Unfortunately von Ryusei (A - B - M - N = L. Prepared to surpass, forced to fail.) ================================================================================ Kapitel 4: Looser ----------------- Serie: Death Note – Another Note [Novel] Charaktere: A & B Reihe: Unfortunately – Kapitel 4: Looser Widmung: Oh Gott. Wem widme ich dieses Werk nun? Chibi gehören auch schon zwei Kapitel meiner Wammy-Reihe. Also geht die Widmung dieses Mal an Mero, weil sie damit nicht rechnet und schon so gespannt hibbelte, als ich ihr nur von der Fanfic erzählte. Beta: Chibi ^_^ WARNING! Extreme Spoilergefahr! WARNING! Looser „Ich habe nie verstanden, warum gerade er zu einem Nachfolger ernannt worden war. Aber ich nehme an, dass ich auch nicht verstehen muss. Fakt ist: Er ist wahnsinnig. Sein Genie hat ihn verrückt gemacht. Er eifert seinem Vorbild nicht mehr als eigenständiges Individuum nach, nein, er kopiert ihn. Er will er sein und versteht nicht, dass er das nicht sein kann. Er ist gefährlich und nicht einzuschätzen. Bisher legte ich viel Wert auf die Entscheidungen von Roger, aber mit ihm hat er sich getäuscht.“ „A! A, bleib stehen!“ As viel zu dünnen Finger verkrampften sich um den Rücken des Buches, das er trug. Der Gang des Waisenhauses zu seiner linken und rechten Seite wirkte verschwommen. „Wenn du nicht stehen bleibst, schlitze ich dir die Kehle auf.“ Der hagere Junge ging weiter, ungeachtet der Drohung in seinem Nacken, ungeachtet der Person, die diese Drohung ausgesprochen hatte. A wollte nicht stehen bleiben, denn damit würde er sich aufliefern. Das war das letzte, was man in so einer Situation machen konnte. Die Chance, dass er unbeschadet das Klassenzimmer und damit die Sicherheit von Rogers Anwesenheit erreichte, war einfach höher. Anders als eine Kapitulation, die nur eine Einwilligung in die Methoden des Schwarzhaarigen, der ihn so hartnäckig verfolgte, zur Folge hatte. A biss sich auf die Lippen. Er würde einfach weitergehen, bis er die Tür zum – Etwas traf ihn hart am Hinterkopf. A stolperte nach vorne, landete hart und unsanft auf den Knien und knickte zur Seite. Das Buch, welches er in den Händen gehalten hatte, fiel zu Boden. Ein Marmeladenglas schlitterte gegen die Wand und blieb dort liegen. Natürlich war es leer. Er verschwendete keine Marmelade. A keuchte. Seine Knie brannten und ließen den Schmerz unangenehm und bittersüß durch seine Adern kribbeln. Er konnte jetzt nicht ausruhen. Er musste aufstehen, solange ihm noch die Zeit dazu blieb. Doch er hatte sich noch nicht ganz hoch gedrückt, als er bereits lange, schlanke Finger um seinen Hals fühlte. „Ich sagte doch, dass du stehen bleiben sollst, A. Kann du nicht hören?“ Der Druck der Finger verstärkte sich und A hustete. „Lass mich-!“ Ein nackter Fuß traf seine Wirbelsäule. Es knackte unangenehm laut und A verzog das Gesicht. „Wer hat dich Verlierer zu seinem Nachfolger ernannt? Du bist es doch nicht einmal Wert dieselbe Luft wie er zu atmen.“ Die Stimme des Schwarzhaarigen klang kalt, aber auch gleichermaßen verbittert. So, als habe man ihm etwas genommen, was ihm sehr wichtig gewesen war. A knirschte mit den Zähnen. Sein Rückgrat protestierte unter den auf es einwirkenden Schmerzen. „Derselbe, der auch dich ernannt hat“, brachte A schließlich hervor und versuchte den Fuß des anderen von seinem Rücken zu schieben, doch die schmalen Lippen des Dunkelhaarigen hinter ihm verengten sich zu einem angestrengten Grinsen. „Ich bin der Einzige, der seine Position verdient hat. Gib es auf, A.“ A sagte nichts. Er kannte diese Sätze, hörte sie jeden Tag, jede Stunde, jede Minute, die er in der Nähe des Schwarzhaarigen verbrachte. Und da sie beide die einzigen Nachfolger waren, war das ständig. A war dem zweiten Nachfolger willkürlich ausgeliefert. „Ich habe nie anmerken lassen, was in den Gängen und Zimmern des Instituts abgelaufen ist. Die Worte dieser Fakultät, die uns vermittelt wurden, waren immer streng geheim. Aber es war reine Provokation, ein reiner Kampf, ein reines Überleben. Wer nicht das nötige Rückgrat beweisen konnte, der wurde von ihm gerichtet. Weil er der Ansicht war, dass nur ihm allein die Ehre der Nachfolge zu Teil wurde, obwohl er erst nach mir in diesen Stand erhoben worden war. Aber das wollte er natürlich nicht hören. Seine Art war nicht mit einem ruhigen Leben zu vereinbaren.