Rote Augen von abgemeldet (Die Fortsetzung von Familienbande) ================================================================================ Kapitel 25: Eine perfekte Rolle ------------------------------- Ich seufzte, als mein Blick auf den Kalender fiel. 3. April. Er hatte für mich jedes Jahr eine besondere Bedeutung, auch wenn das hier niemanden interessierte. Ich hatte niemandem davon erzählt, nicht einmal Glenn, und jedes Jahr wurde es schwerer, so zu tun, als wäre alles in Ordnung. Dieses Jahr war es schwerer, als je zuvor. „Faye, Aro möchte dich sehen“, hörte ich Janes klare Stimme und ich drehte mich um. Wenn man davon absah, dass sie eine widerliche Sadistin war, war sie eigentlich ganz okay. Ich verstand mich ganz gut mit ihr, obwohl es sie ständig aufregte, dass ihre Kräfte bei Glenn nicht funktionierten. Ich überhörte ihre Beschwerden dann einfach. Ich nickte geistesabwesend und lächelte. Wie froh war ich doch, dass ich meine Rolle so perfekt beherrschte. Allen konnte ich die heile Welt vorspielen, selbst Aro. Glenn war nur zu Beginn besorgt gewesen und es tat mir so weh, ihm etwas vorzuspielen, aber er durfte nichts erfahren. Ich konnte meine Gedanken aus irgendeinem Grund vor Aro abschirmen, aber Glenn war dazu nicht in der Lage. Aro würde erfahren, dass ich mich an alles erinnerte. Das durfte er aber nicht. Er würde alles versuchen, um mir eine Erinnerung doch noch zu nehmen. „Was ist los?“, fragte Jane. „Nichts, ich war nur eben ein wenig in Gedanken“, antwortete meine Rolle. Jane machte bloß „ah“ und die Rolle hatte wieder überzeugt. Manchmal war sie sogar so überzeugend, dass ich selbst daran glaubte. Jane bog ab und ich ging weiter den langen Gang entlang. Ich hätte mich hier blind zu Recht gefunden, aber mein Zuhause war es noch lange nicht und das würde es auch nie werden. Mein Zuhause war meine Heimat. Die Heimat war dort, wo das Herz war. Und mein Herz war zu 88,89 % in einem alten, anmutigen Haus, in dem die wunderbarsten Vampire lebten, die ich kannte. Carlisle. Der Mann, dem ich mein Dasein verdankte. Esme. Die Frau, deren Stimme mich immer aufmunterte. Edward. Mein liebster Bruder. Bella. Meine beste Freundin. Jasper. Der genialste Gesprächspartner, den man finden konnte. Alice. Der quirligste Vampir der Welt. Emmett. Der stärkste Beschützer, den man sich wünschen konnte. Rosalie. Das Vampirmädchen, das den größtmöglichsten Sturkopf hatte. Wie sollte ich hier je glücklich werden? Er kam aus einer Tür und lächelte mir zu, während er aufgeregt mit Demetri diskutierte. Ich lächelte zurück und streifte seinen Arm, als wir aneinander vorbeigingen. Demetri hatte dafür nur ein müdes Kopfschütteln übrig, aber ich hörte Glenn flüstern: „Bis heute Abend.“ Ja, okay, es gab diese glücklichen Momente. Es gab Momente, in denen Glenn mich meinen Kummer vergessen ließ. Aber sie waren rar. Es gab Tage, an denen wir getrennt wurden, weil Aro mich einspannte oder Glenn mit Demetri, Felix oder Alec raus musste. Mit raus, war gemeint, dass er dafür zu sorgen hatte, dass die Gesetze eingehalten wurden. Glenn musste andere Vampire töten, wenn sie unser aller Existenz in Gefahr brachten. An solchen Tagen fiel es mir schwer, meine Rolle zu spielen. Ich machte mir die ganze Zeit über Sorgen und meist entließ Aro mich frühzeitig, weil ich mit meinen Gedanken völlig bei Glenn war. Ich war dann nutzlos für ihn. Aber er verstand es. Oft lächelte er dann gütig. Ich erreichte eine goldene Tür, atmete tief durch und klopfte. „Komm herein, Liebes“, hörte ich eine ruhige Stimme aus dem Inneren des Raumes hinter der Tür. Ich drückte die schwere Klinke runter und betrat den abgedunkelten Raum. Die Fenster waren hinter schweren Vorhängen verborgen und an den bordeauxroten Wänden standen vereinzelt Kerzen. Meine Schritte hallten, als ich über den Granitboden ging. „Faye, Liebes, wie schön dich zu sehen“, sagte der mächtige Vampir, auf seinem Thron sitzend. Seine papierartige Haut war heute besonders durchscheinend und seine Augen wirkten gar ein wenig trüb. Ich hatte mich damals vor so vielen Jahren geirrt. Er jagte mir keine Furcht mehr ein. Ich hatte mich tatsächlich daran gewöhnt, auch wenn er sich in den letzten fünfzig Jahren sehr verändert hatte. Er war ruhig geworden. „Wie geht es dir, Aro?