Schattenwald von abgemeldet (- Arbeitstitel -) ================================================================================ Kapitel 1: Prolog ----------------- Dies ist mein erster Versuch einer Fantasystory. Das Storyboard liegt wie schon erwähnt vollständig vor, allerdings fehlt es mir im Moment an Inspiration, um mehr als die hier vorliegenden Kapitel umzusetzen. Trotzdem wollte ich es online stellen, auch, weil ich mir erhoffe durch eventuelles Feedback neuen Input zu bekommen. Da ich momentan auch im Unistress bin und noch an anderen Projekten arbeite, kann ich nicht sagen, wie schnell es hier weiter gehen wird, aber die Geschichte ist definitiv NICHT tot und liegt mir sehr am Herzen. ------------------------------------------------------- Prolog Der alte Mann stand auf einem Felsvorsprung. Sein brauner Umhang hob sich kaum von der Ödnis rings um ihn herum ab. Nur das schlohweiße schulterlange Haar stand im Kontrast zu dem Einerlei an Brauntönen der Landschaft. Lange stand er reglos, bis er schließlich die Schultern straffte und mit federnden Schritten in das kleine Tal hinunter lief. Zielstrebig bewegte er sich auf eine Gruppe verdorrter Baumstümpfe zu. Der Höhleneingang den sie bargen, war nur für denjenigen zu sehen, der wusste, wo er ihn suchen musste. Niobar wusste es. Hatte er die Ödnis, die ihn umgab, doch selbst geschaffen. Er konnte sich noch genau an das Gefühl erinnern, mit dem er die Höhle vor unendlich langer Zeit verlassen hatte. Schon damals hatte sich das schreckliche Wissen, eines Tages zurückkehren zu müssen um seinen Schwur einzulösen, wie ein Schatten auf seine Seele gelegt. Wohin auch immer er gegangen war, die Angst und das Gefühl von Schuld waren ihm gefolgt. Nun stand er wieder am Eingang. Nichts hatte sich verändert seit er Drungdór vor vielen Generationen tief im Erdreich eingeschlossen hatte. Er zögerte nur kurz, bevor er seinen Mantel ablegte und in die Höhle glitt. Den Mantel würde er nicht mehr brauchen. Er glaubte nicht daran, das Tageslicht jemals wieder zu sehen. Wie schon vor vielen Jahren trug er ein Schwert an seiner Seite. Die Klinge Mograsir hatte ihn in all den Schlachten der Schattenjahre begleitet und würde gemeinsam mit ihm auch diese letzte Reise antreten. Unendlich lang schien ihm der Weg in die Tiefe, doch mit jedem Schritt den er ging, wuchs die Überzeugung, nicht anders handeln zu können. Ein Schwur blieb ein Schwur, egal wem er ihn geleistet hatte. Er war sein Leben lang jeden Weg gegangen, der nötig war. Er würde auch dem letzten bis zum Ende zu folgen, um einzulösen was er versprochen hatte. Viele Gedanken und Erinnerungen später erreichte er den Erdsee. Täuschend ruhig lag die spiegelnde schwarze Wasseroberfläche vor ihm. Nichts ließ darauf schließen, welche Macht diesen See geschaffen hatte. Niobar schnallte den Schwertgürtel ab und ließ sich im Schneidersitz am Ufer des kleinen Sees nieder. Das Schwert über seinen Schoß gelegt, die Hand fest am Griff, versenkte er sich tief in sich selbst. Zuerst stockend, dann immer flüssiger kamen ihm die uralten Beschwörungsformeln über die Lippen. Was als Flüstern begann, steigerte sich so lange, bis die Worte von überall zu kommen schienen, in einer Lautstärke, die selbst an der Oberfläche noch zu hören sein musste. Wie ein Echo durchzogen sie jeden Winkel der Höhle, bis die Töne schließlich wie Pfeile den kristallenen Spiegel der Wasseroberfläche durchbrachen. Einem Strudel gleich wühlten sie das Wasser auf und drangen tiefer und tiefer bis an den Grund des Sees. Dann hörte plötzlich alles auf. Die Luft stand still, der Strudel verschwand und für einen Moment schien sich die ganze Höhle aufzulösen. Der uralte Fels verlor seine festen Formen, die Grenzen zwischen Luft, Wasser und Stein wurden fließend. Aus der Mitte des Sees löste sich ein Ton, der immer weiter anschwoll bis die ganze Höhle von einem grausamen kalten Lachen wiederhalte. Als das Lachen erstarb, war Stein wieder Stein, Wasser wieder Wasser und Luft wieder Luft. Niobar erhob sich, unbeeindruckt von allem was gerade um ihn herum geschehen war. Hoch aufgerichtet stand der alte Mann da, die Hand fest am Griff von Mograsir. Aufmerksam wie eine Katze kurz vor dem Sprung und doch wissend und gelassen blickte er zur Mitte des Sees. Der Schatten, der schon seit so vielen Jahren auf seinen eisgrauen Augen lag, verdunkelte sich, als Niobar der Gestalt zunickte, die aus der Dunkelheit am anderen Ufer des Sees trat. „Du bist also gekommen. Du bist alt geworden, Niobar. Wieviele Jahre hast du dir geliehen, indem du mich in die Dunkelheit verbannt hast? Hundert? Tausend? Wieviele es auch immer gewesen sein mögen. Sie werden dir nicht helfen. Du warst damals zu schwach und du bist es noch.“ Mit jedem Wort, dass die Gestalt aus der Dunkelheit sprach, zuckte Niobar zusammen. Die sonore, wohltönende Stimme hatte an Kraft gewonnen. Er hatte vergessen, wie mächtig Drungdór schon vor vielen Jahren gewesen war. Es war zu lange her. Fünfzehn Generationen hatt er kommen und gehen sehen. Fünfzehn Generationen lang war der dunkelste aller Schatten unter der Erde gewachsen, während Niobar nach und nach seine Lebensenergien verbraucht hatte. Es würde keinen Kampf geben. Mograsir würde keine Schlacht mehr schlagen, keinen Gegner mehr verletzen oder niederstrecken. Niobar hatte sein Versprechen eingelöst. Er wusste, nun würde der Schatten am anderen Ufer das seine erfüllen und er würde nichts dagegen tun können. Drungdór brauchte nur ein Wort, um Rache zu nehmen. „Stirb.“ Kapitel 2: Teil 1 ----------------- Der Sturm hatte sich endlich gelegt. Seit vier Tagen waren die Winde aus allen Richtungen gekommen und über die Hügel von Crankado gefegt. Die Alten im Dorf sagten, solche Stürme hätte es noch nie gegeben, es wäre geradezu unheimlich und irgendetwas unerklärliches gehe vor sich. Für Lovran war Wind Wind. Er lächelte nur müde wenn er im Laden wieder und wieder zu hören bekam, dass Veränderung in der Luft lag. Das einzige was ihn beunruhigte war die Tatsache, dass er noch immer nichts von seinem Großvater gehört hatte. Vor mehr als zwei Wochen war Rontar losgegangen um in Kandrirh neue Kräuter für seine Tinkturen und Salben zu besorgen. Normalerweise kam er nach spätestens zehn Tagen zurück oder schickte einen Boten. Allerdings, so überlegte Lovran, lag Kandrirh im Nordosten von Crankado. Genau in der Richtung also, aus der der Sturm am Anfang gekommen war. Vermutlich hatte Kandrirh genauso mit dem Wetter zu kämpfen wie das kleine Dorf, und somit war es kein Wunder, dass kein Bote sich