Against all odds von Tattoo (Miya x Gackt) ================================================================================ Kapitel 3: ----------- ~3~ "Atmet er?" "Natürlich tut er das, Satochi!" "Er scheint aber wirklich ganz schön fertig zu sein." "Stimmt, ich frag mich was ihn so geschlaucht hat…" "Vielleicht hat er eine neue Freundin und die hat ihn die ganze Nacht wach gehalten!" Das vertraute Geräusch von Yukke's Faust auf Tatsurou's Schädel riss den Leader aus seinem Halbschlaf, und als er die Augen öffnete starrte er direkt in die seiner Kollegen, die ihn neugierig ansahen. Naja, der Sänger war im Moment eher damit beschäftigt, sich den Kopf an der Stelle zu reiben wo Yukke ihn erwischt hatte, als Miya allzu intensiv zu betrachten. Dieser blinzelte die drei müde an. "Kann ich euch irgendwie helfen?" Da rollte Satochi mit den Augen. "Das nicht direkt, aber du könntest uns erklären warum du mitten bei Tatsurou's Aufnahmen einfach so einschläfst." Der Gitarrist sah sich um und stellte fest dass er tatsächlich auf seinem bequemen Drehstuhl vor dem Mischpult eingenickt war. Gackt insgeheim zum x-ten Mal verfluchend richtete er sich etwas auf und grummelte, dass das doch jedem mal passieren könnte, aber Yukke schüttelte entschieden den Kopf. "Miya, dass du im Studio einpennst ist seit unserer Bandgründung in etwa so oft passiert wie ich Finger an einer Hand habe, und in diesen seltenen Fällen warst du meist krank. Da kannst du es uns ja wohl nicht verübeln dass wir uns Sorgen um dich machen." Tatsurou nickte zustimmend. "Eben, also sag uns endlich was los ist. Und wenn du behauptest, ich hätte dich mit 'Kuukyo na Heya' in den Schlaf gesungen, dann kannst du was erleben, Freundchen." Die anderen beiden grinsten bei diesen Worten, denn jedem der Anwesenden war klar dass der Sänger es nie wagen würde, ihren Leader ähnlich grob zu behandeln wie den ständig mit grünen und blauen Flecken verzierten Yukke. Miya sah Tatsurou nur unbeeindruckt an. "Ich zittere. Aber keine Sorge, es lag nicht an dir. Ich hatte in den letzten Tagen einfach viel zu tun und wenig Schlaf, das ist alles." "Dann gönn dir doch mal eine Pause!" mischte sich der fürsorgliche Bassist ein. "Wir sind mit den Aufnahmen bis jetzt sehr schnell vorangekommen und liegen gut im Zeitplan, da kannst du ruhig mal einen Tag zu Hause bleiben und dich richtig ausschlafen." Um das Wohl seines Freundes besorgt sah Yukke ihn schon fast flehend an, doch das kleine Arbeitstier wollte davon nichts hören. "Unsinn, ich bleibe hier und wir machen weiter. Es reicht wenn ich heute Abend etwas eher ins Bett gehe, dann bin ich morgen wieder fit und hab die nötige Energie um euch in eure faulen Hintern zu treten." Empört über diese Unterstellung zeterten seine Freunde eine Weile lautstark durch die Gegend und amüsierten Miya damit genug, dass er den Rest der Zeit einigermaßen wach blieb, doch sofort nachdem die letzte Strophe zur Zufriedenheit aller eingesungen war erklärte der Gitarrist, dass es für heute genug sei. "Na sowas, das ist doch sonst nicht deine Art, so pünktlich aufzuhören. Bist wohl doch total erledigt und willst es nur nicht zugeben, hm?" neckte Tatsurou ihn, schaffte es aber auch diesmal nicht, bei Miya mehr als ein gleichgültiges Schulterzucken zu bewirken. "Ich könnte gut und gerne noch ein paar Stunden länger hier bleiben und dich weiter