Und er fragte sich:

Wofür habe ich eigentlich gelebt?
 

*
 

Im nördlichem Schloss...

Kuraifaia fühlte sich mehr als fehl am Platz. Sie saß mit gut drei Dutzend anderen Youkai an einer langen Tafel. Die Begrüßungszeremonie im Schlosshof hatte sie gerade noch so überstanden, ohne sich zu blamieren. Ihre 'Eskorte' war in einem extra Trakt untergebracht, aus Höflichkeit war es ihr nur erlaubt, einen 'Leibwächter' mitzunehmen. Da hatte sie sich natürlich promt an Kigiyakana gewandt, damit sie nicht so allein war. Da die ganze Veranstaltung ein Maskenball sein sollte, trug jeder Dämon die Maske seines Clans, in Kuraifaias Fall die eines blauchwarzen Hundes. So konnte man leicht erkennen, welcher Rasse jeder angehörte – auch wenn die meisten dies aufgrund ihrer feinen Nasen nicht brauchten.

Auf der Veranstaltung waren hauptsächlich Hunde anwesend, was bei einem Inuyoukai als Gastgeber auch nicht weiter verwunderlich war. Aber auch Wölfe, Füchse und sogar einige Dachse waren vertreten.

Ninushu Omaru hatte Recht behalten. Nachdem sich alle in der großen Halle versammelt hatten und erste Gespräche angefangen wurden – sie hatte Fürst Arekanderu alles über ihre 'Adoption' erzählen müssen – wurden sie in den Speisesaal gebeten. Und da hatten die Probleme angefangen.

Zunächst einmal war sie nicht sehr erfreut über die Sitzordnung. Rechts von ihr lümmelte der Lord des Norden aus seinem Stuhl – ein rothaariges Kind, das nur Unsinn im Kopf hatte. An ihrer linken Seite beglückte der Fürst des Ostens sie mit seiner Anwesenheit, worauf sie gern verzichtet hätte. Der Typ schien zu den Verschwörungstheoretikern zu gehören und trotz der pechschwarzen Maske die er trug, konnte man erkennen, dass er jeden einzelnen Gast beobachtete. Ninushu Omaru hatte erzählt, dass der Norden in militärischen Angelegenheiten sich sehr zurück hielt, doch der scheinbare Frieden war mit Blut erkauft worden und die Bevölkerung war nicht mehr sehr groß. Der Name ihres Tischnachbars war Maneru und er war hier der einzige Adlige, der keine eindrucksvolle Rüstung trug. Stattdessen hatte er leichte Lederkleidung in Naturfarben an und wirkte damit mehr als alle anderen wie ein erfahrender Krieger, der sich nicht durch überflüssiges Eisen behindern lassen wollte. Eine Waffe hatte er im Moment nicht bei sich, doch Kuraifaia hatte ihn in der Eingangshalle mit einem Beil gesehen, welches fast größer als er selbst war. Die roten Augen unter dem schwarzen Haarschopf huschten immer wieder zu ihr und das machte Kuraifaia nervös. So wurde sie nach außen hin immer ruhiger und gelassener, um sich auch ja nichts anmerken zu lassen. Mit einigen wenigen Seitenblicken versuchte sie, Manerus Alter zu bestimmen, doch da sein Gesicht verhüllt war, stellte sich dies als ein fast unmögliches Unterfangen heraus. Dennoch würde sie ihn ungefähr auf die 1700, also in Menschenjahren etwa Ende Zwanzig schätzen.

Aber der rothaarige, rotzfreche Bengel auf der einen und der Fürst, dessen einziges Bestreben es zu sein schien, einen Mordanschlag auf sich aufzudecken, auf der anderen Seite, waren nicht die einzigen Problemfaktoren, die sie belästigten.

Zwar schaffte sie es irgendwie, auf alle Fragen höflich zu antworten und überall Interesse zu zeigen, ohne weltbewegende Informationen preis zu geben. So kämpfte sie sich mit Stäbchen bewaffnet durch die Vorspeise. Dann aber kam das größte Übel: das Hauptgericht.

Ein schönes, großes, saftiges, blutiges, kurz ein absolut ekelerregendes Steak eines nicht mehr zu identifizierendes Tieres. Traditionellerweise ungebraten. Wunderbar. So viel zum Thema gesundes und vor allem vegetarisches Essen. Kuraifaia saß vor ihrem Teller und starrte das Fleisch finster an – den Brechreiz unterdrückend – als wolle sie es dazu auffordern, sich rasch zwei Paar Beine wachsen zu lassen, über den Tisch zu hoppeln und dem fürstlichem Tunichtgut, welcher in seiner kindlichen Albernheit gerade auf die glorreiche Idee gekommen war, seine Maske als Essteller zu benutzen, in sein ach so niedliches Gesicht zu klatschen.

Wie in Zeitlupe ließ sich – nachdem sie erkannt hatte, dass das Steak nicht gehorchen würde – ihre Blick über die Tafel schweifen, wie um zu überprüfen, ob es jemandem auffallen würde, wenn sie ihre Mahlzeit einem der vielen Hunde, welche überall im Schloss frei herum liefen, übergab. Praktischerweise saß nämlich ein besonders hungrig aussehendes Exemplar unter dem Tisch, direkt zu ihren Füßen. Wie lange würde das Vieh brauchen, um den Brocken zu verschlingen? Würde es jemand bemerken?

Doch das einzige, was sie mit ihrem Zögern erreichte, war, dass Fürst Maneru sie einmal schief ansah, seine Stäbchen beiseite legte und das Essen dann ganz offensichtlich nach Gift prüfte, was ihm einen pikierten Blick von Arekanderu einbrachte, um den er sich allerdings nicht scherte.

Oh was für ein wunderbarer Tag heute doch ist!, dachte sie sich zynisch.

Nachdem sich Kuraifaia seufzend und sich den höflichen Sitten ergebend doch noch dazu entschlossen hatte – entgegen all ihrer naturellen Verhaltensmuster – etwas von dem Zeug runterzuwürgen, musste sie leider Gottes feststellen, dass die Masse nach ihrem Instinkt als Hundedämon doch nicht so widerlich schmeckte, wie sie erwartet hatte – was sie gründlich ärgerte. Doch trotz der Vergewaltigung ihrer Geschmacksnerven ließ sie es sich nach getaner Folter nicht nehmen, sich heißhungrig über die Garnitur herzumachen.
 

Die erste Katastrophenpause gönnte sie sich eine Stunde nachdem das Abendessen beendet war. Sie schaffte es mit einer raffinerten Ausrede, dem Schlossherr zu entkommen und verzog sich in den Garten, welcher an der Westseite des Schlosses angelegt war. Oh wie froh war sie doch, das alle Schlösser immer irgendwie einen Garten hatten! Auch wenn sich der in manch einer düsteren Festung nur in einer Ansammlung von brüchigen Blumentöpfen äußerte, in denen halbverdorrte Giftpflanzen ihre Köpfe hängen ließen.

„Das Leben als Prinzessin ist nicht leicht, stimmt's?“, fragte eine Stimme. Kuraifaia brauchte sich nicht umzusehen, um zu wissen, dass es Kigiyakana war, die ihr gefolgt war.

„Es ist ätzend! Schon allein dieser grässliche Kimono – der hat neun Lagen! Neun!“ Sie stöhnte theaterisch.

Ihre Freundin lächelte.

„Ihr müsst ja auch alles mit einem Mal lernen, Prinzessin Kuraifaia.“

„Wie bitte?!“ Plötzlich glitzerten die Augen der Angeprochenen gefährlich. Sie sprang auf.

„Hör zu, du gehörst zu meinem Rudel, klar? Du bist meine Freundin! Aber wehe dir, wenn du mich noch einmal Prinzessin nennst! Sonst-“, sie grinste dämonisch, „sonst könnte ich in Versuchung gelangen, dich wie eine Dienerin zu behandeln und glaub mir, das täte dir nicht gut!“

Kigiyankana, die schon einen kleinen Schreck angesichts dieser Stimmungsschwankung bekommen hatte, lachte nun aus vollem Hals.

„Ich hab jetzt für einen Moment tatsächlich geglaubt, du würdest mich anfallen, PRINZESSIN Kuraifaia!“

„Du!“ Zähneknirschend stürzte sich Kuraifaia auf die Youkai und warf sie spielerisch zu Boden. Wie lange war es her, dass sie so ausgelassen gewesen war?

„Ah, Kuraifaia, hör auf!“ Verblüfft hielt die Angesprochene inne. Was war denn jetzt los?

Kigiyankana sah sie fast ängstlich an, dann rückte sie schnell von ihr weg und setzte sich auf.

„Hey, was ist los mit dir? Du bist so... anders. Wo ist deine scharfe Zunge ab geblieben?“, fragte die Dämonin ernsthaft besorgt.

„Tut mir Leid... Es ist nur... ich will zur Zeit nicht kämpfen, nicht mal aus Spaß“, erklärte sie betrübt. Kuraifaia machte das berühmte Fragezeichengesicht.

„Wenn du mir jetzt noch sagst, dass du in ein Kloster eintreten willst, erkläre ich dich für komplett durchgeknallt“, versprach sie ehrlich.

Kigiyakana schüttelte den Kopf. „Ich bin nur mitgekommen, weil... Nun ja, in deiner Leibwache werde ich nicht viel zu tun haben, nicht wahr? Wir mussten ja nicht einmal eine längere Reise antreten. Ich wollte mich vor dem Krieg drücken, weil...“ Doch sie brauchte gar nichts mehr zu sagen, denn Kuraifaia sah deutlich, wie sich die Inuyoukai besorgt über ihren Bauch strich und verstand: „Du bist trächtig!“

Ihre Freundin nickte langsam, aber auch irgendwie traurig.

„Okay, jetzt kapier ich deine Stimmungsschwankungen. Aber du kannst noch nicht sehr weit sein, dein Geruch ist noch immer wie sonst“, sagte Kuraifaia, „Aber sag mal... wer... und wann?“

Kigiyakanas Gesichtsausdruck verfinsterte sich.

„Vor zwei Wochen... Ich war in Hitze und Rakuna, dieser schamlose Mistkerl, hat das eiskalt ausgenutzt!“, meinte sie zähneknirschend.

„Ah... Warum nur hab ich das schon geahnt?“ Sie lächelte zynisch. Kuraifaia wusste durchaus, dass eine Hundedämonin wenn sie in Hitze war, sich so gut wie gar nicht mehr auf ihre Sinne verlassen konnte, wenn sie einem Rüde gegenüberstand. Man war hilflos gegen Annährungsversuche, mehr noch, der Instinkt verleitete einen dazu, sie sogar zu erwidern. Im Gegenzug konnte der männliche Partner sich auch nicht mehr wirklich beherrschen, allerdings war es bei ihm nicht ganz so schlimm wie bei der Hündin. Meist kämpften die stärksten Inuyoukai um die Frau und der Gewinner... bekam sie dann. Und Rakuna war natürlich der stärkste Hund im Rudel, deswegen war er ja auch der Leithund. Er hatte sicher nicht sehr viele Gegner gehabt, hatte er doch Kigiyakana schon immer behandelt, als ob sie bereits seine Gefährtin wäre.

Wenn zwei Hundedämonen ein Paarungsritual vollzogen, während die Hündin in Hitze war, lag die Wahrscheinlichkeit, dass diese trächtig wurde, sehr hoch. Inuyoukai trugen auch nicht so lange wie die Menschen aus, aber auch nicht so kurz wie die Hunde. Im Normalfall betrug die Zeit etwa fünf Monate, doch das kam immer auf das Youki der Eltern an.

„Weißt du... ich hab echt überlegt ob ich das... Das Ding in mir umbringe. Ich hab mich kundig gemacht. Es gibt viele Möglichkeiten, bei denen mein eigener Körper keinen Schaden nimmt“, sagte die Youkai.

„Aber...“, Kuraifaia legte die Stirn in Falten, „du hast's nicht getan. Du... du willst den Welpen, nicht wahr?“

Die Angesprochene senkte den Kopf. „Ich schäme mich fast ein bisschen, in solchen Zeiten einen Welpen zur Welt zu bringen. Ich meine – es ist Krieg, oder? Wer garantiert mir, dass das Kleine nicht ohne Eltern aufwächst? Du weißt, wie es Kôgyoku ergangen ist...“

Kôgyoku, das jüngste Mitglied des Rudels. Er war noch ein Welpe, doch er hatte keine Eltern mehr. Das ganze Rudel hatte ihn aufgezogen, aber... Er war immer etwas seltsam gewesen. Zu ernst, zu abweisend, zu... erwachsen. Er war auf eine Art vernünftig und intelligent, wie es kein Kind jemals sein sollte.

„Ich hab nichts gegen Welpen, echt! Aber sieh mal... ich kann's mir nicht leisten, verstehst du? Ich weiß doch auch gar nicht, wie ich mit so einem kleinen, widerspenstigem Vieh umgehen soll.“

„Ach komm schon! Die ersten paar Jahrzehnte bleibt er sowieso in seiner wahren Gestalt, und da ist die Pflege gar nicht so schwer. Und danach kannst du dir ja auch vom Rudel helfen lsssen. Und wenn es ganz schlimm wird...“, murmelte sie.

„Was dann?“

„Naja, wenn es dich beruhigt... dann werd' ich Pate für dein Kind, okay?“, schlug sie lächelnd vor.

„Pate? Was ist das?“ Nun war es Kigiyakana, die das Fragezeichengesicht machte.

„Nun, das ist jemand, der sich um das Kind kümmert, wenn weder Eltern noch Verwandte da sind, um das zu tun. Da ich ja Prinzessin bin, könnte ich ihm sicher eine gute Aubildung gewährleisten. Ich würde ihn wie mein eigenes Kind behandeln... Und wenn ich Glück habe und ewig alleinstehend bleibe, dann habt ihr eben da euren neuen Lord. Vorausgesetzt, er erklärt sich bereit, nach ein paar Jahrtausenden... - Ah, aber davon werd' ich ihm abraten.“

„Das... Das hört ich gut an. Es wäre toll, wenn du mir diese Last von den Schultern nimmst. Dann weiß ich, dass da jemand ist, wenn.. wenn ich nicht mehr sein sollte. Immerhin, wenn ich den Welpen nur Rakuna überlasse, wird er noch größenwahnsinnig!“ Sie kicherte. „Dieser Brauch stammt doch von den Menschen, nicht wahr? Ha, er wird der erste Welpe in der Geschichte sein, der eine Patin hat! Eine Adoptivmutter von Geburt an... sein Papi wird sich wundern. Entscheiden werde ich ihn in dem Punkt nicht lassen, der wird einfach nicht gefragt“, lachte Kigiyakana.

„Übrigens, weiß Rakuna schon von seinem Glück?“, fragte sie hinterhältig grinsend.

„Du spinnst wohl?! Das war doch der zweite Grund, warum ich in deine Leibwache eingetreten bin! Ich werd' dem doch nicht jetzt schon unter die Nase binden, dass er Erfolg hatte! Das war es doch nur, was er erreichen wollte...“, erwiderte sie zornig.

„Aber bei eurer nächsten Begegnung könnte es durchaus schon sein, dass man es riechen kann...“, warf die Prinzessin ein.

„Bei 'unserer nächsten Begegnung', werde ich Rakuna gründlich den Kopf waschen! Dieses schwanzgesteuerte Kleinhirn ist nicht mehr wert als ein Haufen Katzenscheiße! Der Welpe wird schon ohne seinen Papa zurecht kommen und wenn ich Glück habe, ist es ja ein Mädchen...“ Da war sie wieder, die energiegeladene Kigiyakana, die sie kannte!

„Weißt du, das zwischen euch hört sich echt an wie wahre Liebe!“, lachte Kuraifaia.

„Oh, du!“ Jetzt war Kigiyakana, die aufsprang und die noch immer lachende Kuraifaia zu Boden stieß.

„Sag das noch mal und ich verpasse dir einen wunderschönen Bluterguss in dein ach so fürstliches Gesicht, Prinzessin!“

Die 'Prinzessin' fing den Schlag ab und beendete die kleine Rauferei, indem sie sich aufsetzte.

„Pass auf, ich wünsch dir, dass du bei deiner nächsten Hitze von einem richtig hässlichen Kerl angefallen wirst!“, knurrte die Leibwächterin böse.

Die so Verfluchte grinste nur munter. „Vergiss es, ich werde nicht so hilflos sein.“

„Warum nicht?“

„Ganz einfach: Ich habe meinen Gefährten schon gefunden“, meinte sie überzeugt, doch innerlich lief ihr ein Schauer über den Rücken.“Wie meinst du das?“ Ihre Freundin machte große Augen.

„Naja, ich bin bereits verlobt und da sich dieser Kerl aus dem Staub gemacht hat, brauch ich weder ihn, noch irgendjemand andern zu fürchten. Aber...“, Plötzlich wurde ihr Blick wieder ernst, fast traurig, „irgendwann wird die Verlobung wohl gewaltsam und ohne die jeweilige Zustimmung – schließlich hab ich keine Ahnung, wo er ist – gebrochen werden, damit ich... für politische Zwecke einen anderen Mann erwählen kann...“ Einerseits war sie froh über die Sache mit der Hitze, würde sie sich in dieser Zeit doch besser unter Kontrolle haben als die meisten. Zudem hatte sie noch nie eine Hitze, waren die letzten doch in eine Zeit gefallen, in der ihre Kräfte versiegelt waren und somit nicht wirksam. Andererseits stieß sie die Vorstellung, eine Mann zu heiraten, den sie vielleicht seit gut einer Woche kennen würde, auch noch gehörig ab.

„Du... Du bist noch so eine, die an echte Liebe glaubt, nicht wahr?“, fragte Kigiyakana

„Ah... ja, so könnte man es nennen“, war die Antwort.

„Vergiss es.“ Die Youkai bekam wieder diesen seltenen, aber ernsten Ausdruck in den Augen, „Nicht wir Frauen bestimmen, wer unser Gefährte wird. Es basiert letztendlich alles auf Glück. Wenn wir Pech haben, kriegen wir einen brutalen, hässlichen Kleindämon. Wenn wir Glück haben, einen gutaussehenden, mächtigen Youkai. Allein schon wenn es ein Hundedämon ist, können wir froh sein. Sollte uns dieser dann auch noch lieben und sich keine weiteren Frauen holen, haben wir wirklich schon unverschämtes Glück. Aber das heißt nicht, dass wir ebensolche Gefühlte für ihn empfinden müssen. Wenn wir es doch tun, werden sie wiederum nicht erwidert. Der Fall, den du dir wünscht... den gibt es so oft wie Fische in der Wüste.“

„Ich weiß, dass man sich bei ein wenig gegenseitiger Zuneigung schon glücklich schätzen kann, vor allem in meinem Stand. Aber trotzdem... Weißt du, mein früherer Verlobter hat mich geliebt. Und... ich... Aber das ist Vergangenheit und ich habe damit abgeschlossen.“, Sie zuckte mit den Schultern, „Es sollte wohl einfach nicht sein.“

„Du... Du irrst dich“, meinte Kigiyakana auf einmal.

„Was?“

„Du hast noch nicht damit abgeschlossen“, meinte sie fest und sah ihr dabei ins Gesicht.

„Woher willst du das wissen?“

„Ich habe es von Anfang an gespürt, als du in unser Rudel gekommen bist. Du trägst einen großen Schmerz mit dir rum... Du hast ein Problem, welches du nicht bewältigen kannst. Eine Traurigkeit... Du konntest sie nicht loswerden und du wärst auch bestimmt daran zerbrochen. Aber es muss irgendwas passiert sein, was deine Instinkte geweckt hat. Dein Youki hat reagiert... Es hat diese Gefühle tief in dir eingeschlossen, hält sie gefangen und versiegelt. Aber das Siegel ist undicht und manchmal strömen die Gefühle heraus... nicht wahr?“ Dieser Blick... Keine Spur von Sarkasmus.

„Woher weißt du das?“, fragte Kuraifaia und wusste instinktiv, dass es wahr war. Kurz nach Sesshoumarus Zurückweisung war ihr Youki erwacht, hatte sie in einen Dämon verwandelt. Es mochte gut möglich sein, dass ihre dämonische Energie sie vor dem Zusammenbruch bewahren wollte und selbstständig gehandelt hatte. Das würde auch erklären, warum sie doch so relativ schnell über seinen Verlust hinweg gekommen war.

„Es ist uralte Magie... Ich kenne mich da ein wenig aus. Ein Schutzmechanismus... den man selbst nicht kontrollieren kann. Du liebst diesen Kerl, nicht wahr? Aber aus irgendeinem Grund konntet ihr nicht zusammen sein, vielleicht weißt du den Grund nicht einmal selbst und ich will ihn jetzt auch gar nicht hören. Ich möchte dich lediglich warnen. Du solltest so etwas wie ein Training anfangen, tiefe Meditation ist am besten. Versuche dieses Gift in dir loszuwerden. Setze dich mit den Problemen auseinander, auch wenn es weh tut, die alten Wunden wieder aufzubrechen. Stell es dir wie eine eitrige Verletzung vor. Du musst den Störenfried aus deinem Herzen herausschneiden, bevor du daran zugrunde gehst. Aber... Lass dir Zeit bis nach dem Krieg. Sonst fehlt dir ohnehin die nötige Konzentration. So etwas braucht Zeit... Viel Zeit. Allerdings solltet du wissen, dass in diesem besonderen Fall - schließlich seit ihr noch immer verlobt - sofern dein Geliebter nicht tot ist – alle Arbeit umsonst sein wird, solltest du ihn nochmal treffen. Dann werden alle deine Gefühle von Neuem erwachen. Glaub mir, hätte dein Youki nicht reagiert, wärst du jetzt ein jammerndes Häufchen Elend, das sich nach seinem Gefährten verzehrt... Vorausgesetzt, du hättest noch nicht Selbstmord begangen. Das wäre der normale Verlauf: Kein Hundedämon kann mehr als ein paar Jahre ohne den Gefährten leben. Was glaubst du sonst, warum der Eine dem Anderen manchmal in den Tod folgt? Natürlich nur in den seltenen Ausnahmen, in denen eben solche Liebe vorherrscht...“

Das war so ziemlich die längste Ansprache, die Kuraifaia jemals von ihr gehört hatte...

„Eigentlich hatte ich vor, ihn bei unsere nächsten Begegnung – sollte diese jemals kommen – einfach zu töten...“

Kigiyakana schüttelte den Kopf. „Das würde es nur noch schlimmer machen. Wenn du dich nicht vorher mit ihm aussprichst, kann selbst dein Youki nicht die ganzen Schuldgefühle von dir fern halten. Am besten ist es, du vermeidest einen Kampf mit ihm.“ Jetzt lächelte sie wieder, „Ich hoffe für dich, dass dein Geliebter keine weißen Haare hat!“

Sie sah ihre Freundin schief an. „Wieso?

Kigiyakana lachte. „Weißt du das denn nicht? Alle Westler haben weiße Haare!“
 

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Ich denke, dass nach diesem Kapitel einige Erklärungen notwendig sind und ich werde mich bemühen, sie alle in das nächste Kapitel zu quetschen. Also, stellt schön viele Fragen!

Was die Sache mit Makotoko angeht so hoffe ich, dass ihr heraus gefunden habt was da genau passiert ist. Es waren ja nun genug Hinweise da. Wenn ihr es dennoch nicht wisst, auch nicht so schlimm. Ihr könnt euch ja trotzdem mal versuchen und einfach ins blaue hinein raten. Vielleicht liegt ihr ja richtig! Ich hör mir gerne all eure Vorschläge an.

Übrigens: *Umfrage mach* findet ihr es gut, bzw. würdet ihr es gut finden, das/wenn Makotoko stirbt? Mögt ihr den Charakter oder könnt ihr ihn nicht leiden? Was ist mit Keiushiro?

Ich habe versucht klarzustellen, dass es hier kein 'Gut' und 'Böse' gibt. Es sind verschiedene Partein, von denen auf die eine oder andere Weise jeder recht hat.

Der Trick eines Genies

Wie ist es möglich, dass Makotoko noch am Leben ist? Oder anders gefragt: Ist er es denn wirklich?

Makotoko hat einen Trick angewendet, der undurchschaubar erscheint und auch seine Schwester Mitsura hat einen fiesen Plan ausgeheckt und das frevelhafterweise hinter Sesshoumarus Rücken! Was für eine raffinierte Familie...
 

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Kuraifaia bedauerte zum ersten Mal, seit sie denken konnte, dass Youkai nicht zu schlafen brauchten. Das hatte nämlich den Nachteil, dass sie nach dem kleinen Gespräch mit Kigiyakana wieder zurück in den Festsaal musste, da die Abendgesellschaft bis zum Nachmittag des nächsten Morgens dauern sollte. Sie erinnerte sich auch wieder an den Auftrag, hier Verbümdete für den Krieg zu suchen. Jedoch war klar, dass sich die Hundefürsten Maneru und Arekanderu auf keine der beiden Seiten stellen würden. Keiner von beiden wollte zwischen die Fronten geraten. Aber davon einmal vollkommen abgesehen, war ihre Konzentration ohnehin schon im Eimer. Alle Westler haben weiße Haare... Das hatte Kigiyakana gesagt. Und sie zweifelte auch nicht an der Richtigkeit dieser Worte. Das bedeutete, Sesshoumaru war ihr Feind. Nach seiner Stärke zu urteilen war er dort vielleicht sogar ein hohes Tier... Wenn auch ohne Rudel.

Die Erkenntnis schmerzte. Erst hatte sie versucht, sich damit abzufinden ihn nie wieder zu sehen. Das war schwer genug gewesen. Noch schwerer war es, sich dazu druchzuringen, ihn zu töten, ihn für immer aus ihrem Leben zu verbannen. Jetzt aber, nach dem Gespräch mit Kigiyakana, sah die Sache schon wieder anders aus. Ihre Freundin hatte vorausgesagt, sie solle ihn nicht töten, sonst würde sie an den folgenden Schuldgefühlen zerbrechen. Und tatsächlich, gab sie sich zu, wenn es wirklich stimmte, dass ihre Gefühle beim nächsten Zusammentreffen wieder hervorbrechen würden, dann hatte sie schlechte Karten einen Kampf mit ihm überhaupt zu gewinnen. Aber sie konnte doch nicht einfach aufgeben... Nein, sie konnte es nicht akzeptieren. Sie war nicht mehr die junge Dämonin, dessen Fähigkeiten noch immer versiegelt waren. Sie war mächtig geworden... Verdammt noch mal, sie war die Thronerbin des Südens! Sie war sich sicher, auch gegen Sesshoumaru bestehen zu können. Dennoch war sie inzwischen klug genug, eine direkte Auseinandersetzung zu meiden. So kam ihr die Tatsache das Sesshoumaru ein Dämon aus dem Westen war, rein vom gesunden Verstand her recht gelegen. Es stieg ganz einfach die Wahrscheinlichkeit, dass er in irgendeinem Gefecht sein Leben ließ. Als Prinzessin brauchte sie so nur dafür sorgen, dass der Süden gewann. Dann bräuchte sie überhaupt nicht gegen ihn antreten. Es wäre doch perfekt - oder? Was konnte ihr Besseres passieren? Sie brauchte sich praktisch keine Sorgen mehr zu machen. Ja, das wäre alles schön und gut... würden nicht schon jetzt wieder diese dreimal verfluchten Gefühle in ihr hochkommen. Schon jetzt, wo sie nur an ihn dachte. Sein Gesicht, sie sah es vor ihrem inneren Auge. Seine silbernen Haare, den tiefblauen Mond auf seiner Stirn. Die kalten, grausamen Augen, die sie doch manchmal mit Wärme oder gar Leidenschaft ansahen. Nur einmal... Nur ein einziges Mal gestattete sie sich, in diesen Erinnerungen zu schwelgen. Nur ein einziges Mal... Und dann nie wieder!

"Prinzessin Kuraifaia?" Etwas zupfte an ihrem Kimono. Die Youkai wandte verblüfft den Blick nach unten, als sie das hohe Stimmchen vernahm. Vor ihr stand eine kleine Gestalt in einem hübschen, grünen Kleid, das mit kostbaren Steinen verziert war. Ihre feuerroten Haare waren zu einer kunstvollen Frisur hochgesteckt. Die kleinen Hände verrieten ihre Jugend und das Fehlen von Blasen, Schwielen, oder Hornhaut sagte ihr, dass das Mädchen auch keine körperliche Arbeit verrichten musste. Doch die Maske die es trug, sagte am meisten aus. Es war die eines Fuchses.

"Su-Suchitori?", sagte Kuraifaia höchst überrascht.

"Ah! Ihr seit es wirklich!" Lächelnd entfernte die Kitsune ihre Maske.

Darunter kam das bekannte Gesicht zum Vorschein.

"Ich wusste gar nicht, dass ihr hier seid! Los, kommt mit, ich stelle euch meinem Vater vor!", sagte die Kitsune erfreut und schon zog sie die Inuyoukai hinter sich her.

"Ah, halt Suchitori! War dein Vater nicht... War er nicht ein Fürst?", fragte sie sicherhaltshalber noch einmal nach.

"Ja, Fürst Shaitoto ist mein Vater. Er freut sich bestimmt, dich kennen zu lernen!"

Na die hat ja ein sonniges Gemüt., dachte sich Kuraifaia sarkastisch. Wunderbar, jetzt wurde sie erneut in langweilige Debatten mit irgendwelchen Fürsten hinein gezogen... Konnte dieser Tag noch ätzender werden?
 

*
 

Im Westen...

"Es wäre sehr freundlich von dir, wenn du mir endlich deinen Plan erklären würdest", knurrte der alte Dämon böse. Er hatte es satt, nur zu warten und im Unklaren zu bleiben!

"Es ist alles zum Wohle des Westens, Kurudenka!", war die Antwort. Was für ein freches Biest! Aber leider war sie höchst begabt, da konnte man nichts machen.

"Heh, du Weib! Was auch immer du für einen Plan hast, ICH bin der Anführer der Shirosendo. Du hast die Pflicht, es mir zu sagen!" Sein Blick flog unruhig umher. Überall waren riesige, weiße Dämonenhunde zu sehen, jeder so groß wie die umstehenden Bäume. Zwischen ihnen bewegten sich eine Menge menschlicher Diener, die riesige Bündel an speziellen Tragegestellen befestigten, welche die Youkai sich umgeschnallt hatten. Hier war eine ganz spezielle Mission im Gange. Und er hatte keine Ahnung, welche!

Er seufzte schwer. "Weiß denn der Lord davon?", fragte er geschlagen.

"Er wird es zu gegebener Zeit erfahren", erwiderte das freche Luder.

"Was...?!" Dieses Weib handelte auf eigene Faust?! Wie zum Teufel war es ihr nur gelungen, dass sämtliche Shirosendo ihr so bedingungslos und ohne Widerrede gehorchten?! Ohne das er es mitbekommen hatte?

"Aber wir müssen sofort-"

"Ach, Kurodenka!" Die junge Frau beugte sich ganz nah zu ihm und sah ihn aus ihren violetten Augen bittend an. "Bitte, bitte, lasst mich dieses eine Mal doch die Führung übernehmen! Ihr werdet es nicht bereuen. Es soll doch eine Überraschung für den lieben Lord sein..."

Kurodenka spürte eine plötzlich aufwallende Hitze in sich und auf ihm unerklärliche Weise landete sein Blick in dem Ausschnitt der Dämonin. Oh ja, sie hatte wirklich eine gute Figur!

"Was ist nun, Kurodenka? Ihr werdet doch sicher einem begabten Neuling wie mir gestatten, ein wenig Erfahrung zu sammeln, oder? Bitte verderbt mir nicht die Überraschung." Ihr Blick! Oh ihr Blick, wer schmolz da nicht dahin?

"Sicher, sicher...", murmelte der alte Dämon, abgelenkt von diesem intensiven Geruch, der ihm plötzlich in die Nase stieg und ihm wortwörtlich das Hirn vernebelte. Bei Kami, roch das gut!

Ruckartig richtete sich die Weißhaarige auf. "Sehr gut, dann wäre das abgemacht." Augenblicklich war ihr Blick wieder kalt und abweisend und sie ging an ihm vorbei, als wäre er ein Hutständer. Was zur Hölle...?

Kurodenka schüttelte einmal den Kopf, um das taube Gefühl darin loszuwerden. Warum bitte hatte er da gerade ja gesagt?! Er wusste noch nicht einmal, wofür er seine Zustimmung gegeben hatte! Was hatte ihn denn da bloß geritten? Ob das das Alter war...? Nein, er war doch nicht senil!

Schlagartig war der alte Groll gegen Mitsura wieder da. Sie war ein Genie, ja, aber ein gefährliches!
 

*
 

Einige Stunden später, im südlichem Schloss...

"Das hast du gut gemacht, Kuraifaia!"

"Danke. Aber im Grunde habe ich nicht wirklich viel getan...", tat die Angesprochene das Lob ab. Dennoch konnte sie nicht umhin, ein wenig stolz auf sich zu sein.

"Nein, nein, du hast Großartiges geleistet! Wir haben einen Nichtangriffspakt mit den Kitsunes und auch im Handel und Finanzen waren sie schon immer Verbündete. Aber es ist für gewöhnlich keine Rasse, die gerne Krieg führt. Dass du Fürst Shaitoto überreden konntest, uns Krieger gegen den Westen zu geben - einem Krieg, der sie eigentlich nicht das Mindeste angeht - ist schon ein Sieg für sich", meinte Ninushu Omaru überzeugt.

"Die kleine Suchitori hat mir sehr dabei geholfen. Sie war ja für kurze Zeit hier auf dem Schloss, da habe ich sie kennengelernt. Sie scheint mich sehr zu mögen und legte deshalb ein gutes Wort für uns ein...", erzählte Kuraifaia mit den Gedanken schon wieder woanders.

"Die Fuchsdämonen sind so schlau wie sonst selten eine Rasse. Sie sind erstklassige Strategen und exellente Fallensteller. Ich zweifle nicht daran, dass sie nur eine kleine Truppe schicken werden. Vielleicht zehn oder zwanzig Füchse. Keine Krieger, sondern Denker. Und davon nur die besten... Du hast dem Süden einen großen Gefallen getan, Kuraifaia!", sagte ihr Adoptivvater nochmals.

Die Youkai gab es auf, seine Euphorie eindämmen zu wollen und zuckte innerlich mit den Schultern. Sie hoffte nur, dass die Kitsune-Krieger tatsächlich so gut waren. Gerüchten zufolge waren sie Meister der Illusionen und konnten mit ihren Zaubern selbst den stärksten Krieger in die Knie zwingen. Das war sicher eine Vorstellung wert. Es würde dem Süden den Sieg bringen. Und Sesshoumaru hoffentlich den Tod!

Wieder dieses schmerzhafte Ziepen, dieses Protestieren ihres Herzens, diese schlafende Angst in ihr. Aber noch triumphierte ihr Verstand über ihre Gefühle.

Kuraifaia sah auf, als sie plötzlich eine fremde Aura spürte. Es war so Sitte, dass jemand, der eine Nachricht für den Fürsten hatte, vor der Schiebetür des Zimmers niederkniete. Durch ihr feines Gespür bemerkten dies die Dämonen natürlich sofort und konnten den Botschafter herein rufen, wann sie wollten.

Auch des Fürsten Aufmerksamkeit war nun abgelenkt.

"Was ist los?", fragte er laut. Die Tür schob sich zur Seite und ein dämonischer Diener kam zum Vorschein. Er verbeugte sich einmal und kam dann langsam auf sie beide zu. Kurz vor ihnen warf er sich erneut auf den Boden und bat stammelnd um Entschuldigung für die Unterbrechung. Kuraifaia rollte nur mir den Augen. Sie konnte dieses Rumgerutsche auf dem Boden nicht leiden. Am Anfang war es ja noch ganz schmeichelhaft gewesen, aber jetzt nervte es einfach nur noch.

"Mein Fürst... Wir fanden diesen Zettel, an die Prinzessin adressiert, im fürstlichen Garten..." Er überreichte mit zitternder Hand das Papier dem Fürsten. Kurz war Kuraifaia beleidigt, dass man ihre Post nicht ihr persönlich gab, doch es war eigentlich klar, dass die Diener so handelte, wenn vor ihm der Fürst der südlichen Länder saß. Trotzdem!

Die junge Frau beobachtete Ninushu, welcher gerade die Nachricht durchlas. Sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich.

"Der Zettel war mit einem Messer an einen Baum gepinnt, an welchem man nur vorbei kommt, wenn man zum Fürstentrakt möchte oder diesen verlässt. Eine Wache fand ihn. Wegen dem Inhalt hielten wir es für notwenidig, sie zu informieren...", berichtete der Dämon.

Ninushu Omarus Miene verschloss sich, als er wortlos das Papier Kuraifaia reichte und sagte: "Du kannst gehen." Sofort verschwand der Angesprochene.

Die Prinzessin jedoch widmete ihre Aufmerksamkeit nun dem Inhalt der Nachricht:
 

»An Prinzessin Kuraifaia:

Ich erwarte dich noch heute, um Mitternacht, am Hamasaki-See. Bring keine Begleitung mit.

Wenn du nicht kommst, wirst du es bereuen!

Ein Bekannter«
 

„Wer auch immer diese Nachricht geschickt hat, er muss sehr in Eile gewesen sein. Die Schrift ist nur hastig hingeschmiert und der Inhalt ist auch nicht sehr intelligent“, meinte Ninushu Omaru abfällig.

„Das... Das ist...“ Kuraifaia brachte für einen Moment kein Wort heraus und starrte nur auf die Schrift.

„So eine Drohung ist albern. Es gibt absolut keinen Grund, in eine so offensichtliche Falle zu gehen. Vielleicht ist es ein Plan der Westler. Auch wenn das ein ziemlich plumper Plan ist. - Kuraifaia?“ Der Fürst schaute überrascht zu der Prinzessin, dessen Hände, die das Papier hielten, leicht zitterten.

„Ich werde hingehen. -Wie spät ist es?“, fragte sie entschlossen.

„Was... Was soll das, du-“

„Ich erkenne diese Schrift! Diese Nachricht hat mein Bruder geschrieben. Die Drohung am Ende sollte wahrscheinlich versichern, dass die Nachricht auch wirklich zu mir durchkommt und nicht vernichtet wird und in Vergessenheit gerät. Wenn er mir solch eine Botschaft auf diesen Weg schickt, heißt das entweder, dass er mich nicht in der Öffentlichkeit, sondern mehr oder weniger im Geheimen sehen will – dafür spricht auch die Warnung, ich solle ohne Begleitung kommen – oder aber ihm ist etwas passiert und er hat einen Boten geschickt. Er hätte nähere Informationen geschickt, wenn es nicht wichtig wäre...“, erklärte Kuraifaia aufgeregt.

„Du...hast einen Bruder?“ Davon wusste der Fürst noch gar nichts.

„Natürlich! Ich habe auch noch andere Geschwister. Meine Eltern leben in einer anderen Zeit... Wie auch immer, ich mache mir etwas Sorgen um Makotoko. Als ich ihn zum letzten Mal sah, war ich stinkwütend, weil er sich schon wieder in mein Leben einmischte. Aber ich hab mich beruhigt, und... Das hier klingt wirklich ernst“, murmelte sie.

„Aber was ist, wenn dein Bruder-“

„Was?!“, zischte die Youkai aufgewühlt.

„Wir befinden uns nun einmal im Krieg. Die nächste Schlacht wird bereits vorbereitet, in ein paar Tagen schon ist es soweit. Die Dämonen haben ihr Lager bereits aufgeschlagen. Es wäre doch möglich, dass dein Bruder...“, versuchte der Fürst einzuwerfen.

„Was? Ihnen in die Fänge gegangen ist? Nein, bei allem Respekt, aber ihr kennt meinen Bruder nicht. Das hier hat er geschrieben und niemand könnte ihn dazu zwingen, mich in eine Falle zu locken. Ich werde dort hingehen – jetzt. Allein“, sagte sie und wandte sich bereits in Richtung Tür.

„Ich halte das für keine gute Entscheidung!“ Ninushu Omaru war ernsthaft besorgt.

Kuraifaia drehte sich noch einmal um. „Es wird nicht allzu lange dauern. Und wenn doch, möchte ich trotzdem nicht, dass mir jemand folgt. Geht das in Ordnung?“ Diese Frage war pure Höflichkeit, entschieden hatte sie schon längst.

„Nun gut, du sollst deinen Willen haben. Aber beeil dich und... komm wohlbehalten wieder zurück, ja?“, erwiderte Ninushu müde.

Die Dämonin lächelte. „Ja... Das werde ich.“
 

*
 

Einige Stunden später an der Grenze...

Mitsura sah hoch zum Himmel. Die Dämmerung hatte eingesetzt, gleich würde es dunkel sein. Perfektes Timing. Sie wandte den Kopf und sah zu den rund fünfundzwanzig weißen Dämonenhunden hinter sich. Wie sie selbst hatten die Youkai ihre wahre Gestalt angenommen und die selbsternannte Anführerin war nun mehr als froh, dass sie daheim nicht nur ihre Haare in der menschlichen Gestalt, sondern auch ihr Fell in der dämonischen hatte färben lassen. Anders wäre sie unter den Shirosendo aufgefallen wie der sprichwörtliche bunte Hund.

Neben ihr stand ein mächtiger, grauweißer Hund mit müden Augen, der eigentliche Anführer ihrer Truppe, Kurodenka. Heute aber hatte sie das Sagen.

Die Eliteeinheit des Westens sah jedoch nicht ganz so bedrohlich aus wie sonst. Ihr Fell sah aus, als wäre es dunkel gesprenkelt, denn überall in den langen Haaren waren stark riechende Kräuter verknotet, die ihren Geruch mit der Natur verschmelzen ließen. Außerdem trug jeder Dämon ein ledernes Tragegeschirr mit riesigen Stoffbündeln dran, so wirkten die mächtigen Youkai eher wie Packesel. Ein weiterer Beweis ihrer Vorbereitung auf diesen Tag bewies das seltsame Gebilde aus Holz und Seilen ein paar Meter weiter vorne, das einem kleinem Katapult glich.

Es hatte auch eine ganze Weile gedauert, bis Mitsura alle dazu überredet hatte, bei ihrer Aktion mitzumachen. Aber die männlichen Hunde hatte sie alle sehr schnell rum und die Hündinnen schlossen sich irgendwann ergeben der Mehrheit an. Dennoch hatte die Youkai nicht alle Shirosendo mitgenommen, eben nur ein paar ausgewählte Dämonen, so viele, wie sie eben brauchte.

Noch einmal prüfte sie den Wind und stellte zufrieden fest, dass ihre Berechnungen wohl zutreffen würden. Dann ruckte sie einmal mit dem Kopf nach links, wo sich die Ufer eines tiefen Sees befanden. Das Rudel setzte sich in Bewegung.
 

Die Nacht war ruhig und das Plätschern der vielen Pfoten, die langsam ins Wasser glitten, war das einzige Geräusch. Die Giganten verschwanden alle bis zu den Köpfen unter der Oberfläche, holten Luft und tauchten dann unter. Auch Mitsura machte sich ans Werk. Wenn sie den Weißen Tod übernehmen wollte, musste sie mit gutem Beispiel voraus gehen. So trug auch sie mehrere Bündel mit allerlei Sachen bei sich und begab sich nun in das eisige Reich, dessen Kälte sie durch ihren dicken Pelz allerdings nicht spürte. In ihrer wahren Gestalt konnte sie bis zu zwei Stunden lang unter Wasser atmen, aber so viel würde sie gar nicht brauchen. Bis auf Kurodenka, der inzwischen zu alt für solche Spielchen war und am Ufer zurückblieb, befanden sich nun alle Shirosendo in dem kühlen Nass.

Mitsura tauchte ab und ließ sich nach unten sinken. Zum Glück war dieser See tief genug für ihre wahre Gestalt. Sie paddelte zunächst ein wenig mit den Beinen, um ein Gefühl für das Wasser zu bekommen, dann strebte sie auf den Grund zu. Nur ihrem Dämonendasein verdankte sie, dass sie in dieser völligen Dunkelheit überhaupt noch etwas erkennen konnte. Unten angekommen sah sie bereits einige Shirosendo, die mit messerscharfen Zähnen an ihren Gestellen nagten. Sie tat es ihnen gleich und innerhalb von Minuten lag ein Großteil der Bündel vor ihr im Sand. Den Rest würde sie später brauchen. Mit mächtigen Pranken riss sie den Stoff auseinander. Darin lagen viele, gläserne Behältnisse, in denen sich nichts zu befinden schien.

Mitsura beugte sich herab und griff mit den Zähnen nach den Enden der fünf Bündel, was einige Zeit beanspruchte. Nachdem sie alle sicher im Maul hatte und sich in der Nähe eines großen Felsbrockens postiert hatte, sah sie sich um. Viele Shirosendo waren noch nicht fertig, also wartete sie.

Nach einer Viertelstunde hatte sich auch das letzte Augenpaar ihr zugewendet, alle Muskeln waren angespannt und alle warteten auf ihr Zeichen.

Die Youkai atmete einmal kräftig aus und ließ einen großen Schwall Luftbläschen auf ihrer Nase entweichen. Dies war das Signal und alle Dämonenhunde holten mit ihren Köpfen aus und schmetterten die Stoffbeutel gegen die überall verteilten Steinbrocken. Das Splittern des Glases drang nur für die guten Ohren von Dämonen durch das geräuschdämmende Wasser.

Kaum einer der Youkai beachtete die riesigen, dunklen Wolken, die sich im Wasser ausbreitete, alle hielten sich an den Plan. Mitsura selbst stieß sich mit enormer Kraft vom Boden ab und paddelte so schnell wie möglich zurück an die Oberfläche: Hier ging es um ihr Leben. Immer kräftiger wurden ihre Schwimmzüge und sie konnte die Strömungen des Wassers neben sich spüren und wusste, dass alle Youkai der Truppe es ihr gleich taten. Niemand wollte zurückbleiben, denn das bedeutete den sicheren Tod.

Mitsuras Kopf stieß durch die Oberfläche und sofort paddelte sie dem Ufer entgegen. Das Plätschern des Wassers war nun um einiges lauter, als die riesigen Hunde einer nach dem anderen aus dem See stürmten und hechelnd am Ufer stehen blieben. Die zeitweilige Leithündin betrat ebenfalls erleichtert den festen Boden und schüttelte sich einmal nach Hundeart. zufrieden stellte sie fest, dass die Kräuter noch immer ihre Nase flachlegten, die Wirkung hatte nicht im Mindesten nachgelassen.

Sie hob den Kopf und sah in Richtung See. Gerade kam der letzte Shirosendo aus dem Wasser. Sie zählte durch und war erleichtert, dass niemand fehlte. Die Aufmerksamkeit wandte sich nun wieder dem See zu.

Es war ein beeindruckendes Schauspiel. Vom Grund des Sees stiegen mächtige, pechschwarze Wolken auf, die sich rasend schnell im ganzen Bereich verteilten. Wie ein Monstrum, das sich aus der Hölle erhebt, wie ein gewaltiger Schlund, der sich bedrohlich öffnet, wie ein alles verschlingendes, schwarzes Loch... Der Tod in seiner alles in den Schatten stellenden Macht. Ihre Macht.

Mitsura erwachte aus ihren Gedanken und sah besorgt zum Himmel. Noch lagen sie in der Zeit. Sie stieß ein leises Knurren aus und die vielen, blutroten Augen wandten sich wieder ihrer Anführerin zu. Alle verstanden den Befehl zur Eile und einen Augenblick später war das Geräusch vieler Tatzen zu hören, die über den Sand trabten. Der Weiße Tod verteilte sich am Ufer, um den gesamten See herum.

Mitsura wartete einige Minuten, in denen der alte Kurodenka an ihre Seite trat, bis sie sicher war, dass alle ihre Stellung bezogen hatte. Dann trat sie selbst vor, sorgsam darauf bedacht, das die stillen Wellen nicht über ihre Pfoten schwappten. Sie stieß ein kurzes Bellen aus, gerade laut genug, damit man es auch am anderen Ende des Sees hören konnte. In der Gewissheit, dass überall am Rande des stillen Verderbens ihre Handlungen nachgemacht wurden, zerrte sie an dem zweiten Geschirr um ihre Brust und zertrennte die Halteseile. Das letzte Bündel viel ihr knapp vor die Füße, noch feucht von ihrem Bad. Geschickt zerfetzte sie das vollkommen wasserdichte Leder. Ein kleiner Haufen orangeroter Steine kam zum Vorschein, jeder so groß wie der Kopf eines Menschenbabys. Geübt klemmte sich Mitsura einen davon zwischen zwei ihrer Reißzähne, sorgfältig darauf achtend, dass der Gegenstand nicht mit ihrem Speichel in Berührung kam. Sie postierte ihn in der Höhlung des improvisierten Katapults, richtete es aus und ließ es dann in die Luft schnellen.

Der helle Stein sauste durch den Himmel und kam schließlich mit einem Platschen im See auf. Sofort schnappte sich Mitsura den nächsten Stein, spannte das Gerät und schoss erneut, ein wenig mehr nach links. Auch von den anderen Seiten wurden solche Steine jetzt abgefeuert, denn vor ihrem Auftrag hatten die Shirosendo bereits überall die Katapulte aufgestellt.

Kurodenka beobachtete sie aus misstrauischen Augen, er war noch immer nicht aufgeklärt worden. Doch Mitura ließ ihn gerne noch ein wenig länger im Dunkeln tappen, er hätte ihren Plan nämlich bestimmt nicht gutgeheißen.

Nach zehn Minuten hatte Mitsura ihre gesamte Munition verschossen. Sie griff sich nun das Katapult selbst und warf das Holzgestell mit einem Schwung ihres Hundekopfes möglichst weit in den See hinein. Spuren mussten beseitigt werden...
 

Kaum fünf Minuten später waren die ersten Mitglieder des Weißen Todes wieder am Treffpunkt angekommen. Mitsura verbrachte die Wartezeit damit, die schwarze Wasseroberfläche zu beobachten. Die ersten Blasen stiegen bereits auf, die Hitze konnte man schon jetzt spüren, wenn man sich darauf konzentrierte. Der See erhitzte sich. Und es würde nicht mehr lange dauern, dann würde er kochen. Bis dahin müsste sie die Shirosenso allesamt von ihr fortgebracht haben.

Als endlich alle wieder versammelt waren, wandte sich Mitsura ohne einen Befehl um und trabte zielstrebig in die Dunkelheit des Waldes zurück. Das Rudel folgte ihr sofort und die junge Youkai genoss für einen Moment die Gewissheit, dass all diese starken Dämonen vollkommen unter ihrer Kontrolle standen. Macht, was für ein wunderbares Gefühl. Sie würde dafür sorgen, das sie es öfter zu spüren bekam.

Der Einzige, der noch kurz zögerte, war Kurodenka. Sein mit grauen Strähnen durchzogenes Fell sträubte sich kurz, doch dann setzte auch er sich langsam in Bewegung. Das Rudel nahm an Geschwindigkeit zu.

Die Dämonin fühlte die Befriedigung einer erledigten Aufgabe. Der Weiße Tod hatte seine teuflische Saat gesäht und der Wind würde Mitsuras Macht in den Süden wehen. Ein kleiner Schritt auf ihrer Karriereleiter, aber ein großer Schritt im Gefüge dieses Krieges...
 

*
 

Im Lager des Westens...

Sesshoumaru schaute stolz auf das Heer, welches sich zum Aufbruch rüstete. Bald würde die zweite Schlacht in diesem Krieg geschlagen werden. Soeben hatte er seine Rede beendet und alle Krieger waren hoch motiviert. Sie marschierten dem südlichen Heer entgegen, früher als diese sicherlich dachten. Wenn sie Glück hatten, würde es ein Überraschungsangriff werden, aber darauf wollte er sich nicht verlassen. Dennoch würden sie verdecktere Wege nehmen. So würde die Reise vielleicht drei oder gar vier Tage dauern, aber sie waren vor Spähern sicher. Natürlich könnte man auch in der wahren Gestalt oder über magische Portale reisen, aber Ersteren erforderte zu viel Youki – was sie sich kurz vor einer Schlacht wirklich nicht leisten konnten – und Zweiteres war bei einer so großen Menge an Personen nicht möglich.

„Lord Sesshoumaru!“ Die Stimme erkennend wandte sich der Angesprochene um. Vor ihm stand sein Freund Chikara, er atmete schwer. Das verwunderte ihn etwas, waren doch Youkai schwer außer Atem zu bringen. Es musste wichtige Neuigkeiten geben, wenn ich sein Freund so beeilt hatte.

„Was ist passiert?“, fragte er ohne große Umschweife.

„Ich war soeben auf dem Weg zu Mitsura, um... Um den Auftrag auszuführen, den ihr mir aufgabt. Aber sie ist verschwunden“, erklärte der Dämon.

„Verschwunden?“ Youkai verschwanden nicht so einfach. In einem Heerlager dieser Größenordnung, welches gerade abgebrochen wurde, konnte es schon mal sein, dass die Suche etwas länger dauerte. Es sei denn... Es sei denn, Mitsura hatte ihn bereits jetzt verraten. Vorstellen könnte er es sich.

„Ja, und sie ist nicht die Einzige. Rund zwei Dutzend Shirosendo sind ebenfalls unauffindbar, genau wie ihr Anführer, Kurodenko. Ich habe nachgefragt und man sagte mir, sie seien auf einer geheimen Mission“, erklärte Chikara.

Sesshoumaru zog die Augenbrauen zusammen. „So geheim, dass selbst ich nichts davon weiß?“

„Ihr... Ihr habt das nicht in Auftrag gegeben?“, fragte der Inuyoukai ehrlich überrascht.

„Ich hatte überhaupt keine Anweisungen für die Shirosendo. Sie sind ein Trumpf, der sicher noch nicht jetzt ausgespielt werden darf. Im Krieg kämpfen immer einige Dämonen in ihrer wahren Gestalt, aber das sind meist ungeübte Anfänger, die keine andere Waffe führen können. Dass der Westen in dieser Beziehung eine Eliteeinheit trainiert hat, weiß im Süden niemand. Wenn Mitsura auf eigene Faust einen Angriff startet... dann gnaden ihr die Götter. Ich werde es sicher nicht tun“, meinte er düster.

Chikara schluckte hörbar, verbeugte sich kurz und sagte dann: „Wenn es euch recht ist, dann werde ich sie unverzüglich zu euch schicken, wenn sie wieder da ist.“

Sesshoumaru nickte nur. Wenn sie denn überhaupt zurückkehren würde. Sicher war Anis' Schwester ein Genie, sie würde nicht in die Fänge des Südens gelangen. Aber gerade das bereitete ihm Sorgen, er roch noch immer den aufkommenden Verrat. Kurodenka war alt, er würde bald sein Amt abtreten müssen und Mitsura war da die erste Wahl. Das Gefühl der Macht konnte berauschend sein, das wusste er nur zu gut. Wie lange noch würde sie sich damit zufrieden geben, unter seinem Befehl zu stehen? Das Schlimmste war ja, dass es hier niemanden gab, der sie aufhalten könnte. Er selbst war durch sein Versprechen gebunden und solange sie sich an die Regeln des Westens hielt, konnte er nichts machen.

Der Lord unterdrückte ein Seufzen. Wenn doch nur Anis hier wäre...
 

*
 

Um Mitternacht am Hamasaki-See im Süden...

Kuraifaia folgte dem bekannten Geruch und ihre Sorge wuchs mit jedem Schritt. Da war Blut, eine Menge Blut. Das Blut ihres Bruders.

Sie hatte keine Ahnung, an welchem Ufer des Sees Makotoko auf sie wartete, aber diese Spur würde sie sicher zu ihm führen. Der Hamasaki-See war an drei Seiten von Wald umgeben, doch am nördlichen Ende schloss sich eine baumfreie Ebene an. Und genau von dort kam der Geruch. Sie beeilte sich, sprang von Ast zu Ast, immer dem Geruch nach. Als sie sicher war, kurz vor ihrem Ziel zu sein, landete sie auf dem Boden. Das Blut überdeckte jetzt fast jeden anderen Geruch und eine grässliche Ahnung breitete sich in ihr aus. Sie trat aus dem Wald heraus und achtete dabei nicht mehr auf Lautlosigkeit.

Da saß er. Auf einem Felsbrocken, am Ufer. Mit dem Rücken zu ihr. Allein.

Allein. Warum war er allein? Wo war der Hund?

Die schlimme Vorahnung steigerte sich noch.

„Makotoko?“, fragte sie zaghaft und trat noch näher heran.

„Nein...“, flüsterte der junge Mann, „Makotoko existiert nicht mehr.“

Und dann drehte er sich um, ganz langsam. Und Kuraifaia konnte sehen, was er in den Händen hielt.

Und zum ersten Mal sein Jahren stieß sie einen spitzen Schreckensschrei aus.

Es war der Hund. Und es war ganz eindeutig, dass er tot war. Aus seinem Bauch quollen die Eingeweide heraus und eine große Wunde zog sich neben seinem Kopf entlang. Brennende Schuldgefühle überkamen sie, als sie das zerrissene Hinterbein sah. Die Augen des Tieres blickten glasig zum Himmel empor.

Der Körper war noch nicht besonders steif, also mochte sein Tod noch nicht allzu lange zurückliegen. Das Hemd ihres Bruders war über und über mit Blut bedeckt und Kuraifaia konnte sich denken, dass er den Hund bis her her getragen hatte.

„Das... Das darf nicht wahr sei!“, keuchte sie, nahm die letzten Schritte bis zu ihm und ließ sich kraftlos auf den Boden fallen.

„Doch... Tokos Kerze ist erloschen“. flüsterte er.

Der Dämon legte den Körper vor ihr hin und ließ sich ebenfalls nieder. Kuraifaia bemerkte, dass seine Hände zitterten. Auf einmal überkam sie Mitleid.

„Das ist nicht gerecht.. Wieso musste mein Bruder gehen?!“, flüsterte er erstickt. „Er hat es bis zum Ende durchgehalten. Immer... Immer war er bei mir. Seit das Siegel gebrochen ist, waren wir immer zusammen. Nichts konnte uns trennen!“ Er schluchzte.

Die Youkai riss ihren Blick von dem toten Hund und legte ihre Hand auf die Schulter ihres Bruders.

„Früher, da haben wir uns wie die Pest gehasst. Wir waren Rivalen, bis auf's Blut. Ich weiß noch, wie er sich die Haare hat lang wachsen lassen. Er hat diese Frisur gehasst, aber er wollte sich unbedingt von mir unterscheiden. Er konnte es nicht ertragen, dass wir als Zwillingsbrüder beide genau gleich aussahen. Er wollte immer anders, besser als ich sein und mir ging es genauso.“ Eine einzelne Träne glitt über seine Wange. „Erst nachdem das Siegel gebrochen war, hat sich das geändert. Wir haben erkannt, wie ähnlich wir uns sind und haben Frieden miteinander geschlossen. Wir waren unzertrennlich.

Ich kann mich noch genau an den Tag erinnern, als wir das Ritual vollzogen. Mutter und Vater waren dagegen, also haben wir es im Geheimen gemacht.“ Er ballte die Hand zur Faust und starrte mit leeren Augen auf die Leiche seines Zwllingsbruders. Kuraifaia tat es im Herzen weh, ihren sonst so fröhlichen und lustigen Bruder so verzweifelt zu sehen.

„Seit diesem Tag hatten wir eine telepathische Verbindung, unsere Seelen sind ein Stück weit miteinander verbunden. Wir haben uns wegen dem Leben unter den Menschen dazu entschieden, dass einer von uns immer die Gestalt eines gewöhnlichen Hundes annehmen sollte, während der Andere die menschliche Gestalt beibehielt. Wir konnten die Gestalt allerdings nur gleichzeitig wechseln. Das war wichtig, damit die Menschen nichts mitbekamen. Nur unsere wahre Form konnten wir unabhängig voneinander annehmen. Aber wegen unserer Verbindung war das nicht problematisch, in der Rauchwolke, die bei der Verwandlung entstand, konnten wir schnell die Plätze tauschen und niemand bemerkte, dass ihm eine andere Person gegenüberstand.“

Ja, mit diesem Trick hatte Makotoko so einige Gegner überrascht. Sie alle hatten geglaubt, er hätte unglaubliche Regenerierungskräfte. Niemand bemerkte im Eifer des Gefechts, dass auf einmal sein Hund, welcher doch gar nicht in den Kampf eingegriffen hatte, schwer verletzt war. Alle hatten sich immer wieder gefragt, mit welchem Trick er das machte. Sie hatten geglaubt, Makotoko beherrsche fremde Arten der Magie, dabei war er genau da eher unbegabt. Sie hatten Jahre gebraucht, um dieses Ritual zur Vollendung zu bringen, denn es war sehr schwer. Aber es hatte sich gelohnt, er hatte überall Bewunderung geerntet. Makotoko, das Genie, das unverwundbar war... Welch Ironie!

„Natürlich hat es Probleme gegeben. Wir wollten auf keinen Fall in unser früheres Verhalten zurückfallen, nichts sollte unsere Verbindung schwächen. Deswegen haben wir auch immer einen großen Bogen um alle Frauen gemacht, damit keine Eifersucht in unser Herz gelangen kann...“, murmelte der Dämon. Das war vermutlich auch ein Grund, warum er ständig vorgab, Kuraifaias Freund zu sein.

