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Legend of Lorn

von

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Das Ende von Artmore

In dem Gewirr, das blutige Schlachten die andauerten und andauerten zu hinterlassen pflegten, zwischen gepeinigten Gesichtern und brandgeschwärzten Ruinen, hin und her geworfen in der endlosen Spirale aus Hoffnung und Verzweiflung, hatte Jessy nicht zu sehen vermocht, wohin ihre Mutter Andira gegangen war, so war sie gezwungen ihren sicheren Unterschlupf zu verlassen. Sie erklomm den nahen Hügel ohne Mühe und hielt nach allen Richtungen Ausschau. Der Krieg hatte an Grausamkeit nicht verloren, noch waren die Gefallenen weniger geworden und doch schien alles nicht mehr so schrecklich wie noch vor Augenblicken, als die wenigen Krieger, die auf dem Dorfplatz um ihren letzten Lebenshauch rangen, noch zahlreich gewesen, und mit blitzenden Klingen aufeinander eingestürmt waren, als giesse man Öl in ein Feuer. Ein Schwert, ein Schrei, ein Zucken und zehn fähige Männer, die irgendwo in Lorn Familien hatten, die um ihre Leben bangten und für ihre Heimkehr zu den falschen Göttern beteten fielen, ohne überhaupt die Chance gehabt zu haben, sich ihrer Schlächter zu erwehren.

Jessy war es egal.

Sie hatte so viele Schlachten geschlagen, so viele Männer getötet, die vielleicht auch Familien gehabt hatten, so manches Licht in so vielen Augenpaaren erlöschen sehen, dass sie letztlich nicht mehr dabei empfand, als niederschmetternde Gleichgültigkeit. Zu Töten, dem Ende in die schwarzen Augen zu starren und dabei zu lächeln, sich das Sterben herbeizusehnen an jedem einzelnen Tag an dem sie die verfluchte Luft des Schlachtfeldes einatmen musste, die einem wie weissglühende Nadeln in die Glieder fuhr und in jeder Pore des Körpers wie Feuer brannte, war zu einer beinahe erschreckenden Banalität für das unschuldige Mädchen geworden, das seine Familie nur wiederwillig verlassen hatte, um seine Seele, vielleicht das einzig wertvolle an ihr, an das Schwert zu verlieren.

Sie war eine Kriegerin, und selbst wenn sie noch so verbissen danach suchte, gab es kein Entrinnen vor der Tatsache, dass sie wohl der Welt begabteste Fechterin war, und schon als achtjährige gewesen war, als sie zum ersten Mal Blut an den Händen gehabt, und Gefallen daran gefunden hatte.

Eine geraume Weile liess sie ihre Gedanken Revue passieren, was sie sich ansonsten niemals erlaube, da schmerzende Erinnerungen von Schwäche zeugten, als irgendwo, unweit der Stelle, an der sie stand, ein leises Keuchen zu vernehmen war, das vielleicht ein Schrei hätte sein können, den irgendjemand, oder irgendetwas zu unterdrücken suchte. Instinktiv, denn ihre Instinkte täuschten sie selten, wandte Jessy sich nach Westen und damit dem Wald von Kieran zu, dessen Bäume wie lebende Wesen nach einem langten, wenn man nicht vorsichtig war und einen in die finsteren Abgründe Arctos’, des Grenzlandes, stürzten.

Es war keineswegs verboten den Wald von Kieran zu betreten, im Gegenteil hatten ihn die weissen Hexer Artmores des öfteren aufgesucht um von den Megrath, den geheimnisvollen Wesen die ihn bewohnten, zu lernen und sich ihr Wissen und ihre Macht zunutze machen zu können, doch Jessy hatte den Wald immer verabscheut, so, wie sie jeden Wald auf Eokin verabscheute. Sie hatte die Megrath nie gesehen, niemals mit ihnen gesprochen, niemand hatte das, doch für Jessy waren sie Monstren, unmenschlich und widernatürlich.

Sie war immer eine von zu vielen Menschen gewesen, die keinen Sinn hatten für die Schönheit der Magie.

Im Laufschritt stieg sie den Hügel auf der anderen Seite hinab, das Schwert schon zur Hälfte aus der Scheide gezogen, rannte zum Waldrand hinüber und fand ihre Mutter etwas abseits des Weges zusammengekauert am Boden liegend. Lederne Riemen fesselten ihre Glieder und frassen sich mit jeder Bewegung die sich machte tief ins Fleisch ihrer Hand- und Fussgelenke, sodass ihr ganzer Leib schon nach wenigen Augenblicken blutüberströmt war und ihr ersticktes Klagen an Intensität gewann.

Ohne zu zögern zog Jessy ihr Schwert, eine herrliche Waffe mit beidseitig geschliffener Klinge und einem Griff, ganz und gar aus blutrotem Rubin, zierlich wie las doch hart wie Stahl, und hieb die Fesseln mit einer geübten Bewegung entzwei, dass ihre Mutter unter dem Luftzug des Schwertes, der ihre blasse Haut streifte, zusammenzuckte.

Und dann, ganz plötzlich, merkte sie, dass sie nicht länger alleine waren.

Es war nicht mehr als eines jener zaghaften Knacken gewesen, wie sie oft zu hören waren im Gehölz des Waldes von Kieran, manchmal vom Wind verursacht, manchmal von den Megrath, die sich selten bis an den Waldrand wagten um das Treiben der Bauern von Artmore auf den Feldern vor dem Dorf zu beobachten, aber dennoch hatte Jessys geschultes Ohr ein dumpfes Geräusch in dem Knacken entdeckt, das unzweifelhaft die Stiefelsohle eines mageren Mannes gewesen war, die leise auf dem staubigen Waldboden auftrat.

Augen, Gehör und Instinkt arbeiteten mit einem Male wie eine Einheit.

Wie Schritte östlich, einen halben Meter unter ihr. Er musste sich geduckt haben.

Langsamer als sie es gekonnt hätte, geschwächt von den Schlachten und erschlagen von der Tatsache, dass sie von einem Krieg in den nächsten gestolpert war statt heimzukehren und wieder das Mädchen zu werden, dass sie vor zehn Jahren in Artmore zurückgelassen hatte, doch noch immer zu schnell für das ungeschulte Auge eines jungen Kriegers, dem es an Erfahrung und Reflex mangelte, tat Jessy einige, nicht nennenswerte Schritte, sprang, hieb mit ihrem Schwert auf das Unterholz ein und traf auf etwas hartes, das sie mit beinahe unverschämter Leichtigkeit in zwei Hälften säbelte.

Sie hatte nicht sehen können welchen Körperteil sie getroffen hatte, doch aufgrund der Tatsache dass der verborgene Krieger nicht in der Lage gewesen war einen letzten, verzweifelten Schrei auszustossen wusste sie, dass es seine Kehle gewesen war. Blut spritzte in hohen Fontänen aus dem Geäst, ein dumpfes Platschen brach die Stille, ein Kopf fiel, rollte vor ihre Füsse und starrte sie aus dunkelgrünen Augen heraus an, deren Licht erloschen war.

Ein Kind.

Er war noch ein Kind gewesen.

Die blonden Locken zeugten von der Unschuld, der sie das Leben genommen hatte. Kein Tropfen Blut, abgesehen von seinem eigenen, verunreinigte Rock oder Harnisch. Die schwarze Scheide an seinem Waffengurt, in der das lange, unendlich schöne Reinblutschwert hätte stecken müssen, war leer. Er war nicht einmal bewaffnet gewesen.

Jessy liess ihr Schwert sinken, schliesslich fallen. Ihre Mutter war frei, und obwohl sie sich zehn Jahre lang nicht gesehen hatten erinnerte Jessy sich des Schimmers selbstloser Mutterliebe in Andiras Augen, doch der Preis dafür war der Tod des Sohnes einer anderen Mutter gewesen, die ihr Kind wohl genau so sehr geliebt hatte.

Und zum ersten Mal seit so vielen Jahren, dass sie beinahe vergessen hatte wie es war, fühlte sie, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten.

„Es herrscht Krieg!“, murmelte ihre Mutter und legte ihr liebevoll die zitternde Hand auf die Schulter. „Dir bleibt keine Zeit Fragen zu stellen. Einer stirbt immer, die Entscheidung gebührt alleine dem Schicksal!“

In einem Leben das dem Krieg gewidmet ist, wenn du als Kind schon gemordet hast und deine Bewegungen schneller sind, als das Schicksal jemals zu entscheiden fähig, gibt man den Glauben rasch auf, dass etwas wie das Schicksal überhaupt existiert, dachte Jessy, doch sie wiedersprach nicht. Rasch sah sie sich um, hob ihr Schwert auf und stiess ihre Mutter unsanft vor sich her in den Wald hinein.

