Against all odds von Tattoo (Miya x Gackt) ================================================================================ Kapitel 8: ----------- ~8~ Aus den vier Tagen waren mittlerweile tatsächlich mehr als vier Wochen geworden, doch entgegen seiner stillen Hoffnung, dass die kurze Zeit mit Gackt für ihn nach einer Weile an Bedeutung verlieren würde, vermisste Miya ihn nur noch stärker. Und in Tokyo zu leben machte die ganze Sache auch nicht einfacher. Es war ihm früher nie wirklich aufgefallen, aber wenn der Gitarrist jetzt durch die Straßen ging bemerkte er jedes einzelne der aberwitzig vielen Plakate, auf denen der Sänger abgebildet war, und jeden noch so kleinen Reklameschriftzug, der seinen Namen trug. Es schien fast so als versuche die Stadt ihn in den Wahnsinn zu treiben, und es war schon so weit gekommen dass Miya einen weiten Bogen um die große Kreuzung in Shibuya machte, um die riesigen Werbebildschirme nicht sehen zu müssen. Er versuchte sich weiterhin mit seiner Arbeit abzulenken, was allerdings immer seltener gelang, doch wenn er zuhause war fiel ihm dafür vor lauter Langeweile die Decke auf den Kopf. Mit anderen Worten: Würde morgen der Tokyo Tower einstürzen, ein UFO auf der Erde landen oder seine Gitarrensammlung gestohlen werden, wäre Miya das vollkommen egal. Er wollte einfach nur wieder zu Gackt. Doch weiter als bis dahin dachte er nicht. Das einzigst gute zur Zeit war, dass seine Bandkollegen seit dem kleinen Zwischenfall bei der Probe rücksichtsvoller waren und ihn mit dem Thema 'Gackt' in Ruhe ließen. Miya hatte die starke Vermutung dass Yukke seine Klappe doch nicht hatte halten können, aber da die Reaktion der anderen überraschend positiv war nahm er es dem Bassisten nicht weiter übel. Im Moment quälten sich die vier Musiker brüderlich durch ein nicht enden wollendes Interview bei einem Radiosender, und ihre Erleichterung war groß als sich der Moderator endlich für das Gespräch bedankte und den Zuhörern 'Akai Sora' ankündigte. Es war schon Abend als sie den Sender verließen, und obwohl mittlerweile Sommeranfang war verdunkelte sich der Himmel bereits über ihren Köpfen und es wurde kühler. "Dieses dämliche Wetter kann man echt in die Tonne treten, da war es ja im Frühling noch wärmer als jetzt!" beklagte sich Tatsurou mürrisch und zog den Reißverschluß seiner dünnen Jacke hoch, dann stakste er Satochi, Yukke und Miya hinterher. Es war vorher mit ihrem Roadie Kondo, der die Band nicht nur auf Tour sondern auch bei Terminen innerhalb Tokyos begleitete, abgesprochen worden dass er sie mit dem Van nicht direkt vom Sender abholen, sondern ein paar Straßen weiter warten und erst dann zu ihrer Lieblingskneipe fahren sollte, weil Yukke noch unbedingt in einem Musikladen in der Nähe etwas besorgen wollte, das es seiner felsenfesten Überzeugung nach nur dort gab und [Zitat Yukke:] "sonst nirgendwo auf der ganzen großen weiten Welt!" Und nach dem langen Herumsitzen beim Interview kam ihnen allen ein kleiner Fußmarsch ganz recht. Nach der abenteuerlichen Suche nach Yukke's einzigartigem Schatz, der sich als erstes Album der finnischen Band 'The Rasmus' herausstellte, machten sich die vier schließlich wieder auf den Weg zum Ausgang, doch Tatsurou hatte anscheinend damals in Mathematik gut aufgepasst, denn als sie auf die Straße traten bemerkte er dass sie nur noch zu dritt waren. Miya fehlte. Verwundert drehte er sich um und sah durch ein Schaufenster ihren Leader noch immer im Laden