Beichte von Jadis (Confession) ================================================================================ Kapitel 8: eine Lüge leben -------------------------- Kapitel 8 ~eine Lüge leben~ Alle Augenpaare waren auf sie gerichtet. Tom grinste, die Ausdrücke der Anderen waren nicht wirklich zu deuten. Alexandra schluckte und fand, nach Ewigkeiten wie es ihr schien, ihre Sprache wieder. Ihr Hals war plötzlich schrecklich trocken. “Ihr verarscht mich doch.” brach es aus ihr heraus. Na klar, das war die einzige Erklärung für das Ganze. Das Konzert letzte Woche und der Backstage-Besuch, ganz zu schweigen von diesem Wochenende. Das Alles konnte nur ein Scherz sein. Von Anfang an bis ins Kleinste geplant. Und sie war darauf herein gefallen. Sie war ja so eine leichtgläubige Kuh. Sie schellte sich im Inneren für ihre Blauäugigkeit. Sie sah zu ihrer finnischen Freundin. Heidi musste Schauspielerin sein und sie hatte sie auf eine falsche Fährte gelockt, hatte ihr den schüchternen Fan vorgespielt um sie um den Finger zu wickeln. Und David? David war der Moderator einer Comedysendung mit dem Titel “Die Leichtgläubigsten Trottel der Nation”, da war sie sich sicher. Und die Jungs von Tokio Hotel hatten den Spaß natürlich bereitwillig mitgemacht. Vermutlich hockte gerade ein ganzes Kamerateam im Bad um ihr überraschtes Gesicht filmen zu können, wenn sie erfuhr, dass alles ein Scherz war und gerade Live im Fernsehen übertragen wurde. Aber nicht mit ihr... Sie sprang auf und brachte die Distanz zwischen sich und der Badezimmertür übertrieben schnell hinter sich. Sie riss die Tür aus dunklem Holz auf und blinzelte... ins Leere. Ihre Theorie bekam leichte Risse. Der Balkon! Schnellen Schrittes hatte sie das Zimmer erneut durchquert, die Gardinen zur Seite gerissen und untersuchte nun den, ebenfalls menschenleeren, Balkon. Ihre Theorie begann zu bröckeln. “Das sollte eigentlich kein Scherz sein.” drang Davids Stimme allmählich an ihr Ohr. Ihre Theorie fiel in sich zusammen. Noch immer wurde sie von Allen gemustert. “Ich bin dafür.” Synchron drehten sich alle Köpfe in Toms Richtung. Er saß lässig auf einem Sessel und war der Erste der die Stille brach. Wie bei einer Abstimmung hatte er die Hand gehoben. Ein ungutes Gefühl machte sich in Alexandra breit, als sie sah wie Gustav ebenfalls seine Hand hob. “Ich auch.” Das ungute Gefühl wich blankem Entsetzen, als Georg es ihm gleichtat. “Dito.” “Bill?” fragte David mit einem Strahlen in den Augen wie Alexandra es jetzt das erste Mal bei ihm sah. Der Angesprochene zuckte nur geheimnisvoll mit den Schultern. “Ich bin doch sowieso schon überstimmt.” Ein leichtes Lächeln nahm seiner Stimme die Schärfe. Gerade stellte sich Alexandra vor, wie sie unauffällig rückwärts ging um sich aus dem Zimmer zu schleichen. Vor der Tür hätte sie wahrscheinlich Saki empfangen, also würde sie sich mit einem Hechtsprung quer übers Bett, durch die Fensterscheibe, auf den Balkon retten müssen. Von dort aus waren es ja auch nur noch wenige Meter bis auf den “Innenhof” des Dreiseitenhotels. Vermutlich würde sie sich nur ein paar Knochen brechen... nicht der Rede wert also. Immerhin wäre sie dann dieser unangenehmen Situation entkommen, die immer mehr die Ausmaße des Letzten Gerichtes annahm. “Lexa?” Monoton drehten sich alle Köpfe schlagartig wieder in ihre Richtung, was sie leicht zusammenzucken ließ. Sie öffnete den Mund um etwas zu sagen, doch kein Ton entwich ihrer Kehle. Alle sahen sie erwartungsvoll an. “Ja?” fragte David hoffnungsvoll. Ein unartikuliertes Geräusch war das Einzige was sie zustande brachte. Sie musste dringend etwas sagen, aber was? Die Situation überforderte sie gerade etwas. Keine Sekunde