„Wir müssen fliehen.“, keuchte sie und ihre Mutter blieb so abrupt stehen, dass Jessy sie beinahe überrannt hätte.

„Wir müssen kämpfen!“, entgegnete sie voller Überzeugung und Jessy erkannte ihren Blick. Andira verstand es nicht.

„Ich kann nicht kämpfen!“, gab Jessy zur Antwort. „Nicht mehr. Ich bin es Leid zu töten. Ich fürchte jedes neue Morgen der Ungewissheit wegen, wie viele Menschen, die vielleicht voller Unschuld und Liebe sind, an jedem einzelnen Tag durch meine Hand ihr Leben lassen müssen, wie vielen liebenden Müttern und bangenden Vätern ich die Söhne nehme.“

„Wenn du jetzt wegläufst Liebes, verrätst du nicht nur all die Ideale, denen du ein Leben lang treu gewesen bist, sondern auch all die Menschen die du liebst. Nicht zuletzt mich. Vor zehn Jahren hast du Artmore verlassen, hast du Eokin verlassen um in der Fremde für die Freiheit von Völkern zu kämpfen, von denen du nicht einmal wusstest, dass es sie gibt, und jetzt, wo deine Heimat dem Untergang nahe ist, willst du fliehen?“

„Jessy lächelte traurig. „Artmore ist längst verloren, doch andere Dörfer können gerettet werden. Bliebe ich hier um für etwas zu kämpfen, für das es kein Entrinnen vor dem Schicksal mehr gibt, wäre ich eine Närrin, nicht die Kriegerin die ich bin!“

„Wie kalt du geworden bist. Und dieser Glanz in deinen Augen wenn du vom Kämpfen sprichst. Ich habe mein einziges Kind an einen sinnlosen Krieg verloren!“

Andira sank auf einen Felsen nieder, der über und über mit Blut besudelt war, rieb sich die schmerzenden Handgelenke und starrte vor sich auf den Boden, während Jessy es nicht über sich brachte, sie eines Blickes zu würdigen.

„Kein Krieg ist sinnlos solange es Menschen gibt, die an das glauben für das sie ihn durchstehen!“, beteuerte sie leise. „Wir versuchen die Magie zu erhalten, um unsere Welt zu erhalten!“

„Altes muss manchmal sterben um Neuem Platz zu schaffen, weißt du.“, begegnete Andira ohne aufzusehen. „Vielleicht ist die Zeit der Magier vorüber!“

„Die Zeit der Magier ist niemals vorüber!“, protestierte Jessy in deutlich gehobener Stimmlage, und in ihrer Brust pochte der altbekannte Zorn, der die Kriegerin in ihr nährte. „Die Magie ist die Macht, die unser Volk ausmacht, so wie das Licht die Sonne oder das Wasser die Meere. Sie hält die Gegensätze im Gleichgewicht, nur dank ihrer können Gut und Böse nebeneinander existieren! Sie kann nicht ersetzt werden!“

„Ich versichere dir sie kann!“, entgegnete Andira, hob den Kopf und sah ihre Tochter mit tränennassen Augen vorwurfsvoll an. „Und sie wird. Wenn das Wissen derer, die ohne Macht sind, gross genug ist, um die Macht der Magier wettzumachen, wird der Krieg vorüber sein und mit ihm die Herrschaft der Hexenmeister!“

„Ich will das nicht hören!“, schrie Jessy und wandte sich aufgebracht ab.

Andira hatte nüchtern gesprochen und ihrer Stimme war kein Anklang von Unsicherheit zu entnehmen, und doch senkte sie ihr Haupt in Trauer, während eine einsame Träne sich ihren Weg über eine blasse, zerfurchte Wange bahnte. In ihren Augen flackerte die vage Hoffnung, sie möge doch unrecht haben, und zum ersten Mal seit vielen Jahren glaubte Jessy sich daran zu erinnern, wie quälend und unberechenbar dieses Gefühl war, das sie einst Mitleid geheissen, dann jedoch vergessen hatte.

Stille trat ein.

Hinein in das harmonische Zusammenspiel eines magischen Waldes, der die Qualen und Freuden derer, die ihn betraten im Klagen des Windes und im Ächzen der morschen Bäume wiedergab, und des leisen Flüsterns der Megrath, die versteckt in Unterholz und Wipfeln für jene beteten, die das nächste Morgen nicht erleben würden, mischte sich das unwirkliche Geräusch von Pferdehufen, die über das Erdreich stapften und gemächlichen Schrittes näher kamen.

Jessy konnte nur ein Pferd ausmachen. Zwei, wenn man die unbeholfen wirkenden Schritte, die so gar nicht wie von vier Beinen verursacht klangen, hinzuzählte, doch der geübte Reflex der gnadenlosen Kriegerin, zu der sie geworden war, fuhr wie ein eiskalter Blitz in ihren Arm und liess sie das Schwert heben. Sie nahm vor der zu Tode erschöpften Mutter Aufstellung und erwartete die Ankunft eines stolzen Kriegers in schwarzer Rüstung, der schwertschwingend in ihre Richtung galoppieren, und ihr den Kopf vom Rumpf schlagen würde, stattdessen erschien, und das erst nach geraumer Weile, ein herrlich gewandeter Mann der zwar ein Krieger war, jedoch einer, wie Jessy ihn nie zuvor gesehen hatte.

Seine Augen waren voller Stolz und frei von geringster Unterwürfigkeit. Kaum ein Mann war wirklich frei in Eokin, aber dieser war es. Freier vielleicht, als irgendein Wesen an irgendeinem Ort, und Jessy neidete es ihm. Seine Züge waren hart und voller Kälte, und doch an eine Schönheit rührend, die nur ein anderer Krieger zu erkennen verstand. Er war in ein unbeflecktes, ganz aus pechschwarzem Samt gewebtes Gewand gehüllt und trug einen endlos langen Umhang, der wie das wallend schwarze Haar eines Gottes über den Rücken seines Pferdes fiel.

Das herrlichste Tier, das Jessy jemals zu Gesicht bekommen hatte.

Seit sie dem Kampf erlegen war, hatte sie hunderte von Pferden gesehen, doch dieses hier war etwas anderes. Es war das Tier genau des Mannes, der auf ihm sass, und keinem anderen hätte es gehören dürfen, ohne lächerlich zu wirken. Ein schwarzer Hengst mit weisser Blesse, die einem Raubvogel ähnlich war, lange Strähnen die sachte den Boden streichelten und grosse, dunkle Augen, die liebevoll die unruhigen Bewegungen der Megrath musterten, die hinter Jessy durch das Gehölz huschten.

Die ganze Erscheinung des finsteren Fremden war so betörend, dass Jessy einige Augenblicke brauchte um zu erkennen, was die anderen Schritte gewesen waren.

An ein langes Seil gefesselt, das an den Sattel des Kriegers gebunden war, war ein alter Mann, den Jessy noch erkannt hätte, wäre sie hundert Jahre fort gewesen, auch wenn er keinen besseren Anblick bot als Jessys Mutter. Seine Kleider hingen in Fetzen. Sein Gesicht war geschwollen und blutig und er stolperte hilflos über einen gebrochenen Fuss, dem längst der letzte Schmerz abgewonnen war, doch in seinen Augen leuchtete der ungebrochene Stolz des Mannes, der Jessy geliebt hatte, als sie noch das Mädchen war, das sie zurückgelassen hatte, wie auch als sie die Kriegerin wurde, die sie selbst am meisten verabscheute.

„Vater!“, murmelte sie fassungslos und merkte nicht, dass sie ihr Schwert längst hatte sinken lassen. Ihre Hände zitterten sacht und lange verhaltene Tränen rangen mit ihrem Stolz um die Vorherrschaft. Sie spürte wie Andira sich mühevoll auf die Beine zwang, und sich an ihre Schulter lehnte, um nicht bei der ersten, unbedachten Bewegung das Gleichgewicht zu verlieren, und unwillentlich vor dem Fremden das Knie zu beugen.

Der Krieger zerrte an dem Seil, und ihr Vater schlug unsanft neben dem Pferd auf dem Boden auf, rappelte sich ohne zu zögern wieder in die Höhe, und würdigte seinen Peiniger keines Blickes. Stattdessen starrte er in Jessys Augen, in denen noch immer der Krieg tobte, wie um ihr zu bedeuten, sich nicht von der, sehr wohl Angst einflössenden Selbstsicherheit in den Augen des Fremden beeindrucken zu lassen, und Jessy mühte sich, dem stummen Befehl Folge zu leisten.

