One and a half Lovesong von -Yue (Wie alles begann) ================================================================================ Kapitel 4: ----------- Noch immer ungläubig hielt Reita das Telefon in der Hand, unfähig sich zu bewegen, bis dieselbe Stimme ein weiteres Mal ertönte und ihn aus seiner Starre riss. „Hallo?! Also wenn das ein Scherz ist…“ „Aoi“, unterbrach ihn der Blonde, „ Ich bin’s, Reita.“ Schlagartig änderte sich Aois Tonfall und Reita glaubte beinahe Erleichterung aus dessen Stimme herauszuhören als dieser ihn so überschwänglich begrüßte, dass jeder Außenstehende hätte meinen können, dass den beiden eine jahrelange Freundschaft vorausging. „Ich hatte schon die Befürchtung du hättest es dir anders überlegt!“ „Anders überlegt?“ In Reitas Kopf überschlugen sich die Gedanken wie ruhelose Wellen. „Wegen der Band.“, half Aoi ihm, nun seinerseits irritiert, auf die Sprünge. „Hat Ruki dir nichts gesagt? Ich hab ihm meine Karte gegeben. Er hat keinen Freudentanz vollführt als ich mich ihm als neuer Gitarrist vorgestellt habe, aber in anbetracht der Lage sicherlich mehr als verständlich.“ „Doch. Doch natürlich.“ Reita wusste nicht wieso er seinen Freund, der ihm die Zusage des Schwarzhaarigen vorenthalten, ihn sogar darüber hinaus auch noch angelogen hatte, in Schutz nahm, doch ein Gedanke an zukünftige Spannungen ließ ihn fast automatisch handeln. Die Freude über diese Nachricht und die Wut über Rukis Verhalten lieferten sich einen zähen Kampf in seinem Inneren und er musste sich räuspern um die Festigkeit in seiner Stimme wieder herzustellen. „Es ist gestern wohl etwas in dem Durcheinander untergegangen.“ Aoi schwieg einen Moment und eher zaghaft verließen die Worte des sonst so aufgeweckten Gitarristen seine Lippen. „Wie geht’s dir denn?“ Es waren leise Töne, die der junge Mann anschlug, schuldig und reumütig, sodass Reita es kaum wagte ihm von der OP zu erzählen, die nötig gewesen war und die er hatte über sich ergehen lassen müssen. Er versuchte gelassen zu klingen, den anderen nicht weiter in Schuldgefühlen zu ersticken, von denen er den Verdacht hatte, dass sie unwillkürlich wieder aufkeimen würden, sobald er ihm seinen Zustand erläutern würde. Reita war ein direkter Mensch. Es war nicht seine Art einem Erwachsenen etwas vorsichtig, darauf bedacht seine Gefühle nicht zu verletzen, beizubringen, was er in diesem Fall sogar selbst zu verantworten hatte, doch vielleicht war es dieses unschuldige, fast kindliche Lachen und die ehrliche Besorgtheit des anderen, die es ihm verwehrten er selbst zu sein. Und so schlüpfte er in eine Rolle, versuchte ruhig zu erklären, das Lachen nicht zu zerbrechen, das er an dem anderen so mochte, versuchte nicht mit Steinen gegen einen Spiegel zu werfen. Und er schien Erfolg damit zu haben. „Und sie sagen in drei Wochen bist du wieder fit?“ Aois Stimme klang freudig aufgeregt und Reita musste lächeln. Er nickte bis ihm bewusst wurde, dass der andere ihn gar nicht sehen konnte. „Richtig“, antwortete er und strich sich mit der freien Hand eine Haarsträhne aus der Stirn. „Hör mal, hast du zufällig Zeit und Lust etwas mit mir trinken zu gehen.“ „Zufällig ja“, antwortete Aoi und Reita konnte das Grinsen des anderen fast vor sich sehen. „Sag mir wo du wohnst und ich hol dich ab.