stehen und etwas anstarren, das der Sänger aus dieser Entfernung jedoch nicht erkennen konnte. "Hey, wartet mal!" rief er seinen beiden Kollegen noch schnell zu, dann ging er zurück um Miya zu holen und herauszufinden, was diesen da so sehr interessierte. Doch als er neben seinem Freund ankam stellte er resigniert fest, dass er sich das ja hätte denken können. Der Gitarrist stand regungslos vor einem von vielen neben- und übereinander aufgereihten Fernsehern, auf denen gerade ein PV von Gackt lief. Und gerade als Tatsurou beschlossen hatte, den anderen am Kragen seines Shirts zu packen und hinter sich herzuschleifen, sah er dessen Gesicht und überlegte es sich doch noch anders. Miya fixierte mit starrem Blick den Bildschirm während sich seine Zähne in seine Unterlippe gruben, und er wirkte so traurig dass der Jüngere ihm mitleidig eine Hand auf die Schulter legte. "Miya..." Da riss dieser seine Augen von Gackt los und senkte den Kopf. "Ja, ich weiß... ich soll ihn vergessen... ist doch kein Problem..." Mit diesen Worten drehte er sich langsam um, woraufhin Tatsurou's Hand von seiner Schulter glitt, und schlurfte aus dem Geschäft. So hörte er nicht mehr wie der Sänger leise murmelte "Ich wollte eigentlich etwas anderes sagen..." Im Van, den Kondo geschickt durch den dichten Verkehr und den inzwischen begonnenen Regen steuerte, herrschte Schweigen unter ihnen, nur das Autoradio verhinderte eine vollkommene Stille. Alle, auch der Roadie, hatten mitbekommen dass Miya, der neben Tatsurou auf der hinteren Rückbank saß, nicht gut drauf war und dass ihn etwas bedrückte, also hielten sie lieber den Mund. Aber an diesem Tag war das Schicksal offenbar vom Arbeitseifer gepackt worden, wie sonst war es zu erklären dass die piepsige Stimme der Radiomoderatorin plötzlich zuckersüß verkündete "Und als nächstes spielen wir etwas für die Romantiker unter euch! Freut euch auf 'Hoshi no Suna' von Gackt!" Sofort fuhr Miya sich mit einer Hand übers Gesicht und stöhnte leise, was Yukke dazu veranlasste, Kondo zu bitten den Sender zu wechseln, doch noch bevor dieser dazu kam erklangen auch schon die ersten Töne des Liedes. 'Ausgerechnet... warum ausgerechnet ein Klavierintro?' dachte Miya verzweifelt und hoffte inständig, dass ihr Fahrer gleich umschalten und ihm irgend etwas anderes – rockige Gitarrenriffs, Rap, Querflöten, Polka, ganz egal was – in den Ohren dröhnen würde, doch gerade als Kondo die Regler des Radios erreicht hatte durchzuckte es den Gitarristen wie ein Blitz und er rief schnell "Nein warte, lass es bitte an! Ich möchte das hören!" Erstaunt drehten Yukke und Satochi sich zu ihm um, und auch Tatsurou sah Miya verwirrt von der Seite an, aber das war diesem total egal. Für ihn zählte nur eins: Er kannte dieses Lied. Er kannte es sogar sehr gut, immerhin hatte er es oft genug mit Gackt geübt. Damals, als noch alles in Ordnung gewesen war. Doch als nach etwa einer halben Minute der Gesang einsetzte, weiteten sich Miya's Augen und ihm stockte für einen Moment der Atem. Das kannte er noch nicht. ~flashback~ "Ich habe etwas neues zum üben rausgesucht." verkündete Gackt lächelnd, setzte sich neben Miya auf die Klavierbank, die ihnen beiden ausreichend Platz bot, und legte einige handbeschriebene Blätter auf die Notenablage. Der Jüngere betrachtete neugierig die ersten Zeilen um zu prüfen, ob er damit hoffnungslos über- oder vielleicht eher unterfordert war, und befand sie schließlich für angemessen, was er mit