quälen, aber ich hab noch etwas zu erledigen. Wir verschieben das auf morgen und-" "Oha, was hast du denn so wichtiges zu erledigen? Wir haben nämlich vorhin mal in deinen Planer geschielt, und außer den Studioaufnahmen stand für heute nichts weiter drin. Hast du ein Date, von dem wir nichts wissen dürfen, oder was? Wie heißt die Schnecke denn? Ist sie hübsch? Ist sie kleiner als du? Hat sie mpfl-" Alle weiteren geistreichen Worte des vorlauten Sängers wurden von Yukke's Hand erstickt, die der Blonde Tatsurou vor den Mund hielt und Miya dabei entschuldigend ansah. "Tut mir leid, wir wollten das eigentlich gar nicht tun, aber es hätte ja sein können dass wir dir den einen oder anderen Termin abnehmen könnten. Nur deshalb haben wir reingeschaut, wirklich." erklärte er hastig ehe Tatsurou sich aus seinem Griff befreien und ihm gegen die Schulter boxen konnte. Nach dieser kleinen Racheaktion wollte der Sänger sich wieder Miya zuwenden um ihm so lange weiter auf die Nerven zu gehen, bis dieser endlich mit der Sprache herausrückte, doch alles was er sah war der Rücken des Gitarristen und eine Sekunde später nur noch die zufallende Tür. Elvis had left the building. **** Die Tür zu seinem Zimmer öffnete sich und herein kam-- eine Krankenschwester. Gackt seufzte enttäuscht und wandte seinen Kopf wieder zur Seite um aus dem Fenster zu starren, während die weißgekleidete ältere Frau wortlos seinen Verband wechselte. Er hatte irgendwie gehofft dass Miya ihn besuchen kam, er war der einzige dessen Gegenwart Gackt ertrug. Das lag wahrscheinlich daran dass der Gitarrist ihn nicht mit Samthandschuhen anfasste sondern wie einen normalen Menschen behandelte und ihm auch mal hart und ehrlich die Meinung geigte. Genau das brauchte der Solokünstler. Jemanden, dem der Name 'Gackt' egal war. Der einfach nur bei ihm war und ihm half weil er ihn mochte. 'Aber mag er mich denn überhaupt? Oder tut er das alles nur aus Pflichtgefühl oder Anstand?' Nachdenklich zog er die Augenbrauen zusammen. 'Will ich denn eigentlich dass er mich mag? Ich fühle mich zwar im Moment so einsam als wäre ich der letzte Mensch auf der Welt, aber wenn es mir gut ginge, würde ich dann Wert auf seine Gesellschaft legen?' Er dachte eine ganze Weile darüber nach und kam letztendlich zu dem Schluss, dass er es nicht wusste. Und dass es im Prinzip auch keine Rolle spielte, denn es ging ihm nun mal nicht gut, also wozu sich den Kopf an Was-Wäre-Wenn-Fragen zerbrechen? Die Krankenschwester hatte den Raum mittlerweile wieder verlassen, doch schon wenige Minuten später ging die Tür erneut auf. 'Bestimmt wieder dieser dämliche alte Arzt der mich dazu bewegen will, mit einem Psychologen zu sprechen.' dachte Gackt genervt und machte sich gar nicht erst die Mühe, den Eindringling anzusehen. "Lassen sie mich endlich in Ruhe, ich hab schon tausendmal gesagt dass ich mit niemandem reden will." zischte er und danach herrschte einen Moment lang absolute Stille, bis sich der Besucher schließlich doch zu Wort meldete. "Dann sag mir wenigstens noch schnell, ob deine Hündin kastriert ist." Überrascht drehte Gackt sich um und sah Miya, der an der Wand neben der Tür lehnte und ihn anschmunzelte. Eine leichte Röte breitete sich auf den Wangen des Gefesselten aus. "Oh, tut mir leid, ich dachte du wärst jemand anderes." entschuldigte er sich schnell für den nicht gerade