direkt in den Sturm hinein auf den Weg zu ihm gemacht hatte. In Rontars Abwesenheit führte Lovran den kleinen Laden allein, in dem sie Kräuter und Tees, Salben und Tinkturen verkauften. Rontar kannte eine schier unermessliche Zahl von Pflanzen und wusste mehr als jeder andere über Krankheiten und mögliche Heilungen. Das ganze Dorf war einhellig der Meinung, dass die hohe Lebenserwartung der Bewohner nur Rontar und seinen Künsten zuzuschreiben sei. Zudem fand der Alte für jeden ein passendes Wort, egal ob es die geschwätzige Trini war oder der verbitterte Mock. Lovran fiel es schwerer seinen Großvater zu vertreten, je älter er wurde. Er war maulfaul und Kräuter interessierten ihn nicht. Er wäre viel lieber im Wald zur Jagd gegangen, oder zu Pit, dem Schmied. Er hätte nicht Schmied werden wollen, die Arbeit war ihm zu anstrengend. Aber er fand es interessant, was man aus Metall alles machen konnte, und er war jedesmal wieder beindruckt, wie Pit den Schmiedehammer handhabte. Der Hühne flößte ihm als einziger im Dorf Respekt ein, er war unbestritten der stärkste Mann in den umliegenden Siedlungen. Vielleicht gab es sogar in Kandrirh niemanden, der soviel Kraft hatte wie Pit. Lovran war gerade dabei, die Ladentür, die der Sturm beschädigt hatte, zu reparieren, als der alte Mock sich dem Laden näherte. Es gab kaum jemanden im Dorf, den Lovran weniger mochte, und das beruhte auf Gegenseitigkeit. Seit der Junge denken konnte, war Mock darauf bedacht, ihm zu sagen wie nutzlos er sei, was für eine Last für seinen Großvater und dass er, wenn er Rontar wäre, ihn schon lange auf die Straße gesetzt hätte. Für Lovran unverständlicherweise war aber gerade Mock der engste Freund seines Großvaters. Also setzte er die gleichgültigste Miene auf, die er zu bieten hatte und wünschte Mock einen wenig ernst gemeinten „Guten Abend.“ Mock brummte nur. Er sah einige Minuten zu, wie Lovran sich mit der Tür mühte, was diesen sichtlich nervös machte, und stieß dann knurrend die Frage aus, ob Rontar schon zurück gekehrt sei, oder zumindest einen Boten geschickt hätte. Lovran verneinte, erläuterte Mock anschließend aber auch sofort in wenigen Worten seine Theorie über das Ausbleiben einer Nachricht. Mocks Augen schienen für einen Moment aufzublitzen, dann drehte er sich um, schlug Lovran kurz mit seinem Stock vors Knie, brummte etwas, dass für Lovran so ähnlich klang wie „Doch nicht so dämlich wie er ausschaut“, und humpelte schwer auf seinen Stock gestützt zurück zu seiner Hütte. Fluchend rieb der Junge sich das Knie und machte sich dann daran, die Tür fertig zu reparieren und wieder in die Angeln zu heben. Nachdem das getan war, verschwand er in den an den Laden angrenzenden Wohnbereich des Hauses. Rontars Haus stand nahe der größten Eiche des Dorfes. Haus und Baum bildeten eine Einheit, die Äste schienen wie ein Schutzwall rund um das Haus zu liegen, ohne es jedoch einzuengen. Im Inneren war es geräumiger als es von außen aussah. Die Küche und das Zimmer das Rontar seine Bibliothek nannte, waren die größten Räume. Lovran hatte sein Zimmer unter dem Dach, direkt neben der Kammer in der sein Großvater schlief. Die meiste Zeit verbrachte der Junge dort. Die Bibliothek interessierte ihn nicht, denn sie enthielt nur wenige Bücher über die Jagd oder Waffen. Lovran fand Waffen faszinierend, allein schon deshalb, weil Rontar in seinem Haus keine duldete und auch sonst im Dorf niemand mit einem Schwert oder auch nur einem Dolch umgehen konnte.Nachdem er die fünf oder sechs Bücher gelesen hatte, die ihn interessierten, sah Lovran keine Veranlassung mehr, der Bibliothek weitere Besuche abzustatten. Den weitaus größeren Teil der Büchersammlung Rontars bildeten dicke Foilanten über Kräuter, Medizin und die Zubereitung von Arzneien. Daneben fanden sich Bücher über Bergbau, über die Tierwelt und Unmengen von Karten. Lovran war sich fast sicher, dass sein Großvater auch Bücher mit Liedern und Legenden besaß, und Geschichtsbücher. Sehr sehr alte Bücher. Jedenfalls meinte er, sich daran erinnern zu können, dass es sowas im Haus gegeben hatte, als er noch sehr viel jünger war. Nachdem er aber in den Regalen nichts dieser Art hatte finden können, war er vor einigen Jahren zu Rontar gegangen und hatte gefragt, was mit den Büchern geschehen sei. Rontar hatte geantwortet, er habe solche Bücher nie besessen, alles was ihm je gehört habe sei in der Bibliothek zu finden. Lovran fand das merkwürdig, doch als er immer wieder nachfragte, verlor Rontar schließlich die Geduld und verbot ihm, noch weiter nach solchen Dingen zu fragen. Lovran hielt sich daran, und schließlich war die Episode in Vergessenheit geraten. Lovran holte sich Brot und Käse aus der Vorratskammer und ging damit in sein Zimmer, ließ sich dort auf dem breiten Fensterbrett nieder und verspeiste sein Abendessen. In der Küche zu sitzen machte nur Sinn, wenn Rontar da war. Dann gab es dem Jungen ein Gefühl von Heimat, auch wenn sein Großvater und er oft schweigend beieinander saßen. Nachdem er gegessen hatte, nahm er sein Messer und ein Stück Holz zur Hand, und begann eine Figur zu schnitzen. Viele dieser Holzarbeiten zierten schon das Bord an der Wand, im ganzen Haus waren Schnitzereien finden. Es hatte ihn viel Zeit gekostet, Rontar davon zu überzeugen, dass er das kleine Messer nur zum Schnitzen und nicht zum kämpfen haben wollte. Letztendlich hatte sein Großvater nachgegeben, und Pit gebeten, für Lovran ein kleines Schnitzmesser anzufertigen. Der Junge, dass musste Rontar schließlich zugeben, hatte Geschick. Er konnte dem Holz jede nur erdenkliche Form geben und selbst kleinste Details bereiteten ihm keine Mühe. Normalerweise fand Lovran Ruhe bei dieser Arbeit, konnte alle Gedanken und jeden Ärger ausblenden und sich ganz in die Schitzbewegungen versenken. Heute wollte es ihm nicht gelingen, sich zu konzentrieren. Nachdem er sich das zweite mal in den Finger geritzt hatte, legte er Holz und Messer zur Seite und sah aus dem Fenster. Wie immer wenn der Großvater fort war, spürte er dass das Haus ohne Rontar nicht dasselbe war. Rontar und sein Haus schienen ähnlich dem Haus und der Eiche eine Einheit zu sein. Der Großvater verließ es nur für längere Zeit, um in Kandrirh bei den Händlern die Kräuter zu besorgen, die in den Hügeln und Wäldern der Umgebung nicht wuchsen. Der alte Mann war noch recht gut zu Fuß für sein Alter und brauchte für den Weg je nach Wetter dreieinhalb oder vier Tage. Gingen die Geschäfte der Händler gut, konnte er innerhalb eines Tages alles besorgen was er brauchte und war nach insgesamt