„Immer schon wusste ich um die Vollkommenheit deiner Gemahlin, Alexius, die ich dir stets geneidet habe,“, begann der Fremde mit einer klaren, tiefen Stimme, die auf dem Trommelfell wie das Rauschen eines Bergbaches an einem Sommermorgen wog, „doch wie konntest du mir eine Tochter verschweigen die von solcher Schönheit ist, das selbst die Sonne nebst ihrem Antlitz das Scheinen fürchtet?“

Sein Lächeln war ehrlich, doch es warnte Jessy sich nicht täuschen zu lassen, so bemühte sie sich, seinem Blick zu entgehen, da sie wusste, dass sie ihm nicht standhalten konnte.

„Wenn du meine Tochter anrührst,“, keuchte Alexius müde, “reisse ich dir dein Herz aus der Brust!“

„Mutig wäre auch ich, hätte ich solchen Reichtum einzubüssen!“, höhnte der Fremde. „Und doch erginge es deiner Tochter wohl an keinem Ort dieser Welt besser, denn an meiner Seite!“

Es war widerlich, das wusste Jessy, doch es war nicht niederzuringen. Eine Mutter weinte bittere Tränen, ein Vater, halbtot, und eine Tochter, deren Verlangen nach dem Schlächter ihrer Heimat mit jedem Wort wuchs, das seinem Mund entwich. Es war, als spräche er nur für sie und sie wünschte sich, der Strom der Bilder, die seinen Sätzen entsprangen, möge niemals versiegen.

„Wie ist euer Name?“, hörte sie sich plötzlich fragen, doch die Situation war ihr keineswegs unangenehm. „Ich will wissen welchen seiner Schergen ich töte!“

„Seiner Schergen?“, wiederholte der Fremde sinnlich lächelnd, schwang einen muskulösen Oberschenkel von seinem Pferd, stiess sich elegant ab und landete sanft auf dem weichen Boden. Die schweren Sporen an den schwarzen Lederstiefeln klirrten unheilvoll und hinterliessen winzige Löcher im Staub. Sein schwarzes Haar, das deutlich länger war als Jessys eigenes, umhüllte sein blasses Gesicht wie ein finsterer Schleier. „Ich fürchte, meine Liebste, dass ich er bin. Der Herr des Rotschwarzen Heeres, der Führer all jener, die ohne Macht geboren wurden, der König von Ildroil!“

Mit einem Male gewannen all die Dinge an Klarheit, die noch zuvor unter dem Schein eines hübschen Gesichtes und einer betörenden Stimme verborgen gewesen waren. Nur ein König hätte solch unbegrenzte Freiheit und ungebrochenen Stolz in seinem Blick tragen können, ohne sich als Narr zu enttarnen, und nur der König aller Könige besass die Frechheit, auch darüber zu sprechen.

„Arthex!“, flüsterte sie.
 

Feuer loderte aus einem Rausch von Sinnen und Gefühlen, als eherne Klingen aufeinander trafen und Funken sprühten, die sich wie glühende Nadeln in das nackte Fleisch bohrten. Schreie hallten wieder in den Wipfeln uralter Bäume, die manch grässlichen Kampf miterlebt hatten und Blutspritzer tränkten die trockene Erde, wenn Hand und Schwert zur Einheit verschmolzen. Jessys Sinne arbeiteten mit übermenschlicher Schärfe. Sie hörte wie die Klinge des wundervollen Reinblutschwertes ihres Gegenüber zärtlich die Luft durchschnitt, fühlte seine Schritte auf dem weichen Boden, sah seine Umrisse die sich nur um weniges langsamer bewegten als die ihren. Seine Finger berührten zaghaft ihre Wange im Tanz zweier kämpfender Leiber. Sie parierte all seine Hiebe und er die ihren, und nur selten traf eine verirrte Klinge auf einen Arm oder ein Bein, um eine kaum nennenswerte Wunde hinein zu reissen. Es war, als kämpften sie nicht, um einander zu besiegen, sondern allein zu dem Zweck, gekämpft zu haben. Sich der Leidenschaft singender Schwerter hinzugeben, dem Bann einer wohligen Erschöpfung zu verfallen, ihre unaufhörliche Gier nach dem Blut anderer zu stillen, einander so nahe wie möglich zu sein, und sich doch nicht zu nahe zu treten.

Er hatte ihren Angriff vorausgesehen und ihn mit solch unverhohlener Leichtigkeit abgewehrt, dass Jessy sich herausgefordert fühlen musste, wenn sie eine wahre Kriegerin sein wollte, und sie hätte der Verlockung auch nicht wiederstehen können, den Krieg mit einem einzigen Stoss durch das Herz dieses Mannes zu beenden. Und jeder, der einmal gegen einen bedeutenden Gegner gekämpft hatte, hätte sie für diesen bewundert, und es ihr gleichgetan.

„Ihr kämpft gut!“, lobte Arthex. Sein Atem ging schnell und seine eben noch animalischen Reflexe verloren allmählich an Eindruck. „Schnell, präzise und gnadenlos. So wie einst ich, als ich noch voller Unschuld war wie ihr!“

Jessy lachte widerwillig während sie versuchte, ihr rasendes Herz zu beruhigen und Kraft zu sammeln für den kommenden Akt. „Wäre ich so unschuldig wie ihr glaubt, stünde ich nicht hier und kämpfte!“

Sie überraschte ihn mit einem schwungvollen Hieb, dem ihr Gegenüber nur mit einer knappen, mühevollen Bewegung entging. In seinen Augen entflammte die liebloseste Lust, und der ewige Tanz, der sich um Leben und Tod rankte wie das dornenbewehrte Gestrüpp eines Busches schwarzer Rosen, begann von neuem. Doch in das Tosen und Wüten zwischen den beiden mischten sich nun erste Anzeichen von Kraftlosigkeit und obwohl ihrer beider Lippen nur ab und an ein kaum als Geräusch zu bezeichnendes Keuchen, ein leises Stöhnen oder Ächzen verlauten liessen, war die Anwesenheit von Erschöpfung eine nicht mehr zu leugnende Tatsache geworden. Jessy liess ihr Schwert sinken.

„Eure Hiebe treffen, was ihr sie treffen lassen wollt!“, hauchte Arthex, und über seine erkalteten Züge, die es irgendwie falsch wirken liessen, huschte ein flüchtiges Lächeln, kaum mehr, als ein verirrtes Schmunzeln, das so fehl am Platze war, wie es irgend sein konnte. „Selbst ein erfahrener Fechter wie ich es bin tut schwer daran, ihnen zu begegnen. Und doch vergisst du immer ein entscheidendes Detail auf deinem Weg zur Perfektion.

„Und welches wäre das?“

Die Spitzen der Klingen liebkosten einander leise summend, während sich die beiden Kämpfenden in einem tiefen Blick verloren, der nichts verhiess als blosse Zweisamkeit. Zwei Kriegerherzen schlugen im Einklang zum Takt ihrer Schritte, deren lautloses Lied noch nicht gänzlich verebbt war, und das Blut pulsierte in ihren Adern wie um eine Melodie zu singen, die nur für die beiden bestimmt war. Es wütete kein Krieg mehr am Waldrand, es lauerten keine Megrath mehr im Gehölz und beobachteten ihr Handeln, übrig waren nur Jessy, ihr Gegner, und die Anspannung absoluter Konzentration.

Und dann zog er etwas unter seinem Umhang hervor, und liess es fallen.

Es war nur ein Tuch aus weisser Seide, auf das in grossen, goldenen Lettern ein Wort gestickt worden war, das Jessy nicht lesen konnte, doch für den Bruchteil eines Augenblickes zog es ihre Aufmerksamkeit auf sich, und ihr Blick folgte dem Tuch, das unheilverkündend im Wind schaukelte. Arthex holte zu einem Schlag aus, der ihr vielleicht nicht entgangen wäre, hätte sie sich wie bis anhin nur dem Gefühl hingegeben, dass ihr seine Augen vermittelten, doch die kaum nennenswerte Sekunde der Unaufmerksamkeit, hatte sie den Vorteil gekostet. Seine Faust, die den Griff seines Schwertes führte, traf sie so hart im Gesicht, dass ihre Lippen aufplatzten und sie das warme Blut auf ihrer Zunge schmeckte. Die Wucht des Aufpralles raubte ihr beinahe die Sinne, sodass ihr Gegner genügend Zeit hatte, mit dem Schwert zu einem entscheidenden Schlag auszuholen.