“ Der Schwarzhaarige stand vollkommen ruhig in dem weiß getünchten Gang und starrte auf etwas, das wie ein Zettel aussah. A blieb unwillkürlich stehen. Der Rucksack, den er auf den Schultern trug, drückte ein wenig zu fest in seine Haut, denn am heutigen Tag hatten sie neue Bücher erhalten. Doch die Anwesenheit des Älteren faszinierte ihn widerwillig. Aus der Entfernung sah es aus, als würde er weinen. Doch A schloss das für sich selbst aus. Er kannte den anderen nun schon so lange, dass er weinte stimmte einfach nicht mit dem Bild überein, welches er von ihm hatte. Er musste sich täuschen. „Wen starrst du an, A?“ A zuckte auf und erwachte aus seiner Starre. Der andere hatte sich von der Wand weggedrückt und kam auf ihm zu, in seinen bleichen Händen das so gewohnte Glas Marmelade. A konnte aus der Entfernung, die noch zwischen ihnen bestand, welche sich aber mit jedem Schritt des auf ihn Zukommenden verringerte, nicht erkennen um welche Sorte es sich handelte. Im Grunde war es aber auch egal. Viel wichtiger war, dass er – B blieb vor ihm stehen. Lange, schwarze und im matten Licht der Deckenlampen leicht glänzende Haarsträhnen hingen in den roten Augen des Größeren. Das schneeweiße Oberteil hing schief an seinem Körper, entblößte ein Stück der knochigen Schulter. A beobachtete in verkrampfter Haltung, wie B seine Hand in das Glas tauchte und sich die rote Marmelade genüsslich und provokant von den Fingern leckte. „Was willst du?“ B grinste schräg, dann streckte er den Arm aus und fuhr über As Wange, hinterließ eine schmale, rote Spur, die auf der Haut unangenehm klebte. A verengte die Augenbrauen und starrte B an. Er wollte ihn nicht aus den Augen lassen. Das war einfach zu riskant. Zu oft hatte er Bs Hände schon um seinen Hals gehabt, zu oft dessen Fuß in seinem Gesicht. „Ich will, dass du aufgibst, A. Geh zu Roger. Sag ihm, dass du nicht „L“ sein willst. Überlass mir seine Position als Nachfolger.“ Bs Lippen hoben sich noch ein Stück höher, kniffen sich jedoch zu einer schmalen Linie zusammen, als A den Kopf schüttelte. „Nein, B. Ich werde sicherlich nicht aufgeben. Zum einen wurde ich ernannt, als du noch nicht im Waisenhaus warst und zum anderen werde ich meine Bestimmung nicht wegen dir aufgeben. Ich habe wie du das Potential „L“ zu werden. Wenn es sein muss, werde ich mit dir um meine Zukunft kämpfen.“ Bs Körper zitterte leicht. A konnte beobachten, dass die Fingerknöchel des Anderen bereits weiß hervortraten, so fest hatte er die Hände zu Fäusten geballt. Das Glas der Marmelade knirschte gefährlich, brach jedoch nicht. „Du hast doch keine Ahnung. Potential nennst du das?“ B schrie nicht, aber dennoch stellten sich an As Armen unter dem zu weiten, grauen Pullover die Haare auf. „Du wirst so oder so gegen mich verlieren. Jedoch könnte ich mich besser auf meine Zukunft konzentrieren, wenn du sie nicht gefährden würdest, A. Ich räume dich so oder so aus dem Weg.“ „Er drohte immer. Er war unnahbar und so unberechenbar, dass sich nicht einmal Roger näher an ihn herantraute. Es war einfach zu gefährlich. Als ich ihn kennen lernte, da war er noch anders. Da war er ein schüchterner, zurückgezogener Junge mit etwa schulterlangen, dunklen Haaren. Nur die roten Augen hatte er von Anfang an. Ich weiß nicht, woher diese exotische Farbe kommt. Aber ich weiß, dass er stolz auf sie ist. Ich kann es nachvollziehen. Verändert hat er sich erst so negativ, nachdem L bei uns zu Besuch war, um den neuen Nachfolger – also mich – zu begutachten.“ „Hallo.