Ein Käfig aus Glas von sayomi ================================================================================ Prolog: -------- Titel: Ein Käfig aus Glas Autor: sayomi Fandom: Beyblade Entstehungszeit: 2004 Prolog „Na, du Abnormaler? Wie gefällt dir das?“, rief ein Junge mit kurzen schwarzen Haaren und stieß ein wimmerndes Häufchen Elend, dass auf dem Boden hockte, mit dem Fuß brutal an. Vier weitere bullige Jungen standen im Kreis um den bereits Verletzten und lachten bei den Worten des schwarzhaarigen laut auf. ‚Warum hilft mir denn niemand? Oh bitte, Gott, hilf mir…’, flehte der im Staub liegende. „Leide, du Wurm!“, schrie der schwarzhaarige den vor Schmerz wimmernden an, bevor er wieder zutrat. „Spar dir die Luft, er hört dich ja sowieso nicht“, meinte ein blonder Junge. Die fünf traten und schlugen noch ein paar Mal auf den anderen Jungen ein, bevor sie sich lachend und schwatzend davonmachten. Ein Junge mit grau-blauen Haaren ging auf ein großes Gebäude zu, ein Internat. Er war von Russland nach Japan gezogen und würde ab dem nächsten Tag diese Schule besuchen. Sehr begeistert war er davon zwar nicht, aber er hatte nun einmal zugestimmt. Gelangweilt schlenderte er auf das große Portal zu, als ein Wimmern an sein Ohr drang. Erst wollte er einfach weitergehen, doch dann drängte ihn etwas in ihm dazu, dem Geräusch zu folgen und nachzusehen, woher es kam. Er bog um eine Ecke und sah dort eine Gestalt auf dem Boden liegen, ob es ein Junge oder ein Mädchen war, konnte er noch nicht sagen. Die Person hatte lange schwarze Haare die wirr auf deren Körper und auf dem Boden lagen und Bluttropfen zierten den sandigen Untergrund und die weiße Kleidung. Es war chinesische Kleidung, das erkannte der junge Russe sofort. Er ging auf die Person zu und als er sie erreicht hatte, kauerte sie sich noch mehr zusammen und begann wieder ängstlich zu Wimmern. Er fasste nach ihrer Schulter und drehte sie auf den Rücken, konnte nun ihr Gesicht sehen. Er erkannte, dass er einen Jungen vor sich hatte; trotz dem vielen Blut, der aufgeschlagenen Nase und der gesprungenen Lippe war das Gesicht des Jungen unglaublich schön und strahlte doch so viel Angst aus. Langsam öffneten sich die Lider des Jungen und sofort blickten ihm goldgelbe Augen entgegen. Er erstarrte einen Moment, angesichts dieser Schönheit, fasste sich dann aber schnell wieder. Er hatte die Hand immer noch auf der Schulter des anderen und als dieser das realisierte, stieß er den Russen von sich und rückte von diesem weg. Verwirrt stand Kai wieder auf, der unerwartete Stoß hatte ihn zu Boden geworfen, und klopfte sich den Staub von der Hose. „Sag Mal, spinnst du?!“, fuhr er den Jungen an, doch der zeigte darauf keine Reaktion. Kopfschüttelnd betrachtete er den Chinesen noch eine Weile, bis dieser plötzlich aufsprang und davonlief. ‚Sehr seltsam…’ Der Russe machte sich schließlich wieder auf den Weg und kam wenig später bei der Direktion der Schule an. Er klopfte und wurde auch sofort hinein gebeten. Auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch sah er den blutverschmierten und schmutzigen Jungen von vorhin sitzen, welcher nervös hin und her rutschte. „Nimm bitte an der Seite platz, ich bin hier gleich fertig“, sagte der junge Mann freundlich und wandte sich wieder dem Chinesen zu. „Ray… willst du mir wirklich nicht sagen, wer das mit dir getan hat?“ Der Mann bewegte dabei seine Hände und Finger und sah sein Gegenüber eindringlich an. Dieser schüttelte jedoch nur den Kopf und stand auf. Er machte nun ebenfalls einige Gesten mit seinen Händen, sprach dabei jedoch nicht. Der Direktor nickte und Ray verließ den Raum. Der Mann seufzte und stand dann auf. Er ging zu dem Russen und schüttelte diesem die Hand. „Du bist bestimmt Kai Hiwatari, oder?“ „Ja.“ „Ich bin Herr Minamoto. Nun, da du erst jetzt im Januar zu uns kommst, haben wir nur noch ein Bett frei und das ist im Zimmer von Ray. Er selbst ist auch erst vor wenigen Monaten zu uns gekommen.“ „Ray?“, fragte Kai ein wenig verunsichert nach, „Der Junge von vorhin?“ Der Direktor nickte und seufzte. „Ich hoffe, es macht dir nichts aus dir mit ihm ein Zimmer zu teilen, es ist aber gewiss nicht einfach. Ray ist taub, musst du wissen.“ Kai wurde in diesem Augenblick einiges klarer. „Oh… ist er das von Geburt an?“ Der junge Mann schüttelte den Kopf und setzte sich wieder hinter seinen Schreibtisch. Kai nahm nun auf dem Stuhl platz, auf dem Ray zuvor noch gesessen hatte und sah den Direktor erwartungsvoll an. „Ich weiß nicht, ob das bis nach Russland durchgedrungen ist, aber vor einem Jahr ist in China eine große Fabrik explodiert. Ray wohnte mit seinen Eltern nicht sehr weit von dort entfernt und bei diesem Unglück ist das Ehepaar Kon ums Leben gekommen und Ray hat sein Gehör verloren.“ Kai hatte davon gehört; er hatte sich seit ein paar Jahren japanische Zeitungen schicken lassen um sich über das Land zu informieren, in das er eines Tages gehen würde. „Acht Monate lang dachte man, Ray sei tot, doch in Wahrheit war er verschleppt worden. Er hatte durch Zufall herausgefunden, wer die Fabrik in die Luft gesprengt hatte und da er immer noch Aussagen konnte, hatten sie ihn kurzerhand mitgenommen. Acht Monate lang war er in ihrer Gewalt gewesen, was sie in dieser Zeit mit ihm gemacht haben weiß niemand. Erst die Polizei konnte ihn aus seiner Gefangenschaft befreien, doch die Verbrecher schweigen über die Zeit mit Ray und dieser selbst… nun, er hat bis jetzt noch kein einziges Wort gesprochen. Er teilt sich mithilfe der Gebärdensprache mit, obwohl er reden könnte und Lippenlesen kann, doch er weigert sich.“ Kai hatte gut zugehört und wurde sehr neugierig auf dieses Geheimnis, das acht Monate von Rays Leben beinhaltete. Vielleicht würde es die Angst des Jungen erklären und irgendwie wollte Kai ihm helfen. Kapitel 1: Reise in die Vergangenheit ------------------------------------- Kapitel 1 - Reise in die Vergangenheit Eine Woche war er nun schon in dem Internat und Ray hatte ihn noch keines Blickes gewürdigt. Waren sie gemeinsam im Zimmer lag der Chinese auf seinem Bett und ignorierte die Anwesenheit des anderen vollkommen. Kai hatte mehrmals versucht mit Ray zu sprechen doch dieser drehte sich immer so, dass er den Russen nicht sehen konnte. Schließlich hatte Kai es aufgegeben ihm näher kommen zu wollen und wartete einfach ab, was geschehen würde. Es war Sonntag und Kai schlief noch tief und fest, als ihn ein lautes Schluchzen aus seinen Träumen riss. Erschrocken sah er sich um und blickte direkt in Rays tränenüberströmtes Gesicht; der Junge hatte die Augen zwar geschlossen, war aber an sich dem Russen zugewandt. Kais Herz zog sich bei diesem Anblick zusammen denn trotz dem schmerzlichen Ausdruck war Ray verdammt süß. Kai gab sich einen Ruck und stand auf, kniete sich vor den anderen und berührte leicht seinen Arm. Durch die Berührung zuckte Ray zusammen und riss die Augen auf. Angsterfüllt starrte er Kai an und rückte ganz auf die andere Seite des Bettes. „Was ist mit dir? Warum weinst du?