Das Reinblutschwert traf Jessys rechtes Bein, zertrümmerte ihr Knie und riss eine gefährlich tiefe, heftig blutende Wunde hinein.

Eine Woge unbeschreiblichen Schmerzes brach über Jessy herein. Ihre Beine brachen unter ihr weg, als bestünden sie nur aus Fleischfetzen und Haut und ein greller Schmerzensschrei entfuhr ihr, der die Vögel in den Baumwipfeln des Waldes verschreckte, sodass es aussah, als flögen sämtliche Blätter auf einmal fort. Sie schlug so heftig auf dem Waldboden auf, dass ihr für einen Augenblick der Atem wegblieb, dann krümmte sie sich vor Schmerz, griff mit beiden Händen nach dem blutenden Knie, und fühlte die Splitter dessen, was einmal ihre Kniescheibe gewesen war, durch die Wunde.

Arthex presste ihr die Klinge ihres eigenen Schwertes gegen die Kehle.

„Senke niemals den Blick vor deinem Gegner, denn nur in seinen Augen erkennst du seine Absichten!“

Er nahm das Schwert fort und legte es neben sie auf den Boden. Jessy wollte danach greifen, sie wollte aufstehen, doch es ging nicht. Jede Bewegung schmerzte so sehr, dass es ihr beinahe die Sinne raubte. Sie sah sich mit tränenden Augen um. Sie sah ihre Mutter weinen und schreien, aber das Rauschen des Blutes in ihren Ohren, schien ihre Laute zu ersticken. Sie sah ihren Vater der verzweifelt versuchte, sich von seinen Fesseln zu befreien, um seiner Tochter zu Hilfe zu eilen, dabei jedoch keinen Erfolg hatte und dann...-sah sie sein Gesicht so nahe vor dem ihren, dass sie seinen warmen Atem auf ihren Lippen fühlen konnte. Seine tiefbraunen Augen raubten dem Schmerz, der sie übermannt hatte, von einem Sekundenbruchteil zum nächsten sämtliche Intensität.

„Schade,“, flüsterte er und Jessy spürte, wie sich ihre Lippen zu seinen Worten bewegten. „wir hätten gut zueinander gepasst!“

Und damit küsste er sie.

Es war nicht nur irgendein Kuss, oder Jessy hätte es nicht gewusst wenn es nur irgendein Kuss gewesen wäre. Sie war noch nie zuvor von einem Mann geküsst worden, aber irgendwie fühlte sie, dass es mehr als nur irgendein Kuss gewesen sein musste. Seine Lippen waren so zart und weich, wie Jessy niemals geglaubt hätte, dass Lippen sein können, und sein Atem war wundervoll warm auf ihrer Haut. Für einen Augenblick fühlte sie nichts mehr um sich, als seine brennende Leidenschaft – und im nächsten Augenblick fühlte sie nichts mehr um sich als ein ekelhaftes, heftiges Pochen in ihrem rechten Knie.

Sie stöhnte leise und löste, nur widerwillig, ihre Lippen von den seinen, um an sich herabzusehen. Die Wunde blutete so stark, dass sie binnen weniger Augenblicke von einer unschönen Blutlache umgeben war, doch der schöne Fremde machte keine Anstalten, ihr zu helfen. Stattdessen stand er auf, wischte sein blutiges Schwert an den zerfetzten Kleidern Alexius’ sauber und stieg mit einer eleganten Bewegung aufs Pferd, wo er zunächst das Seil vom Sattelknauf löste, und es verächtlich vor Alexius’ Füsse warf.

Auf einen kaum nennenswerten Wink des Grosskönigs hin traten vier finstere Gestalten aus dem Unterholz. Jessy konnte sie nur verschwommen wahrnehmen, da ihr der Schmerz immer wieder die Tränen in die Augen trieb, doch selbst die grauen Schemen, die sie erkennen konnte reichten aus, ihr jedes Gefühl von Sicherheit und Wärme zu rauben.

Was dort aus dem Wald getreten war, das schien die Finsternis der Nacht und die Kälte eines garstigen Winters nicht nur mit sich zu führen, es schien ein Teil von ihnen zu sein und überall dort, wo ihre Füsse unter den langen Umhängen den Boden berührten, verdorrte alles Unkraut und verfaulte alles Laub, das wie Regen von den Bäumen fiel.

Sie schienen gewaltig zu sein, vielleicht keine Riesen, doch mit Gewissheit grösser als jeder andere Mensch, was an der Tatsache liegen mochte, dass sich das Dickicht immer enger um die vier zusammenzog und die Dunkelheit, die ihnen gefolgt war, in Bälde alles um sie her in seinen Bann geschlagen hatte. Mit ihren langen, auf seltsame Art beinahe farblosen, Umhängen, die in einem stetigen Wind tanzten, auch wenn es vollkommen windstill war, und die ein unheimliches Eigenleben zu führen schienen, waren sie eigentlich zu Hünenhaft, um sich im undurchdringlichen Gehölz des Waldes von Kieran ungehindert bewegen, und dermassen lautlos heranschleichen zu können, zugleich aber gelang es ihnen auf eine unheimliche Weise sublim zu wirken, und zerbrechlich. Ihre Bewegungen waren nahezu anmutig und sie waren nicht etwa hässlich, sondern im Gegenteil wunderschön.

Ihre schwarzen Gewänder verschmolzen unmerklich mit der Dunkelheit der Nacht, die sich hinter ihnen aufbäumte sodass sie selbst jetzt, da sie unmittelbar vor Jessy standen, nur schwer zu erkennen waren. Ihre langen, schneeweissen Haare, die von derselben Macht beherrscht zu werden schienen wie die wehenden und peitschenden Umhänge, waren das einzige, was sie von dem düsteren Bild abhob, dass sich in ihrem Rücken gestaltete und es glitzerte in der verblassenden Sonne wie Strähnen güldenen Strohs. Ihre grossen, rotglühenden Augen blitzten unter den finsteren Kapuzen und frassen gleichmässige Löcher in die Unheil dräuenden Masken, die ihre Gesichter verdeckten.

Als sie endgültig aus dem Wald hinaus auf die Lichtung traten, schein es auch um Jessy und Alexius Nacht zu werden.

Ein finsterer Schleier zog sich über Jessy zusammen und tauchte die Lichtung und alle, die auf ihr waren, in ein trübes Zwielicht. Eine eisige Kälte legte sich über sie und schien jedes fröhliche Empfinden aus ihrem Herzen heraus zu saugen. Erinnerungen an Kriege und Morde wurden wach, von denen sie sich geschworen hatte, sich niemals wieder an sie zu erinnern, sie glaubte innerlich zu verzweifeln und in ihrer Verzweiflung zu erfrieren und wie aus weiter Ferne hörte sie durch das Gewirr längst vergessener Bilder und Emotionen hindurch Arthex’ Stimme.

„Die Frau nehme ich mit mir,“, er machte eine flüchtige, fast wegwerfende Handbewegung in Jessys Richtung, „deren beider Schicksal lege ich in eure Hände!“

Ein lautes Wiehern erscholl, dann der dumpfe Schrei ihrer Mutter, gepackt und, mit Händen und Füssen um sich schlagend, aufs Pferd gehoben und schliesslich hörte sie das Geräusch von dahinrasenden Pferdehufen, das allmählich in der Ferne verklang.

Nur Augenblicke später konnte sie gar nichts mehr sehen.

Sie tastete über den staubigen Boden, der an manchen Stellen feucht geworden war und suchte nach ihrem Schwert, doch alles was sie erfühlen konnte war ihr eigenes, klebrig- warmes Blut das inzwischen überall zu sein schien. Die Wunde musste schlimmer sein als sie bis jetzt angenommen hatte und instinktiv sah sie an sich hinab, konnte unter der finsteren Decke, die sich über den ganzen Wald gelegt hatte, jedoch nicht einmal Grobheiten, ganz zu schweigen von Einzelheiten, erkennen.

Abrupt fühlte sie sich von einer starken Hand an der Schulter gepackt und herumgerissen.

Jessy erschrak so sehr, dass sie für den Bruchteil eines Augenblickes überhaupt nicht zu realisieren vermochte, wie ihr geschah, so fuhr sie, praktisch automatisch zur Gänze herum, die Hand zur Faust geballt, und schlug mit aller Wucht zu, die ihre verbliebenen Kräfte noch zuliess.

Ein greller Blitz durchfuhr sie mit aller Macht und spaltete ihren ganzen Leib in zwei Hälften. Einen Moment lang presste sie die Lieder so fest aufeinander, dass sie nichts mehr sah als eine wabernde rote Masse, die vor ihren Augen zum Tanz aufspielte, dann stiess sie einen entkräfteten, spitzen Schrei aus und sackte in sich zusammen.