“ Der hagere, groß gewachsene und krank aussehende junge Mann streckte A die Hand hin, der sie kritisch ergriff und schüttelte. Das war L? A hatte ihn sich ganz anders vorgestellt. Seriöser. Hübscher. Jedenfalls… nicht so. Auf der anderen Seite erleichterte es A, denn er selbst fand sich alles andere als optisch positiv. Im Gegenteil. So war es angenehm zu sehen, dass L diesem Ideal auch nicht entsprach. A lächelte. „So, du bist also mein Nachfolger.“ Der Blick des Ermittlers war skeptisch. „Ja. Sein Name ist Abel Gallows, allerdings wird er nur noch A genannt.“ L, der den Finger an seine Unterlippe gelegt hatte, nickte langsam. „Ich verstehe. Ist er der Einzige?“ – „Bisher ja. Allerdings haben wir einen Neuzugang, der enormes Potential zeigt. Ich wollte, dass du ihn dir ansiehst, ehe ich ihn ebenfalls zu einem Nachfolger ernenne. Ich bin mir bei dem Jungen nicht zu 100% sicher, ob er sich wirklich für diese Position eignet. Er wird in der Bibliothek sein. A wird dich hinführen.“ – „Als ob ich vergessen hätte, wo die Bibliothek ist“, flüsterte L lachend und schob die Hände in seine Hosentaschen. Die Bibliothek war fast leer, mit Ausnahme des hübschen Schwarzhaarigen, der den Kopf über ein Buch gebeugt hatte. A ging schnellen Schrittes auf den Älteren zu, packte ihn an der Schulter und zog ihn zurück. „Hey, B.“ – „He?“ B sah auf, blinzelte ein paar Mal zu A und fixierte dann L, dessen Gesicht er nicht kante. „Was ist?“, wandte B sich an A und schenkte seine Aufmerksamkeit wieder seinem Rivalen. „Das ist L.“, antwortete A tonlos. „L?“ B schien einige Minuten zu brauchen, ehe er die Aussage verstand. Doch dann weiteten sich seine Augen ungläubig. „L?“, hauchte er atemlos und stand von seinem Stuhl auf. L lächelte wieder kurz. „Roger sagte mir, dass du das Potential hättest meine Nachfolge anzutreten“, erklärte er und sorgte dafür, dass Bs Augen prompt noch eine Spur größer wurden. „Deine – Ihre – Nachfolge…?“ L nickte und hob die Schultern leicht. „Roger hat jedoch noch Zweifel, ob du dich wirklich als Nachfolger eignest“, erklärte L ohne die Stimme zu heben. A konnte beobachten, wie B die Daumen nervös umeinander drehte. Seine Anspannung war spürbar. „Aus diesem Grund möchte ich unter vier Augen mit dir reden. Hast du etwas dagegen?“ B schüttelte auf Ls Frage hin den Kopf und rutschte auf seinem Stuhl hin und her. „Ich nehme an, Roger hat dich schon geprüft?“ – „Ja. Er hat mich Fälle lösen lassen, die eigentlich A zugeteilt waren und war von meiner Leistung recht angetan. Er meint, ich hätte eine sehr schnelle Kombinationsgabe.“ L nickte kaum sichtbar und richtete die dunklen Augen an die Decke. „Ich lege Wert auf Rogers Meinung, dennoch würde ich mir das gerne selbst ansehen. Kommst du bitte mit?“ A beobachtete mit einem leichten Anflug von Zorn, wie L die Hand auf Bs Schulter legte und mit ihm den Raum verließ. Ein zweiter Nachfolger also. Und dann ausgerechnet B. Nicht, dass A etwas gegen den Älteren hatte, aber B war ihm vom ersten Moment an unsympathisch gewesen. Seine anbiedernde Art, nachdem er seinen ersten Fall bearbeitet hatte, war einfach ekelhaft. Und nun verfolgte er diesen Weg auch bei L – dem einzigen Menschen, zu dem A ohne Schuldgefühle oder Angst aufsehen konnte. A wusste nicht, wie das Gespräch mit L für B verlaufen war. Aber unmittelbar nach diesem Ereignis veränderte sich B von Grund auf. Er schnitt sich selbst die Haare, bis sie ebenso stufig, zerzaust und unordentlich waren, wie die von L. Seine Kleidung warf er komplett weg, besorgte sich stattdessen Jeans, die rutschten und viel zu weite, weiße Longleeves. Er begann sich zu schminken, färbte den Bereich unter den Augen mit Kajal bewusst schwarz. A erschrak, als B so zum ersten Mal das Klassenzimmer betrat. Er sah aus, wie eine Kopie von L. Der einzige Unterschied waren die roten Augen, auf die er nun gar nicht mehr so stolz zu sein schien. „Seine Augen waren mir immer suspekt. Sie waren anders und damit schließe ich nicht nur auf ihre ungewöhnliche Farbe. Dass mit ihnen nichts stimmte, merkte ich das erste Mal, als er plötzlich Sachen wissen konnte, die ihm eigentlich niemand gesagt hatte. Um genau zu sein wusste er Namen. Meinen Namen. Und nicht nur ihn. Eigentlich kannte er jeden Namen eines jeden Waisenhausbewohners. Es war von Anfang an so, dass unsere Namen beim Einzug geändert wurden. Mein Name wurde auf den Anfangsbuchstaben meines Vornamens herunter reduziert. Bei ihm war es meinem Wissen nach nicht anders. Aber auch die restlichen Kinder bekamen neue Namen zugeteilt. Woher er also meinen richtigen Namen, den außer Roger, L und mir niemand sonst kannte, wissen konnte, kann ich mir selbst heute nicht erklären. Es war einfach so.