einem kleinen Nicken kundtat. Daraufhin begannen sie das Lied, eine wunderschöne Ballade, gemeinsam am Klavier zu spielen, und wenn Miya mal mit einem Griff oder einer bestimmten Passage Schwierigkeiten hatte, dann legte Gackt seine Hände auf die des Gitarristen und führte ihn. So kamen sie schnell voran und Miya beherrschte das Lied bei ihrem nächsten Treffen schon fast perfekt. Als er einmal dabei war, es allein durchzuspielen, begann Gackt neben ihm plötzlich dazu eine Melodie zu summen, und nachdem die letzten Töne verklungen und der Sänger wieder verstummt war, sah sein Banknachbar ihn fragend an. "Sag mal, das Lied hast du doch geschrieben, ne?! Gibt's dazu auch einen Titel und einen Text?" Ein paar Sekunden lang erwiderte Gackt seinen Blick nur nachdenklich und wirkte auf einmal ein bisschen traurig, dann schaute er hinunter auf die schwarzen und weißen Tasten und schüttelte langsam den Kopf. "Nein, gibt es nicht..." ~end flashback~ 'Er hat gelogen... Gackt hat mich angelogen... Es gibt einen Titel, und es gibt auch einen Text.' dachte Miya, sprachlos und enttäuscht darüber dass der Sänger ihm gegenüber nicht ehrlich gewesen war. Aber es musste einen Grund dafür gegeben haben, und den würde er vielleicht jetzt herausfinden, wenn er sich den Text anhörte. Also versuchte Miya so gut es ging, den Gedankenwirrwarr in seinem Kopf zu ignorieren, und konzentrierte sich stattdessen auf Gackt's Stimme. [Anm.: Ich empfehle jedem, das Lied jetzt beim Weiterlesen auch zu hören! Wer es nicht hat: http://www.youtube.com/watch?v=YLi82bEKJko (die Übersetzung dort aber bitte nicht mitlesen)] ~*~ Alles wird still... Unter dem Himmel und der Sonne, die den Körper verbrennt, verschwindest du. Was suchst du noch, umherwandernd? Und ich, ganz allein... ~*~ Ja, genau so fühlte Miya sich auch schon seit Wochen. Allein. Allein unter seinen Bandkollegen und Freuden, allein vor Tausenden von Fans bei Auftritten, allein im Getümmel der Großstadt, die er schon seit Jahren sein Zuhause nannte. Und ihm schien dass es nur eine Person gab, die das ändern konnte. Doch die war, genau wie im Lied, aus seinem Leben verschwunden. Nur nicht aus seinem Kopf... ~*~ Diese müden Augen sind voller Hass. Egal, wie sehr du dich verabscheust, der Schmerz vergeht nicht. Umarme die unendliche Trauer. ~*~ Gackt's Worte sprachen ihn von Zeile zu Zeile mehr an, während Miya blind geradeaus starrte. Er merkte gar nicht dass seine Bandkollegen ihn die ganze Zeit stumm und mitleidig beobachteten, dafür war er zu sehr von dem Gefühl ergriffen, der Sänger würde direkt zu ihm sprechen. Unendliche Trauer... ja, so könnte man es eigentlich nennen. Aber warum fühlte er sich von dieser Strophe so besonders angesprochen? Miya war zwar müde und erschöpft vom vielen Nachdenken beziehungsweise Verdrängen, aber er hasste oder verabscheute sich doch nicht. Weswegen sollte er auch? Falsch hatte er jedenfalls nichts gemacht, oder? ... Oder? ~*~ Ich kann an nichts anderes denken, als an dich. Meine Gefühle für dich sind unverändert. Tiefer, tiefer, auch jetzt... Ja... liebe ich dich. ~*~ Warum klopfte sein Herz bei diesen Worten wie verrückt? Gackt hatte das Lied doch nicht für ihn geschrieben! Trotzdem ertappte Miya sich bei dem Wunsch, dass es so wäre. Dass jemand mehr als nur freundschaftlich an ihn dachte. Dass jemand sich nach ihm sehnte. Dass jemand ihn liebte. Nein, nicht jemand... Aber als Gackt ihm seine Liebe gestanden hatte, warum war Miya's Reaktion