Sie glaubte, jetzt endgültig das Bewusstsein zu verlieren und den zweifellos feindlich gesinnten Kreaturen, die sich irgendwo inmitten des schwarzen Nebels, der immer dichter zu werden schien, versteckten, hilflos ausgeliefert zu sein, als eine zweite Hand nach ihrer anderen Schulter griff und sie mit letzter Kraft aus der Benommenheit, die der weissglühende Schmerz über ihre Sinne gelegt hatte, zurück in die kalte Realität rüttelte.

„Beruhige dich, ich bin es!“

Jessy kniff abermals die Augen zusammen, dieses Mal jedoch ungemein sanfter, und versuchte den grauen Schleier, der nur entfernt an den Zustand vollkommener Trunkenheit erinnerte, zu verjagen und wenigstens einen Umriss zu erkennen, und tatsächlich zeigte ihr mehr als erbärmlicher Versuch Wirkung. Ihre Augen gewöhnten sich allmählich sogar an die Finsternis und sie erkannte zaghaft den, noch immer ein wenig verschwommenen Schemen ihres Vaters, der neben ihr auf die Knie gesunken war- vermutlich um seinen gebrochenen Fuss zu entlasten, dachte Jessy- und besorgt ihre Wunde beäugte, es jedoch nicht wagte, sie anzurühren. Umständlich schälte er sich aus seinem zerfetzten, blutverschmierten Hemd und wickelte es behutsam und mit scheinbar geübter Hand um das zertrümmerte Knie seiner Tochter, um wenigstens die Blutung ein wenig zu mindern, auch wenn Jessy ernsthaft bezweifelte, dass die hilflose Geste überhaupt etwas nützen würde.

Ein Schatten löste sich aus dem kompakten Nebel und ein dunkler Umhang begann sich um die beiden zu winden wie eine dünne schwarze Schlange. Im nächsten Augenblick tauchten aus dem Meer tosenden, schwarzen Samtes ein vermummtes Gesicht, in dem zwei blutrote Augen leuchteten und eine krallenbewehrte Hand auf, die, so lautlos als habe jemand alle Klänge aus dem Wald von Kieran verbannt, auf Alexius einschlug.

Jessy schrie.

Wenigstens glaubte sie, sie hätte geschrieen, doch ihrer Kehle war kein einziger Ton entronnen während sie in dem erdrückend düsteren Nebel gerade im rechten Augenblick ihr Schwert zu fassen bekam, und die Krallenhand der finsteren Gestalt einen Fingerbreit neben Alexius Ohr, von ihrem Arm trennte.

Kein Blut.

Die dunkle Gestalt taumelte und für den Bruchteil eines einzelnen Momentes sah es so aus, als wolle sie in die Knie gehen, erholte sich jedoch sofort wieder und ihre roten Augen verschwanden alsbald hinter den bebenden Fetzen ihres Umhanges. Jessy konnte noch den Armstumpf sehen, an dessen Ende noch Sekundenbruchteile zuvor eine Hand mit schwarzen Krallen gewesen war- die jetzt bereits nachzuwachsen begann.

„Lauf Jessy!“, schrie Alexius, stemmte sich in die Höhe und riss seine Tochter mit unglaublicher Kraft mit sich.

Und im nächsten Augenblick wünschte sich Jessy, Arthex’ Hieb hätte sie getötet.

Aus purer Routine wurde bitterer Ernst als sie gemäss aller Gewohnheit versuchte, ihr Gewicht auf das rechte Bein zu verlagern, um einen Schritt zu machen, und um ein Haar einfach wieder umgefallen wäre. Der Schmerz fuhr wie ein glühender Pfeil in ihr Bein und beinahe hätte sie die Gesinnung verloren, doch im letzten Augenblick bekam sie Alexius’ Schulter zu fassen und klammerte sich mit der Kraft der puren Verzweiflung daran fest. Der geschwächte Mann zitterte heftig unter dem Gewicht ihres Körpers, den er selbst nur auf einem Bein tragen konnte, und drohte seinerseits für den Bruchteil einer Sekunde das Gleichgewicht zu verlieren, fand jedoch beinahe ebenso schnell seine Balance wieder und Jessy entfuhr ein herzerweichendes Stöhnen.

Sie hätte vor Schmerz laut aufgeschrieen, doch zum Einen missfiel es ihr, sich vor ihrem Vater auf eine solche Art und Weise zu demütigen und zum Anderen hatte sie einfach nicht mehr die Kraft dazu. So presste sie tapfer die Zähne aufeinander und versuchte ihren Vater so gut es ging zu unterstützen und sich zugleich mit aller Macht darauf zu konzentrieren, nicht letztlich doch noch Ohnmächtig zu werden.

Die Wunde pochte heftig unter dem mehr als notdürftig gezimmerten Verband, der ohnehin binnen weniger Augenblicke durchgeblutet gewesen war und Jessy wünschte sich nach jedem, mehr von ihrem Vater Alexius getragenen, als aus eigener Kraft gegangenen Schritt, sich einfach hinlegen und einschlafen zu können. Ebenso gut wusste sie allerdings, dass das ihr Todesurteil gewesen wäre.

Hinter ihnen kroch die Dunkelheit heran, doch immer wieder verfingen sich die lebendigen Umhänge der finsteren Wesen zwischen den Ästen und Zweigen der Bäume, sodass sie sich kaum zu bewegen schienen. Alexius zerrte und schubste seine Tochter durch immer dichter werdendes und zum Teil dornenbewehrtes Gestrüpp. Er wurde nicht langsamer oder hielt gar inne wenn Jessy stolperte und er wagte es auch nicht, den Kopf zu drehen um zu ihren Verfolgern zurückzublicken, stattdessen zerrte er sie einfach mit sich, ohne Rücksicht auf ihre Verletzung oder seine eigene und die unendliche Angst, die von ihm ausging, hatte sich allmählich auch in Jessys Glieder geschlichen und in ihren Organen festgesetzt.

Und dann, so plötzlich als wäre sie aus dem Boden gewachsen, erhob sich vor den beiden eine Mauer, zerfallen und an manchen Stellen bereits von Moos bewachsen, aber massiv-

-und Alexius rannte einfach hindurch.

Er hielt nicht an und er wich ihr nicht aus, da hatte es auch keine Tür gegeben, die er hätte öffnen können, sondern er rannte geradewegs in die massive Steinmauer hinein und hindurch.

Jessy hatte sich bereits mit einer blutigen Platzwunde an der Stirn auf dem Boden liegen sehen und erschrocken die Augen geschlossen, um den Knall abzuwarten, doch er blieb aus. Stattdessen war sie mit einem Male von einem warmen, seltsam flauschigen Gefühl erfüllt und als sie die Lieder wieder hob, fand sie sich in einem gewaltigen Saal, dessen Decke sich unerreichbar hoch über ihren Köpfen erhob und der so geräumig war, dass man die gegenüberliegende Wand kaum zu erkenne vermochte.

Seltsam, dachte Jessy, ein so gewaltiger Bau musste von ausserhalb des Waldes doch deutlich zu erkennen sein, doch sie konnte sich nicht daran erinnern, jemals etwas so kolossales im Wald von Kieran gesehen zu haben, geschweige denn gewusst zu haben, dass es hier eine Festung gab.

Erst als sie durch die Mauer gestürzt und noch ein paar Schritte weiter gestolpert waren, hielt Alexius inne, liess endlich Jessys Hand los und sank keuchend und stöhnend in die Knie, während Jessy selbst überhaupt nicht mehr die Kraft hatte, sich sanft zu Boden gleiten zu lassen und sich stattdessen einfach fallen liess.

Sie atmete nicht weniger schwer als ihr Vater es tat und jetzt, wo sie hier sass und mit beiden Händen ihr Bein hielt, kehrte auch der Schmerz in ihrem Knie, den sie beim Laufen beinahe vergessen hatte, mit doppelter Heftigkeit zurück und hätte ihr um ein Haar das Bewusstsein geraubt, hätte sie nicht im selben Augenblick der Druck zweier starker Hände davon abgelenkt.

In Alexius Blick lag eindeutig grosse Sorge während er schweigend den blutgetränkten Stofffetzen seines eigenen Hemdes von dem zertrümmerten Knie seiner Tochter wickelte und die üble Wunde, die Arthex’ Schwert gerissen hatte, aufmerksam musterte. Dann stand er auf und ging, ohne ein Wort der Erklärung, durch den Saal zur gegenüberliegenden Wand.

