The Black Widow Tale von Archimedes (Sparrington) ================================================================================ Kapitel 2: Ein ungleiches Paar ------------------------------ Als Turner auf der Planke steht, die von der Pearl hinüber auf die Dutchman führt und er noch einmal wehmütig das berüchtigte Schiff mit den schwarzen Segeln vom Bug bis zum Heck mustert, versinkt die Sonne im Meer, und die letzten Strahlen lassen seinen Tag an Land enden. Unheimlich, wie durch eine magische Kraft, wird er zu seiner Aufgabe zurückgezogen. Er erhebt die Hand zu einem letzten Gruß, den ich still erwidere, während das verfluchte Schiff von Davy Jones mit ihm ablegt. Sparrow hatte seinen Freund nicht verabschiedet, ihn rätselhafterweise nicht eines einzigen Blickes gewürdigt, seit wir den Vertrag unterzeichneten. Bei dem Gedanken an den unliebsamen Kerl dringt das freudige Lärmen im Hintergrund zurück in mein Bewusstsein; die Stimmen der Piraten, die erfolgreich dabei sind ins Land des Bacchus zu reisen. Selbst ernüchtert, dass ich die kommenden Tage mit dem denkbar unausstehlichsten Menschen verbringen muss, - samt dessen Crew -, wende ich mich räuspernd zu Gillette. Noch habe ich einige Dinge zu regeln, bevor dieser Tag auch für mich sich neigt. „Lieutenant“, beginne ich förmlich und fokussiere verächtlich Sparrow, der sich in der illustren Runde auf ein Fass gestellt hat und lautstark eine seiner Geschichten zum Besten gibt, freilich eine Flasche Rum dabei in der Hand. Ich seufze gereizt und streiche müde mit der Hand über Schläfen und Stirn, schließe kurz die Augen. „Holt ihn schon zurück, bevor er in seinem unflätigen Treiben dem Delirium anheim fällt und bringt ihn hinunter in meine Kabine.“ „Commmodore?“ Überrascht sieht mein Gegenüber mich an. „In die Kajüte des Captains.“, kläre ich ihn sogleich auf, doch der irritierte Ausdruck verflüchtigt sich nicht. Ich setze ein schmales Grinsen auf, bevor ich fortfahre: „Wir wollen doch nicht, dass der gute Mister Sparrow unvorbereitet feststellen muss, dass ich vorhabe, an Bord zu bleiben und er mir des Nachts, während ich im Bett liege, versehentlich die wohlverdiente Ruhe stört.“ In Gillettes Augen erscheint endlich das Verstehen und auf seinen rundlichen Zügen der Hauch eines Lächelns. Wenn ich schon verdammt dazu bin, meine Zeit hier zu fristen und ich das leidliche Vergnügen habe die Gesellschaft von Dieben, Gaunern und Verbrechern zu teilen, dann wenigstens so bequem und erquicklich wie möglich. Und dazu gehört selbstredend ein Raum, der im Besitz eines massiven Schlosses ist. Nichts liegt mir ferner, als der Crew zu unterstellen, dass sie mich in einer spontanen Anwandlung von Übermut über die Planke schicken will. Noch darüber sinnierend, ob der Plan, den ich ausgeklügelt habe, auch klug ist, widme ich mich den Papieren auf dem kleinen Schreibtisch. Dabei entwischt mir ein müdes Gähnen. „Danach begebt Euch zurück auf die Fortress.“ Froh darüber, dass man mir die Schläfrigkeit nicht anmerkt, packe ich den unterzeichneten Vertrag und die Amnestie zurück in den Ledereinband und reiche ihn ihm. Doch noch in der Bewegung überlege ich es mir ohne ersichtlichen Grund anders und stecke das Papier in meine Jackentasche. „Instruktionen für die Mannschaft, Sir?“ „Ja. Sorgt dafür, dass bewaffnete Männer auf die Pearl kommen, nicht uniformiert, wenn es geht unbemerkt.