“ Ray starrte ihn weiter an und Kai dachte schon, er bekäme keine Reaktion doch dann begann der schwarzhaarige Junge wieder, sich mit Gesten auszudrücken. Kai hatte die Gebärdensprache nie gelernt und konnte so mit den wenigen Zeichen auch nichts anfangen. Entschuldigend schüttelte er den Kopf und sah Ray weiter an. „Tut mir Leid… ich verstehe dich nicht…“ Kurz sah der Chinese ihn noch an, doch dann wandte er sich ruckartig ab und hatte anscheinend nicht vor, Kai noch einmal zu beachten. Dieser seufzte und setzte sich auf sein eigenes Bett, seinen Blick ließ er auf dem anderen Jungen ruhen. ‚Was ist bloß los mit dir, Ray…?’ Kai beschloss sich wieder hinzulegen, immerhin dämmerte es erst, es war also noch genug Zeit bis zum Frühstück. Er schloss die Augen und fiel kurz darauf in einen unruhigen Schlaf. ~+~ … ~+~ Kai saß an seinem Schreibtisch und lernte eifrig Geschichte. Sein Großvater hatte ihm wieder einmal eine Menge neuer Bücher gebracht, die er bis zum Abend durchgearbeitet haben musste. Würde er das nicht schaffen…nein, darüber wollte er gar nicht nachdenken. Er seufzte. Er würde all diese Bücher niemals schaffen, es waren einfach zu viele und sein Großvater wusste das ganz genau. Mit einem leisen Knarren ging die Tür seines Zimmers auf und der alte Mann trat auch schon ein. „Kai?“, fragte er mit seiner kalten Stimme. „Ja?“, antwortete er gehorsam. „Bist du fertig?“ Die Frage, vor der er sich graute war soeben gestellt worden. Der kleine Junge atmete noch einmal tief durch, sah aber nicht von seinen Büchern auf. „Nein. Verzeih, Großvater.“ Ein paar Sekunden herrschte Stille, bevor der alte Mann sich wieder regte und aus dem Zimmer ging. „Du weißt was das heißt. In zehn Minuten Kai!“ Ängstlich sah der blau-grauhaarige Junge auf die Uhr; wenn er pünktlich war, wäre es vielleicht nicht ganz so schlimm. Er zog sich sein Hemd und seine Socken aus und tapste mit blankem Oberkörper und nackten Füßen aus dem Zimmer und die Treppe hinunter. Sein Weg führte ihn in den Keller zu einem kleinen Raum, in dem sein Großvater bereits wartete. „Du kennst die Sache ja schon.“ Kais Großvater wies mit der Hand zu einem Balken der quer durch das Zimmer verlief. Der Junge kniete sich davor auf den Boden und legte die Hände auf das Holz. Der alte Mann kam sofort und band die Handgelenke seines Enkels daran fest. Kai schloss wieder die Augen und begann, schneller zu atmen. Obwohl er es schon so oft erlebt hatte, überkam ihn jedes Mal eine unbändige Panik. Bevor er noch weiter nachdenken konnte, spürte er schon den ziehenden Schmerz auf seinem Rücken und das knallen des Gürtels hallte in seinem Kopf nach. Immer wieder schlug sein Großvater zu, doch seiner Kehle entrang kein Laut; das hatte er sich bereits abgewöhnt. Stumm rannen die Tränen über seine Wangen und tropften auf seine Brust. Er spürte wie das Blut sich seine Wege über die Haut auf seinem Rücken bahnte, doch der alte Mann dachte nicht daran, aufzuhören. Immer wieder und immer fester schlug er zu. ~+~ … ~+~ Kai setzte sich auf und atmete schnell und stoßweiße. Auf seiner Stirn stand der Schweiß und die alten Narben auf seinem Rücken schienen unheimlich zu schmerzen, so real war das eben erlebte gewesen. Er hatte diesen Traum mindestens einmal die Woche und jedes Mal hatte er das Gefühl, dass es schlimmer wurde. Seine Vergangenheit verfolgte ihn, so sehr er sich auch wünschte ihr entfliehen zu können. Er stand auf und ging ins Badezimmer um zu duschen, doch als das kühle Wasser über seinen Körper prasselte verlor er seine Kontrolle endgültig und sank weinend in sich zusammen. Er hatte noch nie mit jemandem etwas über seine schreckliche Kindheit erzählt und noch nie war er einem Menschen nahe gewesen oder hatte Liebe gespürt. Er konnte einfach nicht mehr. Die Erzählungen über Rays Vergangenheit hatten ihn schwer erschüttert und nun holte ihn all der alte Schmerz wieder ein. Seine Tränen vermischten sich stet mit dem Wasser der Dusche und er begann heftig zu zittern. Die Augen geschlossen haltend merkte er nicht, wie jemand das Badezimmer betrat. Erst als der Duschvorhang zur Seite geschoben wurde und kalte Luft sich um seinen Körper legte sah er wieder auf und blickte in goldgelbe Augen die ihn, wie schon so oft, traurig anblickten. Ray begann wieder ihn mit der Gebärdensprache anzureden, besann sich aber gleich eines besseren und reichte Kai zitternd seine Hand. Langsam fasste der Russe nach dieser und ließ sich aus der Dusche ziehen; das Wasser hatte er mit einem schnellen Handgriff abgeschalten. Während Ray auf den mit Wasserdampf überzogenen Spiegel schrieb holte Kai sich ein großes Badetuch und wickelte sich darin ein. Er sah zu Ray und dann auf das Geschriebene von diesem: ~ Wie heißt du? ~ Kai musste leicht Lächeln, hatte der andere doch tatsächlich mit ihm zu sprechen begonnen. - Kai - schrieb er darunter. ~ Ich heiße Ray ~ Der Platz auf dem Spiegel wurde knapp und so hatte Kai eine Idee, das „Gespräch“ fortzuführen. Er wollte das eben angefangene nicht sofort wieder verlieren. Er fasste vorsichtig nach Rays Hand, welcher bei der Berührung zwar leicht zusammenzuckte, es jedoch zuließ. Er zog den Chinesen hinter sich zurück ins Zimmer und wies ihm, sich aufs Bett zu setzen. Er selbst holte von seinem Schreibtisch einen Block und einen Stift. - Willst du ein bisschen reden? - Dann reichte er es dem schwarzhaarigen Jungen und wartete gespannt eine Antwort ab. ~ Ja ~ - Und worüber? - ~ Dich ~ - Was willst du denn wissen? - ~ Alles ~ Kai dachte einen Moment nach, bevor er wusste was er darauf nun antworten sollte. - Nur, wenn du mir auch etwas von dir erzählst - Nach langem zögern antwortete Ray. ~ OK ~ Am Abend lag Kai nachdenklich in seinem Bett. Sie hatten noch eine Weile hin und her geschrieben, hatten festgestellt, dass Kai bloß drei Monate älter war als Ray, dass sie beide nicht in Japan geboren waren und dass sie auch so viele gemeinsame Hobbys hatten. Vielleicht könnten sie sich doch noch anfreunden und der Russe spielte immer noch mit dem Gedanken, alles über Ray herauszufinden. Mit diesen Gedanken schlief er nach einer Weile ein. ~+~ … ~+~ Zitternd lag der kleine Junge mit grau-blauen Haaren auf dem Boden und litt unerträgliche Schmerzen. Sein Großvater hatte ihn, wie jedes mal, einfach in dem Kellerraum liegen gelassen. Kai weinte; bestimmt flossen die salzigen Tränen nun schon seit Stunden über seine Wangen, doch er hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Schließlich gelang es ihm doch, sich aufzurichten und er schleppte sich mühsam in sein Zimmer zurück. In dem großen Wandspiegel besah er sich dann seinen Rücken… er sah einfach nur schrecklich aus. Unzählige Narben die durch die Schläge entstanden waren und dazu kamen dutzende neue Wunden. Seine Haut klebte aufgrund des angetrockneten Blutes immer noch und er fühlte sich sehr unwohl. Er schlüpfte unter die Dusche und obwohl es in den Platzwunden sehr brannte, ließ er das kühle Wasser darüber rinnen. Als er dann in seinem Bett lag, konnte er sich kaum zudecken, weil sogar dieser leichte Druck ihn zusammenzucken ließ. Bis er einschlafen konnte, malte er sich wieder aus