Jessys Blick folgte ihm und erst jetzt fiel ihr auf, dass der Saal bis auf ein paar hölzerne Regale die zu allen Seiten an den Wänden standen, vollkommen leer war. Es gab keine Tische oder Stühle, nicht einmal Fenster und- und das war das seltsamste überhaupt- es gab keine Tür.

Aber wozu, dachte Jessy, brauchte eine Festung, die man durch die massiven Mauern hindurch betreten konnte, denn eigentlich überhaupt eine Tür?

„Was ist das für ein Ort?“, hörte sie sich fragen und ihre Stimme war schwach und zitterte. “Und was sind das für Wesen die uns verfolgen?“

Alexius war an eines der hölzernen Regale getreten und kramte mit der Rechten in einer kleinen Schublade, während seine Linke ein Stück über seinem Kopf einen kleinen Kasten vom Regalbrett nahm. „Alles zu seiner Zeit!“, gab er knapp zur Antwort, wandte sich um und kam mit den Kästchen und einem kleinen Fläschchen zu ihr zurück.

Abermals liess er sich neben ihr auf die Knie sinken, öffnete das kleine, blaue Fläschchen und schüttete seinen Inhalt, ein unheimliches, grün glühendes Pulver das einen bestialischen Gestank verbreitete, über ihre Wunde- und Sekunden später hörte der grauenvolle Schmerz auf.

Was blieb war das unangenehme Pochen und Ziepen, aber damit konnte sie leben, dachte Jessy, und atmete, zum ersten Mal seit dem Ende ihres Kampfes mit Arthex, tief und erleichtert ein.

„Du solltest deine Freude mässigen!“, sagte Alexius plötzlich. „Das Oglov- Pulver nimmt dir deinen Schmerz, aber es heilt nicht deine Wunde. Dazu bedarf es eines Arztes. Und ausserdem hält seine Wirkung nicht lange vor, wir müssen daher rasch handeln!“

„Handeln?“, Jessy war verwirrt. Auf ihre Fragen hatte sie noch immer keine Antwort bekommen und von Sekunde zu Sekunde warf ihr Vater mit seinem seltsamen Verhalten neue Fragen auf, die nach Antworten verlangten.

Alexius schwieg. Er öffnete das Kästchen und nahm ein sauberes weisses Tuch heraus das er, mit ebenso geübter Hand wie den Hemdfetzen zuvor, um ihr Knie wickelte und verknotete. Dann streckte er ihr Bein, nahm zwei kleine Holzlatten aus dem Kästchen die er, als provisorischer Schienenersatz zu beiden Seiten des verletzten Knies hinlegte und mit einem weiteren Tuch aus dem kleinen Kästchen festband. Wie um seine Arbeit einem letzten Härtetest zu unterziehen, ruckelte er noch einmal daran, nickte zufrieden, stemmte sich mühevoll in die Höhe und humpelte mit dem leeren Kästchen und dem blauen Fläschchen, in dem das Oglov- Pulver gewesen war, zurück zu dem hölzernen Regal, aus dem der die beiden Dinge genommen hatte, um sie an ihrem angestammten Platz zurückzulegen.

„Das hier ist die Cullenakbeth,“, begann er plötzlich und ohne Jessy eines Blickes zu würdigen, während er eine weitere Schublade öffnete und eine grosse, schwarze Kugel herausnahm, die er irgendwo unter den Fetzen seines Hemdes verschwinden liess, „ die Festung derer, die nicht gefunden werden sollen. Eine Art surrealer Schutzbunker, geschaffen von den Magiern Artmoores vor hunderten von Jahren. Zusammengehalten und vor den Blicken anderer verborgen alleine durch die Macht der Magier, die sie schufen. Doch mit den Magiern, die aus Artmoore flohen oder starben, verschwindet allmählich auch die Magie aus diesen Mauern und nicht mehr lange und die Cullenakbeth wird verschwunden sein. Deshalb kannst du nicht hier bleiben!“

Jessy erschrak. „Ich kann hier nicht bleiben?“, wiederholte sie. „Und was ist mit euch, Vater?“

Alexius seufzte und sein Atem wurde jetzt hörbar flacher. Er zitterte am ganzen Leib und als er weitersprach, bebte seine Stimme und Perlen kalten Schweisses erschienen auf seiner Stirn. „Wenn die Mauern Cullenakbeths beginnen sich aufzulösen, warten dort draussen die Aughrim auf uns, um uns zu vernichten. Wesen, die vollkommen anders sind als alle, gegen die du oder ich jemals zuvor gekämpft haben. Wesen, die weder Dämonen noch Geister sind und die in ihren Herzen, oder was auch immer sie an dessen Stelle besitzen, nichts anderes tragen als Finsternis. Sie werden uns jagen um uns zu vernichten und bevor unser beider Herzen nicht aufgehört haben zu schlagen, werden sie nichts anderes tun!“

Jessy versuchte den Worten ihres Vaters einen Sinn abzugewinnen, doch mit allem, das er ihr erzählte, wurde das Bild, dass sie sich vor ihrem inneren Auge zurechtgelegt hatte, verschwommener und unklarer.

„Dann werden wir uns ihnen stellen und kämpfen!“, schlug sie vor, doch Alexius schüttelte nur traurig den Kopf.

„Man kann gegen die Aughrim nicht kämpfen!“, erklärte er. „Noch ehe du eine Gelegenheit hättest dir zu überlegen, welchen von ihnen zu zuerst angreifen willst, wärst du bereits tot. Und ich würde mit Freuden sämtliche Qualen dieser Welt auf mich nehmen und mit meinem eigenen Leben dafür bezahlen um dir den Tod zu ersparen der dich erwartet, wenn du den Aughrim in die Hände fällst, auch wenn das bedeutete dass ich ihn selbst sterben müsste. Alles was wir tun können ist fliehen!“

„Dann fliehen wir!“, entgegnete Jessy, „Aber gemeinsam!“

Ein heftiges Beben erschütterte den Boden und Staub und kleine Steine regneten von der Decke. Die Risse in den Mauern, die immer schon da gewesen waren, wurden allmählich grösser und alles um sie herum begann auf seltsame Weise zu einer kompakten wabernden Masse zu werden die sich, langsam aber unaufhaltsam aufzulösen begann.

„Die Magie wird schwächer!“, murmelte Alexius wandte sich um und wagte es nun zum ersten Mal, seit sie ihr Gespräch begonnen hatten, in die Augen seiner Tochter zu sehen. „Hör mir zu!“, bat er und machte ein paar unsicher Schritte auf sie zu. „Der Wald von Kieran ist unser Vorteil, aber die Aughrim sind unendlich stark und wenn wir den Wald verlassen haben auch sehr viel schneller als wir. Alles was ich tun kann ist zurückzubleiben und sie aufzuhalten!“

Ein unheildräuendes Grollen ertönte und nur Augenblicke später war die, eben noch massive und tragfähige, Decke der Cullenakbeth verschwunden.

„Ich dachte man kann nicht gegen sie kämpfen!“, rief Jessy über den Lärm der verschwindenden Gemäuers hinweg.

„Ich will nicht gegen sie kämpfen,“, antwortete Alexius, „aber ich kann versuchen sie abzulenken um dir den Vorsprung zu verschaffen den du brauchst um die Stadt Galgareth zu erreichen. Dorthin werden sie dir nicht folgen denn die Aughrim offenbaren sich keinem Menschen ausser ihren Opfern. Wenn wir beide gehen werden wir beide sterben!“

„Nein!“ Jessys Entschluss stand fest. Ihr ganzes Leben lang war sie gezwungen gewesen zu kämpfen und nun, da das Leben ihres eigenen Vaters auf dem Spiel stand, sollte sie fliehen? Unmöglich! Sie konnte es nicht. „Ich bin eine Kriegerin und lieber sterbe ich kämpfend an eurer Seite als euch hier im Stich zu lassen!“

Sie hatte geglaubt, Alexius damit überzeugt zu haben. Sie hatte geglaubt, in damit stolz gemacht und dazu bewogen zu haben doch zu versuchen, gegen die Aughrim zu kämpfen, doch die schallende Ohrfeige die er ihr im nächsten Augenblick verpasste, bewies ihr das genaue Gegenteil.