da anders gewesen? Warum war er von diesen Worten jetzt nicht mehr so peinlich berührt wie damals im Park? Was hatte sich geändert? Der Gitarrist presste die Lippen aufeinander und schloss seine Augen. Langsam wurde ihm das alles zu viel... ~*~ Selbst dein im hellen Mondlicht geflüsterter Name wird vom Wind fortgetragen. Im Morgengrauen singe ich weiter das Lied, das du mir lächelnd beigebracht hast. Wir zählten die Tränen, die in den Sternenhimmel zurückkehrten. Wie oft hat sich dieser Abend wiederholt. ~*~ Dabei musste er unwillkürlich an ihre Klavierstunden denken, die sich manchmal tatsächlich bis spät in die Nacht hingezogen hatten. Das Üben war aber nicht immer der Grund dafür gewesen, ab und zu hatten sie sich danach auch mal mit einem Glas Rotwein auf die Couch im Wohnzimmer verzogen und noch lange unterhalten. Dabei war die Zeit immer wie im Fluge vergangen, und gerade jetzt in diesem Moment hätte der Gitarrist alles dafür getan, um noch einmal so einen Abend mit Gackt zu erleben und sich endlich mal wieder richtig wohl zu fühlen. Aber daraus würde wohl nichts mehr werden... ~*~ Tiefer, tiefer, auch jetzt... Ja... liebe ich dich. ~*~ Er hatte es noch einmal gesungen, und langsam verstand Miya auch, warum Gackt ihm den Text verschwiegen hatte. Er hatte ihn wahrscheinlich damals schon geliebt und das Lied unbedingt mit ihm teilen wollen, aber von dessen tatsächlicher Bedeutung sollte der Gitarrist nichts wissen. Die letzten Worte hallten in Miya's Kopf wider und wider und wurden ganz allmählich von einer Erkenntnis verdrängt, gegen die sein Unterbewusstsein schon seit langer Zeit beharrlich angekämpft hatte und es selbst jetzt noch verzweifelt versuchte. Langsam öffnete er wieder seine Augen, und ohne es bewusst wahrzunehmen legte er eine Hand über seinen leicht geöffneten Mund und spürte im nächsten Moment etwas feuchtes darauf tropfen. Es waren Tränen. Er weinte. Warum hatte er das nicht eher gemerkt? Und was viel wichtiger war: Warum weinte er überhaupt? Es war doch nur ein Lied! Doch gerade Miya wusste aus eigener Erfahrung am besten, dass Songtexte für manche Menschen oftmals der einzige Weg waren, ihre Gefühle zu offenbaren und zu verarbeiten, und in diesem Fall waren es eben Gackt's Worte und nicht seine eigenen, die aus seinem Herzen sprachen. Aber das... das konnte doch nicht sein... "Miya?" drang es da plötzlich leise und vorsichtig an sein Ohr, und der Gitarrist blinzelte einige Male um wieder in die Realität zurückzufinden, in der ihn Tatsurou, Satochi und Yukke besorgt ansahen. Es war der Sänger gewesen der ihn angesprochen hatte, und so wandte Miya ihm langsam das Gesicht zu, erwiderte aber nichts. Er war nicht sicher ob seine Stimme versagen würde, wenn er den Mund aufmachte, doch Tatsurou erwartete anscheinend auch nichts dergleichen. "Du kannst es leugnen, soviel du willst, aber dass du eurer Freundschaft nach so vielen Wochen noch immer dermaßen nachtrauerst und sogar weinst... das ist nicht mehr normal. Jedenfalls ist das keine normale Freundschaft." meinte er überraschend sanft, was ziemlich untypisch für Tatsurou war, aber auch bestimmt und überzeugt, was nun wieder sehr typisch für ihn war. Verwirrt sah Miya den anderen an. "Ich versteh nicht ganz, was du damit sagen willst..." Da rollte der Sänger mit den Augen, löste seinen Sicherheitsgurt, obwohl sie noch fuhren, und drehte sich ganz zu seinem Freund um. "Stell dich nicht dumm, Yukke hat uns alles erzählt. Und ich