“ Eine Stunde später erschellte das schrille, erwartete Klingeln. Das Signal für Reita sich seine Jacke überzuwerfen und in die kühle Herbstluft hinauszutreten. Wie schon zuvor am Telefon fiel Aois Begrüßung eine Spur zu enthusiastisch aus und er zog den Blonden, der darauf alles andere als vorbereitet gewesen war, in eine brüderliche Umarmung. „Sieht ja stylisch aus“, bemerkte er und nahm das schwarze Stück Stoff, das quer über Reitas Gesicht hing, prüfend unter die Lupe. Reita verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen. „Hast du gut hergefunden?“, versuchte er von seinem zertrümmerten Gesichtsteil abzulenken. Aoi lächelte und nickte knapp, bevor sie sich in Bewegung setzten, das nächste Café, nur wenige hundert Meter entfernt, aufsuchend, das ihnen Wärme spendend entgegenstrahlte. Sie hatten die hintere Sitzecke des Cafés für sich und einer ungestörten Unterhaltung stand somit nichts im Wege. Reita musterte sein Gegenüber, dessen Wangen von der Kälte noch gerötet waren. Fast schien es als hätte er zuviel Rouge aufgetragen, das nun unnatürlich intensiv auf der blassen Haut glänzte. Er beobachtete wie sich seine Hände um die heiße Kaffeetasse schlossen, seine Finger sich geschmeidig ineinander verflochten wie Fäden auf einem Webrahmen. Es war das erste Mal, dass er jemanden auf eine so unübliche Weise die kalten Hände an einer Tasse hatte wärmen sehen. Reita nahm vorsichtig einen Schluck von seinem heißen Tee, der seine Wärme in seinem Inneren verströmte und die Anspannung seiner Glieder löste. „Du hast dich schnell entschieden.“ Die Tasse machte ein klackendes Geräusch, als sie auf den Holztisch zurückgestellt wurde. „Du hast doch mitbekommen, dass es in unserer Band einige Spannungen gibt.“ Er lächelte. „Wenn das Verhältnis zwischen den einzelnen Musikern nicht stimmt, klingt die Musik auch nicht mehr harmonisch, findest du nicht? Es ist nicht das, was ich mir vorgestellt habe. Ich habe dieses Gefühl verloren, dieses Kribbeln, das ein Song an einem bestimmten Punkt auslöst.“ Sein Gesichtsausdruck wurde ernst. „Und dieses Gefühl will ich zurück.“ Er sagte es mit der Entschlossenheit eines Feldherrn gleich, der den Kampf um jeden Preis gewinnen wollte. Reita mochte seine Ausdrucksweise, die ihm die Sicherheit gab in Aoi einen Gitarristen gefunden zu haben, der sich mit Leib und Seele der Musik verschrieben hatte. „Dann hoffe ich du wirst es dir bei uns zurückerobern.“ Reita machte eine kurze Pause bevor er etwas verlegen weiter sprach. „Allerdings… hab ich dir nicht gesagt, dass uns noch ein Schlagzeuger fehlt.“ Aoi lachte leise auf als er in Reitas betretenes Gesicht sah. „Da kann ich Abhilfe schaffen“, grinste der Schwarzhaarige triumphierend, „Du erinnerst dich an Yune? Wenn ich bei Artia aussteige hält ihn dort nichts mehr. Ich war es, der ihn oft genug gebeten hat zu bleiben und er tat es weil wir beste Freunde sind. Es stand schon öfters zur Debatte die Band zu wechseln, doch es hatte sich nichts Passendes ergeben, bis jetzt! Trifft sich doch wunderbar meinst du nicht?!“ Aoi strahlte wie ein kleines Kind, das sich auf seine erste Zuckerwatte freute, sodass Reita gar nicht erst auf die Idee kam ihm zu widersprechen. Und kaum da er es sich versah hatte Aoi auch schon zu seinem Handy gegriffen und führte ein aufgeregtes Gespräch mit ihrem zukünftigen Drummer, der Aois Anschein nach zu vermuten alles andere als abgeneigt war. Er hielt das Mobiltelefon etwas von sich weg und blickte Reita lächelnd an. „Yune fragt ob wir uns morgen mal zusammenfinden könnten. Ein wenig musikalisch rumexperimentieren und sehen ob’s passt.