acht oder neun Tagen wieder zurück. Hatten die Händler gerade ein schlechtes Auskommen, dauerte das Feilschen länger. Zogen sich Rontars Reisen länger hin als zehn Tage, schickte er immer einen Boten zu Lovran. Ein oder zweimal im Jahr trat sein Großvater die Reise an. Oft hatte Lovran ihn gebeten, ihn doch mitzunehmen. Jedesmal hatte Rontar abgelehnt mit der Begründung, jemand müsse den Laden führen. Lovrans Einwände, dass er doch ohnehin nichts von Kräutern verstünde, und höchstes noch jemanden umbringen würde statt den Leuten zu helfen, hatte er mit einer ungeduldigen Handbewegung und einem „Dann lerne mein Junge, Wissen hat noch niemandem geschadet“ weggewischt. Lovran spürte, wie er ungeduldig wurde. Warten war nicht seine Stärke. Er konnte nicht anders als zu grinsen als ihm einfiel dass er, wenn es nach Mocks Meinung ging, wohl überhaupt keine Stärken besaß. Er beschloss, noch einen Tag zu warten. Wenn dann kein Bote oder Rontar selbst im Dorf erschien, würde er sich selbst auf den Weg nach Kandrirh machen. Er wusste, dass außer seinem Großvater noch fast niemand in die Stadt gegangen war, denn es gab nichts, was sie von dort brauchten. Alles was man zum Leben brauchte, gab es im Dorf. Zusätzlich kamen dreimal im Jahr Händler aus der Stadt in die Siedlungen und brachten alles, was das Herz begehrte. Nur die Kräuterhändler verschlug es nie hierher, und deshalb war Rontar der einzige, der sich hin und wieder nach Kandrirh begeben musste. Je länger er darüber nachdachte, umso mehr begann Lovran zu hoffen, dass sein Großvater noch nicht zurückkehren würde. Er fand, selbst nach Kandrirh zu wandern, wäre sicher ein großes Abenteuer. Passieren konnte ihm unterwegs nichts, schließlich lief sein Großvater die Strecke in drei oder vier Tagen. Er schätze, dass er dementspechend zwei Tage brauchen würde. Einen Tag, um Rontar in Kandrirh zu finden, vier Tage für den Rückweg. Eine abwechslungsreiche Woche lag in greifbarer Nähe. Lovran sprang vom Fensterbrett und eilte in die Bibliothek. Es konnte nicht schaden, einen Blick in die Karten zu werfen, schließlich kannte er den Weg nach Kandrirh nur ungefähr. Doch so sehr er auch suchte, er konnte nur Karten von Gegenden finden, dere Ortsnamen ihm überhaupt nichts sagten. Wie schon so oft zuvor wunderte er sich über seinen Großvater. Unmengen von Karten, und keine dabei, die auch nur den geringsten Nutzen hatte. Vermutlich gab es nicht einen einzigen der dort eingezeichneten Orte. Der Großvater ließ sich ja schon immer nur allzu leicht die verrücktesten Geschichten erzählen. Lovran konnte sich zum Beispiel noch gut daran erinnern, wie Mock einmal eine Geschichte von einem feenähnlichen Wesen erzählt hatte, dass im Dorf gewesen sein sollte. Mit glänzenden Augen, fast wie ein kleines Kind, hatte Rontar der Geschichte gelauscht und war dann den Rest des Tages so fröhlich gewesen wie schon lange nicht mehr. Vermutlich hatte ihm irgendjemand die Karten aufgeschwatzt und ihm Geschichten dazu erzählt. Verstimmt schob Lovran den Stapel wieder ins Regal und verließ die Bibliothek. Das Zimmer war und blieb eben nutzlos. Der Groll des Jungen währte jedoch nicht lange. Die Vorfreude auf die bevorstehende Reise gewann schnell wieder die Oberhand. Noch lange lag Lovran wach und malte sich aus, wie Kandrirh wohl aussehen würde. Mit dem Bild prächtiger Häuser, farbiger Hütten, kleiner Läden und eines großen bunten Marktes vor Augen schlief er schließlich ein. * Der nächste Morgen begann für Lovran wie jeder andere. Aufstehen, ein Bad im nahe gelegenen See, etwas essen und dann in den Laden. Normalerweise stand Rontar im Laden, beriet die Dorfbewohner und hörte sich ihre Beschwerden an. Lovran war für gewöhnlich damit beschäftigt, die von Rontar angegebenen Dinge aus den überfüllten Regalen zu suchen oder aber bei Leuten, die nicht selbst in den Laden kommen konnten, von Rontar gepackte Päckchen vorbei zu bringen. Wenn der Großvater unterwegs war, musste Lovran sich erst einmal in den Notizbüchern des Großvaters orientieren, was er den Leuten überhaupt geben durfte oder musste. Für die Botengänge war erst am frühen Abend Zeit. Zum Glück war im Moment niemand ernstlich krank, so dass die Leute eher vorbei kamen um zu sehen ob Rontar wieder da war, oder um Tee oder Kräuter zum kochen zu kaufen. Lovran mochte es nicht, allein im Laden zu sein. Erstens fand er die Arbeit langweilig und zweitens zwang ihn die Abwesenheit des Großvaters dazu, wesentlich mehr zu reden als er wollte. Er versuchte, freundlich zu den Leuten zu sein, schließlich hatte ihm niemand etwas getan. Trotzdem fiel ihm das Geschwätz der Frauen auf die Nerven. Als er zum fünften Mal an diesem Tag die Frage, ob er denn schon etwas von Rontar gehört habe, verneinte, nur um sich dann anhören zu dürfen, dass in den letzten Tagen seltsame Dinge vorgingen, fiel es ihm schwer sich zu beherrschen. Zudem schien der Tag sich unendlich in die Länge zu ziehen. Es wollte und wollte nicht Abend werden. Dabei konnte er es kaum erwarten, den Laden abzuschließen, in sein Zimmer zu eilen um sein schon reisefertig geschnürtes Bündel zu holen, den Schlüssel zum Haus dem alten Mock zu geben und sich auf den Weg nach Kandrirh zu machen. Er wollte noch heute abend losziehen und freute sich unbändig auf eine Nacht unter freiem Himmel. Umso ungeduldiger machten ihn die ständigen Fragen nach dem Verbleib des Großvaters. Ihm war als könnte die Fragerei der Dorfbewohner Rontar doch noch vor dem Abend nach Hause bringen und dann wäre er um sein Abenteuer gebracht. Als Lovran endlich den Laden schließen konnte, und noch immer nichts von Rontar oder einem Boten zu sehen war, wurde der Junge zuversichtlicher. In Windeseile rannte er die Treppe hoch in sein Zimmer, nahm sein Reisebündel vom Bett und warf es sich über die Schulter. Dann eilte er zu Mock, berichtete ihm in zwei Sätzen von seinem Vorhaben, legte dem Alten den Schlüssel zum Haus auf den Tisch und verschwand nach draußen. Mocks Proteste und das wütende Rufen ignorierte er. Der mürrische Kauz war zwar ein Freund seines Großvaters, hatte ihm aber gar nichts zu sagen. Noch war die Sonne nicht untergegangen, die Luft war mild und hätten am Wegesrand nicht die vom Sturm abgerissenen Äste und einige entwurzelte kleine Bäume gelegen, hätte nichts darauf schließen lassen dass noch vor etwa mehr als einem Tag ein heftiger Sturm über das Land gefegt war. Fröhlich pfeifend verließ Lovran das Dorf, schlug die Richtung ein, in die der Großvater immer gegangen war und hielt Ausschau nach der Hügelkette, die irgendwo im