herzlichen Empfang, dann wurden ihm die Worte des Gitarristen erst bewusst. "Aber… äh… warum fragst du?" Miya stieß sich von der Wand ab, umrundete das Bett und setzte sich wieder auf den Stuhl am Fenster. Irgend etwas schien ihn zu belustigen, denn sein anfängliches Schmunzeln war inzwischen zu einem stattlichen Grinsen mutiert. "Naja, ich war gerade mit meinem Hund und deiner Hündin spazieren, und wenn die kleine komische Wurst nicht kastriert sein sollte ist es durchaus möglich, dass sie bald nicht mehr wie eine Wurst sondern eher wie ein Fleischbällchen aussieht, wenn du verstehst." Gackt's Augen weiteten sich beängstigend. "Du meinst…" "Ja, genau das meine ich." bestätigte der immer noch grinsende Gitarrist und beobachtete Gackt dabei, wie dieser angestrengt darüber nachdachte ob er diesen Eingriff bei Belle hatte vornehmen lassen. Er war sich ziemlich sicher dass dem nicht so war, denn daran würde er sich ja wohl erinnern, also schüttelte er schließlich langsam den Kopf. "Nein, Belle ist nicht kastriert. Hättest du nicht besser auf die beiden aufpassen können?" Da verschwand das Grinsen aus Miya's Gesicht so schnell, als wäre es nie dagewesen, und die Augen des Jüngeren funkelten bedrohlich. "Aber sonst geht's dir noch gut, oder wie? Du hast doch tatsächlich die Frechheit, mir sowas ins Gesicht zu sagen?! Ich rette dir das Leben, schütze deinen Ruf, komme dich besuchen anstatt mich um meine eigenen dringenden Angelegenheiten zu kümmern, und versorge sogar deine Haustiere! Und das ist der Dank dafür? Ich glaub ich bin im falschen Film! Wenn du so unzufrieden mit mir bist, dann stört es dich ja sicher nicht wenn ich mich hiermit endgültig von dir verabschiede! Sieh doch zu wie du allein klarkommst, du undankbares Arschloch!" Mit diesen Worten stand er abrupt auf und ging, ohne den anderen noch eines Blickes zu würdigen, in Richtung Tür. Gackt starrte ihm entsetzt hinterher. "Warte! Warte Miya, bitte! Ich hab das nicht so gemeint, es tut mir leid! Ich weiß sehr wohl zu schätzen was du alles für mich tust, und dabei weiß ich noch nicht einmal warum du es überhaupt tust! Aber bitte geh jetzt nicht so einfach!" Seine Entschuldigung zeigte die gewünschte Wirkung, Miya war stehen geblieben. Für ein paar Sekunden schien er noch unentschlossen, dann drehte er sich langsam wieder zu Gackt um und sah ihn mit einem unergründlichen Ausdruck in den Augen an. "Glaub mir, ich weiß es selbst nicht…" Damit schlurfte er zurück zu seinem Stuhl, ließ sich erschöpft darauf sinken und rieb sich die Stirn. Erst jetzt fiel dem anderen auf wie müde Miya aussah, und nach kurzem Zögern sagte er ihm dies auch. Der Leader nickte. "Das liegt daran dass ich es auch bin. Ich könnte hier und jetzt sofort einschlafen, deshalb hab ich gerade wohl auch etwas überreagiert. Sorry…" Als er dies hörte konnte Gackt nur beschämt abwinken. "Mach doch nichts. Außerdem hast du ja Recht, das war eben wirklich ziemlich dreist von mir." Da formte sich Miya's Mund plötzlich wieder zu einem Schmunzeln. "Sag mal, was ist deine Belle eigentlich für eine Rasse?" "Sie ist ein Dackel." "Ein was?" "Ein Dackel. Ist eine deutsche Rasse." "Aha, die Deutschen sind also solche Würstchenliebhaber dass sie sogar ihre Hunde in diese Form gezüchtet haben." "Ich finde nicht dass Belle aussieht wie eine Wurst." "Wie bitte? Na und ob die so aussieht! Es grenzt