wie er eines Tages weggehen würde, in ein fernes Land. Er wäre dort endlich alleine und könnte glücklich werden, bräuchte nicht mehr in Angst leben. Der nächste Tag war angebrochen und er saß am großen Esstisch. Es war Mittagszeit und sie aßen stumm und ohne einander anzublicken; doch obwohl sie keinerlei Gedankengut austauschten, ahnte Kai, dass sein Großvater die Quälereien des letzten Tages genossen hatte… und er hasste ihn dafür. ~+~ … ~+~ Kai wachte auf, ließ die Augen jedoch geschlossen. Warum nur quälte ihn die Vergangenheit nun auch noch so penetrant in seinen Träumen? Nach weiteren fünf Minuten konnte er sich aufraffen aufzustehen und sich anzuziehen. Als er aus dem Bad kam war es auch gerade Zeit zum Frühstück. Ray war anscheinend schon gegangen, denn dessen Bett war leer. Kai trottete die Gänge entlang und die Stufen hinunter, bis er in dem großen Raum mit den unzähligen Tischen und Stühlen ankam. Er setzte sich zu Ray, denn obwohl sie nie miteinander gesprochen hatten, hatte sich diese eine Sache eingebürgert. Kai genoss die Nähe des anderen und diesen schien es nicht zu stören. Während dem Essen hing jeder seinen Gedanken nach und auch beim Weg zurück ins Zimmer zeigten sie kein Interesse an der Anwesenheit des anderen. Der Unterricht verlief wie üblich: Kai war zu schlecht gelaunt um viel mitzuarbeiten und starrte lieber mit eisigem Blick aus dem Fenster. Anfangs hatten die Lehrer noch versucht, ihn dazu zu bringen aufmerksam zu sein doch selber ihnen war es nach einer Zeit zu bunt geworden. Sollte Kai eben selbst sehen, wie er die Prüfungen bestehen wollte. Ray arbeitete im Stillen für sich. Er bekam den Stoff stets schriftlich und musste zu diesem ein paar Fragen beantworten, die ebenfalls auf seine Unterlagen geschrieben wurden. Er tat dies sehr gewissenhaft und vertiefte sich jedes Mal sehr in seine Arbeit. Nachmittags saßen Kai und Ray in ihrem Zimmer und machten Hausaufgaben. Es war seltsamerweise von Anfang an für beide selbstverständlich gewesen, das Kai den Stoff mithilfe von Rays Unterlagen nachholte, obwohl sie nicht miteinander gesprochen hatten. Sie konnten sich anscheinend auch ohne Worte verständigen. Als Kai fertig war legte er sich auf die Couch, die sich ebenfalls in ihrem geräumigen Zimmer befand und schloss die Augen. Einen Arm hatte er in seinem Nacken liegen, der andere war auf seinem Bauch platziert. Er hörte wie Ray sich bewegte, auf ihn zukam und schließlich neben ihm stoppte. Kai nahm ebenfalls war, wie der Chinese schneller zu atmen begann und schließlich nach seiner Hand fasste. Erschrocken riss er die Augen auf und sah direkt in Rays, die ihn verunsichert anblickten. Was nun geschah hatte Kai wirklich nicht erwartet. Kapitel 2: Worte die niemand hört --------------------------------- Kapitel 2 - Worte die niemand hört Ray hatte ihn auf die Beine gezogen und führte ihn zum Bett, auf welches Kai sich dann auch setzte. Er beobachtete den Chinesen dabei, wie er Block und Stift holte und sich dann ihm gegenüber auf den Boden setzte. Seine Körperhaltung war zwar lockerer als zuvor, doch in seinen Augen sah man immer noch Verunsicherung und eine Spur von Angst. „Was…?“, begann Kai, doch Ray deutete ihm still zu sein. Dann hielt der schwarzhaarige Junge seine Hände vor sich und begann langsam immer wieder dieselben Zeichen zu machen; nach einem kurzen Augenblick verstand Kai auch was Ray wollte und er machte die Zeichen nach. Jedes Mal wenn Ray fand, dass Kai es richtig machte, schrieb er auf den Block was er eben „gesagt“ hatte. Er brachte dem Russen somit die Gebärdensprache bei. Sie verbrachten den gesamten Nachmittag damit zu üben und abends konnte Kai schon einfache Fragen stellen und auch darauf antworten. Er hätte nicht gedacht, dass er so etwas je lernen würde, doch mittlerweile fand er die Idee Rays richtig gut. So konnten sie sich besser verständigen und vielleicht würde er Ray auch einmal dazu bringen richtig zu sprechen, wer wusste das schon. In dieser Nacht blieb Kai von Albträumen verschont. Die nächste Woche verging recht schnell und die beiden Jungen übten jeden Tag. Kai lernte sehr schnell; eine Begabung die er wohl seinem Großvater zu „verdanken“ hatte. Ray wurde gegenüber dem anderen zwar offener, ließ sich aber von Kai immer noch nicht anfassen und schwieg sich auch über seine Vergangenheit aus. Der Russe hatte ihn mehrmals darauf angesprochen doch Ray meinte dann immer nur, er habe jetzt keine Lust mehr sich zu unterhalten und kehrte Kai schließlich den Rücken zu. Wieder einmal war genau dies geschehen und Ray lag scheinbar schlafend auf seinem Bett. Er hatte die Arme auf der Brust verschränkt und die Augen geschlossen doch Kai wusste ganz genau, dass Ray noch wach war. Da in so einem Moment nichts den Chinesen dazu bewegen konnte den anderen wieder zu beachten, wandte Kai sich dann immer seinen Schulaufgaben zu und lernte. Irgendwann würde er es schon schaffen diese Informationen aus Ray herauszubekommen. Er wurde leicht an der Schulter gezogen und wachte davon auf. Verwirrt blickte er sich um und merkte, dass er über seinem Heft wohl eingeschlafen war. Er drehte sich um und sein und Rays Blick trafen aufeinander. Keine Sekunde später jedoch grinste der Chinese breit und blickte Kai vergnügt an. *Was?* fragte er ihn mithilfe der Gebärdensprache. *Du hast Tinte auf der Wange* Verwundert blickte er Ray an, sprang dann auf und lief zum Wandspiegel. Und tatsächlich, über seine linke Wange schlängelten sich ein paar Worte über japanische Literatur. Schnell lief er ins Bad und versuchte es abzuwaschen, doch zu seinem bedauern war die schwarze Tinte wasserfest; lediglich ein bisschen blasser wurden die Schriftzeichen. Das hatte er ja wieder toll hinbekommen; jetzt durfte er ein paar Tage mit Literatur im Gesicht rumlaufen. Er wollte sich eben umdrehen, als er Rays Gesicht im Spiegel ausmachte und dieser ihm ein kleines Fläschchen hinhielt. „Was ist das?“ Ray antwortete nicht sondern holte aus einem kleinen Schrank ein bisschen Watte, tränkte diese mit der Flüssigkeit aus dem Fläschchen und strich damit dann über Kais Wange. Die Tinte begann sich zu lösen und Kai griff nach der Watte um selbst weiterzumachen, doch bei dieser Bewegung berührte er Rays Hand und dieser ließ ruckartig von dem Russen ab. Die Watte hatte er losgelassen und sie war ins Waschbecken geplumpst. „Tut mir Leid“, sagte er schnell. Ray nickte nach ein paar Sekunden, drehte sich um und verschwand wieder in ihrem Zimmer. Sich selbst wegen dieses Missgeschicks verfluchend holte er den Wattebausch aus dem Becken und brachte das zu Ende, was Ray begonnen hatte. Als seine Wange schließlich wieder sauber war verließ er ebenfalls den Raum um dem Chinesen wieder Gesellschaft zu leisen, doch dieser war nicht mehr da. ‚Wo ist er bloß hin?’ Nachdenklich zog Kai sich bis auf die Boxershorts aus, ging sich noch schnell die Zähne putzen und verschwand dann unter seiner Decke. Das Licht ließ er brennen, denn schlafen wollte er sowieso nicht bis Ray zurückkam. Er musste zugeben, dass er sich um den anderen sorgte, obwohl dies so gar nicht seine Art war. Nach einer Stunde kehrte Ray auch ins Zimmer zurück und riss Kai aus seinem Dämmerschlaf. Kai tat als ob er schliefe und beobachtete wie Ray das Licht ausschaltete und zu seinem Schreibtisch ging. Das Mondlicht strahlte ihn dabei an, es war beinahe Vollmond, und zeichnete seine Konturen weich nach wodurch er noch lieblicher und anmutiger wirkte. Der schwarzhaarige schrieb noch ein paar Sachen bis er sich schließlich ebenfalls umzog, noch einmal ins Bad verschwand und sich dann schlafen legte. Am nächsten Morgen erwachte Kai durch lautes Gerumpel das, wie er feststellte, von Ray veranstaltet wurde. Dieser rückte ein paar Möbel herum und war so in seiner Arbeit vertieft dass er nicht einmal merkte, wie Kai sich neben ihn stellte. Erst als dieser ihn leicht am Ärmel zog wurde er auf den Russen aufmerksam. *Guten Morgen*, begrüßte Ray ihn dann jedoch sofort. „Morgen Mondlicht…“, antwortete Kai gelassen. *Wie hast du mich genannt?* „Mondlicht.“ *Warum?* „Weil du geheimnisvoll und gleichzeitig schön bist wie das Mondlicht, deshalb.“ Kai wusste nicht, warum er das gesagt hatte aber er bereute es, als er Rays Gesichtsausdruck sah. Doch wider seinen Erwartungen spielte der Chinese das Spiel mit. *Okay… Sonnenschein.* „Sonnenschein?“, fragte der blau-grauhaarige verwirrt über diesen Kosenamen nach. Ray nickte nur und schien nicht daran interessiert zu sein weitere Erklärungen abzugeben. So kam es, dass sie sich von da an mit „Mondlicht“ und „Sonnenschein“ ansprachen. Wieder waren ein paar Wochen ins Land gezogen und die beiden Jungen hatten sich zu wirklich guten Freunden entwickelt. Wenn jemand Ray dumm anmachte, bekam er es sofort mit Kai zu tun und der Chinese half dem anderen dafür in der Schule. Von ihren männlichen Klassenkameraden wurden sie gemieden, doch das störte sie nicht weiter. Die Mädchen hingegen bewunderten das stille Duo und hätten alles dafür getan, um einmal mit ihnen ausgehen zu können. Kai und Ray gaben jedoch jedem einzelnen Mädchen einen Korb und schienen es noch nicht einmal in Erwägung zu ziehen, mit einem auszugehen. Eines Abends kam Kai aus der Dusche, wickelte sich ein Handtuch um die Hüften und ging ins Zimmer um sich anzuziehen. Als er seine Kleider aus dem Schrank holte wandte er Ray, der auf der Couch saß und las, den Rücken zu. Bevor Kai überhaupt realisierte was los war, spürte er wie jemand sanft über seinen Rücken fuhr, oder genauer gesagt die feinen Narben nachzeichnete. Sie waren nicht mehr als dünne weiße Linien aber dennoch deutlich zu erkennen. Der Russe wusste, dass Ray es war der ihn anfasste und dennoch wurde er sehr unruhig. Er drehte sich langsam um und sah dann in goldgelbe Augen die ihn mitleidig ansahen. *Woher sind die?* „Ist das denn so wichtig?“ Ray nickte. „Wieso?“ *Weil ich dich mag* Verwirrt sah er ihn einen Moment an, doch dann begann er ihm alles zu erzählen. Von seinem Leben in Russland, seinem Großvater und wie sehr er alles dort gehasst hatte. *Deshalb bist du hier?* „Genau. Aber sag Mal… würdest du mir erzählen, was dich immer so traurig macht? Ich meine, jetzt kennst du mein Geheimnis ja auch.“ Hoffnungsvoll sah Kai den schwarzhaarigen an und als dieser ihm tief in die Augen blickte nickte er sehr leicht. *Ich schreibe es auf* Es dauerte ziemlich lange, doch dann reichte Ray ihm den Block und Kai begann zu lesen. ~ Vor über einem Jahr war ich einmal in der Stadt unterwegs, in der ich damals gewohnt habe. Ich habe immer wieder dieselben zwei Männer gesehen, wie sie sich herumgetrieben und alles beobachtet haben. Und dann habe ich einmal beschlossen ihnen zu folgen. Sie sind in ein Leerstehendes Haus am Stadtrand gegangen und dort habe ich dann gehört wie sie darüber gesprochen haben die große Kohlefabrik in die Luft zu sprengen. Ich wollte dann so schnell wie möglich weglaufen, hab’ dabei aber ein paar Schachteln umgeworfen und sie wurden auf mich aufmerksam. Ich konnte ihnen zwar entkommen aber erkannt hatten sie mich trotzdem. Zwei Tage später gab es dann diese riesige Explosion durch die meine Eltern gestorben sind und ich mein Gehör verloren habe. Ich wollte eben ins Haus um einen Krankenwagen zu rufen, als ich von jemandem gepackt und in ein Auto gedrängt wurde. Naja, das waren die beiden Männer die ich einmal belauscht hatte. Sie haben nach mir gesucht und mich schließlich auch gefunden. Wir sind dann ins Ausland geflogen, ich glaube nach Kambodscha. Ich war dann acht Monate bei ihnen und in dieser Zeit kamen sie immer wieder und haben mich Missbraucht. Alle möglichen Phantasien lebten sie an mir aus und sie zwangen mich immer dazu vor Lust zu Stöhnen oder vor Schmerz zu Schreien, das turnte sie an. Als eben diese Acht Monate vorüber waren stürmte die Polizei das kleine Haus und befreite mich aus ihrer Gefangenschaft. Die beiden wurden Lebenslang hinter Gitter gebracht und mich hat man hier her geschickt. ~ Kai starrte den Zettel an und konnte es nicht fassen. Der Text wirkte zwar unheimlich kühl und sachlich, doch er konnte deutlich sehen, wie schwer es Ray gefallen war dies auf Papier zu bringen, denn die Schrift war sehr zittrig. Nur langsam blickte Kai auf und sah seinem Freund in die Augen. Als könne dieser seine Gedanken lesen nickte er bloß traurig und setzte sich neben ihn. - Warum sprichst du nicht? - Ray zögerte einen Augenblick und dachte wohl darüber nach, ob er überhaupt eine Antwort geben sollte. Doch dann raffte er sich auf und fasste nach dem Stift. ~ Sie haben meine Stimme schmutzig gemacht, deshalb ~ - Aber ich würde sie gerne einmal hören - ~ Vielleicht irgendwann einmal. Lass uns jetzt schlafen gehen. ~ Kai stimmte zu, also legten sie sich beide in ihre Betten und versuchten zu schlafen. Kapitel 3: Gefühle die ich nicht kenne -------------------------------------- Kapitel 3 - Gefühle die ich nicht kenne Am nächsten Morgen wachte Kai früh auf. Bis zum Frühstück war noch mindestens eine Stunde Zeit und auch Ray schlief noch tief und fest. Kai stand auf, setzte sich vor dem Bett seines Freundes auf den Boden und betrachtete ihn. Ihnen beiden waren furchtbare Dinge widerfahren und doch hatten sie bis zum jetzigen Zeitpunkt durchgehalten. Sie hatten sich gegenseitig von ihren Erlebnissen erzählt und niemand anderes wusste darüber bescheid. Vielleicht war nun ein neuer Abschnitt in ihrer beider Leben angebrochen; eine Zeit in der sie beide nicht mehr einsam waren und nicht mehr leiden mussten. Ja, vielleicht. Der Tag verging schnell und es ereignete sich nichts Erwähnenswertes. Abend saßen sie beide in ihrem Zimmer und Kai hörte Musik während Ray etwas in ein kleines Buch schrieb. Der Russe interessierte sich zwar dafür, aber der andere verbarg es vor ihm. Also gab er sich damit zufrieden. Als der Chinese fertig war gab Kai seinen Minidiscman zur Seite und lächelte ihn freundlich an. Ray erwiderte diese Geste und setzte sich zu dem anderen auf den Boden. Sie sahen sich einfach an, verstanden sich wie schon so oft ohne Worte. Zögernd rutschte Ray neben den Russen und nur sehr vorsichtig lehnte er sich an diesen. Ihre Schultern und