später war Heidi wie ein geölter Blitz aufgesprungen und zu ihr getreten, zerrte sie, ohne ihren Protest zu beachten, hinter sich ins Bad und schloss die Tür. Dunkelheit umgab sie in dem fensterlosen Raum und Alexandra hörte, wie Heidi nach dem Lichtschalter tastete. Nach einem leisen “Klick” wurde der Raum in warmes Licht getaucht. Wassertropfen hingen noch an der Duschkabine und es duftete nach Shampoo. Als Alexandra zu Heidi blickte, sah ihre Freundin sie mit großen Augen an. Irgendwie fühlte Alexandra sich in die Enge getrieben. Wie eine Löwin starrte Heidi sie an. Und Alexandra war die Antilope. “Du sagst ja.” Das war keine Frage gewesen, das war ein Befehl! Alexandra glaubte, flüsternde Stimmen im Hotelzimmer zu hören. “Das”, Heidi schien nach den richtigen Worten zu suchen “das ist dein Traum.” Alexandra wandte ihren Blick ab. Nein, das war bestimmt nicht ihr Traum. Sie wusste nicht was sie Heidi antworten sollte. Die Finnin sprach weiter: “Das ist die Chance für dich um” ein Wort schien ihr nicht einzufallen, also fuhr sie in einer anderen Sprache fort “to be famous. Du musst ja sagen und nutzen die opportunity.” Alexandra schluckte, sagte weiterhin nichts und fixierte die Tür. War da eine Bewegung zu hören? “Du... würdest leben eine Lüge... dein ganzes Leben.” beendete Heidi ihre kleine Predigt. Eine Lüge leben? Alexandra sah Heidi an, als würde sie sie zum ersten Mal sehen. Alexandra nickte, hatte sich entschieden und öffnete die Tür um zurück in das Hotelzimmer zu treten. Es herrschte Stille in dem mittelgroßen Raum, alle saßen immer noch auf ihren Plätzen, nur Tom war vom Sessel aufgestanden und zu Gustav gegangen. “Das ging ja schnell.” sagte er eindeutig zweideutig und machte Platz für Heidi. “Und?” fragte David, als Alexandra mitten im Raum stand. Er schien aufgeregt wie ein kleines Kind und unfähig etwas anderes zu sagen. Alexandra räusperte sich. “Also, wenn ihr wirklich nichts dagegen habt”, sie sah nacheinander zu den Jungs und fühlte sich mehr als komisch dabei “ich meine, ich will euch nicht...also...irgendwie, irgendwo dazwischen funken und-“ “War das jetzt ein ja?” unterbrach David ihren plötzlich aufkommenden Redeschwall. Alexandra stockte und sah in die gespannten Gesichter der Anderen. “Tut mir Leid, ich kann mein Gestammel selber kaum noch richtig deuten. Aber ich denke schon, also ja...ja...JA!” “Yes Baby!” War sie über Davids Aufschrei und das folgende Gelächter und die Jubelschreie überrascht, dann konnte sie es nicht zeigen, da sie sich plötzlich in Davids Armen wiederfand und von den Füßen gehoben wurde. Überschwänglich knuddelte er sie und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. Gott, der Mann konnte sich vielleicht freuen. So schnell wie seine Euphorie sie überrumpelt hatte, so schnell war er wieder der professionelle Produzent und hatte bereits sein Mobiltelefon gezückt und war auf dem Weg zur Tür. “Macht euch keine Gedanken, ich regele das alles und mach neue Termine. Ich treffe alle erforderlichen Vorkehrungen und besorge Lexa noch ein Zimmer. Macht ihr euch einen schönen Abend.” Er hatte die Tür schon fast geschlossen, als er den Kopf noch einmal nach Innen reckte und mit erhobener Faust verkündetet: “Eine neue Ära beginnt!” Alexandra blinzelte auf die Tür, welche kurze Zeit später ins Schloss fiel. “Keine Angst”, begann Bill “der is nich immer so.” “Aber immer öfter.” scherzte Tom und erhob sich, wie der Rest der Jungs... und Heidi. Alexandra wandte sich von der Tür ab und glaubte Bills Geste der geöffneten Arme richtig zu deuten. Sie öffnete ihre ebenfalls, als sie langsam auf ihn zuging. “Halt!” rief Tom plötzlich, der in unmittelbarer Nähe stand, und alle