„Elende Närrin!“, schrie Alexius, verzweifelt, nicht wütend, und Tränen traten in seine Augen. „Wenn du schon nicht gegen willst um dein eigenes Leben zu retten so bedenke dieses: wir beide sind die einzigen Menschen die wissen, dass deine Mutter noch am Leben ist und die wissen, wo sie sich befindet. Sterben wir beide, stirbt auch ihre Hoffnung auf Rettung und das kannst du nicht wollen! Also wenn du schon nicht fliehen willst um dich selbst vor dem Tode zu bewahren, dann fliehe um ihretwillen. Und wenn du dich weiterhin weigerst-„, er zog ihr Schwert in einer einzigen, fliessenden Bewegung aus der Scheide an ihrem Gürtel und richtete die Klinge auf ihre Kehle. „-werde ich dich eben dazu zwingen.“

Beinahe hätte Jessy gelacht. Alexius Erscheinung war lächerlich. Ein gebrochener alter Mann, verletzt und mit einem Schwert in Händen, dessen Gewicht er kaum tragen konnte, bedrohte sie, die sie womöglich der Welt beste Fechterin war und das nicht aus Zorn, sondern aus Verzweiflung und aus Mangel an Argumenten, mit denen er sie hätte überzeugen können.

„Ihr wollt gegen mich kämpfen?“, fragte sie, mit einem schon fast arroganten Unterton in der Stimme der aber ebenso rasch, wie er gekommen war, einem anderen Klang wich, der nun unzweifelhaft an Mitleid grenzte. „Ihr hättet keine Chance!“

„Dann erspar mir diese Niederlage und geh!“

Alexius schrie nicht mehr. Auch in seinen Augen war keine Spur von Wut oder Verzweiflung mehr auszumachen denn alles, was er von diesem Moment an noch zu tun imstande war, war flehen.

Ein weiterer Ruck ging durch die Festung und ein paar Felsbrocken von der Grösse menschlicher Köpfe prasselten auf Vater und Tochter nieder und verfehlten sie so knapp, dass es schon beinahe an ein Wunder grenzte dass weder Jessy noch ihr Vater Alexius von ihnen verletzt worden waren, doch die beiden schienen überhaupt keine Notiz davon zu nehmen. Jessy konnte nicht aufhören in das flehende blasse Gesicht ihres Vaters zu starren und die Tränen zu beobachten, die nun über seine schmutzigen Wangen kullerten und auf dem Boden zerbarsten.

„Ich bitte dich, Jessy,“, flehte er abermals. „geh. Durch die Südmauer. Du brauchst einfach nur hindurchzugehen dann bist du am Waldrand. Ich weiss du bist verletzt, aber du bist stark. Stärker vielleicht als alle anderen von denen ich weiss und deine Beine werden dich tragen. Sie tragen dich bis nach Galgareth. Aber du musst jetzt gehen! Bitte!“

Jessy hatte verstanden. Ihr Vater hatte, hier und jetzt, mit seinem Leben abgeschlossen. Nicht aus Angst oder gar um seiner Tochter damit wehzutun, sondern ganz im Gegenteil um sicherzustellen, dass sie, die sie noch ihr ganzes Leben vor sich hatte, dasselbe erleben durfte. Er würde hier bleiben um die Aughrim aufzuhalten, ganz gleich, womit sie ihn zu überreden versuchte und er würde sterben, damit sie leben konnte und so musste es nun geschehen und war nicht mehr zu ändern.

Sie konnte fühlen wie sich nun auch ihre Augen allmählich mit Tränen füllten, während sie ein paar Schritte vor ihm zurückwich, ohne sich von ihm abzuwenden. Das Schwert, das er ihr weggenommen hatte, liess sie ihm, damit es wenigstens einen kleinen Funken Hoffnung gab und so gerne sie auch noch einmal zu ihm zurückgegangen wäre und ihn in die Arme geschlossen hätte, so gut wusste sie doch auch, dass sie jede weitere Verzögerung ihren Vorsprung kosten könnte und dass Alexius Opfer dann umsonst gewesen wäre, daher senkte er das Schwert auch erst dann, als seine Tochter, den ganzen Weg rückwärtsgehend um die wenigen Augenblicke die ihr noch mit ihrem Vater vergönnt waren, nicht zu verschwenden, die Südmauer erreicht hatte und davor stehen blieb.

Wie sehr verlange es sie danach ihrem Vater zu sagen, dass sie ihn liebte, ihm zu versprechen alles menschenmögliche zu unternehmen um ihre Mutter aus den Fängen Alexius’ zu befreien, wie sehr wünschte sie sich, irgendetwas zu ihm zu sagen, ein Wort des Abschiedes vielleicht, doch gerade in diesem Augenblick, so, wie es immer gewesen war, fiel ihr nichts ein, so stand sie nur reglos da, weinend, und starrte ihn an während er ein letztes Mal für sie lächelte und sich dann von ihr abwandte.

Die trutzige Nordmauer vor der Alexius stand begann allmählich in sich zusammenzufallen, was einige wenige herunterstürzende Felsbrocken ankündeten und war dann, von einem Sekundenbruchteil zum nächsten einfach verschwunden. Sie brach nicht ein und sie löste sich auch nicht auf, sondern sie war einfach nicht mehr da, gerade so, als hätte es sie nie gegeben und unmittelbar dahinter schwebten die Aughrim, getragen von ihrem magischen Umhängen gut eine Handbreit über dem Waldboden und suchten nach ihnen und jeder Strauch und jeder Baum den sie mit ihren Klauen berührt hatten, war einfach verfault sodass der Wald von Kieran nur noch grau und tot wirkte und auch alles, was die Umhänge berührte, verdorrte und verblühte, als sauge die blosse Anwesenheit eines Aughrim die Kraft aus allem, das lebte.

Es dauerte eine ganze Weile bis der erste von ihnen sich träge umwandte und die beiden erkannte, vermutlich da die Macht der Magier auch nach dem Fall der Nordmauer noch einen Augenblick angehalten und die beiden vor den Blicken der Aughrim verborgen hatte, doch als ein einzelner Zipfel einer der Umhänge sich peitschend und wehend in ihre Richtung bewegte, ging alles ganz schnell.

„Lauf!“, schrie Alexius ein letztes Mal, dann hob er das Schwert seiner Tochter, holte unter seinem Hemd die glänzende schwarze Kugel hervor, die er zuvor eingesteckt hatte, und zerschlug sie in einer einzigen, fliessenden Bewegung auf dem steinernen Boden der Cullenakbeth.

Nur Sekundenbruchteile später war der ganze Raum von einem gleissend hellen Licht erfüllt, das nicht nur die Aughrim zurückwarf und in Rage versetzte, sondern das auch Jessy sofort schmerzhaft blendete, sodass sie das Gefühl hatte, das Licht brenne ihr tausende winzige Löcher in die Netzhaut und verzweifelt die Hände vor die Augen riss.

Sie taumelte einen Schritt zurück, stolperte und fiel gegen die Südmauer durch die sie ebenso mühelos hindurchglitt wie es bereits zuvor geschehen war, als sie, gemeinsam mit ihrem Vater Alexius, die geheimnisvolle Festung betreten hatte, dahinter stürzte sie vollends und blieb einen Augenblick lang benommen liegen.

Als sie die schmerzenden Augen wieder öffnete verunreinigten noch immer zahlreiche gelbe Punkte das Bild, das sich ihr bot, doch das wenige Klare das sie sah reichte aus um zu erkennen, dass ihr Vater tatsächlich recht gehabt hatte. Sie befand sich unmittelbar am Waldrand des Waldes von Kieran und dahinter erhoben sich die brennenden Ruinen, die von ihrem einst so friedvollen und wunderschönen Heimatdorf übrig geblieben waren.

Mühsam stemmte sie sich in die Höhe und blieb einen Augenblick auf dem unverletzten Bein stehen ehe sie es wagte, das notdürftig geschiente Bein abzusetzen und zu belasten, dann jedoch nahm sie allen Mut zusammen und wurde mit einem überraschend stabilen Gefühl belohnt. Sie verfügte zwar nicht annähernd über die Kraft die sie benötigte um richtig aufzutreten, schon aus Angst, ihr Knie könne einfach in Stücke brechen, doch das Oglov- Pulver, so übel es auch gerochen haben mochte, vollbrachte wahre Wunder. Sie fühlte nicht den geringsten Schmerz, lediglich eine kleine Benommenheit die von dem grossen Blutverlust ausging, aber damit konnte sie das Nachbardorf Galgareth allemal erreichen.

Sie wandte sich nach der Mauer um die sich vor ihr erhob, scheinbar massiv und unüberwindbar und streckte die Hand danach aus wie zu dem Versuch, wieder zurück zu gehen, doch die Mauer verwehrte ihr den Einlass. Sie legte nun auch die andere Hand darauf und tastete darüber, hämmerte ein paar mal mit aller Kraft dagegen aber nichts geschah. Die Mauer war eine Mauer wie sie es sein sollte, kalt, hart und unnachgiebig und Jessy begriff, dass es kein Zurück mehr gab.