denke ich verstehe jetzt was das Problem ist." Keiner von beiden achtete auf den Bassisten, der sich ängstlich hinter seiner Sitzlehne verkroch. "Wie lange hast du ihn jetzt schon nicht mehr gesehen?" wollte Tatsurou wissen und Miya lehnte sich zurück und starrte wieder ins Leere. "Keine Ahnung, ungefähr einen Monat." Bei dieser Antwort blickte der Sänger ihn eindringlich an, räusperte sich schließlich und Miya ließ geschlagen die Schultern hängen. "38 Tage." Tatsurou nickte. "Und wie geht es dir seitdem?" Müde schloss der Gitarrist erneut die Augen. "Beschissen..." "Du liebst ihn." kam es da völlig nüchtern und sachlich von dem Jüngeren, und auch Satochi und Yukke, der sich wieder hervorgewagt hatte, sahen überhaupt nicht überrascht aus, doch Miya schüttelte den Kopf. "Tu ich nicht..." wehrte er sich mit schwacher Stimme während ihm neue Tränen über das blasse Gesicht liefen, und Tatsurou seufzte leise beim Anblick seines sonst so beherrschten Freundes. "Doch das tust du. Und du hast es verdient, glücklich zu sein. Kümmere dich nicht darum was andere sagen werden, oder was ich gesagt habe." Da entfuhr es dem Gitarristen in einem letzten verzweifelten Anflug von Trotz "Aber ich bin nicht schwul!", doch Tatsurou ließ sich davon nicht beeindrucken. "Ich schätze, so etwas wie 'eindeutig hetero' oder 'eindeutig schwul' gibt es nicht. Es kommt nur darauf an, den richtigen Menschen zu treffen. Und ich denke das hast du. Geh zu ihm, Miya." Bei diesen ungewöhnlich einfühlsamen und ehrlichen Worten stutzte der Ältere. Den richtigen Menschen? Konnte das sein? War es im Grunde wirklich völlig egal, ob man als Mann eine Frau oder einen anderen Mann liebte? Hatte er sich letzten Endes die ganze Zeit über selbst im Weg gestanden? Und als ihm dieser Gedanke kam und von Sekunde zu Sekunde plausibler schien, da gab sein Unterbewusstsein den wochenlangen Widerstand auf und seine wahren, bisher unterdrückten Gefühle stürzten mit einem Schlag auf Miya ein, als wäre in seinem Kopf eine Schleuse geöffnet worden. Was der Wahrheit ja auch ziemlich nahe kam. Und jetzt endlich konnte er sie sehen und akzeptieren, die Antwort auf all seine Fragen, die ihm nachts den Schlaf geraubt hatten. Er liebte Gackt. So einfach war das. Und das wussten mit ihm jetzt noch vier andere Menschen. Doch derjenige, den es am meisten betraf, der wusste es nicht. "Kondo, halt sofort an!!" rief Miya plötzlich während sich seine Finger auch schon hastig an seinem Gurt zu schaffen machten, und ein Lächeln erschien auf den Gesichtern seiner Bandkollegen. Er hatte es endlich begriffen. Der Roadie, der alles mitgehört hatte, rief zurück dass es aber wie aus Kübeln regnete und Miya nicht einfach blindlings losrennen sollte, doch dieser zerrte bereits energisch an der Tür des Vans und Kondo gab sich geschlagen. Gegen Liebe kam Vernunft eben nicht an. Also fuhr er an den Straßenrand, und kaum war der Wagen zum Stillstand gekommen, da riss Miya die Tür auf, zwängte sich an Satochi's Sitz vorbei ins Freie, brauchte genau zwei Sekunden um sich zu orientieren, und rannte los. Yukke's Ruf, dass er doch wenigstens seine Jacke anziehen solle, ging im Prasseln des Regens unter. **** Etwa zwanzig Minuten später sprintete Miya, bis auf die Haut durchgeweicht und völlig außer Atem, die Treppe zu Gackt's Wohnung hinauf und den Gang entlang. Er war unterwegs etliche Male bei Rot über die Straße gerannt und sogar zweimal fast angefahren worden, und Fußgänger hatten ihm