hielten erschrocken in ihren Bewegungen inne und sahen in seine Richtung “Haben wir uns das wirklich gut überlegt? Ich meine, WIRKLICH gut?” Noch bevor jemand fragen konnte, was er da wieder von sich gab, fuhr er fort: “Wollen wir ab jetzt wirklich bei jedem Konzert halbnackte Kerle in der ersten Reihe stehen haben, weil sie sich in Lexa verschossen haben, anstatt von halbnackten bis komplettnackten hübschen jungen Mädels? Haben wir uns das wirklich überlegt?” Für eine Sekunde hatte es den Anschein, als würde Bill seinem Bruder etwas erwidern wollen, sich aber dann eines Besseren besinnen. Er wandte sich erneut an Alexandra und drückte sie schließlich, Toms Einspruch bereits vergessen habend. “Willkommen in der Band.” Alexandra konnte sich nicht helfen, das war ihr alles irgendwie peinlich. Als hätte sie es von Anfang an genau darauf angelegt. Sie wurde leicht rot um die Ohren, hoffte allerdings, dass es in dem dunklen Zimmer, dessen einzige Lichtquelle der laufende Fernseher war, niemand sah. “Eine neue Ära beginnt!” waren Toms Worte, als er sie ebenfalls als, fast offizielles, fünftes Mitglied begrüßte und sich dafür das leidvolle Stöhnen der Anderen anhören musste. “Schön dich dabei zu haben.” meinte Georg nur, als er sie ebenfalls aus der obligatorischen Umarmung entließ und Platz für Gustav machte. “Tja”,meinte Gustav grinsend “Willkommen im Tokio Hotel.” Nach Stunden, wie es ihr schien, huschte endlich mal wieder der Anflug eines Grinsen über ihr Gesicht. Heidi sagte nichts, als sie Alexandra an sich drückte. Das brauchte sie auch nicht. In Alexandras Kopf hallte noch immer ihre Stimme wider. Alexandra wollte unter Garantie keine Lüge leben. Noch während sich Alexandra fragte, was wohl als nächstes passieren würde, zuckte sie, aufgrund eines Knalls, erschrocken zusammen. Als sie aufsah, bemerkte sie, dass Tom gerade eine Sektflasche aus der Minibar geöffnet hatte. “Lasst uns anstoßen.” meinte er, stellte jedoch fest: “Wir haben keine Gläser mehr. Hm...was solls.” Schulterzuckend setzte er die ganze Flasche an seine Lippen und nahm einen kräftigen Schluck, bevor er sie weiter reichte. Alexandra hatte keinen Schimmer wie spät es war, als David an der Tür klopfte und ihr ihren Zimmerschlüssel, in Form einer Chipkarte, überreichte. Er machte einen leicht gestressten Eindruck. Seine zerstrubbelten Haare und die müden Augen bestätigten dies nur noch. So schnell wie er aufgetaucht war, war er auch wieder verschwunden, immer das Handy an sein rechtes Ohr haltend. Alexandra besah sich ihren Zimmerschlüssel, zuckte mit den Schultern und leerte die Sektflasche in ihrer Hand. Es war gegen drei Uhr morgens, als sie in ihr Hotelzimmer trat. Die kleine Privatparty war noch feuchtfröhlicher geworden und so stellte sie fest, dass sie diese leicht beschwipst verließ. Ihre Tasche warf sie in eine Ecke des ruhigen und lichtlosen Zimmers ganz am Ende des Ganges, setzte sich aufs Bett und ließ die Stille auf sich einschlagen. Ihre Gedanken drehten sich, und dies lag nicht am Alkoholgenuss. Das ist dein Traum. Deine Chance. Du würdest eine Lüge leben. Ein riesen Hype wird losbrechen. Haben wir uns das gut überlegt? Yes Baby! Willkommen im Tokio Hotel. Alexandra schluckte den aufkommenden Klos in ihrem Hals hinunter. Ein seltsames Kribbeln hatte sich in ihrer Magengegend eingestellt. Wenn David der Manager war für den sie ihn hielt, dann würde sie bald halb Deutschland kennen. Doch wieso hatte sie plötzlich Angst davor? War es nicht das was sie immer wollte? Anerkennung? Aufmerksamkeit? Okay, nicht unbedingt als Mitglied einer Rockband, aber... großer Gott... was konnte denn geiler sein? Das war die Chance auf die sie immer gewartet