Köpfe berührten sich, mehr nicht, und dennoch war dieser Körperkontakt ausreichend. Mehr wollte Ray nicht und das wusste und akzeptierte Kai. Für ihn selbst waren Berührungen ebenfalls fremd und unangenehm, doch nicht auf die gleiche Art und Weise wie es bei Ray der Fall war. Wie lange sie so da saßen wussten sie nicht, doch irgendwann wurden beide von der Müdigkeit ins Bett getrieben. Es war mittlerweile März geworden. In der Schule wurde es immer stressiger, denn in einem Monat fingen die Prüfungen an. Die Lehrer wiederholten eifrig den Stoff des Jahres, brachten noch schnell letzte Dinge ein und waren ebenfalls sehr damit beschäftigt die ganzen Testunterlagen vorzubereiten. Ray war in der Schule sehr gut und verbrachte viel Zeit damit, Kai allerhand zu erklären. Vor allem in Mathematik tat sich der Russe schwer, doch wenn der schwarzhaarige Junge es ihm erklärte, schien alles viel einfacher und verständlicher zu sein. Wieder saßen sie nachmittags beieinander und lernten eifrig, jedoch jeder für sich. Kai brütete über seinem Mathematikbuch während Ray sich noch einmal in Geschichte schlau machte. Dem Russen wollte die Wahrscheinlichkeitsrechnung einfach nicht in den Kopf und er verstand nicht, wie man immer auf diese unmöglichen Ergebnisse kommen konnte. Schließlich wurde es ihm zu dumm und er ging einfach zu Ray um diesen um Hilfe zu bitten. Er zupfte an dessen Hemd und dieser wandte auch sofort den Kopf. *Was ist?* fragte er den Russen. *Hilfst du mir?* *Ja* Wie schon so oft holte Kai sein Buch und reichte es dem Chinesen. Dieser sah schnell durch was der andere nicht verstand und schrieb dann alles auf. Kai beugte sich hinunter um zu sehen was Ray schrieb und als dieser sich ihm wieder zuwandte, trafen ihre Blicke aufeinander. Ihre Gesichter waren einander sehr nahe, zu nahe. Beide stutzten und sahen sich in die Augen. Etwas Seltsames lag in der Luft dass sich keiner der Jungen erklären konnte und genauso wenig wussten sie mit der Situation umzugehen. Es schien eine Ewigkeit zu dauern bis Ray den Zettel ruckartig hochhob und Kai in die Hand drückte, der Blickkontakt stand jedoch noch. Dann jedoch wandte Kai sich so schnell ab wie er gekommen war und setzte sich wieder hinter seinen Schreibtisch. Er las sich Rays Erklärung durch und versuchte krampfhaft sich darauf zu konzentrieren, doch so ganz wollte es ihm nicht mehr gelingen. Immer wieder huschten seine Augen zu Ray und immer öfter passierte es, dass sich ihre Blicke neuerlich kreuzten. Den restlichen Tag sprachen sie nichts mehr miteinander, doch goldgelb und rubinrot hatten mehr Kontakt als sonst. Abends kam plötzlich wieder so eine Situation zustande die Ray sowie Kai emotional überforderte. Ray war eben aus der Dusche gekommen und stand bloß mit Handtuch um die Hüften im Bad als Kai eintrat. Nicht, dass dies das erste Mal der Fall gewesen wäre doch an diesem einen Tag schien plötzlich alles anders zu sein. Sie starrten sich an und rührten sich keinen Millimeter. Das Atmen war das einzig hörbare Geräusch binnen mehreren Sekunden. Dann legte Ray einen rauschenden Abgang hin, oder genauer gesagt er versuchte es. Er wollte schleunigst aus dem Badezimmer verschwinden, doch da er nasse Füße hatte und der Boden gefliest war rutschte er durch das schnelle Tempo aus und wäre ganz sicher hart aufgeprallt, hätten ihn da nicht plötzlich zwei starke Arme aufgefangen. Ihre Haut berührte sich, denn Kai trug nur Boxershorts. Ein seltsames Gefühl machte sich in dem Russen breit als er dem anderen so nahe war und diesem ging es nicht anders. Ray rappelte sich so schnell wie möglich auf und verließ endlich das Zimmer. Kai stand noch einen Augenblick da bevor er sich auf sein eigentliches Vorhaben besann und selbst unter die Dusche stieg. Als er sich die Haare trocknend ins Zimmer kam hatte Ray sich bereits ins Bett gekuschelt und war bis zur Nasenspitze zugedeckt. In den folgenden Tagen gaben beide sich Mühe solch unangenehme Situationen zu vermeiden und es gelang ihnen recht gut. Den sich häufenden Blickkontakt hatten sie jedoch nicht unter Kontrolle, es schien dabei aber auch ihr kleinstes Problem zu sein. Immer öfter huschte auch ein Lächeln über die Lippen der Jungen während sie sich tief in die Augen blickten. Noch konnten sie sich diese seltsamen Gefühle und Reaktionen nicht erklären, doch auch das sollte sich bald ändern. Kai wachte auf da ihm die Sonne ins Gesicht schien. Es war Sonntagmorgen und er hatte an diesem Tag nur eines geplant: faul sein. Also drehte er sich auf die andere Seite und schloss die Augen, einschlafen konnte er aber dennoch nicht mehr. Er stand auf und fluchte auf Russisch vor sich hin, während er ins Badezimmer verschwand. Als er zurückkam saß Ray aufrecht im Bett und lächelte Kai an. Er selbst lächelte zurück, blieb aber stehen. Das Shirt das er beim schlafen trug warf er auf seine Decke, angezogen hatte er sich im Bad. Ray stand nun seinerseits auf, ging auf den Russen zu und blieb etwa einen halben Meter vor diesem stehen. „Guten Morgen“, begrüßte Kai ihn schließlich. Ray nickte. Irgendetwas veranlasste den Chinesen dazu Kai einfach nur tief in die Augen zu sehen und der Russe wurde davon ein wenig verunsichert. Es lief ihm jedes Mal ein Schauer über den Rücken wenn sie beide einander so ansahen. Seit ein paar Tagen lief das so, trotzdem wusste der Russe einfach nichts damit anzufangen. Er hatte aber immerhin knapp 17 Jahre seines Lebens in Russland verbracht und hatte dort in Einsamkeit gelebt, woher also sollte er auch wissen was für ein Zwischenmenschliches Gefühl sich in ihm jedes Mal breit machte, wenn er Ray ansah. Ohne Vorwarnung näherte dieser sich dem anderen noch einmal, berührte die Lippen Kais sehr sachte und sehr kurz mit seinen eigenen, bevor er an dem Russen vorbeihuschte und ins Badezimmer ging. Kai stand verdutzt, verwirrt und erstarrt mitten im Raum. ‚Was… sollte das…?’ Der blau-grauhaarige hatte den ganzen Vor- und Nachmittag über im Garten verbracht und dachte über den kurzen Kuss von Ray nach. Es konnte doch nicht ernsthaft das bedeuten, was er vermutete. Es konnte und durfte irgendwie nicht sein, außerdem hatten dazu er und Ray viel zu viel Angst vor Nähe und konnten nicht vertrauen. Nein, es konnte einfach nicht sein… Am frühen Abend betrat Kai erst wieder das Zimmer. Er schnappte sich sein Lieblingsbuch von seinem Schreibtisch und legte sich auf sein Bett. Ray war nicht da und das war Kai im Moment mehr als nur Recht. Er begann zu lesen und als er nach ein paar Minuten neuerlich umblätterte lag plötzlich ein kleiner Zettel zwischen den Seiten. Ohne das er wusste warum, zitterten seine Finger als er nach dem kleinen Stück Papier griff. Die Schrift darauf war eindeutig Rays und er musste es mehrmals lesen bevor ihm dessen Bedeutung klar wurde. ~you can try to resist, try to hide from my kiss but you know that you can’t fight the moonlight~ (du kannst versuchen zu widerstehen, versuchen dich vor meinem Kuss zu verstecken aber du weißt, das du das Mondlicht nicht bekämpfen kannst) Der Russe fragte sich ob der Chinese wohl noch einen Zettel in sein Buch gesteckt haben könnte und tatsächlich fand er ein paar Seiten weiter einen zweiten. ~deep in the dark you surrender your heart but you know that you can’t fight the moonlight~ (tief in der Dunkelheit verschließt du dein Herz aber du weißt, dass du das Mondlicht nicht bekämpfen kannst) Wieder blätterte er weiter und ein drittes Stückchen Papier fiel ihm entgegen. ~no matter what you do, the light is gonna get to win~ (egal was du tust, das Licht wird gewinnen) Dieser Zettel war nun der letzte gewesen. Das Buch hatte er bereits zur Seite gelegt und die drei Botschaften lagen nun vor ihm. Immer wieder sah er sie an, las er sie durch, aber er konnte es einfach nicht glauben. Das Zufallen der Zimmertür riss ihn aus seinen Gedanken und er sah auf, erblickte direkt goldgelbe Augen die ihn etwas verunsichert ansahen, denn Ray hatte die Zettel bereits bemerkt. „Was hat das alles zu bedeuten…?