an ein Wunder dass deine Katze sie noch nicht gefressen hat!" "Wie sieht denn dann bitte dein Hund aus, hm?" "Wie eine zerzauste kleine Fledermaus." "Dann will ich mir lieber gar nicht erst vorstellen wie die Welpen aussehen werden, falls Belle wirklich schwanger werden sollte." Amüsiert sahen sich die beiden an und Miya's kleiner Gefühlsausbruch war schon wieder so gut wie vergessen. Dann lehnte sich der Gitarrist zurück, legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. "Ich bleib nicht lange, ich muss ins Bett. Und mach dir keinen Kopf, ich kümmere mich auch weiter um deine Tiere, bis du entlassen wirst." Gackt bedankte sich lächelnd, doch dann trübte sich sein Blick ein bisschen. "Was glaubst du wie lange die mich hierbehalten werden?" fragte er unsicher und Miya beugte sich wieder vor und sah ihn an. "Ich weiß ja nicht wie schnell der Schnitt verheilt, aber so gefährlich war er ja dann doch nicht. Und sie haben keinen Beweis dass es… kein Unfall war… also denke ich dass du schon in wenigen Tagen hier raus sein müsstest." Betreten blickte Gackt hinunter auf seine gefesselten Handgelenke. "Aber so wie ich hier ausgerastet bin wissen die doch bestimmt Bescheid und werden sich weigern, mich gehen zu lassen. Dieser Takano liegt mir schon den ganzen Tag damit in den Ohren dass ich mir helfen lassen soll, der wird meine Entlassungspapiere sicher nicht unterschreiben." Miya schüttelte den Kopf. "Das muss er aber. Wie gesagt, es gibt keine Beweise für einen Selbstmordversuch, und die Sache mit dem runtergeworfenen Glas ist auch nicht eindeutig. Und ich kann ja auch noch mal mit ihm reden und ihn davon überzeugen dass es unbedenklich ist, dich zu entlassen." "Woher willst du denn wissen dass es unbedenklich ist?" fragte Gackt leise und sah Miya dabei direkt und ohne Scheu in die Augen. Der Jüngere erwiderte den Blick ohne mit der Wimper zu zucken. "Das weiß ich nicht. Aber falls du tatsächlich wieder versuchen solltest dich umzubringen, dann ist dir wohl wirklich nicht mehr zu helfen. Ich kenne den Grund für deine Verzweiflung nicht und will es auch gar nicht, aber ich hoffe du siehst ein dass es sich trotz allem lohnt zu leben." Gackt ließ diese Worte sinken und nickte schließlich langsam. "Ich schätze du hast Recht... Wenn man den ganzen Tag hier liegt hat man viel Zeit zum Nachdenken, und mittlerweile weiß ich dass das nur eine Kurzschlussreaktion war. Ich will eigentlich noch gar nicht sterben. Jetzt nicht mehr." **** Nachdem Miya Gackt's Zimmer verlassen hatte machte er sich auf die Suche nach Dr. Takano und erklärte ihm, dass der Solokünstler weder eine Gefahr für sich selbst noch für andere darstellte und man ihm ruhig die Fesseln abnehmen konnte. Der Arzt stimmte dem nur widerwillig zu, er wusste dass er diesbezüglich keine wirkliche Entscheidungsgewalt hatte und Gackt sowieso in ein paar Tagen wieder entlassen wurde. Dies teilte er Miya auch gleich mit, der sich bedankte und daraufhin das Krankenhaus verließ. Er fuhr auf direktem Weg nach Hause, streifte sich im Flur kraftlos die Schuhe von den Füßen, warf seine Jacke einen halben Meter am Garderobenständer vorbei und trottete ins Schlafzimmer. Ohne sich seiner restlichen Kleidung zu entledigen sank er auf das durchwühlte Bett, welches er heute früh um zwei Uhr unfreiwillig verlassen hatte, und noch ehe sein Kopf das Kissen berührt