„Alle Entscheidungen haben wir vorher mit dem jeweils Anderen abgesprochen. Wenn der Eine einen Termin machte, ging manchmal der Andere hin... Unser telepathischer Kontakt funktionierte über viele Kilometer hinweg. Ich weiß noch, wie ich mit Mitsura auf der Suche nach dir war. Wir haben uns aufgeteilt, Toko sollte Mitsura über etwas benachrichtigen und ich bin weitergegangen. Wir haben eine Zeit ausgemacht, in der wir uns gleichzeitig verwandelten, sodass Toko Mitsura in seiner menschlichen Gestalt gegenüberstand. Unser Teamwork war perfekt...“ Heiße Tränen zeichneten feuchte Muster auf den Sand. Kuraifaia unterbrach ihren Bruder nicht in seiner Rede, er brauchte diese Erinnerungen, um über den Schmerz hinweg zu kommen.

„Vater und Mutter hielten uns für verrückt, aber es dauerte nicht lange, da konnten selbst sie nicht mehr sagen, wer von uns wer war. Sie haben uns dann irgendwann immer nur noch mit der Mehrzahl angesprochen, genau wie Mitsura und du. Aus 'Du' wurde 'Ihr'. Wenn einer von uns einen Fehler machte, wurde der Andere gleich mit bestraft. Einfach weil sie wussten, dass er genauso gehandelt hätte. Und natürlich weil sie sich manchmal nicht sicher sein konnten, auch den Richtigen erwischt zu haben. Aber das war nur bei unseren Eltern so... Die fünf Wochen in der Fischfabrik haben wir uns untereinander aufgeteilt. Die dämonische Regierung in Japan wusste ja auch nicht, dass wir eigentlich Zwillingsbrüder sind. Welcher verrückte Dämon käme schon auf die absurde Idee, ständig als stinknormaler Hund rumzulaufen? Wir sind nie aufgeflogen.“ Seine Hand strich zärtlich über das hellbraune Fell des Hundes.

„Wir waren Eins. Ein Wesen. Alle haben uns wie eine Person behandelt und wir waren glücklich damit. Niemand war verletzt, weil er scheinbar nicht beachtet wurde, so etwas gab es nicht. Alles konnten wir uns sagen, es gab keine Geheimnisse. Wir haben uns auch gar nicht mehr wie zwei verschiedene Wesen gefühlt. Unsere Seelen verbanden sich immer mehr miteinander. Die Zwillingsbrüder Mako und Toko verschwanden aus der Welt und ein neuer Dämon entstand: Makotoko mit seinem Hund. So wurden wir genannt. Wir haben uns daran gewöhnt. Wenn ich gefragt wurde, wie mein Hund hieße, habe ich mich immer um die Antwort gedrückt oder mir etwas ausgedacht, denn wer wüsste schon, ob der Hund nicht beim nächsten Mal einen anderen Namen tragen würde?“ Er lächelte traurig.

„Jetzt, wo er nicht mehr da ist, fühle ich mich furchtbar leer. Er war ein Teil von mir, wir hätte zusammen sterben müssen. Es ist nicht gerecht, dass ich am Leben geblieben bin. Ich kann das nicht ertragen...“, murmelte er.

Sein Blick richtete sich fest auf sie. „Ich will ihn zurück haben!“ Es war eine Mischung zwischen einem Bellen, einem Knurren und einem Winseln. Der verzweifelte Laut eines Hundes, der sich in menschliche Worte kleidete.

Nun weinte auch Kuraifaia stumme Tränen. Sie konnte nichts tun, um ihm zu helfen...

Die Krallen des Dämons gruben ich in das stumpfe Fell. „Ich will meinen Bruder zurück!“, rief er aus und wandte den Kopf zum Himmel: „ER SOLL WIEDER ZURÜCKKOMMEN!“

Er schrie es, schrie es in den Himmel hinaus und es klang wie das Heulen eines zu Tode gefolterten Hundes. Haltlos rannen die Tränen ihm über die Wangen und tropfen auf das Fell des Hundes, als er sein Gesicht darin vergrub.

Kuraifaia glaubte zu spüren, wie ihr Herz in Stücke brach. Warum nur war sie mit solchen Verlusten gestraft? Ihr Blick glitt über den blutbefleckten Körper vor ihr. Und da fragte sie sich zum ersten Mal: Wie war das überhaupt passiert?

„Mako...“, sagte sie vorsichtig, „Bitte verzeih mir aber... wieso...“ Sie stockte.

Es dauerte fast eine Minute, bis sie eine Antwort auf ihre halbausgesprochene Frage erhielt:

„Es war Keisushiro, dieser Dreckskerl. Wir hatten ihn doch zum Duell gefordert.... Toko wollte es unbedingt allein austragen, wegen dem Bein hat er ein Schmerzmittel getrunken. Ich wollte ihn davon abhalten, aber er sagte, zur Not könne ich ja noch immer einspringen.“

Zwei gegen Einen, damit war dieses Duell ganz und gar nicht ehrenhaft gewesen. Aber das hatte ihre Brüder noch nie geschert, alle Vanderobes kümmerten sich wenig um Regeln. Sie selbst nahm sich da nicht aus. Trotzdem hätte es vielleicht Probleme gegeben – wäre Keisushiro nicht für vogelfrei erklärt worden.

„Aber wir haben nicht mit dieser Attacke gerechnet... Auf einmal war überall Eis und Toko war eingeschlossen. Er konnte sich nicht mehr verwandeln und ich damit auch nicht. Ich konnte ihm nicht helfen... Ich stand einfach nur da und habe nichts getan!“ Wieder schluchzte er auf, zwang sich jedoch weiter zu reden. „Er hat sein Youki ausgestoßen und ist dann an den Wunden gestorben. Dadurch ist das Eis explodiert und hat Keisushiro kampfunfähig gemacht. Erst dann konnte ich mich wieder verwandeln. Ich hab dem Scheißkerl den Rest gegeben und Toko verwandelt, um ihn herzubringen. Keisushiro, dieser verlauste Sack voll fischgesichtiger Möwenfürze, der sich einen Lord geschimpft hat, ist viel zu schnell gestorben...“ Seine Mundwinkel verzogen sich. „Für das was er meinem Bruder und mir angetan hat, war ich viel zu gnädig. Ich hoffe von Herzen, dass ich ihn in der Hölle noch einmal wiedersehe, denn die Fegefeuer dort sind viel zu lasch für dieses Arschloch.“ erklärte er. Kuraifaia zweifelte keine Sekunde an dieser Aussage. Ihr Bruder konnte unvorstellbar grausam sein und wenn es irgendwie möglich war, würde er einen Weg finden, den ehemaligen Lord auch in seinem Leben nach dem Tod zu quälen.

„Mako... Es gibt eine Möglichkeit, wie dein Bruder dennoch bei dir sein kann“, flüsterte Kuraifaia.

Der Angesprochene hob den Kopf.

„Du könntest... Nun, du könntest ihn in dich aufnehmen“, schlug sie zaghaft vor.

„Ja.... Ehrlich gesagt, darüber habe ich auch schon nachgedacht. Aber das würde gegen sämtliche Traditionen und Regeln verstoßen“, widersprach er.

„Niemand von uns würde es dir übel nehmen und alle gesetzgebenden Mächte, die dich bestrafen könnten, wissen nichts von ihm.“ Abgesehen davon, dass Makotoko sich schon so viel Respekt erarbeitet hatte, dass selbst wenn es jemals herauskommen würde, niemand es wagen würde, ihn zur Rechenschaft ziehen zu wollen. Die Vanderobe-Familie hatte einen starken Ruf.

„Mitsura wird überhaupt nichts dagegen sagen und Vater und Mutter werden es ohnehin wissen. In einem halben Jahrhundert sehen wir sie ja wieder und dann können sie nichts mehr machen, dann ist es zu spät, das werden sie einsehen“, beruhigte sie ihn, „Du müsstest es nur gleich machen, bevor es zu spät ist.“

Mako nickte langsam. „Vielleicht ist es wirklich... das Beste. Er würde es doch sicher auch wollen... oder?“

„Du kennst ihn viel besser als ich. Eure Seelen waren schon immer verbunden, was spielt es also für eine Rolle, wenn sie nun verschmelzen?“ Sie lächelte aufmunternd.

„Ja... Du hast Recht.“ Mako hob den toten Dämon auf seine Arme und stand auf. Er blickte auf die Ebene und ging einige Schritte darauf zu, bevor er den Leichnam wieder ablegte. Kuraifaia trat zum Waldrand, um nicht im Weg zu stehen.

Der Youkai fuhr mit dem Finger über die helle Fellzeichnung am Rücken des Hundes und murmelte ein leises Wort. Dann trat er bedächtig einen Schritt zur Seite.

Es war, als sähe man, wie ein Baum wuchs. Der kleine Körper des Hundes schwoll an, die drei silbernen Punkte auf seiner Stirn wurden sichtbar und die Augen glühten noch einmal rot auf, als wäre das Leben für kurze Zeit in ihn zurückgekehrt. Mako hatte seinem Bruder in seine wahre Gestalt verwandelt.

Das Selbe tat er nun mit sich selbst, Glieder und Gesicht veränderten sich, bis der Youkai auf vier Pfoten da stand.

Die Ähnlichkeit der beiden war jetzt nicht mehr zu übersehen. Sie glichen sich wie ein Ei dem anderen, der helle Streifen am Rücken auf dem braunen Fell zog sich bei beiden Hunden bis über den buschigen Schwanz und Kuraifaia hätte fast darauf gewettet, dass die beiden die selbe Anzahl an Fellhaaren hatten. Einzig die Tatsache, dass der eine Dämon über und über mit Wunden übersäht war, unterschied sie jetzt noch.

Mako trat an seinen Bruder heran und schmiegte seinen Kopf ein letztes Mal in seine Halsbeuge. Dann öffnete er sein riesiges Maul und grub seine Zähne in die Brust seines Bruders.

Kuraifaia wandte den Blick ab. Sie hatte diesen Brauch nie gemocht. Ewig schon war es so, dass der Körper eines Dämons nach dessen Tod von seinen Verwandten verschlungen wurde, falls seine Leiche noch vorhanden war. Daraus zog die Familie ihre Kraft. Die Energie und die Kampfstärke, ja selbst die Fähigkeiten des Dämons gingen in denjenigen über, der seine sterblichen Überreste fraß. Normalerweise wurde ein solcher Leichnam bei den Inuyoukai gerecht unter den einzelnen Familienmitgliedern verteilt, damit niemand im Vorteil war. Es war ein hohes Verbrechen, welches nicht selten mit dem Tode bestraft wurde, wenn einer das Fleisch für sich allein beanspruchte. Es war fast so etwas wie eine heilige Handlung unter Dämonen. Aber das hier war ein Sonderfall. Mako und Toko hatten immer diese starke Verbindung und wenn der Eine den Anderen vollkommen auffraß, so würde dessen Seele in den Leib des Lebenden übergehen. Mako würde also die Seele seines Bruders in sich tragen. Da sie sich so ähnlich waren, würde sich das nicht groß in seinem Verhalten äußern, außer natürlich, dass seine Stärke jetzt doppelt so groß werden würde. Er würde aber sicher die telepathische Verbindung beibehalten und die Stimme seines toten Bruders in seinen Gedanken hören können.

Soviel jedenfalls zur Theorie. Ob es wirklich klappte, war eine andere Sache. Das hing auch davon ab, ob Tokos Seele nicht schon aus dieser Welt verschwunden war...
 

*
 

An der Grenze...

Kurodenka freute sich. Kaum waren die Shirosendo wieder zu dem Lager gestoßen, da hatte sie ein ernst dreinschauender Youkai in Empfang genommen und Mitsura zu Lord Sesshoumaru befohlen. Sicher würde sie jetzt bestraft werden, weil sie etwas auf eigene Faust unternommen hatte. Das wollte er sich natürlich nicht entgehen lassen und so hatte er sein letztes Bisschen Mut zusammen gekratzt – das würde er in Sesshoumarus Nähe brauchen – und war ihr gefolgt.

„Wo warst du?“, begann der Lord das Verhör.

Mitsura kniete höflich vor ihm auf dem Boden. Die Shirosendo waren mit dem Rest des Heeres schon voraus gegangen und nur Kurodenka und der Youkai mit den kurzen weißen Haaren, der sie geholt hatte, war noch da. Kurodenka kannte ihn nicht, aber angeblich war er gut mit dem Lord befreundet.

„Ich war mit einigen Shirosendo an einem See, östlich von hier“, antwortete die Youkai ruhig und der alte Dämon konnte nicht umhin, sie ein wenig für ihre Kühnheit zu bewundern.

„Warum?“

„Ich hatte einen Plan, um dem Süden zu schaden“, erwiderte Mitsura geduldig.

„Wie sah dieser Plan aus?“, fragte Sesshoumaru.

„Wir schwammen auf den Grund des Sees, wo wir einige Flachen zerstörten, die wir bei und trugen. In ihnen befand sich ein hochgiftiges Gas unter hohem Druck. Es löste sich schnell im Wasser, während wir so rasch wie möglich ans Ufer schwammen. Der gesamte See war so vergiftet. Dann warfen wir besondere Steine hinein, die sich bei der Berührung mit Wasser stark erhitzen und brachten so den See zum Kochen. Das im Wasser gelöste Gift wird durch die Hitze verdampfen und der Wind wird es direkt in den Süden wehen. Ich habe es zeitlich so berechnet, dass die entstanden Wolken sich genau über dem südlichen Heerlager abregnen werden. Zunächst werden sie wahrscheinlich nichts merken, aber mit der Zeit ruft das Gift Muskellähmungen, erschwertes Atmen, mangelnde Konzentration und Halluzinationen hervor. Für Menschen und Tiere ist dieses Gift nicht gefährlich, aber Dämonen sind dafür umso stärker davon betroffen, denn es greift die Magie eines Wesens an und je stärker der Dämon, desto stärker sind auch die Symptome. Ein Heer besteht nur aus starken Dämonen, daher sollten sie nicht gerade ein Topforrm ein, wenn es zur Schlacht kommt“, berichtete Mitsura und in ihren Augen konnte Kurodenka das Feuer der Leidenschaft sehen. Das war ein Wesen ohne Scham, ohne Hemmungen... Ein gefährliches Wesen. Und ein Genie. Ein Schauer lief ihm über den rücken. Jetzt verstand auch er ihren Plan. Und er wusste auch warum sie nichts davon erzählt hatte.

„Das hättest du nicht tun sollen! Die Inuyoukai des Westens kämpfen ehrlich und nicht mit solchen niederträchtigen Methoden! Außerdem hast du riskiert, dass die Südler von den Shirosendo erfahren!“, sagte Sesshoumaru erbost und bestätigte damit Kurodenkas Vermutung.

„Verzeiht mir mein Lord. Ich hatte nur das Beste für den Westen im Sinn und habe sehr darauf geachtet, dass wir nicht entdeckt wurden, wir haben selbst unseren Geruch verborgen. und außerdem“, Sie hob den Kopf und sah den Lord direkt an – ein Vergehen für das manch Anderer ein Leben gelassen hätte – und lächelte bösartig; „sagt man doch, im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt.“

Für diese Frechheit hätte ihr selbst Kurodenka einen höchst grausamen Tod in einer Folterkammer beschert, doch zu seiner maßlosen Überraschung – und Enttäuschung – machte sich der Lord nicht einmal die Mühe, sie mit einer lässigen Handbewegung in Stücke zu reißen, wie er es schon einige Male bei ein paar unglücklichen Dienern hatte beobachte dürfen. Er wandte lediglich den Kopf zu dm Weißhaarigen neben ihm, welcher bis jetzt geschwiegen hatte, und meinte: „Chikara, ich überlasse sie vorerst dir. Du kannst mit ihr machen was du willst, aber ich warne dich: Vergiss deine Aufgabe nicht.“

Der Angesprochene neigte den Kopf. „Sehr wohl, mein Lord.“

„Ihr könnt gehen“, befahl er und wandte sich von den beiden ab. Mitsura lächelte noch einmal dieses dämonische Lächeln und folgte widerstandslos ihrem – wie Kurodenka annahm – Folterknecht.

„Und nun zu dir, Kurodenka.“

Der Angesprochene brach in Schweiß aus, als er seinen Namen hörte.

„Hast du von dem Plan gewusst?“, fragte der Lord kalt.

„N...Natürlich nicht, ich hätte es niemals zugelassen!“ Und das entsprach sogar der Wahrheit. Jedenfalls teilweise.

„Dann scheint es, du hast die Shirosendo nicht mehr unter Kontrolle“, stellte der Youkai eisig fest.

„Verzeiht mein Lord, ich...“

„Das Alter scheint dir zu schaffen zu machen. Aber du hast bisher gute Dienste geleistet, deswegen will ich es diesmal bei einer Warnung belassen: Wenn es Mitsura noch einmal schaffen sollte, den Shirosendo Befehle zu geben, ohne das du davon weißt, ohne das ich davon benachrichtigt werde, könnte ich mir überlegen, ob ein jüngerer Dämon in Kriegszeiten nicht ein besserer Führer für den Weißen Tod wäre. Habe ich mich klar ausgedrückt?“, sagte er gefährlich leise.

„Ja... ja, natürlich, Herr.“ Das hörte sich ja nicht so an, als wenn der Lord Mitsura bald töten wollte. Es würde auf der Hut sein müssen. Hier war nicht nur seine Stellung und sein Rang als Oberhaupt der Eliteeinheit des Westens, sondern auch sein Leben in Gefahr.

„Dann geh mir jetzt aus den Augen, Kurodenka.“

Diesem Befehl kam der alte Dämon nur zu gerne nach.

Kein Westler würde sich je Lord Sesshoumarus Befehl oder seinem Urteil widersetzen. Niemand - außer vielleicht Mitsura?
 

XxX
 

So, das war das letzte kapitel für die nächste Zeit. Ich fahre zum Schüleraustausch nach Frankreich (allen von denen ich noch die adresse hab, kriegen gerne eine Karte^^) und komme erst am 26 Juni zurück.

Bis dahin also tschau!

(und immer schön kommischreiben^^)

Nach der zweiten Schlacht

Kuraifaia ist unzufrieden mit ihrer Schwester, weil die sich in die Schlacht eingemischt hat.

Ninushu Omaru ist unzufrieden, weil Mako ihm nicht besonders viel Respekt entgegenbringt.

Mitsura ist unzufrieden, weil sie Chikara bisher noch nicht allein erwischt hat.

Kigiyakana ist unzufrieden mit Rakuna, weil der sie allein gelassen hat.

Nur Sesshoumaru und Mako sind zufrieden, Ersterer weil alles nach seinem Plan läuft und Letzterer, weil er nun endlich die Chance bekommt seinem Traumberuf nachzugehen. Beides wird eine Menge Dämonen sehr unzufrieden machen.
 

XxX
 

Der Frühling hatte begonnen. Der Schnee schmolz stetig dahin und die Tiere und Pflanzen in den Wäldern erwachten zu neuem Leben. Die Kirschbäume trugen ihre ersten Blüten und gaben einen Vorgeschmack auf all ihre Pracht.

Der größte Teil der Hundedämonen jedoch kümmerte sich nicht im Mindesten darum. Sie alle waren viel zu abgelenkt von dem Krieg, der noch immer wütete. Nach der zweiten, mehr oder weniger erfolgreichen Schlacht, war es schließlich offensichtlich, dass es der Westen war, der die besseren Karten in der Hand hielt. Obwohl die Südler mit eiserner Kraft dagegen hielten, konnten sie nicht verhindern, dass sie immer weiter hinter die Grenzen zurückgedrängt wurden. Es fanden viele, einzelne Überfälle auf einsame Dämonen statt, doch niemand machte Anstalten, das Gebiet wirklich zu erobern. Es war ein ungeschriebenes Gesetz, dass jede Youkaiart Japan in vier Teile teilte, jedes von einem anderen Fürsten beherrscht. Kein Dämon durfte sich anmaßen, zwei Länder zu reagieren! So wurde der Kampf nur an der Grenze geführt, um diese weiter nach hinten zu drängen. Dennoch wäre der Sieger in diesem Krieg berechtigt, selbst einen neuen Fürsten zu erwählen – vorausgesetzt, die Blutlinie der Herrscherfamilie dort war erloschen. Und dafür wurde dann meist auch gesorgt.

Trotzdem war es für den Süden noch keineswegs zu ende. Sie hofften darauf, die Truppen des Westens als Verteidiger so weit zu schwächen, dass sie sie mit ihrer Übermacht in die Flucht schlagen konnten, oder sogar ganz auslöschten. Aufgrund dieser Technik wurden nur noch Schlachten geschlagen, die vom Westen eindeutig mehr Kriegerleben forderten als aus ihren Reihen und sie gaben sich größte Mühe, Ort und Zeit eines jeden Kampfes selbst zu bestimmen. Noch war der Wille der stolzen Hundeyoukai des Südens ungebrochen.

Doch die letzte Schlacht hatte hohe Opfer von ihnen gefordert. Aus einem, ihnen nicht zu definierenem Grund, war nicht einer ihrer Kämpfer zum entscheidenden Moment in Bestform gewesen. Jeder Soldat hatte ein sehr hohes Kampflevel gehabt, aber die Westler waren scheinbar spielend mit ihnen fertig geworden. Im Nachhinein meinten viele, sie hätten die Katastrophe ahnen müssen. Es hatte nämlich viele 'Böse Omen' gegeben. So war ihre Prinzessin kurz vor der Schlacht spurlos verschwunden und als sie zurückkehrte, schloss sie sich in ihrem Zimmer ein und ließ niemanden zu sich, so gingen die Gerüchte.

Die Stimmung war die ganze Zeit über sehr düster, zu der der dunkle Regen, der aus schwarzen Wolken vom Himmel fiel, nicht gerade positiv beitrug. Die Sicht war schlecht und die Späher entdeckten das feindliche Heer viel zu spät. Der westliche Lord fegte wie ein Racheengel durch ihre Reihen und unter seinem Schwert fielen unzählige Leben. Sorgfältig zurechtgelegte Strategien zerbarsten im Angesicht des Unglücks und niemand vermochte das Chaos zu bändigen. Der südliche Heerführer, Heigoku, wurde kurz vor der Schlacht von einem bösen Fluch befallen, der bewirkte, dass er seinen Mund nicht öffnen konnte und so keine Befehle auszusprechen vermochte. Die Heiler sprachen von einem lähmendem Gift, doch die Soldaten waren fest davon überzeugt, dass der Geist des verstorbenen Inu no Taishu aus der Unterwelt zurückgekommen war, um sie alle mit sich in die Hölle zu reißen.

Heigoku war kurz darauf an dieser seltsamen Erscheinung erstickt. Selbst seine wahre Gestalt hatte ihn nicht mehr retten können.

Über das Volk des Südens schien sich eine dunkle Aura zu legen.
 

Im südlichem Schloss...

Kuraifaia tauchte das Tuch erneut in die Schüssel neben dem Lager. Das kühle Wasser umspielte ihre Hände und saugte sich in den Stoff. Sie nahm den alten Umschlag von der heißen Stirn ihres Bruders und tauschte ihn gegen den neuen aus.

Seufzend sah sie in das verschwitze Gesicht des Patienten. Mako war jetzt schon zwei Wochen lang ohne Bewusstsein. Sie hatte ihn in ihren persönlichen Räumen aufgebahrt und das Zimmer mit vielen verschiedenen Schutzzaubern umgeben. Sie wusste nicht, warum sie so übervorsichtig war, denn im Grunde hatte er hier keine Feinde. Vielleicht wäre es auch besser, einen Heiler zu Rate zu ziehen. Aber welcher Dämon kannte sich schon mit der Übertragung einer Seele aus?

Normalerweise nahm ein Youkai die Stärke desjenigen auf, den er aufgefressen hatte. Er wurde dadurch mächtiger. Mako hatte sich seinen Bruder Toko einverleibt, welcher bei dem Kampf mit Keisushiro gestorben war. Doch er hatte es nicht wegen der Macht getan, sondern in der Hoffnung, dass die Seele seines Zwillings in ihn übergehen würde. Mako hatte sehr unter dessen Tod gelitten und sich an dieses letzte Stückchen Hoffnung geklammert. Doch anders als erwartet, war er mit jedem Happen Fleisch, den er von seinem Bruder fraß, immer schwächer geworden. Dennoch hatte er alles bis auf die Knochen - welche Kuraifaia später in der Zwischenwelt, dem Dämonenfriedhof, versiegelt hatte - verzehrt und hatte es sogar noch geschafft, sich mit letzter Kraft zurück zu verwandeln. Kuraifaia würde den Anblick nie vergessen, wie er schmerzerfüllt aufschrie und sich die Hände gegen die Schläfen presste. Ohne ersichtlichen Grund hatte er auf einmal aus Dutzenden Wunden geblutet, ähnlich wie eine Schlange, deren neue Haut noch nicht ausgebildet war und die sich dennoch häutete. Sein Youki war deutlich zu spüren gewesen und selbst Kuraifaia, die ihren Bruder schon oft in Aktion erlebt hatte, war von der schieren Menge überrascht.

Dann aber war er unter heftigen Zuckungen zusammengebrochen und sie hatte schon befürchtet, ihn auch noch zu verlieren. Aber zum Glück war er nur ohnmächtig und sie hatte ihn dann hierher gebracht.

Im Nachhinein hatte sie sich überaus schuldig gefühlt. Wenn eine Seele gewaltsam auf einen anderen Körper übertragen wurde, war es nur natürlich, dass dabei unvorstellbare Schmerzen entstanden. Wenn man nur auf die Macht des Toten aus war, entstanden keinerlei Schmerzen, aber wenn jemand sich mit aller Macht darauf konzentrierte, auch die Seele in sich aufzunehmen, hatte das in sieben von zehn Fällen den eigenen Tod zur Folge.

Sie hätte das nicht vorschlagen dürfen! Sie hätte Mako davon abhalten müssen, sie hätte - Nein, er hätte ohnehin nicht auf sie gehört. Wenn es auch nur die geringste Möglichkeit geben würde, seinem Bruder wieder nah zu sein, würde er sie ergreifen, selbst wenn er dabei sein Leben auf's Spiel setzte. Und genau das hatte er getan.

Traurig sah sie auf den Körper neben sich herab. Mako hatte hohes Fieber, welches ein Mensch nie überlebt hätte. Sein Körper war ständig schweißnass und manchmal schlug er wild um sich, als hätte er furchtbare Alpträume. Sein Gesicht war schmerzverzerrt und seine Hände waren zu Fäusten geballt, die Fingernägel, zu Krallen umgebildet, gruben sich in seine Handballen.

Und Kuraifaia konnte nichts für ihn tun.
 

~
 

Mako keuchte schwer. Um ihn herum war nur Schwärze, doch er ließ sich nicht beirren. Gleich würde wieder einer kommen.

Da! Er stieß mit dem Schwert zu, riss das unförmige Gebilde des Angreifers auseinander und sprang hastig einen Schritt zurück. Er konnte sehen, wie der Körper des Wesens zu unförmigen, schwarzem Schlick wurde und sich nahtlos in die Dunkelheit einfügte. Er hatte keine Ahnung, was das für Kreaturen waren, aber sie griffen ihn ständig an. Das hier musste ihre Welt sein, die Unterwelt, oder zumindest eine Art Abteilung davon. Sicher existierte dieser Ort für ihn selbst nur in seinen Gedanken und sein wahrer Körper ruhte noch irgendwo in der realen Welt. Dennoch war er sich sicher: Wenn er hier sterben würde, würde auch sein Körper aufhören zu atmen. Und er durfte nicht sterben! Er musste noch seinen Bruder retten.

'Wo bist du, Toko!?', rief er lautlos in die Stille hinein. Er wusste, dass er irgendwo hier sein musste. Er musste!

Plötzlich spürte er etwas wie ein Zupfen an seinem Geist und erstarrte mitten in der Bewegung. Das war er! Er versuchte Kontakt mit ihm aufzunehmen!

Ein zynisches Lächeln erschien auf seinen Lippen. Ihre Verbindung existierte selbst über den Tod hinaus.

Sofort setze er sich in Bewegung und rannte in die Richtung, aus der das Gefühl zu kommen schien. Dabei könnte er selbst nicht sagen, worauf er denn rannte, es war jedenfalls irgendeine feste Oberfläche, die alle Geräusche schluckte. Vielleicht lief er sogar an der Decke, er wusste es nicht. So etwas wie Schwerkraft schien es hier nicht zu geben und sein Sinn für oben und unten, links und rechts, hatte schon lange aufgehört zu arbeiten. Das selbe war es mit seinem Zeitgefühl. Wie lange war er schon in dieser Welt? Einen Tag? Einen Monat? Ein Jahrzehnt? Gute Frage. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor. Aber das war nicht wichtig. Nur das Ziel zählte.

Das Zupfen wurde stärker und jetzt konnte der Hundedämon auch ganz leise eine Stimme vernehmen, wenn er auch nur einzelne Wortfetzen verstehen konnte:

'Ich... hier!...raus!'

Er folgte der Stimme weiter und konnte bald auch einige Schemen in der Dunkelheit erkennen. Mit Schrecken stellte er fest, dass der Weg hier zu ende war. Das war eine Sackgasse!

'Da bist du... Endlich...', flüsterte etwas in seinem Kopf und Mako hatte keinen Zweifel, wer es war.

'Toko! Wo bist du? Ich höre dich zwar, aber...' Die Stimme war so leise, sicher war er noch weit entfernt. Aber wie kam er zu ihm?

'Ich bin genau vor dir. Du siehst mich nur nicht, denn meine Seele kann kein Abbild mehr erschaffen, weil du meinen Körper in dir hast', rauschten die Worte in seinen Ohren.

Mako riss die Augen auf.

'Dann... Dann klingst du so schwach, weil... weil du so schwach bist?! Was ist mit dir passiert!?' Hätte er in dieser seltsamen Welt eine Stimme gehabt, er hätte die Worte geschrien, aber leider besaß er keine.

'Sie haben mich hier festgehalten... Ich konnte nicht ins Nirwana eingehen, weil... weil du nach mir gesucht hast...' Die Stimme wurde immer leiser und Panik ergriff Mako.

'Wie kann ich dich von hier rausholen? Und wer sind "sie"'?

'Du hast sie doch schon kennen gelernt. Sie haben gegen dich... gekämpft und du hast sie alle besiegt. Das musst du, sonst wärst du nicht hier. Sie haben versucht... auch deine Seele mitzunehmen, aber wie es scheint, sind sie gescheitert.'

Also sprach Toko von diesen seltsamen Teufel, welche ihn unterwegs angegriffen hatten. Ja, in der Tat, einige davon waren wirklich schwer zu besiegen gewesen.

'Sie können nicht... sterben, aber sie haben dich getestet und sie sagen... dass sie deine Stärke respektieren. Du hast es vielleicht nicht bemerkt, aber... sie sind auch in deinen Geist eingedrungen und haben in deine Seele geschaut. Zwar haben sie es nicht geschafft, sie mitzunehmen, dafür war wohl dein Wille zu stark, aber sie haben gesehen, dass du.... meinen Körper nicht wegen der Macht gefressen hast, sondern um mich zu erretten...ich...' Die Stimme brach kurz ab und Angst schlich sich in das Herz des Dämon.

'Ich... danke dir dafür...', flüsterte die Stimme weiter. 'Du hast so viel gewagt, obwohl es nicht sicher war, dass du Erfolg haben würdest...'

'Du solltest nicht so viel reden, das scheint dich anzustrengen. Sag mit lieber, wie wir beide hier rauskommen!', forderte Mako ungeduldig und voller Sorge.

'...raus...? Das wird... schwierig....weiß nicht...' Wieder verstummte die Stimme.

'Okay, hör zu, Toko. Wo auch immer du bist, versuch dich mal auf mich zuzubewegen. Vielleicht kannst du einfach in meinen Körper - Oder was auch immer das hier ist, reinschlüpfen. Immerhin müsstest du ja jetzt so etwas wie ein Geist sein, richtig?', schlug er vor.

'...ja... Aber das könnte dir... wehtun...', kam die Antwort etwas verzögert.

'Egal, du hast ohnehin bald keine Kraft mehr. Du sitzt einfach schon zu lange in dieser Zwischenhölle fest, du musst hier raus!', sagte er eindringlich. Und dann fügte er mit einem Anflug von Galgenhumor hinzu: 'Und ehrlich gesagt, ich möchte auch noch ein paar andere Leute umlegen, bevor ich den verlausten Sack voll fischgesichtiger Möwenfürze wiedersehen muss.'
 

~
 

Ein grauenhafter Schrei erschütterte das Zimmer und Kuraifaia ließ vor Schreck die Wasserschüssel fallen, welche am Boden zersprang. Kurz dankte sie stumm der höheren Macht, die sie dazu verleitet hatte, einen Bann um den Raum zu legen, welcher keine Geräusche hindurch ließ, dann stürzte sie zu ihrem Bruder.

"Mako! Mako, beruhige dich!", rief sie eindringlich und schüttelte den wild um sich schlagenden an den Schultern. Ihr Bruder schien grauenhafte Schmerzen zu leiden, ohne irgendeine Wunde zu haben.

"Mako!" Einem Reflex folgend verpasste sie ihm eine schallende Ohrfeige. Und da, endlich, schlug er die Augen auf.

Kuraifaia wäre fast das Herz zersprungen, so erschrocken war sie. Nicht wirklich hatte sie damit gerechnet, dass ihre Aktion etwas brachte. Aber tatsächlich, Mako war wieder bei Bewusstsein - und das nach ganzen zwei Wochen!

"Mako, du bist wieder da!" Sie schlug überwältigt die Hände vor den Mund und hielt nur mit Mühe Tränen der Freude zurück. Sie hatte wirklich schon mit seinem Tod gerechnet und das wäre nach der Sache mit Toko einfach zu viel für sie.

"A..Anis...", murmelte ihr Bruder verwirrt.

"Nicht sprechen, du bist noch zu schwach!", befahl sie sofort und drückte den Dämon, welcher sich bereits wieder hatte aufsetzen wollen, sofort zurück auf die Felle, aus denen sein Lager bestand. Sie sagte nichts dazu, dass er sie 'Anis' statt 'Kuraifaia' genannt hatte, aber sie war doch etwas verletzt.

"Ich... Ich hab mit ihm geredet, ich... ein Licht... wo ist er?", murmelte der Youkai verwirrt und fasste sich an den Kopf.

Kuraifaia, welche gerade einen neuen kalten Umschlag bereit machte, sah überrascht auf. "Wo ist wer?"

"Toko... eben war er noch...da..." Er brach ab und schloss die Augen, als wolle er sich auf etwas konzentrieren.

Dann sprang er plötzlich wie von der Tarantel gestochen auf und riss die Augen auf, starrte dabei ins Nichts.

"Mako! Leg dich sofort wieder hin!", rief Kuraifaia aus und richtete sich empört auf.

"Ich kann ihn hören!", sagte der Angesprochene, ohne auf ihr Gesagtes zu achten. "Ich kann ihn hören!"

"Du kannst... was?", fragte die Dämonin mit klopfendem Herzen. Ihr Bruder schwieg zunächst, taumelte zurück und lehnte sich an die Wand.

"Er ist in mir... Ich höre seine Stimme in meinen Gedanken, genau wie immer. Aber ich fühle ihn jetzt auch... Ich spüre, dass er in mir ist...", flüsterte Mako merkwürdig ergriffen. Dann wandte er seinen Blick fast wie in Zeitlupe zu Kuraifaia, die immer noch mit dem nassen Tuch in der Hand da stand. "Es hat geklappt! Ich hab ihn von diesen Teufeln befreit, ich hab ihn raus geholt!", jubelte er.

"Das ist... wunderbar...!", meinte sie, als sie den Sinn der Worte begriffen hatte. Kurz zweifelte sie, was ihr Bruder mit 'Teufel' meinte und ob er nicht eher verrückt geworden war, aber dann beschloss sie, ihm einfach mal zu glauben.
 

Die nächsten zwei Stunden brachten sie damit zu, aus zu testen wie die Verbindung mit Toko funktionierte. Folgendes kam dabei heraus: Zunächst einmal hatte Mako Recht behalten, Tokos Seele hatte sich in seinem Körper eingenistet und agierte jetzt wie eine zweite Persönlichkeit (welche sich nicht groß von der ersten unterschied). Er war auch in der Lage, den Körper seines Bruders vollständig zu übernehmen und dessen Geist in den Hintergrund zu drängen. Das wäre bei geistiger Folterung - wie etwa langweilige Versammlungen - von Vorteil, denn da könnte der eine eine Runde meditieren und brauchte nicht zuzuhören.

Es stand jedoch auch fest, dass Mako nicht die ganze Zeit über mit Toko kommunizieren konnte, denn dieser war schnell erschöpft. Da es nicht sein Körper war, benötigte er mehr Energie als sonst, um zu seinem Zwilling zu sprechen und schwieg deshalb gerne mal mehrere Stunden lang als stiller Beobachter.

Im Hinblick auf die Zukunft hatte Toko gesagt, dass er nicht wolle, dass sie weiterhin wie eine Person behandelt wurden. Er akzeptierte seinen Tod und blieb nur noch seines Bruders wegen in dieser Welt, darum solle seine Anwesenheit von anderen auch nicht weiter beachtet werden. Auch wehrte er sich strikt gegen Kuraifaias Vorschlag, Mitsura von seinem Tod zu unterrichten. Er war überzeugt, dass er sie im Chaos des Krieges irgendwann noch einmal wieder sehen würde und wollte ihr es dann 'so nebenbei' sagen, um die Trauer vorzubeugen. Schließlich war Toko ja noch nicht wirklich aus der Welt...

Das war dann auch der Zeitpunkt, wo Kuraifaia überhaupt einmal erfuhr, dass sich ihre Schwester auch ins Mittelalter begeben hatte und jetzt auf der Seite des Westens kämpfte. So erkannte sie jetzt auch mit Schrecken, dass diese für das Massaker der zweiten Schlacht verantwortlich sein musste, denn Mitsura hatte schon einmal in ihrer Kindheit giftigen Regen geschaffen, wenn auch mit einer anderen Zusammensetzung - allerdings nur, um das Haus der Nachbarn weg zu ätzen. Das Ganze stank also förmlich nach Mitsura Vanderobe.

Nachdem Kuraifaia das erfahren hatte, begab sie sich sofort zum nördlichen Turm des Schlosses, wo der Fürst Brieftauben hatte züchten lassen. Sie waren Boten wenn es galt, durch magische Bannkreise zu kommen und die Nachrichten nicht so wichtig und damit eilig waren. Meistens wurden sie von Spionen eingesetzt, um sich untereinander zu verständigen. Kuraifaia schnappte sich eine der Tauben und brachte sie in ihr Zimmer, wo sie Mako befahl, einen Brief an Mitsura zu schreiben. Darin sollte die Bitte - oder viel mehr der Befehl - enthalten sein, den Dienst im westlichen Militär sofort zu kündigen oder in den Süden auszuwandern, um diesem nicht noch mehr Schaden zuzufügen. Sie wollte ihr nicht sagen, dass sie hier die Prinzessin war, falls diese Information doch durch sie irgendwie an Sesshoumaru gelangen konnte - selbst wenn es unwahrscheinlich war, im Westen gab es tausende Krieger - und wollte es ihr ebenfalls 'so nebenbei' beichten. Zwar hatten ihre Brüder die Nachricht bei der Gerichtsversammlung mehr oder weniger gelassen aufgenommen, aber bei Mitsura wäre das sicher noch eine andere Sache.

Den Brief schrieb Mako, damit man Kuraifaias Handschrift nicht erkannte und er war auf hindi, eine Schrift, die nur Mako und Mitsura hier in Japan beherrschen dürften - und das auch nicht ganz fehlerfrei. Das hatte den Grund, dass in Japan hauptsächlich der Buddihsmus verbreitet war, mit Hinduisten in Indien hatten sie nichts zu tun.

So konnten sie trotz Verschlüsselungsexperten sicher sein, dass der Brief ungelesen bei Mitsura ankam, denn selbst wenn man sie erwischte und aufforderte den Brief vorzulesen, bekämen sie von ihr keine Informationen. Mitsura war nämlich eine der wenigen Dämonen die es schafften, selbst für die feinen Sinne der Hundedämonen eine Lüge zu verstecken - selbstverständlich nur für Notfälle. Diese traten allerdings ihrer Meinung nach ziemlich häufig auf...
 

Gegen Abend klopfte es schließlich an der Tür. Das war natürlich in den zwei Wochen, in denen sich Kuraifaia mit Mako eingeschlossen hatte, recht häufig passiert. Nur diesmal überlegte die Youkai ernsthaft, ob sie nicht öffnen sollte. Der Grund dafür war die Art der Aura und der Geruch, welcher ihr verriet, wer da zu ihr wollte. Es war der Fürst selbst.

Im Grunde hatte sie nichts zu verstecken, die Taube war mit dem Brief bereits unterwegs und Mako sah nicht mehr annähend so krank aus, wie zu dem Zeitpunkt seines Erwachens. Dennoch wusste sie nicht, ob es klug wäre ihren Bruder, der gerade erst eine Seelenaufnahme knapp überlebt hatte, schon mit mehr oder weniger fremden Personen zu konfrontieren. Unsicher sah sie zu ihrem Bruder, doch dieser antwortet auf seine Art. Er ging zur Tür, entfernte das Siegel davon und riss sie mit Schwung auf, während er laut rief:

„Herein, wenn's keine Miko ist!“ Wieder hatte er das übliche Grinsen im Gesicht. Diese Miene erfreute Kurafaia mehr als alles andere, hieß sie doch, dass er sich tatsächlich nicht verändert hatte und dass es ihm wieder relativ gut ging.

Ninushu Omaru trat ein und zeigte durch nichts ob er verwirrt war, auf diese Weise hereingebeten worden zu sein. Mako, nicht ahnend wer ihm gegegenüberstand, setzte gleich noch einen drauf:

„Hey Opa, was geht ab?“

„Mako!“, zischte Kuraifaia „Das ist der Fürst!“

„Na und? Mit dem Lord bin ich auch fertig geworden, mit seinem Alten hab ich dann erst recht keine Probleme“, war die freche Antwort.

„Und wer ist das?“, fragte der Fürst nur kühl und überging Mako vollkommen.

„Das ist mein Bruder, er...“ Erneut sah die Youkai den Braunhaarigen vernichtend an.

„Er hat Keisushiro getötet?“ Es war mehr eine Feststellung, als eine Frage.

„Sicher. Wenn du seine Leiche begraben willst, kann ich dir die Wegbeschreibung rüberschieben“, bot der Inuyoukai an.

„Bitte verzeiht ihm, er hat einen schwierigen Kampf hinter sich und ist nun geistlich etwas verwirrt“, warf die einzige Frau im Raum ein.

„Ich soll geistig verwirrt sein? Das ist mir neu", erwiderte ihr Bruder.

„Na hallo, du hast eine gespaltene Persönlichkeit und faselst was von Teufeln, die dich umbringen wollten! Wenn du nicht geistig verwirrt bist, dann ist es keiner“, erwiderte Kuraifaia und versuchte so gleichzeitig, unliebsame Fragen vorweg zu nehmen.

„Wie auch immer, Kuraifaia, du wirst dringend gebraucht. Wir benötigen eine Ratsitzung in der du anwesend sein musst und da sind ein paar Dämonen, die schon seit fast einer Woche auf dich warten. Ich hätte ja lieber einen Boten geschickt, um dir das zu sagen, denn ich bin selbst sehr beschäftigt, aber dann hättest du dich vermutlich weiterhin hier abgeschottet“, erklärte der Fürst mit einer Engelsgeduld.

Kuraifaia bekam ein wenig ein schlechtes Gewissen, doch sie drehte sich nur zu ihrem Bruder um und sagte:

„Dein Wunden sind zwar alle verheilt, aber du solltest dich dennoch schonen. Sei brav, verlass das Schloss nicht und bring niemanden um, okay?“, befahl sie in herrischem Ton, woraufhin Mako genervt das Gesicht verzog.

Die junge Frau wandte sich dann von ihm ab und folgte Ninushu hinaus.
 

*
 

Nahe der Grenze...

„Normalerweise trägt sie ihre Haare schwarz, und eigentlich immer offen. Aber nach der Verwandlung hat sie die Farbe rausgewaschen, und-“ Mitsura hielt inne und Chikara sah von seinem Pergament auf, auf welchem er Anis' Beschreibung genau notiert hatte.

„Rede weiter“, befahl er, doch die Youkai schien ihn nicht gehört zu haben. Sie starrte unverwandt in den Himmel und runzelte die Stirn.

Das Lager des Westens war schon seit langem abgebrochen worden, aber es kostete Zeit, die vielen Krieger unterzubringen, von denen viele verletzt waren. Chikara hatte mit der Befragung der Dämonin sofort anfangen wollen, war dann jedoch gerufen worden, weil Kowei, einer seiner Schüler, sich unbedingt mit Abunai duellieren wollte und Streitigkeiten unter den einzelnen Mitgliedern des Westens konnten sie sich nun wirklich nicht leisten. Als er jedoch wieder zurück gekommen war, war Mitsura verschwunden. Sie tauchte erst gut zehn Tage später wieder auf und gab lediglich an, sie hätte Kräuter gesammelt. Niemand hatte ihr das wirklich abgenommen und Chikara war drauf und dran gewesen, Sesshoumaru die Sache zu melden, hatte es dann aber doch gelassen. Die Zeit hatte er nutzen können, um seine Reise vorzubereiten und so war diese nicht verschwendet, aber seine Geduld mit dieser Frau ließ eindeutig nach.

„Bin gleich wieder da!“, meinte Mitsura und riss den Lehrer aus seinen Gedanken, und als er sich wieder beisammen hatte, war sie schon wieder weg. Diesmal aber ließ er sich nicht so leicht abschütteln, er folgte ihrem Geruch auf die Bäume hinauf und beobachtete schließlich, wie die Youkai einer Katze gleich aus einer dichten Krone sprang und – eine Taube einfing. Er hetzte hinterher und folgte ihr auf eine kahle Lichtung, wo sie zu seiner großen Überraschung ein Stück Papier vom Fuß des Vogels riss und diesen wieder frei ließ.

„Was hast du da?“, fragte er misstrauisch und trat näher. Solche Botenvögel wurden nur wegen magischen Schutzschirmen verwendet, das wusste er. Nachrichten die nichts enthielten, was dem Westen schaden könnte, wurden dort hindurch gelassen, deshalb wurden Tauben oft von... von Spionen verwendet.

„Ein Brief... für mich“, sagte Mitsura und hielt das Papier hoch.

„Für dich? Von wem?“, hakte er nach.

Die Angesprochene hatte den Brief inzwischen geöffnet und überflog den Text, während sie die Stirn runzelte.

„Von einem Freund...“, antwortete sie abwesend und ihre Augen verengten sich beim lesen. Kaum jedoch war sie am Ende der Seite angekommen, riss ihr Chikara das Papier aus der Hand. Er hatte mit Widerspruch gerechnet und war etwas verwirrt als keiner kam, doch die Inuyoukai schien ihm auf einmal sehr weit weg in Gedanken.

Er warf einen Blick auf die Nachricht und runzelte seinerseits die Stirn. Was zum Teufel waren denn das für komische Kringel und Striche? Ein Geheimcode? Ja, so musste es sein. Die Schrift war nicht sehr sauber, es hatte sicher ein Mann geschrieben, doch der Inhalt blieb ihm verborgen.

„Was steht da drin?“, verlangte er zu wissen. Immerhin stammte dies von einer Person, die auf die Art der Spione mit Mitsura kommunizierte und enthielt vielleicht einen wichtigen Hinweis, denn wie gut die Nasen der Hundedämonen auch waren: Dem leisen Hauch eines Vogels, der viele Kilometer geflogen war, konnten selbst sie nicht mehr folgen.

„Hier steht: मुझे दक्षिण में है“, antwortete sie, seine Gründe wohl erratend, „und मैं चाहता हूं कि आप नहीं युद्ध है . - Weißt du was?“, wechselte sie abrupt das Thema und sah ihn intensiv an: „Ich denke, ich sollte dich auf deiner Suche begleiten.“

„Wie bitte?“, fragte Chikara und blinzelte, den verschlüsselten Brief – er war sich zu hundert Prozent sicher, dass Mitsura ihn für dumm verkaufen wollte – noch immer in der Hand.

„Du hast mich schon richtig verstanden. Ich gehe jetzt sofort zu Sesshoumaru und sag ihm Bescheid. Es ist sowieso viel besser, weil ich Anis kenne“, beschloss sie kurzerhand und setzte sich in Bewegung. Ihr folgte ein verwirrter Chikara, der nicht wusste, ob er sie für ihre Unverfrorenheit töten, oder doch lieber versuchen sollte, mehr Informationen über den Brief aus ihr heraus zu bekommen. Immerhin, hatte der Lord nicht gesagt, er könne alles mit ihr machen was er wollte? Dumm nur, dass er ich nicht entscheiden konnte...
 

Zwanzig Minuten später hatten sie Sesshoumaru aufgespürt, welcher sich bei den wenigen Reitdämonen befand, die von den höchsten Youkai, hauptsächlich des Rates, benutzt wurden, um zwischen den einzelnen Lagern der Rudeln zu wechseln.

„Lord Sesshoumaru!“, rief Mitsura schon von Weitem und missachtete die empörten Blick der wenigen Diener, die hier anwesend waren.

Der Angesprochene wandte sich nicht einmal zu ihr um.

„Chikara und ich haben ausgemacht, dass es besser wäre, wenn wir zusammen die, äh... Mission erledigen.“ Das war glatt gelogen, aber was soll's. Chikara sog hinter ihr geräuschvoll die Luft ein und wären nicht zwei Meter Abstand zwischen ihnen, hätte er ihr jetzt sicher einen schmerzhaften Rippenstoß versetzt.

Mitsura wusste, dass ihr Vorhaben riskant war. Kuraifaia schrieb, sie solle sich aus dem Krieg heraus halten. Es hatte sich nicht so angehört, als wäre sie bei der Schlacht dabei gewesen – was nicht weiter schlimm gewesen wäre, da ihre Geschwister das von ihr verwendete Gift kannten und sich davor schützen konnten – aber sie musste dennoch zumindest dort sein, wo man viele Informationen her bekam. Vielleicht ja sogar immer noch auf dem Schloss. Aber dort hin zu kommen, würde mehr als schwierig werden und es wäre auch nur ihre letzte Variante. Erst würden sie das gesamte Land absuchen, dann kam das Schloss. Kein Hund ging doch freiwillig in die Höhle des Löwen.

Zwar müsste sie für dieses Unternehmen ihren Platz als zukünftige Anführerin der Shirosendo aufgeben, aber so könnte sie ihre Karriere auch im Schutze ihrer Schwester, welche sich anscheinend schon eingelebt hatte, wieder neu aufbauen. Das wiederum bedeutete Verrat am Westen... Aber sie hatte nun zumindest wichtige Informationen, zum Beispiel das Sesshoumaru der Lord dieses Landes war. Entweder also sie überredete Kuraifaia mit ihr in den Westen zu kommen, oder sie blieb mit ihr im Süden und sorgte dafür, dass sie Sesshoumaru nach Ende des Krieges, wenn es einen eindeutigen Gewinner gab – der sicher der Westen war – zu Gesicht bekam. Schließlich war es nicht ihr Ziel, die Anführerin einer Horde weißer Hunde zu sein, das genügte ihr eigentlich nicht so recht. Sie hatte noch immer vor, ihre Schwester mit Sesshoumaru zu verkuppeln. Immerhin, Anis wäre dann eine Prinzessin und sie selbst würde zur Fürstenfamilie gehören... Da brauchte sie sich nicht einmal anzustrengen, um im Rang aufzusteigen. Abgesehen davon würden ihr dann auch hundert mal mehr Männer zur Verfügung stehen, als ohnehin schon...

Was sie mit Chikara machen sollte, wusste Mitsura noch nicht, er hatte sich bisher gegen ihre natürliche Schönheit immun gezeigt und sie hatte noch nicht gewagt, ihn in aller Öffentlichkeit zu verzaubern. Eben wäre es gut gegangen, aber die Taube war dazwischen gegangen. Natürlich könnte sie ihn auch einfach irgendwann auf der Reise töten, aber es wäre amüsanter, zunächst noch etwas mit ihm zu spielen.

Daran, dass ihre 'Hilfe' auf der Mission geduldet werden würde, zweifelte sie nicht, Sesshoumaru sah es nämlich überhaupt nicht gern, wie sie immer mehr an Macht gewann und eigene Aktionen ausführte.

Und tatsächlich, sie behielt Recht:

„Ich habe nichts dagegen einzuwenden, solange ihr die Aufgabe erledigt.“ Der Weißhaarige drehte sich um und sah ganz besonders Mitsura scharf an.

Seufzend fasste diese einen Entschluss, hob die Hand und sagte: „Ich verspreche, dass ich Chikara bei der Suche helfen werde.“ Dem Lord genügte das offenbar, da er sich nichtssagend wieder umdrehte. Mitsuras Augen blitzten kurz auf. Sie hatte mit keinem Wort erwähnt, was sie NACH der Suche machen würde, geschweige denn, wann diese einsetzte oder mit wie viel Eifer sie dabei sein würde. Die Youkai hielt einige Monate nämlich nicht für genug, um die Wunden einer so dramatisch getrennten Liebe zu überwinden und fasste schon jetzt den Plan, wie sie Jahre damit verbringen konnte, den Süden nach Kuraifaia abzusuchen, obwohl es vielleicht schneller gegangen wäre. Ganze Jahre, allein mit einem gutaussehenden Mann... Noch ein Grund, warum sie diesen Job hier gern übernahm. Sie liebte das Brauen von Tränken und Mischen von Kräutern um die verschiedensten Gifte herzustellen. Aber noch viel größer war ihr Leidenschaft dem männlichem Geschlecht gegenüber...

„Mein Lord, wenn es euch genehm ist, werden wir sofort aufbrechen, ich habe die Vorbereitungen bereits getroffen“, sagte Chikara in einer Verbeugung, während sich Mitsura bereits abgewandt hatte.

Sesshoumaru drehte sich noch einmal um, sah seinen Freund nachdenklich an und meinte dann: „Ihr werdet Ah-Uhn mitnehmen“, keiner der beiden Dämonen sah ihn irgendein Zeichen machen, doch plötzlich löste sich ein grün-brauner Drache aus der kleinen Schar der Reittiere. Er war vollständig gesattelt und hatte Platz für mindestens drei Personen.“Es ist möglich, dass ihr euch trennen müsst und er kennt Anis' Geruch.“

Chikara stammelte ein Dankeschön, während er den Drachen in Empfang nahm. Mitsura, die keine Ahnung hatte, welchen Wert Ah-Uhn inzwischen für den Lord hatte, wunderte sich ein wenig über dessen scheinbare Rührung. Sie sah diese Geste ganz einfach als einen Missvertrauensbeweis, wahrscheinlich rechnete er damit, dass sie Chikara angreifen würde, er sie töten müsste und wollte sicher gehen, dass er auch dann noch jemanden hatte, der Kuraifaias Geruch kannte. Oh, wie gut sie sich doch mit ihrem zukünftigem Schwager verstand!
 

*
 

Im Süden...

"Nein!", rief Kuraifaia aus und ließ sich auf den nächsten Stuhl fallen.

"Doch! Dieser hirnverbrannte Vollidiot! Dieser schamlose Verräter! Dieser gewissenlose Heuchler!" Die Youkai schlug wütend mit der Faust auf die Wand ein, auf der sich feine Risse abzeichneten. "Er ist ein Lügner! Ein vermaledeiter Lügner! Er hat gesagt... Er hat doch gesagt, dass er zurück kommt!"

Die junge Frau tigerte wie ein eingeschlossener Löwe in einem zu kleinen Käfig im Wartezimmer auf und ab. Ihr Anblick war mitleiderregend.

"Ich hätte mitgehen sollen! Ich hätte verdammt nochmal mitgehen sollen! Warum bin ich hier geblieben?! Ich bin so blöd!"

"Aber du hättest doch nicht in eine Schlacht ziehen können! Verdammt nochmal, Kigiyakana, du bist trächtig!", protestierte die Prinzessin, aber ihr Gesicht war blutleer.

Kigiyakana hörte sie nicht, erneut schlug sie auf die Wand ein: "Das werd ich ihm nie verzeihen, diesem egoistischen...Dämon! Wie kann er es überhaupt wagen?!" Sie wurde immer lauter, doch Kuraifaia ahnte, dass sie nur ihre Tränen verbergen wollte.

"Kigiyakana, beruhige dich. Du musst jetzt stark sein, ja? Rakunas Verlust ist schrecklich, aber du musst dich doch um den Welpen kümmern! Lass dich jetzt nicht gehen, das hätte er nicht gewollt!"

"Das hätte er nicht gewollt, das hätte er nicht gewollt! Mich interessiert es einen Scheißdreck, was er gewollt hätte! Hier geht es um MICH, um MEINE Zukunft und für die sehe ich schwarz! Rakuna hat gesagt, er kommt zurück! Er hat's mit verdammt nochmal versprochen! Ich war so dumm und hab ihm geglaubt, ich hab mich auf ihn verlassen und dann hat er mich verlassen. Er hat sein Versprechen nicht gehalten - dafür könnte ich ihn umbringen!

Ich hab ihn niemals um irgendetwas gebeten. Es war das erste und - so hab ich mir geschworen - auch das letzte Mal, dass ich ihn um etwas bat. Es ist nicht gerecht, er hätte zurück kehren sollen. Was bildet er sich eigentlich ein?! Denkt er, er kann seine Spielchen mit mir treiben?! Nicht mit mir!" Ihre Krallen gruben sich in den Putz, doch ihre Wut verrauchte langsam. Die blau-grünen Haare fielen ihr ins Gesicht und die langen, grauen Hundeohren hingen traurig herab.

"Er hätte das nicht tun dürfen. Er hätte mich nie allein lassen dürfen. Was bildet sich dieser Dreckskerl ein, so einfach ins Gras zu beißen?!"

Jetzt konnte Kuraifaia bereits den salzigen Geruch von Tränen riechen. Langsam trat sie an ihre Freundin heran und legte ihr eine Hand auf die Schulter.

"Ich bin sicher, Rakuna hat alles versucht, um zu dir zurückzukehren. Ich bin sicher, er hat dich wirklich geliebt", versuchte sie sie zu beruhigen, doch auch in ihrer Stimme lag der Schmerz über den Verlust des Anführers ihres Rudels.

"Liebe! Was ist das schon. Rakuna hat mich nicht geliebt. Es hat ihn nur gewurmt, dass er mich nicht haben konnte, weil ich mich ihm so lange widersetzt hatte. Und als er mich dann so schamlos überfallen hat, verlor er das Interesse an mir und ist in die Unterwelt abgehaunen... Feigling", murmelte sie böse.

Kuraifaia schüttelte den Kopf. "Ich habe euch beobachtet und da war bestimmt mehr, als er preisgegeben hat, mehr als du denkst."

"Na und? Was schert es mich? Er hat mich verraten. Meine Zukunft ruiniert. Was interessiert mich jetzt noch die Vergangenheit?", erwiderte Kigiyakana, warf stolz den Kopf zurück und wischte sich mit einer fahrigen Geste die Tränen aus dem Gesicht.

"Warum es dich interessiert? Weil du ihn ebenfalls geliebt hast, deswegen natürlich! Du glaubst, er hat deine Zukunft zerstört, aber er hat dir doch einen wunderbaren Welpen hinterlassen! Du solltest dich jetzt auf deine Aufgabe als Mutter konzentrieren", meinte Kuraifaia überzeugt.

Die Youkai drehte sich zu ihr um, in ihren Augen lag ein merkwürdiger Ausdruck.

"Vielleicht hast du Recht, ja... In dem zweiten Punkt. Zwischen Rakuna und mir war nie mehr als Kameradschaft, aber es ist dennoch meine Pflicht, mich um das Ungeborene zu kümmern", stimmte sie fast widerwillig zu.

"Genau! Du schaffst das, da bin ich mir sicher. Wenn du Hilfe brauchst, kannst du selbstverständlich auch immer zu mir kommen", bot Kuraifaia an. In ihrem Inneren jedoch wimmelte es von Schuldgefühlen. Das südliche Heer hatte nur deshalb so rasch verloren, weil ihre Schwester diesen gifigen Regen geschickt hatte. Mitsura hatte Rakuna, den Gefährten ihrer Freundin, auf dem Gewissen... Wenn sie ihr doch nur eher geschrieben hätte!

"Danke, ich weiß das wirklich zu schätzen. Immerhin hast du ja sicher auch eine Menge um die Ohren. Warum hast du dich eigentlich so lange eingeschlossen?", fragte die Inuyoukai in dem offensichtlichen Bestreben, vom Thema und von ihren Gefühlen abzulenken.

"Es war wegen meinem Bruder... Er lag im Sterben, aber jetzt ist er außer Gefahr", antwortete sie ehrlich.

Kigiyakana zog eine Augenbraue hoch. "Ich wusste gar nicht, dass du einen Bruder hast."

"Muss ich vergessen haben zu erzählen..."

"Du scheinst so einiges zu vergessen! Neulich hab ich mal eben so nebenbei erfahren, dass du verlobt bist! Demnächst erzählst du mir noch, dass du eigentlich vom Mond kommst um die Erde zu übernehmen!", prophezeite sie düster.

Kuraifaia machte ein bestürztes Gesicht. "Wie hast du das denn herausbekommen? Ich dachte, meine Tarnung sei perfekt!", meinte sie spielerisch, froh ihre Freundin etwas aufmuntern zu können.

"Oh nein, ich hab dich an deinem Liebesgesülze erkannt! Dein Gelaber von ewiger Liebe... Deine Suche nach der wahrhaftigen Seeligkeit in einem Meer von Unglück und Verderben, deine Aussicht auf ein fröhliches Leben in Zeiten des Krieges: Du bist nicht von dieser Welt!" Anklagend zeigte sie mit dem Finger auf Kuraifaia.