Norden vor ihm auftauchen musste. Er wusste, dass Rontar sich immer an den Landmarken orientierte, wenn er nach Kandrirh ging. Viel mehr als die Hügel brauchte es nicht, um in die Stadt zu kommen. Sie lagen ungefähr so weit im Norden wie Kandrirh, wusste Lovran, und die Stadt befand sich auf der Ostseite der Kette. Lovran fiel auf, dass er nicht einmal wusste, wie diese Kette eigentlich hieß, und ob es wirklich nur Hügel oder doch schon Berge waren. Er war neugierig auf alles, was er unterwegs sehen würde, denn weiter als einen Fußmarsch von zwei bis drei Stunden war er noch nie aus Crankado heraus gekommen. Er wanderte bis zum Sonnenuntergang. Nachdem er zwei oder dreimal über Wurzeln und Äste gestolpert war, sah er ein, dass er an diesem Tag nicht mehr weiter kommen würde und suchte sich einen Platz für die Nacht. Kapitel 3: Teil 2 ----------------- Lovran erwachte früh am nächsten Morgen. Für einen Moment fehlte ihm jegliche Orientierung, dann kam die Erkenntnis, dass er tatsächlich auf dem Weg nach Kandrirh war. Am Abend zuvor war ihm alles noch so unwirklich erschienen. Sein schmerzender Rücken sagte ihm jedoch sehr deutlich, dass er wirklich unterwegs war, und seine erste Nacht im Freien verbracht hatte. Er packte ein wenig Brot und Wasser aus, wusch sich Hände und Gesicht in einem Fluss, und setzte seinen Weg fort. Nachdem er bereits einige Stunden unterwegs war, begann er, sich Sorgen zu machen. Es war schon fast Mittag, und von der Hügelkette war weit und breit nichts zu sehen. Konnte es sein dass er sich verlaufen hatte? Aber Rontar hatte ihm auf seine Fragen nach dem Weg nach Kandrirh immer dieselbe Antwort gegeben. „Man folgt einfach so lange dem Weg, der direkt aus dem Dorf führt, bis man in der Ferne eine Hügelkette aufragen sieht. Dann muss man immer nur auf die Kette zuhalten. Irgendwann tauchen östlich davon die Dächer von Kandrirh auf, denn auch die Stadt liegt ein wenig höher als der Wald.“ Genau das hatte er getan. Er war keinen Schritt von dem Weg gewichen, den er gestern eingeschlagen hatte, außer um sich schlafen zu legen. Er konnte unmöglich nach dem Aufstehen in die falsche Richtung gegangen sein. Eine weitere Stunde verstrich. Lovran hielt den Blick nun starr auf den Horizont gerichtet, immer in der Hoffnung, dort endlich die Hügel auftauchen zu sehen. Seine Laune wurde immer schlechter und er begann sich zu fragen, ob sein Großvater vielleicht doch schon wesentlich verwirrter war, als er immer geglaubt hatte. Beträchtliche Zeit später war Lovran drauf und dran, umzukehren und Abenteuer Abenteuer sein zu lassen. Er war schon ewig unterwegs, die Sonne würde in zwei oder drei Stunden untergehen und von der angeblichen Hügelkette keine Spur. Vermutlich gab es sie überhaupt nicht, oder aber sie lag auf dem Weg in eine ganz andere Stadt und der Großvater hatte einfach etwas durcheinander gebracht. Am wahrscheinlichsten war allerdings, dass die Hügel nur auf einer der verrückten Karten aus der Bibliothek existierten, und sonst nirgends. Angeblich war Rontar früher oft unterwegs gewesen, jedenfalls war so etwas angeklungen, wenn er sich mit Mock unterhalten hatte. Lovran glaubte allerdings nicht, dass der Großvater jemals weiter als bis nach Kandrirh gekommen war. Er hatte manchmal oben auf der Treppe gesessen und versucht, den Gesprächen der alten Männer zu folgen. Viel verstanden hatte er nicht, denn sie sprachen leise und es kam auch nicht oft vor, dass Mock überhaupt länger als fünf Minuten im Haus blieb. Wenn das doch einmal passierte, dann schienen die zwei völlig in Erinnerungen versunken, und manchmal stahl sich das eine oder andere Wort bis hinauf zu Lovran. Dann hörte er Namen, wusste aber nie, ob die Männer von Städten oder Menschen sprachen. Einmal sprachen sie von Elfen oder etwas, das so ähnlich klang. Da wurde es Lovran zu dumm. Er hatte besseres zu tun, als alten Männern dabei zuzuhören, wie sie Märchen aus ihrer Kindheit wieder aufleben ließen. Damals war er zu dem Schluss gekommen, dass wohl auch die Städtenamen aus alten Geschichten stammen mussten, und hatte sich fortan nicht mehr darum gekümmert. All das kam ihm jetzt wieder in den Sinn und ließ die Wut auf den Großvater noch wachsen. Wieso hatte er ihm solchen Unsinn über den Weg nach Kandrirh erzählt? Wollte er nicht, dass er seinen Weg in die Stadt fand? Sollte er auf ewig in dem kleinen Dorf bleiben? Warum wollte Rontar nie, dass Lovran ihn in die Stadt begleitete? Es würde niemanden im Dorf umbringen, wenn es einmal für eine Woche keine Kräuter und frischen Tees gäbe. Immer mehr steigerte sich der Ärger in Lovran, bis er schließlich wütend sein Bündel am Wegesrand auf die Erde warf, und sich selbst daneben niederließ. Er musste verrückt gewesen sein, sich auf Rontars Wegbeschreibung zu verlassen. Hätter er doch nur gründlicher gesucht. Mit Sicherheit lag irgendwo in der Bibliothek doch eine Karte, auf der der Weg nach Kandrirh eingezeichnet war. Leise schimpfte Lovran vor sich hin. Vom Schimpfen allein würde sich seine Situation allerdings auch nicht besser. Also überlegte er, was er tun könnte. Entweder er verließ sich auf die scheinbar nicht sehr genauen Angaben des Großvaters und ging weiter oder aber er kehrte um. Allerdings genügte ein Gedanke an Mocks hämisches Grinsen, um die Idee, nach Hause zu gehen ohne in Kandrirh gewesen oder wenigstens auf dem Weg auf Rontar getroffen zu sein, wieder zu verwerfen. Also hieß es, weitergehen. Ungefähr eine Stunde hatte er noch, bevor die Sonne unterging. Er würde es dem Großvater zeigen. Warum auch immer Rontar ihm solchen Unfug erzählt hatte, er würde den Weg finden. Er würde auch ohne Karte nach Kandrirh kommen. Während er weiter durch den Wald lief, immer demselben Weg folgend, begannen seine Gedanken zu wandern. Er dachte über Rontar nach. Meistens war der Großvater gern bereit, auf Fragen zu antworten. Alles was Dinge betraf, die außerhalb von Crankado lagen, wiegelte er jedoch mit dem Kommentar ab, darüber wisse er nichts. Er schien sein ganzes Leben im Dorf verbracht zu haben, und doch achteten ihn alle dort als wäre er ein Weiser. Woher jedoch sollte Rontar mehr wissen als all die anderen? Er besaß eine Bibliothek, ja. Allerdings hauptsächlich über Kräuter und Medizin. Aber die Dorfbewohner schienen ihn auch bei anderen Dingen um Rat zu fragen. Lovran konnte sich nicht erinnern, dass es jemals anders gewesen wäre. Er war bei seinem Großvater aufgewachsen nachdem seine Mutter, Rontars einzige Tochter, bei seiner Geburt gestorben war. Er kannte jeden im Dorf. So lang er denken