hatte war der übermüdete Gitarrist bereits eingeschlafen. Gizmo, der sich total vernachlässigt fühlte da sein Herrchen ihm überhaupt keine Beachtung geschenkt hatte, sprang mit einiger Mühe auf das für seine Größe viel zu hohe Bett, stupste Miya mit seiner kleinen nassen Nase ins Gesicht und legte sich, da sein Dosenöffner sich nicht regte, kurzentschlossen neben diesen. Seite an Seite schliefen die beiden bis zum späten Mittag des nächsten Tages. **** Genervt starrte Gackt aus dem Fenster hinunter auf den Parkplatz vor dem Haupteingang des Krankenhauses. Dort herrschte das totale Chaos. Reporter und Fotografen drängten sich auf engstem Raum und verlangten lautstark Auskunft, ihre Vans versperrten die Ein- und Ausfahrt und hinderten dadurch sogar Krankenwagen daran, den Eingang zu erreichen. Dass es wie aus Kübeln regnete störte anscheinend keinen der Belagerer. Man hatte inzwischen sogar die Polizei rufen müssen, die in diesem Moment damit beschäftigt war, die Presse vom Gelände zu scheuchen. Immerhin hatte es ganze vier Tage gedauert bis sie davon Wind bekommen hatte, dass Gackt sich angeblich hier befand. Bis jetzt war es zum Glück nur ein Gerücht, denn niemandem war es gelungen den Solokünstler zu Gesicht, geschweige denn vor die Kamera zu bekommen. Aber das hielt diese aufdringlichen Pressefritzen nicht auf. Sie belagerten das Krankenhaus nun schon seit mehreren Stunden und die Polizei hatte alle Hände voll zu tun, doch langsam aber sicher lichteten sich die Reihen. Es würde aber trotzdem noch eine ganze Weile dauern bis wieder Ruhe einkehren konnte, und so wie Gackt seine ständigen Verfolger kannte machten die es sich gerade ganz in der Nähe des Klinikgeländes bequem, um solange auszuharren bis sie ihn endlich sahen. Es würde nicht leicht werden, das Krankenhaus morgen unerkannt zu verlassen. Ein kurzes Klopfen an der Tür brachte Gackt dazu, sich von dem Spektakel einige Stockwerke unter ihm abzuwenden. Nun galt seine ganze Aufmerksamkeit einem klatschnassen Gitarristen, der den grauen Linoleumboden volltropfte während er seine durchweichte Jacke auszog. "Es gibt da eine ganz tolle Erfindung die nennt sich Regenschirm, schon mal was davon gehört?" bemerkte Gackt augenzwinkernd und erntete dafür einen mürrischen Blick von Miya. "Normalerweise brauch ich sowas nicht wenn ich herkomme, aber wer konnte denn ahnen dass die Tiefgarage komplett versperrt sein würde? Ich musste drei Straßen laufen und mich dann still und heimlich an den tausenden von Reportern vorbeischleichen, um überhaupt hier rein zu kommen!" erklärte er, dann sah er sich kurz fragend im Zimmer um. "Hast du ein Handtuch für mich? Ich hab keine große Lust auf eine Erkältung…" Gackt zeigte sofort auf den Schrank neben der Tür. "Natürlich hab ich das, sogar mehrere. Das müsstest du ja eigentlich am besten wissen, immerhin warst du so freundlich mir ein paar meiner Klamotten und andere Sachen aus meiner Wohnung zu holen. Bedien dich." Miya nickte und zog ein rotes Handtuch aus dem Schrank, trocknete zuerst sein Gesicht und dann seine Haare, die ihm in feuchten Strähnen vor den Augen hingen. Dass sowohl sein Pullover als auch seine Hose und Schuhe ebenfalls Opfer des Regens geworden waren, damit musste er wohl oder übel leben. Das Handtuch über seine Schultern geworfen trat er ans Fenster, an genau die gleiche Stelle an der Gackt