Obwohl ihre Worte verletzend waren, erhob sich die Youkai und breitete theaterisch die Arme aus: "Tja, du hast mich durchschaut. Mein dunkles Ziel ist es, alles was auf der Erde wandelt zu zerstören, und hier mein eigenes, bösartiges Reich aufzubauen. Dann hole ich alle meine Alienfreunde und wir feiern eine mega Party", eröffnete sie ihr.

"Ach, und zu dieser Party gehst du sicher mit deinem Verlobten zusammen hin, nicht wahr?", fragte die Inuyoukai.

"Nein, der macht zur Zeit Ferien auf dem Mars und kann leider nicht kommen", Die Dämonin schüttelte in gespielten Bedauern den Kopf.

"So ein Mist aber auch! Ihr habt eure Herrschaft bereits auf andere Planeten ausgebreitet?!", meinte die Andere entsetzt, welche ein wenig von den verschiedenen Planeten verstand. Dämonen waren da schon weiter entwickelt.

"Aber sicher. Der Mars macht Mobil. Hast du Lust auf eine Reise zum Neptun? Ich habe gute Verbindungen mit einigen Reisezentren...", schlug Kuraifaia vor.

"Nee, lass mal", sagte Kigiyakana, nicht wissend was Reisezentren waren, "Verpass deinem Verlobten aber von mir ne saftige Ohrfeige, verstanden? Männer sind alle gleich, erst machen sie große Versprechungen und dann lassen sie dich sitzen. Fall nicht auf sie herein." Da war Kigiyakana wieder ernst und schaute sie regelrecht warnend an.

"Ja... ich werde ihm deine Grüße übermitteln", sagte Kuraifaia, jetzt ebenfalls wieder ohne jeglichen Jux.

Ihre Freundin nickte. "Ach ja, und noch etwas!"

"Was?"

"Lass es ja nicht so weit kommen, dass er dich 'Hana' nennt. Dann ist es bereits zu spät."
 

Vier Wochen später hatte sich so etwas wie ein Alltag eingerichtet. Kuraifaia besprach regelmäßig mit dem Fürsten und dem Rat die Lage des Krieges, einmal sah sie sogar aus der Ferne zu. All die weißhaarigen Dämonen, die sich auf ihre Leute stürzten... Irgendwo unter ihnen war Sesshoumaru. Der Drang hinunter zu gehen wurde übermächtig, aber sie hielt stand. Sie hatte keine Ahnung, was sie tun würde, wenn sie ihn irgendwann einmal treffen sollte, vielleicht sollte sie ihm tatsächlich eine Ohrfeige geben. Bevor sie ihn langsam und qualvoll umbrachte.

Ninushu Omarus Schwäche jedoch wuchs mit jedem Tag und ihr Unterricht wurde hart weiter betrieben.

Mako hatte schon bald die Langeweile eingeholt. Kuraifaia hatte ihm verboten, in den Schlachten mitzukämpfen, weil er sich weder unter einen Befehl stellen konnte, noch selbst in der Lage war, die Rolle eines Anführers zu übernehmen. Außerdem würde seine Anwesenheit Sesshoumaru eventuell auf ihren Aufenthaltsort hinweisen, doch das sprach sie nicht aus. So hatte sich Mako irgendwann in die Kerker zurückgezogen, wo er als Folterknecht den Respekt, die Furcht und den Hass bekam, den er so sehr brauchte. Er entwickelte das Töten zu einer wahren Kunst und die Kriegsgefangenen zitterten meist schon bei seinem bloßen Anblick.

Von Mitsura hörten sie weiter nichts, denn diese hatte ihren Plan verwirklicht und lockte Chikara in die entlegensten Gegenden, weil sie dort angeblich ihre Schwester gewittert hatte. Zudem schuf sie sich eine neue Herausforderung, indem sie sich vornahm, den ehemaligen Lehrer nicht mit Liebestränken zu verwirren, sondern ihn mit ihrer wahren Natur zu verführen. Sie machte einen Sport daraus, der ihr durchaus amüsant würde. Chikara jedoch war eine harte Nuss und nicht so leicht zu knacken. Dennoch gab sie nie auf. Schließlich hatte sie alle Zeit der Welt.

Sesshoumaru wiederum klammerte sich gedanklich an die kleine Suchtruppe als letzte Rettung und beruhigte so sein Gewissen. Da die beiden sich in feindlichem Gebiet befanden, konnte er keine Nachrichten von ihnen empfangen und das Warten war eine Qual. So aber konnte er sich auf die Kriegsführung konzentrieren und stürzte sich mehr denn je in die Arbeit. Dem Westen kam das sehr zugute, aber da auch der Süden organisierter vorging, schaukelte sich der Krieg lediglich in ein höheres Level hinauf.

Kigiyakana gebar bald darauf ihren Welpen, einen kräftigen Jungen. Sein Name war Shin kara seigan suru gamo Yakusoku o tagaenai, aber es wurde aus verständlichen Gründen nur von Shinkara gesprochen. Kigiyakana hatte es abgelehnt, im Schutze des Schlosses zu bleiben und hatte dann zeitweilig die Führung über das Rudel übernommen. Dank der Gunst der Prinzessin war es ihnen erlaubt worden, sich aus der Gefahrenzone heraus zu halten und so patrollierten sie jetzt wie früher an der Grenze - allerdings an der zum östlichen Reich, welches sich aus den Kriegsangelegenheiten heraus hielt.

Die Shirosendo des Westens standen bald wieder völlig unter Kurodenkas Kontrolle, allerdings hatte Mitsura sie so dermaßen umstruktoriert, dass er selbst manchmal nicht mit ihnen klar kam.

Zwei Monate später wurde der Krieg im Grunde erst wirklich eröffnet, als der Westen zum ersten Mal auch aus der Luft angriff, und so den Beistand der Vogeldämonen ausnutze. Der Süden jedoch hatte sich bei dem Erstellen des Schlachtplan von den Kitsunes helfen lassen, welche selbst für die unmöglichsten Situationen gewappnet zu sein schienen und konnten das Ärgste abwenden. Das Gemetzel schaukelte sich immer weiter hoch, erste Youkai traten mit Energieattacken auf und die Shirosendo setzen Mitsuras Idee letztendlich doch durch, und liehen sich das Gift der Schlangendämonen. Trotz allem schienen in den Kämpfen nun auf beiden Seiten weniger Dämonen zu sterben. Durch die 'Vorspiele' waren die unfähigen Soldaten eliminiert, auch wenn es natürlich auch Unglücksfälle wie Rakunas Tod gab. Die wirklich mächtigen Dämonen jedoch wussten sich auch gut zu schützen und nicht selten artete ein gut durchgeplantes Teamwork aufgrund von Jähzorn oder Verletzungen in Einzelduelle aus.

So nahm der Krieg zwischen den beiden Völkern ihren Lauf und der Hass wuchs auf beiden Seiten immer weiter. In den nächsten Jahren wurde die Chance auf einen Frieden immer geringer, bis sie schließlich ganz zu verschwinden schien. Es ging nur noch um Leben und Tod, um Gewinnen und Verlieren, Siegen und Versagen.

Die Kluft zwischen Sesshoumaru und Kuraifaia wurde mit jedem Schwerterpaar, welches aufeinander prallte, immer größer.
 

XxX
 

Ich hoffe, das mit Mako und Toko ist jetzt ein wenig klarer. Sorry, ist nur ein zwischenkapitel, musste aber rein.

Jetzt kommt nämnlich wieder ein Zeitsprung, über 5-6 Jahre. Ich versuch mcih etwas mehr zu beeilen, aber ich hatte diese Woche wirklich nur Stress, davor Schüleraustausch, Physikprojekt, Vorbereitung für meinen Geburtstag am Montag... und so weiter halt.

Fünf Jahre später

Fünf Jahre sind vergangen, seit Kuraifaia zur Prinzessin ernannt wurde. Doch erst jetzt wird sie bemerken, welche schrecklichen Auswirkungen der Krieg haben kann. Er fordert Opfer.
 

XxX
 

„Nein.“

„Nein?“

„Nein.“

„Warum nicht?“

Gute Frage. Wie sollte sie ihm erklären, warum sie sich dem Ort nicht nähern durften, an dem sich höchstwahrscheinlich die Person befand, die sie seit fünf Jahren suchten?

„Wir würden nicht reinkommen“, legte sie einfach mal fest.

„So ein Unsinn! Das südliche Schloss mag gut bewacht sein, ja. Aber wir müssen nur die Bannkreise genau durchsuchen, bestimmt gib es da eine Lücke! Wir müssen es einfach wagen, Mitsura!“ Eindringlich sah der Dämon sie an, doch die Angesprochene stand weiter nur da, mit verschränkten Armen und symbolisierte so ihren Unwillen.

„Es ist alles andere als sicher, dass Kuraifaia hier ist. Wenn etwas schief geht, sind wir beide tot, Chikara!“, warf sie ein.

„Wir haben alles abgesucht! Wirklich alles! Du willst sie doch gar nicht mehr finden, nicht war? Du hast mich die ganze Zeit von einem entlegenem Ort zum nächsten gelockt. Glaubst du etwa, ich hätte das nicht mitbekommen?!“, fuhr Chikara die Youkai an.

„Wenn es tatsächlich so wäre – und ich sage nicht, dass es so ist – warum sagst du dann erst jetzt etwas?“, konterte Mitsura.

„Ich habe unsere Route beobachtete und festgestellt, dass du besonders die Gebiete um das Schloss herum meidest. Das brachte mich auf die Idee, dass du genau weißt – oder zumindest vermutest – wo sich deine Schwester befindet. Nämlich in diesem Schloss“, schloss er.

Die Frau schüttelte den Kopf. „Ich habe diese Gebiete gemieden, weil sich hier zu viele feindliche Dämonen befinden. Das ist doch vollkommen klar.“

„Nein, du täuschst mich nicht mehr. Ich habe dieses Problem von verschiedenen Seiten betrachtet und ich denke, ich habe dich durchschaut. Dieser Brief, kurz bevor wir aufgebrochen sind, der war von Kuraifaia, nicht wahr? Sie hat von der zweiten Schlacht gehört und wollte dich zurückrufen. Nur deswegen hast du deinen Posten als Anführerin damals aufgegeben. Dann bist du mit mir gekommen, um sicher zu gehen, dass ich sie nicht so schnell finde“, erwiderte Chikara ruhig. Etwas jedoch sagte Mitsura, dass er seine eigenen Worte nicht wahr haben wollte.

„Du liegst falsch. Der Brief damals war von meinem Bruder.“ Das war ja nicht einmal gelogen, obwohl sie wusste, dass es wohl Kuraifaia gewesen war, die ihn diktiert hatte. „Wie du vielleicht auch schon herausgefunden hast, bin ich keine Japanerin, was die Schrift erklären sollte. Und ich denke, dass es mein gutes Recht ist, auch noch ein wenig Privatsphäre zu haben.“

„Du kannst sagen was du willst, ich werde mich nicht von meinem Vorhaben abbringen lassen“, meinte der Inuyoukai fest entschlossen.

Mitsura schwieg. Was der Dämon erzählte, entsprach alles der Wahrheit. Ja, sie hatte ihn vom Schloss fernhalten wollen und ja, sie hatte vermutet, dass Kuraifaia hier sein würde. Sie war sich einfach sicher, dass ihre Schwester noch nicht bereit war, jetzt mit der Vergangenheit konfrontiert zu werden. Die Situation würde eskalieren und sich schlimmstenfalls ins Gegenteil wenden und das wollte sie vermeiden. Aber so wie die Sache aussah, würde sich Chikara wirklich nicht umstimmen lassen.

"Wenn wir geschnappt werden, ist es aus. Sie werden uns foltern, um möglichst viele Informationen über den Westen heraus zu bekommen. Willst du Sesshoumaru unbedingt verraten?", fragte Mitsura leise.

Chikara zuckte zusammen, als hätte sie ihm eine Ohrfeige verpasst. Mit zitternder Stimme antwortete er: "Ich weiß, dass das Risiko hoch ist. Aber ich habe es dem Lord versprochen. Wenn ich mit leeren Händen zurück kehre, dann-" Er brach ab, biss sich auf die Zunge. "Es könnte die Entscheidung zu diesem Krieg bringen. Es ist meine Pflicht, diese Mission zu erfüllen, selbst wenn es mich mein Leben kosten sollte! Ich darf den Lord nicht enttäuschen, denn ich weiß, dass er auf mich zählt. Nichts wird mich von meinem Ziel abbringen, und um keine Folter der Welt würde ich ihn verraten!"

Mitsura konnte nicht anders, sie wandte den Blick ab. Mit solcher Leidenschaft treu für jemanden einzustehen, das war ihr fremd. Fast schämte sie sich ein wenig vor Chikaras reinem, durchdringenden Blick. Und da wusste sie auf einmal, dass sie seinem Plan folgen musste.

Die Sache geriet ihr außer Kontrolle. Das war bisher noch nie passiert. Niemals im Leben, nicht bei einem Mann. Wie nur konnte dieser Dämon so vehement für Sesshoumaru einstehen? Wie konnte Freundschaft, Treue und Loyalität so weit gehen? Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Chikara besonders viel zurück bekommen hatte. Umso mehr missfiel es ihr, dass er sich nun gegen sie zu wenden schien.

Aber das war kein Problem, nicht für sie. Mitsura war eine sehr anpassungsfähige Frau, sie sah in allem einen Vorteil. Irgendwie würde sie Chikara und sich selbst schon dort durchschmuggeln, zur Not könnte Kuraifaia ihnen vielleicht zur Flucht verhelfen... okay, das wohl eher nicht. Aber Makotoko war ja auch noch da, der würde sie schon nicht hängen lassen.

"Gut, ich denke wir sind jetzt quitt", seufzte Mitsura geschlagen.

"Was meinst du?", fragte der Andere verwirrt.

"Nun ja, ob du es glaubst oder nicht, aber auch ich habe tatsächlich vor, Kuraifaia zu finden. Ich wollte ihr lediglich etwas Zeit lassen, um sich an neue Umstände zu gewöhnen und meiner Meinung nach ist es noch viel zu früh, sie jetzt schon aufzusuchen. Ich hatte vor, sie nach dem Krieg zu suchen, aber als ich von deiner Mission hörte, wurde mir klar, dass ich verhindern musste, dass du sie sofort wieder zurück schleppst. Es ist wahr, ich habe dir nie vertraut und schon öfter mit dem Gedanken gespielt, dich zu töten. Offen gesagt, das tue ich auch jetzt. Aber da du mir ebenfalls misstrautest und mich benutztest, um Kuraifaias Aufenthaltsort heraus zu bekommen, denke ich, dass die Verhältnisse auf beiden Seiten nun ausgeglichen sind", erklärte sie ehrlich.

Der Dämon hob eine Augenbraue. "Und was heißt das jetzt?"

"Lass uns ab jetzt wirklich zusammen arbeiten!" Demonstrativ streckte ihm Mitsura die Hand hin. "Ich bin immer noch der Meinung, dass du einen Fehler machst, aber ich werde dir dennoch helfen, meine Schwester zu finden." Und danach suchen wir uns ein geeignetes Versteck, um uns vor dir und Sesshoumaru zu verbergen, fügte sie in Gedanken hinzu.

"Und danach sucht ihr euch ein geeignetes Versteck, um mir und damit dem Lord zu entkommen?", fragte Chikara skeptisch und erstmals hatte Mitsura Herzklopfen. Vor Aufregung, versteht sich.

"Nun,"... meinte sie ausweichend, "dein Auftrag lautete lediglich, sie zu finden. Nicht, sie zurück zu bringen, wenn ich mich recht entsinne. Lord Sesshoumaru", mit Absicht wählte sie die höfliche Variante, "möchte doch nur wissen, wo sie ist, und wie es ihr geht."

Chikara sah sie noch immer misstrauisch an, dann jedoch fasste er wie in Zeitlupe nach ihrer Hand und drückte sie leicht.

"Gut... Wir werden sie ausfindig machen und Informationen beschaffen, alles Weitere besprechen wir später." Noch immer hatte er die Stirn gerunzelt.

Mitsura lächelte ihr teuflisches Lächeln. Sie könnte Chikara noch eine Zeit lang von weiteren Dummheiten abhalten und bis er den Befehl bekam, sie in den Westen zu bringen - falls das überhaupt je geschehen würde - wäre Kuraifaia schon wieder über alle Berge. In der Flucht war sie recht gut... Oder zumindest geübt.
 

*
 

Im Süden...

"Unsere Kameraden haben sich hier, in Yatohama verschanzt. Es sind insgesamt an die fünfzig." Der Youkai tippte mit dem Finger auf einen Punkt auf der Landkarte.

"Danke, Akakage. Das zwingt uns, unsere Pläne zu ändern...", murmelte Kuraifaia.

"Wenn ich das richtig verstanden habe, ist Yatohama doch eine Art unterirdisches Labyrinth, oder?", fragte eine junge, schwarzhaarige Frau, rechts von der Prinzessin.

"Ja, Ryo-jin, aber es ist doch recht übersichtlich. Ich würde es eher als eine sehr große Säulenhalle bezeichnen", antwortete die Erbin des Südens.

"Nun, wir Fuchsdämonen verstehen ein wenig von dem Bau unter der Erde und ich denke, es wird nicht schwer sein, diese Position zu verteidigen. Vorausgesetzt, man hat die richtigen Mittel." Die Kitsune wartete höflich auf eine Aufforderung weiter zu sprechen und nachdem sie ihr erteilt worden war, fuhr sie fort: "Ich weiß nicht, wie Inuyoukai das handhaben, aber es wird schwer sein, von außen anzugreifen. Wie viele Eingänge hat Yatohama?"

"Zwei. Einer ist groß angelegt an einer Höhle, der andere ist so etwas wie ein Geheimgang, der etwa zweihundert Meter weiter weg im Erdboden liegt. Die zuerst waagerechte Höhle am Haupteingang ist an einer Stelle eingestürzt, sodass man bildlich gesehen eine Etage tiefer gelangen kann. Yatohama selbst erstreckt sich unterirdisch", erklärte Akakage.

"Wissen die Westler von diesem zweiten Eingang?", fragte Ryo-jin, doch die Frage fand Kuraifaia überflüssig. Welcher Inuyoukai, der nicht wenigstens einmal nach einem zweiten Eingang gesucht hätte, hätte diesen nicht entdeckt?!

"Ja, sie kennen ihn. Die Hundedämonen im Inneren haben beide Eingänge verschüttet und mit Bannkreisen gesichert, um nicht durch giftiges Gas hervorgelockt werden zu können", antwortete Akakage.

"Wie viele westlicher Krieger genau liegen dort auf der Lauer?", verlangte die schwarzhaarige Fuchsyoukai zu wissen.

"Das wissen wir nicht. An sich sind es vielleicht doppelt so viele..."

Kuraifaia begann, sich zurückzulehnen. Sie kannte die Fakten schon und es war langweilig für sie, alles noch einmal durchzukauen. Aber die Kitsune brauchte alle Informationen, also überließ sie es Akakage, dem neuen Heerführer, sie aufzuklären. Seit Heigoku vor fünf Jahren gestorben war, kümmerte er sich um alle militärischen Angelegenheiten. Jede Schlacht wurde vorher mit ihm besprochen und seit neustem zogen sie auch immer einen Fuchsyoukai zu Rate, denn die waren erstaunlich intelligent. Sie halfen ihnen, neue Strategien auszutüfteln und selbst die unsicherste Stellung schien man mit ihren Schlachtplänen halten zu können. Yatohama war so ein Fall. Eine Kompanie von etwa fünfzig Krieger saß dort gefangen, belagert von mindestens einhundert westlichen Hundedämonen. Bei den großen Verlusten, die der Süden in diesem Krieg schon erlitten hatte, konnten sie es sich nicht leisten, diese Kämpfer dort alle ihrem Schicksal zu überlassen. Sie mussten Hilfe schicken. Allerdings hatte Ryo-jin ganz recht, Yatohama mochte sich von innen gut verteidigen lassen, zur Hilfe eilende Krieger müssten jedoch auf der Ebene kämpfen, wo sie ein gutes Ziel abgaben. Die Sache war nicht einfach.

"Was wir brauchen, ist Ablenkung. Wir können sie nicht mit einer Übermacht angreifen, dazu haben wir zu wenig Krieger, das Risiko ist zu groß. Wenn wir aber den Überraschungseffekt auf unsere Seite ziehen können, haben wir so gut wie gewonnen", meinte die Kitsune.

"Bedenke aber die Spezialeinheiten des Lords des Westens. Sie werden sicherlich jeder Zeit Hilfe aus der Luft anfordern können und da wären auch noch die Schlangen...", meinte Akakage.

Wieder hörte die Prinzessin nur mit halbem Ohr zu. Stattdessen besah sie sich die beiden Dämonen etwas genauer. Ein neutraler Beobachter hätte die Dämonenrasse der beiden wahrscheinlich verwechselt. Akakage, der Inuyoukai, hatte blutrote, hüftlange Haare und ein schmales, fast feminines Gesicht. Seine Augen leuchteten orange und verliehen ihm einen fast hinterhältigen Ausdruck, der perfekt zu seiner vollkommen schwarzen Kleidung passte. Ryo-jin jedoch wirkte eher aufgeweckt, fast verspielt. Sie trug sogar - untypisch für eine Kriegerin - ein Kleid, das mit Feuermustern bestickt war. Sie wäre durchaus schön gewesen, sähe nicht ihre Frisur aus, als käme sie gerade aus dem Bett. Ihre Zopf hinderte ihre widerspenstigen Haare mehr schlecht als recht daran, ihr ins Gesicht zu fallen. Alles in allem sah sie nicht wie die bahnbrechende Intelligenzbestie aus, dessen Ruf sie inne hatte. Aber man sollte ja bekanntlich keine Vorurteile haben.
 

Eine Stunde später war der neue Schlachtplan fertig ausgearbeitet und selbst Kuraifaia musste zugeben, dass die Ideen der Kitsune Gold wert gewesen waren.

"Ryo-jin, gibst du die Anweisungen für den Bau der neuen Waffen weiter?", wies sie die Kitsune an.

"Sofort, Prinzessin!", sagte diese höflich uns verließ den Raum.

Kuraifaia wandte sich an Akakage: "Bitte gib sämtliche Informationen an den Rat weiter, sie sollen sofort mit der Umsetzung beginnen. Setze sie, wenn nötig, ein wenig unter Druck." Eigentlich musste der Plan noch offiziell von ihnen genehmigt werden, aber dazu hatten sie keine Zeit.

"Verstanden", erwiderte der Rothaarige.

"Ich werde derweil zum Fürsten gehen und ihm die neue Lage erklären." Mit diesen Worten wandte die Inuyoukai sich zur Tür und verließ den Beratungsraum, dicht gefolgt von Akakage.
 

*
 

Im Westen...

"Wie ist die Lage in Yatohama?", fragte Sesshoumaru ungeduldig.

"Noch steht alles zu unseren Gunsten, es ist jedoch zu erwarten, dass die Feinde bald Unterstützung bekommen", antwortete der berichterstattende Soldat, der sich anstrengen musste, um dem Lord zu folgen, welcher im Laufschritt die Gänge seines Schlosses durchquerte.

"Wie sind die Verhältnisse?", fragte er weiter.

"Einhundertundzwanzig unserer Krieger gegen etwa vierzig Gegner. Sie halten sich unterirdisch versteckt und haben einen Bannkreis um die ganze Höhle gelegt", war die Antwort.

Sesshoumaru legte die Stirn in Falten. Wenn die Südler noch Verstärkung schickten, würde das zu einer großen Schlacht heranwachsen. Es mochten kaum zweihundert Youkai im Spiel sein und zu Anfang des Krieges nannte man ein Gemetzel erst 'Schlacht', wenn mindestens dreihundert kämpften. Aber die Zeiten hatten sich geändert, beide Seiten hatten zu wenig Krieger und wenn sie in Yatohama einen Sieg erringen konnten, bei dem genug von ihren Feinden starben, könnte dies schon das Ende des Krieges bedeuten. Könnte.

"Ich werde mich unverzüglich nach Yatohama begeben. Du kannst gehen", befahl er dem Soldat.

Während sich der Youkai entfernte, war nun auch Sesshoumaru am Ausgang angekommen. Vor ihm erstreckte sich der Schlosshof. Da es gerade Frühling war, standen die Kirschbäume, welche die angrenzenden Gebäude schmückten, in voller Blüte. Der Lord schenkte der herrschenden Pracht nicht mehr als einen flüchtigen Blick, bevor er sich auf zum Tor machte. Diener und Soldaten - von denen es hier nicht mehr so viele gab, weil alle im Heerlager waren - wichen ihm hastig aus und kurz nachdem er den schützenden Bannkreis des Schlosses verlassen hatte, verwandelte er sich in seine Energieform. Die Sache in Yatohama würde er lieber selbst erledigen.
 

*
 

Im Süden...

"Du bist verrückt!", zischte Chikara zwischen zusammengebissenen Zähnen.

"Ich hab das schon x-mal gemacht, keine Sorge. Das Zeug färbt deine Haare schwarz, geht auch relativ gut wieder ab. So fällst du nicht auf, falls du doch erwischt wirst! Komm, ich hab's doch auch gemacht!", versuchte Mitsura ihn zu überzeugen und wedelte mit der Flasche vor seiner Nase rum. Die Wahrheit war, dass das Zeug die Haut verätzte, wenn es mit Wasser reagierte. Dem Typen würde glatt der Schädel wegschmelzen. Sie selbst hatte sich lediglich ihre Haare gewaschen, die weiße Farbe so rausbekommen. Ihre pechschwarzen Haare waren vollkommen natürlich.

"Denkst du, das Zeug wird man nicht riechen?!", protestierte Chikara und strich sich durch sein grau-weißes Haar.

"Riechst du bei mir etwa was?!" Natürlich nicht. Sie lachte sich ins Fäustchen.

"Nein, aber- Verdammt, ich will nicht wie ein Südler aussehen!", sagte ihr Partner entschieden.

"Nun zier dich doch nicht so! Wir haben uns ja auch schon mit den Gräsern eingerieben, die unseren Geruch soweit verdecken, dass man uns zwar noch als Hundedämonen identifizieren, jedoch nicht einem Land zuordnen kann. Da hattest du doch auch nicht solche Probleme!", meinte sie verärgert.

Der Grund, warum sie Chikara töten wollte, war kompliziert und sie hätte ihn lieber niemandem erklären wollen. Fest stand aber, dass sie sich in letzter Zeit viel zu wohl bei ihm fühlte. Als er ihr indirekt den Verrat vorgeworfen hatte, war sie verletzt gewesen. Das durfte nicht passieren! Mitsura befürchtete wirklich, Gefahr zu laufen sich in ihn zu verlieben. Sie hatte kein Problem mit der Liebe an sich. Sie konnte in entscheidenen Momenten viel Kraft verleihen, das wusste sie. Aber sie verletzte auch, sie verletzte das Herz des Liebenden. Sie jagte Angst vor Zurückweisung ein, Angst vor dem Tod des Partners. Sie machte abhängig. Und sie wollte alles andere als von einem Mann abhängig sein.

Sie hätte ihn schon längst töten sollen. Schon vor fünf Jahren, bevor sie aufbrachen. Es gab unendliche Gelegenheiten. Sie hätte nicht einmal ihr Versprechen gegenüber Sesshoumaru brechen müssen, sie hätte es wie ein Unfall aussehen lassen können. Aber nein, sie hatte es so weit kommen lassen. Jetzt aber war Schluss. Dieser Dämon musste sterben, damit niemand sie würde verletzten können! Damit sie nie wieder jemanden liebte.

Mit ihren Geschwistern war es etwas anderes, sie hatte kein Problem damit, wenn diese wütend auf sie waren. War ja meist zu ihrem eigenem Besten. Aber sie würde es schwer ertragen, wenn Chikara auf sie böse wäre. Es täte ihr viel mehr weh...

"Nun mach schon", brummte sie eingeschnappt und stellte die Flache auf einen nahen Baumstumpf.
 

Chikara beäugte die Flasche widerwillig. Er hatte keine Ahnung von Mitsuras Plan, aber die Vorstellung, sich als einen seiner Feinde auszugeben, widerstrebte ihm zutiefst. Sicher war es sehr viel mehr vorteilhaft, aber... Und seinen armen Haaren wollte er das auch nicht antun.

Aber das waren nur zweitrangige Gründe und das wusste er. In Wirklichkeit erinnerte ihn eine gemeine, heimtückische Stimme in seinem Inneren daran, dass Mitsura eine exzellente Giftmischerin war. Für sie war es kein Problem, ein geruchloses Mittel herzustellen, das auch einen Youkai wie ihm gefährlich werden würde, wenn es mit seiner Haut in Berührung kam.

Er hasste es. Er hasste dieses ewige Misstrauen, die Stimme der Vernunft, die ihn einfach nicht losließ. Er würde sich so gerne fallen lassen, in ihre herrlich violetten Augen und in ihrem Anblick versinken. Mit schwarzen Haaren sah sie sogar noch besser aus, auch wenn es die Farbe des Feindes war. Er konnte einfach nicht anders, als zuzugeben, dass sie die schönste Dämonin war, der er je begegnet war. Sie hatte mehrere, durchaus klare Anspielungen gemacht und hatte es dreimal fast geschafft, ihn zu verführen. Sein Herz war ihrem Charme bereits erlegen, doch Chikara war ein logisch denkender Youkai. Es wäre zu gefährlich, sich auf sie einzulassen. Das Risiko war zu groß. Wer wusste schon, welchen Plan sie wirklich verfolgte? Vielleicht war er nur eine von vielen Spielfiguren darin und er wollte ihr nicht in die Hände spielen. Aber die Versuchung war groß.

Noch aber widerstand er ihr. Immer wieder erinnerte sein Unterbewusstsein ihn an seinen Auftrag, sein Versprechen. Sesshoumaru hatte ihn vor dieser Frau gewarnt. Sie war gefährlich, ein heimtückisches Genie. Es war nicht gut, ihr zu vertrauen. Und das schmerzte ihn. Wieso konnte er sich nicht in irgendeine harmlose Youkai verlieben, sie zu seiner Gefährtin machen und den Rest seines Lebens glücklich sein? Aber nein, es hatte ja so kommen müssen. Und jetzt hasste er sich selbst dafür, dass er Mitsura nicht vertrauen konnte.
 

"Ich werde meine Haare nicht färben. Es wird auch so gehen", meinte er schließlich.

Mitsura seufzte. "Du weißt, dass das albern ist." Tief in sich spürte die Dämonin eine unerhörte Erleichterung und sie wusste instinktiv, dass sie jetzt nicht mehr die Kraft aufbringen würde, ihn doch noch zu überreden. Es ging einfach nicht.

Chikaras Miene blieb ausdruckslos und so seufzte Mitsura noch einmal gespielt enttäuscht auf, und steckte die Flasche wieder ein.

"Also schön, dann lass uns das Schloss in Augenschein nehmen."

Sie waren schon recht nah am Regierungssitz des Südens und der Marsch dauerte für die beiden übermenschlich schnellen Dämonen keine zehn Minuten. Sie entdeckten einen kleinen Hügel und indem sie sich flach auf den Boden legten, verbargen die frischen Gräser ihre Gestalt. Zum Glück wehte der Wind günstig und trug ihren Geruch vom Schloss weg. Mitsura spähte über die Landschaft und die Schlossmauer hinweg und erhaschte einen Blick auf die kunstvollen Torbögen und Gebäude, die das Schloss des Südens mehr wie eine Stadt aussehen ließen. Ein kaum wahrnehmbares Flimmern umgab den Komplex.

"Gut, ich werde hinunter gehen und überprüfen, mit welchen Bannkreisen das Schloss geschützt ist." Mitsura drehte ihren Kopf nach rechts um Chikara, der neben ihr im Gras lag, direkt anzusehen. "Wehe du pfuschst mir ins Handwerk!"

"Aber wenn die Wachen dich erwischen-"

"Mit den Wachen werd ich fertig!“, schnitt die Frau ihm das Wort ab.

Chikaras Miene verhärtete sich. "Es geht nicht nur darum, die Beschaffenheit der Bannkreise herauszufinden! Du darfst keine Aufmerksamkeit erregen!"

Die Youkai lächelte zynisch. "Oh glaub mir, das werde ich nicht."

Mit diesen Worten kroch sie ein paar Schritte zurück, erhob sich ein wenig, gerade so, dass man sie vom Schloss aus nicht sah, und lief dann in einem Bogen direkt auf das Tor zu.

Hinter sich hörte sie noch Sesshoumarus Vertrauten zischend die Luft einziehen. Sie ging geradewegs auf die Wachen zu!
 

*
 

Auf dem südlichem Schloss...

Kuraifaia schloss leise die Tür hinter sich. Sie brauchte sich nicht lange im Zimmer umzusehen, um den Gesuchten zu finden. Zielstrebig ging sie auf die Bettstatt des Fürsten zu. Sein drei Monaten hatte er sie nicht verlassen.

„Mein Fürst, es gibt neue Probleme“, begann sie ohne Einleitung, nachdem sie sich neben dem alten Mann niedergelassen hatte.

„Sprich, mein Kind“, forderte der Kranke sie mit schwacher Stimme auf.

„Ein Rudel von etwa fünfzig Kriegern des Südens musste sich in Yatohama verschanzen, wo sie jetzt von ungefähr der doppelten Menge an Westlern belagert werden.“ Ninushu Omaru mochte es nicht, wenn man lange um den heißen Brei herumredete.

„Das ist schlecht. Aber ich denke, du hast schon etwas unternommen?“, fragte er.

„Ja. Ich habe mit Ryo-jin und Akakage einen Verteidigungsplan zusammengestellt. Er muss nur noch von euch und dem Rat abgesegnet werden, dann brechen wir sofort auf“, erklärte sie nüchtern.

Der Alte drehte leicht seinen Kopf zu ihr und sie konnte in sein Gesicht sehen. Er war in den letzten Jahren furchtbar schnell gealtert, schneller noch als ein Mensch es hätte tun können. Das war die Wirkung des Gifts, welches Keisushiro ihm heimlich verabreicht hatte. Tiefe Falten zogen sich über sein Antlitz und die ehemals violetten Haare waren nun lediglich ein wenig rosa.

„Du wirst auch gehen?“, fragte er schwach, anscheinend ohne die Kraft, sie aufhalten zu können.

„Ja, ich denke es ist an der Zeit, dass ich mich offen zeige. Vielleicht noch nicht als Erbin des Südens, aber doch schon als neue Anführerin“, meinte sie entschlossen.

„Was ist mit deinem Bruder?“

„Mako wird hier bleiben. Seine Kräfte könnte ich in der Schlacht zwar gut gebrauchen, da er sich ja schon lange wieder vollständig erholt hat, aber er würde ohnehin nur machen, was er will und sich zu lange an einzelnen Opfern aufhalten. Er bleibt in den Folterkammern, vielleicht kann ich ihm ein paar Neulinge mitbringen.“ Mako war unter dem Namen 'Künstler des Todes', wie er sich selbst seit Neuestem gerne nannte, bereits über die Grenzen des Landes bekannt geworden. Er war berühmt dafür, auch den treuesten Hund dazu bringen zu können, die Geheimnisse seines Herren zu verraten. Mit den meisten spielte er noch eine Zeit lang, brach ihren Willen wieder und wieder und gewährte ihnen die Erlösung des Todes erst nach einigen Tagen. In einer Schlacht, wo es um das schnelle Erledigen und eigenes Überleben ging, hatte er nicht viel verloren. Das lag nicht an seinen Fähigkeiten, er kannte mindestens fünfundsechstzig Arten um einen Dämon innerhalb von drei Sekunden zu töten. Aber es machte ihm schlichtweg keinen Spaß, er war dann unmotiviert und gelangweilt, kurz: Er bekam nichts ordentlich auf die Reihe und verdrückte sich meist mit einem oder zwei Opfern in ein nahes Wäldchen, um sie bei lebendigem Leibe auseinander zu nehmen.

„Wie gedenkt ihr in Yatohama vorzugehen?“, fragte der Fürst und Kuraifaia erklärte ihm in Kurzform den Plan. Ninushu nickte bedächtig.

„Du weißt aber schon, dass höchstwahrscheinlich der Lord des Westens selbst vor Ort sein wird?“, erwiderte er, nachdem die junge Frau aufgehört hatte zu sprechen.

„Ich rechne damit, ja. Ich habe ihn allerdings noch nie gesehen... Warum nennen ihn eigentlich alle nur 'Den Lord des Westens' und nicht einfach seinen Namen?“ Das fragte sie sich eigentlich schon seit Jahren, wollte aber nicht ihre Unwissenheit zugeben und direkt danach fragen. Wäre doch peinlich zugeben zu müssen, dass man nicht einmal den Namen seines größten Feindes kannte.

„Ach weißt du, das ist ein dummer Aberglaube. Der verstorbene Fürst, Inu no Taishu, war seit langem der mächtigste Inuyoukai überhaupt. Das lag allerdings hauptsächlich an dem Höllenschwert, das er besaß. Sein Sohn soll dieses Schwert angeblich in der Unterwelt versiegelt haben und man erzählt sich, dass der Geist des Schwertes auf Rache sinnt und ihn verfolgt. Angeblich wurde sein Name verflucht und deshalb spricht ihn niemand aus, wenn es nicht unbedingt nötig ist. Im Westen hält man selbstverständlich nichts auf diesen Fluch und wenn du einen Hundedämon des Südens aufforderst, seinen Namen zu nennen, wird er es ohne zu zögern tun, weil er nicht als Feigling gelten will. Aber warum sollte man das – wenn auch geringe – Risiko eingehen, verflucht zu werden, wenn man ihn auch einfach 'Lord des Westens' nennen kann?“, erklärte er müde.

„Das ist wirklich... ein sehr dummer Aberglaube. Aber die Schrecken, die er selbst verbreitet, kommen noch dazu, nicht wahr? Ich habe gehört, was er angeblich in den Schlachten geleistet haben soll. Er kämpft fast immer an forderster Front und soll keine Angst kennen“, sagte sie leise, aber mit Respekt in der Stimme.

„Ein Mann ohne Angst ist ein Mann ohne Hoffnung“, erwiderte Ninushu Omaru weise.

Kuraifaia nickte traurig, dann stand sie auf.

„Ich werde jetzt alles vorbereiten.“ Damit drehte sie sich um und wollte den Raum verlassen. Kurz davor drehte sie sich noch einmal um und sagte:

„Wir werden diesen Krieg gewinnen. Ich verspreche es. Auf die eine oder andere Art werden wir diesem Krieg gewinnen, Vater.“

Ninushu Omaru lächelte und Kuraifaia wusste, dass es ihm sehr viel bedeutete, dass sie ihn mit 'Vater' angesprochen hatte.

Und während sie langsam die Tür hinter sich schloss, fiel ihr plötzlich ein, dass sie noch immer nicht den Namen des Lord des Westens wusste. Aber nun war es zu spät, sie würde nun sicher nicht mehr nachfragen. Sie konnte wohl nur hoffen, dass sie ihn im Vorbeigehen mal aufschnappte...
 

*
 

Eine halbe Stunde später vor dem Tor...

„Und wenn ihr dann vom Krieg zurück kommt, meldet ihr euch doch wieder bei mir, nicht war?“, sagte Mitsura zuckersüß und schenkte den Soldaten eines ihrer vielversprechendsten Lächeln.

„Aber sicher, Süße. Der Gedanke an eine so hübsche Frau wird unseren Kampfgeist mächtig anstacheln! Aber du solltest jetzt wirklich gehen, der Zug kommt gleich hier durch“, erwiderte die Wache.

„Selbstverständlich, ich möchte ja nicht, dass du deinen Job verlierst“, sagte die junge Frau augenzwinkernd, klimperte noch einmal mit den Wimpern und machte dann kehrt. Sie war sich sicher, dass der Inuyoukai ihr jetzt verliebt hinterher starrte und sich erstmal nicht wundern würde, warum eine völlig Fremde in Kriegszeiten auf das Schloss kam und sich am Tor gleich wieder abwimmeln ließ. Nichts gegen die männliche Rasse, aber das fand sie einfach naiv.

Mitsura kehrte in einem weiten Bogen zu Chikara zurück, welcher sie schon ungeduldig erwartete.

„Sag mal, bist du verrückt geworden?! Was zum Teufel denkst du dir dabei, einfach in die Arme des Feindes zu laufen?!“, schalt er sie in einem wütenden Flüsterton.

„Was denn, warst du etwa besorgt um mich?“, fragte sie schelmisch.

„Darum geht’s doch gar nicht! Deine Aktion war unverantwortlich! Wenn sie dich entdeckt hätten, hätte unsere ganze Mission scheitern können! Außerdem ist es einfach schockierend, zu sehen, wie du diese Kerle angemacht hast!“, betonte er zornig.

„Also bist du eifersüchtig?“, meinte Mitssura nur und legte sich zu ihm bäuchlings ins Gras, um wieder einen Blick auf das Schloss zu haben.

Chikara schnappte nach Luft:

„Für wen hältst du dich eigentlich?! Ich dachte, wir wollten zusammenarbeiten, aber du hast mir nicht einmal gesagt, was du vor hattet!“, sprudelte er weiter.

„Chikara, halt mal die Luft an! Sieh lieber mal da hinunter und hör dir an, was ich erfahren habe.“ Sie zeigte auf den Eingang des Tores.

Widerwillig wandte der ehemalige Lehrer den Blick nach unten. Gerade hatten sich die Flügel des riesigen Tores geöffnet und zu seiner Überraschung kamen gut zwei Dutzend Krieger auf verschiedenen Reittieren heraus. Sie alle waren sichtbar für einen schweren Kampf gewappnet und die Satteltaschen ihrer Reitdämonen waren merkwürdig ausgebeult. Und noch etwas war seltsam: Die Youkai trugen allesamt Gasmasken. Unter den Reittieren gab es da drei oder vier graue Wölfe, einen Dachs, zwei Wesen, die geflügelten Bären glichen und etliche andere Reittiere. Sie alle waren schwer beladen, große Netze und Schnüre hielten etliche kleine Bündel auf den Sätteln. Der Zug roch nach Waffenfett, Leder, Eisen und dem strengen Geruch der Reitdämonen, unter den sich der Geruch der Hundedämonen mischte. An der Spitze ritt eine schwarzhaarige junge Frau in einem feuerroten Gewand doch tatsächlich auf einem dämonischem Stinktier. Neben ihr zwei Krieger in enger Rüstung, deren Gesichter Mitsura jedoch nicht sehen konnte. Der eine war schwarzhaarig, der andere ein Rotschopf. Nein, korrigierte sie ich selbst, der Schwarzhaarige war in Wahrheit eine Frau. Sie saß auf einem seltsamen Wesen, das auf den ersten Blick wie ein großer, schwarzer, struppiger Hund aussah. Die Vorderbeine glichen jedoch eher den Flossen eines Seehundes, oder besser den Schaufeln eines Maulwurfes. Der rothaarige Mann neben ihr ritt einen Dachs, dessen Schwanz einer Schlange glich und mit spitzen Stacheln gespickt war.

Aus reiner Gewohnheit wollte Mitsura den Geruch der beiden schwarzhaarigen Frauen identifizieren, doch gerade als sie festgestellt hatte, dass die in dem roten Kleid eine Kitsune war, stieß ihr Stinktier ein – besonders für Hundeyoukai – äußert widerwertiges Gas aus und die Gasmasken erhielten einen Sinn.

Die beiden Inuyoukai krochen ein Stück über den Hügel zurück.

„Die Wachen haben mir erzählt, dass die Soldaten nach Yatohama ziehen. Eine ganze Reihe wirklich guter Krieger zieht dahin, das Schloss wird so gut wie leer sein, das ist perfekt für uns! Ich hab die Bannkreise untersucht und ich denke, wir kommen da durch.“ Ihre Augen leuchteten dabei. „Er ist erstmal grob gegen alle, die dem Süden was zu Leide wollen und wir sind ja nur hier, um meine Schwester zu besuchen. Es gibt noch ein paar andere Zauber gegen andere Youkaiarten, die dann nur auf Einladung rein dürfen, aber die sind jetzt mal egal. Der Schutz außen rum ist extrem stark, noch mit Blutchecking und so.“ Sie ignorierte sein fragendes Gesicht bei diesem Anglizismus: „Der einzige Weg führt also durch das Tor.“

„Durch das Tor können wir nicht!“, protestierte Chikara.

„Nun lass mich doch zu ende reden! Also, der Bannkreis zieht sich wie eine Kuppel über die Stadt, aber die Mauer drum rum ist ziemlich dünn und jetzt kommt das Beste: Nur etwa die Hälfte der Zauber verläuft durchgängig!“ Sie strahlte ihn an, als hätte sie jetzt den Nobelpreis verdient, aber der Inuyoukai stand noch immer auf der Leitung.

„Mann, das heißt wir können uns durchgraben!“, sagte sie schließlich.

„Du willst dich durchgraben?!“, wiederholte Chikara ungläubig.

„Ja sicher! Wir erschaffen einfach einen unauffälligen, geräuscheschluckenden Bannkreis, bündeln unser Youki und erschaffen einen Tunnel“, eröffnete sie ihren Plan.

Der Hundedämon sah sie nur an. „Du bist eine geisteskranke, todesmutige Risikobereitschaft in Person!“

„Falsch: Ich bin DIE geisteskranke, todesmutige Risikobereitschaft in Person!“, korrigierte sie ihn.
 

*
 

Eine Stunde später in Yatohama...

Sesshoumaru wurde immer ungeduldiger.

„Wann ist es endlich so weit?!“, fauchte er.

„Mein Lord, ich bitte vielmals um Entschuldigung, aber die Heiler brauchen noch eine Weile“, stammelte der Bote.

Bei Dämonen gab es so etwas wie Magier nicht, aber wenn man Spezialisten für Magie durch Youki suchte, so holte man einen Heiler. So war es jetzt auch deren Aufgabe, den Bannkreis zu brechen, den die Südler um Yatohama aufgebaut hatten.

Die Krieger hatten die Höhle besetzt, besonders an den Eingängen. Leider gab es keine genaue Karte von dem Labyrinth unter ihren Füßen und ihr Geruchssinn nahm nur Erde wahr.

Der Lord des Westens saß mit gekreuzten Beinen auf einem Felsvorsprung direkt über der Höhle und hatte so einen guten Ausblick auf das Geschehen. Über ihm in der Luft zogen sieben Ketsu Tori ihre Runden und die Schlangendämonen bereiteten ein Giftgas vor, falls sich auch nur die kleinste Lücke im Bannkreis zeigen würde.

Alles war bereit für die Austreibung ihrer Feinde. Jeder war bereit.

Nur Sesshoumaru, der immer wieder daran denken musste, dass sich dort unten auch Anis befinden könnte, fühlte sich alles andere als bereit.
 

*
 

An der Grenze zum Osten...

Die Patrouille in diesem Teil des Landes war einfach nur langweilig. Hier kreuzten sich zwar ganze drei Länder, nämlich Westen, Osten und Süden, aber passieren tat hier nie etwas. Der Krieg fand viel weiter südlich, an der Grenze der beiden Herzländer statt. Hier war alles ruhig.

Zu ruhig.

Das jedenfalls fand die Patrouille des Westens, die viel lieber ein paar Südlern die Kehle durchgeschnitten hätten. Heute aber hatten sie Glück, denn der Zufall hatte ihnen die Witterung des Staatsfeindes zugetragen. Der Angriff war schnell geplant und fast ebenso schnell durchgeführt.
 

Kigiyakana hatte vorübergehend die Führung über das Rudel übernommen, Rakunas offizieller Nachfolger war jedoch Kawamaru. Yoku Shinsetsuna und Kamu waren nicht wirklich infrage gekommen, ersterer nahm die Sache nicht ernst genug und zweiterem hatte man es einfach nicht zugetraut. Außer ihnen befanden sich nur noch Ame, Kôgyoku und Shin kara seigan suru gamo Yakusoku o tagaenai, oder einfach Shinkara, in der Gruppe. Der Rest de Rudels war im Krieg gefallen oder befand sich noch in diesem. Das Grenzrudel bestand jetzt also nur noch aus fünf kampffähigen Dämonen – ein gefundenes Fressen für die Westler.

Als ersten traf es Kamu. Er hatte am Rand der Lichtung, auf welcher sie rasteten, Wache gestanden und die feindlichen Youkai, die sich aus einer Richtung nährten in die der Wind wehte, hatten ihn schnell überwältigt. Der Blutgeruch seiner durchgeschnittenen Kehle wurde vom Wind davon geweht.

Dann erst startete der eigentliche Angriff. Das Rudel wurde vollkommen überrascht und hatte eigentlich von Anfang an keine Chance. Die Inuyoukai stürmten aus den Büschen hervor und die Südler hatten gerade noch Zeit, in Verteidigungsstellung zu gehen, bevor sie über sie herfielen.
 

Zum Zeitpunkt des Überfalls war Kôgyoku gerade dabei, Shinkara zu füttern. Er selbst galt ebenfalls noch als Welpe, doch ein Mensch hätte sein Alter wohl auf acht oder neun geschätzt. Er hielt eine kleine Flasche, welche mit Blut gefüllt war, in der Hand und flößte dem gut zwei Meter langen Dämonenhund neben ihm langsam etwas davon ein. Der Welpe war erst wenige Jahre alt und hatte noch nicht einmal die Augen geöffnet. Er konnte sich nicht in seine menschliche Gestalt verwandeln und auch seine ersten tapsigen Schritte wirkten eher unbeholfen. Sein Fell war schwarz, wurde gelegentlich von einer roten Strähne durchzogen und sein buschiger Schwanz war nach oben gerollt. Die für Dämonen so typische, gefährliche und blutrünstige Ausstrahlung würde erst mit der Zeit kommen. Noch sah Shinkara einfach nur süß aus.

Die beiden Hundedämonen saßen in der Mitte der Lichtung und waren umgeben mit den tierischen Hunden, die das Rudel stets begleiteten. Wie schon seine Mutter schien Shinkara eine fast übernatürliche Anziehungskraft auf sie zu haben.

Kigiyakana, Shinkaras Mutter, zog gerade einem Eichhörnchen die Haut ab. Nicht das sie vorhaben würde, es zu verspeisen, das Fleisch warf sie den Hunden zu. Sie tat es einfach aus Langeweile.

Die war jedoch je vorbei, als der erste Schrei ertönte. Ausgestoßen hatte ihn Ame, die mit einem magischen Pfeil in die Seite getroffen worden war.

„Ame, bei Kami-sama, was ist los?!“, rief die Dämonin und ließ das Eichhörnchen fallen.

„Sie... greifen an!“, brachte die Verletzte heraus, dann hustete sie heftig und ein Schwall Blut quoll aus ihrem Mund. Sofort kamen Kawamaru und Yoku Shinsetsuna herbei.

Dann ging es los. Auf einmal war die Luft über ihnen erfüllt mit dem Sirren von Bogensehnen und während die Youkai damit beschäftigt waren, dafür zu sorgen, dass sie nicht getroffen wurden, gingen die Weißhaarigen mit einstimmigem Kriegsschrei zu einem Frontalangriff über. Sie sprangen von den Bäumen herunter, stürmten aus dem Dickicht hervor und einer grub sich sogar durch die Erde.

Das Rudel bildete blitzschnell einen Verteidigungsring um die beiden Welpen, aber sie waren nur noch zu viert, denn Kamu war nirgends zu sehen. Als der Wind drehte und sie sein Blut rochen, verdüsterten sich ihre Mienen.

„Hey Leute, was auch immer passiert, wir halten zusammen, okay?“, sagte Kigiyakana leise, während sie aufmerksam die acht Dämonen beobachtete, die wie Katzen ihre Formation umrundeten. Jäger.

„Natürlich. Wir sind ein Rudel und wir halten zusammen“, antwortete Kawamaru fest.

„Ame!“, sagte eine leise Stimme hinter ihnen. Es war Kôgokus. „Was passiert jetzt?“ Das Kind klang seltsamerweise überhaupt nicht ängstlich oder sonst irgendwie verschreckt. Es wirkte fast unberührt, sachlich. Nicht wie ein Kind eben.

„Was jetzt passiert? Na wir treten ein paar Westlern in den Arsch, das passiert jetzt“, antwortete Kigiyakana grimmig.

Dann stürmte der erste Feind vor. Als Erstes wurde Ame angegriffen, da sie ohnehin schon verletzt war. Deren Waffe waren dummerweise Pfeil und Bogen, für den Nahkampf nicht gerade optimal. Kurzerhand riss sie also die Sehne von ihrem Langbogen und benutze das kostbare Stück als Knüppel, indem sie eines der zugespitzten Enden dem Angreifer in den Bauch rammte. Mit voller Kraft hätte sie ihn wohl durchbohrt, doch der Youkai konnte gerade noch ausweichen.

Bald aber stand fest, das dieses nur ein Ablenkungsmanöver war, denn nur Sekunden später wurden Yoku Shinsetsuna und Kigiyakana zugleich von vier Dämonen angegriffen. Drei von ihnen hatten Schwerter, der Vierte eine große Axt. Kigiyakana verteidigte sich so gut es ging mit ihrem Speer und Yoku Shinsetsuna riss einem von ihnen mit einem Klauenangriff die Brust auf.

Nun aufgestachelt drangen ihre Gegner noch intensiver knurrend auf sie ein. Kawamaru und Ame wollten ihnen zur Hilfe eilen, aber auch sie wurden sofort von zwei weiteren Gegnern daran gehindert.

Ame starb als nächstes. Kigiyakana stieß ein verletztes Heulen aus, als sie ihren blutigen Körper sah und kämpfte mit noch größerer Verbissenheit weiter. Drei Krieger fielen ihrem Speer zum Opfer. Yoku Shinsetsuna erledigte noch zwei weitere, bevor er sein Schwert verlor eine geschickte Finte des Weißhaarigen sein Leben beendete. Ein Dolch steckte in seiner Brust. Kigiyakana wollte sich auf den Angreifer stürzen, doch sie handelte zu übereilt und ein Hieb mit der Axt eines anderem Feindes raubte ihr den linken Arm.

Es waren jetzt nur noch zwei Feinde da, aber es war anzunehmen, dass sich in unmittelbarer Umgebung noch der Rest des Rudels befand. Kawamaru hatte die Verbliebenden etwas zurückgedrängt. Kigiyakana, schwer verletzt, umklammerte ihren blutigen Armstumpf und kroch langsam zu den Welpen. Ihr Blick war gehetzt und wild, ihr Gesicht blutverschmiert.

Dem älteren Welpen ging es am schlechtesten. Kawamaru hatte ihm verboten, auch nur in irgendeiner Weise zu kämpfen, als sie den Verteidigunsring geschlossen hatten. Er sollte auf Shinkara aufpassen und das tat er auch. Aber mit anzusehen, wie sein Rudel vor seinen Augen starb, ohne etwas dagegen tun zu können, war selbst für ein Kind, das schon seine Eltern hatte sterben sehen müssen, einfach zu viel des Grauens. Etwas in seiner kindlichen Seele zerbrach unwiderruflich und hinter seiner ausdruckslosen Miene spielten sich Bilder des Horrors ab.

„Kôgyoku, du musst... von hier fliehen! Nimm Shinkara mit, ich bitte dich, kümmere dich gut um ihn!“ Ihre verschwitzte Hand tastete sich zu dem Fell ihres Welpen und legte sich auf seinen Kopf.

„Shin kara seigan suru gamo Yakusoku o tagaenai... bitte verzeih mir!“, sagte sie lächelnd.

Und da auf einmal öffnete der Welpe seine verklebten Augen, blinzelte ein paar mal und sah zum ersten Mal in das Gesicht seiner Mutter. Shinkara sah das Lächeln auf ihrem Gesicht und fühlte sich wohl.

„Kôgyoku bring ihn... bring ihn zum Schloss und zu... zu Kuraifaia, hörst du? Ich bitte dich, rette meinen Sohn!“

Kôgyoku hatte wie gebannt auf ihre blutverschmierten Lippen gestarrt, sich auf ihre Worte konzentriert, dass er die Gefahr erst sah, als sie schon da war:

„KIGIYAKANA!“ Kawamarus Ruf hallte über die Lichtung und erreichte Kôgyokus Ohr in dem Moment, in dem sich das Wurfmesser in den Rücken der Frau bohrte.

Ein zehnter Youkai war hinter den Bäumen aufgetaucht, dann ein elfter, noch einer, sogar einer, der sicher noch fast ein Welpe war. Der Rest des Rudels war eingetroffen.

„Kôgyoku... Du musst... stark sein!“, brachte Kigiyakana mit letzter Kraft hervor, dann sackte ihr Kopf auf die Erde.
 

Etwas in Kôgyokus Inneren schien plötzlich zu explodieren. Als er die Leiche der Frau sah, die immer wie eine Mutter zu ihm gewesen war und ihre letzten Worte hörte, sprengte etwas seine Ruhe.

Kôgyoku war ein sehr starker Dämon. Seine Eltern hatten einen hohen Youkigehalt und waren früher Leithund und Leithündin im Rudel gewesen, selbst der Fürst hatte manchmal ihre Dienste in Anspruch genommen. Ein Dämon benutzte immer nur eine Bruchteil von dem Youki, was er von Geburt an hatte. Durch Kämpfe, Training und Alter allgemein wurde das Youki nicht etwa mehr, man konnte nur mehr davon benutzen. Das Unterbewusstsein stellte in der Regel an einem bestimmten Punkt eine Schranke.

Nicht so bei Kôgyoku. Die seelische Erschütterung bei dem Tod seiner Eltern hatte seine Schranke in Fetzen gerissen. Sein gesamtes Youki, von der Stärke eines jahrhundertelang trainierten Youkai, war mit einem mal frei gesetzt geworden. Jetzt geschah das gleiche noch einmal.

Kôgyokus Augen färbten sich blutrot, als seine Umrisse zu verschwimmen schienen. Ein Licht, dessen Farbe das bloße Auge nicht erkennen konnte, breitete sich mit nicht wahrnehmbarer Geschwindigkeit von ihm aus und ein Schrei, wie ihn weder Tier noch Mensch je zustande gebracht hätten, verließ gleichzeitig seinen Mund.

Der kleine Youkai hatte sich über den Leib des Welpen geworfen und Tränen der Verzweiflung und der Wut rannen über sein Gesicht. Er nahm nicht wahr, wie die Lichtung um ihn herum zerfetzt wurde, wie die Bäume aus ihrer Verankerung gerissen wurden und wie die Überlebenden um ihn herum zu blutigen Leichenteilen wurden. Niemand blieb verschont, nicht ihre Angreifer, nicht die unschuldigen Frauen und Kinder vom Rest ihres Rudels, nicht die Leichen seiner toten Kameraden und auch Kawamaru, der einzige andere Überlebende, der noch immer gekämpft hatte. Innerhalb von Sekunden war der Boden auf der Lichtung rot gefärbt und überall lag Fleisch herum.

Und inmitten der Leichen lag Kôgyoku, noch immer über den Welpen gebeugt. Abgesehen davon, das dieser kaum noch Luft bekam, weil er fast erdrückt wurde, ging es Shinkara gut. Kôgyokus Energie hatte ihn beschützt.

Obwohl der junge Welpe das Szenario um sich herum nicht verstand, beschlich ihn ein ungutes Gefühl und er drückte sich leise winselnd noch näher an Kôgyoku.

Dieser jedoch war unansprechbar. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er die ganzen Toten um sich herum an und konnte nicht fassen, was hier geschehen war. Innerhalb von Minuten hatte man sein gesamtes Leben zerstört, hatte ihm die letzten Personen genommen, an dem ihm noch etwas lag. Seine Familie...

Dann fiel sein Blick auf das, was früher einmal Kawamaru gewesen war und sein Entsetzen wurde noch größer. Das war er gewesen! Kawamaru hatte noch gelebt und er hatte ihn umgebracht!

Ein leises Winseln ließ ihn schließlich noch einmal zu Shinkara sehen und vage erinnerte er sich an Kigiyakanas letzte Worte.

Und da flossen die Tränen. Seit dem Tod seiner Eltern hatte er nicht mehr geweint, aber das war zu viel für ihn. Es war einfach zu viel.
 

An diesem Tag legte Kôgyoku seine Kindheit ab. Sein Rudel war noch nicht ganz vernichtet. Shinkara war ja auch noch da. Er als ältester, männlicher Inuyoukai war jetzt also der Leithund. Diese Rolle konnte kein Kind übernehmen und so wuchs Kôgyoku geistlich um ein ganzes Stück. Seine Gedanken wurden kalt und berechnend.

Als erstes würde er Shinkara zum Schloss und zu Kuraifaia bringen. Er zählte die Youkai nicht wirklich zu seinem Rudel, da sie nur wenige Wochen dabei gewesen war, aber er musste sich an Kigiakanas letzten Wunsch halten.

Dann würde er eine Ausbildung zum Krieger machen, wenn möglich Shikara wie einen Bruder großziehen und irgendwann sein eigenes Rudel gründen.

Mit diesen Plänen im Kopf wischte sich Kôgyoku die letzten Tränen aus dem Gesicht und stand auf. Es sollte das letzte Mal gewesen sein, dass er aufrichtig und ohne es verstecken zu wollen, Schwäche gezeigt hatte.

Shinkara sah den Youkai mit treuen Augen an.

„Hast du Hunger, Shin kara seigan suru gamo Yakusoku o tagaenai?“, fragte Kôgyoku leise. „Es wird Zeit, dass du feste Nahrung zu dir nimmst.“ Er deute mit einer ausladenen Bewegung auf die zerfetzten Leichen. „Bedien dich.“
 

XxX
 

ENDLICH FERIEN!!!

Eine Woche Ostsee, kein Internet, da hört ihr nix von mir. Deshalb hab ich hier auch noch bis halb eins gesessen um das kap noch schnell fertig zu stellen, ich hoffe, das ende ist nicht misslungen.