“ Mein Blick gleitet an Gillettes Gesicht vorbei zu der Menschengruppe, die um den Hauptmast sitzt, lacht, singt, in Sparrows Seemannsgarn schwelgt und trinkt, „auch wenn ich nicht annehme, dass einer dieser Trunkenbolde noch dazu in der Lage sein wird einen Fuß gerade vor den anderen zu setzen. Morgen allerdings werden sie mit untrüglicher Sicherheit versuchen zu entkommen, wenn sie sehen, dass unser Druckmittel abgerückt ist.“ Ich sehe den Mann vor mir entschlossen an, denn bei den nächsten Worten und der Enthüllung meines weiteren Vorgehens wird er sicher Einspruch erheben: „Die Schiffe sollen sich zurückziehen, bis nach Port Royal. Alle bis auf die Fortr -“ „Was?!“, entfährt es Andrew wie erwartet. Dann räuspert er sich verlegen, sich meiner Stellung vergegenwärtigend und nimmt wieder Paradehaltung ein. „Ich bitte um Entschuldigung, Sir, aber wie Ihr bereits erwähntet, wird die Mannschaft den Vertrag nicht erfüllen ohne die Flotte, die sie dazu zwingt.“ "Es liegt unwiderruflich im Bereich des Möglichen, Liuetenant. Aber bei der Vorgehensweise den Governor zu befreien, wie sie Sparrow unweigerlich im Sinn haben dürfte, werden die Schiffe hinderlich werden." Ohne auf den Einwand meines Soldaten einzugehen, fahre ich fort: „Die Fortress soll uns in gebührendem Abstand folgen. So, dass sie für die Piraten nicht zu entdecken ist. Buchten, Lagunen und Mündungen. Sie soll jede Möglichkeit nutzen, die sich ihr bietet. Ich will eine Sicherheit im Rücken hab-" „Sir, darf ich offen sprechen?“, unterbricht mich Gillette ein zweites Mal. Mit einem Nicken gebe ich meine Erlaubnis. Der Brust meines Gegenübers, meines Freundes, entringt sich ein unartikulierter Laut. „Bei allem nötigen Respekt James, ich halte das für Wahnwitz. Du setzt dich und uns einem Risiko aus, das nicht abzuschätzen ist.“ Wie immer kommt er direkt und ohne Umschweife zur Sache, eine Eigenschaft, die ich an diesem Mann zu schätzen gelernt habe. „Das ist mir bewusst. Aber die Befreiung des Governors und seine Sicherheit haben höchste Priorität. Wie ich Sparrow kenne, wird er uns in Kreise führen, die Uniformierte wohl nicht mit offenen Armen und der gebührenden Gastfreundschaft empfangen werden, die ihnen im Normalfall widerfährt. Hinzu kommt, dass eine größere Anzahl an Schiffen der Navy auffällig wäre, speziell in den Gewässern der Piraten. Wenn diese ominöse schwarze Witwe so gefährlich ist, wie der Pirat sagt, wird sie eine Bedrohung durch uns auf hundert Seemeilen wittern. Eine Armada lässt sich nicht verbergen, wohl aber ein einziges Schiff. Bei unserer Aufgabe geht es dieses Mal nicht um Stärke und Überlegenheit, sondern vielmehr um eine gewisse Raffinesse und planendes Kalkül. Zuerst muss Sparrow diese Bande aus ihrem Fuchsbau locken und der Governor in Sicherheit sein. Erst danach können wir die Hatz beginnen.“ Über die Züge von Gillette huscht der ungläubige Zweifel sich verhört zu haben. Sich als Soldat auf das Niveau eines gewöhnlichen Gauners zu begeben und im Heimlichen zu agieren, widerstrebt nicht nur ihm allein. Dennoch sollten ihm meine Erklärungen einleuchten. „Dann hoffe ich, dass du weißt, was du tust.“, gibt er sich geschlagen, ohne wirklich versucht zu haben, mich von meinem Vorhaben abzubringen. Da er mein Naturell lange Jahre kennt, weiß er, dass eine Diskussion mit mir zwecklos ist, habe ich einmal meine Entscheidung gefällt. „Soll ich mit dir an Bord bleiben? Oder Groves?