“ „Hey, A.“ A machte sich nicht einmal die Mühe überhaupt aufzusehen. Seine Augen fixierten die Zeilen des Gesetzestextes, den er gerade auswendig zu lernen versuchte. Dass dieser auf Französisch war, machte die Sache jedoch nicht unbedingt leichter. „A, ich rede mit dir.“ Bs Stimme wurde eine Spur lauter, doch niemand in der Bibliothek störte sich daran – außer ihnen war niemand mehr in dem großen, weitläufigen Raum mit den unzähligen Bücherregalen. „La loi Gayssot n'est pas contraire à l'article 10 de la Convention européenne des droits de l'homme“, las A halblaut vor und betrachtete den Satz mit höchster Skepsis. „Das heißt nur, dass das französische Gesetz nicht im Gegensatz zu den europäischen Menschenrechten steht, A“, belehrte B und A knirschte mit den Zähnen. „Das weiß ich, B. Du bist nicht der Einzige, der Französisch spricht.“ B lachte kurz, doch dann schlug er mit der Hand auf das aufgeschlagene Buch und A zuckte zurück. „B, was soll das? Ich versuche zu lernen!“ – „Wozu? Du wirst es doch eh nicht…“ B war A so nah, dass er jedes Wort als Atemzug fühlen konnte. A schauderte leicht. „Das wird sich noch entscheiden. Roger meinte, L trifft die Wahl, wer von uns beiden irgendwann seine Nachfolge antritt.“ B stieß die Luft in seinen Lungen zischend zwischen den Zähnen aus. „Diese Frage wird sich gar nicht erst stellen. Du bist einfach nicht dafür geeignet.“ A hörte nicht mehr hin. B betete solche Sätze jeden Tag aufs Neue herunter, nur um ihn zu verunsichern. Wenn er weghörte, gab B irgendwann auf. So war es jedenfalls immer. Außer heute. „Weißt du“, begann der Schwarzhaarige wieder und drückte seine mit Marmelade beschmierte Hand auf das Buch, welches A eigentlich zu lesen versucht hatte. „Dir fehlt es an Rückgrat, A. Du steckst ein, aber du teilst nicht aus.“ B wischte seine Hand an As Pullover ab, um seinen Worten noch handgreiflichen Ausdruck zu verleihen. „Du kannst nicht einmal offen vor der Klasse reden“, fuhr B fort und erwischte A damit an seinem wunden Punkt. Tatsächlich hatte er Probleme mit Referaten und bekam vor seiner Klasse, den Blicken seiner Klassenkameraden ausgeliefert, immer Herzrasen. „Ich werde dir den Platz trotzdem nicht kampflos überlassen!“, zischte A und klappte sein Buch zu, nicht ohne Bs Hand, die sich wieder dreist auf den Seiten platziert hatte, dabei einzuklemmen. B zog die Hand knurrend zurück und rieb sich über den röter werdenden Handrücken. „Gut, wie du willst. Aber du legst dich mit dem Falschen an… Abel!“ „Es wurde mit jedem Tag schlimmer, an dem man ihm nicht aus dem Weg ging oder ihn mied. Er wurde immer mehr zu dem, was er eigentlich zu bekämpfen versuchte und er merkte es nicht einmal. Seine Art wurde gewalttätiger – blutiger. Was anfänglich mündliche Provokation war, wurde gegen Ende des Jahres 1999 ein beinahe tödlicher Kampf. Seine Augen hatten sich verändert, waren schmäler geworden. Und er bösartiger.“ „B!... B, lass mich raus!“ A schnappte keuchend nach Luft. Der Raum um ihn war dunkel, modrig und kalt. Dumpf hörte er B vor der Tür lachen. „Was denn? Gewöhn dich daran. So fühlt es sich auch an, wenn man in einem Grab liegt.“ As dünner Körper zitterte stark, während er sich wieder mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, gegen die schwere Kellertür warf. Doch das unnachgiebige Metall wollte nicht aufgehen, wollte sich nicht öffnen und ihn in die ersehnte Freiheit entlassen. Gott, er würde ihn umbringen. B würde ihn hier einfach verhungern lassen. Wieder schlug A mit den Fäusten gegen die Tür und schrie. „Lass mich hier endlich raus!