Ich will die ff bis zum Ende der Sommerferien fertig haben, aber ich weiß nciht ob ich das schaffe.

Wer von euch im Urlaub ist, wird sicher kapitel nachlesen, aber ich würde mich echt freuen, wenn ihr trotzdem zu jedem kap ein kommi schreibtXD

Bis denne,

eure astala7

Yatohama

Kuraifaias erste Schlacht beginnt und dank eines wirklich klugen Schlachtplans, stehen ihre Chancen trotz ihrer Unterzahl und der anfangs so hoffnungslosen Lage recht gut. Doch als sie mitten auf dem Schlachtfeld plötzlich Sesshoumaru wieder sieht, gehen die Sicherungen bei ihr durch.

Dessen ungeahnt gibt es bereits wieder Probleme auf dem südlichem Schloss, die jedoch mehr politische Hintergründe haben. Dort gerät Mako zusehens in Bedrängnis...
 

XxX
 

Mitsuki und Takito waren schon seit drei Jahren ein Paar. Ihr Dorf war nicht besonders reich und ihre Eltern sahen es nicht gern, wenn sie sich vor der Arbeit drückten, um ein wenig Zeit für sich zu haben. Der heutige Tag aber sollte perfekt sein, denn Takito wollte seiner geliebten Mitsuki heute einen Heiratsantrag machen. Er war gerade siebzehn geworden und es wurde höchste Zeit. Mit den Eltern seiner zukünftigen Braut und mit seinem Vater hatte er schon alles abgesprochen. Also hatte er Mitsuki ein gemeinsames Picknick an ihrem Lieblingsplatz vorgeschlagen. Die Stimmung für seine Überraschung sollte schließlich perfekt sein.

Etwa eine Meile westlich von ihrem Dorf gab es eine wunderschöne Höhle, die ganz mit Efeu bewachsen war. Sie hatten sich nie ganz reingetraut, aber der Platz davor war wie geschaffen für ein friedliches Beisammensein.

„Takito, das wird bestimmt ganz toll! Das Wetter ist herrlich und die Sonne scheint warm!“, rief Mitsuki fröhlich aus und warf ihr pechschwarzes Haar zurück. Sie kämpften sich gemeinsam durch das Gestrüpp, der Weg war kaum noch zu erkennen.

„Ja – der Tag heute wird der schönste in deinem Leben, das versprech ich dir!“, sagte Takito und tastete in seiner Hosentasche nach den beiden Ringen, die er für lange zusammengespartes Geld bei dem Schmied im Dorf hatte anfertigen lassen. Hoffentlich gefielen sie Mitsuki.

Plötzlich raschelte etwas über ihren Köpfen und sie blieben verwirrt stehen.

Das Mädchen klammerte sich an seinen Arm. „Takito, was war das?“

„Ach, bestimmt nur ein Eichhörnchen...“, antwortete er, das ungute Gefühl in seinem Inneren ignorierend.

„Aber wenn es nun ein Dämon war?“, fragte sie ängstlich.

Takito überlegte. Die Dämonen waren in letzter Zeit unruhig, hatte ihm sein Vater mal gesagt. Sie waren aggressiver, griffen jedoch gleichzeitig weniger Menschen an. Als ob sie mit etwas Größerem beschäftigt wären, hatte er gemeint.

„Mach dir keine Sorgen, Mitsuki. Ich werde dich beschützen!“, versprach er lächelnd.

„So, wirst du das, ja?“, fragte auf einmal eine dritte Stimme. Eine widerwertige, böse Stimme.

Die Menschen wirbelten herum, aber nirgendwo war jemand zu sehen. Dann ertönte ein lautes Krachen und etwas Schweres fiel aus den Bäumen, landete direkt vor ihnen und schnitt ihnen den Weg ab.

Mitsuki kreischte laut und klammerte ich noch mehr an seinen Arm und auch Takito begann zu zittern. Er hatte sein Messer zu Hause liegen gelassen!

Die Kreatur vor ihnen trat plötzlich ins Licht, sodass sie sie erkennen konnten. Schon auf den ersten Blick sah man, dass sie nicht menschlich war. Der Körper mochte der eines kräftigen Mannes sein, doch die Arme waren zu großen, fledermausartigen Flügeln umgebildet. Zwischen den Knochen spannte sich eine kräftige, graubraune Haut, sein Schwanz war der einer Schlange, besaß jedoch am Ende ein schwarzes Federbüschel. Der Kopf des Wesens schien nur aus einem einzigen Knochen zu bestehen, über den man eine straffe, graue Haut gezogen hatte. Er war langgestreckt, hatte vorne einen harten Schnabel und der Hinterkopf lief spitz wie ein Horn zu. Die Füße glichen geschuppten Krallen und auf der Brust wuchsen dem Wesen kleine, weiße Federn. Diese konnte man jedoch nur im Ansatz erkennen, da die Kreatur eine Art Kettenhemd trug, welches die Brust wohl vor Angriffe von unten schützen sollte, wenn es flog. Takito konnte sich jedoch niemanden vorstellen, der auch nur annährend verrückt genug gewesen wäre dies zu tun – jedenfalls keinen Menschen. Ein wenig wäre das Wesen mit einem urzeitlichchem Flugsaurier zu vergleichen, hätten die Menschen ein solches gekannt. So aber fiel ihnen nur ein Wort für das Geschöpf ein: Dämon!

Die beiden Menschen stolperten zurück, doch die dichten Pflanzen behinderten sie. Dann stieß der Dämonenvogel ein heiseres Fauchen aus und spannte die kahlen Flügel. Er stieß sich vom Boden ab und stürmte auf sie zu.

Das war zu viel für Takito, er schlug die Hände über dem Kopf zusammen und warf sich zur Seite. Dann hörte er einen schrillen Schmerzensschrei und stellte entsetzt fest, dass der Dämon nun Mitsuki, die hinter ihm gestanden hatte, erwischt hatte. Sein scharfer Schnabel steckte in ihrer Brust und Takito sah mit Grauen, wie ihr Körper langsam auszutrocknen schien. Ihre Haut wurde schrumplig, legte sich in Falten und bröselte sogar an einigen Stellen ab. Mit Entsetzen wurde ihm klar, dass der Youkai seiner Freundin das Blut aussaugte. Hätte er sich nicht rechtzeitig zur Seite geworfen, hätte es ihn erwischt. Aber dann hätte Mitsuki wenigstens noch Zeit gehabt zu fliehen... Schreckliche Schuldgefühle kamen in ihm auf und er vergaß selbst vollkommen, sich aus dem Staub zu machen.
 

Der Ketsu Tori war voll und ganz mit seinem Opfer beschäftigt und der andere Mensch sah und hörte ohnehin nicht mehr. So bemerkte niemand die beiden stillen Beobachter, die sich im Gebüsch verbargen. Es waren zwei Hundedämonen aus dem Süden, beide trugen je ein Schwert und mehrere Messer bei sich. Einer von ihnen hatte noch einen Speer, der andere zusätzlich eine Axt im Gürtel stecken. Ihre Rüstung schützte nur die wichtigsten Stellen ihres Körpers und war hauptsächlich darauf ausgelegt, dem Krieger genug Bewegungsfreiheit zu lassen.

Beide beobachteten ungerührt das Schauspiel vor sich und machten nicht die geringsten Anstalten, den beiden schutzlosen Menschen zu helfen.

„Das wird ja einfacher als ich gedacht habe“, meinte der eine Youkai leise und voller Vorfreude zu seinem Kameraden. Seine halblangen blonden Haare wehten leicht in einer kühlen Brise.

„Freu dich nicht zu früh. Aber du hast Recht, das er von diesen Menschen abgelenkt wurde, ist ein Glück für uns“, erwiderte der Andere und strich sich eine schwarz-grüne Haarsträhne aus dem Gesicht. Seine Hand umschloss den Griff seines Speeres fester.

„Wie weit sind wir von der Höhle entfernt?“, fragte er mit der Axt.

Der Angesprochene sah fast nachdenklich zum Himmel. „Weit genug.“

Kurz herrschte Stille und die Youkai beobachteten weiter das schaurige Mahl des Ketsu Tori.

„Zugriff?“

Der Schwarzhaarige warf einen kurzen Blick auf den Menschen, der in einiger Entfernung auf dem Boden kauerte und ganz offensichtlich mit den Tränen rang. „Zugriff.“

Der blonde Youkai stürmte sofort nach vorn, an dem verwirrten Menschen vorbei und stürzte sich auf den Feind. Der Zurückgebliebene konnte über das Temperament seines Partner nur den Kopf schütteln und schlich sich, statt ihm zu folgen, zu der anderen Seite des Kampfplatzes.

Der Ketsu Tori war vollkommen überrascht, als auf einmal jemand auf seinen Rücken sprang. Er ließ von dem bereits totem Mädchen ab und wollte den Inuyoukai abschütteln.

„Heh, Mensch, was soll das?!“, fragte er gereizt in der falschen Annahme, Takito hätte doch noch einen verzweifelten Versuch gewagt, seine Geliebte zu retten. Er bewies damit allerdings nur, dass er nicht sehen konnte, wer auf seinem Rücken saß.

„Ha, du widerliche Flattervieh, das ist dein Ende!“, frohlockte der Hundedämon und holte mit seiner Axt aus, um dem Vogel den Kopf abzschlagen. Da erst bemerkte der Dämon, dass etwas nicht stimmte. Er warf sich herum, schlug mit den Flügeln nach der unliebsamen Last und wälzte sich einmal sogar auf dem Boden, doch der Blonde hielt sich verbissen fest.

„Du Abschaum!“, knurrte der Vogelyoukai und stieß sich vom Boden ab. „Ich werde dich aus der Luft zu Boden werfen und dein Blut trinken!“ prophezeite er und stieg tatsächlich in die Luft auf.

Nun jedoch griff der zweite Dämon an. Es war an der Zeit die, speziell für die Ketsu Tori entwickelten, Waffen einzusetzen.

Er löste das stählerbe Seil von seinem Gürtel. An dessen Ende war eine Art Anker aus Eisen befestigt, nur viel dünner und spitzer. Ein Widerhaken, der einem Vogeldämon das Herz aus dem Brustkorb riss, wenn man richtig traf. Selbst das Kettenhemd, welches eigentlich nur gegen Pfeile schützen sollte, nutze da nichts mehr.

Er schwang das Seil etwas hin und her, kniff die Augen zusammen und schleuderte die Waffe nach oben. Er hatte nicht auf das Herz des Biestes gezielt, sondern auf den rechten Flügel, welcher eine größere Angriffsfläche bot. Die Vögel konnten diese nicht schützen, weil jedes Gewicht sie am Start hindern würde. Würde der blonde Inuyoukai sich nicht immer noch auf seinem Rücken, außerhalb der Reichweite des spitzen Schnabels, festklammern, wäre er sicher schon entkommen.

Der stählerne Widerhaken bohrte sich durch die Flügelmembran des blutsaugenden Vogels und der Hundedämon fing sofort an zu ziehen.

Ein Ruck verlief durch den Körper des Getroffenen und hätte den Blonden fast abgeworfen. Das Monster flatterte aufgeregt und stieß zornige Zischlaute aus. Besorgt beobachtete der Schwarzhaarige, wie der Geflügelte begann, nach dem Seil zu hacken.

Doch dieser hatte seinen ersten Feind vergessen. Der hatte sich soweit von dem Höllenflug erholt und schwang nun erneut seine Axt. Mit einem hässlichem Knirschen fuhr die Klinge zwischen die ersten beiden Halswirbel der Kreatur.

Für einen Moment schien die Zeit still zu stehen. Dann jedoch begann der riesige Vogel abzustürzen. Gerade noch rechtzeitig erkannte der junge Hundedämon die Gefahr, zog seine Waffe aus dem toten Ketsu Tori und sprang von seinem Rücken.

Der Schwarzhaarige trat rasch einige Schritte zurück und das geflügelte Monster krachte auf die Erde, direkt vor seinen Füßen. Eine riesige Blutlache breitete sich auf dem Boden aus, die Überreste seiner Mahlzeit.

Er beobachtete seinen Kameraden, welcher im Sturz nach einem Ast griff um sich abzufangen, musste sich am Ende aber trotzdem abrollen. Stöhnend erhob er sich und rieb sich den Rücken, während er die Axt zurück in den Gürtel schob.

„Ist das Biest krepiert?“ fragte er.

Der Schwarzhaarige stieß die Kreatur mit seinem Speer an und hob den Kopf an. Die Augen blickten leer ins Nichts.

„Ja“, sagte er knapp.

„Dann sollten wir jetzt zu der Kitsune zurück, nicht wahr?“, sagte der Blonde.

Er rümpfte die Nase. Es widerstrebte ihm, unter dem Befehl der Füchsin zu stehen. Aber die Prinzessin hatte ihr diesen Part des Angriffes überlassen und er gehorchte.

Der Plan war gut durchdacht gewesen. Die Westler hatten sieben Ketsu Tori in Yatohama postiert. Sie sollten als Wachen und Späher Bescheid geben, wenn die Unterstützung des Südens eintraf. Also hatte die Prinzessin sieben Zweierpaare zusammengestellt, die die Vögel ausschalten sollten. Die Kitsune hatte immer einen erfahrenen Kämpfer mit einem jungen Krieger in ein Team gesteckt, damit sich Temperament und Besonnenheit gut ergänzten.

Der Plan war gewesen, die geflügelten Dämonen mit ihren ebenfalls fliegenden Reittieren aus der Luft anzugreifen. Jeder besaß ein Seil mit einem Widerhaken dran und sie sollten je einen Flügel außer Gefecht setzen. Am Boden waren die Geschöpfe dann leichter zu besiegen.

Sein Partner hatte diesen Plan ja nun zunichte gemacht und auch die Menschen waren dazwischen gekommen, aber sei's drum. Hauptsache, ihr Feind war tot.

Der Krieger wickelte das Seil wieder auf und zog den Widerhaken aus dem Flügel des Toten, wobei ein Fetzen Haut herausgerissen wurde. „Wir verschwinden.“

„Ah, halt, Moment!“, rief der andere Dämon aus, und lief um den niedergestreckten Vogel herum.

„Was denn noch?“, fragte er genervt, erhielt jedoch keine Antwort. Wahrlich, man merkte das dem Jüngeren nicht nur Erfahrung, sondern auch Respekt fehlte.

Der blonde Dämon ging geradewegs auf den zitternden Menschen zu, welcher das ganze Schauspiel verfolgt hatte.

„Hey, du, Mensch!“, sprach er ihn fast freundlich an. Der Angesprochene warf sich sofort auf den Boden: „Bitte, bitte verschont mich!“, flehte er ihn an.

„Dummkopf!“, knurrte der Dämon und zog seine Axt.

„Schämen solltest du dich! Du hast nichts, aber auch wirklich gar nichts unternommen, um deiner Freundin zu helfen! Du verdienst nichts anderes als den Tod!“ Er ließ seine Axt niederrasen und spaltete das entsetze Gesicht des Menschen genau in der Mitte.

Wortlos wandte er sich von dem Toten ab und säuberte seine Waffe.

„Was sollte das? Dir ging es doch überhaupt nicht um das Mädchen! Das war nicht nötig, du verschwendest nur Zeit“, brummte der Schwarzhaarige verärgert.

Der Blonde zuckte lächelnd die Schultern und kam herbei. „Keine Zeugen. Er hätte uns durch einen Zufall verraten können, wie er auch schon durch einen Zufall hier her gekommen ist.“

Er schnaubte. „Das glaubst du doch selbst nicht. Dir geht’s nur ums Töten“, murmelte er, allerdings so, dass der Andere es nicht hörte. Er wollte keinen Streit. Immerhin waren sie noch immer ein Team. Jedenfalls so lange, bis sie wieder bei der Kitsune waren.

„Nun komm endlich! Die Schlacht wartet nicht auf uns!“, rief der Inuyoukai, welcher schon voraus gelaufen war.

Der Schwarzhaarige umfasste seinen Speer fester. Wie kam dieser Grünschnabel dazu, ihm Befehle zu erteilen?! Die Zeiten hatten sich wahrlich geändert. Aber er kämpfte gut, das musste er ihm lassen.

Sein Kamerad führte ihre beiden Reitdämonen, ein Wolf und einen Dachs herbei, die beide so groß wie Pferde waren. Der Schwarzhaarige schwang sich auf das zweite Tier und verstaute seinen Speer an einer Halterung am Sattel. Dann lenkte er es neben den Wolf und die beiden Dämonen ritten in südöstliche Richtung, wo die Kitsune auf die übrigen Paare wartete, welche den Auftrag hatten, sämtliche Ketsu Tori die die Gegend um Yatohama auskundschafteten, zu töten. Ein Blick in den Himmel verriet ihnen, das sie gut in der Zeit lagen.
 

*
 

Südwestlich von Yatohama...

Kuraifaia und Akakage lagen nebeneinander im Gras. Es war gerade hoch genug, um sie zu verbergen. Einige Meter weiter weg konnte die Prinzessin einige Halme erkennen, die ich entgegen der Windrichtung bewegten. Auch dort lag ein Krieger versteckt. Sie alle hatten sich im Halbkreis um die Gruppe aus Dämonen verteilt, die sich um ein verstecktes Loch im Boden versammelt hatten.

Yatohama war ein Felsenversteck, das hauptsächlich unterirdisch lag. Darüber war nur Grasland, eine Ebene, die an einer Seite mit Wald bewachsen war. Auf der anderen Seite des Waldes befand sich ein Menschendorf, aber das war nicht interessant für sie.

Die Inuyoukai des Westens rechneten wohl damit, jeden Feind auf der Ebene sehen zu können, vor allem vom Haupteingang aus, welcher sich höher gelegen in einer Ansammlung von großen Felsen befand. Der zweite Eingang jedoch befand sich in einer Senke. Nicht sehr tief, aber dennoch so, dass man sie vom Haupteingang aus, wo der Großteil des westlichen Heeres lagerte, nicht sehen konnte.

Kuraifaia und ihre Männer hatten sich mit geruchüberdeckenden Gräsern eingerieben und selbst wenn der Wind jetzt drehte, würde man sie erst bemerken, wenn sie angriffen. Allerdings würden sie nicht verhindern können, dass die Westler den Kampflärm hörten, den es gleich geben würde.

„Wie lange brauchen ihre Heiler noch?“, fragte Akakage ungeduldig und spähte zu den feindlichen Dämonen hinüber.

Kuraifaia, die viel von Magie verstand, antwortete: „Etwa fünf Minuten. Gleich haben sie den Bannkreis gebrochen.“

„Gut. Die Krieger unten warten nur noch auf euer Zeichen, Prinzessin.“

Kuraifaia nickte nur. Diese Schlacht war die erste, in die sie aktiv eingreifen würde. Die Chancen standen nicht gerade zu ihren Gunsten. Vierzehn ihrer fünfundzwanzig Krieger waren mit dem Ausschalten der Ketsu Tori beschäftigt. Sie sollten inzwischen fertig sein und mit Ryo-jin auf der anderen Seite der Ebene bereitstehen. Sie selbst hatte noch acht Krieger und Akakage auf ihrer Seite, die mussten reichen um die achtzehn Inuyoukai und die zwei Schlangendämonen vor ihnen auszuschalten. Wenn sie Glück hatte, erwischte sie die Schlangen mit ihrem 'Zeichen'. Zwar hatten sie auch ihre Reittiere so ausgewählt, das diese notfalls mitkämpfen konnten, aber im Moment befanden sich alle bei der Kitsune. Hier konnten sie sie noch nicht gebrauchen.

Zum Glück hatten die Südler eine eigene Art sich über Magie miteinander zu verständigen und so hatte Akagake ihre Kameraden, die sich unter der Erde verbargen, in den Plan eingeweiht. Die Kommunikation funktionierte mittels magischer Spiegel, ein althergebrachtes Mittel, das seit Urzeiten überall auf der Welt bekannt war. Jeder höhergestellte Führer im Süden besaß einen, für genau solche Fälle.

In Yatohama saßen insgesamt sechsundsiebzig Krieger fest, den Anführer mitgerechnet. Aber selbst mit den fünfundzwanzig Kämpfern von Kuraifaia, der Kitsune und Akakage, waren sie nur wenig mehr als einhundert Personen. Der Westen sollte hier einhundertzwanzig Hundedämonen, fünf Schlangenyoukai und sieben Ketsu Tori haben. Die Vögel dürften bereits tot sein, aber sie mussten die Youkai hier allesamt töten, damit das Kräfteverhältnis ausgeglichen war. Keine einfache Aufgabe.

„Ich glaube, sie sind gleich durch“, sagte Kuraifaia und richtete den Blick wieder auf die drei Hundedämonen des Westens, welche den Bannkreis brechen sollten.

Was diese nicht sahen, war die dünne Spur aus schwarzem Pulver, die direkt am Eingang anfing und sich durch den engen Tunnel weiter fort wand.

Während die Südler nämlich die Späher des Westens ausschalteten, hatten die Gefangenen unter der Erde einen der Bannkreise ein klein wenig verändert. Sie ließen so zu, dass man mit einem Dimensionsportal unter die Erde kam. Nur, das man dabei sein Leben ließ. Aber es ließ sich eines öffnen und durch diesen Eingang konnte man Gegenstände transportieren. Die Verbündeten hatten von oberhalb Dutzende von Bündeln mit Schwarzpulver nach Yatohama befördert. Dämonen kannten diese Waffe der Menschen für gewöhnlich noch nicht, aber Mitsura hatte Kuraifaia einmal beigebracht, wie man es herstellen konnte. Vermischt mit scharfen Eisensplittern und Steinen, ließ sich eine vorzügliche Explosion inszenieren. Nachdem die Bündel unten angelangt waren, hatte man das Portal sofort wieder geschlossen, damit die Westler nichts mitbekamen. Die Dämonen hatten dann, wie durch den Spiegel abgesprochen, eine Spur aus Schwarzpulver vom geheimen Eingang durch ganz Yatohama gelegt. Die unterirdische Höhle wurde von mehreren Säulen zusammengehalten und an diesen lag das Pulver vermischt mit den Steinen da und wenn die Spur gezündet wurde, würden diese Säulen in sich zusammen brechen. Ganz Yatohama würde einstürzen.

Die Gefangenen des Untergrunds hatten sich im Moment alle am Haupteingang in der Höhle versammelt, welche in den Felsen und damit etwas über dem eigentlichen Labyrinth lag. Sie verstärkten dort den Bannkreis, damit er auch in den letzten Minuten noch hielt.
 

Kuraifaia machte sich zum Angriff bereit. Sie löste den kleinen, silbernen Stab, der an ihrem Unterarm festgebunden war, und mit nur einem Gedanken sorgte sie dafür, dass der Stab sich in einen großen Bogen verwandelte. An den Enden befanden sich jeweils zwei Rinnen, doch eine Sehne hatte er nicht. Dafür griff sich Kuraifaia in den Nacken und riss sich zwei ihrer Haare aus. Im Nu hatte sie die Waffe bespannt, streckte die Hand aus und konzentrierte ihr Youki, woraufhin zwei silberne Pfeile auf ihrer Handfläche erschienen. Einer der feindlichen Hundedämonen drehte sich um, hatte wohl kurz ihr sonst unterdrücktes Youki gespürt. Aber es war schon zu spät.

Kuraifaia legte die Pfeile an, einer an jeder Sehne, richtete sich auf und schoss.

Die Dämonen des Westens waren zunächst zu überrascht, um zu reagieren. Der erste Pfeil traf auf den Bannkreis um den Eingang herum. Ein Zischen ertönte und dämonische Energien knisterten, bläulichen Blitzen gleich um den Bannkreis herum, der, ohnehin schon geschwächt, sofort in sich zusammenfiel, während der Youkipfeil zerstört wurde. Knapp eine Sekunde später jedoch folgte der zweite Pfeil, und dieser flog direkt in das Loch hinein und explodierte dort. Kuraifaias Energie, die in dem Pfeil gebündelt war, wurde nun frei und jagte durch die Erde. Ein gleißendes Licht breitete sich aus und zerriss alles, was es berührte. Obwohl man es nicht sah, war klar, dass die Spur des Pulvers gezündet worden war.

Die Prinzessin warf einen besorgten Blick in die Richtung, in der sich der Haupteingang befinden musste. Hoffentlich hatten die Westler das Licht und die Explosion ihres Pfeils für eine Folge dessen gehalten, dass ihre Heiler es geschafft hatten, den Bannkreis zu brechen. Dennoch würden gleich ein paar Krieger kommen, vor allem weil es eigentlich die Aufgabe der Ketsu Tori war, als Botschafter zwischen dem ersten und dem zweiten Eingang zu fungieren. Aber von denen würde keiner kommen...

Kuraifaias Angriff war das Zeichen für die versteckten Krieger gewesen. Sie alle sprangen nun auf und versuchten die verwirrten Westler in die Zange zu nehmen. Kuraifaia selbst machte einen Satz nach vorn und rammte dem ersten Krieger, der sich ihr in den Weg stellte, ihr Schwert in die Brust. Die Waffe war nur eine gewöhnliche Klinge aus dem Schlossbestand und nicht mit Klingenecho zu vergleichen, aber im Nahkampf war es die beste Waffe die sie auf die Schnelle hatte auftreiben können.

Hinter ihr hörte sie, wie Akakage ihr eine Warnung zu rief. Instinktiv machte sie einen Satz nach oben und entging so nur knapp einem Speer, der unter ihren Füßen hinweg zischte. Kurz übersah sie die Situation von oben und stellte fest, dass auch die anderen Krieger sich mitten im Kampf befanden. Ein Großteil jedoch versuchte die Senke zu verlassen und sie zum Haupteingang zu locken. Mit zwei Sätzen war Kuraifaia dort, versperrte den Dämonen den Weg und spannte erneut den Bogen. Die Youkai duckten sich, doch die Energie ihres Pfeils hatte einen großen Umfang und sie wurden förmlich pulverisiert.

Die Prinzessin schloss die Augen um ihre Aurasicht anzuwenden. Ihre Krieger waren hoffnungsvoll und verbissen, während die Westler noch überrumpelt waren. Rot und blau leuchteten die Auren und das war perfekt, um Freund und Feind zu unterscheiden. Erneut beschwor sie einen Pfeil herauf und legte ihn so an, das mindestens vier Feinde darunter sterben würden. Dann ließ sie die Sehne los.

Die Energieentladung ihres Pfeils traf im selben Moment ein wie das ferne Donnern der ersten Explosion in Yatohama. Die Schlacht hatte begonnen. Und diesmal würde der Süden den Sieg davontragen!
 

Nordwestlich von Yatohama...

Sesshoumaru war für einen Moment erstarrt, als er die erste Explosion hörte. Das Geräusch war von dem kleineren Eingang gekommen. Hatten die Heiler den Bannkreis endlich gebrochen? Hier am Haupteingang schien er stärker zu werden, also mussten mehr Magiekundige sich hier befinden als drüben, damit der Bannkreis dort schwächer wurde.

Doch die folgenden Schreie und die zweite Explosion dämmten seine Freude. Da musste irgendetwas schief gelaufen sein. Wo zum Teufel blieben diese verdammten Vögel?!

Dann aber kam die dritte Explosion. Und die war keineswegs so weit entfernt wie der zweite Eingang, nein, sie war ganz in der Nähe. Und was noch viel wichtiger war: Sie war UNTER der Erde.

Die Heiler am Eingang der Höhle hielten verwirrt in ihrer Arbeit inne und Sesshoumaru sprang von dem Felsvorprung herunter, um sie anzutreiben.

Dann aber donnerte es erneut unter der Erde, immer schneller hinter einander explodierte etwas unter ihnen – und dann begann die Erde zu beben.

Über Yatohama brach das Chaos ein, als die Erde einstürzte, Feuersäulen Vulkanen gleich herauf stiegen und tausende von Steinen und Eisensplittern mit der Durchschlagskraft einer Kanonenkugel durch die Gegend sausten.
 

Südwestlich von Yatohama...

Kuraifaia gesellte sich zu ihren Soldaten und gemeinsam trieben sie die verbliebenen Dämonen zu den anderen. Nun am Rand der Ebene angekommen konnte sie beobachteten, wie das gesamte Grasland in sich zusammensank. Auch unter ihren Füßen bebte die Erde, aber nur in der Mitte und am Haupteingang stürzte die Erde vollkommen in sich zusammen. Die Hundedämonen des Westens waren völlig überrumpelt und verloren ihr Gleichgewicht, fielen zu Boden und einige wurden sogar von den riesigen Felsbrocken erschlagen. Sie fielen in das Felsenversteck unter sich und wurden von den Massen begraben.

Nun war es Zeit für Kuraifaias zweite Attacke. Erneut schloss sie die Augen, doch diesmal drängte sie das Bild der verschiedenfarbigen Auren zurück und konzentrierte sich ganz auf ihr eigenes Youki. Die Soldaten verließen das zusammenbrechende Feld so schnell es ging, um nicht mit in die Tiefe gerissen zu werden. Nun stand sie allein hier.

Die Prinzessin der südlichen Länder bückte sich und legte ihre Hand auf die Erde. Sie ließ ihr Youki aus ihrem Körper heraus durch die Fingerspitzen in die Erde hineinfließen. Deutlich spürte sie die Unebenheiten des Hohlraums unter sich und wusste, dass sie nur noch Sekunden Zeit hatte, bevor auch hier alles einbrach. Sie ließ das Youki weiterfließen, schräg nach unten, auf der Höhe des Labyrinths, bis über den Haupteingang. Deutlich spürte sie bereits, wie sie schwächer wurde, ignorierte es jedoch.

Als sie meinte, genug Energie in den Boden gelenkt zu haben, riss sie ihre Hand mit einem Ruck vom Boden und stand gleichzeitig auf, zog an den unsichtbaren Fäden an ihren Fingern.

Fünf gleißende Strahlen aus blutrotem Licht verbanden ihre Finger mit der Erde und als wären es echte Schnüre, brachen sie auch aus dem Boden heraus. Je weiter sie kamen, desto mehr Erde wurde in die Luft geschleudert. Ihr Youki hob alles Geröll, was jetzt auf dem Grund Yatohamas lag, auf und schleuderte es wie bei einem Vulkanausbruch zusammen mit den feindlichen Soldaten gut ein Dutzend Meter in die Höhe, wobei etliche starben.

Doch die Attacke hatte auch auf Kuraifaia Auswirkungen: Dieser Angriff hatte ihr viel Energie abverlangt. Fast schon zu viel. Sie brach vor Schwäche in sich zusammen und fühlte dennoch, wie der Boden unter ihr in Bewegung kam. Der Untergrund würde einstürzen und sie hatte nicht die Kraft, sich zu retten.

Gleich neben sich hörte die Prinzessin auf einmal ein ohrenbetäubenes Geräusch und wandte den Kopf dort hin. Beinahe wäre ihr Herz vor Erleichterung stehen geblieben. Aus der Erde brach ein Geschöpf von der Größe eines Pferdes hinaus. Es glich einem riesigem Maulwurf, doch der Kopf war der eines schwarzen Hundes. Er hatte ein Geschirr und einen Sattel um und auf ihm saß Akakage.

Der Heerführer lenkte das Reittier zu ihr herüber, beugte sich herab und streckte ihr lächelnd die Hand entgegen. Die Prinzessin nahm dankend an und ließ sich von ihm in den Sattel helfen, bevor das Geschöpf sich mit seinen flossenartigen Hinterbeinen abstieß und einen Satz in die Luft machte. Unter ihm bildete sich eine Wolke aus grünem Youki und trug das Wesen durch die Lüfte.

„Das war gefährlich, Prinzessin“, sagte der Rothaarige, sah sie jedoch mit etwas in den Augen an, das fast Stolz hätte sein können.

„Es war nötig“, meinte sie nur, drehte sich im Sattel um und lehnte sich rückwärts an Akakages Rücken. Sie brauchte dringend eine kleine Erholungspause, selbst wenn es nur für einige Sekunden war. Ihre Knochen taten weh und ihr Kopf schmerzte. Sie fühlte sich, als sei sie gerade zehn Meilen als Mensch gelaufen. Alle Kraft war aus ihrem Körper gewichen.

„Euer Youki ist gewaltig. Seht nur, ihr habt die Armee des Westens fast im Alleingang erledigt!“, sagte der Heerführer und deutete nach unten.

Kuraifaia wandte müde den Blick und sah einen Haufen Trümmer und einzelne Gestalten, die darauf herumhuschten. Von hier oben hatte sie einen sehr guten Ausblick.

„Fast allein“, murmelte sie.

„Den Rest erledigen die Soldaten. Ryo-jin ist bereits da, sie hat mir auch diesen Dämon hier geschickt. Und jetzt kommen die Krieger von unten.“ Erneut bedeutete er ihr herab zu sehen und sie erblickte viele bewaffnete Kämpfer, die aus der halbzerstörten Höhle stürmten. Von rechts kam die Kitsune an der Spitze ihrer kleinen Gruppe dazu und von links stürmten Kuraifaias Soldaten heran. Der verwirrte Haufen ihrer Feinde wurde in die Mangel genommen und man bemerkte fast überhaupt nicht, dass die Südler eigentlich in der Unterzahl waren. Kleine Strudel bildeten sich auf dem Schlachtfeld und als die junge Frau genauer hinsah, erkannte sie, dass es die Reittiere waren, die sich dort hindurch gruben. Mit Absicht hatten sie hauptsächlich solche gewählt, die sich durch die Erde graben konnten. Einige ihrer Soldaten gingen auf eines von ihnen zu und da alle Reitdämonen fliegen konnten, war die Luft bald erfüllt von den Dämonen. Ihre Reiter zielten mit Pfeil und Bogen auf die Feinde und nahmen sie unter Beschuss. Welch Ironie, hatten doch die Westler mit den Ketsu Tori den Himmel überwachen wollen und nun gehörte er doch ihnen.

Aber dann nahm sie auf einmal einen Aufruhr in der Nähe des Haupteingangs wahr. Blaues Licht breitete sich von dort aus.

„Akakage, was passiert dort drüben?“, fragte sie.

Der Heerführer folgte mit den Blicken ihrer ausgestreckten Hand und stieß dann einen sehr fantasievollen Fluch aus.

„Das ist – verdammt, damit haben wir nicht gerechnet – das muss der Lord sein. Der Lord des Westens...“, erwiderte der Heerführer.

„Flieg näher ran.“ befahl sie.

„Prinzessin! Ihr habt euch zu sehr verausgabt, wenn ihr erneut in einen Kampf geratet-“

„Ich sagte, du sollst näher ranfliegen!“, fauchte sie und der Protest erstarb.

Der Heerführer gehorchte und lenkte den Maulwurfshund direkt über die Felsen.

Und da traf es Kuraifaia wie einen Blitz. Dort unten stand Sesshoumaru. Er hielt das Schwert Tokijin waagerecht vor sich und von der Klinge jagten blaue Lichtstrahlen aus Energie in alle Richtungen.

Ihr Körper schien mit einem mal wie gelähmt und es kostete sie sehr viel Mühe, zu sprechen: „Wer... Wer von denen ist der Lord?“, fragte sie erstickt, „Der da oben auf den Felsen, mit dem Speer? Oder der neben der Höhle, mit den kurzen Haaren?“

Akakage warf einen flüchtigen Blick nach unten. „Nein, der dort drüben, mit dem Schwert in der Hand. Der Typ mit dem Fell über der Schulter.“

Kuraifaia fing an zu zittern. Es bestand kein Zweifel mehr darin, dass Akakage Sesshoumaru meinte.

Sesshoumaru, ihr Verlobter, er war der Lord der westlichen Länder. Der engelsgleiche Teufel, der zerstörerische Rachegott, der verfluchte Herrscher, oder wie sie ihn sonst noch alle nannten. Er war der Anführer all ihrer Feinde.

„Prinzessin?“, fragte Akakage besorgt. „Ich werde außer Reichweite fliegen-“

„Nein“, sagte Kuraifaia mit einer beängstigenden Ruhe. Ihre Hand fuhr unter ihren Ärmel und zog den kleinen Stab daraus hervor.

„Aber-“ Akakage wollte protestieren, als Kuraifaia sich langsam erhob, im Sattel aufstand und so eine perfekte Zielscheibe bot. Der kleine Stab in ihrer Hand vergrößerte sich und wurde zu einem Bogen. Wie in Zeitlupe griff sie sich in den Nacken und riss sich ein Haar aus, welches sie geschickt an den Scharten befestigte.

Unter ihr schien Sesshoumaru etwas bemerkt zu haben, die Blitze hörten auf.

„Ich bitte euch, hört auf! Wenn ihr noch einen Youkiangriff startet, könnte euch das töten!“, wollte Akakage sie abhalten.

Kuraifaia beschwörte mit eisiger Ruhe einen silbernen Pfeil herauf.

„Den bring ich um!“, knurrte sie so mitleidlos und grausam, das selbst der Heerführer Angst bekam.

Der Pfeil verließ die Sehne in dem Moment, in dem Sesshoumaru den Kopf nach oben wandte.

Für den Bruchteil einer Sekunde trafen sich ihre Blicke.
 

Sesshoumaru war wie elektrisiert. Er starrte nur immer nach oben, ignorierte die Kämpfe um ihn herum vollkommen. Er war gefangen im Anblick dieser schwarzhaarigen Frau dort oben und konnte sich nicht abwenden.

Anis!, durchzuckte es immer wieder seine Gedanken, Dort ist Anis! Seine Vernunft warnte ihn, Anis sah anders aus und sie kämpfte anders, doch dann rief er sich Mitsuras Beschreibung ins Gedächtnis zurück und wusste mit einem Mal ganz sicher, dass das dort oben tatsächlich Anis war.

Doch die Gestalt verschwand hinter einem gleißendem weiß-blauem Licht, das direkt auf ihn zu kam.

„Lord Sesshoumaru!“, hallte ein Ruf von irgendwo her und holte ihn zurück in die Wirklichkeit.

Das Gefühl kehrte in seinen Körper zurück und er stieß sich vom Boden ab, machte einen Satz außer Reichweite. Dort wo er eben noch gestanden hatte, explodierte die Erde in eine Wirbel von Energie. Hätte der Pfeil ihn direkt getroffen, hätte das auch für ihn gefährlich werden können.

Sein Blick flog wieder nach oben und etwas tief in ihm wurde erschüttert, als er die absolute Kälte und Gefühlslosigkeit in Anis' Augen sah. Sie hatte auf ihn geschossen, mit dem Ziel ihn zu töten, das wurde ihm nun klar. Ohne Bedauern, ohne Reue. Völlig kalt.

Doch plötzlich lief ein Zittern durch ihren Körper. Der rothaarige Youkai, welcher das Reittier lenkte, sprang auf und stützte die junge Frau, als diese auf einmal in seinen Armen zusammenbrach. Mit Schrecken wurde ihm klar, dass es Mitsuras Beschreibung ihrer Kräfte zufolge durchaus sein konnte, dass sie es gewesen war, die die gewaltige Attacke zu verantworten hatte, die so viele seiner Krieger in den Tod gestürzt hatte. Es würde erklären, warum sie nun so vollkommen erschöpft war.

Der Schmerz rammte sich wie ein Messer in sein Herz, als er erkannte, dass sie ihre letzte Energie hatte geben wollen, um ihn tot zu sehen. Fast sofort gesellte sich ein zweiter Schmerz dazu, als er beobachtete, wie der Dämon mit den langen, roten Haaren Anis sanft in den Sattel zurückgleiten ließ, als wäre sie sein kostbarster Besitz. Akakage legte ihr eine Hand auf die Stirn um ihre Temperatur festzustellen, doch für Sesshoumaru sah es so aus, als würde er ihr zärtlich eine Haarsträhne aus dem Gesicht wischen.

Um ihn herum sammelten sich einige Inuyoukai mit Schusswaffen und legten auf das Reittier an. Die Anführerin, Ishi Koori, trat neben ihn.

„Sollen wir schießen?“, fragte sie aus purer Höflichkeit, weil er der Ranghöhere war. Sie rechnete nicht mit einem Nein. Und doch kam es:

„Nein. Wir ziehen uns zurück“, sagte er leise.

„Bitte...?!“, fragte die Youkai überrascht.

Der Rothaarige begann das Reittier bereits wieder weg zu lenken.

„Ich sagte, wie ziehen uns zurück!“, fauchte Sesshoumaru.

Ishi Koori sah ihn noch einen Moment verblüfft an, dann jedoch zuckte sie mit den Schultern, griff nach einem kleinen Horn aus Elfenbein an ihrem Gürtel und blies hinein. Ein langer, klagender Ton kam heraus.

„RÜCKZUG!“, brüllte sie und sämtliche Köpfe der westlichen Hundedämonen wandten sich ihnen zu. Die Schlacht war eigentlich noch nicht ganz beendet, auch wenn die Chancen für den Westen, das Blatt noch herumzureißen, sehr schlecht standen. Aber das der große Sesshoumaru den Rückzug befohlen hatte, konnte niemand so recht glauben.

Dennoch war es geschehen und nachdem Ishi Koori das Horn ein zweites Mal, etwas nachdrücklicher geblasen hatte, beendeten die Überlebenden so schnell wie möglich ihre Kämpfe und sammelten sich am Haupteingang.

Sesshoumarus Blick folgte dem schwarzen Dämon, auf dessen Rücken der Rothaarige mit seiner Geliebten davon flog. Und in diesem Moment schwor er sich, dass er sie zurückgewinnen würde. Egal, was noch passieren würde und egal wie groß die Feindschaft zwischen ihren Völkern und wie groß ihr Hass auf ihn auch sein mochte – er wollte sie zurück. Und er würde für sie kämpfen.

Um ihn herum verwandelten sich die Dämonen alle in ihre wahre Gestalt, um sich möglichst schnell vom Schlachtfeld zurückzuziehen. Auch Sesshoumaru ließ sein Youki aufflammen. Am liebsten wäre er Anis gefolgt, aber das war unmöglich. Sie gehörte einem Heer an, das sich gegen ihn stellen würde, sollte er allein angreifen.

Sein Blick glitt von den feindlichen Südlern über seine eigenen Soldaten, die sich zum Rückzug ordneten.

Die Schlacht hatte er verloren. Den Krieg aber würde er gewinnen. Denn nun hatte er endlich ein festes Ziel.
 

*
 

Drei Stunden später am Rande des südlichen Schlosses...

Das südliche Schloss lag friedlich da, doch die Einwohner waren aufgeregt. Alle warteten auf den Ausgang der Schlacht, der ihr Schicksal würde bestimmen. Die Soldaten würden frühestens in drei Tagen wiederkehren, ob sie nun gewannen oder verlören, es würde sicher viele Verletzte geben, um die sie sich kümmern mussten.

Die einzigen Dämonen, die keinen Gedanken an die Schlacht in Yatohama verschwendeten, waren Mitsura und Chikara. Sie standen am Rand des Bannkreises, direkt vor der Mauer. Gemeinsam hatten sie einen Tunnel darunter hindurch gegraben. Der Plan besagte, dass sie sich zu zweit hineinschlichen. Mitsura sollte sich unter den Youkai unauffällig nach Neuigkeiten umhören und Chikara wollte in das Hauptgebäude eindringen und dort nach Informationen suchen. Mitsura fand den Plan gar nicht mal so übel und war mehr als erbost, als der Inuyoukai jetzt auf einmal wieder einen Rückzieher machen wollte:

„Was soll das heißen, du willst den Plan ändern?!“, fauchte sie ihn so leise wie möglich an, damit man sie im Schloss nicht hörte.

„Ich habe noch einmal darüber nachgedacht. Es gibt so viele Dinge zu beachten... Zum Beispiel Ah-Uhn“, erwiderte er.

„Was soll mit dem sein?“ Sie hatten dem Reitdrachen kaum Beachtung geschenkt und ihn in einem Versteck im Wald gelassen.

„Stell dir vor, was passieren würde, wenn die Südler ihn entdecken! Abgesehen davon scheint mir das Risiko, das du unter den Feinden als eine Dämonin des Westens erkannt wirst, doch etwas zu hoch und-“, er seufzte, „Um es kurz zu machen: Ich werde allein gehen.“

Mitsura verschlug es die Sprache. Chikara wollte ALLEIN ins Schloss!? Nein, sie musste sich verhört haben.

„Was soll denn bitte der Quatsch!? Wenn überhaupt jemand allein geht, wäre höchstens ich das“, hob sie hervor, „Im Gegensatz zu dir werde ich nicht so schnell erkannt werden und ich habe ein gewisses Talent, mich aus unangenehmen Situationen rauszureden. Außerdem kann der Westen – ganz speziell Sesshoumaru – sehr viel besser auf mich, als auf dich verzichten.“

„Aber sagtest du nicht, deine Schwester wäre schlecht auf dich zu sprechen? Wenn du ihr allein begegnest, könnte unsere Mission bekannt werden. Mich jedoch kennt sie nicht, ich würde mich ihr nicht zu erkennen geben und mit den Informationen wieder verschwinden, ohne das jemand etwas merkt“, argumentierte er.

Mitsura seufzte erneut. „Chikara, ich kenne dich inzwischen lange genug um sagen zu können, dass du eher der kämpferische Typ bist. Du – verzeih das ich das sage – du bist nicht gut darin, unauffällig und bedeckt zu bleiben. Überlass die Spionage denjenigen, die sich damit auskennen.“

Chikaras Augen wurden bei diesen Worten schmal. „...die sich damit auskennen?“, wiederholte er, „Was willst du damit andeuten? Hast du den Westen etwa ausspioniert?“ Es klang mehr wie eine eben bestätigte, aber schon lang gehegte Vermutung und das verletzte Mitsura mehr, als sie zugeben wollte.

„Nein, ich habe den Westen nicht ausspioniert“, stellte sie klar, „aber da ich nicht mal annähernd in Japans Umgebung geboren wurde, kannst du traurigerweise nicht so viel Hingabe meinerseits bei diesem selbstmörderischen Unternehmen erwarten. Der Westen ist weder mein Land, noch ist Sesshoumaru mein Herr. Mir geht es einzig und allein um das Wohl meiner Schwester.“

Der Hundedämon wandte den Blick ab. „Ich verstehe. In diesem Fall...bleibt mir wohl keine andere Wahl.“

Erneut drehte er sich zu ihr um und seine Worte, unterstrichen von dem unheimlichen Glitzern in seinen Augen, ließen Mitsura unwillkürlich die Hand an den Griff eines ihrer Messer legen.

Chikara jedoch griff nicht nach seinem Schwert, sondern packte stattdessen die junge Frau am Arm und zog sie mit einem Ruck zu sich heran. Während er sie mit einer Hand nah an seinen Körper gepresst hielt, umfasste die andere ihr Gesicht und während Mitsuras Gedanken rasten und die plötzliche Nähe zu deuten versuchten, begann er zu sprechen:

„Der wahre Grund...“

Mehr als zwanzig Zentimeter Abstand – keine sexuelle Annäherung.

„...warum ich allein auf dieses Schloss gehen will, ist...“

Weniger als zwanzig Zentimeter Abstand – eventuelle sexuelle Annäherung.

„...dass ich nicht möchte, dass dir etwas passiert.“

Weniger als zehn Zentimeter Abstand – ganz bestimmt eine sexuelle Annäherung!

Dann beugte sich der Youkai noch ein wenig näher zu ihr, bis seine Lippen schließlich die ihren berührten. Sanft schmiegten sich ihre Körper aneinander und Mitsura spürte sein Herz ganz nah bei ihrem eigenem schlagen. Wenn das nicht weniger als zehn Zentimeter waren!

Der Kuss wurde so überraschend gelöst wie er eingetreten war und Chikara ließ sie los. Sofort trauerte sie der Zärtlichkeit nach, die er ihr hatte zukommen lassen, brachte jedoch noch immer kein Wort über die Lippen, als würde sie damit die Stimmung entweihen.

Der Hundedämon nahm ihr schließlich jegliche Entscheidung ab, wehrte aufkommenden Protest mit einer unwirschen Handbewegung ab und nutzte Mitsuras anhaltene Überraschung aus, indem er rasch im Tunnel verschwand.
 

Als Chikara auf der anderen Seite der Mauer wieder herauskam, hatte er das unbändige Gefühl, Mitsura gerade zum letzten Mal gesehen zu haben.

Er sollte Recht behalten.
 

*
 

Eine Stunde später auf halber Strecke von Yatohama zum südlichem Schloss...

Akakage schlug vorsichtig die Zeltplane zurück. Das Heer, welches sich auf dem Rückweg zu ihrem gewöhnlichem Stützpunkt nahe des Schlosses gemacht hatte, legte gerade eine Pause ein. Die Krieger marschierten schneller als gewöhnlich, denn alle sehnten sich danach, die gute Nachricht zu ihren Waffenkameraden weiter südlich zu tragen: Der Westen hatte endlich eine wahrhaftige Niederlage einstecken müssen. Der größte Teil des Ruhms gebührte ihrer Prinzessin, die sie so tatkräftig unterstützt hatte, ebenso wie Ryo-jin, deren Idee der ganze Plan entsprungen war. Niemand konnte jetzt noch behaupten, Kuraifaia dürfe den Thron nicht für sich beanspruchen.

Aber die Ruhmvolle selbst hatte sich sofort nach Aufschlagen des Lagers in ihr privates Zelt zurückgezogen. Nach ihrer letzten, wohl verzweifelten Attacke auf den Lord der westlichen Länder, hatte sie das Bewusstsein verloren und war erst kurz bevor sie rast machten wieder aufgewacht. Akakage machte sich große Sorgen um sie, nicht zuletzt auch, weil Ninushu Omaru sicher nicht erfreut darüber sein würde, von dem kritischen Zustand seiner Adoptivtochter zu erfahren.

Als Akakage eingetreten war, ließ er sich sofort auf die Knie nieder. Die Prinzessin saß mit dem Rücken zu ihm und machte keinerlei Anstalten, sich umzudrehen. Seine Besorgnis stieg. Es war sehr unhöflich von ihm gewesen, ohne Aufforderung oder Erlaubnis herein zu kommen, aber Prinzessin Kuraifaia musste versorgt werden, wenn ihr der zu große Gebrauch von Youki zu viel Schaden bereitet hatte.

"Prinzessin...?", fragte er vorsichtig.

"Akakage", sagte sie ruhig, "Bring mir einen der Spiegel."

Verwirrt erhob der Heerführer sich. Die junge Dämonin hatte sich noch immer nicht zu ihm umgewandt, aber er hatte einen klaren Befehl erhalten und so verließ er das Zelt schweren Herzens wieder.
 

Zehn Minuten später hatte Kuraifaia das Gewünschte erhalten. Sie schickte Akakage fort und umklammerte den Rahmen des Spiegels, während ihre Gedanken noch immer rasten.

Sesshoumaru, der Lord des Westens. Damit war er der größte ihrer Feinde. Sie konnte sich nicht dagegen wehren, sich verraten zu fühlen. Damals, als sie sich getrennt hatten, hatte Sesshoumaru sie gebeten, ihn zu vergessen und ein neues Leben anzufangen. Er hatte sich sogar entschuldigt, für alles, was passiert war. Doch er hatte ihr auch seine Liebe gestanden und versprochen, dass sich seine Gefühle zu ihr nie ändern würden. Wie konnte er aber dann an der Spitz eines ganzen Heeres gegen sie kämpfen?!

Sie wusste, dass ihr Verhalten unlogisch und kindisch war, aber sie konnte sich nicht helfen. Die Feindschaft lag nicht wirklich zwischen ihnen, sondern zwischen den Ländern, in denen sie lebten. Selbst wenn sie es wollte, könnte sie keinen Frieden mit dem Westen schließen, auch wenn der unwahrscheinliche Fall eintreten würde, dass Sesshoumaru den Abbruch des Krieges akzeptieren würde. Die Feindschaften zwischen den einzelenden Bewohnern könnte man nicht so mir nichts, dir nichts zunichte machen. Für einen Frieden brauchte es Vertrauen auf beiden Seiten der Ländern und dieses war einfach nicht vorhanden. Ihre Lage war hoffnungslos, der Krieg musste weitergehen, so lange, bis einer von ihnen den Sieg errang. Doch Kuraifaia war keineswegs gewillt, das Leben all ihrer Krieger, ihrer Freunde und Kameraden aufs Spiel zu setzen, um den Süden sehenden Auges in den Untergang zu führen, nur um das Ende des Krieges einzuläuten.

Für ihr Volk gab es keine Hoffnung auf ein vorzeitiges, friedliches Ende. Aber zumindest hatte sie doch immer noch ein wenig auf ein glückliches Ende für sich selbst gehofft. Das sie mit Sesshoumaru immer noch verlobt war, machte ihr schwer zu schaffen. Sie konnte nicht darauf hoffen, dass er unter all den anderen Kriegern des Westens untergehen, irgendwann im Krieg sterben würde und sie nichts davon mitbekam. So hätte sie ihn eines Tages vergessen können. Selbst wenn er weiter lebte, irgendwo im Westen, könnte sie das nicht stören. Die jetzige Situation jedoch war denkbar schlecht. Wenn der Süden den Krieg gewinnen sollte, müsste Sesshoumaru als der gegnerische Anführer auf jeden Fall sterben. Wenn aber der Westen gewann, war sie selbst gezwungen, sich dieser Nation und vor allem deren Herrscher, vollkommen auszuliefern. Und sie mochte nicht daran denken, was Sesshoumaru mit ihr anstellen würde. Selbst wenn es ihr gelingen würde sich mit ihm gutzustellen, wäre ihr das wie ein Verrat an ihrem Land vorgekommen. Sie konnte es einfach nicht.

Und da auf einmal verstand sie auch, warum Sesshoumaru damals seine Liebe zu ihr, von der er nicht einmal wusste, dass sie erwidert worden war, ja sogar das Gegenteil annehmen musste, seinem Land und seinen Pflichten dort geopfert hatte. Sie waren beide nicht wirklich mehr Herrscher über ein Land, sondern Diener desselben. Es war ihre Aufgabe, ihre Bestimmung, ihr Glück dem Wohle vieler zu opfern. Aber es war grausam.

Kuraifaia sah in den Spiegel in ihren Händen. Sie musste jetzt mit jemandem reden. Jemandem, dem sie alles sagen konnte. Mit jemandem, dem sie vertrauen könnte und der schweigen würde, selbst wenn er ihre Gefühle nicht verstand. Sie strich langsam mit ihren Fingerspitzen am Rahmen entlang und murmelte einige auswendig gelernte Worte. Sofort verschwamm das Bild auf dem Glas und gab den Blick auf eine reich verzierte Decke frei. Sie wartete geduldig bis jemand ihren Aufruf bemerkte. Dann wurde das Gegenstück des Spiegels, welches sich im Schloss befand, hochgehoben und sie blickte in Samukes Gesicht. Der Spiegel wurde aufgestellt, sodass sie ein größeres Sichtfeld hatte, und der Haushofmeister verneigte sich.

"Prinzessin", begrüßte er sie förmlich. Seine Stimme drang klar und deutlich aus dem Spiegel heraus, als würde er direkt neben ihr sitzen.

"Samuke, hol bitte Mako her. Ich möchte mit allein mit ihm sprechen", wies sie ihn an. Samuke zuckte sichtlich zusammen. Mako hatte einen äußerst grausamen Ruf am Schloss bekommen und niemand, der noch bei Trost war, begab sich gern zu ihm. Gleichzeitig wurde er jedoch auch hoch geschätzt, weil er seinen Feinden noch weitaus mehr Angst einflößte.

Der Youkai verneigte sich noch einmal, dann drehte er sich um und verschwand. Kuraifaia wartete ungeduldig, aber bereits zehn Minuten später erschien Makos Gesicht vor dem Spiegel.

"Hey, Herzblatt, gut das du anrufst! Hab dich ja ewig nicht mehr gesehen, wann gehst du endlich mal ins Gefängnis?!", begrüßte er sie mit seiner typischen Art.

"Lass das jetzt Mako, ich muss wirklich mit dir reden!", versuchte sie ihn zu einer etwas ernsteren Tonlage zu bewegen.

"Und ich mit dir! Du glaubst nicht, was hier los ist! Es ist ein Wunder, das du nicht mitkriegst, was hinter deinem Rücken hier im Schloss passiert und wenn nicht in letzter Zeit immer mehr Soldaten hier runter kommen würden, um sich an den Gefangenen ein wenig abzureagieren und einen Haufen nicht abgesegneter Informationen mitbringen würden, hätte ich wahrscheinlich auch erst kurz vor dem Ausbruch erfahren, dass der Vulkan nicht länger schläft", erwiderte er schnippisch.

Kuraifaia runzelte die Stirn. "Was soll das heißen?" Sollte etwa eine Art Rebellion im Gange sein? Sie war eigentlich bisher der Meinung gewesen, die Ansprüche des Südens recht gut zu erfüllen.

"Nun ja, der Fürst ist kurz vor'm Abkratzen, und..."

"Wie bitte?!", unterbrach sie ihn rasch.

"Hey, Mann, das is doch nix Neues. Der Alte pfeift doch seit Jahren nur noch aus dem letzten Loch. Aber die Heiler geben ihm jetzt höchstens noch ein paar Monate, dann ist es aus mit ihm. Tja, dann haben wir den Scheiß, denn das Erbe bereitet uns einige Sorgen", berichtete er und Kuraifaia war empört zu hören, mit wie wenig Taktgefühl er über den Tod des Fürsten sprach.

"Da er dich nun mal adoptiert hat, aber keine anderen Erben besitzt, müsstest du dann mal bald den Thron endgültig besteigen. Und das bringt mich zum nächsten Problem." Er legte eine bedeutungsschwere Pause ein. "Du kannst es drehen und wenden wie du willst, aber es bleibt dabei: Eine Frau kann niemals die alleinige Herrschaft über ein ganzes Land haben, das ist unter Inuyoukai ein ungeschriebenes Gesetz." Mako hatte sich auf einen Stapel Kissen geworfen und wirkte wie die Gelassenheit in Person, als er sagte: "Die wollen, dass du dir in den nächsten Monaten schleudigst nen Gefährten zulegst."

Kuraifaia starrte ihn an. Sie brachte kein einziges Wort heraus und so sprach ihr Bruder ungerührt weiter:

"Sie haben wohl nicht damit gerechnet, dass dir nur noch so wenig Zeit bleibt. Aber ich habe ihnen lang und breit erklärt, dass du erstens schon verlobt bist und zweitens keinen anderen Kerl an dich ran lässt. Und drittens, dass ich denjenigen umbringen werde, der es trotzdem versucht", fügte er hinzu.

"Das war sehr nett von dir", sagte Kuraifaia mechanisch.

"Keine Ursache. Allerdings..." Er kratzte sich verlegen am Hinterkopf, "...hab ich mich damit anscheinend selbst zum Märtyrer gemacht. Das bringt uns vom Regen in die Traufe."

"Was willst du damit andeuten?", fragte Kuraifaia, eine Spur zu scharf.

"Tja, sieh's einfach mal so: Ich bin der letzte, nun, bekannte männliche Verwandte deinerseits. Da du als Frau ja nicht Fürst werden kannst und... Um es kurz zu machen: Sie wollen MICH auf den Thron setzen", sagte er schließlich.

Das hatte gesessen. Zum zweiten Mal an nur einem Tag fühlte sie sich verraten.

"Diese Ratsmitglieder haben mir stundenlang erzählt, es wäre nur eine reine Formsache, praktisch nur für's Papier und ich müsste nur bei ein paar Zeremonien und vielleicht mal der einen oder anderen Beratung dabei sein", erklärte Mako und verzog das Gesicht.

Kuraifaia wartete gespannt darauf, das er weiter redete. Wie sehr sie ihrem Bruder auch vertraute, aber sie konnte hier nicht mit Sicherheit sagen, dass er nicht genau so ein Tyrann wie Keisushiro wäre.

"Ich meine: Sieh doch mal was das für mich bedeuten würde! Kein Fürst treibt sich in den Kerkern herum und schenkt den Halbtoten mehr Beachtung als den Lebenden! Ich würde meine Stellung verlieren und zum Sesselfurzer degradiert werden!" Er hatte begonnen, im Zimmer auf und ab zu laufen und sich dabei die Haare zu raufen, während Kuraifaia ein Stein vom Herzen fiel.

"Ich würde ja nicht einmal direkt herrschen! Den ganzen richtigen Kram würde ich dem Rat oder dir überlassen, aber das ist noch schlimmer, als wenn ich wirklich in Kraft treten würde. Ich wäre ein Vorzeige-Fürst ohne Macht! Ich könnte mir nicht so viel raus nehmen wie ein richtiger Herrscher, die würden mich ja alle auslachen, weil ich mir 'meine Ehre nicht verdient habe'. Aber für langweilige Zeremonien und alle anderen Unannehmlichkeiten wäre ich gut genug! Das will ich nicht, Kuraifaia! Du musst was unternehmen!" Er hatte aufgehört wie ein Tiger im Käfig herum zu spazieren, stützte sich nun mit beiden Händen auf dem kleinen Tisch auf, auf dem sich der Spiegel befand und sah sie geradezu verzweifelt an.

Kuraifaia lächelte in einer Spur von Sarkasmus: "Ich bin ein Prinz, holt mich hier raus, was?"

"Exakt!", rief er mit erhobenem Zeigefinger, "Gut das du mir zustimmst! Also, wie lautet dein Plan?"