“ Reita nickte, war er schließlich vorerst krank geschrieben und wusste sowieso nicht wie er die Zeit totschlagen sollte. Zufrieden mit sich und der Welt legte Aoi auf, verstaute sein Handy in der Tasche und trank einen großen Schluck aus seiner Tasse. „Und du sagst in dem Raum ist alles vorhanden?“ „Ja. Yune wird sein Schlagzeug dort also nicht unterbringen können.“ Aoi winkte ab. „Er findet schon eine Lösung. Wenn er will kann er richtig kreativ sein.“ Er lachte. Aois gute Laune ging auf Reita über und als er den Heimweg antrat, hatte er den Gips in seinem Gesicht schon beinahe vergessen. Er konnte es kaum erwarten Ruki die Nachricht zu überbringen, dass sie als Band komplett waren und endlich als solche fungieren konnten, doch andererseits war er sich nicht sicher ob dieser erfreut sein würde über die Tatsache, dass er Aoi hinter seinem Rücken engagiert hatte, obwohl er vermutete, dass Ruki ihm gegenüber eine Abneigung hegte. Der Gedanke, Ruki könnte es in dem ganzen Trubel wirklich vergessen haben, erschien im abstrus, doch er wollte dem auf den Zahn fühlen bevor er den Sänger vorschnell verurteilte. Als er die Wohnungstüre aufschloss erkannte er schon am Parfumgeruch, dass Ruki zu Hause war. Es roch süßlich, ein wenig nach Vanille, aber nicht aufdringlich. Für Reita war es wie eine stumme Begrüßung, eine Umarmung, die ihn willkommen hieß, eine Bestätigung, dass er Zuhause war. Er streifte sich die Schuhe von den Füßen und hing seine Jacke ordentlich an die Garderobe bevor er in die Küche ging, in der Ruki gerade eine Pizza in den Ofen schob. Den ganzen Tag hatte er den Gedanken an Essen vertrieben. Der Blonde verspürte noch immer eine leichte Übelkeit, die er auf die Nachwirkung der Narkose schob, doch die Aussicht auf ein warmes Essen ließ seinen Magen nun doch knurren. „Hunger?“ Ruki hatte sich zu ihm umgedreht, sah ihn grinsend an. „Hm… ja.“ „Was trägst du da Schickes über deinem Näschen?“ Ruki zog die Brauen nach oben und trat näher an ihn heran, begutachtete den schwarzen Stoff, von dem er nicht ahnte zu welch anderen Dingen, die geradewegs mit ihm zu tun gehabt hatten, dieser schon zweckentfremdet worden war, fuhr mit dem Zeigefinger sacht darunter und hob ihn etwas an. Da er gut einen Kopf kleiner als Reita war, musste er sich nicht einmal bücken, um einen Blick auf den eigentlichen Gips zu erhaschen. „Du setzt neue Trends.“ Der Brünette sah ihn amüsiert an. „Etwas gewöhnungsbedürftig, aber es gefällt mir. Das gibt dir… etwas Unnahbares.“ Er hauchte das letzte Wort gegen die Lippen des Größeren und ein Schatten huschte über sein Gesicht, bevor er Reita’s Lippen zu einem kurzen Kuss einfing. Reita hatte nicht die Möglichkeit diesen zu erwidern, schon hatte Ruki sich wieder von ihm gelöst. Einen Moment stand der Blonde unschlüssig auf der Stelle bevor er sich endlich setzte und zum Ofen nickte. „Was für eine?“ „Peperoni.“ „Scharf.“ Ruki grinste, er liebte Scharfes. Und Reita wusste, dass dies nicht nur auf Essbares zutraf. Nachdem Ruki die Pizza aus dem Ofen geholt und auf einen Teller geladen hatte, setzte er sich zu Reita an den Tisch. Routiniert viertelte er den runden Teig und nahm sich sogleich ein Stück von dem er gierig abbiss. „Ich hatte heute noch nichts außer einer Teigtasche“, kaute er und Reita sah wie die grüne Peperoni zu Brei zerstampft wurde. Er schmunzelte. „Sag mal“, tastete er sich langsam vor, „Du hast doch gestern kurz mit Aoi gesprochen. Hat er nicht gesagt wo man ihn erreichen kann?