zwei Minuten zuvor gestanden hatte, und beobachtete das Treiben auf dem Parkplatz. Er schüttelte den Kopf. "Das ist einfach unglaublich… Ich frag mich wie sie es erfahren haben…" "Ist doch egal, jedenfalls wissen sie es jetzt. Oder vermuten es zumindest, aber das kommt letztendlich ja auf das gleiche hinaus." erwiderte der andere resigniert und machte es sich auf seinem Bett bequem. Die Hand- und Fußfesseln hatte man ihm schon vor drei Tagen wieder abgenommen, und er wusste ganz genau dass das Miya's Verdienst gewesen war. Dieser drehte sich zu Gackt um und lehnte sich dabei gegen das Fensterbrett. Sich mit der nassen Hose auf den Stuhl setzen wollte er auf gar keinen Fall. "Hast du denn schon mit deinem Manager telefoniert und abgesprochen, wie man dich morgen möglichst ungesehen hier rausbringen wird?" Das bejahte der Angesprochene und erzählte, dass er am späten Nachmittag abgeholt und in einem schwarzen Van mit verdunkelten Scheiben die Klinik durch die Tiefgarage verlassen würde. Miya nickte nachdenklich, sagte aber nichts weiter dazu. Stattdessen neigte er den Kopf etwas zur Seite und ein lautes Knacken war zu hören, gefolgt von einem leisen Ächzen des Gitarristen. Gackt starrte ihn entsetzt an. "Großer Gott, das klang ja furchtbar!" "Es reicht wenn du mich Miya nennst." "Lenk mal nicht ab. Das hörte sich an als wärst du total verspannt." "Hm, und ich dachte schon mein Genick sei gebrochen…" "Scherzkeks. Los, komm her, ich verpass dir jetzt eine Profimassage, danach fühlst du dich wie neugeboren." "Wie bitte??" "Hast du auch Wasser in die Ohren bekommen? Ich sagte dass ich dir-" "Ich hab gehört WAS du gesagt hast, ich kann nur nicht glauben DASS du es gesagt hast!" "Wieso, was ist denn so schlimm an einer Massage?" "Ähm… naja… eigentlich nichts, aber-" "Kein 'Aber', und jetzt beweg dich hier rüber. Du brauchst deinen Pullover auch nicht ausziehen, wenn dir das lieber ist." Miya, dem das in der Tat lieber war, schlurfte murrend hinüber zum Bett und setzte sich widerwillig auf dessen Rand, Gackt nahm hinter ihm im Schneidersitz Platz. Er bot normalerweise Leuten die er erst seit kurzer Zeit kannte keine Massage an, aber Miya hatte ihn seit seiner Einlieferung jeden Tag besucht und ihm so sehr geholfen, dass er es gern tat, auch um sein schlechtes Gewissen wenigstens etwas zu beruhigen. Und er hatte festgestellt dass er sich in der Gegenwart des Gitarristen sehr wohl fühlte und die Frage, ob er auch unter normalen Umständen Wert auf Miya's Gesellschaft legen würde, inzwischen eindeutig mit 'Ja' beantworten konnte. Und so legte er seine Hände auf die schmalen Schultern des Jüngeren. "Bäh, du bist nass…" "Ach, sag bloß. Das war ja wohl deine Schnapsidee, nicht meine." "Ja ja, schon gut, und jetzt sei still." *KNACK* "KYAAAAA!!!!!!!! ARGH, VERDAMMT, DAS TUT WEH!!!!" "Kein Wunder, du bist ja auch verspannt bis zum Geht-nicht-mehr! Ganz ruhig, der Schmerz vergeht gleich wieder, und dann fühlt sich das ganz toll an." "Woher willst du das wissen??" "Ich hab die Technik von meinem eigenen Masseur gelernt, der wendet die bei mir auch an. Also vertrau mir und beiß die Zähne zusammen, du Memme." Beleidigt und mit verletztem Stolz machte Miya den Mund zu und ertrug diese Folter unter einigen Anstrengungen stumm weiter, bis der Schmerz tatsächlich allmählich nachließ. Zehn Minuten später hörte Gackt auf