konnte war nie jemand hinzu oder weggezogen. Wer im Dorf geboren wurde, starb auch dort. Niemand war jemals auf die Idee gekommen, er könne nach Kandrirh gehen. Zumindest hatte es niemand getan. Die Menschen im Dorf waren einfache Leute, die ihre Felder bestellten, Schafe und Schweine hielten, es gab eine Schmiede, eine Mühle, einfach alles was man zum leben brauchte. Von der Stadt hielt dort niemand etwas und auch ihn selbst hatte Kandrirh eigentlich nie gereizt. Wohl hatte er Rontar gelegentlich danach gefragt, wie es in Kandrirh aussähe, wie die Menschen dort waren. Hatte sich den Markt beschreiben lassen und den Weg nach Kandrirh. Doch er kam zu dem Schluss, dass die Beschreibung der Stadt selbst vielleicht genauso wenig vertrauenswürdig war, wie die des Weges dorthin. Lovran ließ seine Gedanken weiter streifen. Von seinem Vater wusste er nicht viel, nur dass er sich von seiner Mutter getrennt hatte, bevor diese überhaupt wusste, dass sie ein Kind trug. Wohin er gegangen war, hatte Lovran nie gefragt. Seine Eltern waren für ihn Fremde, er kannte sie nur aus Erzählungen und hatte nie das Bedürfnis gehabt, sich nach ihnen zu erkundigen. Eigentlich hatte ihn nie etwas anderes interessiert als seine unmittelbare Umgebung. Er arbeitete mit Rontar zusammen, hatte von ihm lesen und schreiben gelernt. Er streifte durch die Wälder, besuchte hin und wieder die Schmiede. Den Großteil seiner Freizeit brachte er damit zu, zu schnitzen. Manchmal im Auftrag der Leute im Dorf, die etwas bei ihm bestellten, manchmal auch einfach zum Zeitvertreib. Bisher hatte ihm das genügt. Das Schnitzen hatte immer geholfen, seine manchmal ziellos umherwandernden Gedanken wieder zu ordnen und ihn zur Ruhe zu bringen. Seit gestern jedoch beherrschte ihn eine Art der Unrast, die er so nicht kannte. Je genauer er darüber nachdachte, desto klarer wurde ihm, dass er auch losgezogen wäre, wenn Rontar schon wieder zurück wäre. Das Ausbleiben des Großvaters war bisher nichts anderes als eine willkommene Ausrede. Ein fassbarer Grund für seine Unruhe und den plötzlichen Drang nach Freiheit und Bewegung. Plötzlich blieb Lovran stehen. In all seiner Begeisterung über die Wanderung und seiner Vorfreude darauf, die Unruhe die ihn erfasst hatte, endlich loszuwerden, hatte er etwas völlig vergessen. Eine Flut von Fragen prasselte auf ihn ein, die ihm schon viel früher hätten einfallen müssen. Was, wenn dem Großvater in der Stadt etwas passiert war? Was wenn er gar keinen Boten schicken konnte, weil er beim Sturm verletzt wurde? Genauso gut hätte er nie dort ankommen können. Schließlich wusste niemand, wann und wo die Stürme begonnen hatten. Nackte Angst kroch in Lovran herauf und krallte sich an ihm fest. Er versuchte, das Gefühl abzuschütteln aber es wollte ihm nicht gelingen. So wirr er manchmal sein mochte, die meist doch sehr liebenswerte Kauzigkeit Rontars gehörte zu seinem Leben. Crankado und vor allem die Gesellschaft des Großvaters waren die einzige Heimat die Lovran kannte. Das Haus im Dorf würde ohne den Großvater kein zuhause mehr sein. Lovran wischte den Gedanken mit aller Macht beiseite. Dem Großvater war nichts passiert, vermutlich hatte er sich so lange in Kandrirh aufgehalten bis der Sturm vorbei war, und würde ihm auf dem Weg entgegen kommen. Der Junge verweigerte sich jeden weiteren Gedanken an ein mögliches Unglück, das Rontar geschehen sein könnte, und lief so lange weiter, bis er in der Dunkelheit den Weg nicht mehr sehen konnte. Wieder suchte er sich einen Baum unter dem er sein Nachtlager aufschlagen konnte, und ließ sich nieder. Er fühlte sich weniger müde als am Abend zuvor, obwohl er doch wesentlich länger unterwegs war. Doch nicht nur das, auch seine unruhigen Gedanken ließen ihn keinen Schlaf finden. Er dachte darüber nach, was passieren würde, wenn Rontar und er sich auf dem Weg verpassten. Er versuchte zu ergründen, wo die plötzliche Unruhe herkam, die er sonst nur kurz und sehr sporadisch kannte. Ihm fielen noch hundert andere Kleinigkeiten ein, die ihn noch bis tief in die Nacht hinein wach hielten. Einmal war ihm, als höre er sehr leichte Schritte in der Nähe seines Lagers, doch bevor er darauf reagieren konnte, fiel er in einen unruhigen Schlaf. Niiah blickte auf das Lager am Wegesrand. Eigentlich war es kaum Lager zu nennen. Ein Junge, eingewickelt in seinen Mantel, neben ihm sein Bündel. Er hatte weder ein Feuer gemacht, noch trug er eine Waffe. Ziemlich leichtsinnig, fast schon naiv. Irgendetwas schien jedoch seinen Schlaf zu stören, denn die Mundwinkel des Jungen zuckten immer wieder unruhig und er runzelte hin und wieder die Stirn. Doch auch ohne diese sichtbaren Zeichen hätte sie seine Unruhe gespürt. Niiah betrachtete ihn lange und eingehend, so als müsse sie sich jeden seiner Gesichtszüge genau einprägen. Dann lief sie einen kleinen Kreis rund um das Lager des Jungen und murmelte etwas. Ihre Füße schienen kaum den Boden zu berühren, denn kein Blatt raschelte und kein Ästchen brach. Fast war es als wäre sie leicht wie eine Feder und könne sich nahezu geräuschlos bewegen. Nachdem sie Lovrans Schlafstatt abgeschritten war, zog sie sich auf der anderen Seite des Weges in den Wald zurück und verschmolz mit der Dunkelheit. Lovran erwachte mit dem Gefühl,dass außer ihm noch jemand ganz in der Nähe war. Er konnte die fremde Präsenz deutlich spüren. Er sprang auf und schaute sich um, doch soweit er blicken konnte, war niemand zu sehen. Die Sonne stand schon recht hoch am Himmel und so beeilte er sich, seine Sachen zusammen zu packen und seinen Weg nach Kandrirh fortzusetzen. Das Gefühl, nicht allein zu sein ließ ihn jedoch nicht los, und so blickte er so lange immer wieder zurück zu dem Platz an dem er geschlafen hatte, bis er völlig aus seinem Blickfeld verschwunden war. Je weiter er sich entfernte, desto mehr ließ auch das Gefühl nach, und als er ungefähr eine halbe Stunde unterwegs war, schalt er sich selbst einen Narren. Er war wohl mehr der Enkel Rontars als er wahrhaben wollte, wenn er schon begann, am hellichten Tag Gespenster zu sehen. Während er weiter lief, hielt er Ausschau nach eventuell parallel verlaufenden Wegen, um nicht zu verpassen, falls Rontar auf einem von seinem eigenen etwas abweichenden Weg aus der Stadt kam. Auch den Horizont hielt er weiterhin im Auge, falls es die Hügelkette doch gab. Er gewöhnte sich mehr und mehr an das Wandern und lief nun in gleichmäßigem Tempo mit raumgreifenden Schritten. Der Rhythmus seiner Schritte beruhigte ihn und er konnte gelassener nachdenken als am Abend zuvor. Er sortierte