Kuraifaia hatte keinen Plan, dafür aber eine Menge eigener Sorgen. "Ich schlage vor, du nimmst den Posten erst einmal an. Nicht das du die Wahl hättest... Jedenfalls hängt alles vom Ausgang des Krieges ab. Wenn wir gewinnen, kannst du dich weiterhin in deinen Kerkern verkriechen und mir die Führung überlassen. Wir würden uns zwar als Land eine Schwäche geben, aber erstens kannst du den Fürstentitel bei nächster Gelegenheit sofort wieder abgeben - und ich werde schon dafür sorgen, dass es eine Gelegenheit gibt - und zweitens werden die anderen Nationen von unserem Sieg erst einmal abgeschreckt sein. Wenn wir jedoch verlieren, wird die Sache komplizierter. Unter gewöhnlichen Umständen wäre der Herrscher des Westens befugt, einen eigenen Mann auszuwählen und ihn auf den Thron zu setzen, dann wärst du die Sache ebenfalls los."

"Lass mich raten: Die Umstände sind alles andere als gewöhnlich", sagte Mako.

Nun, da sie endlich zu Kuraifais eigentlichem Grund kamen, aus dem sie angerufen hatte, konnte sie ein tiefes Seufzen nicht unterdrücken. "Wusstest du, dass der Lord des Westens niemand anderes als Sesshoumaru persönlich ist?"

Mako runzelte nur milde überrascht die Stirn: "Ja, und?"

"Ja und!? Was heißt hier 'Ja und'!? Das bedeutet, dass mein Verlobter und ich uns an der Spitze zweier verfeindeter Länder gegenüber stehen!", fuhr sie ihn an.

Ihr Bruder zuckte wenig taktvoll die Schultern: "Was machst du so einen Wirbel da rum? Ich meine, dir war doch schon vorher klar, dass er einer deiner Feinde ist. Jetzt hat er halt eine höhere Position in ihren Reihen, was ist schon dabei?"

Kuraifaia schüttelte nur empört den Kopf.

"Ich meine, es wird den Verlauf des Krieges doch nicht gerade verändern, oder? Ich schätze mal, er weiß trotz allem noch nicht, dass du eine Prinzessin bist?"

Sie schüttelte den Kopf.

"Dann besteht ja wohl noch Hoffnung. Wir können eine Art förmliches Schreiben schicken, falls wir den Krieg verlieren, in dem die adoptierte Tochter des Fürsten und deren Bruder die Macht des Westens anerkennen und sich ins Exil zurückziehen, ohne irgendwelche Namen zu nennen. Und dann ab in die Neuzeit und zum Teufel mit den Stubenhockern!", rief er euphorisch aus.

Kuraifaia schüttelte halb bedauernd, halb amüsiert den Kopf.

Dann jedoch ertönte ein Ruf, noch weit entfernt und auf der anderen Seite des Spiegels, den sie jedoch nicht richtig verstehen konnte.

"Oh, warte mal, bin gleich wieder da!", versprach ihr Bruder und verschwand aus ihrem Sichtfeld. Kurz hörte die Prinzessin aufgeregte Stimmen, ohne jedoch die einzelnen Worte verstehen zu können, dann tauchte er wieder auf, offenbar in Eile.

"Hör zu, wir führen unser Gespräch später weiter, wenn du wieder da bist, ja? Ich muss jetzt los, die Dämonen haben einen feindlichen Späher gefangen. Er hat weiße Haare und weigert sich zu reden, also muss er aus dem Westen kommen. War doch tatsächlich so dreist, hier rein ins Schloss zu spazieren! Wie auch immer, ich werd ihm in den Kerkern einen Besuch abstatten und versuchen, ein wenig aus ihm rauszuquetschen. Bis nachher, Herzblatt!", verabschiedete er sich und winkte ihr kurz zu. Das Bild auf dem Glas verschwamm, bis sie wieder nur ihr eigenes Gesicht sehen konnte, das sie blass ansah.

Mit einem Anflug frischen Tatendrangs legte sie den Spiegel beiseite und trat aus dem Zelt heraus, um die Soldaten zur Weiterreise zu bewegen. Sie müsste die Angelegenheiten wegen der Thronnachfolge rasch klären und den Krieg möglichst noch vor Ninushu Omarus Tod beenden. Ihre Beziehung zu Sesshoumaru durfte da nur eine zweitrangige Rolle spielen. Es war das oberste Gesetz eines jeden Dämons, sich nicht aufgrund von Gefühlen zu falschen Entscheidungen hinreißen zu lassen. Sie hatte das ganz bestimmt nicht vor, auch wenn es verdammt schwer werden würde. Zum Glück aber bot die jetzige Lage mehr als genug Ablenkung für sie.

Sie ließ nach Akakage rufen und während sie alles vorbereitete um ihre Männer heil zum nächsten Stützpunkt zu bringen, bedauerte sie im Stillen Makos neustes Opfer. Es würde mit Sicherheit keinen angenehmen Tod haben.
 

XxX
 

Soa, im nächsten Kap wird es mehr oder wniger ausschließlich um mitsura und Chikara gehen, die ihre Mission erledigen wollen. Dummerweise bleiben sie damit nicht ganz unbemerkt und es startet: "Der achte Fluchtversuch"

(hey, sagt nichts gegen den Titel, ich muss doch noch auf 10 kommen >.< )

Aber dann können wir auh langsam anfangen, unser Pärchen wieder zu vereinen... ob es gelingt ist eine andere Sache.

Der achte Fluchtversuch

Und schon wieder eine Flucht. Schon die achte in dieser ff! Diesmal ist es jedoch nicht Kuraifaia, die sich aus dem Staub macht...
 

XxX
 

Auf Makos Gesicht hatte sich ein bösartiges Grinsen breit gemacht. Er liebte diesen Job! Hier, in den Kerkern des Schlosses, fühlte er sich beinahe wie zu Hause. Die Peitsche in seiner Hand schmiegte sich warm an seine Finger, während vom anderen Ende das Blut herunter tropfte. Dort befanden sich spitze Eisenstachel, die schon allein einen Dämon mit einem gezielten Treffer töten konnten. Aber er war vorsichtig, wollte er doch nicht seinen neuesten Kunden so schnell wieder verlieren. Sein Blick ruhte voller Genugtuung auf dem Dämon, der vor ihm zusammengekauert auf dem Boden mehr lag als saß. Seine Hände waren mit magischen Fesseln an die Mauer hinter ihm gekettet und wohl das Einzige, was ihn noch halbwegs aufrecht hielt.

'Was hältst du von ihm?', fragte Mako, ohne das jemand die Worte hören konnte.

'Hm... Er hält sich gut. Besser als jeder andere, mit dem wir zu tun hatten', antwortete die Stimme seines Bruders in seinem Kopf.

'Das war aber auch erst die erste Phase', erwiderte er.

Es gab zwei Gründe, die Gefangenen im Schloss zu foltern. Entweder, sie waren Verbrecher und es geschah zu ihrer Bestrafung. Oder aber sie waren, wie dieser hier, Kriegsgefangene und man versuchte, Informationen aus ihnen heraus zu bekommen. Makos Aufgabe war es also keineswegs, sie nur so schmerzvoll wie möglich umzubringen. Die Verbrecher musste er meist am Leben lassen, denn einige wurden sogar wieder freigelassen, wenn sie genug für ihre Missetaten bezahlt hatten. Diejenigen, die jedoch ein zu schweres Verbrechen begangen hatten, wurden zusammen mit den Kriegsgefangenen, die alles preisgegeben hatten oder nichts mehr preisgeben würden, auf einem Platz nahe des Schlosses hingerichtet, damit ihre Leichen nicht das Schloss selbst beschmutzten. Sie durften also nur so gefoltert werden, dass sie hinterher noch laufen konnten und Mako war so ziemlich der Einzige, der diese Kunst so präzise beherrschte. Allerdings nahm er sich fast allen Gefangenen an und folterte sie einfach nach Lust und Laune, bis er sich bei den Westlern überhaupt bemühte, Informationen zu erlangen. Seiner Meinung nach mussten diese erst einmal ein wenig weichgeklopft werden. Doch sein Blutdurst war für heute vorerst gestillt. Jetzt konnte er sich an die Befragung machen.

Makos Hand schnellte vor, packte den weißen Haarschopf des Unterlegenden und zog daran, sodass der Andere ihn ansehen musste.

"Also, du winselndes Hündchen, hast du mir irgendetwas zu sagen?", fragte er lächelnd.

Der Mann öffnete den Mund, ein dünnes Rinnsal Blut sickerte aus seinen Mundwinkeln hervor. "Du... bist ein verdammter Bastard!", stieß er schließlich mühevoll hervor.

Mako grinste nur noch breiter und ließ ihn los.

"Das scheint das beliebteste Schimpfwort bei euch im Westen zu sein. Aber ich muss dich enttäuschen, die Ehe meiner werten Eltern läuft vorzüglich und im Gegensatz zu euren Landsleuten ist man sich in meiner Familie durchaus treu", versicherte er, seine Worte auf die Goldwaage legend.

"Was... wisst ihr schon von Treue?!", sagte der Youkai verächtlich.

"Ach, weißt du, ich weiß eine ganze Menge davon." Man sehe sich nur mal seine Beziehung zu Toko an, schließlich war er ihm in gewisser Weise in den Tod gefolgt.

'Hey, ich hab dich nicht drum gebeten!', protestierte ebendieser, welcher alle seine Gedanken mitverfolgen konnte.

"Zunächst einmal solltest du wissen, dass deine Loyalität jetzt überhaupt niemandem mehr hilft. Du weißt es vielleicht noch nicht, aber der Süden hat erst kürzlich einen großen Sieg bei Yatohama errungen. Und das ist erst der erste Schritt", sagte er und genoss es dabei sichtlich, wie das Gesicht des Weißhaarigen zunehmend blasser wurde.

"Unsere allseits geliebte Prinzessin hat eurem ach so kühlem Lord einen deftigen Tritt in den Allerwertesten verpasst, wie findest du das?" Makos Augen blitzten tückisch.

Die Augen des Unterlegenden weiteten sich. Dann fragte er: "Seit wann hat euer Fürst eine Tochter?"

"Seit ein paar Jahren... Sie ist übrigens meine Schwester, und- Hey, Moment mal! Ich führe hier das Verhör! Abgesehen davon, dass du ohnehin nicht mehr in der Lage sein wirst, irgendwelche Informationen weiterzugeben. Du und dein ach so geliebter Lord könnt euch sonstwohin scheren! Euer Führer ist sowieso keinen Pfifferling wert, wo er bei der Schlacht so feige den Rückzug befohlen hat, obwohl er noch nicht einmal ganz verloren hatte..." Diese Beleidigungen waren zu viel.

Der Gefangene sprang auf und wollte sich zornentbrannt auf ihn stürzen, nur die Ketten hielten ihn noch an Ort und Stelle. Mit einem Mal hatte der Inuyoukai sein Schwert gezückt und hielt es geradewegs an die Kehle seines westlichen Feindes. Hass blitzte in den Augen des Gestellten auf.

"Willst du mir nicht erst einmal sagen, wie du auf die verrückte Idee kommst, hier so einfach herein zu spazieren? Ich bezweifle, dass dich jemand eingeladen hat", schlug Mako in diplomatischem Tonfall vor.

"Du wirst von mir nichts erfahren!", zischte der Westler, doch sein Körper, über und über mit blutigen Striemen der Peitsche überzogen, sacke wieder in sich zusammen.

"Nun komm schon! Du musst doch etwas wissen. Die Stärke eurer Armee, euer nächstes Angriffsziel... Die Pläne der Obrigkeit, nun mach endlich!" Ungeduldig geworden schwang Mako sein Schwert und ritzte dem Dämon die Haut unterhalb des Oberarmes auf. Ein gellender Schrei ertönte, als der Schmerz eintraf, und der Dämon wand sich unter schrecklichen Qualen, als die Wunde sich bis auf seine Knochen hinunter brannte. Das magische Schwert des Hundedämonen, welches selbst den südlichen Lord bezwungen hatte, fand hier eine grausame Verwendung.

"Na, was ist jetzt?"

"Meine... Befehle sind Jahre alt... ich habe keine Ahnung!", schrie der Weißhaarige, während sich die Wunde ausbreitete.

'Frag ihn was Kleineres. Sein Name oder so', drängte Tokos Stimme ihn.

'Gute Idee', pflichtete er ihm bei.

"Hör mal, ich hab auch nichts dagegen, dir nur mit Worten weh zu tun. Also sag mir mal rasch wie du heißt, damit ich dich besser beleidigen kann", formulierte er die Frage.

Der Angesprochene jedoch schwieg und starrte nur mit weit aufgerissenen Augen zu den bleichen Knochen, die sein Schwerthieb freigelegt hatte.

Mako seufzte und hob erneut sein Schwert.

"Chikara! Ich heiße Chikara!", sagte der Westler überstürzt, aus Furcht vor weiterem, unerträglichem Schmerz.

"Also schön, Chikara", meinte er befriedigt und ging vor ihm in die Hocke, um in gleicher Augenhöhe mit ihm zu sein.

"Du hast also Befehle erhalten, eine Mission, und bist daraufhin in den Süden gekommen. Du bist aber jetzt schon seit Jahren unterwegs, ja? Vermutlich seit Anfang des Krieges. Ist es vielleicht möglich, dass du etwas Bestimmtes gesucht hast?" Anhand des Entsetzens in Chikaras Augen machte Mako fest, dass er ganz richtig lag. Vorsichtig spekulierte er weiter: "Von wem hast du deine Befehle bekommen? Von einem der Räte? Von einem Heerführer? Oder gar vom Lord selbst?"

Chikara versuchte sichtlich sich zu beruhigen, sich nicht von seinen Gefühlen überwältigen zu lassen. Er atmete tiefer, versuchte den Schmerz zu verdrängen und eine gleichgültige, nichtssagene Miene aufzusetzen.

Mako erhob sich. "Du hast einen Komplizen", sagte er schlicht und die Maske des Westlers fiel in sich zusammen. "Er befindet sich in der Nähe des Schlosses und wartet auf deine Rückkehr."

"Woher...", begann Chikara, brach dann jedoch ab.

"Woher ich das weiß? Ich weiß es überhaupt nicht, ich hab geblufft. Aber du hast meine Vermutung soeben bestätigt", erwiderte er und der Gefangene sah aus, als würde er sich am liebsten selbst die Zunge abbeißen.

"Also, wie lautet dein Auftrag?", fragte er nochmals.

Chikara schwieg verbissen.

"Vielleicht wird es deine Zunge lockern, wenn wir deinen Komplizen herholen lassen und ihm vor deinen Augen den Kopf abschlagen...", meinte er gespielt nachdenklich.

Doch auch jetzt schwieg er noch und Mako runzelte die Stirn. Die meisten Dämonen waren bereit ihr Leben für ihre Sache zu opfern, aber meist doch nicht das Leben ihrer Freunde.

"Na schön, dann werde ich jetzt halt schmerzvollere Methoden zu Rate ziehen... Du bist inzwischen seit drei Tagen hier drin und dabei, einen neuen Rekord was den Widerstand betrifft aufzubauen, das kann ich nicht zulassen." Er zückte ein Messer.

"Pass auf, der Termin für deine Hinrichtung ist für heute Mittag angesetzt. Das ist in..." Er tat, als schaue er auf seine Armbanduhr, obwohl er gar keine besaß, "Oh, das ist schon in einer Stunde! Da muss ich mich aber beeilen. Weißt du, jetzt kann ich dir ein paar lebensgefährliche Wunden zufügen, die besonders schmerzvoll sind, wo der Tod als Folge jedoch noch so lange wartet, bis der Henker sich deiner annimmt. Wie viel Schaden ich dir zufüge, hängt davon ab, wie redselig du in den letzten Momenten deines Lebens noch bist...", erklärte er ausführlich und kam mit dem Messer seinem Gesicht gefährlich nah.

"Also, noch ein letztes Wort?", fragte er.

"Bevor jemand wie du die Geheimnisse des Westens von mir erfährt... nehme ich sie lieber mit ins Grab!", keuchte er erstickt.

Ungerührt ließ Mako sein Messer niederrasen.

Ein Schrei wie nicht von dieser Welt hallte in dem Verließ wider. Er Schwall Blut floss auf der durchstochenen Augenhöhle des Dämons und ergoss sich über Makos Hand. Er hörte die Schädelknochen unter seinem Hieb knacken.

Ein Mensch wäre sofort tot gewesen, doch selbst jetzt hielt sich Chikara noch am Leben.

"Willst du deine Meinung wirklich nicht mehr ändern?" Es wäre jammerschade. Er hatte kaum etwas aus dem Burschen heraus bekommen und er könnte seinen Ruf verlieren, wenn er sich dieses Dämons drei Tage lang annahm und ihn dennoch zu keinem vernünftigen Geständnis bewegen konnte.

"Nie... Niemals!", fauchte der Gequälte und spuckte Blut vor seine Füße.

Mako verzog das Gesicht und hieb mit dem Messer erneut auf ihn ein. Auch aus der zweiten Augenhöhle floss jetzt Blut, der nun blinde Youkai schwankte kurz und brach dann vollkommen in seinen Ketten zusammen.

Scheinbar vollkommen unberührt trat Mako zu ihm heran und hob leicht seinen Kopf an, um an der Halsschlagader des Gefolterten festzustellen, ob dieser noch am Leben war. Erleichtert stellte er fest, dass Chikara nur bewusstlos war. Hätte er ihn hier getötet, hätte er doch den Henker um seinen Job gebracht. Zufällig kannte er diesen persönlich. Der arme Kerl hatte Frau und Kinder im Krieg verloren und niemand konnte es ihm verübeln, wenn er wütend war, den Tod der Kriegsgefangenen, an denen er wenigstens noch ein bisschen Rache fand, einem Anderem überlassen zu müssen. Mako konnte es ihm nicht verübeln, waren seine Motive doch weniger verständlich.

'Du bist einfach nur blutrünstig', murmelte Toko halb belustigt, halb neckend.

'Sicher, aber in der Tiefe meiner Brust schlägt ein gutes Herz', meinte Mako daraufhin scherzhaft.

'Dann pass bloß auf, dass dir niemand aus Rache dieses ach so gute Herz herausreißt!', lachte sein Bruder im Stillen und Freude erfüllte Mako. Wenn Toko aufrichtig und auf tiefstem Herzen lachte, gewann er manchmal etwas von seinem Frieden zurück.

'Ich bin von deiner Bruderliebe gerührt, aber du solltest langsam dafür sorgen, dass dieser Leichnam hier weggeschafft wird', sagte Toko etwas ernster, der die Gefühle seines Bruders durchaus mitbekam.

'Noch ist er kein Leichnam. Ich gebe ihm noch etwa drei Stunden... Minus die zwei, die der Henker ihm stehlen wird', meinte Mako belustigt.

Er trat aus der Zelle heraus, den Ohnmächtigen nicht weiter beachtend, und rief nach ein paar Wachen, die Chikras Überreste heraus schaffen sollten. Er würde sich jetzt mal auf die Suche nach seinem geheimnisvollen Komplizen machen. Vielleicht bekam er aus dem mehr heraus...
 

*
 

Auf dem Hof...

Kuraifaia und der Rest des Heeres waren soeben auf dem Schloss angekommen. Die Soldaten zogen gleich weiter zum offiziellen Stützpunkt etwas weiter östlich, denn natürlich passten nicht alle von ihnen in die Anlage. Akakage war voraus gelaufen und kehrte mit der Heilerin Zairyou zurück, die sich um die Verwundeten kümmern sollte. Es waren nicht viele gefallen, wenn man Vergleiche zum Westen zog. Kuraifaia jedoch überließ es Ryo-jin, die Verluste auszuwerten und den Rat zu informieren. Sie selbst wusste nicht genau, was sie tun sollte und entschied sich schließlich dafür, dem Fürsten Bericht zu erstatten. Auf ihrem Weg kam sie an den Ställen der Reittiere vorbei, von wo aus ihr der große Maulwurfshund, mit dem Akakage sie aus dem Schlachtfeld gerettet hatte, fröhlich zu bellte. Das Geräusch ging fast unter in dem allgemeinem Lärm, den die anderen Reitdämonen veranstalteten. Langsam ging sie auf den Youkai zu und streichelte sanft über seine Schnauze, als ihr plötzlich ein merkwürdig bekannter Geruch in die Nase stieg. Alarmiert schritt sie die Reihen entlang und blieb dann wie angewurzelt stehen, als sie die Ursache des Duftes ausgemacht hatte. Dort, in einer der größten Boxen, stand ein großer, graubrauner Drache mit grünlicher Haarmähne und sah sie aus trauen Augen an.

Kein Zweifel, das war eindeutig Ah-Uhn. Geschockt, wie in Zeitlupe ging sie auf den Youkai zu und streckte zaghaft die Hand nach ihm aus. Das Tier drückte seine Schnauze vertrauensvoll in ihre Handfläche. Jemand hatte ihm die Maulkörbe abgenommen, damit er fressen konnte. Sein linker Kopf stieß ein wohliges Brummen aus.

Die Prinzessin wirbelte herum und mit einem Satz war sie am anderen Ende des Stallungen, wo sie den menschlichen Knecht anfuhr:

"Seit wann ist dieser Drache da?! Und wer hat ihn hergebracht!?" Ah-Uhn war Sesshoumarus persönliches Reittier, er würde es niemals so einfach weggeben. War der Lord etwa hier, auf dem Schloss? Dieser Gedanke machte es schwer sich zu beherrschen und sich nicht entsetzt umzusehen. Es war unmöglich, nicht so kurz nach der Schlacht, und doch... und doch... Könnte es dem Dämon nicht gelingen, noch vor ihr hier zu sein? Immerhin war sie mit einem kleinen Heer zusammen gereist und ihre Geschwindigkeit war dementsprechend eingeschränkt geworden.

"E...Eine Botin kam auf ihm her, sie... Sie sagte, sie bringe Nachricht von der Schlacht und... Ich sollte mich nur um den Drachen kümmern, ihn versorgen...", stammelte der Mensch, leichenblass unter Kuraifaias durchdringenem Blick.

Diese wiederum wurde stutzig. Eine Botin? Wohl kaum. Erstens hatten sie keinen Drachen bei sich gehabt und zweitens kam Ah-Uhn ja wohl definitiv aus dem Westen. Allerdings würde niemand Fragen stellen, wenn eine Frau, die von der Schlacht wusste und so offen hier her und an den Wachen vorbei kam. Zudem noch auf einem Reitdrachen, denn diese durften nur Dämonen in besonders hohem Rang benutzen. Demzufolge gab es nur eine Erklärung: Die vermeidliche Botin war eine Spionin, die vielleicht nicht dauerhaft, aber doch für einige Stunden im Schloss verweilen sollte, um ganz bestimmte Informationen zu sammeln. Mit Schrecken wurde Kuraifaia klar, dass diese Youkai eigentlich nur einen Auftrag gehabt haben konnte: Den Tod des Fürsten. Dieser war schwer erkrankt und kaum in der Lage sich zu wehren. Ja, das war die einzig logische Erklärung.

"Wohin ist sie gegangen, sag schon!", befahl sie dem Menschen, welcher mit zitternden Finger auf einen der großen Torbögen deutete, von dem aus eine Treppe nach unten ging.

Kuraifaia runzelte die Stirn, denn wenn das stimmte, dann war die Fremde geradewegs in die Kerker gegangen. Sie ließ von dem Knecht ab und hielt einen anderen Menschen an, der gerade dabei war, möglichst unauffällig den Hof zu putzen.

"Hey, du, hast du hier in letzter Zeit irgendetwas Ungewöhnliches bemerkt? Einen Aufruhr oder ähnliches?", fragte sie, doch der Mann schüttelte nur den Kopf, nachdem er sich fast bis zum Boden verneigt hatte. Bei dem nächsten Menschen den sie ansprach, hatte sie jedoch Glück:

"Ich weiß nicht ob es wichtig ist, aber... Vor einigen Tagen gab es einen Streit zwischen Dämonen. Es ging um irgend etwas Belangloses. Einer von ihnen trug eine Art Kopftuch und der eine Youkai riss ihm dieses herunter. Sie haben ihn ganz komisch angestarrt und ihn dann zusammengeschlagen, gefesselt und in die Kerker geschleppt", erzählte er, während auch er sich eilig verneigte.

"An dem, den sie zusammengeschlagen haben... Ist dir an ihm irgendetwas aufgefallen?", hakte Kuraifaia nach.

"Nun, also... Er hatte weiße Haare...", war die Antwort.

Damit war die Sache klar. Die Prinzessin wusste, dass sich Sesshoumaru selbst niemals von ein paar gewöhnlichen Soldaten würde überwältigen lassen. Aber anscheinend hatte er jemand anderen aus dem Westen mit Ah-Uhn hier her geschickt. Dieser war aber aufgeflogen und seine Komplizin hatte sich, als er lange nicht zurückkehrte, auf gemacht, um ihn zu befreien. Sie hatte sich als eine Botin ausgegeben und war so unbemerkt in die Kerker gekommen. Eigentlich hatten die Wächter am Tor die Aufgabe, jede einzelne Person ordentlich zu durchsuchen, um festzustellen, ob diese wirklich ungefährlich war und Kuraifaia war es ein Rätsel, wie sie an den Männern vorbei gekommen war. Wichtiger war jetzt aber, in den Kerkern nach dem Rechten zu sehen.

Kuraifaia sprintete los, doch sie ahnte, dass sie nur wenig Chancen auf Erfolg hatte, die Eindringlinge reichzeitig zu erwischen, denn das Gefängnis unter dem Schloss war in so vielen Gängen verschachtelt, dass man sich nur schwerlich zurecht fand. Hastig eilte sie die Treppe hinunter. Hinter der nächsten Biegung sollten eigentlich zwei Wachen stehen, aber niemand war da. Dafür entdeckte sie in der ersten Zelle zwei Bewaffnete, bewusstlose Dämonen. Anscheinend hatte sie es mit einem Profi zu tun.

Es führten viele Eingänge in die Kerker, wenn auch wenige wieder heraus. Die Gefangenen wurden je nach Verbrechen weiter unten eingeschlossen. Kuraifaia musste sich wohl oder übel sehr weit hinunter wagen, denn ein Westler, der sich direkt auf das Schloss begab, würde sicher in einem der Hochsicherheitsverließe stecken. Immer weiter lief sie also nach unten, gelegentlich stieß sie auf Wachen, die sich hastig verneigten. Sie ließ sich von ihnen sagen, wo der Neuankömmling zu finden war. Immer weiter hastete sie, der strenge Geruch von Schmutz und Blut überdeckte alles Andere. Unwillkürlich fragte sie sich, wie Mako es hier unten aushalten konnte.

Die Gefangenen in den Zellen schenkten ihr keinerlei Beachtung, die meisten waren ohnehin zu schwach, um sich überhaupt zu bewegen.

Dann stieg ihr der Geruch ihres Bruders in die Nase, vermengt mit einer unwahrscheinlich großen Menge Blut und sie erinnerte sich, dass Mako durch den Spiegel von einem weiteren Gefangenen berichtet hatte. Die Zeit würde hinhauen...

Ein wenig außer Atem kam sie an der Zelle an, doch ihr Bruder war bereits fort. Zwei Männer waren damit beschäftigt, einen blutüberströmten Körper aus der Zelle zu ziehen. Als sie die Prinzessin sahen, fielen sie auf die Knie.

"Wer ist das?", fragte sie und deutete auf den mehr toten als lebendigen Mann auf dem Boden, obwohl sie die Antwort eigentlich schon kannte.

"Ein Westler, der sich vor drei Tagen hier eingeschlichen hat. Euer werter Bruder hat sich seiner angenommen und wir sollen ihn jetzt rausbringen", erzählten sie.

Also sollte dieser Dämon jetzt hingerichtet werden. Ein kurzer Blick bestätigte, dass sich die Brust des Gefolterten noch leicht hob und senkte.

"Lasst mich kurz mit ihm allein, ich will ihm noch ein paar Fragen stellen", befahl sie.

Die Youkai nickten und einer von ihnen nahm einen Wassereimer, den er bereitgestellt hatte, und schüttet ihn über den Kopf des Gequälten. Ein Zittern lief durch seinen Körper, das Blut wurde von seinem gesicht geschwemmt und gab den Blick auf zwei durchstochene Augenhöhlen frei. Kuraifaia sog zischend die Luft ein.

"Verschwindet jetzt", befahl sie und die Männer entfernten sich. Sie packte den Westler am Kragen und lehnte ihn an die Kerkermauer. Das einst weiße Haar des Mannes war von seinem eigenem Blut befleckt und er stöhnte unter grauenvollen Schmerzen, doch er hatte sein Bewusstsein wiedererlangt.

Die Prinzessin packte ihn erneut am Saum seines Oberteils, welches zum guten teil zerrissen war und zog ihn zu sich heran.

"Was war dein Auftrag!?", zischte sie bissig und legte so viel Feindseligkeit wie möglich in ihre Stimme, denn von ihrem Gesichtsausdruck würde sich der Blinde kaum noch einschüchtern lassen.

Der Gefangene schüttelte nur benommen den Kopf und in Kuraifaia stieg langsam Panik auf. Wenn sie den Dämon nicht dazu bringen konnte, ihr mehr zu verraten, stand vielleicht das Leben des Fürsten auf dem Spiel!

Plötzlich hörte sie eilige Schritte und wandte sich erneut der Tür zu. Jemand kam herbei gerannt, stoppte kurz, und stürzte dann in die Zelle hinein.

Kuraifaias Augen weiteten sich, als sie ihre Schwester erkannte.

"Mitsura, was zum Teufel-"

Doch die Youkai schenkte ihr keinerlei Beachtung und stürzte sofort zu ihnen herüber. Erschrocken ließ Kuraifaia den Gefangenen los und sofort war ihre Schwester herbei, um ihn aufzufangen.

"Chikara, Chikara, was hast du nur getan!?", flüsterte sie dabei und die Prinzessin war geradezu geschockt, auf ihrem Gesicht Tränen zu sehen, als sie den Kopf des Weißhaarigen in ihren Schoß hob und ihm sanft über die leeren Augenhöhlen strich.

"Mi...Mitsura...", stöhnte der Gefolterte.

"Mitsura, was ist hier los, was-", wollte sie eine Erklärung fordern, doch in diesem Moment hörten sie erneut Schritte und einen Moment später stand Mako in der Tür. Vollkommen lässig stand er da und schien überhaupt nicht überrascht, Mitsura hier anzutreffen.

"Ah, ich hab mich schon gewundert. Dort hinten stehen ein paar Wachen und sind kräftig am fummeln, ich hab mir gedacht, die müssen doch schwul sein. Aber hey, das ist eine von deinen Illusionen, Mitsura, nicht wahr? Wirklich clever. Beide glauben, sie würden mit ner Frau rummachen und kriegen überhaupt nicht mit, dass sie stattdessen ihren Kameraden begrabschen. Deine Anwesenheit erklärt vieles. Du bist die Komplizin dieses Westlers, nicht wahr?", fragte er geradezu herausfordernd. Kurz huschte etwas wie Unsicherheit über das Gesicht der älteren Schwester.

"Mitsura, was redet er? Was hast du mit diesem wandelnden Fleischberg zu tun und was war sein Auftrag!?", fauchte Kuraifaia aufgebracht, "Wolltet ihr den Fürsten töten?!"

Mitsura sah sie verwirrt an. "Nein, Unsinn, um den ging es nicht! Es war-"

"Mitsura!", sagte Chikara schwach, "Verrat ihnen nichts!"

"Das ich nicht lache! Wen hier überhaupt irgendjemand irgendwas verrät, dann wird das auf jeden Fall Mitsura sein!", sagte Mako. Alle sahen ihn an.

"Mitsura, du bist in den Westen gegangen, um unsere Schwester, Kuraifaia zu suchen, so ist es doch? Wir haben es doch abgemacht. Du gehst in den Westen, ich in den Süden", meinte Mako und ignorierte Kuraifaias empörten Blick.

"Nachdem du festgestellt hast, dass sie nicht im Westen ist, war deine Aufgabe erledigt! Du hättest sofort zu uns kommen müssen, um an unserer Seite zu kämpfen! Wir haben dir ja sogar einen Brief geschickt, erinnerst du dich? Warum bist du dennoch auf ihrer Seite geblieben? Warum hast du dich mit IHM", er deutete auf Chikara, "zusammengetan?" Er schüttelte enttäuscht den Kopf, doch es wirkte aufgesetzt. "Du warst noch nie eine ehrliche Person. Du konntest alles heucheln, Liebe und Freundschaft, Trauer und Schmerz, Wut und Empörung. Du bist eine geborene Verräterin und du hast uns verraten, indem du dich auf seine Seite gestellt hast." Er breitete theaterisch die Arme aus: "Aber wir wollen mal nicht so sein. Wir können dich noch immer wieder bei uns aufnehmen. Du hast sicher eine Menge Informationen über den Westen. Entscheide dich endlich für eine Seite und gib dein ewiges Doppelspiel auf!"

Mitsura zitterte vor Wut und auch wenn an Makos Worten durchaus etwas Wahres dran war, konnte Kuraifaia es ihr nicht verübeln. Dennoch war auch sie zornig, dass ihre Geschwister hinter ihrem Rücken ein Netz geflochten hatten, um sie einzufangen, die Lage immer zu ihren Gunsten zu wenden und dabei keinerlei Rücksicht auf sie genommen hatten. Makos Verhalten war da nicht weniger verwerflich.

Mitsura war jetzt aufgesprungen. "Du willst, dass ich mich für eine Seite entscheide? Für eine Seite, in diesem Krieg!? Wie kannst du das von mir verlangen!?", zischte sie ihren Bruder an.

Jetzt aber wurde es auch Kuraifaia zu viel. "Nun hört endlich auf mit diesem kindischem Benehmen! Ihr seid doch verrückt, alle beide!" Sie wandte sich an ihre Schwester: "Mitsura, Mako hat in gewisser Weise Recht. Du hast dich nie auf eine Seite geschlagen, du hast immer deine eigene gebildet. Aber hier geht es um mehr, als nur um uns drei! Hier geht es um zwei Länder, die im Krieg liegen, verdammt noch mal! Das hier ist mein Volk! Wie kannst du dich auf die Seite meiner Feinde stellen und meine Kameraden und Freunde töten!? Ich weiß nicht, was ihr für einen Auftrag hattet, aber ich muss mich doch sehr wundern, dass du anscheinend nichts unversucht lässt, um ihn auszufüllen!"

"Verdammt, wir sollten doch nur dich finden!", schrie Mitsura, "kapierst du es denn nicht? Wir hatten keine besondere Mission im Auftrag des Krieges oder so, wir wurden einfach nur ausgeschickt, um zu sehen, wie es dir geht! Sesshoumaru vermisst dich, okay? Ist es das, was du hören wolltest? Der große Lord hat eine Schwäche, und die bist du!"

Erneut herrschte Stille, während sich die beiden Frauen anstarrten, dann ergriff wieder Mako das Wort: "Da hast du es, Kuraifaia. Sie hat sich auf die Seite deines Verlobten geschlagen! Und weißt du noch was? Ich glaube, sie hat diesen Auftrag nur ausgeführt, weil sie sich in den da verguckt hat!", meinte er und deutete vielsagend auf Chikara. "Darf ich dir dann mit Freuden mitteilen, dass ich es war, der ihn so zugerichtet hat?"

"Mako, halt dein verdammtes Maul!", rief Kuraifaia genauso wütend wie zuvor. "Mitsura hat einen Fehler gemacht und ich bin verdammt noch mal stinkwütend auf sie, aber auch wie du sie behandelst, ist nicht in Ordnung! Ich glaube ihr, dass sie nur das Beste für uns alle im Sinn hatte. Seid Tokos Tod hast du dich verändert, du gerätst außer Kontrolle!", rief sie.

Mitsura ließ sich kraftlos zu Boden sinken und starrte sie an. "Toko ist tot?", flüsterte sie.

Mako winkte ab. "Halb so wild. Er labert mich immer noch die ganze Zeit voll."

"Ja, und er scheint dir den Verstand geraubt zu haben", fügte Kuraifaia hinzu.

Mitsura nickte steif.

Das wiederum machte Mako wütend: "Wollt ihr euch jetzt alle gegen mich verschwören?! Kuraifaia, Mitsura hat uns für dieses bisschen Dreck da verraten!" Er deutete anklagend auf Chikara, "Sie will dich Sesshoumaru ausliefern!" Mit einer entschlossenen Geste zog er sein Schwert. "Ich werde das nicht zulassen! Ich habe keine Ahnung, wie meine Methoden auf Mitglieder meiner Familie wirken, aber ich denke, es ist an der Zeit, das jetzt mal auszuprobieren!" Drohend kam er auf Mitsura zu. Grob packte er sie am Arm, während die junge Frau viel zu geschockt war, um sich noch irgendwie bewegen zu können.

"Ich werde sie in die Zelle nebenan bringen - Kuraifaia, du bringst den Westler zu seiner Hinrichtung. Es wird höchst Zeit!" Ohne eine Antwort abzuwarten, zerrte er die betäubte Mitsura aus der Zelle heraus.

"Aber-" wollte die Prinzessin protestieren, aber Mako warf ihr nur einen warnenden Blick zu und verschwand dann.

Kuraifaia blieb allein zurück und konnte nicht glauben, was eben passiert war. Etwas in ihr wollte den beiden nachstürzen und ihrer Schwester helfen - aber dann fiel ihr Blick auf Chikara und sie überlegte es sich anders. Sie trat aus der Zelle heraus, wo sie feststellen musste, dass sich dort ein gutes Dutzend Wachen versammelt hatten, die wohl den Aufruhr und ihr ganzes Geschrei gehört hatten. Sie befahl einem von ihnen, den Halbtoten aus seinem Kerker zu holen und hinauf zu den Henkern zu bringen. Wortlos gehorchten sie.
 

Chikara litt noch immer unheimliche Schmerzen. Er schwebte in einem Dämmerzustand zwischen Wachen und Bewusstlosigkeit. Seine Augen brannten wie die Hölle und er konnte rein gar nichts sehen. Sein Arm fühlte sich abgestorben an, der konnte ihn nicht mehr bewegen und sein Rücken peinigte ihn noch zusätzlich mit den Schmerzen der Peitschenhiebe. Dennoch rasten seine Gedanken und sein Gehirn versuchte vergeblich, mit der Fülle an neuen Informationen fertig zu werden. Sein Folterknecht, Mako, hatte gesagt, dass seine Schwester die Prinzessin sei. Aus dem nachfolgendem Geschehen hatte er erfahren, dass seine Schwestern Mitsura und Kuraifaia, alias Anis waren. Mitsura war die ganze Zeit im Westen gewesen, also musste Kuraifaia die Prinzessin sein.

Dann aber setzte er irgendwie aus. Er verstand die Dinge nicht richtig, über die sie gesprochen hatten. Mitsura hätte auf ihrer Seite gestanden und hätte den Süden verraten, aber... Makos Vorwürfe erschienen ihm unberechtigt. Mitsura konnte den Lord ebenso wenig leiden, wie Sesshoumaru Zuneigung zu ihr empfand. Außerdem hatte sie auf den Befehl der beiden hin den Westen verlassen und ganz offensichtlich seine Mission überwacht, damit er nicht auf Kuraifaia traf. Mitsura hatte ihre Geschwister keineswegs verraten, sondern viel mehr den Westen selbst. Aber es machte keinen Sinn, warum Mako sie nun bestrafen wollte. Seine eigene Schwester! Und er wusste nur zu gut, wozu dieses Monster fähig war. Noch unlogischer erschien es ihm, dass Kuraifaia selbst nichts, aber auch wirklich gar nichts unternommen hatte, um ihr zu helfen. Er selbst hielt Mitsura für unschuldig und als der erste, ferne Schrei einer Frau an sein Ohr drang, zuckte er unwillkürlich zusammen. Mit einem Mal traf es ihn, dass er sie nicht verlieren wollte. Als er sie an der Mauer geküsst hatte, da waren seine Gefühle aufrichtig gewesen. Nun, da er ihre Pläne kannte und ihr Verhalten erklärt sah, tat die Gewissheit ihres Todes viel mehr weh, als die Gewissheit seines eigenen. Er war aus, vorbei, ihre Mission war gescheitert.

Und in gewisser Weise hatte er Sesshoumaru damit verraten.
 

Mitsura zuckte unter dem erneuten Peitschenhieb zusammen.

"Warum machst du das, Mako?", flüsterte sie gequält.

Ihr Bruder hieb ungerührt ein zweites Mal zu.

"Hast du die vielen Wachen nicht gesehen? Und die Zellen sind voll von Gefangenen, die alles mitbekommen haben, was wir gesagt haben. Jetzt aber sind alle mit Kuraifaia mitgegangen. Wenn wir leise genug sind, werden wir hier ungestört reden können." Erneut sauste die Peitsche herab und ein weiterer Schrei hallte durch das Verließ.

"Hör auf damit", flüsterte Mitsura, "Sie sind jetzt bestimmt weit genug weg."

Mako ließ von der Dämonin ab, die an Ketten gefesselt an der Mauer hing und trat zu seiner Schwester, die in der entgegengesetzten Ecke kauerte und die andere Youkai beäugte. Diese war bewusstlos geworden.

"Okay, ich denke, sie hat laut genug geschrien. Die Wachen werden glauben, ich hätte dich ran genommen", sagte Mako befriedigt und legte die Peitsche nieder. "So, und jetzt erklärst du mir bitte noch einmal, was hier vorgefallen ist."

"Chikara hatte die Aufgabe, Kuraifaia ausfindig zu machen. Sesshoumaru schien sie sehr zu vermissen und will wenigstens wissen, dass es ihr gut geht. Zur gleichen Zeit kam euer Brief bei mir an und ich ergriff die Gelegenheit und folgte ihm auf die Mission, so war ich weg vom Westen und konnte verhindern, dass Chikara Kuraifaia zu schnell findet", murmelte sie.

"Zu schnell?", wiederholte Mako und hob eine Augenbraue.

Mitsura lächelte schwach. "Du weißt doch, dass ich es mir zum Ziel gesetzt habe, die beiden zu verkuppeln. Sieh mal, wenn Kuraifaia die Prinzessin und Sesshoumaru der Lord ist, könnten sie doch heiraten, um den Krieg zu belegen! Dazu muss Sesshoumaru aber erst einmal wissen, dass sie die Prinzessin ist", erklärte sie.

"Ach, und deswegen willst du diesen Chikara mit den Informationen entkommen lassen?", sagte er missmutig.

"Genau, das hatte ich vor."

Er schnaubte. "Du hattest überhaupt nichts vor. Du hast dich in diesen Typen verknallt, gib's doch zu. Das ich das noch erleben darf... "

"Wie kommst du denn darauf?", fragte sie ehrlich erstaunt.

"Das Ganze war auf jeden Fall nicht von dir geplant. Du wusstest ja schließlich auch nicht, dass Kuraifaia vom Fürsten adoptiert worden ist, nachdem ich Keisushiro getötet habe. Es scheint mir die einzig logische Erklärung, warum du ihn retten willst", erklärte er.

Mitsura senkte den Kopf. "Was wird jetzt aus ihm?"

"Ich hoffe doch mal, dass Kuraifaia meinen Plan ebenfalls durchschaut hat, spätestens als sie die vielen Wachen sah. Ich werde später noch einmal mit ihr reden. Zunächst einmal will ich dir aber sagen, dass ich überhaupt nichts von deiner Verkupplungstechnik halte. Allerdings bin ich mir inzwischen auch nicht mehr so sicher, was genau das Beste für Kuraifaia ist...", flüsterte er, selbst etwas niedergeschlagen. "Wenn du es tatsächlich schaffst, die Geschehnisse soweit voranzutreiben, das eine Heirat wirklich kurz vor der Tür steht und wenn unsere Schwester selbst Zweifel hat, ob es wirklich das Richtige ist, diesen Krieg weiterzuführen und Sesshouamru umzubringen, dann....." Er seufzte schwer, "Sollten alle diese Bedingungen erfüllt, der unwahrscheinlichste Fall eintreten.... Dann werde ich ihnen nicht im Weg stehen. Sollte sie eine Zustimmung tatsächlich in Erwägung ziehen und mich um Rat fragen, werde ich ihr zur Hochzeit raten."

Mitsura fühlte sich unendlich erleichtert und ehe Mako es verhindern konnte, war sie ihm um den Hals gefallen.

"Ich danke dir, Mako, du wirst es bestimmt nicht bereuen! Wenn du jetzt noch sagst, dass wir hoch gehen und Chikara retten, hast du echt was gut bei mir!", versprach sie ihm überschwänglich.

"Nun mach mal halblang! Was glaubst du, warum ich diese Show da drüben abgezogen habe? Wenn, und ich sage WENN, ihr entkommt, dann muss das heimlich geschehen! Ich werde behaupten, dass du hier in den Kerkern umgekommen bist. Du aber gehst jetzt hoch und schleichst dich aus dem Schloss, ich werde dafür sorgen, dass dir niemand im Wege steht. Sobald die Henker außer Sichtweite der Torwachen sind, kannst du Chikara befreien und dich vom Acker machen. Du musst die Henker so ablenken, dass sie nicht sehen, WER Chikara da rausgeholt hat. Sie werden zu beschämt sein, um zuzugeben, dass ihnen ein Halbtoter noch entkommen ist, dass sie nicht auf eine zweite Person, einen Komplizen bestehen werden, wenn meine Aussage dagegen steht, dass du tot bist. Abgesehen davon werden wir es so einrichten, dass sie Kuraifaia Bericht erstatten und sie wird den Rest zurecht biegen. Der einzige weitere Zeuge", er zog demonstrativ sein Schwert, "ist diese Frau dort." Er deutete auf die Gefangene, die er ausgepeitscht hatte, um die Wachen glauben zu lassen, er würde Mitsura foltern. Sein Schwert stieß herab und fuhr in die Kehle der Youkai.

"Sie wird nichts verraten und ich werde ihre Leiche so verstümmeln, dass sie gefahrlos als Mitsura Vanderobe durchgeht." Er grinste.

"Sehr witzig", murmelte Mitsura eingeschnappt.

Mako klopfte ihr auf die Schulter. "Also los, geh deinen Liebsten retten."

Mitsura lächelte ihn dankbar an und ging zur Tür. Dann jedoch wandte sie sich kurz um und sagte: "Mako, verzeih mir. Ich habe wirklich für einen Moment geglaubt, du hieltest mich für eine Verräterin."

Mako lächelte nachsichtig. "Schon okay. Ich hätte dich einweihen müssen, aber das Ganze kam mir so authentischer vor." Er kniete sich zu der Leiche und fügte hinzu: "Außerdem war dein Gesicht zum Schießen."
 

Zehn Minuten später presste sich Mitsura dicht in die Lücke zwischen der Schlossmauer und den Ställen. Sie duckte sich in den Schatten und beobachtete voller Grauen, wie Chikara von einigen Inuyoukai aus den Kerkern getragen wurde. Mako, der dieses Gebiet inzwischen wie seine Westentasche kannte, hatte ihr einen schnelleren Weg nach oben gezeigt, sodass sie jetzt einen Vorsprung hatte.

"Sieh mal einer an. Hab mir doch gedacht, dass Mako schon wieder etwas ausheckt", ertönte plötzlich eine Stimme, und Mitsura wirbelte herum. Dort, neben der ersten Box, stand ihre Schwester.

"Ich habe gewusst, dass er einen Plan hatte. Es wäre besser gewesen, mich einzuweihen, aber gut. So kannst du jetzt wenigstens unbemerkt entkommen." Sie stieß sich von der Holzwand ab und stellte sich direkt vor sie.

"Ich will nicht zu Sesshoumaru. Was er denkt und fühlt, hat mich nicht zu interessieren. Er wollte, dass ich neu anfange, und das habe ich getan. Er muss mit den Konsequenzen selbst zurecht kommen. Er hat nicht das Recht, mich jetzt noch beanspruchen zu wollen. Es ist schlimm genug, dass der Krieg den ER ausgelöst hat, all meine Freunde und Kameraden umbringt. Weißt du, was ich soeben erfahren habe? Gerade kam ein Bote vorbei, gleich nachdem ich aus den Kerkern raus war. Man hat mein gesamtes Rudel tot im Wald aufgefunden. Die Spuren besagen eindeutig, dass es westliche Hundedämonen waren, die sie getötet haben. Glaub mir, das werde ich ihm nie verzeihen. Ich weiß, dass es ihm nicht reichen wird zu erfahren, dass ich lebe und dass ich glücklich bin. Er versucht dauernd mein Leben zu zerstören. Sesshoumaru hätte sich nie dazu hinreißen lassen dürfen, so leichtfertig einen Krieg zu beginnen. Er hat gut ein Dutzend meiner Freunde auf dem Gewissen! Er wird versuchen, mich zurück zu holen und wenn er da ist, dann bin ich bereit. Egal was er ausheckt, ich werde mich nicht unterkriegen lassen. Ich bin kein Eigentum, mit dem er machen kann was er will! Das er erst fort wirft, nur um es sich dann anders zu überlegen und es wieder zurück zu verlangen! Merke dir das, Mitsura. Ich weiß, du kannst nicht anders, als jetzt in den Westen zu gehen, weil man dich hier für tot halten wird. Aber ich rate dir: Wehe du greifst noch einmal in den Krieg ein und tötest meine Freunde!" Mit diesen Worten drehte sie sich um, und lief hinter den Ställen zurück. Mitsura glaubte, sie wolle ins Schloss zurück, doch zu ihrer Überraschung betrat sie eine der Boxen und während sich Mitsuras Augen weiteten, holte die Prinzessin Ah-Uhn aus dem Stall und führte ihn zu ihr.

"Du hast Glück, dass alle mit dem Einmarsch der Soldaten beschäftigt sind. In dem ganzen Durcheinander hat irgendjemand vergessen, die Tür zur Box dieses Drachens zu schließen, der Dämon wurde von den Soldaten verschreckt und ist ausgerastet." Sie reichte Mitsura Ah-Uhns Zügel. "Sorg dafür, dass die Wachen wirklich nur einen Reitdrachen sehen, dem eine Laus über die Leber gelaufen ist und der Youkai auf seinem Rücken, die ihnen ihren Gefangenen abgenommen hat, keinerlei Beachtung schenken", sagte sie augenzwinkernd und nahm so ihrer vorrangegangenen Rede eine Menge von ihrer Schärfe.

Mitsura nahm die Zügel entgegen. "Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll."

"Sorg einfach dafür, dass ich es nicht bereuen muss, die große Liebe meiner Schwester nicht dem Tod überlassen zu haben."

Die Dämonin nickte und schwang sich in den Sattel.

"Ach, und Mitsura", sagte Kuraifaia noch, "das war das letzte Mal, dass ich dir aus der Patsche geholfen habe!"

Mitsura deutete eine Verbeugung an und sagte halb im Spaß, halb ernst: "Sehr wohl, Prinzessin."
 

*
 

Drei Tage später...

Chikara wusste nicht mehr genau, was passiert war, als die Wachen ihn aus dem Schloss geführt hatten. Die Youkai hatten seine Hände mit normalen Seilen zusammengebunden. Die sollten nicht wirklich dafür sorgen, das er nicht entkam, sie sollten ihn eher führen. Er war nämlich nur noch in der Lage gewesen, halb besinnungslos hinter ihnen her zu torkeln. Der Schmerz seines geschunden Körpers hatte es unmöglich gemacht, auch nur den geringsten Versuch einer Gegenwehr zu tätigen.

Dann aber ertönte ein lautes Fauchen und die Wachen schrien auf. Er spürte einen Ruck an seinen Fesseln und konnte seine Hände wieder frei bewegen.

Doch seine Beine trugen ihn nicht lange und er war wieder in sich zusammen gesunken. Er spürte noch, wie ihn jemand auffing, dann verlor er wieder das Bewusstsein.

Nun war er wieder wach, aber noch immer konnte er nicht sagen, was da passiert war und warum er noch am Leben war. Eines aber wusste er: Der Schmerz war verschwunden. Sein Arm, der doch nur noch aus Knochen bestanden hatte, war jetzt genauso unverletzt wie vor der Folter und als er mit seiner Hand darüber strich, spürte er unversehrte Haut. Etwas Kühles, es musste eine Art Salbe sein, bedeckte seinen Rücken. Selbst sein Kopf tat nicht mehr weh, obwohl dieser Dämon ihm fast den Schädelknochen zertrümmert hatte.

Mühsam richtete er sich auf und bemerkte erst da, dass er auf dem Boden gelegen hatte.

„Chikara? Chikara, du bist ja endlich wieder wach!“, ertönte eine Stimme, die er nur mit einiger Mühe identifizieren konnte.

„Mitsura? Was... Was ist hier los?“ Sein Kopf fühlte sich seltsam an. Als er sich mit seiner Hand über die Stirn fahren wollte, fühlte er einen Verband, der erst knapp über seiner Nase endete.

„Wir haben dich rausgeholt. Ah-Uhn hat die Wachen abgelenkt und ich hab dich weggebracht. Er ist hier, ihm ist nichts passiert. Wir sollten aber nicht zu lange hier bleiben, sondern lieber schnell weiter fliegen. Wer weiß, ob sie uns nicht doch verfolgen.“

Er spürte zwei Hände, die ihn sanft zurück auf den Boden drückten. „Aber jetzt leg dich erst mal weder hin.“

„Aber du... Und dein Bruder-“

„Es war nur ein Trick. Er hat mir nichts getan.“ Und dann erzählte sie ihm, von all den Zuhörern die sie nicht bemerkt hatten, und wie Mako so getan hatte, als wenn er sie foltern würde. Wie sie sich herausgeschlichen hatte und auch was ihre Schwester gesagt hatte. Wie sie Ah-Uhn auf die Wachen gehetzt und ihn schließlich hier her gebracht hatte.

„Also ist deine Schwester tatsächlich die Prinzessin der südlichen Länder?“, versicherte er sich nochmals.

„Ja“, sagte sie leise, „ich wusste es auch nicht. Sie weigert sich, zu Sesshoumaru zurückzukehren.“ Kurz schwieg sie, dann meinte sie fast hoffnungsvoll: „Aber das braucht uns ja nicht zu interessieren. Wir haben unsere Informationen, nicht wahr? Lass uns zurückkehren!“

Chikara drehte den Kopf in die Richtung, aus der er Mitsuras Stimme hörte. „Ich dachte, du wolltest nicht mehr zurück.“

„Wie kommst du denn darauf?“, fragte sie, es klang überrascht.

„Du weißt, was ich meine. Deine Familie lebt im Süden... Hättest du es nicht dort viel besser?“ Er konnte nicht alle Bitterkeit aus seiner Stimme verbannen. Mitsuras Familie waren seine Feinde und sie gehörte ebenfalls dazu. Dennoch schaffte er es nicht, sie so zu hassen, wie er eigentlich sollte. Wäre es nicht Verrat, sich mit ihr einzulassen? Sesshoumaru hatte ihn vor ihr gewarnt. War der Lord nicht immer die einzige Person gewesen, der er bedingungslos vertraute? Jetzt aber hatte er das Gefühl kurz davor zu sein, sich auf die Seite seiner Feinde zu stellen.

„Chikara, ich habe es schon einmal gesagt. Der Westen ist genauso wenig mein Land, wie Sesshoumaru mein Herr ist. Vielleicht hast du Recht und ich sollte bei meinen Geschwistern im Süden bleiben. Aber... Aber ich kann dich jetzt nicht allein lassen! Das die Wachen dich gefangen haben, ist meine Schuld, weil ich dich nicht begleitet habe. Es tut mir Leid und ich will es wieder gut machen! Bitte gib mir eine Chance!“

So aufrichtig ihre Worte auch klangen, er konnte sie nicht glauben.

Mit einem Ruck richtete er sich auf und schlug ihre Hand, die leicht seinen Arm berührt hatte, unwirsch beiseite.

„Wie kann ich dir denn je wieder vertrauen, Mitsura?! Warum hätten sie dich gehen lassen sollen, anstatt dich zu überreden, bei ihnen zu bleiben, wenn du wirklich bereit wärst, mit mir in den Westen zu gehen?! Warum hätten sie dir auch noch helfen sollen, mich zu retten!? Warum, frage ich dich, warum!?“

Wieder antwortete ihm nur Schweigen und nach einer Weile ließ er sich wieder zurücksinken.

„In unserer Familie laufen die Dinge anders“, sagte Mitsura dann mit zitternder Stimme. „Wir sind Geschwister und wir haben uns geschworen, immer füreinander da zu sein. Die Anderen immer zu beschützen, egal was kommt. Mako hat den Job eines Folterknechtes angenommen und er hat dir sehr weh getan – das nehme ich ihm übel. Aber ich stehe trotzdem zu ihm. Kuraifaia verstrickt sich selbst immer mehr in ihrem Schicksal, welches sie sicher unglücklich machen würde. Sie sträubt sich gegen jede Hilfe und will alles allein durchstehen und trotzdem gebe ich nicht auf und will sie retten. Natürlich sind wir uns nicht immer einig und natürlich streiten wir uns auch manchmal. Aber weder Mako noch Kuraifaia würden tatenlos zusehen, wie mein Leben den Bach runter geht.

In den Kerkern wurde laut genug deutlich, dass ich mit einem Auftrag aus dem Westen kam und nach den Gesetzen des Südens hätten sie mich töten müssen. Sie wussten, ich musste in den Westen zurückkehren. Und sie wussten auch, dass mir viel daran lag und so gaben sie mir die Chance, dich zu retten. Für sie und den Verlauf des Krieges spielte es ohnehin keine Rolle,ob ich nun mit oder ohne dir zu Sesshoumaru ginge.“ Sie verstummte und Chikara versank in tiefes Nachdenken. Konnte er ihr trauen? Sagte sie die Wahrheit? Aber warum hätte sie ihn retten und seine Wunden versorgen sollen? Am Hof würde es zweifellos einen besseren Eindruck machen, wenn sie mit ihm zurückkehrte, aber...

„Chikara, ich bitte dich, glaube mir! Ich habe viel in meinem Leben falsch gemacht, ich habe gelogen und betrogen. Aber heute, hier und jetzt meine ich es Ernst: Ich liebe dich! Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dein Vertrauen. Ich kann um meiner Geschwister willen nicht im Krieg kämpfen, aber ich werde am Schloss als Heilerin arbeiten. So kann ich wenigstens von Nutzen sein.“ Ihre zarten Hände fuhren über seine Wangen. Er spürte sie kaum.

„Ich gestehe, mir ist egal, was aus dem Westen wird. Aber um deinetwillen werde ich dort bleiben. Ich bitte dich nur, gib mir eine Chance!“

Chikara erhob sich langsam. Durch den Verband konnte er nichts sehen und so fuhr er langsam mit den Händen an ihren Armen empor und legte sie schließlich auf ihre Schultern. Ganz langsam, vorsichtig zog er sie näher zu sich.

Konnte er dieser Frau trauen? Seine Vernunft führte ihm immer wieder all die Dinge an, die dagegen sprachen. Sein Herz aber wollte nicht anderes, als Mitsura ihre Bitte zu erfüllen und ihr eine Chance zu geben.

Und zum ersten Mal in seinem Leben hörte er nicht auf seine Vernunft.

Zärtlich umarmte er die Youkai, die sich erleichtert an ihn drückte.

„Ich sollte es wohl nicht tun, aber... Ich gebe dir eine Chance. Vielleicht ist es dumm, aber ich glaube... Ich glaube, ich empfinde genauso wie du“, sagte er stockend.

Zögernd gab er sie wieder frei.

„Mitsura, bitte mach mir den Verband ab. Ich möchte dich ansehen...“, sagte er leise.

„Oh, Chikara!“, flüsterte die Youkai und plötzlich klang sie sehr traurig.

„Was... Was ist?“

„Ich habe deine Wunden so gut es ging versorgt, aber... Oh es tut mir so Leid, doch...“, sprudelte es aus ihr hervor, doch Chikara, den eine unschöne Vorahnung ergriffen hatte, zerrte schon an dem Stoff über seinen Augen.

„Bitte lass das, ich habe dir ein Schmerzmittel eingeflößt, aber wenn du so daran ziehst-“, protestierte Mitsura, doch der Dämon hörte nicht auf sie.

Mit einem Ruck durchtrennten seine Klauen den Stoff. Er öffnete seine Augen und – er sah nichts. Vorsichtig blinzelte er, einmal, zweimal. Doch um ihn herum blieb es schwarz.

Ein Zittern ergriff ihn. Ihm wurde einmal mehr deutlich, dass er eigentlich nicht mehr leben sollte. Mako hatte ihm beide Augenhöhlen durchstochen, schon allein das war tödlich. Und doch hatte Mitsura es geschafft ihn zu retten, und den Wunden ihre Härte zu nehmen. Ohne das Schmerzmittel wäre er vermutlich immer noch bewusstlos, aber so spürte er nichts.

„Wird es... wieder gehen? Irgendwann...?“, fragte er leise, noch zu geschockt von seiner Erkenntnis.

„Ich wünschte, ich könnte dir Hoffnung machen, aber... Es wird nie wieder so sein wie früher. Vielleicht finden wir eine andere Art der Wahrnehmung! Meine Schwester beherrscht die Aurasicht, und-“

„Aber ich werde nie wieder sehen können“, fasste er erstaunlich ruhig zusammen. Er strich mit der Hand sanft über Mitsuras Wange und roch ihre Tränen, die seine Finger benetzten. „Ich werde dich nie wieder sehen.“

„Es tut mir so Leid, Chikara! Es ist alles meine Schuld! Bitte verzeih mir, ich habe versagt“, flüsterte die Dämonin erstickt.

Der Weißhaarige schüttelte langsam den Kopf. „Du hast alles getan, was du konntest. Ich bin dir dankbar, dass du mein Leben gerettet hast. Und dass du trotz allem bei mir bleiben willst.“

Ohne sein Augenlicht war er kein wahrer Krieger mehr. Er würde viele Jahre brauchen, um mit dieser Behinderung klar zu kommen. Aber auf keinen Fall wollte er, dass sich Mitsura die Schuld an seinem Schicksal gab.