ärgerlich hinterhergerufen wenn er sie im Gedränge unabsichtlich angerempelt hatte. Aber heute war ihm das alles egal. Für Miya gab es nur ein Ziel, und an dem war er jetzt endlich angelangt. Das Adrenalin in seinem Körper reichte gerade noch aus, um ihn auf den Klingelknopf drücken zu lassen, dann gaben seine überforderten Beine, die einen derartigen Dauerlauf durch die Stadt nicht gewöhnt waren, unter ihm nach und er sackte vor der Tür zusammen und musste sich mit beiden Händen auf dem Boden abstützen, um nicht nach vorn zu kippen. Und so fand Gackt ihn auch vor, als er kurz darauf die Tür öffnete. Zusammengekauert, den Blick starr auf den Boden gerichtet, nach Luft ringend, klatschnass. Und als der Sänger ihm eilig eine von seinen eigenen Jacken über die Schultern warf und sich neben ihn hockte, da merkte er auch wie Miya vor Kälte zitterte. "Um Himmels Willen, was ist denn passiert?" fragte er beim Anblick des vollkommen erschöpften Gitarristen entsetzt und rieb ihm dabei über einen Arm und den Rücken, um ihn etwas zu wärmen. Miya konnte nicht antworten, weil seine Lungen vor Anstrengung höllisch schmerzten und sein Herz anscheinend in seinen Hals gewandert war und dort so stark hämmerte, als würde es jeden Moment zerspringen. Das einzige, was sein Körper ihm noch erlaubte, war, sich gegen Gackt's Oberkörper zu lehnen und weiter zu versuchen, seine Atmung wieder unter Kontrolle zu bekommen. Und als er einigermaßen sicher war, dafür genügend Kraft zu haben, da richtete er sich ein wenig auf, noch immer keuchend und ohne dem anderen in die Augen zu sehen, drehte sich etwas mehr zu ihm und umarmte Gackt. Der Sänger erstarrte für eine kurzen Augenblick, unsicher ob er gerade halluzinierte, doch dann legte er ebenfalls seine Arme um Miya und strich ihm weiter über den Rücken. Es gab schließlich schlimmere Halluzinationen als die, den Gitarristen zu umarmen. "Miya, was ist denn nur los mit dir?" flüsterte er besorgt, bekam aber noch immer keine Antwort, also wartete er weiter darauf dass der Jüngere wieder sprechen konnte. Und nach einer Weile hörte er ganz leise Miya's Stimme. "Im Morgengrauen singe ich weiter das Lied, das du mir lächelnd beigebracht hast. Wir zählten die Tränen, die in den Sternenhimmel zurückkehrten. Wie oft hat sich dieser Abend wiederholt." Er sang die Worte nicht, sondern flüsterte sie, doch Gackt musste die Melodie nicht hören um das Lied zu erkennen, und ihm schnürte sich die Kehle zu. Miya hatte es nun also doch noch gehört und sich sogar den Text gemerkt. Aber was hatte das zu bedeuten? Warum kam er im Regen hergerannt und zitierte 'Hoshi no Suna'? Und warum umarmte er ihn dabei? Doch Gackt's Gedanken wurden unterbrochen als Miya leise weitersprach. "Ich kann an nichts anderes denken, als an dich. Meine Gefühle für dich sind unverändert. Tiefer, tiefer, auch jetzt..." Nach diesen Worten verstummte der Gitarrist wieder und löste sich vorsichtig aus ihrer Umarmung, lehnte sich etwas zurück und zum ersten Mal an diesem Abend trafen sich ihre Blicke. In Gackt's Augen lag Verwirrung, gepaart mit einem Fünkchen Hoffnung, aber auch Angst. Miya's Augen dagegen waren voller Wärme und Zuversicht, und obwohl Gackt langsam den Kopf schüttelte, als Zeichen dafür dass er die nächsten Worte nicht hören wollte, öffnete der Jüngere erneut den Mund und flüsterte sanft "Ja... liebe ich dich." Sein Gegenüber schluckte schwer und schloss die Augen, konnte einfach nicht glauben was hier gerade