“, fragte Kai leise, „…erklär es mir, bitte…“ Der Chinese sah ihn eine Weile zögernd an doch dann setzte er sich zu ihm und überlegte. Er blickte Kai direkt an, versank augenscheinlich in dem dunklen rot. Schließlich entschloss er sich wie schon so oft für die Aufschreib-Methode und schrieb ein Wort nach dem anderen auf je eine Seite eines kleinen Blockes. Dann setzte er sich gegenüber von Kai auf dessen Bett und blickte ihn an. Den Block hielt er vor sich, so dass der Russe es lesen konnte. ~Vertrauen~ Kai nickte und Ray blätterte um. ~Zuhören~ Wieder ein Nicken und eine Handbewegung folgte. ~Nähe~ Kai merkte dass all dies nach und nach beschrieb was sich zwischen ihnen im Laufe der Zeit entwickelt hatte. Ray zögerte bevor er dem Russen das nächste Blatt zeigte. ~Liebe~ Der Junge starrte dieses Wort vor sich an. Er hatte schon so oft darüber gelesen, hatte gehört dass andere so etwas empfanden doch er selbst hatte nicht im Geringsten Ahnung über dieses Gefühl das sich Liebe nennt. „Meinst du…“, begann Kai, brach jedoch ab. Er wagte noch nicht einmal die Frage zu Ende zu stellen doch Ray schien diese auch so zu kennen. Das letzte Mal blätterte er um. ~Lass es uns versuchen~ Kapitel 4: Schulstress und Ferienbeginn --------------------------------------- Kapitel 4 - Schulstress und Ferienbeginn Immer und immer wieder las Kai die vier Worte durch. Sollte er sich tatsächlich darauf einlassen? Würde das gut gehen wenn sie beide zusammen wären? Und vor allem, wie würde das aussehen? Es war eindeutig keine einfache Angelegenheit und vermutlich wäre ihre Beziehung durch ihre früheren Erlebnisse sehr Vorbelastet, davon abgesehen dass Ray auch noch taub war. Kai dachte angestrengt nach, doch schließlich fixierte er die goldgelben Augen Rays und nickte zaghaft. Er wollte es versuchen. Ein Lächeln schlich sich auf das Gesicht des Chinesen und er legte den Block beiseite. Zögernd sah er den Russen an und dieser hielt ihm die Hand entgegen. Ray erfasste sie und wurde langsam in die Arme des älteren gezogen. Er ließ es zu, ließ Kai ihm so nahe kommen, denn er vertraute ihm und wollte nicht mehr länger so abgeschottet von allen anderen leben. Der blau-grauhaarige fand es sehr schön den anderen im Arm zu halten und einfach nur bei sich zu haben und war froh, dass dieser es nicht ablehnte. Er legte sich schließlich hin, zog Ray mit sich und umarmte diesen immer noch. Ray war es anfangs zwar unangenehm und er spannte sich ein wenig an, ließ sich aber von Kais gleichmäßigem Atmen schnell wieder beruhigen. Erst als es Zeit zum Abendessen war ließen sie wieder von einander ab und gingen gemeinsam zum großen Speisesaal. Wie immer saßen sie dort nebeneinander, wurden jedoch von vielen Augenpaaren beobachtet. Links neben Kai saß eine kichernde Mädchengruppe die immer wieder zu den beiden Jungen hinüberschielte und immer auf ein Lächeln von ihnen hoffte. Sie wurden enttäuscht, den weder Kai noch Ray würdigten sie eines Blickes, viel zu sehr waren die beiden mit sich selbst beschäftigt. Sie sahen sich in die Augen, lächelten sich an und hielten heimlich unter dem Tisch Händchen. Nach dem Essen verschwanden die beiden sofort wieder in ihrem Zimmer und schlossen ab. Sie zogen sich um, und legten sich, nachdem sie im Badezimmer gewesen waren, gemeinsam in Kais Bett. Der Russe deckte sie beide zu und legte einen Arm um Ray. Der schwarzhaarige Junge kuschelte sich an den älteren, schloss genüsslich die Augen und lächelte zufrieden. „Gute Nacht…“, sagte Kai leise und gab dem anderen einen Kuss auf die Stirn. Er schaltete das Licht aus und schlief schon sehr bald ein. Auch Ray war kurz darauf ins Land der Träume versunken. Nicht lange hatten sie so viel Zeit für sich, denn nur wenig später begannen die Prüfungen. Als erstes waren Japanisch und Geographie dran, beide lernten eifrig denn sie wollten schließlich das Jahr nicht wiederholen müssen. In der Woche darauf hatten sie eine Mathematikarbeit, eine Geschichte- und eine Englischprüfung; für Kai hieß das viel Stress wegen Mathematik, bei Englisch hatte er wegen seinem großen Sprachentalent keine Probleme und da er Geschichte schon als kleiner Junge immer eifrig lernen hatte müssen war auch das für ihn ein Leichtes. Ray hingegen hatte mit der Geschichte schwer zu kämpfen, sprachlich war er jedoch eben so gut wie sein Freund. In dieser einen Woche hatten sie kaum eine ruhige Minute für einander und es kam ihnen nicht so vor, als ob sie zusammen wären. Lediglich das gemeinsame einschlafen und aufwachen im selben Bett erinnerte sie an ihre Beziehung, denn für traute Zweisamkeit war nur noch nachts Zeit. Doch auch diese stressige Phase neigte sich dem Ende zu. Zwei Wochen vor Schulschluss hatten sie ihre letzten Prüfungen: Kunst und Sport. Für diese Fächer mussten sie zum Glück nicht viel lernen und so konnten sie sich wieder einander zuwenden. Mittwochnachmittag, Kai kam eben aus dem Kunstsaal und wurde schon von Ray erwartet. Gemeinsam gingen sie nach draußen in den Garten, denn wie es für Juni üblich war, schien die Sonne und es hatte bereits sommerliche Temperaturen. Sie suchten sich ein ruhiges Plätzchen im Schatten und setzten sich dort in die Wiese. *War es schwer?* fragte Ray. Kai schüttelte den Kopf. „Ich glaube, ich habe alles richtig.“ Freitags wurde dann noch die Kunstprüfung abgehalten und dann waren sie schon so gut wie in den Ferien. Eigentlich hätte das so ziemlich jeden Schüler freuen müssen, doch aus irgendeinem Grund wurde Ray mit jedem Tag stiller und trauriger. Kai entging das natürlich nicht und so beschloss er ihn darauf anzusprechen. Als sie wieder einmal in der Sonne lagen und ihre Freizeit genossen stupste der Russe den jüngeren an. Ray drehte sich zur Seite und sah ihn fragend an. „Was ist los mit dir?“ Ray zuckte mit den Schultern, sah ihn aber weiter an. „Du kommst mir so traurig vor“, setzte Kai fort. Der Chinese seufzte, setzte sich auf und sah zum Himmel. Dann wandte er sich wieder seinem Freund zu und blickte ihn nachdenklich an. *Ich weiß nicht wo ich in den Ferien wohnen soll* Kai sah ihn einen Augenblick an und lächelte dann. „Du kannst doch zu mir kommen, mein Großvater hat mir vor einem Jahr ein Anwesen geschenkt. Es ist etwa 100 Kilometer von hier entfernt.