nochmals alle seine Befürchtungen, durchdachte die Wahrscheinlichkeit eines jeden Gedankens und kam zu dem Schluss, dass ihm nichts anderes übrig blieb als abzuwarten, bis er Kandrirh und dort die Kräuterhändler gefunden hatte, um sich nach Rontar zu erkundigen. Wenn er Glück hatte, würden sich sein Weg und der des Großvaters schon früher kreuzen, doch er wollte sich lieber nicht darauf verlassen. Lovran hoffte, dass er beträchtlich schneller nach Kandrirh kommen würde als Rontar. Er war jetzt den zweiten Tag unterwegs und müsste damit spätestens morgen vormittag die Stadt erreichen. Dann würde er der Ungewissheit ein Ende setzen. Er freute sich auf den gemeinamen Rückweg mit Rontar. Ihm waren viele Fragen eingefallen, die er dem Großvater stellen würde, und auf dem Marsch zurück nach Crankado gab es keine Möglichkeit, diesen Fragen auszuweichen. Lovran sah sich gerade nach einem Platz für eine Pause um, als er jemanden am Wegesrand entdeckte. Er freute sich, denn nach anderthalb Tagen allein auf dem Weg war das der erste Mensch, dem er begegnete. Er näherte sich dem Lager, grüßte den anderen Reisenden und fragte, ob er sich vielleicht dazu setzen dürfe. Als sein Gegenüber aufblickte, sah er, dass es sich um eine Frau handelte. Sie war sehr schmal gebaut, hatte die Kapuze ihres Umhangs auf und den Kopf gesenkt als er sie ansprach, daher hatte er sie zunächst für einen Knaben gehalten. Die Frau nickte und machte eine einladende Geste, die Lovran bedeutete, sich zu setzen. Lovran danke, und ließ sich nieder. Als er in seinem Beutel kramte um Brot und Käse hervorzuholen, ließ er sich absichtlich etwas länger Zeit, um durch den dichten Vorhang seiner Haare hindurch die schweigsame Frau genauer zu betrachten. Er wusste nicht, ob er sie eher als Frau oder noch als Mädchen einordnen sollte. Auf jeden Fall war sie ungewöhnlich schön. Einige Strähnen ihres goldbraunen gelockten Haares stahlen sich unter der Kapuze hervor. Ihre Augen waren von katzenhaftem Grün und hatten, wie ihm schien, einen leicht goldenen Schimmer. Das Gesicht war blass, wirkte aber trotzdem nicht kränklich. Die Lippen waren voll und sie hatte markante Wangenknochen und eine hohe Stirn. Lovran besann sich, nahm seinen Proviant aus dem Beutel, strich sich die Haare hinters Ohr und blickte auf. Die Frau schien immer noch nichts sagen zu wollen, und so stellte er sich vor. „Ich bin Lovran. Aus Crankado.“ Der Satz hing in der Luft und für einen Moment war sich Lovran wirklich nicht sicher, ob die Frau nicht einfach ignorieren würde, dass er mit ihr sprach. Dann antwortete sie doch. „Niiah.“ Mehr schien sie nicht für nötig zu halten. Lovran wünschte, sie würde noch mehr sagen, denn ihre Stimme war dunkel und hatten einen vollen, weichen Klang. Während er zu essen begann, überlegte er, wie er sie zum Sprechen bringen könne. Und vor allem, was sie so allein im Wald machte. Vielleicht wollte sie ja auch nach Kandrirh. „Entschuldige, aber weißt du zufällig, wie weit es noch bis Kandrirh ist? Und ob hier in der Nähe irgendwo eine Hügelkette existiert? Vielleicht bist du ja auch nach Kandrirh unterwegs Wohin willst du denn eigentlich? Dann könnten wir ja ein Stück gemeinsam gehen. Ich bin auf der Suche nach meinem Großvater, er ist zum einkaufen in die Stadt gegangen und seit dem nicht wiedergekommen. Jetzt mache ich mir Sorgen…“ Lovran brach ab. Dieser Redeschwall war völlig untypisch für ihn, und als er realisierte was er tat, schwieg er aprubt. Niiah schwieg eine Weile, fast als wolle sie abwarten, ob Lovran noch mehr zu sagen hatte.“Bis Kandrirh sind es noch ungefähr fünf Tage..“ Sie wollte noch mehr sagen, doch Lovran unterbrach sie ungeduldig. „Was? Fünf Tage? Aber ich bin schon seit zwei Tagen unterwegs und ich bin mit Sicherheit nicht langsamer als mein Großvater.“ Empört sah er sie an. „Bist du dir sicher dass du den Weg kennst? Weiter als einen Tagesmarsch kann Kandrirh unmöglich entfernt sein.“ Niiah ließ sich auch mit ihrer nächsen Antwort Zeit, eine Angewohnheit, die Lovran schon jetzt zu entnerven begann. „Bis Kandrirh sind es noch fünf Tagesmärsche, ob du es nun glaubst oder nicht. Wenn du dem Weg folgst, auf dem du gekommen bist, wirst du gegen Abend die Hügelkette sehen, nach der du gefragt hast. Du musst immer auf die Hügel zuhalten, bis östlich davon die Dächer Kandrirhs auftauchen. Dann zweigt recht bald ein Weg in Richtung Kandrirh ab, der dich direkt bis vor die Stadttore bringt.“ Nun war es an Lovran zu schweigen. Die überlegene Ruhe in Niiahs Stimme ärgerte ihn und er fragte sich, wieso er sich vor ein paar Minuten noch gewünscht hatte, sie möge mehr reden. Andererseits beschrieb sie ihm genau denselben Weg wie Rontar. Nur dass er ihn ihrer Beschreibung länger als drei oder vier Tage dauerte. Noch fünf Tage. Das konnte nicht sein. Rontar war schließlich oft schon nach acht oder neun Tagen wieder zurückgekehrt. Unmöglich für jemanden in seinem Alter, wenn er diesem Weg gefolgt war. Höchstens mit einem Karren oder zu Pferd wäre es zu schaffen, aber Rontar besaß weder das eine noch das andere. Also musste es noch einen kürzeren Weg nach Kandrirh geben. Oder aber Rontar war nie in Kandrirh gewesen. Aber wo bekam er dann seine Kräuter her? Und warum sollte er alle im Dorf anlügen, und das seit so vielen Jahren? Lovran war verwirrt. Er versuchte Orndung in seine Gedanken zu bringen. Immerhin schien Niiah überzeugt davon, den Weg nach Kandrirh zu kennen. Wenn sie sich ihm anschloß, oder besser er sich ihr, dann würde er wenigstens dort ankommen. Und je schneller das geschah, desto schneller klärte sich alles auf. Die Zahl von Fragen, auf die Rontar ihm würde antworten müssen, war in den letzten Stunden ins unermessliche gewachsen. Lovran wandte sich nochmals an Niiah. „Du hast mir noch nicht gesagt, wohin du gehst. Wenn du auch nach Kandrirh willst, können wir genauso gut gemeinsam gehen.“ Lovran hatte den Satz kaum ausgesprochen als ihm bewusst wurde, wie ungern er die nächsten Tage in Niiahs Gesellschaft verbringen würde. Sie war zweifellos schön und es war eine Freude, ihre Stimme zu hören. Aber irgendetwas an ihr irritierte ihn. Ihre ganze Erscheinung rief eine Erinnerung in ihm wach, etwas, dass er nicht fassen konnte. Es war eher der schwache Nachhall einer Empfindung. Er wusste nicht was es war, aber etwas an ihrer Haltung, ihrer Art zu sprechen, ihn anzuschauen, irgendetwas störte ihn. Er fühlte sich befangen, hatte das Gefühl sie könne tiefer in ihn hinein schauen als er selbst, und das gefiel ihm nicht. „Ich gehe nicht nach Kandrirh. Aber ein Stück meines Weges führt in dieselbe Richtung.