“ Ich schüttle den Kopf. „Nein. Die Mannschaft kennt dein Gesicht. Und auch Theos. Schick mir fünf Männer, die weder Sparrow noch einem der anderen jemals persönlich begegnet sind. Ich weiß, dass er kürzlich neue Leute angeheuert hat, von daher ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass sie ihm bereits alle ausführlich bekannt sind.“ Gillette nickt, woraufhin ich ihn entlasse. Schon als er im Begriff ist zu gehen, fällt mir noch etwas ein: „Ach, und Andrew: Lass bitte mir das Vergnügen, Mister Sparrow über den Verlust seines Raumes aufzuklären.“ Bei der außerordentlich reizvollen Vorstellung vom wenig begeisterten Gesicht des Piraten entwischt mir ein schadenfrohes Grinsen. Eines, das Andrew still erwidert. „Aye, Commodore!“ Während Gillette meinen Befehl überbringt und ich zuversichtlich bin, dass er eine Weile auf den Piraten wird warten müssen, beginne ich damit die Black Pearl ins Auge zu fassen. Jetzt, in diesem ruhigen Augenblick nehme ich mir die Zeit ihren Zustand zu überprüfen und bin erschrocken, wie desolat er ist. Überall an Bord zeigen sich Schäden. Ungläubig, dass sie mir nicht früher aufgefallen sind, gehe ich hinüber zur Takelage des Dreimasters. Bei jedem Schritt knacken die Bretter bedenklich, sodass ich an manchen Stellen sogar fürchte auf das Unterdeck hinunter zu brechen. Bei den Seilen angekommen, muss ich feststellen, dass diese in kaum besserem Zustand sind. Vorsichtig berühre ich sie. Sie sind porös, das Holz der Befestigungen ist spröde. Nur die mit fachmännischem Wissen geknüpften Knoten lassen auf den ursprünglichen Glanz des einstmals stolzen Schiffes schließen. Ich streiche andächtig über die schwarze Reling, die schon unzählige Male, seit ich das erste Mal in die Abenteuer von Turner, Sparrow und seinen Gefährten verwickelt wurde, repariert worden sein muss, zuletzt nach der fast völligen Zerstörung durch Jones´ Kraken. Mein Blick wandert mitfühlend für das alte Schiff langsam nach oben, hoch zu den an vielen Stellen durchlöcherten Segeln und den monolithengleichen Masten entlang, die aber noch einigermaßen in Schuss sind. So viele Gefechte und immer noch ist sie hier. Vor dem Hintergrund des erschreckend schlechten Bildes, das sich mir offenbart, fühle ich mich in meiner Vorsicht, Sicherheitsvorkehrungen getroffen zu haben, bestärkt. Wenn Sparrow die Wahrheit über die Soul of Empress gesagt haben sollte, so ist es ein Sicherheit gebendes Gefühl ein voll bewaffnetes Kriegsschiff in der Hinterhand zu haben. Mit einem traurigen Lächeln für das Fossil einer sterbenden Zeit begebe ich mich zur Tür, die über eine fünfstufige Treppe unter Deck und zur Schlafstätte des Piraten führt. Unten angekommen, drücke ich die Klinke und bin in höchstem Maße erstaunt, dass die breite, schwarze Tür sofort aufspringt, obwohl ein, wie von mir vermutet, dickes Schloss sie ziert. Gerade als ich sie gänzlich aufstoßen will, lallt Sparrows Stimme hinter mir. „Commodore?“ Gleich darauf folgt das Geräusch trittunsicherer Schritte auf den fünf Stufen. „Mein Freund, Euer kleiner Mann meinte, ihr verspürtet den dringenden Wunsch meiner unbedingten Anwesenheit, aye?“ Mit einem schiefen Lächeln, das vom übermäßigen Rumkonsum herrührt, bleibt er auf der untersten Stufe stehen und fixiert mich. Dann fällt seine Aufmerksamkeit auf den offenen Türspalt und meine Hand, die noch immer die Klinke festhält. Das Lächeln verbreitert sich zu einem widerwärtigen Grinsen, sein Kopf legt sich in die Schräge und die Augenbrauen wandern hämisch nach oben. „Commodore Norrington! Ihr wolltet doch nicht etwa einbrechen?