“ Irgendwo hinter ihm bewegte sich etwas. Jedenfalls hörte es sich so an. Ein kurzes Rascheln, dann war es wieder verschwunden. Und es war zu dunkel, um auch nur einen Schatten erkennen zu können. A biss sich auf die Lippen und drückte sich noch näher gegen die Tür und die danebenliegende Wand. Wenn Roger ihn doch nur hören könnte. Doch der Keller war im Erdgeschoss ebenfalls nur durch eine schwere Eisentür zu erreichen, die keinen Laut nach außen ließ. Wimmernd sank A zu Boden und zog seine Beine eng an den Körper, da er nicht wagte, sie in den Raum zu strecken. Seine Brust schmerzte längst unangenehm, so scharf holte er immer wieder Luft. „Lass mich doch bitte raus…!“ In seinen Augen fühlte er Tränen, doch diesen letzten Sieg würde er B einfach nicht gönnen. Er würde jetzt nicht weinen. Wenn er in diesem Keller starb, dann bestand immer noch die Chance, dass L herausfinden würde, dass sein eigentlich ersternannter Nachfolger einem Mord zum Opfer gefallen war. Vielleicht würde er B dann enterben. Die Tür ging so plötzlich auf, dass A nach hinten kippte. Gleißendes Licht fiel von den hellen Halogenstrahlern in seine von der Dunkelheit geweiteten Pupillen und ließen Flecken vor seinen Augen tanzen. Kurz darauf fühlte er ein Gewicht auf seinem Bauch, als B sich breitbeinig auf ihn setzte und ihn mit einem kalten, unnahbaren und tödlichen Grinsen ansah. „Du weinst ja gar nicht. Schade. Ich dachte, ich hätte dich schluchzen hören. Versager. Nicht einmal aus einem Keller kommst du raus?“ Bs Beckenknochen bohrte sich schmerzhaft in As Rippen und ließen den Jüngeren scharf Luft holen. „Geh – runter!“, brachte er würgend hervor und drückte die Hände gegen Bs Brustkorb. „Eigentlich wäre es einfacher, wenn ich dich da drin hätte verrotten lassen. Aber weißt du… Wenn ich dich erledige, dann würde L das merken. Damit würde ich mir meine eigene Zukunft verspielen. Verstehst du, A?“ A kniff die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen. B war ihm überlegen. „Aber nicht nur meine Rivalität mit ihm verschärfte sich mit jedem anbrechenden Tag. Auch der Unterricht nahm zu, es wurde mehr Lernstoff, mehr, was es auswendig zu lernen galt, mehr, was wir wissen mussten und noch nicht wissen konnten. Kombinationsgabe und rechnerische Fähigkeit wurden immer mehr auf die Probe gestellt. Wir sollten mit Fällen umgehen und erhielten für jedes Versagen eine Strafe. Schnell und präzise arbeiten wurde eine Pflicht, der wir nicht mehr entkommen konnten. Er hatte damit keine Probleme. Ganz im Gegensatz zu mir. Man konnte nicht in Ruhe lernen, wenn einem dieser Rachegeist im Nacken saß. Man war nirgendwo vor ihm sicher. Er wusste zu verhindern, dass ich auch nur eine ruhige Minute zum Lernen hatte, störte mich, wann immer ich mich irgendwo niederließ. Nur im Büro Rogers hatte ich Ruhe vor ihm.“ „Du lernst wirklich fleißig“, lobte der ältere Herr den braunhaarigen Jungen und sah A über die Schulter, wie dieser Logarithmen löste. Zahl um Zahl, Wurzel um Wurzel, Binom um Binom. A war müde, aber zurück in sein Zimmer wollte er nicht. Die Gefahr von B wieder irgendwo eingesperrt zu werden, war einfach zu hoch. Er wollte so einen Alptraum wie in dem dunklen Keller nicht noch einmal erleben. Roger hatte er davon nichts erzählt. Der Fakt zugeben zu müssen, dass er gegen B versagt hatte, würde ihn in seinem Rang und im Kampf um Ls Position nur unnötig weiter herunterstufen. Das wollte und konnte er einfach nicht riskieren. Er musste jetzt durchhalten, auch wenn ihn Bs Strapazen mehr und mehr belasteten. Es war bereits weit nach Mitternacht, als A seine Hefte zusammensammelte und das Büro von Roger verließ. Die Gänge waren wie ausgestorben und wurden nur durch das einfallende Mondlicht leicht erhellt. A hörte seine eigenen Schritte. Ihm war ein wenig klamm, die frische Luft, die durch die nicht ganz dicht schließende Eingangstür wehte, war kalt und blies ihm in unregelmäßigen Abständen in das eingefallen wirkende Gesicht. Jedes Geräusch klang unnatürlich laut und A hielt sorgsam Ausschau