“ Mit diesen Worten erhob sie sich und schien es als ausgemacht zu betrachten, dass er sie auf diesem Stück begleitete. Lovran hoffte, dass das Stück nicht allzu lang sein würde. Andererseits kam er erneut nicht umhin, sich über sich selbst zu wundern. Er wusste genau, er hatte Niiah noch nie zuvor gesehen, und kannte auch niemanden der ihr ähnlich sah. Also konnte sie ihn auch nicht an jemanden erinnern. Genauso wenig konnte sie in ihn hinein schauen. Niemand konnte sehen, was in anderen vorging. Manchen Menschen konnte man es höchstens von der Stirn ablesen, und zu diesen Menschen gehörte er nicht. Also brauchte ihre Gesellschaft ihm auch nicht unangenehm sein. Und doch war sie es. Lovran verstand sich nicht. Es schien, als habe Rontars Einfluss auf ihn sich paradoxerweise verstärkt, seit er verschwunden war. Er wurde langsam genauso seltsam und kauzig. Vermutlich waren ihm die zwei Tage allein sein einfach nicht bekommen, und er sollte froh sein, wieder Gesellschaft zu haben. Er sammelte seine Sachen ein, und gemeinsam machten die zwei sich auf den Weg. Irgendetwas gab Lovran das Gefühl, dass Niiah ihr Tempo dem seinen anpasste, dass sie ohne ihn viel schneller wäre und dass sie das ungeduldig machte. Er behielt den Gedanken für sich, denn so sehr er sich auch aufdrängte, hielt er ihn doch für unwahrscheinlich. Seine ständigen Hirngespinste begannen ihn zu ärgern, was widerum ihn ungeduldig machte. Die Stimmung zwischen den zwei Reisenden war schlecht, die Athmosphäre gespannt. Lovran beobachtete Niiah aus dem Augenwinkel. Er sah, wie sie sich immer wieder umsah, als suche sie etwas. Nach einer Weile bemerkte er, dass sie nichts suchte, sondern scheinbar die Landschaft mit dem abglich, was sie von der Gegend noch in Erinnerung hatte. Ihm fiel auf, dass er selbst bisher keinen einzigen Gedanken an die Landschaft verschwendet hatte, durch die er lief. Er begann sich umzusehen und nahm den Wald zum ersten mal wirklich wahr. Er musste aufpassen, dass er dabei trotzdem mit Niiah Schritt hielt, die problemlos in der Lage war, sich umzusehen und gleichzeitig zügig weiter zu wandern. Der Wald hatte sich im Vergleich zu dem in Crankado kaum verändert. Noch immer bestand er hauptsächlich aus riesigen Eichen, die mit ihren dicken Wurzeln fest im Erdreich verankert waren. Dazwischen fanden sich Farne und Waldblumen, Beerensträucher und Pilze. An einigen Stellen entdeckte Lovran verkümmerte Farne und verdorrte Sträucher. Er kannte diesen Anblick. Auch im Wald von Crankado gab es solche Flecken, an denen einfach nichts wachsen wollte, und egal was man pflanzte, alles abstarb. Niemand wunderte sich mehr darüber. Lovran hatte geglaubt, dass es sowas in den anderen Wäldern des Landes nicht gab, doch nun sah er, dass er sich getäuscht hatte. „Gibt es da wo du herkommst, auch solche toten Stellen im Wald?“ Niiah schien ihn nicht gehört zu haben, denn sie lief weiter und drehte sich nicht einmal zu ihm um. Lovran wollte seine Frage gerade wiederholen, als sie ihm antwortete. „Ja. Diese Stellen gibt es seit vielen Jahren in allen Teilen des Landes, jedenfalls in allen, von denen ich gehört habe. Man sagt, dort steigen giftige Dämpfe aus der Erde, deshalb stirbt alles, was man an so einem Fleck einpflanzt, sofort.“ Lovan war, als hätte er zum ersten Mal so etwas wie Emotion in Niiahs Stimme gehört, doch sie hüllte sich sofort wieder in Schweigen und ließ sich von ihm auch nicht in Spekulationen über die Herkunft der Dämpfe verwickeln. Genauer gesagt ließ sie sich den Rest des Marsches auf überhaupt kein Gespräch mehr ein. Kurz vor Sonnenuntergang zeichneten sich, wie von Niiah vorhergesagt, tatsächlich endlich die Hügel am Horizont ab. Lovran hatte inzwischen jeden Versuch, mit Niiah zu kommunizieren aufgegeben. Nachdem sie zwei von ihm vorgeschlagene Rastplätze ignoriert hatte, zog er es vor, schmollend zu schweigen. Zudem hatte er genug damit zu tun, in der Dunkelheit nicht ständig über Wurzeln zu stolpern oder in Mulden zu treten. Niiah hingegen lief unbeirrt weiter. Wenn Lovran es nicht besser gewusst hätte, hätte er behauptet der Weg ebne sich vor ihr und die Wurzeln zogen sich zurück wenn sie vorbei lief, nur um ihm wieder vor die Füße zu springen. Im Laufe des Nachmittages hatte er es aufgegeben, sich über solche Ideen zu wundern. Die ganze Geschichte war schon verrückt genug, da kam es auf den einen oder anderen verwirrten Gedankengang auch nicht mehr an. Er war so in seine Gedanken versunken, dass nicht bemerkte, dass Niiah mitten auf dem Weg stehen geblieben war. „Hey… pass doch auf.“ Er machte sich darauf gefasst, dass sie sich beschweren würde, weil sie gestolpert war. Zu seiner Verblüffung wankte Niiah jedoch nicht einmal, obwohl er aus vollem Lauf gegen sie geprallt war, und mit Sicherheit um einiges schwerer war als sie. Doch Niiah stand fest wie eine der Eichen am Wegesrand, als wäre sie mit dem Boden verwachsen. Sie streifte ihn mit einem dieser so überlegenen Blicke, von denen Lovran im Verlaufe ihrer Wanderung schon mehr zu sehen bekommen hatte, als er für nötig hielt. Im Moment konnte er den Blick allerdings höchstens erahnen, denn um noch irgendetwas zu sehen, war es viel zu dunkel. „Ich denke, wenn einer von uns beiden lernen sollte, besser aufzupassen, dann du. Wir werden hier rasten.“ Lovran lag ein mehr als unfreundlicher Kommentar auf der Zunge und äußerst rebellische Gedanken machten sich in seinem Kopf breit, doch er schwieg. Erstens war er müde und froh, sich endlich niederlassen zu können und zweitens hatte er das ungute Gefühl, dass er sich gegen Niiah sowieso nicht würde durchsetzen können. Also warf er seinen Mantel ins Gras und setzte sich. Er hoffte, dass er morgen nicht mehr allzu lange die Ehre haben würde, von Niiah begleitet zu werden. Vorerst galt seine Sorge jedoch seinen Vorräten. Er hatte nicht für eine so lange Reise geplant. Seine Wasserflasche war leer und auch der Proviantbeutel hatte nicht mehr viel zu bieten. Er würde wohl mit dem auskommen müssen, was der Wald ihm zu bieten hatte. Ihm fiel auf, dass er nicht wusste, wo es auf seinem Weg Flüsse oder Seen gab und von der Jagd hatte er auch nur theoretische eine Ahnung. Wenn er gewusst hätte, dass er all das auf dem scheinbar lächerlich kurzen Weg nach Kandrirh brauchen würde, wäre er ganz sicher daheim geblieben. Er hätte Niiah fragen können, denn sie schien sich hier auszukennen. Er traute ihr sogar zu, auf die Jagd zu gehen. Doch das alles konnte nichts daran ändern, dass er seine Gefährtin lieber heute als morgen loswerden wollte. Seit dem kurzen Gespräch am Nachmittag hatte sich seine eigene Unruhe wieder verstärkt. Auch das Gefühl, nicht allein zu sein, war wieder da. Natürlich war da Niiah, aber das war es nicht. Die Präsenz, die er zu spüren glaubte, war anders. Verwirrend. Etwas völlig anderes als ein Mensch, der neben einem lief. Sie war subtiler und ihm völlig fremd. Wenn er Niiah erst einmal los war, hoffte er, dass es damit auch ein Ende hatte. „Du kannst deine Wasserflasche auffüllen, ein kleines Stück in den Wald hinein ist ein Fluss. Dann sollten wir etwas essen und schlafen. Morgen früh begleite ich dich noch ungefähr für zwei Stunden, dann trennen sich unsere Wege wieder. Vorher sollten wir dir einen Bogen bauen. Erstens sollte kein Reisender ohne Waffe unterwegs sein und zweitens eignet sich ein Bogen auch zum Jagen hervorragend.