passierte. Entweder es war ein Traum oder ein schlechter Scherz, aber letzteres traute er dem Gitarristen nicht zu, und so einen realistischen Traum hatte er bisher auch noch nie gehabt. Blieb also nur noch... Plötzlich wurde eine kalte und nasse Hand an seine Wange gelegt, und vor Überraschung riss Gackt seine Augen wieder auf und sah Miya, der nun wieder vollkommen ruhig und gleichmäßig atmete. Und der Gitarrist lächelte. "Du hast richtig gehört... Ich liebe dich. Es hat nur etwas gedauert, bis ich's gemerkt habe." Da hob Gackt eine Augenbraue. "Das nennst du 'etwas'? Es waren über fünf Wochen!" gab er zu bedenken und Miya zog bei diesen Worten eine beleidigte Schnute. "Wäre es dir lieber gewesen, wenn ich es überhaupt nicht gemerkt hätte?" Sofort schüttelte der andere schnell den Kopf und Miya grinste ein bisschen, dann zog etwas anderes seine Aufmerksamkeit auf sich, denn irgend jemand zupfte ganz leicht am Saum seines Hosenbeins. Und als er hinuntersah stellte sich der Übeltäter als winzig kleine Belle-Kopie heraus, die anscheinend Gefallen an seiner Hose gefunden hatte und sie jetzt für sich beanspruchte. Da fiel ihm erst wieder ein, dass die Hündin ja inzwischen Mutter geworden war, und er drehte sich mit großen Augen wieder zu Gackt um. "Das hatte ich ja total vergessen! Wie geht's den Kleinen denn? Und wie viele sind es? Sind alle gesund? Und was ist mit Belle?" Da musste Gackt lachen. "Eins nach dem anderen, das erfährst du alles drinnen im Warmen. Also hoch und rein mit dir!" Damit half er dem noch immer etwas entkräfteten Gitarristen, der sich noch schnell den kleinen neugierigen Ausreißer geschnappt hatte, in die Wohnung und schloss die Tür hinter ihnen. Im Wohnzimmer machte Miya dann noch die flüchtige Bekanntschaft mit vier weiteren niedlichen Welpen und hatte auch kurz Zeit, die ganz aufgeregte Belle zu begrüßen, dann wurde er von Gackt gnadenlos ins Bad geschoben mit der Anweisung, erst einmal heiß zu duschen damit er sich nicht erkältete. Als Miya zehn Minuten später zurückkam, nun in einen großen weißen Bademantel gehüllt, da saß der Ältere auf 'ihrer' Couch und sah den tollpatschigen Welpen amüsiert beim Spielen zu. Ohne zu zögern ging Miya zu ihm hinüber, setzte sich dicht neben Gackt und kuschelte sich an ihn, als wäre es das Normalste auf der Welt. Und der Sänger legte einen Augenblick später erneut einen Arm um ihn und zog Miya noch näher zu sich. Für eine kleine Weile genossen sie einfach schweigend diese angenehme Vertrautheit, an der sich trotz der vergangenen einsamen Wochen nichts geändert hatte, dann wurde Miya aber doch wieder neugierig und fragte, ob es denn sehr anstrengend sei, plötzlich sechs Hunde im Haus zu haben. "Das kannst du laut sagen, außerdem kosten die Kleinen ein halbes Vermögen! Also verlass mich bloß nicht, sonst kriegst du eine dicke fette Unterhaltsklage an den Hals." kam die prompte Antwort und der Gitarrist lächelte. "Keine Sorge, mich wirst du so schnell nicht wieder los." Dann warf er einen kurzen Blick auf den Couchtisch und meinte schmunzelnd "Wo ist der Rotwein?", worauf Gackt mit einem Augenzwinkern erwiderte "Steht schon zusammen mit zwei Gläsern in der Küche." Zufrieden grinsten sich die beiden an, doch während sie sich weiter wortlos in die Augen sahen wurde ihr Grinsen allmählich zu einem sanften Lächeln. Und schließlich, wie in Zeitlupe, legte Miya eine Hand in Gackt's Nacken und zog ihn langsam zu sich. Keine einzige Sekunde lang