Er brauchte sie jetzt mehr denn je und er war froh, dass sie ihm bereitwillig zur Seite stand.

Erneut schloss er sie in die Arme, in stiller Trauer ob ihrer schweren Zukunft vereint. Ohne Misstrauen, ohne Hintergedanken hielten sie sich einfach nur am jeweils Anderen fest, um sich gegenseitig zu trösten.

Chikara hatte sein Augenlicht verloren, doch er hatte auch eine wunderbare Liebe gewonnen und mit dieser würde es sehr viel leichter sein, sein schweres Los zu ertragen.

Beschlossene Sache

Fast sieht es wie eine Verschwörung aus, der sich niemand entziehen kann. Das Schicksal hat diesen Weg schon lange vorhergesehen. Doch es gibt einige, wenige Personen, die immer mutig genug sind, sich ihrer Bestimmung zu widersetzen.

Aber all dies wurde beachtet, als die Fäden der Zeit gestrickt wurden. Diejenigen, die stark genug sind sich, gegen das Schicksal zu wehren, die macht es zu seinen Verbündeten. Es ist alles schon vorhergesehen.

Wer aber hat je behauptet, dass das Schicksal es schlecht mit uns und der Welt meint?
 

*
 

Sesshoumaru hatte lange nachgedacht, über sich und Anis, oder Kuraifaia, wie sie sich jetzt nannte. All die Jahre über hatte er versucht, sie zu vergessen, hatte sogar den Krieg gegen den Süden als Vorwand genutzt, um sich von ihr abzulenken. Jetzt aber hatte er sich intensiv damit beschäftigt, war alles noch einmal durchgegangen.

Im Grunde hatte er nur wenige Monate mit ihr gemeinsam genießen dürfen, aber das hatte ausgereicht, um tiefe Gefühle zu ihr in ihm zu erwecken. Doch Anis hatte nie das Gleiche empfunden wie er und so hatte er sie schließlich zurücklassen müssen. Er hatte sie freigegeben und ihr die Möglichkeit dargebracht, noch einmal von vorn zu beginnen. Mit diesen, doch recht logischen und unverschleierten Gedanken gelang es ihm jedoch nicht, zu erklären, warum sie ihn nun hassen sollte. Anis hatte Aufnahme im Süden gefunden, dem Land, dem er den Krieg erklärt hatte. Davon hatte er erst kürzlich erfahren, durch ihre Schwester Mitsura, die sich bald darauf mit seinem Freund Chikara auf die Suche nach ihr gemacht hatte. Er hatte sich nur vergewissern wollen, ob es ihr gut ging, ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte, als er sie ziehen ließ und ob sie glücklich war.

Doch all seine Vorhaben waren nun von Zweifeln übersäht. In der letzten Schlacht, bei Yatohama, war er ihr wieder begegnet. Mitten im Kampf war sie plötzlich aufgetaucht, schwebte wie ein Engel über ihm. Und sie hatte auf ihn geschossen.

Der Pfeil hatte ihn nicht getroffen, aber seinem Herzen hatte es weh getan, nichts als Gleichgültigkeit über seinen Tod in ihren kalten Augen zu lesen. Dieser Hass auf ihn, der Wunsch ihn zu töten, woher kam er?

Er wusste es nicht.

Er konnte es sich nicht erklären. War es einzig die Tatsache, dass der Süden nun ihr Zuhause war und sie die Pflicht hatte, den Anführer der Feinde ihres Landes zu töten, sollte sich die Gelegenheit ergeben? Fast hoffte er, dass dem so war. Denn andernfalls würde es bedeuten, dass ihr Hass ihn persönlich traf und das täte umso mehr weh. Sesshoumaru fühlte sich eingeengt, zwischen all den negativen Fakten. Es schien keine Möglichkeit zu geben, sich aus diesem Dilemma zu befreien. Er drohte unter der seelischen Belastung zusammenzubrechen.

Fünf Jahre lang hatte er sich nach Anis verzerrt. Seine Liebe konnte er nicht aufgeben. Er fühlte sich niederträchtig und hinterhältig, aber er war nun an einem Punkt angekommen, an dem er selbstsüchtig genug war, das Wohl des gesamten Westens und den Ausgang des Krieges auf's Spiel zu setzten, um Anis zurückzugewinnen. Er war egoistisch genug, von ihr zu verlangen, bei ihm zu bleiben.

Doch wie sollte er es schaffen, dass seine Stimme zu ihr durchdrang? Es schien nur durch einen Frieden mit dem Süden zu erreichen zu sein.

Diese Entscheidung jedoch brachte zahlreiche andere Probleme mit sich. Er konnte sich gut vorstellen, dass der Süden nach längerem Hin und Her einem Friedensabkommen zustimmen würde, war der Westen doch hier überlegen. Wie aber sollte er mit diesem Vorschlag bei den Ratsmitgliedern durchkommen? Solange er den Fürstentitel noch nicht für sich beanspruchen konnte, mussten mehr als die Hälfte des Rates seinem Vorhaben zustimmen, damit es durchgesetzt werden konnte. Mit seinem Vorschlag würde aber niemand mitgehen. Vor allem nicht nach der letzten Niederlage. Man würde ihn für einen Feigling halten. Der Westen hatte keinen Grund, sich zurückzuziehen, er konnte aus diesem Krieg nur profitieren. Diese Tatsache würde noch zusätzlich Misstrauen im Süden hervorrufen und sie könnten den Frieden trotz aller Vorteile ablehnen. Er bräuchte einen Vertrauensbeweis...

Plötzlich begann Tensaiga an seiner Seite zu pulsieren. So unerwartet aus seinen Gedanken gerissen, klärte sich Sesshoumarus Blick für seine Umgebung wieder. Er befand sich wieder in Yatohama, die Ebene war ein Schlachtfeld. Er wusste nicht genau, warum er hierher zurückgekehrt war, wo doch die Schlacht vorbei war. Wahrscheinlich, weil er hier Anis gesehen hatte. Seine Berater hatten ihn davon abhalten wollen, sich allein so nah an die Grenze zu begeben, aber er hatte nicht auf sie gehört. Hier hatte er allein sein und in Ruhe nachdenken können.

Die Schlacht war ein Blutbad gewesen. Fast hundert Dämonen waren hier gestorben, der Großteil waren seine Männer gewesen. Jetzt aber lag alles ruhig da, auch wenn der Geruch von Blut alles überdeckte. Eine fast heilige Aura ging von diesem Ort aus und keine niederen Dämonen hatten es gewagt, sich an den Toten gütlich zu tun. Da die Leichen von Youkai bei weitem nicht so schnell verwesten wie die von Menschen, sah hier alles so aus, als wäre Yatohama erst vor wenigen Minuten eingestürzt. Morgen, vielleicht übermorgen würden die ersten Truppen kommen, um die Toten zu bergen und den Familienmitgliedern zu übergeben. Dabei würde es keine Kampfhandlungen geben, denn dies war bei Inuyoukai ein uraltes Ritual, welches nicht missbraucht werden durfte. Man ließ die Toten einige Tage ruhen, damit ihre Seelen Zeit hatten, ins Nirwana einzugehen, und holte erst dann ihre sterblichen Überreste. Die Fahrt ins Jenseits kostete Zeit, besonders für solche, die im Krieg gefallen waren. Erst wenn die Seele ihren Weg angetreten hatte, begann der Körper zu verwesen. Der Geist eines Kriegsgefallenen wehrte sich, kämpfte gegen die Bote des Jenseits an, die ihn in die Unterwelt geleiten sollten und gab nicht auf. Das war der Grund, warum die Leichen von Dämonen, die im Krieg gestorben waren – welche es sehr selten gab – nur äußerst langsam verwesten und warum ihre Seele noch eine Zeit lang im Diesseits blieb.

Warum aber pulsierte Tensaiga? Und dann auch noch auf diese Art und Weise? Manchmal wollte die Waffe ihn auf etwas aufmerksam machen oder ihn warnen. Manchmal rief sie sogar um Hilfe oder drängte ihn zu kämpfen – das war einmal passiert, als er einer Armee von Untoten gegenüberstand. Dies aber war anders als alles, was er je gespürt hatte. Eine Mischung aus allem, so schien es ihm.

Er schloss seine Hand um Tensaigas Griff. Sofort verschwamm sein Blick, Felsen und Geröll konnte er nur noch undeutlich erkennen, während all die Toten besonders herausstachen. Und überall sah er kleine, verschrumpelte Kreaturen. Sie wuselten über das Schlachtfeld, griffen mit klammen Fingern nach den Leichen. Helle Lichter waren überall in der Luft zu sehen, die sich bemühten, in die Körper zurückzukehren. In Yatohama wurde noch immer gekämpft.

Tensaiga pulsierte immer stärker. Sesshoumaru zog es aus der Scheide und hielt die Klinge vor sich.

Da stieg ihm plötzlich ein seltsamer Geruch in die Nase. Es war nur ein Hauch dessen, aber da er noch nie Vergleichbares wahrgenommen hatte, achtete er besonders darauf. Er schloss die Augen vollkommen und konzentrierte sich ganz auf Tensaiga, welches ihm etwas wie einen sechsten Sinn verlieh. Er nahm Ströhme von Energien wahr, die er sonst nicht spüren konnte. Die reine Energie der Seelen, denen im Moment des Verlassens ihres Körpers all ihre Sünden vergeben worden waren, unterschied sich von den Gestalten der Diener der Unterwelt. Ihre ganze Art war anders. Sie waren nicht böse, denn im Jenseits kannte man kein Gut und Böse, aber sie waren doch... anders. Es spürte so etwas wie eine Grenze, zwischen den beiden Seiten, die nichts mit realer Entfernung zu tun hatte. Eine Distanz, eine Bahn... und da begriff er.

Er hielt das Schwert vor sich, die Spitze dem Schlachtfeld zugewandt. Seine Konzentration hatte ihren höchsten Punkt erreicht. Seine Gedanken, Gefühle, Empfindungen und Wahrnehmungen gingen auf das Schwert über und dieses begann zu leuchten.

Es war ein helles, durchdringendes Licht, welches selbst durch Sesshoumarus geschlossene Augenlider drang. Es ließ sich keiner bekannten Farbe zuordnen und es ging auch nicht direkt von der Klinge, sondern mehr von dem Youkai selbst aus. Strahlenförmig wuchs der Lichtkegel, ein reiner Halbkreis purer Energie ging von dem Lord aus, welcher es nicht wagte, die Augen zu öffnen, weil sonst seine Konzentration dahin wäre.

Das Licht durchdrang Felsen und Steine und gelangte in die entferntesten Winkel und Ecken der eingestürzten Ebene. Dann plötzlich war die Luft erfüllt von lautlosen Schreien. Hunderte Kehlen einer anderen Welt schrien um ihr untotes Leben. Die Boten des Jenseits hoben ihre Waffen und reckten sie drohend dem Licht entgegen, aber kaum hatten die Strahlen sie berührt, da lösten sie sich auf. Nicht einmal Staub blieb von ihnen übrig.

Dann begann das Licht zu verblassen und als Sesshoumaru langsam wieder die Augen öffnete, sah er gerade noch, wie die vielen, vergleichsweise kleinen Lichter der Seelen in ihre Körper zurückkehrten.
 

*
 

In der Nähe...

Chikara und Mitsura waren jetzt schon zwei Tage unterwegs. Zum Glück ging das Reisen auf dem Rücken eines fliegenden Drachen sehr schnell, aber sie wären sicher schon längst angekommen, wenn Mitsura nicht dauernd verlangte zu landen und Chikaras Verbände zu überprüfen oder um Schutz vor anderen Dämonen zu suchen. Sie wollte um keinen Preis einen Kampf heraufbeschwören, denn da sie nur zu zweit waren und der Westler zudem noch nicht voll einsatzfähig war, wären sie klar im Nachteil. Obwohl es eine rein logische Handlung war, versuchte der Weißhaarige immer wieder aufs neue zu protestieren.

„Ich fühle mich schwach und hilflos, wenn wir dauernd auf der Flucht sind!“, appellierte er an Mitsuras Großherzigkeit.

„Du BIST schwach und hilflos!“, meinte Mitsura jedoch nur gnadenlos, „Und zwar für die nächsten paar Jahrzehnte. Find dich damit ab.“

„Wo ist deine grenzenlose Liebe geblieben...?“, fragte Chikara kläglich.

„Wenn du auf mich gehört hättest, statt dich ganz allein in die Hände des Feindes zu begeben, müsstest du dich auch nicht von mir bevormunden lassen!“, sagte sie und fuchtelte mit ihrem Zeigefinger vor seinem Gesicht herum. Chikara, der vor ihr auf dem Boden saß, packte ihr Handgelenk und zischte: „Ich habe nie um einen Babysitter gebeten, klar!? Du bist einfach übervorsichtig!“

Statt zu antworten starrte die junge Frau jedoch nur auf ihren Arm, den der Dämon umklammert hielt. „Chikara...?“

„Wenn wir schon einen fliegenden Drachen haben, sollten wir ihn gefälligst auch nutzen-“, redete er weiter auf sie ein.

„Chikara!“, wollte Mitsura ihn unterbrechen, doch der Youkai beschwerte sich weiter:

„-es ist absolut nicht nötig, die lange Strecke zu Fuß zurückzulegen, nur weil du irgendwo in der Ferne ein paar Vogeldämonen zu sehen glaubtest, wer sagt schon, dass die uns überhaupt Beachtung schenken würden!?“

„Chikara!“ Mitsura holte aus und wollte dem Dämon eine gepfefferte Ohrfeige verpassen, doch wieder fing er ihre Hand ab.

„Das ist völlige Zeitverschwendung und-“

„CHIKARA!“

„Bei Kami, was ist denn los!?“, fauchte der Weißhaarige.

„Falls es dir noch nicht aufgefallen ist, du hälst meine Handgelenke umklammert! Lass sie los“, antwortete Mitsura.

„Was...?“ Sein Griff lockerte sich und er gab sie frei.

„Einmal hab ich vor deinem Gesicht rumgefuchtelt und einmal hab ich einen Scheinangriff gemacht und du hast meine Hände abgewehrt – ohne sie zu sehen!“, sagte die Youkai.

Verblüfft strich sich der Dämon über die dunkelblaue Augenbinde, die einem Stirnband gleich seine leeren Augenhöhlen verbarg.

„Wie hast du das gemacht?“

„Ich... Ich habs einfach gespürt... oder gerochen... oder so...“, murmelte Chikara ein wenig verlegen.

„Wie viele Finger zeige ich?“, fragte Mitsura und hielt sieben hoch.

„Mitsura, was soll das, du weißt doch-“

„Rat einfach!“

„Keine Ahnung, fünf vielleicht? Das ist albern!“

Sie schüttete den Kopf: „Nein, versuch es noch mal!“

Chikara seufzte. Er legte den Kopf schief und atmete tief ein, bevor er genervt sagte: „Sieben?“

„Richtig! Woher wusstest du es?“, wollte sie verblüfft wissen.

„Weiß nicht. Ich kenn deinen Geruch halt gut und nehme ihn in letzter Zeit stärker als gewöhnlich wahr. Ich habe es einfach gespürt... Der Windzug, als du deine Hände vorgestreckt hast, der Geruch deiner Finger... Er ist da und wieder nicht, dann wieder da und eine längere Strecke nicht... Die Lücke zwischen deinen Händen, die du ausstreckst... Verstehst du?“

Sie schüttelte den Kopf, bis sie feststellte, dass er das ja nicht sehen konnte und fügte hinzu: „Nicht die Bohne. Es ist unmöglich, den Geruch der Luft so genau aufzunehmen.“

„Möglicherweise kommt es daher, dass ich mich nun viel mehr auf meine Nase konzentrieren muss, weil ich nichts mehr sehe?“, spekulierte er.

„Ja.... vielleicht. Was spürst du, wenn-“

Doch er schnitt ihr mit einer plötzlichen Handbewegung das Wort ab und stand auf.

„Riechst du das?“

„Was?“, fragte die junge Frau und hob den Kopf in Windrichtung. „Ich rieche nichts Besonderes.“

„Doch... Da sind Hundedämonen, ziemliche viele, und einige müssen verletzt sein“, erwiderte Chikara und runzelte die Stirn.

Mitsura sah ihn verblüfft an, dann meinte sie: „Sind es Westler oder kommen sie aus dem Süden?“

„Hey, so genau weiß ich das auch nicht! Aber wenn ich mich nicht irre... nein, das ist unmöglich“, murmelte er vor sich hin.

„Was?“, hakte sie sofort nach.

„Nichts, es ist nur... Ach nein, vergiss es.“

„Waahaaas?“, verlangte sie etwas nachdrücklicher zu wissen.

„Ich... Ich glaube, das könnten die Soldaten aus der Schlacht sein. Aber die ist schon vorbei, schließlich war deine Schwester im Schloss. Aber ich habe für einen Moment den Lord zu wittern gemeint. Aber das ist unmöglich, warum sollte er hier sein?“

„Wir sollten es riskieren und hingehen. Wenn Sesshoumaru wirklich da ist, können wir die verlorene Zeit aufholen.“

„Die Zeit, die wir wohlgemerkt wegen DIR verloren haben!“, hob Chikara hervor.

„Wie auch immer, lass uns aufbrechen.“ Demonstrativ schnappte sich Mitsura die Zügel des Reitdrachens, welcher bislang die die Lichtung von Gras befreit hatte.

„Ich denke, es wird dir gut tun, deinen Freund nach so langer Zeit wieder zu seh- treffen“, verbesserte sie sich rasch und warf ihm einen unsicheren Blick zu.

Chikara senkte den Kopf. „Schon okay. Du hast mich nie mit Samthandschuhen angefasst und brauchst jetzt auch gar nicht damit anzufangen.“ Vielleicht ahnte er etwas von ihrer nun schuldbewussten Miene, denn er ging zu ihr hinüber und strich langsam mit der Hand über ihre Wange. „Das liebe ich doch so an dir.“
 

*
 

Yatohama...

Sesshoumaru gönnte sich gerade eine kleine Pause. Er hatte zehn Stunden am Stück Schwerstarbeit verichtet und hatte jetzt nicht übel Lust auf ein wenig Meditation. Aber er ahnte schon, dass dazu kaum Zeit sein würde.

Das ehemalige Schlachtfeld war kurzerhand zum Feldlager degradiert worden. Hoffnungslos verstümmelten Leichen, denen selbst Tensaiga nicht mehr hatte helfen können, wurden Kleidung und Felle geraubt, um einige bequeme Sitzgelegenheiten zusammenzustellen. Die Stimmung war gedrückt und das zu gutem Grund:

Die Verstorbenen waren keineswegs ausschießlich Westler gewesen und immer wieder drohten mittlere bis schwere Gemetzel auszubrechen. Die Weißhaarigen hatten die Südler sofort gefangen nehmen wollen, kaum das sie selbst wieder von den Toten auferstanden waren. Die sahen sich einer Übermacht gegenüber und wollten einen geordneten Rückzug starten, aber das wussten ihre Gegner erfolgreich zu verhindern. Sesshoumaru jedoch hatte all diese Youkai gewiss nicht wiedererweckt, nur damit sie sich sofort wieder gegenseitig an die Gurgel sprangen. Das hatte er ihnen auch laut und deutlich gesagt und nachdem die Südler erfahren hatten, dass sie ihr Leben dem Lord der westlichen Länder schuldeten, hatten sie sich knurrend und zähneknirschend bereit erklärt, Sesshoumaru zuzuhören. Der hatte eine improvisierte Rede gehalten, in der er behauptete, das ewige Blutvergießen satt zu haben. Der Krieg habe schon viel zu viele Leben gekostet und er habe nun eine Möglichkeit des Friedens gefunden, mit dem beide Länder zufrieden wären. Die Südler begegneten diesem Vortrag verständlicherweise recht skeptisch, während Sesshoumarus Landsleute schlicht und einfach baff waren. Sie konnten nicht verstehen, warum ihr großer und schrecklicher Lord den Krieg, der schon so gut wie gewonnen war, jetzt abbrechen wollte. Nachdem Sesshoumaru jedoch zwei Südler und fünf Westler, die gegen ihn aufbegehren wollten, um einen Kopf kürzer gemacht hatte, kehrte langsam wieder Ruhe ein. Die Inuyoukai hatten jetzt ein gemeinsames Objekt ihrer (Ehr-)Furcht, und das war er selbst. Dieses verbindene Gefühl schweißte sie zusammen und die Südler unternahmen keinen wiederholten Fluchtversuch. Der Lord hatte unter den ehemals Verstorbenen einen der unteren Heerführer gefunden und ihm die Aufgabe übertragen, die Streihähne auseinander zu treiben, die doch immer und überall aneinander gerieten. Dennoch gab es auch schon die ersten, mehr oder weniger zivilisierten Gespräche.

Der Youkai hatte angekündigt, am folgenden Tag zum südlichen Schloss aufzubrechen, um die Friedensverhandlungen eigens zu führen. Er hatte je einen Krieger aus dem Süden und einen aus dem Westen geschickt, um den Rat des jeweiligen Landes zu informieren.

Jetzt hatte sich der Lord unter einem schattenspendenen Baum niedergelassen und überdachte seinen, doch in aller Hast verfassten Plan nochmals. Er machte sich keine großen Hoffnungen auf Erfolg. Da er eben ein Lord und kein Fürst war, konnte er die Entscheidung des Rates, welcher sicher dem Vorschlag nicht zugeneigt war, nicht einfach ignorieren. Außerdem hatte er keine Ahnung von Friedensverhandlungen, das Kapitel musste er im Unterricht übersprungen haben – Kriegsführung hatte sich interessanter angehört. Er bezweifelte, dass dreißig wiederbelebte Krieger des Südens ausreichen würden, um ein ganzes Land, welches mit ihm im Krieg lag, von seinen friedlichen Absichten zu überzeugen.

Da jedoch stieg ihm ein bekannter, wenn auch lang nicht mehr wahrgenommener Geruch in die Nase und er erhob sich rasch. Keine Sekunde zu früh, denn kaum war er einen Schritt beiseite getreten, da fuhr ein Blitz aus dem Himmel herab und schlug neben ihm ein.

Die Dämonen in der Nähe sprangen auf und griffen zu ihren Waffen, doch Sesshoumaru befahl ihnen mit einer herrischen Geste, den Platz zu räumen. Dann trat er neben das Wesen, das da am Rande des Heerlagers gelandet war: Es handelte sich um eine Kuh.

„Ah, Sesshoumaru! Lang nicht gesehen!“, begrüßte ihn der Reiter des Dämons, ein alter, weißhaariger Mann in einem grün gestreiften Kimono, der seine besten Jahre auch schon hinter sich gelassen hatte,

„Totosai“, sagte Sesshoumaru nur, „Was willst du?“

„Ich wollte lediglich nach meinem Meisterwerk von einem Schwert sehen. Tensaiga hat mich gerufen“, antwortete der Alte und schwang den riesigen, dünnen Hammer, den ständig bei sich trug.

Natürlich, Tensaiga, dachte er sich spöttisch. Diese Waffe machte was sie wollte.

„Aber ich weiß nicht, ob es richtig funktioniert. Normalerweise verstehe ich die Botschaften Tensaigas und auch Tessaigas tadellos, aber diesmal bin ich mir nicht sicher, ob ich mich nicht geirrt habe“, plapperte der Dämon ruhelos.

„Du hast dich geirrt“, sagte Sesshoumaru eisig, „und nun verschwinde.“

„Nein, nein, ich-“ Er sah sich um und erstarrte bei dem Anblick der vielen Soldaten, die ihn aus sicherer Entfernung zum Lord musterten.

„Sesshoumaru! Sagt nicht, ihr habt sie ALLE wiederbelebt!“, rief er völlig aus dem Häuschen.

Der Angesprochene hob eine Augenbraue.

Totosai schnappte nach Luft. „Ihr... Ihr habt doch nicht etwa WIRKLICH das Kyûsai no Hikari angewandt!?“

Kyûsai no Hikari? Licht der Erlösung? Wovon laberte der ehemalige Berater seines Vaters da nur!?

„Das Kyûsai no Hikari ist eine Technik Tensaigas, ähnlich wie das Kaze no Kizu“, erklärte der Schmied und als er feststellte, dass Sesshoumaru ihm wohl nicht gleich den Kopf abschlagen würde, fuhr er aufgeregt fort: „Mit einem Hieb Tessaigas kann man einen Gegner mühelos töten. Mit einem Schlag Tensaigas kann man einen Toten wieder zum Leben erwecken. Aber auch mit einem normalen Schwert kann man jemandem den Kopf abschlagen, das ist keine Kunst. Tensaiga zu gebrauchen ist schon etwas anderes. Tessaiga ist da, um zu beschützen. Da ihr die euren dank eurer Macht recht gut beschützen, eh, könntet, gab euer Vater Inuyasha das Schwert, während ihr Tensaiga erhieltet, für den seltenen Fall, dass euer, eh, Vorhaben nicht ganz so verliefe wie es sollte“, meinte er vorsichtig. „Außerdem war es klar, dass ihr Tensaigas Macht nicht so oft gebrauchen würdet und das ist wichtig.“

Sesshoumaru runzelte die Stirn, sagte jedoch nichts. Totosai führte seinen Vortrag fort:

"Doch Tensaiga besitzt die selbe Macht wie Tessaiga, in umgekehrter Form. Tessaiga vermag hundert Leben auf einmal auszulöschen, während Tensaiga einhundert Leben retten kann. Allerdings...“ Er machte eine dramatische Künstlerpause, „Hat noch nie jemand es geschafft, diese Fähigkeit bei der Waffe zu Tage zu bringen. Einhundert Leben auf einen Schlag – das Kyûsai no Hikari. Nicht einmal euer Herr Vater war dazu in der Lage.“

Tessaiga kann hundert Dämonen auf einen Schlag töten, während Tensaiga Hundert Leben retten kann – das hatte er schon oft gehört und es hing ihm zum Halse raus. Aber erst jetzt, wo er darüber nachdachte, fiel ihm auf, dass sein Vater tatsächlich noch niemals einhundert Dämonen auf einmal errettet hatte. Er hatte nicht gewusst, dass Tensaiga ebenfalls eine Attacke wie das Kaze no Kizu besaß. Kyûsai no Hikari.... Und sein Vater, der ehrenwerte Inu no Taishu, hatte es nicht vermocht, diese Fähigkeit freizusetzen?

„Ich habe mich oft gefragt, ob ich an dem Schwert etwas falsch gemacht habe, aber es ist und bleibt ein Meisterwerk. Das Kyûsai no Hikari hat von Anfang an existiert. Doch um es anzuwenden, braucht es nicht nur eine außergewöhnliche Menge an Kraft und Energie, sondern auch Konzentration und vor allem ein entschlossenes Herz, dass für jemanden kämpft, den es liebt.“ Bei diesen Worten warf der Schmied dem Dämon einen erschrockenen Blick zu und verbesserte sich rasch: “Nun, jedenfalls sollte dies ursprünglich so sein, aber da Tensaiga einen eigenen Willen hat, macht es eben manchmal unerklärliche Dinge...“

„Totosai“, sagte Sesshoumaru fast schon gefährlich ruhig, „Hat mein Vater je versucht, das Kyûsai no Hikari anzuwenden?“

„Oh, aber ja! Es war in der Schlacht gegen Hyouga, diesem chinesischen Mottendämon. Seine Armee war geschwächt. Die Krieger waren unmotiviert und brauchen... Ja, sie brauchten wohl so etwas wie ein Wunder. Euer Vater wollte sich um keinen Preis geschlagen geben und versuchte, das Kyûsai no Hikari anzuwenden, um seine Leute erneut in den Kampf zu schicken. Doch in seinem Herzen war Hass und der Wille, die Kämpfer sofort wieder in den Tod zu schicken... Es funktionierte nicht“, war die Antwort.

Sesshoumaru selbst erinnerte sich noch an den Krieg. Sein Vater hatte damals mit Sourun'gas Gokouryha die Armee besiegt, doch diese Attacke anzuwenden erschuf immer das Risiko, von dem Schwert übernommen zu werden, weshalb Inu no Taishu sie äußerst selten angewandt hatte.

Tief in seinem Innern spürte Sesshoumaru eine tiefe Befriedigung. Er hatte das vollbracht, was sein Vater vergeblich versucht hatte. Er hatte ihn endlich übertroffen... Wenn auch anders und vielleicht sogar ein wenig unbeabsichtigt, als er es sich jemals vorgestellt hatte. Dennoch: Den Traum, den er seit seiner Kindheit gehabt hatte, hatte er sich nun erfüllt. Sesshoumaru hatte das Werk seines Vaters vollendet... Ein ehrliches Lächeln erschen auf seinem Gesicht, welches Totosai so sehr zusammenzucken ließ, das er von seiner Kuh fiel.

„Eh, tja, wenn ihr nichts dagegen habt... dann verschwinde ich jetzt wohl besser“, stotterte der Alte und saß rasch wieder auf. Seit dem Tod seines Vaters hatte Sesshoumaru so gut wie gar nicht mehr gelächelt – auch wenn es schon davor äußerst selten vorgekommen war. Seit Anis jedoch nicht mehr bei ihm war, hatte sich bei ihm kaum so etwas wie auch nur das Anheben eines Mundwinkels gezeigt – und nun lächelte er! Kein Wunder, das der alte Dämonenschmied, der auch seine restlichen Tage noch in Ruhe auf Metall herum hämmern wollte, es da mit der Angst zu tun bekam.
 

Nachdem Totosai genauso schnell wieder abgehauen, wie er aufgetaucht war, hatte der Lord nun wieder neuen Stoff zum Nachdenken. Sehr viel Zeit dafür ließ man ihm jedoch nicht, denn bereits eine Stunde später kam ein Soldat zu ihm, welcher ihm mitteilte, dass zwei fremde Dämonen angekommen waren und ihn zu sprechen wünschten. Der eine Youkai sei schwarz,- der andere weißhaarig, was ihn zunächst auf die Idee brachte, es könnte sich um Boten aus dem Süden und Westen wegen den Friedensverhandlungen handeln. Als er jedoch befahl, sie zu ihm zu bringen und er zwei ihm nur allzu bekannte Gerüche aus dem Meer der Krieger herausfiltern konnte, korrigierte er diesen Verdacht.

Zunächst sah er nur Mitsura. Er hatte sie zu Anfang, damals in der anderen Dimension, mit braunen Haaren gesehen. Dann hatte sie sie sich weiß gefärbt, um im Westen unterzutauchen. Nun kam sie mit schwarzen Haaren an, aber natürlich erkannte er sie trotzdem. Wirklich verwundern tat es ihn dann aber, als er seinen Freund Chikara sah – die beiden liefen Hand in Hand. Er wusste, dass dies bei Menschen eine Art war, ihre Zuneigung zu zeigen, welche aber unter Dämonen ganz und gar nicht verbreitet war. Dann aber sah er, dass dem Dämon die Augen verbunden waren und vorsorglich schickte er erneut neugierige Zuhörer fort.

Chikara ließ Mitsuras Hand los, trat vor und beugte das Knie vor ihm.

„Mein Lord...“, begrüßte er ihn höflich.

„Chikara, mein Freund“, sagte Sesshoumaru nicht ganz so kühl wie sonst. Es fiel ihm nur schwer, seine Freude zu unterdrücken und sich seine immer besser werdene Laune nicht anmerken zu lassen. Chikara, er hatte ihn vermisst. Erst jetzt, wo er ihn wieder sah, bemerkte er, wie sehr er ihn gebraucht hatte. Ein bekanntes, vertrauliches Gesicht.

„Erhebe dich. Ich bin gespannt, was du zu berichten weißt.“ Chikara würde nie zurückkehren, ohne seinen Auftrag erledigt zu haben. Er hatte Anis wiedergetroften, aber er wusste dennoch nichts über sie und ihr bisheriges Leben im Süden. Würde er nun endlich die Informationen bekommen, nach denen er sich so lange gesehnt hatte?

Der Inuyoukai vor ihm stand auf, hielt den Kopf jedoch höflich gesenkt. „Unsere Reise war lang und beschwerlich, denn wir hatten kaum Anhaltspunkte auf unserer Suche. Vor Kurzem aber gingen wir ein Risiko ein und – um es kurz zu machen: Wir haben sie gefunden.“

Sesshoumarus Herz schlug schneller. „Wie geht es ihr? Ist sie... glücklich?“

Mitsura schnaubte und trat – keine Höflichkeit kennend – an Chikaras Seite. „Wie kann man glücklich sein, wenn das eigene Volk in einen Krieg zieht? In solchen Zeiten ist niemand glücklich. Aber sie führt ein gutes Leben und erfreut sich bester Gesundheit, falls du das meinst.“ Respektlos starrte sie ihm direkt in die Augen und Chikara zischte sie unwillig an.

„Habt ihr mit ihr sprechen können?“, fragte der Lord, Mitsuras ungehobelte Ansage ignorierend.

„Ja, und falls du es genau wissen willst: Sie hat uns geholfen, aus dem Schloss zu fliehen. Aber erst nachdem Mako-“ Sie brach ab und warf einen verstohlenen Blick zu Chikara, bevor sie sich kopfschüttelnd abwandte und ihnen mit verschränkten Armen den Rücken zudrehte.

„Chikara...?“ Fragend sah er auf seinen Freund herab, doch er hegte nun den Verdacht, dass dieser sein Gesicht aus einem anderem Grund als aus Höflichkeit zum Boden hin gerichtete hatte.

„Du hast deine Sache gut gemacht. Ich bin sehr zufrieden mit dir“, flüsterte er leise, wissend wie viel ihm diese Worte bedeuten mussten und wie lange er sie ersehnt haben musste. „Sieh mich an, mein Freund.“ Selten, ja fast nie redete er jemanden so an, aber hier schien es ihm einfach angebracht.

Doch wieder war es Mitsura, die an seiner Stelle antwortete. „Er kann dich nicht ansehen, Sesshoumaru. Er wird nie wieder irgendjemanden ansehen können. Dein Auftrag hat ihm zu viel abverlangt.“

Sein Blick fiel erneut auf den dunkelblauen Stoff der Binde und seine Augen weiteten sich.

„Mein Lord, das ist nur ein geringer Preis, wenn ich euch einen Dienst erweisen konnte“, wisperte Chikara ergeben. „Meine eigene Unfähigkeit strafte mich.“

„Sag... so etwas nie wieder!“, flüsterte Sesshoumaru erstickt und bemühte sich vergebens, die nötige Strenge in seine Stimme zu bringen. „Du hast ein Opfer dargebracht, das ich niemals von dir verlangt hätte! Warum bist du so weit gegangen!?“

„Mein Stolz und meine Treue euch gegenüber verlangten es! Ich wollte euch nicht enttäuschen.“ Seine blinden Augen richteten sich nun endlich auf seine und Sesshoumaru fühlte einen Schmerz in sich, wie ihn bisher nur sein Vater und Anis in ihm hatten hervorrufen könne. Seinetwegen hatte sein bester Freund sein Augenlicht verloren. Selten hatte er sich schuldiger gefühlt.

„Mein Herr“, setzte der Weißhaarige erneut zum sprechen an, „Mitsura war mir eine große Hilfe. Ohne sie würde ich nun vermutlich nicht mehr am Leben sein.“

Überrascht sah Sesshoumaru zu der jungen Frau. Er hätte nicht damit gerechnet, dass ausgerechnet sie seinem Freund das Leben retten würde. Es wäre ihm logischer erschienen, hätte Chikara sie schon nach der ersten Woche umbringen müssen.

Einen Dank brachte er gegenüber dieser Person nicht über die Lippen, doch er war höflich genug, ihr einmal kurz zuzunicken. Mitsura rührte sich nicht, doch nach einer Weile des Schweigens sagte sie:

„Ich denke, wir sollten unseren Bericht von vorn beginnen. Aber vielleicht wäre es besser, dich mit der härtesten Tatsache zuerst zu konfrontieren: Meine Schwester Kuraifaia ist die Prinzessin der südlichen Länder. Deine Verlobte, Anis, sie ist die Thronerbin deines schlimmsten Feindes.“
 

*
 

Drei Tage später im südlichem Schloss...

Kuraifaia machte Urlaub.

Sie hatte in den letzten Tagen mehr gearbeitet, als jemals zuvor und sie war einfach nur geschafft. Nicht nur, dass sie einen ausgewachsenen Krieg am Hals hatte, dazu kamen die ständigen Gedanken an Sesshoumaru, den Lord des Westens. Das schlimmste Problem jedoch war im Moment die Thronfolge. Es hatte viel Streit und viele Anstrengungen gegeben, die nicht gerade zu Ninushu Omarus Genesung beitrugen. Kuraifaia durfte nicht allein ein Land regieren, ohne das ein passender Ehemann in greifbarer Nähe war und auf Mako wollte sich niemand verlassen. Die Prinzessin hatte alles daran gesetzt, dieses Problem auf nach den Krieg zu verlegen, doch da der Tod des Fürsten traurigerweise immer näher rückte, war es gut möglich, dass man ihnen diese Zeit nicht ließ. Einige Ratsmitglieder waren dafür, Mako in den Rang eines Lords zu heben und ihn ähnlich regieren zu lassen, wie es im Westen gehalten wurde. Andere waren eher der Meinung, Kuraifaia sofort einen Gefährten aufzudrücken und es wurde sogar ein tollkühner Versuch gestartet, sie mit Akakage zu verkuppeln. Als man ihr dann aber tatsächlich eine Heirat innerhalb der Familie vorschlug, um Makos und ihre eigene Position zu stärken, war das Fass bei ihr übergelaufen und nachdem sie wutschnaubend die Hälfte der Dienerschaft entweder getötet oder in die Flucht gejagt hatte, war endlich ein wenig Ruhe im Schloss eingekehrt.

Schließlich hatte sich Mako mit einem gequälten Gesichtsausdruck, als würde er damit sein eigenes Todesurteil unterschreiben, bereit erklärt, einen Teil der Beratungen selbst abzuhalten, damit Kuraifaia mal einen Tag ausspannen konnte. Und so lag sie also hier, im kühlen Schatten einer stattlichen Tanne und befahl der Anspannung, von ihr abzulassen.

Die Stimmung war perfekt, der Himmel war blau, die Sonne brannte gnadenlos auf das saftige Gras herab, die Vögel stimmten ein grauenvolles Konzert im Duett mit einigen übereifrigen Fröschen in einem nahen Teich an, irgendwo im Unterholz jagte ein verschreckter Hase durch das Laub, in der Ferne roch sie süßen Honig und das wütende Brüllen eines diebischen Bären, der Duft von frischer Erde und klarer Luft strömte durch ihre Nase und – sie roch ihr Rudel.

Augenblicklich fuhr sie hoch. Ihr Rudel konnte nicht hier sein, das war unmöglich. Man hatte ihr berichtet, dass sie alle von Westlern ermordet in einem fernen Wald, nahe der östlichen Grenze aufgefunden worden waren. Ihr Rudel war ausgelöscht!

Und trotzdem, sie nahm den unverkennbaren Geruch von Personen wahr, die ihr innerer Dämon als seine Familie angenommen hatte. War das nicht tatsächlich Kôgyoku, den sie da roch? Sogar eine Spur von Rakuna war da, vielleicht auch Kigiyakana. Was hatte das zu bedeuten!?

Kuraifaia stand auf und lehnte sich gegen den Stamm der Tanne, während sie wartete. Es waren zwei Personen, das wurde nun deutlicher. Es gab keine Zweifel mehr, dass diese zu ihr wollten, also bewegte sie sich nicht von der Stelle. Vielleicht war es auch eine Falle? Ein heimtückischer Dämon, der sie mit einer Illusion an verlorene Freunde erinnern wollte, um sie zu schwächen?

Die Dämonen kamen immer näher und verblüfft stellte Kuraifaia fest, dass einer von ihnen sich dem Geruch und dem Geräusch brechenden Unterholzes nach, in seiner wahren Gestalt befinden musste.

Dann endlich traten die beiden hervor. Zunächst glaubte Kuraifaia, ihre Augen würden ihr einen Streich spielen. Der junge, in Menschenjahren geschätzt vielleicht fünfzehn Jahre alte Teenager konnte nie und nimmer der kleine Kôgyoku sein – und doch roch er so. Auch der riesige Dämonenhund, der etwa so groß wie ein kleiner Elefant war, konnte sie beim besten Willen nicht erkennen. Sein Fell war rabenschwarz, nur die Spitze seines Schwanzes und die Pfoten waren rötlich verfärbt wie poliertes Kupfer.

Der Junge trat vor und verbeugte sich leicht. Der Dämon ging hinter ihm auf und ab, in einer Mischung aus Beschützerinstinkt und eigener Furcht, wie es ihr schien.

„Kuraifaia, nicht wahr?“, sagte der Junge, „Ich bin Kôgoku.“

„Kôgyoku? Unmöglich. Mein Rudel wurde vollständig ausgelöscht und der Kôgyoku, den ich kenne, war noch ein junger Welpe“, erwiderte sie.

„Das Rudel wurde angegriffen und vernichtet, ja, aber Shinkara und ich konnten entkommen.“

„Shinkara?“, fragte sie.

„Shin kara seigan suru gamo Yakusoku o tagaenai“, meinte Kôgyoku und der riesige Dämonenhund hinter ihm stieß ein leises Bellen aus.

Kuraifaia hob eine Augenbraue. „Du willst mir doch nicht im Ernst erzählen, dass das Kigiyakanas Sohn ist!? Der ist gerade mal ein halbes Jahrzehnt alt!“

Nun war es an Kôgyoku, sie schief anzusehen. „Er ist halt schnell gewachsen. Hat man dir nicht erzählt, was man auf der Lichtung fand?“

Die Prinzessin runzelte die Stirn und schwieg. Tatsächlich hatte sie sich danach erkundigt und erfahren, dass man lediglich einen großen Haufen Knochen hatte bergen können. Es war vermutet worden, dass aasfressende Dämonen die Leichen verschlungen hatten, aber mithilfe einiger Zauber hatte man die Identität der Inuyoukai herausgefunden. Auch eine Menge Westler waren wohl dabei gewesen, so viele, dass es schon fast ein zweites Rudel hätte sein können. Doch wahrscheinlicher war, dass das Grenzrudel auf eine kleine Kompanie gestoßen war und es einen Kampf gegeben hatte, bei dem alle Südler ums Leben kamen. Immerhin, wie konnten die Feinde tot sein, wenn niemand übrig geblieben war, um ihnen etwas entgegen zu setzen? Der Rest hatte sich bestimmt einfach zurückgezogen, obwohl es allen schleierhaft war, warum sie die Leichen ihrer Kameraden dort liegen gelassen hatten.

Aber gemäß dem Fall, dass tatsächlich – aus welchem Grund auch immer – nur die beiden Welpen das Massaker überlebt hatten, so gäbe es nur eine Möglichkeit, wie sie so schnell hätten heranwachsen können. Diese Möglichkeit war jedoch so absurd, dass Kuraifaia sie überhaupt nicht in Erwägung ziehen wollte.

Etwas von ihren Gefühlen musste den Weg auf ihr Gesicht gefunden haben, denn der Youkai sagte:

„Ich sehe, du hast verstanden. Wir werden dich jetzt auch nicht weiter belästigen, sondern-“

„Moment mal! Soll das heißen, du hast – ihr habt – sie alle...!?“ Entsetzt brach sie ab.

„Ja.“

„Aber... Aber wie und – warum!?“ Kuraifaia brachte kaum mehr ein Wort heraus.

„Mein Youki war schon immer unbeständig. Ich hatte stets vollen Zugriff auf die Energie von Jahrhunderten, während andere dafür ihr Leben lang trainieren mussten – aber ich konnte sie nicht kontrollieren. An diesem Tag... brach sie aus mir heraus und tötete alle Feinde“, erklärte er, ohne eine Spur von Reue in der Stimme.

Sie schüttelte den Kopf. „Das hättest du nicht tun sollen.“

„Was hätte ich nicht tun sollen?“, fragte er geradezu herausfordernd. „Mein Rudel nicht rächen? Shinkara nicht beschützen?“

„Du hättest sie dir nicht einverleiben dürfen!“, rief sie aufgebracht.

„Warum nicht!? Es war doch mein gutes Recht! Ich habe die Westler getötet, sie zählen als Beute – als meine Beute. Es war meine Entscheidung, sie mit Shinkara zu teilen, daran kann niemand Anstoß nehmen. Und da wir die einzigen, lebenden Angehörigen des Rudels waren, war es ebenso unser Recht, sie zu fressen. Rechtlich gesehen hättest auch du einen Anspruch gehabt, doch du warst nur kurze Zeit bei uns und zu diesem Moment ohnehin nicht vor Ort“, fasste er kalt die Fakten zusammen.

Die Dämonin schloss kurz die Augen, um ihre Nerven zu beruhigen. „Kôgyoku, denk doch mal an die Folgen! Ihr Fleisch hat euch mächtig gemacht, ja, aber es wird euch auch schaden. Kein Dämon lässt sich doch so einfach verspeisen, ihre Seelen werden dagegen protestieren und euch verfolgen! Nicht nur dein Körper, sondern auch deine Seele ist durch diesen Vorgang gealtert, ist erwachsen geworden. Es hat dich mindestens zweihundert Jahre deines Lebens gekostet!“

„Das macht mir nichts aus. Ich will mein eigenes Rudel gründen und das kann ich ohnehin nur, wenn ich erwachsen bin. Die Wirkung hält selbst jetzt noch an – in einer Woche werde ich vollständig ausgewachsen sein und Shinkara kann menschliche Gestalt annehmen.“ Seine Augen funkelten unheilschwanger.

„Aber hast du denn nicht an ihn gedacht!?“, fragte sie und deutete auf den riesigen Dämonenhund. „Du hast ihm seine Kindheit genommen. Die ersten Jahre in wahrer Gestalt, in denen man die wirklich wichtigen Dinge im Leben lernt. Der Fluch hat auch ihn getroffen – ihr werden nie ein Rudel führen können! Ihr werdet vom Unglück verfolgt werden und alle Leute, die euch jemals etwas bedeuten werden, werden furchtbar leiden müssen – denn ihr habt dieses Fleisch nur um der Macht willen gefressen. Ihr werdet jede einzelne Person verlieren, die euch wichtig ist, und nur ihr selbst werdet verschont bleiben, um bis an euer Lebensende weiter zu leiden. Ist das das Leben, dass du dir für Shinkara gewünscht hast?“ Was sie sagte war nicht gelogen. Jedem Dämon wurden diese Fakten eingetrichtert, darum war es in einigen Stämmen auch Sitte, ihre Toten zu vergraben. Macht allein war nur eine Seite eines zweifach bedruckten Blattes. Kôgyoku aber war zu jung, niemand hatte ihm all das erzählt. Er war nie in einer Situation gewesen, in der es angebracht gewesen wäre, solch ein Thema anzuschneiden. Und nun war es zu spät.

Der Inuyoukai selbst zeigte sich jedoch wenig beeindruckt von ihren Worten. Das mochte geschauspielert wirken, aber Kuraifaia hatte das Gefühl, dass Kôgyoku vielleicht tatsächlich alle Gefühle abgelegt hatte, waren sie doch wohl der Auslöser für die Kraft gewesen, die seine Feinde zerfetzt hatte.

„Warum erzählst du mir das? Es ist jetzt ohnehin zu spät. Ich werde das Beste daraus zu machen versuchen und mit diesen Seelen werde ich schon fertig. Ohnehin wäre ich gar nicht hier, wären nicht Kigiyakanas letzte Worte gewesen, ich solle zu dir gehen. Ich bin kein abergläubischer Dämon, Kuraifaia. Warum sollte ich mich davor fürchten, dass die toten Seelen meiner Feinde meine Freunde ins Unglück stürzen? Das haben sie bereits zu Lebzeiten zu genüge getan! Ich habe genug für zehn Leben gelitten. Mir ist diese ganze, verdammte Welt sowas von egal! Alles ist mir egal, wenn ich Shinkara nur beschützen kann. Und da du sagtest, er bliebe verschont, muss ich mir keinerlei Sorgen machen. Solange wir einander haben, brauchen wir keine anderen Freunde.“

Seine Worte riefen tiefe Trauer in der Prinzessin hervor, doch ihr fiel nichts ein, was seine Sichtweise entkräften könnte. Ironischerweise könnte man auch von ihr sagen, dass sie genug gelitten hatte, um von dem Fluch nicht betroffen zu sein. Sie traute Kôgyoku zu, sich jeglicher Bindung zu entziehen, nur um nicht noch einmal durch den Tod einer geliebten Person verletzt zu werden. Was aber sollte aus Shinkara werden? Er hatte doch noch sein gesamtes Leben vor sich! Konnte das Schicksal wirklich so grausam sein, den beiden nur noch einander zu lassen?

Kuraifaia holte tief Luft. „Wie auch immer, wenn es stimmt, was du sagst, werde ich dir bald keine Vorschriften mehr machen können, denn du wirst bald erwachsen sein. Doch Shinkara ist mein Patensohn. Ich habe Kigiyakana versprochen, mich um ihn zu kümmern, sollte ihr jemals etwas zustoßen. Das wird auch der Grund sein, warum sie euch zu mir geschickt hat.“

"Ich übernehme diese Verantwortung vollkommen!“, unterbrach er sie, „Ich werde mich um Shinkara kümmern.“

„Ich bitte dich, das kannst du nicht allen. Selbst wenn du bald ausgewachsen bist, so fehlt es dir doch an Erfahrung!“

Er schüttelte entschlossen den Kopf. „Shinkara ist der Einzige, der meinem Leben noch einen Sinn gibt. Ich kann nicht getrennt von ihm existieren.“ Es schwang keinerlei Trauer, Selbstmitleid oder Sonstiges in seiner Stimme mit. Es klang mehr wie eine grausame Feststellung.

„Was redest du da? Selbstverständlich darfst du bei ihm bleiben, wenn du das wünscht! Auch wenn Krieg ist, ist das Schloss noch immer der sicherste Ort im Süden. Eure Zukunft scheint gefährlich zu sein und ich halte es für meine Pflicht, euch die beste Kampfausbildung zuteil werden zu lassen, die ich euch bieten kann. Man wird dort für Shinkara sorgen, während du trainierst und wenn er alt genug ist, wird auch er lernen, eine Waffe zu führen.“ Sie sah ihn traurig an. „Du musst nicht alles alleine schaffen, Kôgyoku.“

Der junge Dämon sah sie nur an und erstmals huschte so etwas wie Zweifel über sein Gesicht. „Wenn die Zeit gekommen ist, werde ich Shinkara selbst unterrichten.“

„Wenn du darauf bestehst.“

Kôgyoku schwieg. Hinter ihnen war es Shinkara augenscheinlich langweilig geworden, er hatte sich auf den Rücken gedreht und versuchte mit seinen riesigen Tatzen ein paar panische Schmetterlinge zu fangen. Kuraifaia sah ihm eine Zeit lang gedankenverloren dabei zu. Als er gerade einen grasgrünen Falter zerfetzte, riss sie sich gewaltsam von diesem fast friedlichem Anblick eines verspielten Welpen los und wandte sich wieder der harten Realität zu.

„Ich kann für nichts garantieren, wenn wir den Krieg verlieren. Aber in diesem Fall könnte ich euch vielleicht vorher noch in den Osten schicken. Fürst Maneru ist ein sehr kämpferischer Lord, jedoch war er nie auf Krieg aus. Er hat die besten Kampfschulen und ihr werdet dort sicher sein, sollte der Westen den Süden erobern. Ich habe ihn vor nicht allzu langer Zeit bei einem Ball im Norden kennengelernt und ich denke nicht, dass er zwei so interessante junge Dämonen wie euch ablehnen würde.“

Da Kôgyoku auch darauf nichts erwiderte, trat sie unbeholfen ein paar Schritte vor und sagte: „Lasst uns jetzt erst einmal zum Schloss zurückkehren.“

Der Inuyoukai nickte und wandte sich um. „Shin kara seigan suru gamo Yakusoku o tagaenai“, sagte er leise und sofort sprang der riesige Hund auf die Beine und kam zu ihm, während er heftig mit dem Schwanz wedelte. Kuraifaia schüttelte traurig den Kopf. Kôgyoku war wirklich alles, was Shinkara noch hatte. Er aber war bereit, sich völlig für ihn zu opfern.

Konnte das gut gehen?
 

*
 

Im südlichem Schloss...

„Mein Herr!“, hallte eine Stimme durch die Kerker. Mako sah nicht auf, obwohl er wusste, dass er gemeint war. Er saß auf der Folterbank, der Raum war voll von Leichen. Die Leichen der letzten Gefangenen aus dem Westen. Sie zu töten hatte nicht ausgereicht, um den Groll in ihm zu ersticken.

Der Bote hatte ihn nun entdeckt und trat nun ein.

„Mein Herr, der Lord der westlichen Länder ist eingetroffen. Er verlangt, mit jemandem aus dem Fürstenhaus zu sprechen!“, sagte der Dämon.

Wie in Zeitlupe drehte Mako den Kopf und sah dem Boten in die Augen. Dieser zuckte zusammen, verbeugte sich und verließ dann eilig den Raum.

Er kümmerte sich nicht darum. Vielmehr dachte er an seine Botschaft und deren Bedeutung.

'Er ist also da', sagte Toko leise.

'Ja.'

'Das war zu erwarten', fügte er an.

'Ja.'

'Und trotzdem trifft es dich unvorbereitet.'

'...ja.'

Wie hätte er sich auf diesen Augenblick auch vorbereiten können? Er fühlte sich wie ein Verräter, das er nichts unternommen hatte. Mit Absicht hatte er Kuraifaia fort geschickt. Wenn sie wieder käme, wäre die politische Heirat mit Sesshoumaru beschlossene Sache. Die Gründe, die dafür sprachen, waren geradezu entwaffnend. Sie würde gezwungen sein, sich in die Hände dieser... dieser Person zu begeben, ohne eine Hoffnung, jemals wieder von ihm weg zu kommen. Obwohl Mako wusste, dass es im Grunde vielleicht das Richtige war, fühlte es sich doch wie Verrat an. Hatte Kuraifaia sich nicht immer gegen Sesshoumaru gewehrt? War sie nicht immer wieder vor ihm geflohen? Und nun lieferte er sie so einfach aus...

'Wenn sie kommt und von der Sache hört, wenn sie sich dann mit Händen und Füßen noch dagegen wehrt, können wir ihr immer noch zur Flucht verhelfen', meinte Toko.

'Ich würde das mit Freuden tun, aber... Toko, weißt du, welches Jahr die Menschen im Moment zählen?'

'Nein... ist das denn wichtig?'

'Es ist das Jahr 1503', antwortete Mako düster.

'Oh nein.'

'Oh doch. Das Ende des Krieges. Die Vereinigung von Süden und Westen. Die Abschaffung der Grenze. Das Jahr 1503.' Mitsura hatte es ihm so oft gesagt, dass auch Mako es sich irgendwann gemerkt hatte. Sie musste dies im Hinterkopf gehabt haben, als sie den Plan mit der Hochzeit fasste. Ein verschlagenes, gerissenes Biest.

Mako erhob sich schwerfällig. Er schien ein Werkzeug in Mitsuras Händen zu sein. Sesshoumaru wollte mit jemandem aus dem Fürstenhaus sprechen. Der Fürst selbst war unpässlich und die Prinzessin nicht da. Er, als ihr Bruder, musste diesem arrogantem Möchtegernfürst jetzt gegenüber treten. Hoffentlich konnte er sich beherrschen und erlag nicht der Versuchung, ihn sofort umzulegen.
 

Vor dem Schloss...

Mitsura war angespannt, als die Zeltplane zurückgeschlagen wurde. Mako sah sich fast im Zeitlupe um, musterte Sesshoumaru, der nicht aufgestanden war, um ihn zu begrüßen und ließ seinen Blick über ihr Gesicht schweifen. Er hatte eine ernste Miene, ganz anders als sonst. Etwas bedrückte, quälte ihn. Von ihm ging eine seltsam bedrohliche Aura aus.

Der Dämon setzte sich zu ihr und dem Lord.

„Sesshoumaru“, er nickte dem Angessprochenem zu, der keine Reaktion zeigte, „Mitsura“, sie erschauderte unter seinem intensiven Blick und wandte sich ab. „Da wir alle wissen, was in der Vergangenheit vorgefallen ist, sollten wir mit offenen Karten spielen.“ Mako sah sie beide herausfordernd an, gerade als wolle er, dass sie ihm widersprachen.

„Man hat mir eine gewisse Befehlsgewalt übertragen, aber die Entscheidungen, die wirklich eine Rolle spielen, kann ich nicht fällen. Dennoch wird meine Stimme großes Gewicht haben.“ Er schwieg kurz und aus seinem Blick sprach auf einmal eine ungewöhnliche Autorität, wie Mitsura sie nie bei ihm gesehen hatte. Ihr Bruder hatte sich verändert. „Sagt, was mich davon abhalten soll, das Feuer gegen diese Dämonen hier zu eröffnen.“

Makos Blick war eisig und er schien den Lord des Westens hier und jetzt in den Boden stampfen zu wollen, doch dieser hielt ihm regungslos und beinahe gelassen stand.

„Lord Sesshoumaru!“, unterbrach Mitsura das stumme Blickeduell. „Erlaubt mir, für euch zu sprechen.“ Sie sagte es ohne jede Unterwürfigkeit und es klag schon eher nach einem Befehl, dennoch zuckte ihr Bruder dabei leicht mit der Augenbraue.

Sesshoumaru nickte leicht. Mitsura stand auf.

„Der Lord des Westens besitzt ein dämonisches Schwert, welches Tote wieder zum Leben erwecken kann. Mit dessen Hilfe hat er die Gefallenen von Yatohama auferstehen lassen. Westler und Südler, das macht keinen Unterschied. Es sind alles Hundedämonen und sie sollten nicht gegeneinander kämpfen. Die Youkai vor diesem Zelt haben das verstanden. Sie haben den Mördern ihrer Freunde und Familien verziehen. Wenn dieser Krieg so beendet wird, wie es jetzt steht – nämlich mit der Eroberung des Südens durch den Westen – würden nicht nur unzählige von Leben verloren gehen. Sondern auch die Hoffnung, jemals wieder Frieden und Vertrauen zu schaffen. Noch können wir das verhindern. Wir können die beiden Länder auf eine Art und Weise näher bringen, wie es noch nie zuvor in der Geschichte der Dämonen passiert ist. Der Süden muss dem Westen nicht untertan sein. Sie wären mehr als Verbündete, sie wären ein Land.“ Mitsura pausierte kurz, um Luft zu holen und fuhr dann mit ihrer flammenden Rede fort:

„Die Vorteile wären unermesslich. Der Südwesten würde mächtiger sein als der Norden und der Osten zusammen, wir wären das größte von einer Dämonenrasse beanspruchte Land überhaupt – wir wären die inoffiziellen Herrscher ganz Japans, wenn wir nur zusammenhalten! Doch natürlich stellt sich die Frage: Wer sollte über dieses Land herrschen? Wenn es ein westlicher Herrscher ist, wird der Süden protestieren und wenn es ein südlicher Herrscher ist, wird der Westen protestieren. Die Lösung jedoch liegt auf der Hand: Es wird zwei Herrscher geben. Oder besser gesagt: einen Herrscher und eine Herrscherin.“ Sie war bei ihren Worten im Zelt auf und ab gegangen, unterstrich ihre Aussagen mit Mimik und Gestik, als hätte sie nie etwas anderes gemacht.

Triumphierend sah sie ihren Bruder an und konnte förmlich sehen, wie die Energie aus ihm wich. Auf einmal wirkte er müde, erschöpft und besiegt.

„Durch die Heirat von Sesshoumaru und Kuraifaia wären all diese Probleme belegt. Sie könnte weiterhin herrschen, da sie einen Gefährten hätte. Dennoch wäre sie in Fragen, die das Ganze betreffen, auf Sesshoumaru angewiesen", fasst Mako traurig zusammen. "Sowohl Westen als auch Süden wären zufrieden. Die Westler sähen lediglich ihre Macht zu einem geringen Preis erweitert und die Südler müssten weder Kriegsentschädigung zahlen, Land abtreten noch einen fremden Herrscher akzeptieren. Sie würden nicht einmal ihr Gesicht verlieren."

Mitsura blieb stehen. „Exakt. Nach ihrem Tod werden ihre Nachkommen die Herrschaft fortführen. Sollte es keine geben, wird jemand aus dem Volk gewählt werden“, sagte sie leise.

Mako sah fast ein wenig enttäuscht zu ihr hoch. „So weit hast du das also schon geplant...“, flüsterte er langsam. „Ist es das, was du willst? Ist es das, woran du glaubst?“

„Oh nein“, sagte Mitsura ebenso leise und schüttelte leicht den Kopf. „Es ist das, was du dem südlichem Fürsten und dem Rat erzählen wirst.“

Ihr Bruder sah auf. „Warum sollte ich das tun?“

„Mako, vor Jahren fragte ich meine Schwester, ob sie jemals einen völlig Fremden heiraten würde, den sie noch nie zuvor gesehen hatte, wenn ihre Eltern es für sie beschließen würden. Sie verneinte.“ Mitsura sah erst ihren Bruder, dann Sesshoumaru an. „Es sei denn, es hingen hunderte von Leben daran.“

Wieder begann sie auf und ab zu gehen. „Ich fragte weiter, was sie tun würde, wäre sie schließlich doch zu einer solchen Heirat gezwungen und würde heraus finden, dass es Sesshoumaru ist, mit dem sie verheiratet werden soll.“ Wieder blieb sie stehen. „Und sie sagte, sie würde weiter machen. Sie würde ihn heiraten.“

Die junge Frau beobachtete mit gemischten Gefühlen, wie Sesshoumaru kaum merklich einen Moment zu lang die Augen schloss, als das es noch als Zwinkern durchgehen konnte.