hatte. Heidi hatte Recht. Ab jetzt wurden Nägel mit Köpfen gemacht. Sie überlegte ob sie ihre Eltern anrufen sollte. Nicht sofort, aber in ein paar Stunden, wenn sie wach sein würden vielleicht. Sie verwarf den Gedanken wieder, erhob sich und trat auf den Balkon. Wahrscheinlich würden sie versuchen es ihr auszureden, wie sie es bisher mit allen ihrer “Hirngespinste” getan hatten. Alexandra kümmerte sich jetzt nicht mehr um ihre Eltern. Sie war alt genug um ihr eigenes Ding durchzuziehen. Und das tat sie. Ein Klopfen an der Tür ließ sie aufhorchen. Es dauerte seine Zeit bis sie sich entschlossen hatte zu öffnen und schließlich an der Tür angelangt war. Neugierig öffnete sie diese und wurde von Bill angeblinzelt. Er wirkte erleichtert. “Ich dachte du schläfst schon.” “Quatsch”, entgegnete Alexandra “wie könnte ich, nach dieser Wendung meines Lebens jetzt einfach schlafen?” Bill sagte, entgegen ihrer Erwartung, nichts, sondern sah sie nur mit seinen unergründlichen Augen an. “Möchte der Herr eintreten?” lud Alexandra ihn mit einer entsprechenden Geste ein und brach somit die Stille. “Gerne.” antwortete er zwar, doch Alexandra bemerkte sein kurzes Zögern, welches allerdings sofort wieder verschwand, als er wie selbstverständlich an ihr vorbei lief und direkt auf den Balkon ging. Über die Dunkelheit im Zimmer schien er sich nicht zu wundern. Alexandra folgte ihm und lehnte sich, es ihm gleich tuend, gegen das Geländer. Die Nachtluft war angenehm warm, der Sommer schien endlich Einzug zu halten. “Ich wollt dir noch mal sagen, dass ich mich wirklich freue, dass du dabei bist.” begann er unvermittelt. “Nun”, erwiderte Alexandra und beobachtete wie eine leichte Brise mit seinen Haaren spielte “ich würde Lügen, wenn ich sagen würde, dass ich mich nicht freue.” “Allerdings,” fuhr Bill fort und Alexandra war sich sicher, dass jetzt der Haken an der ganzen Geschichte zum Vorschein kam “müssen Termine eingehalten werden und das wird bestimmt nicht immer ganz einfach werden. Vor Allem, wenn man mal nicht so gut drauf ist und sich wie ne Darmzotte fühlt, aber trotzdem im Tonstudio oder beim Fotoshooting alles geben muss. Kurzum gesagt, es wird nicht einfach, aber es lohnt sich tausendprozentig.” In Gedanken setzte Alexandra ein fettes Ausrufezeichen hinter diese Aussage. Äußerlich nickte sie. “Das dachte ich mir.” Bill sah zu ihr. “Und ich wusste, dass dich das nicht abschreckt. War David noch mal hier?” Alexandra verneinte und Bill erklärte: “Er hat gesagt, er will keine Zeit verlieren. Morgen gehts gleich auf nach Hamburg um das Album neu einzusingen.” Alexandras Kribbeln im Bauch wurde stärker. Vermutlich würde dies bald zu einem Dauerzustand werden. “Aber nach Hause darf ich noch mal kurz, oder?” Bill schmunzelte. “Aber nur kurz.” Alexandra war plötzlich froh, dass sie sich nie ein Haustier zugelegt hatte... oder Grünpflanzen. Stille legte sich wieder über die Beiden. “Was machst du mit deiner Arbeit?” wollte Bill nach einer Weile wissen. Daran hatte Alexandra auch schon gedacht. Noch hatte sie Urlaub und würde diese Zeit über keinen weiteren Gedanken an ihre Arbeit verschwenden. Sie seufzte. “Frag mich in zwei Wochen noch mal danach.” Bill nickte und wandte sich abrupt zu ihr um. “Ich lass dich dann mal allein.” “Ja”, sagte Alexandra “is ja auch schon spät.” Er beugte sich zu ihr hinunter und küsste ihre Wange. Alexandra erwiderte diese Geste. “Gute Nacht. Ich find schon allein zur Tür.” “Okay.” Alexandra sah ihm nach. Als die Tür ins Schloss fiel wandte sie ihren Blick gen Himmel und lächelte. Das war nicht ihr Traum, aber es konnte ihr Traum werden. ~ Ende des 8. Kapitels ~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)