“ Ertappt in meiner Neugier, trete ich beiseite und lehne mich an die Wand in meinem Rücken. Auf Etikette bedacht, warte ich, dass er zuerst den Raum betritt. „Ich betrachte es eher als vorbeugende Maßnahme, um auf jede Eventualität seitens Euch und Eurer Mannschaft vorbereitet zu sein.“, erwidere ich. Der Pirat stemmt seine Hand gegen die Wand, an der ich lehne und beugt sich vor. „Genauso vorbeugend wie der Umstand des unerklärlichen Verschwindens von Davy Jones´ Herz aus meinem Glas Dreck?“, erinnert er mich hinterhältig an die unliebsame Zeit, als für mich Ehre und Anstand erst nach der dritten Flasche Rum begannen. Da ich weder die Muße habe seine Anklage zu entkräften, noch die Wahrheit in irgendeiner Form beschönigen kann oder will, schweige ich ihn an. Dieser Abschnitt gehört zu meinem Leben, wahrlich es ist keiner, auf den ich stolz bin, aber ihn leugnen oder mich deshalb verlegen fühlen, werde ich nicht. Daher ruht mein Blick weiterhin gelassen in dem braunen Augenpaar vor mir. Sparrow betrachtet die meinen hingegen eingehend, als ob er in ihnen nach etwas suche. Unter der intensiven Musterung, die mir wie eine erneute Provokation vorkommt, deute ich wortlos mit einer einladenden Handbewegung auf die offen stehende Tür. „Also der Pirat James Norrington hat mir besser gefallen.“, brummelt er in sein Bärtchen, bevor er mit einem letzten flüchtigen Lächeln und beschwingtem Gang sein Reich betritt. Ich folge ihm über die Schwelle und spüre ein knirschendes Geräusch auf dem merkwürdig weichen Untergrund unter meinen Sohlen. Irritiert bleibe ich augenblicklich stehen und warte bis der Pirat einige Kerzen entzündet hat, die Dunkelheit sich lichtet und ich etwas sehen kann. Und dann möchte ich am liebsten rückwärts wieder aus der Tür. Nie zuvor habe ich so etwas gesehen, ich will meinen Augen kaum trauen! Zum zweiten Mal am heutigen Tage weiß ich, dass ich starre wie die unbewegliche Maus in der Ecke mit der Katze davor. „Nicht so entsetzt Commodore, es ist bloß Sand.“ Obwohl in das Anzünden der Kerzen vertieft, merkt er mir meinen entsetzten Ausdruck an. Sand. Gut, das ist richtig, es ist bloß Sand, aber der große Raum, der im Heck des Schiffes liegt und der durch die in Ebenholz eingelassenen Fenster den Blick aufs offene Meer ermöglicht, ist über und über damit befüllt. Rötlicher, schimmernder Sand! Großer Gott, es sieht aus, als läge der Strand Morne Rouge in diesen vier Wänden. Das Eigentümliche daran ist aber nicht allein die gewaltige Menge und die sonderbare Farbe, nein, sondern vielmehr sein Erstreckungsradius. Überall, auf Truhen, dem geschnitzten Kirschschrank, den beiden umgefallenen Stühlen, dem großen Tisch in der Mitte, ja selbst die wenigen Regale mit Büchern ertrinken regelrecht darin. Nur das Bett, das direkt unter den Fenstern steht, deren Glas nur noch zu einem Drittel unzerborsten ist, ist davon verschont geblieben und wirkt ordentlich. Während ich erstaunt den Raum besehe, drängen sich mir unweigerlich zwei Fragen auf. Zum einen die Frage, warum ich keinen Sand auf dem übrigen Schiff gesehen habe, zum anderen, ob ich wirklich die nächsten Tage hier verbringen will, hier in diesem Loch. Die zweite Frage kann ich mir ohne Schwierigkeiten selbst beantworten und damit ist mein