nach Schatten, die sich in dem langen Gang bewegen könnten. Schatten, die auf B hindeuteten. Doch B schien bereits zu schlafen. Wann immer A um eine Ecke bog, war der Gang dahinter menschenleer. Doch da war immer noch die Treppe, die in den ersten Stock führte und die er nach oben musste. Die Treppe, auf dem ihm B schon einmal aufgelauert hatte… „Ich kann nicht mehr. Das gebe ich ungern zu, aber es wird einfach zu viel. Er hat die Kontrolle übernommen, er unterdrückt mich und damit meine Möglichkeit meine Zukunft aufzubauen. Ich merke, dass ich diesem Erfolgsdruck nicht mehr Stand halten kann oder möchte. Jedes Mal, wenn ich Roger in die Augen sehe, sehe ich diese Enttäuschung, die mich so anwidert, dass ich mich selbst strafen möchte. Ich bin froh, dass L dem Waisenhaus nicht noch einen Besuch abgestattet hat. Diesen Blick auch in seinen Augen sehen zu müssen, hätte ich nicht überlebt.“ „Abel.“ A blieb abrupt stehen. Er hatte gerade die letzte Treppe betreten, als er den schmalen Schatten in dem Gang des ersten Stocks sehen konnte. „Du… Du bist noch wach?“ Es sollte nicht anklagend oder gar ängstlich klingen. Doch A hatte seine Stimme eine Spur zu schlecht unter Kontrolle. „Ich habe auf dich gewartet, Abel. Freust du dich?“ Eine bittere Ironie lag in dem Tonfall, den B angenommen hatte. Es war zu dunkel, um das bösartige Grinsen auf den blassen Lippen zu erkennen. Dafür hörte A das leise, schmatzende Geräusch, das entstand, als B seine Finger wieder in die Marmelade tauchte und sie sich ableckte. Ab und an fiel ein Klecks des süßen Brotaufstrichs zu Boden. „Lass mich bitte… Ich bin müde und möchte ins Bett.“ – „Wofür? Um für Morgen fit zu sein? Was erhoffst du dir noch, Abel? Deine Noten werden immer schlechter. Roger setzt längst keine Karte mehr auf dich. Du hast ausgedient.“ A versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass ihn Bs Worte trafen. Nicht, weil sie ihn beleidigten, sondern weil er Recht hatte. Er hatte lange keine Klausur mit 15 Punkten mehr zurückbekommen. Obwohl er lernte und den Stoff eigentlich beherrschte, vergaß er in den Klausuren doch immer wieder wichtige Punkte oder verdrehte Fakten. Alles dank B. Er hatte es tatsächlich geschafft. Er hatte ihn so durcheinander gebracht, dass ihm selbst das einfache Denken immer schwerer fiel. A hatte schon oft überlegt, ob er nicht einfach aufgeben sollte. Ohne den enormen Druck, den die Ausbildung als „L“ und damit die Rivalität zu B auf ihn auswirkten, hätte er in Ruhe seinen Abschluss im Waisenhaus machen können. So überqualifiziert, wie er war, hätte er auch ohne Zukunftsposition als „L“ einen gut bezahlten Beruf bekommen können. Aber dann gab es wieder solche Momente wie das Einsperren im Keller oder der Tag, an dem B ihn auf der Treppe fast stranguliert hätte. Momente, in denen A sich bewusst wurde, dass er einfach nicht aufgeben durfte, dass ihn all das nur stärker machen würde – und in denen er sich sicher war, dass er B doch noch schlagen konnte. Es war nicht mehr als ein leichter Stoß gegen As Schulterblätter, doch sie genügten. Der hagere Braunhaarige hatte nicht gemerkt, dass B die Treppen bis zum ersten Absatz heruntergekommen war, hatte nicht gesehen, wie er die marmeladenverschmierten Hände gehoben und sie gegen seine Schultern gedrückt hatte. Dagegen fühlte er den Schmerz, als sein viel zu dünner Körper auf den ersten Stufen aufschlug und sich die Kanten der Treppe tief in sein Fleisch zu bohren schienen. Es knackte und zog, sein Kopf schlug gegen die Außenwand und er überschlug sich mehrfach, ehe er im Flur des Erdgeschosses auf der Seite liegen blieb und in viel zu schnellen Stößen Luft holte. Vor seinen Augen verschwamm der Flur zu einem grauen Wirbel, drehte sich erst im Uhrzeigersinn, dann entgegen dessen. Sein Körper schmerzte an jeder Stelle, an mit der er an Stufe oder Wand angeeckt war und der kleine Finger seiner linken Hand stand in einem Winkel von geschätzten 45 Grad von seinem Handrücken ab. Und tat noch dazu höllisch weh. A wagte sich nicht zu rühren. Selbst das Atmen sorgte dafür, dass vor seinen Augen schwarze Flecken tanzten. Seine Muskeln hatten sich verkrampft und jedes Geräusch klang fern und dumpf, fast so, als wäre sein Kopf unter Wasser. So bemerkte er B, der dem Fallenden gefolgt war, auch erst, als ein paar nackte Füße neben seinem Gesicht auftauchten. „Gib doch endlich auf, Abel. Du holst mich so oder so nicht mehr ein.