“, fragte ich und betrat nun den dunkelroten Teppich, schritt ihn entlang, blieb einige Meter vorm Thron entfernt stehen. „Das weißt du doch“, lächelte er und schloss für einen Moment die Augen. Ich senkte den Blick. „Es geht dir in letzter Zeit immer schlechter“, sagte ich und Aro hielt den Blick auf mich gerichtet. „Komm doch bitte her, Faye. Setz dich zu mir.“ Er hob die Hand und machte eine ausladende Geste zu dem Stuhl, der wenige Meter vom Thron entfernt stand. Ich stieg die drei Stufen hoch, war nun mit Aro auf Augenhöhe, setzte mich. „Sieh mich an.“ Ich hob den Kopf und sah in seine kalten, roten Augen. Noch immer konnte ich es nicht glauben, dass meine Augen ebenso rot waren. Das alles war wie ein böser Traum, aus dem ich aufwachen wollte. Aber ich wachte nicht auf. Weil ich nicht träumen konnte. Nur wenn Glenn mich mitnahm. Mir entglitt ein Seufzer, als ich an die letzte Nacht dachte. Glenn hatte mich ans Meer gebracht und gemeinsam hatten wir am Strand gelegen. Das war einer der Momente gewesen, in denen ich glücklich gewesen war. „Woran denkst du?“, wollte Aro wissen. Ich lächelte. „Glenn und ich waren letzte Nacht in der Karibik.“ Aro nickte. Er wusste, dass Glenn mich oft mitnahm. „Caius schickte ihn vor einer Woche dorthin. Es hat ihm dort scheinbar gut gefallen, auch wenn er nur nachts raus konnte. Dort scheint die Sonne sehr häufig.“ „Ich weiß.“ Aro schlug sich mit der Stirn leicht gegen die Stirn. „Stimmt ja. Ich habe vergessen, dass du ein Genie bist.“ „Genie finde ich nun wirklich nicht die richtige Bezeichnung…“ Er legte den Kopf ein wenig schief. Es sah leicht albern aus, wie dieser mächtige Vampir, der sich in letzter Zeit unerwartet träge fühlte, so tat, als verstände er etwas nicht ganz. Vor allem wenn man seine Gedanken kannte. „Faye, weißt du eigentlich, wie schön es ist, mit dir zusammen zu sein?“, erkundigte sich Aro. „Es ist sehr interessant, sich mit jemandem zu unterhalten, den man nichts vormachen kann. Deine Gabe ist wirklich wunderbar…“ Ich hörte aufmerksam zu, während er über meine Fähigkeit sprach. Er erwünschte meine Anwesenheit so oft es möglich war. Ich faszinierte ihn, doch ich fühlte mich nicht dadurch geehrt. Ich war ja nicht einzigartig deswegen. Edward hatte ja auch… Ich erstarrte, als ich an ihn dachte. Es tat weh. „Ist etwas?“ Ich atmete tief durch und sah Aro wieder an. „Nein, es ist nichts“, antwortete wieder die perfekte Rolle. Einfach verdrängen… einfach wieder die Gedanken unter Kontrolle bringen… nicht an ihn denken. Bloß nicht an ihn denken… „Faye, du siehst auf einmal so abgelenkt aus?“, lenkte Aro mich davon ab, mich zu konzentrieren. Nicht an ihn denken… Mit aller Gewalt zwang ich meine Gedanken in eine andere Richtung. Ich dachte an Glenn und die letzte atemberaubende Nacht. Dachte an das Rauschen der Wellen. Den Sand unter meinen nackten Füßen. Den runden Mond, der sich auf dem Wasser spiegelte. Glenns Duft, der sich mit dem des Meeres vermischte. Glenns starke Arme, die mich sicher hielten, während wir den Mond betrachteten. Den sternenklaren Himmel, über den Sternschnuppen huschten. Den Steg aus Holz, auf dem wir saßen, dessen Füße vom Wasser umspielt wurden. An das Geschenk, dass er mir, ohne es zu wissen, damit gemacht hatte. „Faye? Geht es dir gut?