unterbrachen sie den Blickkontakt während sich ihre Gesichter einander näherten, erst als sie sich schon fast berührten schloss Miya seine Augen und spürte einen Augenblick später die weichen Lippen des Sängers auf seinem Mund. Kurz darauf, als Gackt sich relativ sicher war dass Miya sich an das Gefühl gewöhnt hatte, folgte seine Zunge und bat um Einlass, der ihr ohne Zögern gewährt wurde, und je länger ihr Kuss dauerte, desto mehr kam Miya zu der Überzeugung dass es zumindest in dieser Hinsicht keinen Unterschied zwischen Mann und Frau gab. Dieser erste, noch recht unschuldige Kuss hätte jetzt schön romantisch enden können, er hätte sich aber auch fortsetzen und in leidenschaftlichem Sex gipfeln können, doch es wird bei Spekulationen bleiben, denn auf einmal riss Miya die Augen wieder auf, löste sich ruckartig von Gackt und gab ein überraschtes und ziemlich unmännliches Quietschen von sich. Dieses plötzliche laute Geräusch gefiel dem kleinen Hund, der an der nackten Zehe des Neuankömmlings kaute, offenbar nicht besonders, deshalb ließ er von seiner Beute ab und trollte sich wieder zu seinen Geschwistern. Zurück blieben ein grummelnder Gitarrist und ein herzlich lachender Sänger, der das schmollende weiße Bündel neben sich dann sogleich wieder in seine Arme zog und ihm besänftigend durch die noch feuchten Haare strich. "Ich schätze, der Kleine wird nicht dein neuer bester Freund, hm?" meinte er schmunzelnd und erhielt als Antwort ein sofortiges Nicken, dann sah er Miya dabei zu wie dieser die Hundeschar genauer in Augenschein nahm. "Wie alt sind die Zwerge denn jetzt?" wollte der Jüngere schließlich wissen und Gackt überlegte kurz. "Also Belle hat sie drei Tage nach unserer Begegnung im Park zur Welt gebracht, und mittlerweile sind sie... genau fünf Wochen alt." Miya öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch der andere war schneller. "Ich weiß, ich weiß, es heißt nicht 'zur Welt bringen' sondern 'werfen'." "Das stimmt zwar, aber eigentlich wollte ich nur fragen wie sie heißen." grinste der Gitarrist belustigt und beobachtete dann erstaunt, wie sich Gackt's Wangen leicht rötlich färbten. "Naja... mir schwirrte ehrlich gesagt immer nur dein Name im Kopf rum, deshalb habe ich sie erstmal alle Miya genannt und dann durchnummeriert. Siehst du, das da ist Nummer zwei, der kleine dort drüben ist Miya Nummer drei, Nummer vier ist der mit dem dein Fuß gerade Bekanntschaft gemacht hat, und Nummer fünf und sechs liegen da auf der Decke." Miya's erster Impuls war, dem anderen dafür um den Hals zu fallen und ihn besinnungslos zu küssen, doch im letzten Moment fiel ihm etwas auf dass sein Vorhaben verhinderte. "Eh? Aber warum hast du denn nicht bei Nummer eins angefangen? Oder läuft die hier noch irgendwo rum und ich hab sie nur noch nicht gesehen?" Da lächelte Gackt und lehnte seine Stirn gegen die des verwunderten Gitarristen. "Ach du kleiner baka... meine Nummer eins bist doch du." Ende Waahhh, was für ein schmalziger letzter Satz!!! (>_<) Aber mir ist nix besseres eingefallen... Und endlich haben sie sich! *__* Hoffe dass ich euch mit jedem Kapitel ein bisschen überraschen und neugierig machen konnte, und dass das Ende zufriedenstellend war. Wem's gefallen hat, der kann ja auch mal in meine anderen FFs reinschauen… Vielen lieben Dank für die ganzen Kommis, hätte echt nicht gedacht dass das Pairing so gut ankommt! Ä_Ä Bis zum nächsten Mal, Tattoo Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)