“ Ganz langsam streckte B den Arm aus und drehte das Glas Marmelade, das er bis dahin in der Hand gehalten hatte, über As Körper um. Klebrig und ekelhaft süßlich riechend verteilte sie sich in seinen Haaren, auf seinem Pullover, seinem vor Schmerz pulsierenden Leib. A kniff die Augen zusammen. „Welchen Sinn hätte es gemacht noch weiterzukämpfen? Er hat nicht nur mein Leben, sondern auch meine Zukunft zunichte gemacht. Alles, was ich mir aufzubauen versuchte, brach immer mehr und mehr über mir zusammen und ließ mir keine Luft mehr zu atmen. Egal, in welche Richtung ich meinen Erfolg auszuweiten versuchte, er war immer schon da und stellte sich mir in den Weg. Ich kam nicht mehr an ihm vorbei, konnte ihn nicht mehr einholen. Er hatte sein Ziel erreicht, auch wenn ich es ihm gegenüber niemals zugegeben hätte.“ Er konnte nicht sagen, wie spät es war. Als er zuletzt auf die Uhr sah, war es gerade 02:42 Uhr. Nur ein dünner Streifen Mondlicht sorgte für ein wenig Erhellung in seinem Zimmer, aber er wagte nicht die Lampe anzuschalten, weil er niemanden wecken wollte. Zögernd knüpfte er eine Schlinge in das raue Seil, was sich mit seinem immer noch gebrochenen Finger als nicht einfach herausstellte und ihm eine Menge abverlangte. Die hölzernen Griffe an beiden Enden des Seiles hatte er längst entfernt. A schnaufte leicht und strich sich die braunen Haarsträhnen aus den Augen. Dass er eines der Springseile nehmen musste, damit hatte er nicht gerechnet. Eigentlich wollte er ein Kabel benutzen, aber Roger hatte sie heute nicht mehr in den Computerraum gelassen. Somit blieb ihm keine andere Wahl. A stand von seinem Bett auf und ging zu dem einzigen Fenster, welches er im Zimmer hatte. Der Griff fühlte sich kalt an, als er ihn nach oben drehte und das Fenster öffnete, seinen dürren Leib auf das Fensterbrett zog und sich auf den Knien aufrichtete, um sich das Gitter, welches das Waisenhaus vor den Fenstern hatten, anzusehen. Es war ein altmodisches Gitter aus schwerem Eisen, mit zwei halblangen Zierstangen, die in Spitzen knapp unter der Fensteroberkante endeten. A schluckte leicht. Noch einmal blickte er auf den mehrseitigen Brief, der auf dem Bett lag, dann legte er die Schlinge zögernd um seinen Hals, zuckte angesichts der rauen Berührung. Das Zittern seines Körpers konnte er nicht ganz unterdrücken. Vorsichtig richtete er sich wieder ein Stück auf. Seine Finger tasteten an dem Sseil entlang, suchten das Ende und banden es an die Zierspitzen des Fensterrahmens. Mehr als unbewusst blickte A noch einmal nach draußen in den bewölkten Nachthimmel. Weiße Schneeflocken fielen langsam und in der Dunkelheit tanzend zu Boden. A fühlte, dass seine Kehle schmerzte, obwohl sich die Schlinge nicht einmal zugezogen hatte. In diesem Moment gingen viel zu viele Fragen durch seinen Kopf. Wie würde Roger morgen früh reagieren, wenn er ihn fand? Oder B? Was war mit L? All das war nun nicht mehr wichtig. Er verharrte still auf dem Fensterbrett, das Seil an der obersten Kante des Gitters gebunden, so kurz, dass seine Füße den Boden nicht mehr berühren würden, wenn er sich in sein Zimmer fallen ließ. Er konnte nicht verleugnen, dass er Angst hatte. Kalter Wind wehte durch das offene Fenster hinein. Hätte er die Möglichkeit gehabt, so hätte er seinen Suizid nach draußen verlegt. Doch um diese Uhrzeit waren die Türen des Waisenhauses abgeschlossen und das Fenster, an dem nun sein Strick festgeknüpft war, ließ nicht zu, dass er sich nach draußen fallen lassen konnte. Aber nun gab es kein zurück mehr. A verlagerte seine Position leicht, rückte auf dem Fensterbrett zur Kante und ließ sich dann einfach