“ Ray staunte nicht schlecht als er das hörte. Er wusste zwar, dass Kais Familie sehr reich war, doch überraschte es dennoch sehr dass Kai mit seinen siebzehn Jahren schon ein komplettes Anwesen besaß. Der Tag der Zeugnisvergabe war gekommen und gespannt saßen die Schüler auf ihren Stühlen. Einer nach dem anderen wurde nach draußen gerufen, der Klassenlehrer sprach ein paar Worte und drückte dann jedem das Stück Papier in die Hand. „Hiwatari, Kai“, sagte der junge Mann schließlich laut. Der Russe stand auf und blieb vor dem Lehrertisch stehen. „Also ich muss sagen, deine Noten haben mich ganz schön überrascht. Du passt ihm Unterricht so wenig auf und trotzdem hast du überall mit ‚sehr gut’ abgeschlossen. Wirklich gute Leistung. Ich hoffe, dass du im nächsten Jahr genauso gut arbeitest und vielleicht kannst du dich sogar dazu überwinden dich ein bisschen am Unterrichtsgeschehen zu beteiligen.“ Kai grinste den Lehrer an und dieser lächelte ebenfalls. Sie schüttelten sich kurz die Hand und dann bekam der blau-grauhaarige endlich das Dokument überreicht. Ray sah sich gerade Kais Zeugnis an als der Lehrer zu seinem Namen kam. „Kon, Ray.“ Der Russe knuffte seinen Freund in die Seite, dieser blickte ihn verwirrt an und als Kai in Richtung Lehrer deutete ging Ray ein Licht auf. Er sprang auf und ging nach vorne. „Es freut mich, dass du mit lauter guten Noten abgeschlossen hast. In Geschichte hapert es zwar immer noch ein bisschen, aber solang das alles ist wollen wir uns daran nicht stören. Ich gratuliere auf jeden Fall zu dieser sehr guten Leistung.“ Ray lächelte, reichte dem Lehrer die Hand und nahm anschließend sein Zeugnis entgegen. Nachdem die letzten Zeugnisse verteilt und die Schlussworte für dieses Schuljahr gesprochen waren gingen alle auf ihre Zimmer um ihre Koffer zu packen. Ray und Kai mussten sich ein wenig beeilen, denn ihr Zug fuhr in zwei Stunden; zum Glück hatte die Schule einen eigenen Bahnhof der nur etwa hundert Meter von dem Gebäude entfernt war. Sie schleppten ihre Koffer und Taschen zu der Haltestelle und keine fünf Minuten später fuhr der Zug auch schon ein. Sie suchten sich ein leeres Abteil, verstauten ihr Gepäck und ließen sich schließlich erschöpft auf die weichen Sessel fallen. Glücklich lächelten sie sich an, immerhin waren sie nun die gesamten Ferien alleine; sie brauchten sich nach niemandem zu richten und auch die Schule konnten sie für die nächste Zeit komplett aus ihrem Kopf streichen, es zählten nur sie beide. Zwei Stunden lang ratterte der Zug über die Schienen und die Gegend wurde immer ländlicher, Ray schlief ein und Kai sah die gesamte Fahrt über aus dem Fenster. Lange schon war er nicht mehr da gewesen und bestimmt hatte das große Haus einen Frühjahrsputz nötig. Als er aus den Lautsprechern hörte dass die nächste Station die war, bei der sie aussteigen mussten weckte er seinen Freund und suchte ihre Sachen zusammen. Hand in Hand gingen sie durch die Straßen des kleinen Ortes und stoppten nach etwa zehn Minuten vor einem großen Tor. Ray starrte dieses beeindruckt an während Kai in seiner Tasche nach dem Schlüssel kramte. Auf einem eigenen Bund hatte er alle Schlüssel die zu dem Anwesen gehörten und musste nun nach dem für das Eingangstor suchen. Es dauerte ein wenig, doch dann war auch das geschafft. Sie traten ein und Kai schloss wieder ab, dann sahen sie sich erst einmal um. Der Garten war riesengroß und es befanden sich mehrere Springbrunnen darin, die jedoch sehr verschmutzt und ohne Wasser waren. Das Gras war hoch und in den Rosenbeten wucherte das Unkraut. Dann fiel ihr Blick auf das große Haus; es war in gutem Zustand, hatte zwar schmutzige Fenster aber ansonsten sah es wunderschön aus. Kai stellte seinen Koffer ab und zog Ray hinter sich her, auf die andere Seite des Gebäudes. Die Jungen stockten und konnten es kaum fassen; es war zwar ebenfalls alles ein wenig verwildert, aber dennoch war es mehr als nur beeindruckend was sie sahen. Kapitel 5: Erfüllung zweier Herzenswünsche ------------------------------------------ Kapitel 5 - Erfüllung zweier Herzenswünsche Vor ihnen erstreckte sich eine riesengroße Gartenanlage, in welcher sich auch ein Pavillon und ein Swimmingpool befanden. Wild wucherten die Rosen in den Beeten, das Gras war sehr hoch und von Unkraut durchzogen. Die kiesbedeckten Wege waren mit Laub und Schlamm beschmutzt, man konnte die einst strahlend weiße Farbe nur erahnen. Trotz allem war es immer noch beeindruckend. Kai zog Ray wieder hinter sich her, diesmal ins innere des Hauses. Alle Möbel waren mit Kunststoffhüllen ummantelt, sodass sie nicht schmutzig werden konnten. Der Russe ging mit Ray wieder nach draußen, um ihr Gepäck zu holen und lotste den Jungen dann in den zweiten Stock. Dort stieß er eine rotbraune Holztür auf und präsentierte seinem Freund stolz das Schlafzimmer. Ein großes Doppelbett, ein Schreibtisch, eine lederne Sitzgarnitur und ein riesiger Schrank befanden sich darin und alle Möbel waren in altmodischem Stil gefertigt. Kai zog die Schutzhüllen von der Einrichtung, während Ray die Balkontüre und die zwei Fenster öffnete, da die Luft im Zimmer sehr abgestanden war. Der Chinese trat nach draußen in die Sonne und atmete die frische Luft tief ein. Seine Haut wurde von den wärmenden Strahlen gekitzelt und er fühlte sich unheimlich gut. Als Kai von hinten die Arme um ihn schloss und seinen Kopf auf Rays Schulter legte verstärkte sich das Glücksgefühl des schwarzhaarigen noch mehr. So standen sie einige Minuten einfach nur da, doch dann machten sie sich ans auspacken. Als alles erledigt war inspizierte der Chinese das restliche Haus und Kai sah durch, was sie alles kaufen mussten. Eine Stunde später waren sie auf den Weg in den Ort, genauer gesagt zum Supermarkt. Sie kauften Nahrungsmittel, Glühbirnen, Batterien und noch ein paar Kleinigkeiten. Mit dem voll bepackten Einkaufswagen gingen sie zur Kasse und der etwas ältere Kassierer schluckte einmal heftig als er den Hiwatarisprössling vor sich stehen sah. „Sie bewohnen wieder das Anwesen, Herr Hiwatari?“, fragte der Mann mit spürbarer Ehrfurcht. Ray war damit beschäftigt die Waren auf das Förderband zu legen, so bekam er von dem Gespräch nichts mit. „Ja, aber nur für den Sommer.“ „Das ist schön, dass Sie wieder hier sind. Werden sie den Garten wieder herrichten? Das Anwesen war immer außerordentlich schön gewesen, als Sie mit ihrem Großvater noch regelmäßig hier gewesen waren.“ „Vermutlich.