“ Ruki’s Blick traf ihn mit solch einer Wucht, dass er sich wünschte die Frage niemals gestellt zu haben. Er schien ihn für eine Millisekunde zu durchbohren und noch bevor Ruki den Mund öffnete um etwas zu sagen, kannte Reita die Antwort und er war sich sicher sie nicht hören zu wollen. „Möglich… ich hab ihm nicht richtig zugehört… es ging alles…“ „Hör auf zu lügen.“, unterbrach ihn der Blonde, wohl wissend, dass er gerade im Begriff war Ruki sein berechtigtes Missstrauen zu offenbaren, doch er war sauer und eine andere Möglichkeit des Ausweichens gab es jetzt sowieso nicht mehr. „Ich hab die Visitenkarte durch Zufall gefunden.“ Ruki schien einen Moment wie erstarrt, doch er fing sich schneller als Reita gedacht hatte und noch ehe er weiter sprechen konnte bezog der Sänger die erwartete Gegenposition und wurde laut. „Durch Zufall?! Du hast an meinen Sachen nichts zu suchen!“ „Ruki, die Jacke ist runter gefallen und…“, versuchte Reita ihn zu beschwichtigen, doch Ruki fiel ihm prompt ins Wort. „Wieso spielst du so ein mieses Spiel?!“ „Wer spielt hier ein Spiel!?“ Es kostete Reita Mühe die Beherrschung zu bewahren und für seine Gegenfrage hätte er sich Ohrfeigen können, denn niemand wusste besser als er, dass man so nicht mit dem Sänger reden konnte. „Ruki…“, versuchte er einzulenken um die Situation wie Erwachsene zu klären, „Ich…“ „Ach, leck mich doch!“ Ruckartig stand der Brünette auf, drehte auf halbem Weg noch einmal um und verschwand schließlich mitsamt dem Pizzateller aus der Küche. Reita seufzte schwer. Er beschloss, ihn sich erst einmal beruhigen zu lassen. Jetzt noch mal mit ihm zu reden würde nichts bringen, eher würden sie sich noch tiefer in die Geschichte verstricken und das war das Letzte, was er wollte. Er erhob sich, ging zum Kühlschrank und zog einen Sojadrink mit Schokogeschmack heraus, den er in ein Glas goss und in einem Zug leerte, bevor er in den Flur ging, sein Nasendesign zurechtzupfte und in seine Schuhe schlüpfte. Er hätte es anders angehen sollen, schließlich hatte er gewusst wie aufbrausend der kleine Sänger sein konnte. In der einfallenden Dämmerung lief er durch die Straßen. In kurzer Zeit war soviel passiert und er hatte keine ruhige Minute gehabt um nachzudenken oder abzuschalten, dass er sich jetzt nach nichts mehr sehnte als die vertrauten, straffen Basssaiten unter seinen Fingern zu spüren. Er steuerte geradewegs auf den Anbau der örtlichen Mittelschule zu und fischte den Schlüssel für Keller und Proberaum aus seiner Hosentasche. Nachdem die Glastüre hinter ihm geräuschvoll ins Schloss gefallen war, folgte er den schmalen Treppenstufen hinab in den Keller. Er tastete mit den Fingern die Wand entlang als er im dunklen Flur angekommen war und drückte den Widerstand, den er fühlte. Die Deckenbeleuchtung sprang mit einem leichten Flimmern an und vor seinen Augen flirrten helle Punkte, die ihn blinzeln ließen bis er sich an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatte. Der Blonde ließ den Blick orientierend über all die gleich aussehenden tristen, weiß gestrichenen Metalltüren gleiten bevor er zielstrebig auf die rechte Tür zuging und den Schlüssel in das Schloss steckte. Zu seiner Verwunderung war die Türe nicht verschlossen. Reita öffnete sie vorsichtig und lugte durch den Spalt in den hell beleuchteten Raum. Seine Stirn zog sich in Falten als er niemanden entdecken konnte und innerlich rügte er mit säuerlicher Miene die Vergesslichkeit mancher Menschen, trat schließlich in den Proberaum und hätte vor Erstaunen fast den Schlüssel fallen gelassen. „Du?!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)