Amusement, Sparrow ein wenig auf die Nerven zu fallen, für den heutigen Abend vom Tisch. Während der Pirat die Stühle aufstellt und die goldbraunen Polster sauber klopft, bewege ich mich von der Neugier gebissen auf eines der Regale zu und stelle einige umgefallene Bücher wieder auf. Auf dem rötlichen Einband eines dicken Folianten lese ich ´ الف ليلة وليلة - Tausend und eine Nacht´ und muss schmunzeln, denn dass Sparrow sich mit Märchen aus Arabien, geschweige denn überhaupt mit Literatur befasst, kommt unerwartet. Dann wandert mein Augenmerk auf den Staub darauf. Der Sachverhalt, dass die Bücher ihr Vorhandensein eher der Zierde zu verdanken haben, denn ihres unerschöpflichen Sinngehalts, erscheint mir schon eher passend und bestätigt wieder einmal vorzüglich meine Meinung über ihn. Abschätzig, Büchern eine solche Behandlung angedeihen zu lassen, ziehen sich meine Mundwinkel wie von selbst nach unten. Steif streiche ich mit dem Zeigefinger über die eingeprägten Buchstaben und halte ihn kommentarlos in Sparrows Richtung, solange, bis er es bemerkt. Er kommt auf mich zu, blickt auf den staubigen Finger vor seiner Nase und in meine mit Vorwurf beladenen Augen. „Oh! ´Tschuldigung. Es ist im Moment etwas unordentlich.“ Dann torkelt er zurück in die Mitte des Raumes zu dem runden Tisch, der in seiner Größe selbst dem sagengleichen König Artus zur Ehre gereicht hätte, betrachtet ihn einen Moment kritisch, legt den Kopf dabei schräg wie ein Künstler vor seinem fertigen Bild, und wischt schließlich wenig ehrvoll mit der Länge seines Arms eine dicke Sandschicht herunter. Zum Vorschein kommen mehrere Seekarten, geteert mit blauer Tinte und gefedert vom Sand. Das dazu gehörige Tintenglas samt Schreibfeder und die Navigationsinstrumente liegen heruntergefallen auf dem schweren Teppich. Sparrow rückt einmal mehr die Stühle zurecht, solange, bis er endlich zufrieden ist, weist mir einen Platz gegenüber seinem eigenen zu und setzt sich. Unruhig rutscht er hin und her, bis es ihm genehm ist, nur um dann mit unverfrorenem Grinsen die Beine auf den Tisch zu legen, gespannt auf meine Reaktion. „Unordentlich. In der Tat.“, bestätige ich und folge seinem Beispiel. „Also Commodore, worüber wollen wir zu dieser späten Stunde denn nun plaudern?“ Mit erhobenen Brauen kreist mein Blick einmal quer durch das Zimmer, bis er wieder an dem Mann mir gegenüber hängen bleibt. „Zuerst wüsste ich gerne, wie der viele Sand in Eure Kajüte kommt und warum die Black Pearl sich in einem solch erbärmlichen Zustand befindet.“ „Hmm, guter Anfang. Könnt aber ein bisschen länger dauern, das zu erklären, Freund. Seid Ihr denn auch willig Eure kostbare Zeit dafür zu opfern?“ Mit einem widerwilligen Schnauben kratze ich mir die in Falten gelegte Stirn. Was hatte ich auch anderes erwartet? Nichts was Jack Sparrow betrifft, könnte jemals in kurzer Zeit abgehandelt werden. „Die Kurzfassung, wenns recht ist.“ „Was anderes hätte mich auch gewundert.“ Sparrow streckt sich daraufhin, faltet die Arme hinter seinem Kopf zu einer bequemen Stütze und funkelt mich an. „Barbossa, seine Pearl, Tanger, die Lampe der Aicha Qandicha, meine Pearl.“ Dann grinst er mich sonnig an, nicht ohne einen gewissen Stolz, es tatsächlich vollbracht zu haben in wenigen Worten mitzuteilen, was es zu wissen gibt. Ich dagegen lasse seine Worte erst mehrere Momente Revue passieren, da ich sehr tief in meinem verborgenen Wissen kramen muss, bevor ich erfassen kann, von was er spricht. „Die Lampe der Aicha Qandicha?