nach vorne kippen. Das Seil zog augenblicklich zu. Der Knoten um die Spitzen hielten, die Schlinge um den dünnen Hals des Jungen wurde stramm. A schnappte aus Reflex nach Luft, griff noch mit den Händen nach dem Seil. Seine Füße hingen nur wenige Zentimeter über dem Boden, gerade so hoch, dass er sich nicht mehr aufstellen konnte. Zu sehr schnitt sich die Schlinge in seine Haut, drückte tief in das warme Fleisch und unterband den Weg der Luft zum Herzen, welches A hart und unnachgiebig gegen seine Rippen pochen spürte. Doch mit jedem Atemzug, den das Seil seinem Körper verwehrte, wurde es langsamer. Das Zimmer verschwamm vor seinen Augen. Seine Finger hatten nicht mehr die Kraft das Seil zu halten. Sie ließen los, baumelten wie tot an seinen Seiten. A gab leise, erstickte Geräusche von sich. Eine unangenehme Kälte zog sich von seinen Zehen, über die Beine bis in den Brustkorb, wo sie ihn zu überschwemmen drohte. Seine Fingerspitzen kribbelten. Die Haut um die Schlinge war blau angelaufen, ebenso wie seine Wangen. As Augen verdrehten sich nach oben, die Lider flatterten, ehe sie halbgeöffnet verharrten und sich die Brust des Nachfolgers ein letztes Mal hob. „Ich sehe in all dem keinen Sinn mehr. Ich werde ihm den Weg ebnen, den ich ihm blockiert habe – in der Hoffnung, dass ihn jemand richten wird, der stärker ist, als ich es je hätte sein können. Ich hoffe – obwohl mir das Hoffen auf Strengste verboten wurde – dass es eines Tages eine Gerechtigkeit geben wird, die solche Menschen wie ihn unterbindet. Ich hoffe, dass jemand B aufhalten kann. Ich konnte es nicht. Abel Gallows.“ B gab ein verächtliches Geräusch von sich. Sein Blick fiel auf den leblosen, eiskalten Körper, der am Fenster hing. „Wurde auch Zeit, dass du es beendest, A.“ Mit dem mehrseitigen Brief in den Händen kehrte B seinem ehemaligen Rivalen den Rücken und verließ das Zimmer. Im Aufenthaltsraum war zu so früher Stunde noch niemand. B blieb am Fenster stehen und blickte nach draußen auf das Weiß des Schnees, welcher auf dem Hof des Waisenhauses lag. Seine Hand glitt in seine Hosentasche, ehe er ein Feuerzeug rausholte und es unter den Brief hielt. Das dünne Papier fing sofort Feuer, die Schrift, As Testament, rieselte als schwarze Asche zu Boden. B sah nicht einmal auf seine Hände, während er die letzten Worte seines Rivalen verbrannte. Sein Blick ruhte auf dem dunklen Schatten, der am Fenster von As Zimmer zu erkennen war. Ein Grinsen lag auf seinen bleichen Lippen. Nun stand ihm niemand mehr im Weg. Die Gerechtigkeit hatte gesiegt. Nachwort: Tatsache, es gibt mal wieder ein Nachwort. Warum? Weil ich genau weiß, dass diese Fanfic sehr viele Fragen aufwerfen wird, die ich nun jetzt gleich und auf der Stelle beantworten werde. Wie entstand As Name? - Sein Name wird in der Novel leider nicht genannt. Da ich ihn allerdings für die Geschichte brauchte, musste ich selbst ans Werk und meine grauen Zellen ein wenig anstrengen. Der Name musste irgendwo mit A anfangen und sollte nach Möglichkeit eine ausreichende Bedeutung haben. Der Name, den er nun trägt, erfüllt diese Kriterien. Abel ist ein biblischer Name und bedeutet „Hauch“ oder „Nichtigkeit“. Zudem wurde Abel in der Bibel von seinem Bruder Kain ermordet. Kain repräsentiert hier B. Gallows ist englisch für „Galgen“. Eine Anspielung auf die Art, wie er stirbt. Sind A und B wirklich so? - Wer weiß. Über A erfährt man leider so gut wie gar nichts. Jedenfalls ausgehend von der Summary zur Novel. Bei B habe ich ein wenig Freiheit walten lassen und ihn einfach so geschrieben, wie ich ihn mir vorstelle. In Band 7 sieht man am Waisenhaus aber keine Gitter! - Sie wurden natürlich entfernt, nachdem A sich erhängt hat ^.~ Und danach gab es nur noch Plastikbügel. Mein Dank an dieser Stelle geht nochmals an Chibi, die mir den Floh mit dem Aluminiumbügel erst ins Ohr gesetzt hat. Außerdem fing das Wort mit „A“ an. Da musste man sich ja für entscheiden. Seil und Kabel waren mir einfach zu langweilig. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)