Sie wandte sich wieder an Mako.

„Und nun frage ich dich, Mako: Wenn unsere Schwester um ihres Landes willen selbst in Kauf nimmt, eventuell mit einem dummen, schwachen, alten, hässlichen und egoistischen Tyrannen vermählt zu werden.... Wird sie dann die Ehe mit Sesshoumaru verweigern?“

Mako senkte den Kopf. „Das wird sie nicht.“

„Und wird Ninushu Omaru, oder sonst jemand aus dem Rat des Westens oder des Südens sich strikt weigern, dieser Verbindung zuzustimmen?“, fragte sie erneut und konnte förmlich spüren, wie in ihrem Bruder etwas zerbrach. Normalerweise hätte es ihr Leid getan, doch sie würde ihn später betrauern, wenn Zeit dazu war.

„Nein, werden sie nicht“, sagte Mako leise. Ihn verlieren zu sehen traf Mitsura nicht ganz so sehr, wie sie erwartet hatte, denn sie war es, die letzten Endes als Gewinnerin aus diesem Spiel hervor ging. Auch wenn sie überzeugt davon war, das Richtige zu tun und sicher war, dass ihre Geschwister ihr eines Tages für ihre Taten danken würden – in diesem Moment sprach der Dämon in ihr und genoss den grausamen Triumph in vollen Zügen. Sie spürte den Geschmack der Macht auf ihrer Zunge und wusste, dass sie allein es gewesen war, die diese Welt verändert hatte. Sie alle waren am Ende nur ein Werkzeug in ihren Händen gewesen und nur das Schicksal allein, welches ihr so viele glückliche Zufälle geschenkt hatte, war ihr Verbündeter. Sie war die heimliche Siegern in diesem Krieg – und niemand würde es je erfahren.

„Mako. Du weißt, dass Politik nicht der einzige Grund ist, warum Sesshoumaru Kuraifaia zur Gefährtin nehmen will. Dennoch denke ich, dass er mir zustimmen wird, wenn ich sage, dass er es ohne uns nicht so weit gebracht hätte.“ Ihre Blicke trafen sich und mit einem Mal kam ihr der irrsinnige Gedanke, dass Mako doch keinen so schlechten Herrscher abgegeben hätte.

„Meine Meinung kennst du nun. Jetzt liegt alles bei dir. Du allein entscheidest über das Schicksal unserer Schwester. Stimmst du zu, dass die Heirat stattfindet, dann wird sie das tun. Wehrst du dich dagegen, kannst du es verhindern.“

Mitsura ließ sich wieder neben Sesshoumaru nieder. „Triff deine Entscheidung.“

Der neunte Fluchtversuch

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Ich sag's euch:

Bis zum Ende der Sommerferien habe ich diese fanfiction beendet!!!

Die Schule beginnt bei mir am ersten September, aber dann ist Methodenwoche, kein richtiger Unterricht und für mich praktisch noch Ferien - was heißt: DAs Ende SOmmerferien für mich am achten September ist.

Das also ist der Termin, bis dahin hab ich sie DEFINITIV fertig und komplett hochgeladen. Fehlen ja im Grunde auch nur noch ein Kapitel (das hier nicht mitgerechnet) und noch ein Epilog, das war's.

Freut euch also schon mal!
 

XxX
 

Als Mako die Tür zu seinen privaten Räumen öffnete, fand er dort eine recht verstörte Kuraifaia vor. Leise schloss er die Tür hinter sich.

'Bist du sicher, dass du die richtige Entscheidung gefällt hast?', fragte Toko noch immer zweifelnd.

'Hey, du wohnst in meinem Gehirn. Du solltest besser wissen als ich, ob ich es für die richtige Entscheidung halte oder nicht', erwiderte er freudlos.

Doch in diesem Moment erhob sich Kuraifaia und er dachte den Gedanken nicht zu ende, den er eben noch seinem Bruder hatte an den Kopf werfen wollen.

„Mako, bitte sag mir, was ist da nur los? Was macht Sesshoumaru vor den Toren des Schlosses?“ Sie sah genauso müde aus wie er sich fühlte und obwohl man ihr es nicht ansah, verriet der leise Hauch von Salz, dass sie geweint hatte.

„Sesshoumaru ist hier, um den Krieg zu beenden.“

Kuraifaia senkte den Kopf und Mako, der alle Kraft aufbringen musste, um die folgenden Worte auszusprechen, kniete sich vor der jungen Frau hin, welche auf dem Bett saß und hielt ihre Hände.

„Anis, er hält um deine Hand an.“

Stille.

Kuraifaia starrte ihn mit feuchten Augen an, und begriff augenscheinlich nicht die Bedeutung seiner Worte.

„Natürlich schiebt er politische Gründe vor. Der Süden wird nichts dagegen einwenden können und der Westen wird das neue Gebiet mit Freuden entgegen nehmen. Aber ich denke, uns beiden ist klar, was er wirklich bezweckt. Er will dich zurück“, sagte er leise. Mit Absicht hatte er sie vorhin Anis genannt, um ihr deutlich zu machen, dass der westliche Lord ihr neues Ich nicht kannte und akzeptierte.

„Kann jemand... denn so ein schlechter Verlierer sein...?“, murmelte Kuraifaia wie in Trance.

„Außer dir bringt es allen Beteiligten nichts als Vorteile. Wenn er die Sache durchzieht, wird er gewinnen. Dann musst du ihn heiraten, ob du willst oder nicht. Niemand fragt eine Prinzessin um Erlaubnis, wenn es darum geht, ihren Gefährten auszuwählen“, eröffnete er ihr die grausame Wahrheit.

Ihre verzweifelten Augen trafen seine. „Was soll ich denn jetzt tun, Mako? Ich habe geahnt, dass er etwas planen wird, um mich zurückzuholen, nachdem Mitsura weg war. Aber jetzt... Du hast Recht, er kann nur gewinnen.“

„Es geht nicht darum, wer gewinnt und wer verliert. Es geht um dein Glück und die Leute, die es mit Füßen treten. Ich mache dir ein Angebot: Wenn du Sesshoumaru nicht heiraten willst, dann tu es nicht! Ich habe alles vorbereitet für den Fall, dass du unauffällig verschwinden willst. Da du bereits zuvor einen Tag frei hattest, werde ich alles so erscheinen lassen, als hättest du eine kurze Reise unternommen, auf der du auf einmal verloren gegangen bist. Du musst diesen Kerl nie wieder sehen, wenn du das nicht willst“, versprach er ihr.

Kuraifaia sah ihn traurig an. "Aber was wird aus dem Süden?“

„Keine Sorge. Ich werde Sesshoumaru zuerst seine friedlichen Absichten in der Öffentlichkeit bekannt geben lassen, bevor ich ihm sage, dass du verschwunden bist. Er wird seine ach so entgegenkommenden Friedensangebote nicht zurück ziehen können, ohne dabei sein Gesicht zu verlieren. Ich werde als Stellvertreter des Fürstenhauses so lange dort bleiben, bis eine Lösung gefunden wurde und der Krieg vorbei ist. Danach kann aus dem Süden ein neuer Herrscher gewählt werden. Du aber gehst zurück in die Neuzeit, am besten in ein anderes Land und wartest dann, bis ich nachkomme“, erklärte er rasch. „Aber du musst dich schnell entscheiden, wir haben nicht viel Zeit. Ein Reitdämon steht draußen bereit. Wirst du es tun?“

Kuraifaia atmete einmal tief durch. Dann sagte sie gefasst: „Ich werde es tun, doch nicht, weil mir die Aussicht, Sesshoumaru zu heiraten so widerstrebt – sondern weil ich es ihm nicht verzeihen kann, wie er die Fäden um mich herum immer enger zog, bis er mich gefangen hatte und die erstbeste Gelegenheit ergriff, mich auf ewig an ihn zu binden.“

Mako verschwieg ihr, dass es wohl eher Mitsura gewesen war, die hier die Fäden in der Hand hielt.
 

Eine halbe Stunde später war Kuraifaia in der Luft. Sie saß auf einem riesigen, geflügeltem Wolf – ein Reitdämon, der weniger Aufmerksamkeit erregte, als die eleganteren Drachen oder die schnelleren Greife. Ihre Gedanken rasten und immer wieder kamen Zweifel auf, ob sie das Richtige getan hatte. Ohne jeglichen Abschied zu verschwinden, das kam ihr wie Verrat vor. Egal was Mako gesagt hatte, ließ sie nicht doch gerade ihr Volk im Stich? Sicher, es war unwahrscheinlich, dass Sesshoumaru jetzt noch grausam und brutal gegen den Süden vorging und sie traute es ihrem Bruder durchaus zu, die Angelegenheiten zu klären. Dennoch hatte sie dort oben im Schloss nicht die ganze Wahrheit gesagt. Sie konnte ihr Volk und ihren Adoptivvater nicht im Stich lassen, sie konnte es nicht. Aber sie fühlte sich auch noch nicht bereit, sich Sesshoumaru gegenüber zu stellen. Dann aber war ihr eine Lösung in den Sinn gekommen. Niemand würde damit wirklich zufrieden sein, aber sie hatte so überstürzt entscheiden müssen, dass sie nicht alle Folgen bedenken konnte.
 

So lenkte sie jetzt den Wolf auf eine Lichtung in der Nähe des Schlosses. Die großen Pfoten hinterließen kaum Spuren im Gras, als der Dämon landete. Die Prinzessin schwang sich elegant aus dem Sattel.

„Kôgyoku! Kôgyoku, wo steckt du?“, rief sie.

Einen Moment später trat ein junger Mann hinter den Bäumen hervor. Seine grauen Haare hoben sich stark von seinen blitzenden, blauen Augen ab und die spitzen Krallen verrieten, dass er ein Dämon war. An seine Hand klammerte sich ein Kind, dass vielleicht vier Menschenjahre zählte. Es trug einen schmucklosen Kimono, der nach Mensch roch und wohl irgendwo gestohlen worden war. Seine Haare waren schwarz, doch hinter den Ohren konnte man, wenn man genau hinsah, einige rote Strähnen entdecken.

„Er... kann schon menschliche Gestalt annehmen?“, fragte sie leise, erstaunt.

„Ja. An die Zeit in seiner wahren Gestalt kann er sich nur verschwommen erinnern. Da er mehr bekommen hat als ich“, und sie zweifelte nicht daran, dass er das Fleisch meinte, „wird er noch eine Weile so rasch weiter wachsen“, sagte Kôgyoku.

Der kleine Shinkara drehte neugierig den Kopf hin und her.

„Yoku, wer ist diese Tante?“, fragte er, „ist sie gefährlich?“

Kuraifaia fragte sich erschrocken, was Kôgyoku ihm alles erzählt hatte, dass Shinkara als erstes fragte, ob sie eine Gefahr darstellte.

„Nein, Shinkara, sie wird uns nichts tun“, erwiderte Kôgyoku.

„Au, das ist toll! Wird sie denn mit uns mitkommen?“, fragte der Kleine.

„Ich habe versprochen, euch auf eine gute Schule zu bringen. Ich werde euch persönlich in den Osten zu Fürst Maneru begleiten“, sagte die Prinzessin.

Kôgyoku stand das Misstrauen deutlich ins Gesicht geschrieben. „Warum solltest du das tun? Es würde reichen uns allein, oder höchstens noch einen Boten zu schicken. Du wirst hier zu dringend gebraucht.“

Kuraifaia seufzte. „Du wirst mir nicht glauben, wenn ich sage, ich verspüre das Verlangen, meinen Patensohn persönlich zu begleiten?“

„Wir sind Dämonen, keine Menschen. Also, warum willst du mitkommen?“, erwiderte er.

„Yoku, bist du sicher, dass sie keine Gefahr ist? Du redest so mit ihr, als wenn du sie gleich töten willst“, meinte Shinkara unvermittelt.

„Oh, glaub mir, wenn ich sie hätte töten wollen, würde ich jetzt gar nicht mit ihr reden“, erwiderte Kôgyoku, ohne die Augen von ihr zu wenden.

Kuraifaia seufzte erneut. „Ich brauch eine Auszeit, okay? Diese Typen wollen mich mit dem Lord der westlichen Länder verheiraten und haben praktisch alles schon hinter meinem Rücken beschlossen. Mein Bruder versucht sie davon abzuhalten, aber wenn sie immer noch darauf bestehen, wenn ich zurückkehre, wird mir keine andere Wahl bleiben. Ich verschwinde also heimlich und brauche ein Ziel und einen Grund, etwas, das mich davon abhält, sofort wieder zurück zu gehen. Ist es das, was du hören wolltest?“

Kôgyoku legte den Kopf schräg. „So ungefähr, ja. Dann lass uns schnell verschwinden – Shinkara, komm, du musst auf diesen Wolf da steigen. Er wird dir nichts tun, er ist unser Verbündeter und wird uns tragen. So sind wir viel schneller da“, sagte Kôgoku und hob den kleinen Dämon hoch.

„Wir werden fliegen? Werden wir fliegen, ja? Und keiner wird uns angreifen?“, fragte er.

„Das kann ich dir nicht versprechen. Man sollte immer mit allen Sinnen nach Feinden Ausschau halten. Aber wir fliegen jetzt zu ein paar Leuten, die uns das Kämpfen beibringen können. Da werden wir bestimmt viel lernen“, erwiderte Kôgyoku.

„Werden sie auch unsere Verbündeten sein?“, fragte Shinkara in kindlicher Naivität.

„Ja, bestimmt. Aber nur, wenn sie uns aufnehmen. Wir müssen einen guten Eindruck machen.“

Shinkara setzte sich etwas gerader hin. „Ich werde ganz brav sein, Yoku! Du wirst stolz auf mich sein, ich versprech's dir!“

Kuraifaia, die dem Gespräch eher entsetzt gelauscht hatte, saß nun hinter Kôgyoku auf. Sie ahnte schon, dass aus Kigiyakanas Sohn ein wahrer Killer werden würde, wenn man ihn und Kôgyoku nicht trennte. Andererseits war sie jedoch auch froh, diese Aufgabe leichten Gewissens von sich weisen zu dürfen – in ihrer gegenwärtigen Situation konnte ihr da niemand einen Vorwurf machen.
 

*
 

Im Schloss...

„Nun, wo das besprochen ist – wann soll die-“ Mako brach ab und sah zur Tür. Sie war lediglich aus Papier und so konnte man den Schatten eines Mannes, der sich davor niedergelassen hatte, gut erkennen. Zwar drang kein Geräusch aus dem riesigem Verhandlungssaal heraus, doch gelegentlich trafen Boten ein, die durch neue Nachrichten die Ruhe störten.

„Ich denke, wir sollten dem Boten erlauben, uns zu sagen, warum er solch eine wichtige Verhandlung unterbricht!“, knurrte Mako wütend.

Der Fürst, welcher zwei Plätze rechts von ihm saß und mehr tot als lebendig aussah, wedelte müde mit der Hand.

„Schickt ihn rein“, krächtzte er heiser. Die Krankheit hatte ihm alle Kraft geraubt, doch auch er wollte unbedingt bei dem Schicksal seiner Adoptivtochter mit entscheiden und hatte sich tatsächlich nach oben in das Verhandlungszimmer geschleppt. An dem langen, rechteckigen Tisch saßen sonst noch die Ratsmitglieder des Fürsten und Sesshoumaru, während auf der anderen Seite – es hatte große Mühe gekostet, die Audienz tatsächlich durch zu bekommen – sein Freund Chikara, Mitsura und Aoi Yuki, der extra als Stellvertreter des westlichen Rates angereist war, Platz genommen hatten.

Die Verhandlung war eigentlich schon vorbei. Die politischen Gründe waren sowohl vom südlichem Rat als auch von Aoi Yuki akzeptiert worden, obwohl es etwas völlig Neues und Niedagewesenes war, zwei Länder zu einem zusammenzuziehen. Eigentlich war es die Regel, dass die unterschiedlichen Dämonenrassen Japan unter sich in vier Teile teilten, jedes musste einen eigenen Herrscher haben. Da Kuraifaia jedoch alleinige Gewalt über den südlichen Teil haben sollte, war dem Genüge getan. Der Südwesten würde für sich noch immer auf gewisser Weise geteilt sein, solange, bis sich der Groll der Bewohner wegen dem Krieg gelegt hatte. Wahrscheinlich würde erst die nächste Generation das Land wirklich verbinden. So konnte die Sache offiziell als besonderer Friedens- und Beistandspakt gelten. Alle größeren Handlungen bezüglich äußerer Einflüsse würde Sesshoumaru bestimmen dürfen, was nur gerecht war, da er erstens ein Mann war und zweitens der wahrscheinliche Gewinner in diesem Krieg gewesen wäre.

Der Einzige, der seine Zustimmung noch nicht so recht geben wollte, war Ninushu Omaru selbst. Mako hielt sich recht neutral, hob Vor- und Nachteile der Heirat gleichermaßen hervor und sagte auch so beiläufig wie möglich, dass Kuraifaia es mit ihrem Gefährten schlimmer hätte treffen können. Sein Ton dabei verriet jedoch, dass er an das Gegenteil glaubte.

Letztendlich musste sich der Fürst jedoch geschlagen geben. Mitsuras mehr als überzeugende Reden und Sesshoumarus stumme Autorität, gepaart mit einigen wohlüberlegten Bemerkungen, die jede Widerworten auf Seiten des Südens sofort Lügen strafte, hatten sämtliche Personen im Verhandlungsraum gegen ihn aufgebracht. Ein Fürst hatte nicht alleinige Macht, doch wäre nur ein Einziger von ihnen gegen die Heirat gewesen, so hatte Mako das Gefühl, er hätte abgelehnt. Doch auch er selbst unternahm keinen ernsthaften Versuch, ihm zu helfen. Als sich die Zweifel des Fürsten jedoch endlos hinzuziehen schienen, schlug Mitsura schließlich vor, man solle die Prinzessin holen und ihre Stimme hören. Es war unwahrscheinlich, höchst unwahrscheinlich, dass sich an der Entscheidung noch etwas ändern würde. Dennoch könnte Kuraifaia vielleicht noch etwas an den Bedingungen drehen und Ninushu stimmte dem Vorschlag fast erleichtert zu. Entgegen der Erwartungen war auch Sesshoumaru einverstanden und so wurde nach Kuraifaia geschickt.
 

„Mein Fürst, die Prinzessin ist unauffindbar“, sagte der Bote unterwürfig, als man ihn aufforderte zu sprechen.

Mako wusste, ohne das er hinsah, wie Mitsuras Blick ihn aufspießte und auch Sesshoumarus, eisiger ihn traf. Ein feines Lächeln umspielte seine Lippen.

„Tja, ohne Braucht keine Hochzeit, nicht wahr? Wir sollten warten, bis man sie findet und bis dahin einen Altanativvorschlag ausarbeiten...“, sagte er leichthin. „Wir könnten einige Südler in den Westen schicken und umgekehrt, um die Beziehungen zu verbessern und-“

„Nein“, sagte Sesshoumaru leise und stand auf. „Ohne ein festes Band zwischen den Ländern wird die Innenpolitik zusammenbrechen. Die Prinzessin muss ausfindig gemacht werden.“

Ninushu Omaru sah ihn überrascht an. „Warum diese Eile? Auf einige Tage mehr oder weniger kommt es auch nicht an. Sie wird schon wieder kommen.“

„Da wäre ich mir nicht so sicher“, flüsterte der Lord bedrohlich. „Ich werde mich persönlich auf die Suche machen.“

„Jetzt?“, fragte Aoi Yuki erschrocken, „Aber wir müssen noch all die Details, was Wirtschaft und Finanzen angeht besprechen!“

„Genau, Lord Sesshoumaru. Ihr solltet besser nichts überstürzen, sonst könnte man glauben, ihr legt eher Wert darauf, euch mit einer Frau zu vergnügen, als euch um die Politik zu kümmern“, sagte Mako belustigt, wissend, dass er in gewisser Weise mit seiner Behauptung Recht hatte. Aber die Anderen hatten keine Ahnung und wenn sich Sesshoumaru keine Blöße geben wollte, musste er bleiben. Das würde Kuraifaia einen nicht unerheblichen Vorsprung verschaffen.

Sesshoumaru jedoch widersprach. „Einige Tage könnten den Ausschlag geben. Aoi Yuki wird alles weitere mit euch besprechen, Fürst. Mitsura, Chikara, ihr -“

„Wir werden natürlich bei der Suche helfen. Vielleicht ist alles nur ein Missverständnis, das sich sofort aufklären wird“, unterbrach Mitsura und warf Mako einen bösen Blick zu.

„Ich hatte eher gedacht, dass ihr gemeinsam mit den Gefallenen von Yatohama in den Westen geht, um vom Ergebnis dieser Verhandlung zu berichten“, meinte der Lord kalt.

„Nun, ich denke es ist in Ordnung, wenn ich euch auf der Suche nach Kuraifaia begleite. Immerhin müssen wir ein Gleichgewicht beibehalten“, schlug Mako teuflisch grinsend vor.

„Mako hat durchaus Recht. Wenn diese Dame mitkommen will, sollte auch der Süden noch jemanden schicken“, sagte Ninushu diplomatisch.

„Suchen wir nicht eine Person aus dem Süden? Es sollte gut sein, dass Lord Sesshoumaru sie allein sucht. Aber wenn Mako unbedingt mitkommen will, werde ich auch gehen“, sagte Mitsura bestimmt.

„Bei Kami, dann gehen wir halt zu dritt!“, gab sich Mako geschlagen und so war die Sache schließlich beschlossen.
 

*
 

Am Waldrand...

Die kleine Gruppe auf dem Weg nach Osten hatte gerade eine Pause gemacht. Ihr Reitdämon war müde und da er leider nicht, wie die meisten anderen, sich von Gras ernähren konnte, mussten die Dämonen jagen gehen. Kuraifaia hatte vorgeschlagen, dass sie und Kôgyoku im Wald ausschwärmen sollten, um genug Fleisch für den geflügelten Wolf und auch für Shinkara – der in seinen jungen Jahren besonders viel essen musste, damit er für den Rest seines Lebens nichts mehr brauchte – zusammentragen zu können. Kôgoku weigerte sich jedoch strikt, Shinkara zurückzulassen. Sie versuchte ihm zu erklären, dass ihn hier niemand angreifen würde, aber er bestand darauf, er hätte ein ungutes Gefühl und wolle seinen Schützling unter keinen Umständen auch nur der geringsten Gefahr ausetzten. Also banden sie die Wolf an einem Baum fest und die beiden Welpen bildeten eine Zweiergruppe. Eine Stunde später war der Dämon versorgt und Shinkaras Magenknurren eingedämmt. Er war bereits wieder drei Zentimeter gewachsen und spielte jetzt munter mit den vielen, abgenagten Hirschknochen. Der geflügelte Wolf jedoch war sehr eigenwillig und bewegte sich am Abend kein Stück mehr, sodass sie wohl oder übel hier übernachten mussten.

Als der Morgen anbrach und der Wolf sich widerwillig in Bewegung setzte, drängte Kuraifaia zur Eile. Wenn jemand ihre Flucht bemerkte und ihr folgen würde, wäre diese Nacht reine Zeitverschwendung – und das konnte sie sich nun wirklich nicht leisten.

Sie gingen weiter und kamen gegen Mittag an eine Schlucht. Der geflügelte Wolf hatte sie nur widerwillig bis hier hin getragen, aber seltsamerweise weigerte er sich, in die Lüfte zu steigen. Die Prinzessin verfluchte Mako, der ihr diesen Dämon gegeben hatte. Sie mussten am Rand der Schlucht entlang gehen, bis sie schließlich eine alte, klapprige Hängebrücke fanden.

„Die sieht nicht besonders sicher aus“, sagte Shinkara leise, „Ich weiß nicht, ob ich rüberspringen könnte, aber das geht ja ohnehin nicht.“

„Was meinst du damit, Shin kara seigan suru gamo Yakusoku o tagaenai?“, fragte Kôgyoku forsch.

„Naja, der Wolf will nicht fliegen. Wenn ich groß bin, komme ich vielleicht rüber, aber ich kann mich ja nicht verwandeln“, sagte er.

Kuraifaias Gedanken überschlugen sich. Mit 'Wenn ich groß bin' war sicher seine wahre Gestalt gemeint. Aber was sollte das, er könne sich nicht verwandeln?

Doch dann überkam sie eine höchst unangenehme Ahnung. Konnte es möglich sein, dass man hier kein Youki verwenden konnte? Die Flügel des Wolfes waren eigentlich zu klein, um sein Gewicht und das zusätzlicher Reiter zu tragen. Nur sein Youki erlaubte es ihm, wirklich zu fliegen. Das wäre ein Grund, warum der Dämon ständig am Boden bleiben wollte.

Sie fuhr unter ihren Ärmel und zog ihren Bogen, der nunmehr ein kleiner Stab war, daraus hervor. Sie konzentrierte sich darauf, ihn ausfahren zu lassen, aber nichts passierte.

„Wir sitzen in der Falle. Hier kann man kein Youki verwenden – wir sind so hilflos wie Menschen“, sagte sie düster.

Kôgyoku schwieg betroffen und ging zu der Hängebrücke. Einige Bretter fehlten, es gab kein Geländer und die Schlucht war so tief, dass man kaum den Boden erkennen konnte.

Kuraifaia zückte einen kleinen Dolch und fuhr mit der Schneide an ihrem Finger entlang. Ein dünner Schnitt war zu sehen und ein feiner Blutfaden quoll daraus hervor. Sie wartete, eine Sekunde, zwei Sekunden, drei... Der Schnitt begann sich zu schließen.

„Der Zauber scheint auf unsere Körper selbst keinen Einfluss zu haben. Er verhindert lediglich, dass wir durch unser Youki etwas in unserer Umgebung verändern können oder sonst wie große Mengen davon freisetzen. Es ist also kein sehr starker Zauber... Trotzdem, wenn wir hier hinüber wollen, müssen wir die Brücke wohl wie Menschen überqueren“, sagte Kuraifaia betrübt.

Kurz schwiegen alle, dann fragte Shinkara: „Yoku, was sind Menschen?“
 

Am anderen Waldrand...

„Mako, wo zum Teufel warst du!?“, knurrte Mitsura böse.

„Hey, hey, reg dich ab!“, versuchte der Dämon sie zu beruhigen.

„Ich will wissen, wo du gewesen bist! Wir sind jetzt schon einen ganzen Tag unterwegs und haben keine Spur von Kuraifaia! Wie kannst du es wagen, dich aus dem Staub zu machen!?“

„Okay, wenn du es unbedingt wissen musst: Ich hab ja getrennt von euch gesucht, aber immer so, dass ich euch noch riechen konnte. Da bin ich auf ein paar Menschenjungen gestoßen, die haben wohl abseits vom Dorf gespielt. Kein Ahnung warum die das machen, ich meine, hier gibt es ja nicht gerade wenig Dämonen. Klar, von so mächtigen wie uns halten sie sich fern, aber bei Menschen... Nunja, das Spiel, dass sie spielten, hat mir überhaupt nicht gefallen. Sie waren nämlich dabei, einen Hund zu quälen. Natürlich haben Inuyoukai nichts mit Hunden zu tun und es ging mich rein gar nichts an, aber... Also, der Hund sah meinem Bruder total ähnlich, wenn der sich verwandelt hat. Ich konnte nicht zulassen, dass sie ihn töten! Aber nachdem ich die Jungen beseitigt hatte, hat der Hund an mir geklebt wie eine Klette, er wollte einfach nicht verschwinden. Selbstverständlich könnte er bei meinem Tempo nicht mithalten, aber ich brachte es nicht über mich, ihn einfach zurück zu lassen. Mitnehmen konnte ich ihn aber auch nicht, also musste ich ihm erst mal verständlich machen, dass er in das Dorf zurückgehen soll, was er aber nicht wollte. Ich hab ihn sogar einmal hingebracht, und-“

„Schon gut, schon gut, hör auf zu reden! Du kaust mir ja ein Ohr ab!“, stoppte Mitsura seinen Redeschwall.

„Wenn ihr fertig damit seid, euch zu streiten, könnten wir endlich weiter suchen!“, ertönte auf einmal eine warnende Stimme hinter ihnen. Sesshoumaru war hinzu gekommen.

„Ich habe nicht weit von hier ein Lager entdeckt, an dem ihr Geruch hängt. Aber sie ist nicht allein“, berichtete er.

„Wieso sollten sie ein Lager aufschlagen? Und wer sollte bei ihr sein?“, fragte Mitsura verblüfft.

„Ein Reitdämon, dazu zwei andere Inuyoukai, beide männlich. Einer vermutlich noch ein Welpe“, sagte der Lord.

„Huch, ich wusste gar nicht, dass sie heimlich eine Familie gegründet hat! Vielleicht ist sie deswegen abgehauen?“, meinte Mako scheinheilig und grinste. Sesshoumaru gab nur ein bedrohliches Knurren von sich.

„Von dort sollte sich jedenfalls ihre Spur leicht weiterverfolgen lassen, selbst wenn sie fliegen. Außerdem kommen wir zu Fuß genauso schnell vorwärts. Wenn Kuraifaia in Begleitung eines Welpen ist, erklärt das auf jeden Fall, warum sie einen Reitdämon nutzt. Wenn es kein Drache war, mussten sie ihn auch versorgen, das könnte das Lager erklären“, fasste die Schwester der Prinzessin zusammen.

„Schön, dann sollten wir keine Zeit verlieren“, meinte Sesshoumaru nur und wandte sich ab.

Während sich unter seinen Füßen sein Youki materialisierte und ihn in die Lüfte hob, schwangen sich die anderen beiden Dämonen auf die Bäume hinauf. Sie konnten nicht fliegen, aber im Federflug waren sie fast genauso schnell wie er Lord.
 

An der Schlucht...

Shinkara war von ihnen allen am leichtesten. Er hatte keinerlei Probleme gehabt, die Brücke zu überqueren. Zunächst hatte sich Kôgyoku geweigert, ihn ganz allein hinüber gehen zu lassen, aber Kuraifaia bestand darauf, dass sie die Bretterkonstruktion einzeln überquerten. Wenn sie drei drüben wären, könnten sie den Dämon suchen, der für den Zauber verantwortlich war, ihn ausschalten und dann den Wolf holen, der es beim besten Willen nicht über die Schlucht geschafft hätte, ohne seine Flügel zu benutzen.

Gerade wagte sich Kôgyoku mit tapsigen Schritten über die Hängebrücke, die bedenklich schaukelte. Shinkara sah ihm von der anderen Seite aus besorgt zu. Als der Dämon einmal daneben trat, fiel polternd eines der Bretter hinunter und der kleine Welpe schrie erschrocken auf.

„Mach dir keine Sorgen, Shin kara seigan suru gamo Yakusoku o tagaenai. Selbst wenn ich abstürze, werde ich mir höchstens ein paar Schürfwunden holen“s beruhigte Kôgyoku ihn.

„Aber Yoku, ich will nicht, dass du dich verletzt! Auch nicht nur ein bisschen! Versprich mir, dass du vorsichtig bist!“s klagte er erstickt.

„Ja... ich verspreche es“s sagte er leise.

Vorsichtig setzte er sich wieder in Bewegung. Er kam nur langsam voran, aber schließlich war auch er auf der anderen Seite angekommen. Shinkara lief ihm sofort entgegen und umarmte ihn – etwa auf Bauchhöhe, denn viel höher kam er nicht. Auf Kôgyokus Gesicht erschien ein Lächeln, als er ihm liebevoll durch das Haar strich. Nie zuvor, nicht einmal in den Zeitens als das Rudel noch lebte, hatte Kuraifaia ihn lächeln sehen.

Doch dann wurde sie plötzlich aus ihren Gedanken gerissen, als der Wind drehte und ihr einen bekannten Geruch zutrug. Es war nur ein Hauch, nur sehr schwach, und doch... Es waren ihre Geschwister. Mako, Mitsura und... Sesshoumaru.
 

Im Wald...

Die drei Dämonen verlangsamten ihr Tempo gleichzeitig. Sesshoumaru landete und die Geschwister kamen von den Bäumen herunter. Sie alle hatten gespürt, dass sie hier ihr Youki nicht mehr einsetzen konnten. Es war wie eine Art Bannkreis, den sie passiert hatten, ohne es zu merken. Keiner von ihnen sprach es aus, denn sie alle zogen die gleichen Erkenntnisse. Ihre Sinne funktionierten noch einwandfrei, sie fühlten sich nicht schwächer oder müde. Doch die Vanderobes konnten den Federflug nicht aufrecht erhalten und Seshoumarus Youki wollte ihn nicht mehr durch die Lüfte tragen. Nur das direkte Anwenden von dämonischer Energie war hier also unmöglich.

„Es hilft nichts. Kuraifaia ist weiter gegangen, also müssen wir das wohl auch tun“, sagte Mitsura schließlich und prüfte noch einmal die Luft.

„Dieser Dämon ist tot“, stellte Seshoumaru eisig fest und meinte damit den Youkai, der den Zauber über dieses Gebiet gelegt hatte. Wie konnte er es wagen, seine Suche auch nur um Stunden zu verzögern!?

„Du solltest mit ihm auch kein Problem haben. Der Zauber ist nicht sehr stark, demzufolge ist es der Youkai auch nicht. Hier in der Nähe muss es eine Art natürliche Gefahrenquelle geben. Vermutlich hofft er, dass seine Opfer dort sterben, während sie ihre Kräfte nicht einsetzen können, um sie dann zu fressen“, sagte Mako nachdenklich.

„Ist Kuraifaia dann in Gefahr?“, erkundigte sich Mitsura besorgt.

„Unsinn. Sie gehört zu den mächtigsten, weiblichen Inuyoukai Japans, nein, der ganzen Welt. Sie wird absichtlich in die Falle getappt sein, weil sie keine Zeit verlieren will, aber da man immer noch seine Kräfte auf den eigenen Körper anwenden kann, um ihn stärker zu machen, wird sie keinerlei Probleme haben, denke ich.“ Makos Gesicht war von einer Unbekümmertheit gesegnet, wie sie sich seine Schwester auch gern gewünscht hätte.

„Mir ist nur nicht ganz klar, warum der Youkai, der dafür verantwortlich ist, den Zauber noch nicht aufgehoben hat. Er muss gespürt haben, wer sich da genährt hat. Er sollte wissen, dass er keine Beute machen kann, sondern viel mehr sein eigenes Leben verlieren wird. Er sollte aufgeben, bevor es zu spät ist“, sagte Sesshoumaru.

„Aber du hast doch eben noch gemeint, der Dämon sei schon so gut wie tot!“, rief Mako gespielt überrascht.

Der Lord hob eine Augenbraue.

„Ich meine, wenn sein Tod schon von dir beschlossen worden ist, warum soll er dann jetzt noch aufgeben? Du würdest ihn doch ohnehin nicht verschonen!“

Mitsura rollte genervt die Augen, als Sesshoumaru einen seiner Eisblicke auf Mako warf.

„Wie zwei Kinder...“, murmelte sie vor sich hin, allerdings so leise, dass die beiden es nicht hörten.
 

Zehn Minuten später waren sie an einer tiefen Schlucht angekommen. Weit und breit war nichts von Kuraifaia oder ihren Begleitern zu sehen, aber die Witterung verriet ihnen, dass sie an dem klaffenen Spalt entlang gegangen sein mussten. Der in der Luft hängende Duft war nun stärker wahrzunehmen und kleinste Anzeichen verrieten bereits Sesshoumarus Nervösität. Seine Schritte wurden unmerklich schneller.

Dann jedoch blieben sie alle wie angewurzelt stehen, als – ganz in der Nähe – ein lautes Krachen ertönte. Sofort fiel alle scheinheilige Ruhe von ihnen ab und sie rannten alarmiert los. Die Schlucht machte einen scharfen Knick und vor ihnen tat sich ein ungewöhnliches Bild auf:

In den Boden am Rande der Schlucht waren zwei Holzpflöcke gerammt, an denen zerrissene Seilenden hingen. An der Felswand auf der anderen Seite, gut zweihundert Meter entfernt, hing die Bretterkonstruktion gleich einer langen Strickleiter hinunter. Überall lösten sich kleine Steine und polterten in den Abgrund.

Am oberen Ende der Hängebrücke hielt sich Kuraifaia fest, sie schwebte frei in der Luft, nur gehalten von einigen morschen Seilen. Oben auf dem sicheren Fels hatte sich Kôgyoku auf die Knie niedergelassen und streckte der Youkai verzweifelt seine Hand entgegen, aber sie war zu weit entfernt.

„Wenn sie es schafft hochzukommen, ist sie weg“, sagte Mitsura leise. „Wir kommen hier nicht rüber und Kuraifaia wird sich hüten, den Dämon umzubringen, was den Zauber auflösen würde. Wir müssten einen Weg um die Schlucht herum finden...“

Aber Kuraifaia schaffte es nicht. Die Seile waren alt und vermutlich von dem Dämon, der sie extra für vorbeikommende Dämonen dort gelassen hatte, auch angesägt. Jedenfalls hielten sie das Gewicht der Prinzessin nicht. Die Seile rissen und mit einem leisen Aufschrei stürzte Kuraifaia mit samt der Hängebrücke in die Schlucht.

Sesshoumaru zögerte keine Sekunde. Er trat über den Rand der Schlucht und sprang hinunter. Unter seinen Füßen lösten sich allerlei Steine und behinderten ihn, doch er schlitterte weiter, immer von dem ein oder anderen Vorsprung abspringend. Ab und zu fiel er zu lange, gewann zu viel an Geschwindigkeit und überschlug sich sogar einmal in der Luft. Seine Rüstung bekam zahlreiche Kratzer ab, aber das störte nicht im Geringsten. Er war auf dem Weg nach unten. Auf dem Weg nach Anis.
 

Mitsura wollte Sesshoumaru hinterher, wollte ihn aufhalten, doch Mako riss sie unsanft zurück.

„Mako, was soll das!?“, zischte sie ihn an.

„Du kannst jetzt nicht hinunter!“, erwiderte er scharf.

„Ach und wieso nicht!? Was ist überhaupt, warum ist Kuraifaia geflohen? Du hast doch mit ihr geredet, nicht wahr? Komm, ich weiß es doch! Warum hast du ihr zur Flucht verholfen, warum!?“, fragte sie anklagend.

„Ich bot ihr eine Fluchtmöglichkeit an, das stimmt. Ich rechnete auch damit, dass sie annahm. Sie war verwirrt und verletzt. Vielleicht fühlte sie sich auch durch mich oder ihre Vergangenheit unter Druck gesetzt. Vielleicht brauchte sie nur Zeit, um über alles nachzudenken. Aber ich habe mit ihr gesprochen und du hattest Recht: Es ist besser, wenn sie Sesshoumaru heiratet“, erzählte er.

„Aber dann... Du hast doch nicht etwa...!?“ Mitsura schnappte empört nach Luft.

„Doch, das habe ich. Sieh doch mal, wenn wir alle uns auf Sesshoumarus Seite geschlagen hätten und sie schlichtweg gar keine andere Wahl gehabt hätte, dann wäre dies wirklich eine erzwungene Heirat gewesen! Aber wenn sie jetzt zurückgeht, dann ist das ihre eigenen Entscheidung. Sie wird ihr Schicksal sehr viel bereitwilliger entgegen nehmen. Und noch etwas muss geschehen, damit sie glücklich in diese Ehe gehen kann: Die Gefühle für Sesshoumaru müssen erweckt werden. Da unten werden sie allein sein. Niemand wird sie stören. Und wenn sie wieder aus der Schlucht kommen, dann werden sie ihren Frieden miteinander gefunden haben“, erklärte ihr Bruder, doch es klang ein trauriger Unterton dabei mit, fast wie bei einem Vater, der zusehen muss, wie sein Kind flügge wird.

„Deswegen hast du diesen Dämon...?“

„Ja. Das mit den Menschenjungen und dem Hund war eine glatte Lüge. Ich habe diesem Dämon gesagt, dass er für die nächsten Dämonen, so mächtig sie auch sein mögen, auf jeden Fall seinen Zauber wirken lassen soll“, gestand er zynisch lächelnd. „Ist ein alter Bekannter von mir.“

„Und zur Belohnung hast du ihm versprochen, dass er verschont wird?“

„Nun ja... Ich hab ihm gesagt, FALLS er sterben wird, würde es kein langer und qualvoller Tod sein. Wenn er seine Sache gut macht, werde ich seinen Tod inszenieren und er bleibt am Leben. Er ging bereitwillg darauf ein, hatte wohl schon von dem berühmten Folterknecht des Südens gehört...“, sagte Mako grinsend.

„Nun, ich hoffe mal, dass dein Plan aufgeht. So eine große Leuchte was Strategien angeht bist du ja bekanntermaßen nicht...“, murmelte Mitsura leise.

„Oh, glaub mir. Für das zukünftige Fürstenpaar des Westens reicht es allemal“, versicherte ihr Mako und klopfte ihr verschwörerisch grinsend auf die Schulter.
 

XxX
 

Ja, ich weiß, ich bin gemein... aber hier breche ich ab.

Und glaubt mir, der obligatorische zehnte Fluchtversuch kommt natürlich auch noch!

Alte Gefühle neu erwacht

Es ist so weit.

Endlich kommt es.

Das GROßE!

AUF DAS IHR ALLE GEWARTETE HABT!!! *aus "Harry Potter" zitier*

Darf ich um einen Trommelwirbel bitten?

*Trommelwirbel* Da-da, da-da, da-da-dadada! Da-da, da-da, dadadadada-da!

DAS FINALE BEGINNT!!!

Das Treffen zweier Liebenden, die doch Feinde waren und sind, über fünf Jahre getrennt... Hass oder Liebe? Vereinigung oder Trennung? Freude oder Schmerz? Happy End oder melodramatischer Abschluss?

JETZT ENDLICH KOMMT ES RAUS!!!!
 

*hust*

Ächem, ja... Nun, ich wollte lediglich eurer Vorfreude und Begeisterung genüge tun XD Auch wenn sich meine Kommischreiber in letzter Zeit zurückgehalten haben... Aber genug geschwafelt, hier kommt das Kapitel:
 

XxX
 

„Scheiße!“ Kuraifaia trat heftig gegen die Felswand. Sie sah senkrecht an ihr hinauf, aber das einzige, was die erkennen konnte, war ein schmaler Streifen blauen Himmels.

Als sie in die Schlucht gestürzt war, hatte sie erst etwa auf der Hälfte der Strecke einen kleinen Felvorprung zu fassen bekommen. Doch durch die Geschwindigkeit, die sie an diesem Punkt schon erreicht hatte, war der Fels abgebrochen. Jetzt war ihr Arm sicher mindestens verstaucht, aber dank ihrer dämonischen Heilkräfte stellte das kein Problem dar. Ansonsten hatte sie sich nur ein paar Schürfwunden geholt und von einer Wunde an ihrer Schläfe quoll stetig Blut.

Kuraifaia machte jedoch sich nicht wirklich Sorgen um ihren Zustand. Auch nicht um ihre beiden Begleiter. Wenn sie klug waren, setzten sie ihren Weg einfach fort, vielleicht würden sie auch warten, bis sie hinauf geklettert war. Dummerweise würde sie das jetzt kaum noch können. Sesshoumarus Geruch nährte sich in bedenklichem Tempo und sie wusste instinktiv, dass sie ihm heute, jetzt, gegenübertreten musste.

„Scheiße!“

Es hatte keinen Sinn, sich jetzt an den Aufstieg zu machen. Sesshoumaru würde sie zurück zum Schloss bringen und dann musste sie heiraten. Sicher war alle schon vorbereitet und man wartete nur noch auf die Braut. Die hier, in einer dunklen Schlucht saß, und ihre Dämonenkräfte nicht gebrauchen konnte. Beste Voraussetzungen!

Die Prinzessin besah sich noch einmal den Stein. Er war nicht besonders glatt, bot aber auch wenig Möglichkeiten Fuß zu fassen. Dennoch, es wäre ja gelacht, wenn sie hier nicht heraus käme.

Der Geruch kam noch näher und langsam stieg Panik in ihr auf. Sie wollte ihn nicht sehen, sie wollte nicht, sie war noch nicht bereit...! Aber dann hörte sie Schritte, leise, vorsichtig. Sie glaubte ihr Herz müsse stehen bleiben, als sie seine Gegenwart direkt hinter sich spürte.

„Anis...“, flüsterte er. Seine Stimme zu hören, erstmals, nach so langer Zeit, war grauenvoll. Etwas wie ein Stromschlag ging durch ihren Körper und sie unterdrückte ein Zittern. Sie schloss die Augen, um ihre Ruhe zurückzubekommen, doch es war vergebens. Sie war in Panik. Sie hatte Angst. Angst vor dem, was geschehen würde.

„Nein...“, wisperte sie, ohne sich zu ihm umzudrehen. „Nennt mich nicht Anis. Das ist vorbei, das ist Vergangenheit. Wenn ihr mich schon ansprechen müsst, dann nennt mich Kuraifaia.“ Ihre Stimme klang seltsam kalt, obwohl sie diesen Ton gar nicht beabsichtigt hatte.

„Ich kam nicht her, um Kuraifaia, die Prinzessin des Südens zu holen. Ich kam, um Anis zu treffen“, sagte Sesshoumaru leise. Kuraifaia spürte die Berührung seiner Finger auf ihrer Schulter und zuckte leicht zusammen. „Ist sie hier?“

Seine Worte, strafend und bedauernd, sanft und kalt, ausdruckslos und vielsagend, jagten ihr einen Schauer über den Rücken. Alte Gefühle, längst vergessen und verdrängt erwachten erneut im Moment ihrer Berührung. Fluchend und schimpfend, bedauernd und verzweifelt, traurig und wütend zugleich musste sie sich eingestehen, dass sie sich noch immer zu ihm hingezogen fühlte. Nein, nicht noch immer: Schon wieder.

„Die Anis, die ihr sucht, existiert schon lange nicht mehr“, flüsterte sie, doch ihre Stimme zitterte verräterisch.

„Doch“, sagte der Dämon bestimmt und mit einer einzigen, fließenden Bewegung drehte er sie herum und zwang sie, ihn anzusehen. „Du hast sie weggesperrt, begraben, aber sie ist noch da.“

Und sie spürte, dass er Recht hatte. Unter seinem intensiven Blick schmolz ihr Herz dahin. Seine wunderbaren, goldenen Augen, das silbrig glänzene Haar... Sie hatte ihn nie besonders vermisst, aber in diesem Moment fragte sie sich, wie zum Teufel sie die ganze Zeit ohne ihn hatte leben können. Eine Sehnsucht erwachte in ihr, sie wollte ihm noch näher sein, wollte die Bindung, die da einmal gewesen war, wiederherstellen. Wunschdenken.

Sanft legte Sesshoumaru seine Hand unter ihr Kinn und hob es etwas an, um ihre Augen mit den seinen gefangen zu nehmen.

„Sag, empfindest du denn überhaupt nichts für mich?“ Weg mit der Maske, weg mit jeder Täuschung. Trauer und Verzweiflung sahen ihr durch seine Augen entgegen. Und plötzlich bereute sie es, dass sie so hart über ihn geurteilt hatte.

„Wie könnte ich etwas anderes als Hass für jemanden empfinden, der meinem Land und meinen Freunden so viel Leid gebracht hat?“, wisperte sie und spürte, wie ihre Augen feucht wurden. „Ihr wisst nicht, wie es mir ergangen ist! Fast mein gesamtes Rudel, bei denen ich Aufnahme fand, starb im Krieg oder wurde von Hundedämonen aus dem Westen getötet!“ Sie schämte sich, schämte sich für ihre Gefühle zu ihm. Es kam ihr wie Verrat vor, den Mann zu lieben, der doch der größte Feind all ihrer Freunde war. Nein. Gewesen war.

„Diesen Krieg zu beginnen, mag falsch gewesen sein, aber es war meine und auch deine Pflicht, ihn fortzuführen. Jetzt aber können wir ihn gemeinsam beenden“, erwiderte der Weißhaarige. „Wenn du mir verzeihen kannst...“

Sanft fuhren seine Finger an ihrem Hals entlang. Ein wohliges Gefühl machte ich in ihr breit und sie wusste nicht, wie sie noch länger Widerstand leisten konnte.

„Was immer zwischen uns ist, wurde bereits von allen Seiten gebilligt. Das wir trotz all der Trennungen immer wieder zusammengeführt worden sind, kann nur bedeuten, dass wir füreinander bestimmt sind!“, sprach er auf sie ein, einen sehnsüchtigen, verlangenden Unterton in der Stimme.

„Nein, es bedeutet nur, dass ihr ein schlechter Verlierer seid“, murmelte Kuraifaia zynisch, während sie den Blick abwandte.

Dann tat Sesshoumaru etwas, was er nie zuvor getan hatte: Er lachte. Ein leises, ehrlich amüsiertes Lachen, nur wenig mehr als ein Lächeln.

„Mag sein.... Aber weißt du...“ Er zog sie noch näher zu sich und berührte mit den Lippen sanft die Stelle an ihrer Schläfe, wo sie von dem Sturz eine Wunde davon getragen hatte. Zärtlich küsste er das Blut von ihrer Haut. „Ich verliere nicht sehr oft...“

Kuraifaia erschauderte erneut unter seinen Berührungen. In ihrem Inneren kämpfte es: Einerseits wollte sie die alte Zeit zurück, wollte ihn lieben und geliebt werde, mit ihm in Harmonie zusammenleben. Sie wollte sich ihm hingeben, ihm vertrauen, auf ihn zählen können. Andererseits erschien es ihr falsch, auch nur mit ihm hier zu stehen, ihn nicht abzuweisen. Er hatte sie damals verlassen, und jetzt, wo sie eine Prinzessin war, kam er zurück und wollte, dass sie ihm verzieh? Wie konnte sie sicher gehen, dass er sie nicht erneut fallen ließ? Und da waren auch noch Kôgyoku und Shinkara. Konnte der Lord, oder jetzt bald Fürst denn erlauben, dass sich seine Gefähritn um ein fremdes Kind kümmerte? Soweit sie wusste, war Derartiges noch nie zuvor vorgekommen! Und noch etwas war da, etwas, was sie jedes Mal spürte, wenn er ihr nahe kam. Es war kalte, instinktive Angst. Dieser Youkai hatte Macht, er konnte alles mit ihr anstellen, was er wollte und niemand konnte es verhindern. Er hatte es selbst gesagt, er verlor so gut wie nie. Das betraf nicht nur sein Können im Kampf, nicht nur seine Geschicklichkeit oder Eleganz. Er hatte Einfluss, beherrschte bald halb Japan! Er brauchte ihre Zustimmung nicht, um sie zur Gefährtin zu nehmen. Er brauchte überhaupt nichts. Auch nicht ihre Liebe. Allein was er alles tun KÖNNTE, jagte ihr Angst ein, unabhängig davon, ob er es auch tatsächlich tun würde. Wie konnte sie einen Gefährten lieben, vor dem sie sich fürchtete?

Dennoch, würde Sesshoumaru nicht all seine Macht einsetzen, um sie zu beschützen? Würde er ihr nicht alles geben, was sie sich wünschte? Würde er ihr nicht alle Liebe geben, die er für sie empfand, wenn sie sie nur annähme? Doch der Preis dafür wäre ihre Freiheit, ihre Unabhängigkeit. Es gäbe nur einen Hundedämonen in ganz Japan, der über ihr stünde, doch der hatte absolute Macht über sie. Doch was zerbrach sie sich den Kopf? Sie musste ohnehin tun, was er sagte. „Wenn ich.... Wenn ich mit euch ginge, dann... Dann würdet ihr mich beschützen, nicht wahr? Vor mir selbst und... vor meinen Zweifeln...“, flüsterte sie und sah ihn wieder direkt an.

Sesshoumaru antwortete nicht sofort. Er schwieg kurz, dann erwiderte er: „Wenn du glaubst, mich niemals lieben zu können, dann werde ich auch nichts dergleichen von dir verlangen. Wenn du dich zum Wohle des Südens für eine Heirat entscheidest, so könntest du auf dem Schloss des Südens leben, während ich zurück in den Westen ginge.“

Kuraifaias Augen weiteten sich erstaunt. „Dazu... wärt ihr bereit?“ Nein, das konnte sie doch nicht verlangen! Nicht bei all der Liebe, die er zu ihr empfand!

„Anis... Kuraifaia. Hast du mich damals geliebt?“, fragte er merkwürdig ernst.

Sie wandte den Kopf ab, blinzelte die Tränen weg und wisperte schließlich kaum hörbar: „...ja...“

„Liebst du mich jetzt?“

Ihr Herz schlug verräterisch laut, aber sie verstand die Botschaft nicht, die es ihr geben wollte. Liebte sie ihn? Ja? Nein?

„Ich weiß es nicht...“, antwortete sie ehrlich. Sie vermochte nicht, ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen und getraute sich nicht, sie zu analysieren. Es kam ihr falsch vor, wie etwas kostbares, zerbrechliches, das sie behüten musste und nicht zeigen durfte. War es Liebe?

„Wenn du es nicht weißt... Dann werde ich dir helfen, es herauszufinden.“

Kuraifaia hielt den Atem an. Sesshoumaru trat vor, seine linke Hand wanderte an ihre Hüfte und mit sanftem Druck dirigierte er sie in seine Arme. Näher kam er ihr, immer näher, bis sie seinen Atem auf ihrer Haut spüren konnte. Bereitwillig kam sie ihm ein wenig entgegen, als er seine Lippen zögerlich auf ihren Mund legte. Es war nur eine hauchzarte Berührung, wie das Streifen eines Schmetterlingsflügels oder eine zarten Brise, aber sie genoss es in vollen Zügen. Wieder küsste er sie, diesmal mutiger, strich mit seiner Zunge sanft über ihre geschlossenen Lippen und bat um Einlass. Sie zögerte, ließ ihn warten, doch er wurde drängender. Seine rechte Hand legte sich in ihren Nacken, spielte mit einer ihrer Haarsträhnen. Einen Moment lang war die ganze Situation ungezwungen und die anfängliche Anspannung fiel von ihr ab. Sie ließ sich fallen in seine Umarmung und öffnete leicht ihren Mund.

Sesshoumarus nutzte die Gelegenheit sofort und seine Zunge glitt zwischen ihren Lippen hindurch, erforschte das unbekannte und bislang verbotene Gebiet. Kuraifaia genoss seine Liebkosungen und nahm sofort die Herausforderung zu einem kleinen Spiel an, als seine Zunge zärtlich gegen die ihre stubste. Ein spielerischer Kampf um die Dominanz begann, der eher einem Tanze glich. Doch schließlich rang der Dämon sie nieder und Kuraifaia ließ zu, dass er jeden Winkel in ihrer Mundhöhle sorgsam erforschte. Kurz war sie von Herzen dankbar dafür, dass sie beide Youkai waren, und somit nicht so oft atmen mussten...

Aber auch der schönste Moment geht einmal vorüber, doch als sie sich voneinander lösten, kehrte das unwohle Gefühl der Falschheit nicht zurück. Kuraifaia fühlte sich einfach nur wohl und sie wollte bei ihm bleiben, bei ihm, bei Sesshoumaru. Dort hin gehörte sie, in seine Arme. Solange er sie um sich haben wollte, würde sie ihm diesen Wunsch erfüllen, so gut es ihr möglich war.

„Und?“, fragte Sesshoumaru leise, „Hast du etwas gespürt?“

„Ja“, antwortete sie und legte ihren Kopf an seine Brust, „Ich habe etwas gefühlt. Ich habe so viel gefühlt. Und ich möchte bei euch bleiben, mein Fürst.“ Lächelnd bemerkte sie seine leichte Überraschung. „Ihr hattet Recht, mit allem. Das wir uns getroffen haben, war Schicksal. Das wir jetzt zueinander gefunden haben, war Bestimmung.“ Sie richtete sich ein wenig auf und gab ihm noch einen raschen Kuss. „Und ihr seid trotz allem ein verdammt schlechter Verlierer.“

Sesshoumaru lächelte, lächelte wie noch nie. Er war glücklich und das sah man ihm auch deutlich an. „Du... Bist du sicher, dass du mit mir kommen willst?“

„Ja, das bin ich. Wie ihr bereits sagtet, es wurde von allen Seiten gebilligt. Es kam mir zunächst falsch vor, wegen dem Krieg... Und ich hatte Angst. Angst, verletzt zu werden, durch euch, durch euren erneuten Verlust... Aber ich liebe euch und in eurer Nähe schwinden all meine Zweifel“, sagte sie fest.

Und da schloss der Lord seine Arme um sie und drückte sie an sich. So fest umarmte er sie, dass selbst ihr Dämonenkörper anfing zu schmerzen.

„Du... machst mich sehr glücklich, Kuraifaia“, flüsterte Sesshoumaru. Die Youkai schlang ihre Arme um seinen Hals und presste sich ebenfalls an ihn, als wolle sie ihn nie wieder loslassen.

Endlich hatten sie zueinander gefunden...
 

Plötzlich ertönte ein Geräusch und die zwei merkten auf. Polternd kam ein großer Stein hinunter gestürzt.

„Hey!“, ertönte eine Stimme von oberhalb. Nur die empfindlichen Ohren eine Youkais konnten sie überhaupt vernehmen. „Werdet ihr zwei da unten endlich mal fertig!?“

„Mako... Mit dem muss ich auch noch ein Wörtchen zu reden!“, sagte Kuraifaia düster.

„Hm, so etwas sollte eine zukünftige Fürstin nicht zu ihre Bruder sagen. Doch bei ihm sehe ich darüber hinweg...“, meinte Sesshoumaru, beugte sich zur ihr vor, um sanft an ihrem Hals hinab zu küssen.

„Der Trottel von Möchtegernzauberer ist tot, so langsam könntet ihr eure fürstlichen Hintern wieder hinauf bewegen!“, brüllte eben jener Bruder von oben herab.

Kuraifaia lächelte in sich hinein. „Kommt, es wird wirklich Zeit, das wir nach oben gehen."

Sesshoumarus willigte nur ungern ein. Unter seinen Füßen bildete sich eine Wolke aus Youki und ließ ihn sanft in der Luft schweben. Er reichte ihr hilfsbereit die Hand und in einem Anflug von guter Laune griff sie danach. Sofort umarmte der Weißhaarige sie wieder und sorgte so für einen sicheren Stand.

“Wenn Mako es wagt, mir zu befehlen, ich soll 'meinen Hintern bewegen', dann werde ich ihm den seinen mal versohlen müssen“, sagte sie gespielt beleidigt

„Wenn du magst, übernehme ich das für dich, dann kann dein hübscher Hintern an Ort und Stelle bleiben“, erwiderte der Lord in einem Anflug von Humor.

Kuraifaia sah ihn strafend an. „Ihr nehmt euch zu viel heraus. Mein Hintern geht euch gar nichts an.“

„Natürlich tut er das, du bist schließlich meine Gefährtin“, sagte er selbstbewusst. Er schien sich seiner Position auf einmal recht sicher zu sein.

„Noch bin ich lediglich deine Verlobte“, wies sie ihn zurecht, innerlich aber lachte sie. Seit sie die Schlucht verlassen hatten, war eine merkwürdige Unbeschwertheit über sie gekommen und Sesshoumaru erging es anscheinend nicht anders. Sie wussten, dies waren die letzten Momente, in denen sie sich ungestört necken oder die ein oder andere Beleidigung an den Kopf werfen konnten. Als Gefährten ziemte sich so etwas nicht mehr, doch jetzt würde niemand mehr seine Entscheidung rückgängig machen.

Es dauerte nur einige Sekunden, dann kamen bereits Mitsura und Mako in Sicht. Neben ihnen, wenn auch in gebührenden, höchst misstrauischen Abstand, saß Kôgyoku mit Shinkara an seiner Seite.

„Sag, wer sind eigentlich diese beiden Jungen Inuyoukai?“, fragte Sesshoumaru.

„Ach, der größere ist mein Liebhaber, ich hab mir mit ihm ein wenig die Zeit vertrieben. Der Kleine ist mein mit ihm unehelich geborener Sohn, wir wollten zusammen durchbrennen, aber daraus ist ja leider nichts geworden“, erwiderte Kuraifaia leichthin.

Sesshoumaru sah sie schief an. „Willst du mich beleidigen?“

„Nein, ich nutze nur die letzten Momente meines Lebens aus, in denen ich euch ungestört auf eurer hübschen Nase herumtanzen kann. Kôgyoku und Shinkara sind übrigens beide noch Welpen. Uns trennen über vierhundert Jahre...“, antwortete sie und warf ihm einen frechen Seitenblick zu.

„Dieser... Kôgyoku kann unmöglich jünger als siebenhundertfünfzig sein, den Anderen würde ich auf die Hälfte schätzen“, meinte Sesshoumaru. Inzwischen waren sie fast oben angekommen.

„Die beiden sind die letzten Überlebenden aus meinem Rudel. Es ist eine lange Geschichte, ich werde sie dir bei gegebener Zeit erzählen. Ich wollte sie in den Osten zu Fürst Maneru schicken, er hat die beste Kampfschule. Kôgyoku hat es sich nämlich in den Kopf gesetzt, ein eigenes Rudel zu gründen und ich will seiner Karriere nicht im Weg stehen. Aber er weigert sich, sich von Shinkara zu trennen. Er ist der Sohn einer guten Freundin von mir und ich habe versprochen, für ihn zu sorgen. Tja, jetzt kann ich ihm höchstens noch ein Empfehlungsschreiben mitgeben...“, erklärte sie traurig.

„Wenn es hilft, werde ich auch meine Unterschrift darunter setzen. Zwei junge Dämonen, die in der Gunst zweier Herrscher sind, die bald den Großteil des Landes regieren werden, wird er auf keinen Fall abweisen können“, sagte er zuversichtlich.