“, hake ich nach, als ich tatsächlich nach einigen langen Minuten im bisher übermäßig gehörten Seemannsgarn meines Lebens fündig geworden bin. Dann überkommt mich aber einmal mehr das untrügliche Gefühl im Bauch, dass er mich verspotten will. Absurd. Obwohl ich offensichtlich verwirrt aussehe, erhalte ich keine weiteren Erklärungen von ihm, lediglich ein schlichtes Nicken, bevor er die Beine wieder herunternimmt und sich lauernd über die Tischplatte beugt, um mich besser beobachten zu können. Dabei streicht er mit seinen Fingern geistesabwesend über einen der silbernen Leuchter direkt vor ihm, deren brennende Kerzen den gesamten Raum in einem flirrenden Licht fluten. Ich sehe ihn durch das rötliche Lodern der Feuer an, wie er wartet, geduldig und gespannt. Das ist absurd! Ich schlage, mich seinem Geschwätz verweigernd wie beiläufig mit der flachen Hand auf den Tisch und schüttle den Kopf. Das ist einfach völlig absurd! „Oh bitte. Erwartet Ihr wirklich, dass ich das glaube, Sparrow? So etwas wie Dschinne in Öllampen existiert nicht. Und wie wollt Ihr überhaupt bis nach Marokko gekommen sein?“ Mich in meinem Stuhl zurücklehnend und mit einer abwinkenden Handbewegung auf das Bücherregal füge ich hinzu: „Ihr habt zu viel in Euren Märchenbüchern geschmökert.“ Verärgert über mich selbst, dass ich den Versuch Jack Sparrow mit Rationalität zusammenbringen zu wollen immer noch nicht aufgegeben habe, verschränke ich die Arme vor der Brust. Ich sehe den Piraten durchdringend an, warte darauf, dass er in schallendes Gelächter ausbricht, weil er es wieder geschafft hat, dass ich über ihn pikiert bin. Doch stattdessen trifft mich völlig unvorbereitet ein naiver Blick, der beispiellos ist. Dieser eine bestimmte Blick ist es, der eigentlich nur Kinder zueigen sein dürfte und den ich das letzte Mal bei eben diesen in Port Royal gesehen habe. Es ist jener Blick, der zugleich an nichts und doch an alles glaubt. Ein leidendes Seufzen kriecht aus der Brust meines Gegenübers. „James Norrington, da trefft Ihr auf untote Piraten, verfluchte Schiffe, schlagende Herzen in Truhen, nicht zu vergessen auf diesen schleimigen, aber jetzt sehr toten Tintenfisch, der Schiffe und Hüte frisst, und dann wollt Ihr nicht mal mit einem verschwindend geringen Hauch eine Banalität wie die Existenz einer Dschinnenlampe zumindest für möglich halten?“ Beinah vorwurfsvoll über meine stoische Art nicht an Unmögliches und Unerklärliches glauben zu wollen, sieht er mich an. „Könnt Ihr es nicht ein klitzekleines Bisselchen versuchen?“ Ich atme schwer durch die Nase aus. Nun, zu meinem Bedauern muss ich gestehen, dass sobald ich auf Sparrow und Turner getroffen war, sich die Ereignisse in höchst seltsamer Weise verändert und ab diesem Zeitpunkt sich meinem Verstand gänzlich entzogen haben. Und… er somit leider… Recht hat. Diese Epiphanie trifft mich wie ein Schlag! Ich öffne meinen Mund, will ihm aus Gewohnheit widersprechen, aber über meine Lippen kommt kein Ton. Es ist ärgerlich und zweifelsfrei erniedrigend, aber eine logische Argumentationsweise stößt bei den vergangenen Ereignissen, die er aufgezählt hat an ihre Grenzen. Da ich nicht antworte, nicht antworten kann, muss ich mit ansehen, wie der Pirat sich selbstgefällig zurücklehnt und mit dem Finger auf mich zeigt. „Aah, hab ich es endlich geschafft Euch mundtot zu machen. Interessante Erfahrung. Wirklich, sehr interessant.