und beobachtete lächelnd wie Miya sich erhob, den Kopf erst zu beiden Seiten und dann im Kreis bewegte, und zufrieden aufseufzte. "Danke, das hat wirklich geholfen…" Dann ging er wieder zu seinem Platz am Fensterbrett, warf noch einen flüchtigen Blick hinaus und sah dann auf seine Uhr. "Ich muss gleich wieder los, durch meinen unfreiwilligen Fußmarsch hab ich für den Weg hierher um einiges länger gebraucht als erwartet, und bevor ich ins Studio fahre muss ich noch mal nach Hause, um mir trockene Klamotten anzuziehen." Gackt nickte, obwohl er sich wünschte dass Miya noch ein bisschen länger bleiben würde. "Wie laufen denn eure Aufnahmen?" Der Gitarrist hob eine Augenbraue, überrascht dass das den anderen interessierte, dann fuhr er sich nachdenklich durch die strähnigen Haare. "Es sind bis jetzt nur zwei Songs komplett eingespielt, aber wir haben ja auch erst vor einer Woche angefangen. Also würde ich mal behaupten dass es ganz gut läuft. Wir hoffen dass wir die Aufnahmen Ende März oder spätestens Anfang April abschließen können, veröffentlicht wird das Album dann voraussichtlich Ende April." Gackt hatte dem anderen aufmerksam zugehört und sah ihn jetzt ganz neugierig an. "Und wird das neue Album genau so melodieverliebt und abwechslungsreich wie 'Houyoku', oder geht es diesmal wieder etwas härter zur Sache?" Perplex starrte Miya ihn an. Er hatte absolut nicht damit gerechnet dass Gackt ihre Musik kannte, es hatte ihn ja schon sehr erstaunt dass dieser ihn vor ein paar Tagen in dem Restaurant überhaupt erkannt hatte. "Du... du kennst 'Houyoku'?" fragte er vorsichtig nach und der Ältere verdrehte die Augen. "Miya, ich bin nicht so egozentrisch wie alle denken. Glaubst du denn ernsthaft dass ich zu Hause meine eigenen Alben rauf und runter höre und nichts von der Musik kenne, die es sonst noch auf dem Markt gibt? Natürlich kenne ich das Album, es ist brilliant! Euer bis jetzt bestes, würde ich sogar behaupten. Wenn du mir nicht glaubst brauchst du dir nur mal die CD-Sammlung neben meiner Stereoanlage anschauen, da sind auch eure Alben dabei." Es dauerte einen Moment bis der Leader sich wieder gefasst hatte, dann lächelte er, erfreut darüber dass Gackt eines ihrer Alben als brilliant bezeichnet hatte. "Ich muss zugeben dass mich das ziemlich überrascht, aber schön wenn sie dir gefallen. Ich mag von dem, was ich bisher von dir gehört habe, am meisten die Balladen. Und dieses eine schnellere Lied, 'Asrun Dream', das finde ich auch klasse, besonders eben wegen der Dynamik. Außerdem hast du eine wirklich eindrucksvolle und kräftige Stimme." Jetzt war es an Gackt, den anderen verdutzt anzublinzeln. Hatte er gerade richtig gehört? Hatte Miya eben wirklich gesagt dass er seine Stimme und einige seiner Lieder mochte? Der Gitarrist konnte am Gesichtsausdruck seines Gegenübers erraten, was dieser gerade dachte, und grinste leicht. "Jetzt kuck nicht so. Du hast eben selbst gesagt dass du nicht egozentrisch bist und die Musik anderer zu schätzen weißt, also darf das gleiche doch wohl auch für mich gelten, oder? Und sag es keinem weiter, aber ja, das neue Album wird wieder ein ganzes Stück rockiger und metallastiger." Er zwinkerte Gackt zu und dieser grinste nun ebenfalls. "Da haben wir uns wohl gegenseitig falsch eingeschätzt." Miya nickte schmunzelnd. "Sieht ganz so aus." **** Als er gegen Mittag in trockenen