Kuraifaia schenkte ihm ein glückliches Lächeln. „Die beiden haben es verdient.. Sie haben genug gelitten. Wir alle haben genug gelitten.“ Sie wandte den Blick nach oben, in den weiten, wolkenlosen Himmel. „Jetzt... wird ein neues Zeitalter anbrechen!“
 

*
 

Am nächsten Tag...

Das frischgebackene Paar hatte sich mit dem Rückweg sehr viel Zeit gelassen. Während Kôgyoku mit Shinkara auf dem Wolf in Richtung Osten flogen, kehrten sie zu Fuß zurück in den Süden und beide wurden mehrmals höflich von Mitsura und Mako gebeten, endlich einen verdammten Zahn zuzulegen.

Als sie ihr Ziel erreichten, wurde ihnen ein merkwürdiger Empfang bereitet. Auf den vielen Türmen und Torbögen des Schlosses waren hunderte von Fahnen aufgestellt, die im Wind flatterten. Es war keinerlei Wappen darauf zu sehen, doch der Stoff war pechschwarz.

„Hier sieh es ja aus, als wenn jemand gestorben wäre...", murmelte Mako, als sie durch das Haupttor traten. Sofort kamen viele Diener heran und begrüßten sie wie üblich, doch sie alle hatten eine sehr bedrückte Miene aufgesetzt.

Kuraifaia beschlich ein ungutes Gefühl, erst recht, als ein Dämon in der Kleidung eines Boten herangeeilt kam und ihnen die schreckliche Neuigkeit mitteilte: Der Fürst der südlichen Länder war während ihrer Abwesenheit verstorben.

Ninushu Omaru war nicht Kuraifaias Vater gewesen und die Adoption durch ihn war hauptsächlich deswegen geschehen, weil er seinen Sohn Keisushiro verstoßen hatte und keinen Erben mehr besaß. Sie kannten sich erst gut fünf Jahre – sehr wenig Zeit für einen Dämon – aber sie war in seinem Namen und manchmal sogar von ihm persönlich ausgebildet worden. Sie hatte viele lange, und aufschlussreiche Gespräche mit ihm gehabt, er war ein weiser, wenn auch alter Mann. Das Gift, welches ihm sein Sohn heimlich verabreicht hatte, hatte ihn jedoch sehr geschwächt und schnell altern lassen. Es war von vorn herein klar gewesen, dass er bald sterben würde. Vermutlich hatte er nur so lange durchgehalten, weil er hoffte, das Ende des Krieges noch zu erleben. Der Bote hatte ihnen mitgeteilt, dass er letztendlich doch seine Zustimmung für die Hochzeit gegeben hatte. Vielleicht hatte er sich schon gedacht, dass Kuraifaia zurückkehren, ihr Land nicht im Stich lassen würde. Als die Prinzessin sich zu seinem Totenlager führen ließ, musste auch sie trotz ihrer Trauer bemerken, dass er friedlich aussah. Fast schämte sich die Youkai nicht wirklich traurig oder verzweifelt zu sein, doch ihr neugewonnennes Glück erlaubte ihr keine Tränen. Sesshoumaru, der ihre innere Zerrissenheit ahnte, erwägte für einen Moment, Tensaiga einzusetzen, ließ es dann aber doch. Der Fürst war alt und würde er weiterleben, könnten Süden und Westen nicht verschmelzen. Tatsächlich schien es fast, als hätte er nur auf diesen Moment gewartet, um zu sterben. Er wollte dies nicht kaputt machen.

Kuraifaia befahl, den Leichnam des Fürsten zu verbrennen. Sie hatte eine ähnliche Tradition in einem fremden Land der Menschen gesehen doch im mitteralterlichen Japan kannten es die Dämonen nicht. Es wurde ein großes Floß gebaut, auf den man den Fürsten in seiner wahren Gestalt legte. Das Floß wurde angezündet und dort, wo der Süden an den Ozean grenzte, ins Wasser gelassen. Die Vorbereitungen für dieses Begräbnis dauerten viele Tage und einige Dimensionsportale waren nötig, um die Entfernung zu bezwingen.
 

Sesshoumaru setzte sich in der Zwischenzeit mit Mitsura und Chikara an die Vorbereitungen für die ebenfalls anstehende Hochzeit. Alle hatten etwas zu tun, selbst Mako, der alle Dämonen, sowohl aus dem Süden als auch aus dem Westen, beseitigte, die es wagten, öffentlich Widerworte gegen das Bündnis zu erheben. Die Haushofmeister der beiden Schlösser - Hitozume und Samuke - wurden beauftragt, alles für die anstehende Feier zusammenzutragen. Tonnenweise Einladungen wurden verschickt, auch an die Fürsten des Ostens und des Nordens. Ebenfalls zum Fest kamen die Herrscher der Schlangen, der Ketsu Tori und der Füchse der westlichen, beziehungsweise südlichen Länder. Kôgyoku, der gut im Osten aufgenommen worden war, nahm die Einladung für sich und Shinkara nur widerwillig an. Für ihn war eine Feier eine perfekte Zielscheibe für Mordanschläge und er hätte viel lieber weitertrainiert, doch Shinkara, der noch nie zuvor auf einem Fest gewesen war, überredete ihn schließlich.

Seltsamerweise schaffte es Kuraifaia verhältnismäßig schnell, Sesshoumarus Zustimmung für eine Einladung an Kagome und Inuyasha zu bekommen. Ihrer Meinung nach musste die Familie, so gehasst sie auch war, eben auch dabei sein. Und schließlich war es Kagome, der sie überhaupt zu verdanken hatte, jemals im Mittelalter gelandet zu sein.

Nachdem das Begräbnis vorbei war, kehrte Kuraifaia in die Neuzeit zurück, um ihre Eltern ebenfalls einzuladen. Sesshoumaru musste wohl oder übel mitkommen, wollten sie die Dämonen davon überzeugen, dass Kuraifaia ihn aus freien Stücken heiratete. Der Besuch verlief relativ unspektakulär, sah man davon ab, dass Kantashira Kuraifaia aufdrängte, Arekisu wieder mitzunehmen. Die Hündin, welche die Prinzessin vor gut fünf Jahren in die Neuzeit mitgebracht hatte, konnte sich nicht an die anderen Hunde gewöhnen. Sie hatte lange die alleinige Gesellschaft von Kuraifaia genossen und hatte sich schon bald nicht mehr von den halbdämonischen Leithunden einschüchtern lassen. Die hatten sie bald schon halb tot gebissen.

Zurück im Mittelalter hatte Kuraifaia die Hündin Mako geschenkt, der sich zunächst noch händeringend dagegen gewehrt, die gewöhnte Anwesenheit eines Vierbeiners auf seiner Schulter dann aber doch genossen hatte.

Mitsura und Chikara hatten klammheimlich und ohne das es jemand gemerkt hätte ebenfalls geheiratet, ohne großes Trara wie es im Fürstenhaus Sitte war. Chikara, der wegen seiner Blindheit unter ständiger Angst gelebt hatte, Mitsura könnte ihn doch noch verlassen, hatte selbstverständlich nichts dagegen gehabt, auch wenn Mitsuras Grund, sich jetzt schone einen Gefährten zu nehmen, eher darin lag, dass es ihrer Meinung nach nicht ginge, dass die jüngere Schwester zuerst unter die Haube kam. Mit dem damit verbundenen Treueschwur hoben sich sämtliche Zauber auf, die sie einmal auf männliche Dämonen gelegt hatte, welche daraufhin alle Erinnerungen, die mit einer Liebe zu Mitsura verbunden waren, vergaßen. So kam es, dass ein völlig verwirrter Koga am anderen Ende von Japan sich verdutzt fragte, warum zum Teufel er fünf Jahre lang allein durch die Wildnis gestreift war und sich dann auf den Weg zurück zu seinen Freunden Ginta und Hakkaku machte.
 

Dann, endlich, einen Monat nach Kuraifaias vergeblichem Fluchtversuch, welcher in einer Schlucht geendet hatte, war es endlich soweit: Sesshoumaru und Kuraifaia sollten endlich Gefährten werden. Beide freuten sich ehrlich auf die Feier, denn durch all die Vorbereitungen und den Tod des Fürsten hatten sie nur wenig Zeit gehabt, sich zu sehen.

„Können wir nicht ein wenig von diese Schmuck weglassen? Er ist furchtbar schwer, in diesem siebenlagigen Kimono schwitze ich mich zu Tode und außerdem liegt meine Bewegungsfreiheit bei Null!“, schimpfte Kuraifaia. Sie stand seit drei Stunden auf einem hölzernen Schemel, während ein Dutzend Dienerinnen um sie herumwuselten und sie in einen, an allen möglichen und unmöglichen Enden und Ecken ausgeschmückten Kimono für die Zeromonie zwängten.

„Prinzessin, ich bitte euch, dies ist ein traditionelles Gewand! Schon vor mehr als hunderttausend Jahren trugen die Fürstinnen dies bei ihrer Hochzeit“, sagte Mizari, die Dienerin, die alles überwachte.

„So alt ist das Teil!? Da müssen sich doch schon haufenweise Motten reingefressen haben!“, rief Kuraifaia empört, obwohl sie natürlich wusste, dass ihre Aussage nicht in diesem Sinne gemeint war.

„Können wir nicht wenigstens einige von diesen goldenen Spizenbesätzen, Gürteln und Armbändern durch Perlen oder dergleichen ersetzen? Dann wäre es nicht so schwer...“, schlug sie vor.

„Nun, das ließe sich vielleicht einrichten... - Hey, ihr da!“, rief Mizari und winkte einige der Kammerzofen herbei, „Schafft Perlen heran und bestickt das Gewand neu!“

Zwei weitere Stunden später waren die Frauen mit dem Gewand endlich zufrieden. Kuraifaia wurde dazu genötigt, ein Paar Schuhe anzuziehen, die zwar prachtvoll aussahen, aber erstens unter dem langen Saum ihres Kimonos verschwanden und mit denen sie sich – so befürchtete sie – höchstwahrscheinlich die Beine brechen würde. Nun aber kam das nächste, und weitaus größere Problem heran: Ihre Haare. Die gingen ihr etwa bis zur Hüfte und die Zofen wollten sie ihr mit Haarklammern und -reifen, bunten Bändern und kleinen Krönchen zu auf ihrem Kopf verflechten, das mindestens fünf Kilo Gewicht zusammenkam. Während sich die Prinzessin – welche es inzwischen aufgegeben hatte, mit Mizari über ihre Frisur zu streiten – von einem jungen Dämonenmädchen schminken ließ, dachte sie an den morgigien Tag. Noch etwa sechs Stunden, dann würde sie mit Sesshoumaru vor dem Altar stehen! Es kam ihr seltsam unwirklich vor, dass es tatsächlich schon so weit sein sollte. Gleich im Anschluss sollte Sesshoumaru Krönung zum Fürsten sein. Im Testament seines Vaters hieß es ja, er müsste sich für dieses Amt an eine Frau binden und dass die beiden vorher schon verlobt gewesen waren, wusste ja niemand. Er würde zum Herrscher über den Südwesten erklärt werden, sie selbst war nicht offiziell Herscherin, besaß aber so gut wie alle Rechte einer solchen. Kuraifaia hatte bereits eine Menge an Gästen gesehen, darunter auch einige weibliche Dämoninnen, die aus einem ganz bestimmten Grund ihr Missfallen an der Hochzeit kundgetan hatten. Da war sogar ein Attentäter gewesen, der wohl von irgendeinem Politiker beordert worden war, sie zu töten. Mako hatte für alle den Rausschmeißer gespielt.

„Sagt Prinzessin, seid ihr denn gar nicht aufgeregt?“, fragte das Mädchen welches sie schminkte schüchtern.

„Aufgeregt? Nun, eigentlich nicht. Ich hoffe nur, dass auch wirklich alles glatt laufen wird. Und das ich mich nicht blamiere... Weißt du, ich hab noch nie geheiratet“, fügte sie ironisch hinzu.

Dadurch ermutigt meinte die Zofe: „Nun, aber es ist eine furchtbar wichtige Zeremonie und es werden so viele mächtige und furchteinflößene Personen da sein.“

Furchteinflößene Personen? Kuraifaia musste schmunzeln: Damit war sicher ihr zukünftiger Gemahl gemeint.

„Ich habe keine Angst, denn ich habe nichts zu befürchten. Wird dieses Fest nicht zum Teil auch zu meinen Ehren gefeiert? Wie könnte ich Angst haben?“, antwortete sie.

„Nun, aber... Ich habe Angst...“, murmelte sie und schielte zur Tür hinüber.

Kuraifaia verstand. Nach dem zweiten Mordanschlag hatte sich ihr Bruder Mako vor der Tür als Wache postiert und weigerte sich strikt, den Platz zu räumen. Auch er zählte wohl zu den furchteinflößenen und mächtigen Personen.

„Und da wäre ja auch noch euer zukünftiger Gefährte selbst“, fuhr das Mädchen fort. „Es gibt viele hier, die um euer Wohl besorgt sind.“

Die Inuyoukai wandte blitzschnell den Kopf und starrte der verschreckten Dienerin ins Gesicht. „Jetzt wagst du zu viel“, knurrte sie drohend.

„Verzeiht, Herrin! Ich weiß natürlich, dass wir nicht so sprechen dürfen...“ Sie verbeugte sich eilig.

Die Prinzessin lehnte sich wieder zurück, aber wirklich beruhigt war sie keineswegs. Als wenn Sesshoumaru sie unter Druck setzen würde!

Fünf Stunden später waren sie endlich mit allem fertig und Kuraifaia wurde herausgeführt. Vor der Tür wachte nach wie vor ihr Bruder, der ihr nun zunickte und den Weg voraus ging. Arekisu, die die lange Zeit mit einem Nickerchen totgeschlagen hatte, musste erst aufgeweckt werden, bevor sie ihrem neuen Herrn folgte.

Die Prinzessin wurde zu einem relativ kleinem Gang geführt, der zu der Terrasse führte. Die Zeremonie sollte draußen, vor den Gärten stattfinden, da sich selbst in dem riesenhaften Schloss kein Zimmer finden ließ, das groß genug wäre, um alle Gäste zu beherbergen. Die Terrasse selbst war zu einer Art Bühne umgestaltet und vielfach ausgeschmückt worden. Schon allein der Wandteppich der ausgehangen worden war, musste ein kleines Vermögen gekostet haben – selbst für dämonische Maßstäbe. Auf dem Rasen dahinter tummelten sich die Hohzeitsgäste – Fürsten und Heerführer, normale Dämonen des einfachen Volkes und hohe Adlige, Füchse-, Schlangen-, Vögel- und natürlich Hundedämonen. Alle standen dicht an dicht, mit Ausnahme einer kleinen Lücke, in der man Kagome und Inuyasha ausmachen konnte, zu denen sich keiner so recht gesellen wollte und von denen alle überrascht waren, dass diese nicht nur zu einer dämonischen Hochzeit eingeladen, sondern auch tatsächlich dort erschienen waren.

All diese Leute konnte Kuraifaia jedoch nicht sehen, denn sie waren hinter einem dicken Seidenvorhang verborgen. Doch ohnehin hätte sie sie wohl kaum beachtet, denn sie hatte nur Augen für Sesshoumaru.

Auch er war von einer Traube von Dienern umgeben, die mutig genug waren, an seinem Kimono noch dieses oder jenes zurechtzuzupfen. Er schien sich in den traditionellen Gewändern ebenso unwohl zu fühlen wie sie selbst. Seine Kleidung war hauptsächlich mit Silber und Gold verziehrt, was herrlich zu seinen Augen und seinen Haaren passte. Während die Stoffe ihres Kimono viel Violett, weiß und Mitternachtsblau enthielten, waren seine in türkis, gold und purpur gehalten. Seine Haare waren zu einem eleganten Zopf nach hinten gebunden worden und er wirkte erwachsener. Seine Erscheinung würde allen Youkai gewiss Respekt und Furcht einflößen, doch er strahle auch Macht, Stärke und Autorität aus. Er würde sich zu seiner Krönung, die unmittelbar nach der Hochzeit folgte, schließlich nicht noch einmal umziehen.

Als er sie entdeckte, hellte sich sein Gesicht merkbar auf.

„Kuraifaia! Ich befürchtete schon, du würdest zu spät kommen. Man erwartet uns bereits“, sagte er. Trotz seiner gelassenen Miene konnte sie ein Aufleuchten in seinen Augen sehen. Hier, im Beisein Anderer, konnte er nicht offen Gefühle zeigen. Doch er trat zu ihr, verscheuchte die Dienerinnen mit einer Handbewegung und musterte sie scheinbar kritisch. Dann beugte er sich leicht, fast wie zufällig, zu ihr und flüsterte: „Du siehst aus wie eine Göttin.“

Kuraifaia unterdrückte ein Lächeln und zusammen traten sie vor den Vorhang. Dahinter hielt gerade eines der ältesten Ratsmitglieder des Südens einen langen Vortrag über die Nützlichkeit ihrer Verbindung, ihm waren viele Redner vorausgegangen. Er endete mit einer großen, pompösen Ankündigung, das war ihr Stichwort. Der pupurrote Vorhang vor ihnen löste sich praktisch in Luft auf, silberne und goldene Funken fraßen sich von unten aufwärts in den Stoff. Rasend schnell wie ein Feuer breiteten sie sich aus und ein herrliches Farbenspiel konnte von den Gästen bewundert werden. Sesshoumaru und Kuraifaia traten hervor und sofort stürzten sich die Lichtfunken auf sie und blieben an ihrer Kleidung haften. Auf Außenstehende wirkte es, als wären sie zwei leuchtene Sterne, die soeben vom Himmel herabgestiegen waren. Bewundernes Raunen erfüllte den Garten.

"Die Gründe für diese Hochzeit wurden nun genügend offengelegt. Sollte dennoch jemand etwas dagegen zu sagen haben, so möge er jetzt sprechen!", forderte der Youkai, der zuletzt seine Rede gehalten hatte, die Gäste auf. Totenstille folgte.

"Nun denn..."

Sowohl Sesshoumaru als auch Kuraifaia kannten die Worte auswendig, die sie sagen mussten. Eine dämonische Hochzeit brauchte keinerlei heiligen Segen wie es bei den Menschen Sitte war. Sie beruhte auf Magie, auf tiefer, einmal ausgesprochen nie mehr zu widerlegender Magie.

In den hölzernen Boden der Bühne hatte man einen rituellen Kreis geschnitzt, mit uralten Symbolen der Verschmelzung. Tiefe Rillen zogen sich durch die Planken. Sie waren angefüllt mit einer Mischung aus Wasser und mächtigen, magischen Pflanzenteilen. Nur an zwei Stellen, an jeweils gegenüberliegenden Punkten des Kreises war die Spur der Flüssigkeit unterbrochen.

Die beiden Dämonen ließen sich auf die für sie vorbereiteten Sitzkissen nieder und griffen sich je einen der silbernen Ritendolche.

„Ich, Kuraifaia Vanderobe, Thronerbin der südlichen Länder der Inuyoukai, möchte mich am heutigen Tage an Sesshoumaru, den Lord der westlichen Länder binden. Ich werde ihm folgen, wohin ich ihm folgen soll und ihm auf ewig ǵehorsam sein“, schwor sie feierlich. Ein kurzer Schnitt mit dem Messer und einige Blutstropfen fügten sich in die Rillen im Holz ein.

Nun war Sesshoumaru an der Reihe:

„Ich nehme das Versprechen der Prinzessin hiermit an. Auf ewig werde ich sie schützen und respektieren.“ Auch schnitt sich mit dem Dolch in die Hand und ließ sein Blut auf den Boden tropfen. Etwas wie winzige, sanft wogende Wellen lief durch das Gemisch der Flüssigkeiten in den Rillen, die nun alle Spalten ausfüllten. Zuerst grünlich-durchsichtig wurde es jetzt tiefblau und wenn man genau hinsah, konnte man sogar winzige Bläschen aufsteigen sehen. Einen festlichen Moment lang herrschte Stille, dann stieg ein heller, süßlich riechender Nebel von dem Kreis auf und hüllte die daneben Sitzenen ein. Sanft streckte Sesshoumaru Kuraifaia seine Hand entgegen. Die Youkai nahm sie an und sie näherten sich in schweigener Eintracht und besiegelten das Ritual mit einem zärtlichen Kuss.
 

*
 

Drei Stunden später, im Schlossgarten...

Ein lautes Platschen war zu hören. Das Wasser schlug Wellen, die schnell das Ufer des kleinen Teiches erreichten. Ein Seufzer hallte von dort her.

„Mako, was ist denn los?“, rief eine junge Dämonin von hinten. Der Angesprochene antwortete nicht, sondern ergriff stattdessen einen weiteren Stein. Arekisus Augen folgten neugierig dem riesigen Frosch, der erschreckt vor dem erneuten Geräusch flüchtete.

„Wieso bist du nicht auf der Feier? Sie ist wunderbar!“, meinte Mitura und ließ sich neben ihrem Bruder zu Boden fallen.

„Hab keine Lust...“, murmelte er nur.

„Keine Lust? Es ist die Hochzeit deiner Schwester!“, protestierte sie.

„Eben...“

„Was denn, immer noch frustriert, dass du Kuraifaia an den Lord verloren hast?“, fragte die junge Frau ungläubig.

„Hör auf ihn so zu nennen!“, fuhr er sie an, „Dieser arrogante Möchtegerndämon ist nicht viel besser als der Rest der Gesellschaft!“

„Genau genommen MUSS ich ihn so nennen, genau wie du“, erwiderte sie spitz. „Chikaras weitere Laufbahn hängt vollkommen von ihm ab, ich kann ihn nicht im Schlaf ermorden, wie du das vielleicht gerne tätest! Außerdem wurde mir dort ein Job als Heilerin angeboten. Der Schlossarzt hat wohl den Geist aufgegeben, war schon ein alter Mann – und bevor du fragst, nein, damit hatte ich nichts zu tun“, erzählte sie.

„Also wirst du dich auch niederlassen...“, murmelte Mako.

„Was soll das heißen? Warum ziehst du so ein Gesicht?“, wollte seine Schwester wissen.

Erneut seufzte er. „Weißt du nicht mehr, was wir für ein tolles Gespann waren? Ich, du Anis und... und Toko. Zusammen waren wir doch unschlagbar. Aber was ist aus uns Geschwistern geworden? Wir haben uns nur noch auseinander gelebt...“, murmelte er.

„Was redest du da!? Kuraifaia ist glücklich verheiratet, genau wie ich. Du solltest dich für uns freuen! Und Toko ist nicht auf ewig von uns gegangen, er lebt in dir weiter. Es ist doch alles in bester Ordnung!“, widersprach sie ihm.

Er schüttelte den Kopf. „Toko geht es nicht gut. Er... Er langweilt sich immer öfter, findet keinen Gefallen mehr an Dingen, die er am Anfang noch gern hatte. Es gibt immer öfter Stunden, in denen er kein Wort zu mir spricht. Ich... Ich mache mir Sorgen, dass er bald zurück ins Nirwana will“, flüsterte er.

Mitsura schwieg daraufhin kurz, sagte dann aber: „Wenn dein Bruder zurück will, darfst du ihm das auch nicht übel nehmen. Es ist unnatürlich, eine Seele so lange von ihrem wahren Bestimmungsort fernzuhalten. Aber ich denke auch, dass er in gewisser Weise will, dass du anfängst, dein Leben selbst zu leben. Und zwar für dich, für dich allein. Du hast immer für andere gekämpft, jetzt ist es an der Zeit, auch mal an dich zu denken. Ich bin glücklich, Anis ist glücklich und auch Toko scheint sich mit seinem Schicksal abgefunden zu haben. Es ist an der Zeit, dass du für DICH kämpfst!“

Mit diesen Worten stand sie auf und ließ Mako allein mit seinen aufgewühlten Gedanken zurück. Nun, fast allein.

'Sie hat Recht. Du darfst dich nicht zu sehr an meine Anwesenheit gewöhnen. Es ist besser, wenn ich gehe.'

'Toko!'

'Ich gehöre jetzt nur noch zu deiner Vergangenheit. Du wirst mich sicher nie vergessen können und auch ich werde das nicht, aber es ist wichtig, dass du mit mir abschließt', flüsterte die Stimme seines Bruders ihm zu.

'Ich will aber nicht, dass du gehst! Nie wieder werde ich jemanden so lieben können wie dich! Eine Zukunft wie die meiner Schwestern kommt für mich nicht infrage, und das weißt du auch!', erwiderte er aufbrausend.

'Mako... Ich verlange nicht, dass du einen Ersatz für mich suchst – für mich gibt es keinen Ersatz – aber du solltest dir doch neue Wege eröffnen. Du solltest dich auch mal wieder vergnügen – hier auf der Party gibt es ne Menge schöner Frauen, such dir eine aus!'

'Soll das ein Witz sein?'

'Nein... eigentlich nicht. Ich weiß, als ich noch gelebt habe, war das undenkbar. Man kann es halt keinem weiblichen Wesen zumuten, zwei Männern gleichzeitig treu zu sein...' Außerdem wäre die Liebe zu einer Frau wohl das Einzige gewesen, was die Zwillingsbrüder hätte entzweien können.

'Aber ich kann es einer Frau zumuten, nie so von mir geliebt zu werden, wie ich dich liebte, oder was!?', meinte Mako sarkastisch.

'Weißt du... ich glaube schon. Zählen nicht hauptsächlich die Taten eines Mannes? Du könntest einer Gefährtin sämtliche Symptome der Liebe vorführen, denn du hast alle Zeit der Welt. Du bist der Bruder der Gefährtin des Herrschers über ganz Japan und du hast keine feste Aufgabe – du hast jede Menge Zeit und Mittel zu welchem Weg auch immer, du musst dir nur einen aussuchen!'

Makos Miene wurde traurig. 'Warum sagst du so etwas zu mir? Du... Du verletzt mich damit...'

'...ich sage es, um deine Seele zu retten. Ich weiß, dass ich an deiner Stelle stets genauso wie du gehandelt hätte, aber wenn man es vernünftig betrachtet, ist es falsch, sein Leben so wegzuwerfen.'

'Du bist gemein. Du weißt genau, womit du mich überzeugen kannst', erwiderte er.

'Natürlich weiß ich das', antwortete Toko, 'ich bin schließlich dein Bruder. Und jetzt guck mal, du hast Besuch. Da kommt eine junge Youkai, siehst du sie? Die in dem blauen Kimono, mit den weißen Haaren. Ich sag's dir, die kommt jetzt bestimmt rüber und spricht dich an. Deine Chance!'

'Unsinn. Die wird garantiert nicht mir mir sprechen, ist schließlich aus dem Westen', widersprach er.

'Wollen wir wetten? Wenn doch, wird sie deine Gefährtin, du musst mindestens hundert Jahre um sie werben, bis du dir eine anderen nehmen darfst', schlug Toko in feilschenem Ton vor.

'Und wenn nicht, bleibst du so lange in meinem Kopf, bis ich zu dir ins Nirwana komme?', verlangte Mako.

'Abgemacht! Die Wette gilt!'

Es waren die letzten Worte, die Mako jemals von seinem Bruder hörte, denn Hizozume hatte sich gefragt, wer denn der junge Mann sei, mit dem sich die ehemalige Anführerin der Shirosendo gerade unterhalten hatte...
 

Kuraifaia ahnte nichts von den betrübten Gedanken ihres Bruders, denn sie war damit beschäftigt, sich – mehr oder weniger aus Pflichtgefühl – mit jedem Gast mindestens einmal zu unterhalten. Gerade hatte sie ihre Eltern ausfindig gemacht.

„Ich hätte nie gedacht, dass ich diesen Tag noch erleben darf. Es wurde auch wirklich Zeit, dass du dir einen Gefährten suchst“, begann Sukerumaru das Gespräch.

„Wir hoffen nur, es ist der Richtige für dich“, fügte ihre Mutter, Kantashiera besorgt hinzu. „Schließlich war es trotz allem eine Zwangshochzeit.“

„Ich bin glücklich so, ehrlich“, beteuerte Kuraifaia. „Wir hätten eigentlich schon damals heiraten müssen, als wir zurück ins Mittelalter kamen. Doch nach der Trennung gelang es mir, aufgrund meiner neugewonnenen Kräfte, meine Gefühle zu ihm zu verdrängen. Er konnte das nicht und muss mich die ganze Zeit vermisst haben, während ich mich erst an meine Gefühle erinnerte, als er direkt hinter mir stand.“

„Hast du denn keinerlei Zweifel an deiner Entscheidung?“, fragte ihre Mutter besorgt.

Sie zögerte etwas. „Nun, anfangs war ich versturrt und wollte auf keinen Fall zu ihm zurück. Vielleicht hatte ich auch ein wenig Angst... Aber es war das Beste für alle und ich bin überzeugt, es wird auch das Beste für mich sein.“

„Nun, wir werden deinem Glück sicher nicht im Wege stehn. Letztendlich war es wohl doch sehr gut, dass ihr alle, du und deine Geschwister hier her gekommen seid. Mitsura hat jetzt endlich ihre Männergeschichten aufgegeben und Mako habe ich vorhin erstaunlicherweise ebenfalls mit einer Frau zusammen gesehen... Natürlich ist Tokos Tod sehr bedauerlich, aber wir sollten alle nicht mehr trauern als sein Bruder, der sein engster Vertrauter war, und dieser scheint inzwischen darüber hinweg gekommen zu sein“, meinte Sukerumaru. „Du solltest dich jetzt um deine anderen Gäste kümmern. Ich glaube, der Mensch, den du eingeladen hast, ist kurz davor gefressen zu werden...“

Kuraifaia erschrak und wandte sich in die Richtung, aus der Kagomes Geruch kam. Sie nickte ihren Eltern noch einmal kurz zu, dann verschwand sie dorthin.

Ihr Vater hatte nicht untertrieben. Zwar hielten sich sämtliche Dämonen an das geradezu heilige Verbot, dass es auf einer Hochzeit kein Blutvergießen geben durfte, aber nicht wenige von ihnen hatten einige ihrer Hunde mitgebracht, die sich üblicherweise immer in der Nähe ihrer Herren aufhielten. In vielen Gebieten war es so etwas wie Tradition, die Hunde mit Menschenfleisch zu füttern, da sie so kräftiger und meist auch blutrünstiger wurden. Niemand dachte an einem Feiertag daran, die Tiere zu füttern und so hatten sie bedrohlich einen Kreis um Kagome geschlossen, nur wenige störten sich an dem Hanyou, der ihnen im Weg stand und die Hand schon griffbereit an Tessaigas Griff hatte. Von den übrigen Dämonen kümmerte sich freilich niemand um sie, alle taten so, als würden sie nichts bemerken.

Kuraifaia durchquerte die Meute mit energischen Schritten und stieß ein tiefes, warnendes Knurren aus, während sie ihr Youki kurz aufflammen ließ. Sofort rissen die Hunde entsetzt Augen und Mäuler auf und krochen mit eingezogenem Schwanz rückwärts davon.

„Ist alles okay bei euch?“, fragte sie die beiden, die misbilligenden Blicke der anderen Dämonen ignorierend.

„Ja, alles okay... Ähm... Wer sind sie...?“, fragte Kagome. Das sie sie nicht erkannte war wohl kein Wunder, schließlich hatten sie sich über lange Zeit hinweg nicht mehr gesehen und durch ihre dämonischen Kräfte hatte sich ihr Aussehen ja auch verändert. Doch auch Kagome war kaum wiederzuerkennen, aus ihr war eine hübsche junge Frau geworden, die nicht mehr die Schuluniform trug. Wenn Kuraifaia richtig gerechnet hatte, müsste sie jetzt zweiundzwanzig Jahre alt sein. Damit sah sie sogar ein wenig älter aus als Inuyasha, der sich kaum verändert hatte und noch immer das auffällig rote Gewand trug.

„Ich bin Anis. Kannst du dich nicht mehr an mich erinnern?“, fragte sie das Menschenmädchen.

„Oh... doch! Auf der Einladung hieß es ja auch, dass du... Nun, dass du hier sein würdest“, erwiderte sie verlegen.

„Selbstverständlich, es ist ja meine Hochzeit“, erwiderte sie amüsiert.

„Hm... Sag mal du hast nicht zufällig irgendwo Shippou gesehen? Du weißt schon, den kleinen Fuchsdämon. Er wollte unbedingt mitkommen, aber jetzt haben wir ihn verloren.“

„Nun, ich glaube, ich habe ihn vor kurzem in der Nähe der Prinzessin der südlichen Länder der Kitsunes gesehen...“, murmelte Kuraifaia.

„Oh je, hoffentlich geht es ihm gut!“, sagte die junge Frau, erschrocken wegen dem hohen Rang und sich schon eine blutrünstige Youkai der schlimmsten Sorte vorstellend.

„Keine Sorge, Suchitori ist kaum zweihundert Jahre alt, ein süßes Kind. Sie freut sich bestimmt über gleichaltrige Gesellschaft, würde mich nicht wundern, wenn sie ihn auf ihr Schloss einläd...“, meinte die Inuyoukai beruhigend.

„Oh, es wäre schön, wenn er andere Fuchsdämonen kennenlernen würde. Weißt du, Sango und Miroku haben das Dorf der Dämonenjäger wieder aufgebaut und er passt ja nun nicht wirklich dahin. In die Neuzeit kann ich ihn nicht mitnehmen, ich habe gerade eine Stelle als Verkäuferin in einem Antiquariat angenommen. Bisher ist er allein mit Inuyasha bei Kaede geblieben, aber das kann ja auch nicht ewig so weiter gehen.“

„Nun, ich denke jetzt, nach der Hochzeit, wird Inuyasha nicht ganz so große Mühe haben, sich mit Dämonen zu verstehen, dafür werde ich schon sorgen. Hab ja jetzt einen gewissen Einfluss auf Sesshoumaru.“ Ein freches Läheln huschte dabei über ihr Gesicht.

„Ich kann es noch immer nicht glauben, dass jemand so verrückt sein sollte, meinen Bruder zu heiraten...“, knurrte Inuyasha.

„Das lass ihn bloß nicht hören“, meinte sie belustigt, „schließlich ist er in ein paar Minuten der Herrscher über die Hundedämonen halb Japans. Auch wenn du, als sein Halbbruder, etwa den selben Status wie mein Bruder Mako hast“, bei diesen Worten bemerkte sie entzückt das erschrockene Zusammenzucken der anderen Gäste, die Makos Ruf nur zu gut kannten und Inuyasha ob ihrer Bemerkung nun sicher etwas respektvoller behandeln würden, „kannst du doch jetzt noch viel weniger gegen ihn ausrichten als jemals zuvor.“

„Was soll das heißen, Herrscher über halb Japan!?“, fragte Inuyasha ungläubig.

„Nun, jeden Moment sollte seine Ernennung zum Fürsten stattfinden. Wenn du was dagegen hast, müsstest du ihn jetzt zum Duell herausfordern, aber das würdest du dann nun wirklich nicht überleben“, stellte sie sachlich fest.

Der Halbdämon wollte noch etwas sagen, doch in diesem Moment legte sich eine fast gespenstische Stille über alle Gäste und er hielt überrascht inne.

„Zu spät... “, wisperte Kuraifaia. „Entschuldigt mich.“ Eilig lief sie nach vorn.

Auf der Bühne war ein neuer Kreis aufgebaut worden. In der Mitte stand Sesshoumaru , links von ihr Fürst Maneru. Hinter ihnen hatte sich Fürst Arekanderu postiert und vorn ließ sich Kuraifaia nieder. Sie repräsentierten die vier Himmelsrichtungen.

Die Zeremonie war nicht weniger atemberaubend als die Hochzeit, auch wenn es keine Krone gab, die man Sesshoumaru auf den Kopf setzte – das war eine menschliche Tradition. Nachdem das Ritual zuende war, nahm der neue Fürst Kuraifaia beiseite.

„Ich bin froh, wenn all das hier vorbei ist...“, murmelte er.

„Kommt, es ist unsere Feier, wir sollten sie genießen“, erwiderte sie.

„Ich kann Feste nicht besonders gut leiden“, meinte Sesshoumaru daraufhin.

„Das werde ich euch austreiben müssen“, sagte sie, „es kann nicht angehen, dass ihr euch in Zukunft nur in eurem Schoss verkriecht.“

„Das habe ich bestimmt nicht vor. Mich graust es jetzt schon vor all den Formalitäten, die mit meiner Ernennung zusammenhängen“, antwortete der Inuyoukai.

„Keine Sorge“, beruhigte ihn die junge Frau und küsste ihn sanft, „Ich werde dir mit Sicherheit die Zeit in deinem goldenen Käfig versüßen...“
 

XxX
 

Hiermit ist die ff zuende, doch es folgt (für alle die unbedingt wenigstens einen kleinen Einblick in die Zukunft des Paares haben wollen) noch ein Epilog. Auch geeignet für solche, die sich noch etwas mehr als eine Kussszene zwischen den beiden wünschen... *das so offen stehen lass* (Wer noch auf den Epi warten will, schicke mir bitte eine ENS)

An dieser Stelle möchte ich auch noch einmal auf meine weiteren Werke hinweisen:

Im Moment arbeite ich an einer fanfiction zu Inuyasha namens "Woher soll ich das wissen!?" ( http://animexx.onlinewelten.com/fanfiction/autor/334717/199499/ ), in der unser Lieblingschara ebenfalls vorkommt. Sie steht allerdings noch in den Startlöchern, soll eher humorvoll sein und wird nicht ganz so rasch voran gehen wie diese hier, weil ich mich jetzt um meine Facharbeit kümmern muss. (Da ich auch diese Geschichte vor langer Zeit angefangen hat, wird sie wohl erst zum Ende hin wirklich gut werden... (Wer eine ENS will wenn sie abgeschlossen ist, kann mir Bescheid sagen)

In diesem Sinne verabschiede ich mich ganz herzlich von euch und hoffe, euch hat meine Story gefallen!

Der zehnte Fluchtversuch

Nach der Hochzeit von Sesshoumaru und Kuraifaia hatte sich ihr gemeinsames Land verändert. Beide hatten schrecklich viel Papierkram zu erledigen und mussten auf mindestens ein Dutzend Feste gehen, während sie ein weiteres Dutzend ablehnten. Berge von Briefen mit Beglückwünschungen mussten durchgearbeitet werden, sortiert nach pflichtgemäßen Gratulationen, ehrlichem Erfreuen und versteckten Anliegen. Kuraifaia hatte das Wunder vollbracht, ihren Mann zu überreden, seinem Halbbruder ein wenig Frieden zu verschaffen. Das Dorf Musashi wurde unter den Schutz ihres Reiches gestellt, was hieß, dass kein Dämon mehr wagte es anzugreifen. Inuyasha selbst, den es doch nie lange an einem Ort hielt, nahm etwas an, was einem echten Job nicht unähnlich war: Er wurde zum Unterhändler zwischen Dämonen und Menschen, denn aus deren Dörfern kamen ja all die niederen Diener auf den Schlössern und die Nahrungsmittel für solche. Auch in den Mienen, wo alle Edelmetalle her kamen, arbeiteten Menschen und Inuyasha konnte durch seine Verhandlungen, oder eher bahnbrechenden Proteste, die Verhältnisse dort stark verbessern. Durch seine Verwandtschaft mit dem Herrscher und seine eigene Stärke hatte er den Respekt der Dämonen und durch seine Taten das Wohlwollen der Menschen, tatsächlich ging es ihm nun besser als jemals zuvor.

Shippou hatte sich tatsächlich mit Prinzessin Suchitori angefreundet und bekam jetzt eine Ausbildung an ihrem Schloss.

Mako hatte sein Versprechen gegenüber seinem Bruder gehalten und trieb Hitozume, die Haushofmeisterin des Westens, regelmäßig in den Wahnsinn.

Mitsura hatte ihre Arbeit als Heilerin angefangen und Chikara hatte die Ausbildung seiner Schüler wieder aufgenommen, wo er noch mehr Respekt als gewöhnlich bekam, da sich seine Kampffertigkeiten erstaunlicherweise trotz, oder vielleicht auch wegen seiner Blindheit gebessert hatten. Er war jetzt immer wachsam und niemand vermochte es, ihn zu überraschen. Dabei wusste kaum einer von seiner Behinderung, weil Mitsura ihm aus der Neuzeit eine Sportsonnenbrille mitgebracht hatte, die er nun ständig trug. Grelle Sonne war für viele der dunkelheitliebenden Dämonen ein Problem und so stellte Mitsura einige davon selbst her. Die Gläser waren aus der gefärbten Hornhaut von Schlangenaugen (anhand der Größe waren dies zweifellos einmal Dämonen gewesen) und das Gestell aus einer Art Draht und Leder. Der Verkauf lief prächtig und schon bald begannen die Youkai, auch andere Gegenstände aus der Neuzeit zu 'erfinden'.

Kôgyoku und Shinkara ließen sich weiterhin im Schloss des Ostens ausbilden. Shinkara sah jetzt schon fast so alt aus wie Kôgyoku, beide hätte man für junge Erwachsene halten können. Dennoch überraschte Shinkara immer noch alle mit seiner schier endlosen Unwissenheit was die 'normalen' Dinge im Leben betraf. Es stellte sich heraus, dass er sein Youki vollständig unter Kontrolle hatte und selbst geringste Mengen davon perfekt einsetzen konnte – schon eine Woche nachdem das Training begonnen hatte, konnte er übers Wasser laufen, indem er seine dämonische Energie an seinen Fußsohlen konzentrierte. Kôgyoku hingegen versagte kläglich in allen Übungen, die mit Youki zu tun hatten, doch dafür strengte er sich in der Magie umso mehr an. Im Umgang mit Waffen waren beide erschreckend gut.

Kôgyoku war mit Shinkaras Erziehung ziemlich allein, denn Kuraifaia, die in das Schloss des Westens umgezogen war, hatte gerade auch andere Dinge im Kopf. Ihr Bruder Mako hatte nämlich seinen Job als Folterknecht aufgegeben und das brachte Probleme mit sich. Das kein anderer Youkai sich gewachsen fühlte seinen Platz einzunehmen, war noch das geringste Übel: Im Schloss hatte man vor ihm mindestens so viel Angst wie vor Sesshoumaru und im Gegensatz zu dem Fürst lief er frei herum und verschreckte die Diener. Außerdem hielt er Hitozume erfolgreich von ihrer Arbeit ab...
 

Gerade saß die Haushofmeisterin zusammen mit der Fürstin im Garten und plante gemeinsam mit ihr eine Ausbauung des Schulprogramms.

„Wir sollten unbedingt Dämonen ausbilden, die ihr Leben dem Lehrberuf widmen“, sagte Kuraifaia gerade.

„Glaubt ihr wirklich, dass dies nötig ist?“, fragte die Weißhaarige.

Die Inuyoukai wollte etwas erwidern, doch sie wurden je in ihrem Gespräch unterbrochen.

„Hallo meine Schönen! Ich suche euch schon den ganzen Tag!“ rief Mako laut und mit einem Sprung saß er zwischen den Frauen.

Hitozume sah aus, als wolle sie ihm den Kopf abschlagen. Ihre Mundwinkel zuckten vor unterdrückter Wut.

„Kotomo, ich denke es ist besser, wenn du jetzt gehst“, sagte sie mühsam beherrscht. „Verzeiht, meine Fürstin. Er kann sich nicht benehmen.“

„Das weiß ich wohl“, meinte Kuraifaia belustigt, „aber sag, warum nennst du ihn Kotomo?“ Verwundert sah sie zu ihrem Bruder, der nur noch breiter grinste. „Sein Name ist Mako.“

„Mako?“ Sie hob eine Augenbraue und wandte sich, nun noch wütender, Benanntem zu. „Du hast mir einen falschen Namen gesagt!?“

Mako grinste wie ein Honiguchenpferd und umarmte Hitozume von hinten. „Für dich bleibe ich immer Kotomo, mein Schatz. Außerdem habe ich in meinem Leben schon oft den Namen gewechselt...“, vertraute er ihr an.

„Du...! Nimm deine Pfoten von mir, ich bin nicht dein Schatz! - Es tut mir wirklich Leid wegen dieser Unannehmlichkeiten. Kotomo – Nein, Mako, du solltest dich schämen, solche Manieren vor der Fürstin zu zeigen!“, fuhr sie den Dämon an.

„Aber warum sollte er denn nicht?“, fragte Kuraifaia belustigt. „Das hat er schon immer gemacht – und meinem Gemahl habe ich verboten, ihn deswegen umzubringen. Du kannst dich übrigens glücklich schätzen, du bist die erste Frau seid gut... Nun, seid seiner Geburt, für die er sich interessiert. Seid dem Tod unseres Bruders hat er es nicht leicht gehabt“, antwortete sie.

„Nun, aber- Moment. Bruder!?“, fragte sie nun, und vergaß dabei völlig, dass sie der Fürstin gegenüber saß. Sie bemaß den jungen Mann nun mit ganz anderen Augen, in denen fast so etwas wie Entsetzen lag. „Du bist.... Ihr seid Mako, der Künstler des Todes, der Bruder der Fürstin!?“

Mako seufzte gespielt. „Vor dir kann ich wohl nichts geheim halten, meine Liebste.“

Hitozume erlag einer völlig unhöfischen Gesichtsentgleißung und konnte ihren Verehrer nur noch mit offenem Mund anstarren.

Kuraifaia lachte leise. „Also ich denke, meinen lieben Bruder wirst du erstmal nicht wieder los. Wir sollten unsere Besprechung verschieben, auf einen Zeitpunkt, an dem du etwas mehr bei der Sache bist.“ Mit diesen Worten stand sie auf und ließ einen rundum glücklichen Mako und eine völlig verwirrte und verzweifelte Hitozume zurück.
 

Kuraifaia hatte sich in ihre Gemächer zurückgezogen, die sie mit Sesshoumaru teilte. Jedoch hielten sich beide nicht sehr oft darin auf, da sie als Dämonen keinen Schlaf benötigten und als Herrscher nur wenig gemeinsame Zeit und Ruhe hatten. Dies aber sollte einer jener seltenen Augenblicke sein, denn als sie die Tür hinter sich schloss, bemerkte sie ihren Gefährten, der am Fenster stand und hinaus sah.

Langsam drehte er sich zu Kuraifaia um. „Da bist du ja, Anis.“

Wenn sie allein und weitab von alle Zuhörern waren, nannte er sie immer noch 'Anis', als wäre es ein Kosename. Alle förmliche Höflichkeit und öffentliche Fassade fiel dann von ihnen ab.

„Ich habe gerade mit Hitozume geredet, aber mein Bruder hat uns unterbrochen“, erwiderte sie und kam näher.

„Der Rat beschließt jeden Tag eine neue Sitzung... Ich bin es langsam Leid. Wann wird sich dieser ganze Wirbel endlich legen?“, fragte er betrübt.

Die Youkai kam noch näher und legte beruhigend von hinten ihre Hände auf seine Schultern „Du brauchst eine Auszeit... Bist ja völlig verspannt.“

Sesshoumaru drehte sich zu ihr um und nahm ihre Hände mit seinen eigenen gefangen, während er sie sanft zu sich zog.

„Du hast Recht, das meine ich auch. Ich habe bereits mit dem Rat gesprochen, wir werden gemeinsam für eine Woche verschwinden...“, eröffnete er, „Doch weniger wegen meinem, verspannten Zustand, als viel mehr wegen deinem...“

Kuraifaia lächelte fast verlegen und wandte den Kopf ab. „Du hast es also schon bemerkt...

„Ja... Wie könnte ich nicht?“ Er strich ihr sanft eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Darauf habe ich gewartet. Du gerätst in Hitze.“

Die Hitze, die Zeit der Fruchtbarkeit der weiblichen Hundedämonen. Sie fand nur einmal in hundert Jahren statt und dauerte etwa sechs Tage, war am vierten am stärksten. Der Hormonspiegel stieg enorm und die betreffende Dämonin war wehrlos gegen sämtliche Annährungsversuche und sandte gleichzeitig unbewusst einen bestimmten Geruch aus, der männliche Inuyoukai anlockte. Da Kuraifaias Youki versiegelt worden war, waren ihre letzten Hitzen ausgefallen und sie hatte noch nie eine solche erlebt. Doch nun spürte sie, dass es soweit war und war froh, rechtzeitig zu Sesshoumaru gefunden zu haben, dem Mann, den sie liebte.

„Ich wollte dich gerade abholen... Kommst du mit mir?“, fragte Sesshoumaru sanft.

„Du willst jetzt los? Sofort?“, erwiderte sie milde überrascht.

„Selbstverständlich. Warum Zeit verlieren?“

Sie lächelte ihn an. „Du scheinst es eilig zu haben.“ Ein wenig Angst hatte sie schon, besonders vor den Folgen. Immerhin war es sehr wahrscheinlich, dass sie nach dieser Woche trächtig wäre. Hoffentlich war Mako auch in nächster Zukunft zu sehr mit Hitozume beschäftigt, als das er Sesshoumaru zum Duell herausfordern konnte.
 

Das Fürstenpaar brach noch am selben Tag auf. Sesshoumaru verwandelte sich etwas abseits des Schlosses in seine Energieform und trug seine Gefährtin über das Land. So reisten sie schnell und gegen Abend hatten sie eine wunderbare Felsenlandschaft erreicht. Jenseits davon breitete sich eine schier endlose Grasebene aus. Weder Menschen noch Dämonen waren in der Nähe und Sesshoumaru, der ein beträchtliches Maß seines Youkis offen zeigte, sorgte so dafür, dass niemand auf die wahnwitzige Idee kommen würde, sie zu stören.

Der Dämon setzte Kuraifaia in einer der größeren der unzähligen Höhlen ab, welche die Felsen bildeten.

„Hier werden wir jetzt eine Weile bleiben. Was meint du?“, sagte Sesshoumaru.

„Das ist eine gute Idee. Es riecht feucht hier, vielleicht gibt es einen unterirdischen See. Lass uns nachschauen!“, schlug sie sofort vor und marschierte ins Innere der Höhle, ohne eine Antwort abzuwarten.

Der Fürst folgte ihr, von ihrer guten Laune angesteckt. Tatsächlich tropfte Wasser von der Decke der Höhle, etwas weiter drinnen. Nur ihrem dämonisch guten Sehvermögen hatten sie es zu verdanken, dass sie überhaupt etwas erkennen konnten. Nach einigen Schritten war der Boden nass und ihre Nasen verrieten ihnen, dass es hier tatsächlich einen kleinen See gab.

„Die Höhlendecke wird dort hinten niedriger, das Wasser füllt die Enge komplett aus. Was meinst du, ob man da durchtauchen kann?“, fragte Kuraifaia interessiert.

Sesshoumaru, der direkt hinter ihr stand, berührte leicht ihre Schulter. „Lass es uns doch herausfinden.“

Der Inuyoukai lief ein wohliger Schauer über den Rücken und sie fand Gefallen an dieser Idee. Sie wusste, heute würde bestimmt noch nichts passieren. Diese Nacht waren erst die erste Stunden ihrer Hitze, sie würde sich noch unter Kontrolle haben. Außerdem war es jetzt, wo die Sonne unterging, stockfinster und wenn sie erstmal im Wasser wären, würden selbst sie als Dämonen nichts mehr erkennen können.

„Also gut, dann lass uns eine Runde schwimmen gehen“, meinte sie gut gelaunt.

Sesshoumaru trat hinter sie und half ihr, den mehrlagigen Kimono auszuziehen, während sie seine Rüstung öffnete. Als sie sämtliche Kleidung los war, ging Kuraifaia direkt ins Wasser, damit ihr Gefährte nicht zu früh auf falsche Gedanken kam. Sie tat einige Schwimmzüge und hörte hinter sich, wie auch Sesshoumaru den Rest seiner Kleidung los wurde und ihr folgte. Als die Youkai mit dem Kopf leicht an die Decke stieß, holte sie tief Luft und tauchte unter. Kräftig schwamm sie in der vollkommenen Dunkelheit, ab und zu mit der Hand über den Fels über ihr tastend. Ihre Lungen konnten länger ohne Luft aushalten als die eines Menschen, dennoch spielte sie schon mit dem Gedanken umzukehren, als ihre tastenden Finger Luft spürten. Sie tauchte auf und ließ den, ihr frisch erscheinenden Sauerstoff in ihre Atmungsorgane strömen. Sie schwamm ein wenig vorwärts und hörte hinter sich Sesshoumaru auftauchen. Es herrschte völlige Finsternis, sie konnte rein gar nichts sehen. Ihre Nase funktionierte aber noch perfekt und so schwamm Kuraifaia in die Richtung, in der sie weniger Wasser roch und es gelang ihr schließlich, sich auf das Ufer der unterirdischen Höhle zu ziehen.

Leises Plätschern verrriet ihr schließlich, dass ihr Gefährte sich zu ihr gesellte. Obwohl er direkt neben ihr saß, konnte sie ihn nicht sehen. Ihr Geruchs- und Hörsinn schienen jedoch aufs Äußerste gespannt, sie nahm die Dinge, die sie nicht sah, mit diesen Sinnen umso deutlicher wahr. Er war hinter sie gerückt, seine Hände griffen nach ihrem nassen Haar und ließen es durch die Finger gleiten.

„Hast du Angst?“, wisperte er, ihr Zittern falsch deutend.

„Nein, ich... Ich kann nur irgendwie kaum glauben, dass wir so etwas Verrücktes tun. Hier, in der Höhle... Wir zwei, allein.“

„Ist es nicht romantisch?“, fragte er belustigt.

„Wenn du etwas ernster wärst, wäre es das vielleicht, ja“, erwiderte sie und tippte ihm neckisch mit dem Finger gegen die Brust.

„Wir sollten öfter etwas Verrücktes tun“, meinte Sesshoumaru, während er sie zu sich drehte.

Kuraifaia legte ihre Hände auf seine Schultern, fuhr seinen Hals entlang und nahm sein Gesicht in ihre Hände, so ungefähr wissend, wo seine Augen waren: In dieser Dunkelheit konnte sie keine genaue Bestätigung erhalten, wohin genau sie blickte. Nicht ahnend welche Gefühle und Begierden sie mit ihren sanften Berührungen in ihrem Gefährten erweckte, murmelte sie: „Ja, wir sollten tatsächlich etwas öfter verrückt sein... Wann immer wir uns frei kämpfen können, von den Monstern des Alltags.“

Sesshoumaru, der fürchtete schon jetzt schwach zu werden, wollte sie ein wenig auf Abstand halten und ihre Schultern ergreifen, doch wie zufällig streiften seine Hände dabei ihre Brüste und er erstarrte, als hätte er etwas Verbotenes getan. Kuraifaia jedoch, der die Situation in ihrem Rausch zu gefallen begann, näherte sich ihm noch weiter und küsste sanft seine Lippen. Sesshoumaru, nun sowohl durch ihre natürlichen Reize als auch durch den verlockenden Duft ihrer Hitze betört, erwiderte ihn sofort mit ausgesuchter Leidenschaft. Seine Zunge drang mühelos in ihre Mundhöhle ein, liebkoste sanft sein Partnerin. Zärtlich biss er in ihre Unterlippe. Während er sie mit der linken Hand an ihrem Rücken zu sich drückte, wanderte seine Rechte an ihrem Hals entlang hinunter, zwischen ihren Brüsten hindurch und über ihren Bauch. Lange Zeit verbrachten sie nur mit sanften Berührungen, ohne einander sehen zu können. Irgendwann, als Sesshoumaru gerade an ihrem Ohr knabberte, wisperte sie:

„Was hältst du davon, wenn wir uns langsam auf den Rückweg machen?“

Der Weißhaarige knurrte unwillig. „Überhaupt nichts. Wir können ruhig noch ein Weilchen hier bleiben.“

„Sei geduldig, kleiner Hund“, flüsterte sie zärtlich und entwand sich seinem Griff, „Ich werde noch früh genug dir gehören.“

„Was machen schon einige Stunden?“, meinte Sesshoumaru drängend und wollte sie zurück zu sich ziehen, doch das ließ Kuraifaia nicht mit sich machen.

„Glaubst du wirklich, ich würde mich dir widerstandslos ergeben?“, fragte sie belustigt und noch bevor er sie aufhalten konnte, war sie ins Wasser zurückgeglitten. Mit einigen kräftigen Schwimmzügen gewann sie Abstand, doch ihr Gefährte folgte ihr sofort.

„Glaub ja nicht, du könntest mir entkommen. Das ist dir zu oft misslungen, als das ich deine Bemühungen ernst nehmen könnte“, flüsterte er gespielt drohend.

„Die Hoffnung stirbt zuletzt...“, wisperte Kuraifaia amüsiert, bevor sie Luft holte und untertauchte.
 

Die beiden hatten sich in Rekordzeit – wenn auch eher schlecht als recht – angezogen und auf dem Weg nach draußen gemacht. Dort würde die Sonne bald wieder aufgehen und es versprach ein schöner Tag zu werden – besonders für die beiden Hundedämonen.

Als Sesshoumaru aus der Höhle trat, hockte Kuraifaia gerade auf einem höher gelegenem Felsen und grinste auf ihn herab. Dann wandte sie sich ab und während sie im Federflug hinunter sprang rief sie ihm

noch über die Schulter zu: „Fang mich, wenn du kannst!“

Noch in der Luft veränderte sich ihr Körper, wuchs an und sie verwandelte sich in ihre wahre Gestalt: einen riesigen, schwarze Hund mit vereinzelten, weißen Einsprengseln im Rückenfell. Sie war noch nass von dem Bad, was ihre ausgezeichnete Figur auch in ihrer Hundegestalt hervorragend zur Geltung brachte. Nun verströmte sie noch stärker den Geruch einer paarungsbereiten Hündin und in Sesshoumaru, der ihre nackte Haut noch unter seinen Fingern zu spüren glaubte, wurden ureigene Instinkte geweckt. Er wusste, sobald sich die Partnerin in ihre wahre Gestalt verwandelte, war sie empfänglich für die Reize ihrer Hitze und bereit für die Vereinigung. Die Hündinnen liefen dann vor den Rüden weg und spielten mit ihnen, bis ihre männlichen Partner sie erreichten.

Sesshoumaru lächelte, als auch er sich verwandelte. Kuraifaia wartete in einiger Entfernung und peitschte mit dem Schwanz durch die Luft. Der große, weiße Hund, der er nun war, machte einen weiten Satz, um die Verfolgung aufzunehmen, während Kuraifaia sich fast im selben Moment schon wieder umwandte, um mit langen Sprüngen vorauszupreschen.

Ja, dachte sich Sesshoumaru, lauf nur! Es wird dein allerletzter Fluchtversuch sein.
 

XxX
 

Nachwort:

An alle meine Fans, die ihr so fleißig und treu gelesen habt:

Weinet nicht, weil diese Geschichte nun ihr wohlverdiente und oft angezweifeltes Happy End gefunden hat, sondern freuet euch mit mir, das ihr all die dramatischen, tragischen und nervenaufreibenden Szenen überlebt habt und fähig wart, das gemeinsame Glück des großen Fürsten Sesshoumaru-sama und seiner (aus meinen umnachteten Nächten geborenen) viel gelittenen und doch vom Glück geküssten Kuraifaia mitzuerleben (und letzendlich einen kleinen Blick in ihre Privatsphäre werfen konntet).

Um es gleich vorweg zu nehmen: Ich werde keine Fortsetzung schreiben.
 


 

Es hat mir wirklich super hier mir euch gefallen, ihr seid tolle Leser und habt mein Selbstvertrauen (wir ihr oben nachlesen könnt) mächtig angekurbelt. Diese Seite war es, die mich immer ermutigt hat weiterzuschreiben und hiermit verkünde ich ein großes

DANKESCHÖN

an alle meine Kommischreiber,

ENTSCHULDIGE

mich bei den Anonymen und Nichtangemeldeten für das viele spammen und wünsche euch noch

VIEL SPAß

bei all den mehr oder weniger krativen Ideen die ich noch aus meinem Hirn quetschen werde und selbstverständlich

HOFFE DAS ES EUCH GEFALLEN HAT!!!



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Kommentare zu dieser Fanfic (530)
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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Vigeta_Lord_d_T
2020-01-31T01:23:32+00:00 31.01.2020 02:23
Das Sesshomaru gleich so eiskalt von dir beschrieben wird hätte ich jetzt nicht erwartet. Sehr düster.
Von:  RinaNicky
2015-09-03T15:32:16+00:00 03.09.2015 17:32
Das Ende hätte von mir aus etwas länger sein können. Insgesamt eine der besten Geschichten die ich über Sesshoumaru gelesen habe!
Von:  RinaNicky
2015-08-30T21:56:32+00:00 30.08.2015 23:56
Der arme sesshoumaru tut mir echt leid. Du hast einen tollen schreibstiel und hast das überraschend gut umgesetzt! Ich bin begeistert^^
Von:  RinaNicky
2015-08-30T16:36:34+00:00 30.08.2015 18:36
Ich liebe deine Geschichte *-*

Von:  _chagreen
2015-08-28T21:11:30+00:00 28.08.2015 23:11
Oh Gott beste stelle war das mit dem albino xDDDDDDD
Von:  RinaNicky
2015-08-25T18:46:51+00:00 25.08.2015 20:46
Super Fanfic! Bin gespannt was als nächstes kommt ;)
Von:  Fanta
2013-09-30T17:52:31+00:00 30.09.2013 19:52
*sprachlos sein*...man ist die toll bin bei kapi 22 und finde es einfach...atemberaubent.Freu mich schon auf´s weiterlesen :3 *Lesezeichen für die FF setz*
Von:  cindy-18
2013-09-26T15:26:34+00:00 26.09.2013 17:26
supi
Von:  cindy-18
2013-09-26T15:25:57+00:00 26.09.2013 17:25
toll die ff ist Kasse
Von:  cindy-18
2013-09-25T19:27:38+00:00 25.09.2013 21:27
Toll


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