“ Ich erschrak. Aro hatte sich erhoben und hockte vor mir. Verwirrt sah ich ihn einige Sekunden an, bis ich aus seinen Gedanken vernahm, dass ich wohl völlig weggetreten gewesen war und er sich Sorgen gemacht hatte. „Ja, ich war nur in Gedanken gewesen…“ Er zog die fein geschwungenen Augenbrauen hoch. „Darf ich?“ Ich nickte. Aro nahm meine Hand und ich zeigte ihm die Bilder von letzter Nacht. Den Rest konnte ich verbergen. Aro fragte immer, ob er mich berühren durfte. Es gehörte zu seinem kleinen Spielchen. Er wollte nicht nur, dass jemand voll und ganz verstand, was in ihm vorging. Er wollte auch, dass jemand für ihn ein Geheimnis blieb und so fragte er nur äußerst selten nach Einsicht in meine Gedankenwelt. Ich verwehrte es nie. Aro warf einen Blick auf die gewaltige Uhr – als ob Zeit für Unsterbliche eine Rolle spielen würde. „Es ist schon reichlich spät, Liebes…“ Dann lachte er auf und setzte sich zurück in seinen Thron. Er konnte mir nichts mehr vormachen. Es ging ihm schlecht. Irgendetwas war mit ihm… „Wie schnell die Zeit doch vergeht, wenn man sich amüsiert, nicht wahr?“ Ich nickte bloß. Keiner von uns beiden hatte sich sonderlich amüsiert. Aro mochte einfach nur die Gesellschaft, die ich ihm leistete. „Du solltest nun wirklich gehen, Faye. Richte Glenn meine Grüße aus und lass dich doch bitte wieder von ihm entführen. Du bist dann immer so entspannt am nächsten Tag.“ Ich stand auf und begab mich auf den Weg zur Tür. „Bis Morgen, Aro“, sagte ich still, gerade laut genug, dass er es hörte. Ich war bereits im Begriff, die Tür zu öffnen, als er wieder die Stimme erhob. „Marcus sagte mir, du hättest ein Geheimnis vor Glenn. Er sagte, er hätte es an eurer Beziehung gesehen.“ Ich harrte einen Moment aus und drehte mich dann um. „Gott behüte mich davor, an Marcus Fähigkeiten zu zweifeln, aber ich habe keine Geheimnisse vor Glenn.“ Ja, meine Rolle war perfekt… Aro schien ein wenig beruhigt und sagte: „Gut, dann wünsche ich dir schöne Träume.“ „Vielen Dank, Aro.“ Ich verließ eilig den Raum und ging die langen Flure entlang zurück in Glenns und mein Zimmer. Er war noch nicht da und so ließ ich mich aufs Bett fallen. Ich streckte die Arme aus und sah wieder auf den Kalender. Trotz der Dunkelheit erkannte ich das Datum noch immer klar. Mein Herz wurde schwer und ich sah wieder Edwards Bild vor mir. An diesem Tag im Jahr, sah ich ihn besonders oft vor mir. Dann schob sich ein brauner Haarschopf in mein Sichtfeld und Bella musterte mich aus goldenen Augen. Ich verspürte ein Kratzen im Hals und setzte mich langsam auf. Sah mich um. Sah Carlisle, der lächelnd an der Tür stand. Esme, die erleichtert am Bettrand saß. Die Tür ging auf und Alice’ schwarzer Haarschopf erschien. Dicht gefolgt von Rosalies blonder Mähne. Als nächstes kam Emmett rein und kam mit Alice direkt auf mich zu und nahm mich in seine starken Arme zur Begrüßung. Jasper folgte, noch ein wenig zurückhaltend, dann strahlend und er warf sich zu Edward, Bella, Alice, Rosalie, Emmett und mir aufs Bett. Das Bett brach fast zusammen und Carlisle ging zu Esme, legte seine Hände auf ihre Schultern und sie lächelten. Waren nicht eben noch Schmerzen da gewesen? Hatte ich mir nicht eben noch gewünscht, tot zu sein? Wo waren sie hin? Hier gab es keine Sorgen. Hier war alles schön. Hier war ich zuhause. Hier hatte ich meine Familie. Der 3. April war der Tag meines Erwachens gewesen. Ostern. Heute vor zweihundert Jahren hatte ich meinen ersten Tag als Vampir erlebt. „Happy Birthday“, flüsterte ich in die Nacht und mein Brustkorb erzitterte unter den tränenlosen Schluchzern. „Happy Birthday…“ ___________ Das nächste Kapitel ist schon fertig, aber ihr kriegt es erst, wenn ich acht Kommentare hab.^^ *lieb schaut* x3 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)