“ Kai hatte nicht wirklich Lust auf ein Gespräch, vor allem weil er sich auch nicht mehr an den Greis erinnern konnte. Dieser lachte ihn inzwischen freundlich an und begann die Preise in die Kasse zu tippen. Nachdem sie mit vollen und schweren Taschen das Haus erreicht hatten, machte Ray sich auch gleich ans Kochen; es war inzwischen Zeit fürs Abendessen geworden. Kai wechselte zur währenddessen die Glühbirnen und sammelte die Schutzfolien ein. In etwa gleichzeitig beendeten sie ihre Arbeit und nahmen am großen Esstisch platz. Von der Größe des gesamten Anwesens eingeschüchtert blickte Ray sich immer wieder um; es behagte ihm nicht so viel Raum um sich zu haben und gleichzeitig erinnerte es ihn an etwas, doch er wusste nicht woran. Sie aßen schweigend, wuschen anschließend ab und begaben sich in ihr Schlafzimmer. Die Fenster wurden geschlossen und dann die Matratze ausgetestet. Sie war außerordentlich weich, auch die Decken und die Kissen waren von großartiger Qualität, luden einem direkt zum schlafen ein. Da beide von der Reise erschöpft waren, legten sie sich auch bald hin. Wie schon seit längerem üblich schliefen sie nur mit Boxershorts, kuschelten sich eng aneinander und tauschten noch ein paar Zärtlichkeiten aus. Kai war dabei der aktive und Ray genoss einfach nur. Sie beide hatten keinerlei körperliche Erfahrungen in Sachen Liebe gesammelt und so war es für sie jedes Mal etwas neues, wenn sie sich näher kamen. Der Russe hatte die Arme von hinten um Rays Körper geschlossen, ließ seine Hände auf dessen Brust ruhen. Er verteilte sehr sanfte Küsse auf Nacken und Schulter seines Freundes, ließ es sich auch nicht nehmen ihm einen Knutschfleck zu verpassen. Zärtlich leckte er anschließend über die gerötete Hautstelle und Ray empfand alle Berührung als doppelt so intensiv. Nachdem er einen seiner Sinne verloren hatte, hatten sich die anderen wie von selbst umso mehr geschärft. Er genoss jedes noch so hauchzarte streifen Kais über seinen Körper und spürte in sich den Drang den anderen ebenfalls zu Verwöhnen, doch so viel Mut hatte er dann doch nicht. Also blieb es dabei, dass Kai liebkoste und Ray es genoss. Am nächsten Morgen wachte der Chinese als erstes auf und fand sich immer noch in Kais sanfter Umarmung. Er betrachtete den blau-grauhaarigen eingehend, streichelte ihm nach einiger Zeit sanft über die Wange und versuchte über seinen Schatten zu springen. Er drehte den immer noch schlafenden Jungen vorsichtig auf den Rücken, beugte sich über ihn und küsste ihn am Hals. Als er merkte, dass der andere aufgewacht war und ihm liebevoll über den Rücken strich hielt er inne. Der schwarzhaarige hob den Kopf ein wenig an und blickte direkt in die rubinroten Augen seines Freundes. Dann beugte er sich zu ihm hinunter und verschloss ihre Lippen zu einem sehr vorsichtigen Kuss. Nicht, dass sie sich nicht schon öfter geküsst hätten, doch dieses Mal war es anders, denn Ray hatte die initiative ergriffen, forderte nun sogar mit seiner Zunge Einlass in den Mund des anderen. Dieser wurde ihm auch gewährt und so intensivierten sie ihr kleines Liebesspiel. Eine Weile lief auch alles wunderbar, doch dann kehrten Bilder, die Ray nur zu gerne einfach in den Müll geworfen hätte, in sein Gedächtnis zurück und er brauchte Abstand. Kai widersprach nicht, denn es war jedes Mal so wenn der Chinese einen Schritt weiter zur Normalität hin machte. Erst folgte ein kleiner Rückschlag, der ihn mehrere Tage lang dazu veranlasste sich von Kai nicht intimer anfassen zu lassen, doch dann wurde es zwischen ihnen jedes Mal schöner. „Lass uns Frühstücken…“, meinte der Russe schließlich und sah den anderen aufmunternd an. Nachdem sie Zähe geputzt hatten gingen sie hinunter ins Erdgeschoss, wo sich die Küche befand. Ray zauberte etwas äußerst delikates auf den Tisch und Kai war schnell an den Kiosk gegangen und hatte eine Zeitung gekauft. So saßen sie lesend beim Frühstück, waren jeder vertieft im jeweiligen Lesestoff. Plötzlich jedoch stutzte Ray, als er das Datum auf der Zeitung bewusst gelesen hatte. Es war Juli, der 12. Juli… er war mit Kai nun genau vier Monate zusammen. Ob der Russe das wusste? Er riskierte einen Blick zu diesem und der schien ebenso überrascht zu sein wie er selbst. „Es sind schon vier Monate…“, sagte Kai leise und sah Ray direkt an. Der schwarzhaarige nickte nur wissend und legte die Zeitung beiseite. Sie hatten gar nicht darauf geachtet, dabei hatten sie bis jetzt jeden abgeschlossenen Monat mit einer kleinen Feier bedacht, da es für sie beides etwas ganz Besonderes war. Doch dieses Mal hatten sie es wohl oder übel verschwitzt. Eifrig arbeiteten die Gedanken beider auf Hochtouren, jeder wollte den Tag für den anderen unvergesslich machen. Kai stand schließlich auf und da Ray ihn so verwirrt und fragend ansah, klärte er ihn auf, dass er einkaufen ginge. Für den Garten, wie er meinte. Sie hatten sich am Vortag vorgenommen, die Gartenanlage auf Vordermann zu bringen und so nickte der Chinese. Nachdem Kai sich auf den Weg gemacht hatte, begab sich Ray nach draußen und begann das gröbste beiseite zu schaffen. Gleichzeitig dachte er immer noch darüber nach was er für seinen Freund machen könnte und dann, ganz plötzlich, kam ihm die alles rettende Idee. Es würde nicht einfach werden, aber dennoch wollte er es. Einfach deswegen, weil er Kai liebte und dieser es sich so sehr wünschte. Kai hatte zwar wie gesagt die Dinge für den Garten besorgt, war aber auch noch in einem Reisebüro gewesen. Er hatte sich überlegt Ray einen großen Wunsch zu erfüllen, denn dieser hatte ihm vor einer Weile erzählt dass er noch nie auf Urlaub gewesen wäre, weil immer das Geld gefehlt hätte, und dass er unbedingt einmal nach Paris wollte. Das letzte Geschenk nämlich, das er von seinen Eltern bekommen hatte, war ein Buch über eben jene Stadt in Frankreich gewesen und sie hatten ihm damals versprochen mit ihm dorthin zu fahren. Das Ehepaar hatte schon lange dafür gespart… und dann waren sie gestorben, bevor sie ihr Wort halten konnten. Seitdem war es Rays größter Wunsch diese Stadt zu sehen, er sah es als Liebesbeweis an seine Eltern an, einmal dorthin zu fliegen. Und Kai wollte ihm dies nun ermöglichen. Bis in die frühen Abendstunden arbeiteten die beiden im Garten, hatten sich beide nicht anmerken lassen, dass sie für den jeweils anderen eine Überraschung hatten. Nach dem Essen waren sie in ihr Zimmer gegangen und hatten sich auf das Bett gesetzt. Kai fackelte auch nicht lange herum sondern nahm aus seiner Nachtkästchenlade einen Briefumschlag heraus. Zögernd und mit etwas Unsicherheit ihm Blick überreichte er diesen Ray. Der Chinese nahm das Kuvert schüchtern an, öffnete es und zog den Inhalt heraus. Er erkannte sofort, dass es sich um Flugtickets handelte; er klappte sie auf und dann stach ihm sofort das Wort „Paris“ ins Auge. Erst hatte er das Gefühl das ihm das Herz stehen blieb, dann folgte ein heftiges Herzklopfen das ihn glauben ließ, er würde gleich einen Herzinfarkt bekommen. Sehr langsam ließ er sie sinken und sah Kai an. Rays Mund war leicht geöffnet, seine Augen vor staunen weit aufgerissen und er zitterte leicht. Er hätte nie erwartet, dass Kai ihm diesen sehnlichen Wunsch erfüllen würde. Dann durchfuhr es ihn wie ein Blitz. Es war die ideale Situation um zu seiner Überraschung zu kommen, es würde so bald vielleicht nicht wieder ein so perfekter Moment kommen. Er schluckte einmal heftig, biss sich unruhig auf die Unterlippe und holte dann tief Luft. Jetzt, er würde es tun, einfach so, ohne weiter darüber nachzudenken. Jetzt.. Einfach so… „Ich liebe dich, Kai.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)