“ Lovran war froh, dass sie in der Dunkelheit sein verblüfftes Gesicht nicht sehen konnte. Jedenfalls hoffte er das. Er nickte nur, stand auf und suchte nach dem Fluss. Er hätte ihn wohl auch ohne Niiahs Hinweis entdeckt, denn wenn man richtig hinhörte, konnte man sein Rauschen hören. Er tastete sich vorsichtig ans Ufer, füllte seine Flasche und ging zurück zum Lager. Der Rückweg war wesentlich weniger beschwerlich als der zum Ufer hin, denn Niiah hatte eine Feuer entfacht, das genügend Licht spendete um sich orientieren zu können. Er nahm wieder auf seinem Mantel platz und starrte schweigend in die Flammen. Wie hatte sie wissen können, was gerade seine Gedanken bewegte? Er hatte nichts über seine Proviantlage gesagt, nicht geäußert, dass seine Flasche leer war und auch über die Jagd oder Waffen hatten sie nicht gesprochen. Wie schon zuvor, riss Niiah ihn aus seiner Grübelei. Sie reichte ihm ein Stück seltsam gräulich aussehendes Brot, das sie aus einem kleinen Beutel an ihrem Gürtel gezogen hatte. Skeptisch betrachtete er es, bedankte sich dann aber und probierte. Er hatte ohnehin keine Wahl, denn das kleine Stück Brot, das seinen ganzen restlichen Proviant ausmachte, wollte er lieber aufheben. Zu seinem Erstaunen war das Brot von Niiah sehr gut. Es schmeckte würzig und fast wie frisch gebacken. Es schien auch wesentlich sättigender zu sein als das Brot, was er kannte. „Was ist das? Schmeckt gut.“ Niiah nickte. „Waldbrot. Ein altes Rezept. Man stellt es aus Samen, Nüssen, Kräutern und Quellwasser her. Es eignet sich hervorragend als Reiseproviant, da es länger frisch bleibt und recht lange satt hält.“ Sie sprach immer noch in dem fast belehrenden Ton, der ihn so ärgerte, aber im Moment konnte er ihn leichter ertragen. Vielleicht, weil sie ihm diesmal wirklich etwas neues erzählte. Er würde Rontar danach fragen, vielleicht kannte der Großvater ja das Rezept. Die Leute im Dorf würden sicher Gefallen daran finden. Der einzige Nachteil, den das Waldbrot hatte, war dass es recht trocken war. Lovran nahm einen großen Schluck aus seiner Flasche, nur um das Wasser in der nächsten Sekunde angeekelt wieder auszuspucken. „Verdammt! Bist du dir sicher, dass das was dahinten fließt, ein natürlicher Fluss ist und kein Abwasser?“ Er schüttelte sich, denn der widerliche Geschmack des Wassers schien sich in seinem Mund festzusetzen. Er griff nach einem Stück Brot, um seine Geschmacksnerven ein wenig zu beruhigen doch Niiah hielt ihn zurück. „Warte.“ Kurz darauf war sie im Wald verschwunden. Es dauerte nicht lange, und sie kam mit einigen Blättern in der Hand zurück. „Hier. Kau das gründlich. Das wird den üblen Geschmack vertreiben und vor allem wird dir nicht schlecht.“ Sie sah besorgt aus. Lovran nahm die Blätter gehorsam und begann zu kauen. Niiah schien sich gut auszukennen, denn es dauerte nicht lange, und das frische Kraut vertrieb den fauligen Geschmack in seinem Mund. Während er kauend dasaß und sich fragte, was mit dem Wasser geschehen sein mochte, verschwand Niiah abermals in den Wald, diesmal Richtung Fluß. Es dauerte lange, bis Niiah zurückkehrte. Das Feuer war fast vollständig herunter gebrannt, als sie sich wieder neben Lovran niederließ. Trotz der Dunkelheit konnte Lovran sehen dass sie besorgt war. Vor allem aber spürte er eine tiefe Unruhe von ihr ausgehen. Irgendetwas an ihrer Haltung sagte ihm, dass er jetzt besser keine Fragen stellte. Sie hüllte sich in ihren Mantel und verharrte dann regungslos. Lovran beobachtete sie noch eine Weile, dann schlief er ein. Niiahs Gedanken eilten durch die Wälder von Andranier. Sie konnte die Qualen des Alten Landes spüren und sie wusste, es würde schlimmer werden. Sie musste Verbindung mit ihrer Heimat aufnehmen, so lange die Schatten noch nicht in alle Gewässer gedrungen waren und begannen, die Bäume zu vernichten. Die Wälder und die Elben waren eins. So verschieden die beiden Arten waren, waren sie doch aufeinander angewiesen. Einer konnte nicht ohne den anderen bestehen. Niiah wusste aus schmerzvoller Erfahrung, dass ein Waldelb nicht länger als drei Wochen überleben konnte, ohne sich zwischen Bäumen aufgehalten zu haben, ohne ihre Rinde zu berühren und über dem Rauschen der Blätter zu meditieren. Das Grün von Niiahs Augen verdunkelte sich, je weiter ihr Geist nach Noreea vordrang. Sie musste darauf hoffen, dass die Wächter sie erkannten, denn ansonsten würde die Nachricht nicht bis zu König Foriél gelangen. Niiah wusste nicht, ob die Wächter noch dieselben waren wie vor vielen Jahren, als sie ihre Heimat verlassen musste. Sie spürte wie ihre Gedanken an der Grenze zum Elbenwald Noreea auf eine Barriere stießen. Sie musste sich sehr stark konzentrieren, um die Verbindung nicht abreißen zu lassen. Niiah Lorlean nu Elva. Tochter von Lorlean und Elva. Sagt Foriél dass Niobars Schwur eingelöst ist. Die Worte prallten immer wieder gegen die Barriere. Niiah spürte wie ihre Kräfte schwanden, denn Noreea war fern und der Schutzzauber, der das Heim der Elben umgab war stark. Als Niiah spürte, dass ihre Kräfte nahezu aufgebraucht waren, unterbrach sie die Verbindung. Sie war sich nicht sicher, ob die Nachricht durchgedrungen war, doch sie hatte neben den Wächtern eine weitere Präsenz gespürt, von der sie glaubte, dass sie die Warnung empfangen hatte. Sie hoffte, dass sie sich nicht täuschte. Für den Moment hatte sie getan was in ihrer Macht stand, um die Elben zu warnen. Mehr konnte sie nicht tun. Bis zum Morgen würde sie brauchen, um sich von der kräftezehrenden Kontaktaufnahme zu erholen. Niiah zwang sich, etwas von ihrem Vorrat an Waldbrot zu essen, bevor auch sie sich zur Ruhe begab. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)