Sachen das Studio betrat, war Miya der letzte. Argwöhnisch wurde er von den drei übrigen Mitgliedern von MUCC beäugt und im nächsten Moment auch schon auf die Couch gedrückt. Yukke und Satochi hielten jeder einen seiner Arme fest während Tatsurou, ausgerechnet der Größte von ihnen, sich auf den Schoß des Leaders setzte. Miya sah seine Kollegen verwirrt an, sagte aber kein Wort und ließ es über sich ergehen, dass der Sänger ihm an die Stirn fasste. Dieser sah dann zu den anderen beiden und schüttelte den Kopf. "Nein, Fieber hat er auch keins. Vielleicht hat er sich ja irgendwo den Kopf gestoßen..." Seufzend fragte Miya sich zum wiederholten Male, warum sich seine Freunde nicht wenigstens ab und zu wie Erwachsene verhalten konnten, dann schaute er Tatsurou finster an. "Ich habe von allen Anwesenden hier am seltensten was auf den Kopf gekriegt, also red nicht so einen Stuss und geh endlich von mir runter, du Riesenbaby." Grummelnd rutschte besagtes Kleinkind von seinen Beinen, und auch die Arme des Gitarristen wurden wieder freigegeben. Doch seine Ruhe hatte er deshalb noch lange nicht, denn noch immer waren drei skeptische Augenpaare auf ihn gerichtet. "Sag uns endlich was mit dir los ist und warum du nicht so ein rücksichtsloser Sklaventreiber bist, wie du es bei unseren früheren Studioarbeiten warst!" platzte Satochi schließlich heraus und Miya runzelte die Stirn. "Sonst habt ihr euch immer beschwert dass ich euch keine Freizeit lasse und es mit dem Arbeiten übertreibe, und jetzt meckert ihr rum weil ich das nicht mehr tue? Könnt ihr euch denn nicht langsam mal entscheiden?" Beschwichtigend hob Yukke die Hände. "Miya, versteh doch bitte, wir wollen nur wissen ob mit dir alles in Ordnung ist. Sonst gab es für dich nichts wichtigeres als die Band und die Musik, aber seit ein paar Tagen scheinst du irgendwie abgelenkt und bestehst nicht mehr darauf, dass wir bis spät in die Nacht an den Aufnahmen arbeiten. So kennt man dich gar nicht." "Und auch wenn wir das ganz angenehm finden wüssten wir wirklich zu gerne was der Auslöser für deinen Sinneswandel war." mischte sich nun auch noch Tatsurou ein und wieder sah Miya sich den eindringlichen Blicken seiner Kollegen ausgesetzt. Er ließ die Schultern hängen. "Sagen wir einfach, ich tue jemandem einen Gefallen und das beansprucht etwas von der Zeit, die ich normalerweise im Studio damit verbringen würde, euch mit der Peitsche anzutreiben, wie ihr es so schön beschreibt." Yukke's Gesicht hellte sich trotz des letzten Kommentars auf. "Ach so ist das, du hilfst also jemandem. Und wem? Und bei was?" Die Antwort, dass ihn das nichts anginge, kam wie aus der Pistole geschossen und der Bassist sah Miya gekränkt an. "Seit wann haben wir den Geheimnisse voreinander?" wollte er von seinem Freund, mit dem er schon als Kind gespielt hatte, wissen. "Sei mir nicht böse, Yukke, aber darüber kann ich wirklich nicht sprechen. Und keine Sorge, spätestens übermorgen habt ihr euren Sklaventreiber wieder, wenn euch das glücklich macht. So, und jetzt lasst uns endlich anfangen, ich muss gegen 20 Uhr wieder los." Damit klopfte Miya dem Bassisten noch kurz aufmunternd auf die Schulter, erhob sich dann von der Couch und ging zum Mischpult. Die stechenden Blicke in seinem Rücken versuchte er dabei so gut wie möglich zu ignorieren. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)