“ „Dann sagt Ihr eben die Wahrheit, Pirat“, grolle ich. Was machte es auch für einen Unterschied, ob es stimmte. Wenn es die Wahrheit ist, wird mein stures Bedürfnis nach Logik sich ihr trotzdem verweigern. „Dann soll es eben so sein, dass die sagenumwobene, männermordende Aicha Euch Euer Schiff zurück brachte, das ihr, beiläufig bemerkt, recht häufig verliert." Ich fahre mir, die Augen rollend, erneut über die Stirn. „Mein enormes, intuitives Gespür für Offiziere der Royal Navy sagt mir, dass Euch diese Art des Gesprächs nicht recht behagt?!“ „Was wurde aus Barbossa?“, ignoriere ich ihn, was ihn aber nicht im geringsten stört. „Das ist eine gute Frage. Was aus dem alten Hecktor geworden ist, wüsste ich auch gern. Will ja nicht wieder unliebsamen Besuch von ihm bekommen, der jedes Mal, wie wir beide wissen, unbeabsichtigt darin gipfelt, dass er mit der Black Pearl davon segelt und ich auf irgendeinem gottverlassenem Eiland festsitze.“ Sparrow sieht ausdruckslos auf einen Punkt hinter meiner linken Schulter, „Wird auf Dauer ziemlich lästig.“ Dann grinst er mich an. Einmal mehr kann ich mich nur über ihn wundern. Ich sehe an ihm vorbei zu den Fenstern, durch die ich trotz der Schwärze der Nacht das dunkle Meer sehen kann und das in seinen Untiefen das trübe Licht des Mondes spiegelt. Beim Blick auf die See, wie sie besonnen ihre Wellen gegen das Schiff lenkt und das Kielwasser rauschen lässt, schweifen meine Gedanken ab. Erstaunlich wie schnell dieser Mensch von einer Emotion in die nächste stolpert. „Fein, aber lassen wir das. Ist ja auch eine andre Geschichte.“, höre ich Sparrow enttäuscht seufzen, weil er seine Erzählung nicht an den Mann bringen kann. „Was wolltet Ihr denn nun so außerordentlich Wichtiges vom guten, alten Jack, dass es nicht Zeit gehabt hätte bis morgen zu warten?“ Leicht verlegen, mich gehen gelassen zu haben, räuspere ich mich und sitze gerade. „Informationen, Sparrow.“, sage ich knapp, „Ihr könnt Euch denken, worüber.“ Daraufhin erhebt er sich mit einem unzufriedenen Blick und schwankt hinüber zu einer der Truhen, „In Ordnung“, um darin zu kramen. „Unser Kurs wird uns zuerst nach Tortuga führen...“ Ich kann nicht sagen, ich sei überrascht. „...Ihr erinnert Euch doch. Niedliches, kleines Piratennest. Habt Ihr schon mehrfach ausgehoben. Und zeitweise war´s Euer zweites Heim.“ Sparrow wirft mir über die Schulter ein Lächeln zu, was meine Miene gefrieren lässt. Als ich ansetzen will, etwas zu erwidern, lenkt er ein: „Dort beginnt unsere Suche.“ Mit einer staubigen Seekarte im Arm kommt er zu mir zurück und breitet sie auf dem Tisch aus. Mit verschränkten Armen stellt er sich hinter mich. Ich werfe einen Blick auf das große vergilbte Stück Papier und stelle fest, dass mir die Inseln und selbst die Sprache der Schrift unbekannt sind. An ihrem Zustand ist lediglich auszumachen, dass sie sehr alt sein muss. „Und was suchen wir?“ Meine frage verranlasst den Piraten sich zu meinem Ohr vorzubeugen, so dass ich seinen Atem spüre. „Freund, das was wir Männer immer suchen. Eine Frau.“ „Eine Frau?“ Sparrows Goldzähne blitzen schadenfroh auf. „Aye. Eine Frau, die wir dringend für unser kleines Abenteuer brauchen. Ihr kennt sie bereits. Eine Frau, über deren Anwesenheit auf der Pearl sich Master Gibbs unendlich freuen wird.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)