Abermals füllten sich ihre, immer noch brennenden Augen, mit Tränen.

„Vater!“, murmelte sie schluchzend und presste die fiebrige Stirn gegen den kühlen Stein. „Ich werde Mutter befreien und alles erdenkliche tun um Eokin von Arthex zu erlösen, das schwöre ich euch bei meinem Blute! Euer Opfer wird nicht umsonst gewesen sein!“

Und damit wandte sie sich schweren Herzens um, liess ihren Vater und die Ruinen der Cullenakbeth hinter sich und verliess den Wald von Kieran.
 

Artmore brannte schon seit Tagen und es sollte noch brennen, da alle Krieger längst gefallen und alles Leben aus dem Dorf vertrieben worden war, doch die steinernen Fundamente der Stadt konnte das Feuer nicht einreissen. Sie würden stehen bleiben als ewiges Mahnmal an eine Schlacht, die Monate angedauert hatte ohne ein Ende zu finden oder gar einen Sieger hervor zu bringen und die einzig zu dem Zweck geschlagen worden war, die Gunst eines einzigen, falschen Königs zu erringen der es sich zum Ziel gemacht hatte, über allem anderen zu stehen und dafür alle Magie in der Welt auszusondern und zu vernichten. Die Zahl der Opfer, die ihm dieses Unterfangen abverlangte, gleichwohl ob Magier oder nicht, war ihm ganz gleich denn für einen Mann seines Ranges hatten sie weder Gesicht noch Namen und die Familien, die die Männer zurückliessen, konnten sich schliesslich ein neues Oberhaupt suchen das ihnen Geld nach Hause brachte.

Jessy war erfüllt von Abscheu und abgrundtiefem Hass während sie mit dem Gedanken an Arthex hinter ihrer Stirn durch die Ruinen von Artmore watete und dabei sorgsam darauf achtete, nicht etwa auf eine der Leichen zu treten, die trotz ihrem Ende, oder gerade deswegen, ein wenig Respekt sehr wohl verdient hatten, ganz gleich ob ein Bürger Artmores oder ein Krieger des Arthex’, denn nach dem Tode waren sie doch alle gleich. Wenn sie das nur schon zu Leebzeiten verstünden, dachte Jessy, und der Hass in ihr wich einem Anflug von Mitleid und Schmerz.

Seit sie den Wald von Kieran verlassen hatte, hielt sie eine, in anbetracht ihrer Verletzung, annehmbare Geschwindigkeit ein und blickte immer wieder über die eine oder andere Schulter zurück um sicherzugehen, dass ihr Vorsprung anhielt und zu ihrer eigenen Überraschung hatte sie schon vor einer Weile festgestellt, dass die Aughrim noch nicht einmal in der Nähe des Waldrandes waren, was sie natürlich mit neuem Enthusiasmus erfüllte, denn sie wusste, würden diese Bestien den Wald erst verlassen haben, so konnte sie sich nur retten, wenn sie Galgareth erreichte und immerhin war es noch ein ganzes Stück bis dorthin. Sie hatte die Ruinen Artmores nun zwar hinter sich gebracht, doch auch hier draussen auf den Feldern wurden die Gefallenen nicht weniger und überall brannten kleine und grössere Feuer die sie teilweise zu einer Abweichung von ihrem Kurs zwangen.

Ein leises Stöhnen erregte ihre Aufmerksamkeit.

Sie hielt einen Augenblick inne und sah sich nach allen Seiten um und schliesslich entdeckte sie unter den Trümmern einer eingestürzten Mauer zu deren beider Seiten Feuer loderte, eine einzelne, blutüberströmte Hand deren Finger sich zuckend bewegten wie um zu bedeuten, dass dort unten noch jemand am Leben war. Rasch ging sie hinzu und begann so gut sie konnte die Trümmer beiseite zu räumen, bis sie einen Kopf und den Grossteil eines Rumpfes freigelegt hatte.

Darunter eingeklemmt lag ein Mann, der grosse Ähnlichkeit hatte mit Alexius und vermutlich auch etwa in seinem Alter war, kraftlos und halbtot, der das zerfetzte Gewand und die geborstene Rüstung eines Rotschwarzen trug und mit der Kraft purer Verzweiflung seit Stunden, oder gar seit Tagen versuchte, am Leben zu bleiben.

Jessy wich ein paar Schritte zurück als sie sah, dass der Mann in der anderen Hand das Reinblutschwert hielt, bis sie erkannte, dass seine andere Hand an keiner Stelle mehr mit dem Rest seines Armes verbunden war, dann sah sie eine Weile zu, wie der bemitleidenswerte Krieger versuchte, sich selbst zu befreien, daran jedoch kläglich scheiterte.

„Du bist... keine Hexe!“, stotterte er entkräftet und scheinbar unter grossen Schmerzen. „Hilf mir!“

Doch Jessys Züge blieben kalt. „Warum sollte ich?“, fragte sie böse. „Läge ich an deiner Stelle würdest du keinen Finger rühren um mir zu helfen schon allein deswegen nicht, um gegenüber deinem König nicht ungehorsam zu sein!“

Der Krieger versuchte zu lächeln doch der zaghafte Versuch ging in einem gequälten Husten unter und im nächsten Augenblick erschlafften seine Züge und er sah sie an, ohne den geringsten Vorwurf oder Zorn in den Augen, sondern ganz im Gegenteil mit tiefem Verständnis und auf eine so liebevolle Art, dass Jessy gleich darauf ihre Worte bedauerte.

„Von nun an ist es.... ist es ganz gleich was ich noch tue,“ murmelte er resigniert, „.... ich werde sterben... damit ist er nicht mehr mein König!“

Er hatte recht, das wusste Jessy. Für einen Sterbenden gab es keinen König mehr, auch keinen Rang und keinen Titel, der Mann der vor ihr lag war nur noch ein Mensch, genau so rein und unschuldig wie am Tage, da er geboren wurde, denn all seine Sünden würden nach seinem Tode, der nicht mehr abzuwenden war, fortgewaschen werden.

„Mir wurde gesagt die Krieger des Arthex bitten niemals um Hilfe!“, bemerkte Jessy, doch der Fremde, schon wieder bei dem Versuch zu Lächeln gescheitert, schüttelte kaum merklich den Kopf. „Jeder Mensch lässt sich herab um Hilfe zu bitten.... wenn er.... dem Tode erst nahe ist!“

„Wie ist dein Name?“, wollte Jessy wissen. Sie wäre zu ihm heruntergekniet hätte sie ihr geschientes Knie beugen können, doch so musste sie den Sterbenden von oben herab durch seine letzten Augenblicke geleiten und deshalb hielt sie es für richtig, wenigstens einen Namen zu einem sterbenden Gesicht zu haben.

„D’ahiel!“, antwortete der Fremde, der nun nur noch flüstern konnte.

„D’ahiel!“, wiederholte Jessy. „Warum bist du Arthex in diesen Krieg gefolgt? Hasst du die Magie so sehr!“

Abermals versuchte D’ahiel zu lächeln und dieses Mal wäre es ihm beinahe gelungen, hätte nicht der Schmerz überwogen und ihn zu einem lauten Stöhnen gezwungen, dann schüttelte er den Kopf. „Nein, die wenigsten von uns tun das. Wir folgen.... Arthex weil wir.... weil wir Familien zu ernähren haben. Tja.... nicht einmal dazu.... war ich fähig!“

Das überraschte Jessy. Ihr war einmal gesagt worden jeder, der dem Grosskönig von Ildroil dient, hätte eine natürliche Abneigung gegen die Magie und ihre Verfechter, die aus guten Gründen heraus entstanden sei, manche, weil ihre Eltern von Magiern getötet wurden, andere, weil sie unter der Schreckensherrschaft finsterer Magier gelitten hatten, doch nie zuvor hatte sie mit dem Gedanken gespielt, dass Arthex’ Krieger gewöhnliche Soldaten sein könnten, die nur des Soldes wegen für ihren Herrn kämpften.

„Du wirst... verfolgt!“, sagte D’ahiel plötzlich und riss Jessy aus den Gedanken in die sie abgeschweift war. „Ja!“, antwortete sie. „Dein Herr hat mir seine Monstren auf den Hals gehetzt. Sie haben meinen Vater getötet!“ Die letzten Worte hatte sie nur geflüstert denn im Grunde war es dem sterbenden Krieger nicht von geringstem Wert ihre Leiden zu kennen und wieder füllten sich ihre Augen mit Tränen. D’ahiel hustete stark und Blut lief aus seinem Mund über seine Lippen und tropfte zu Boden. „Aughrim....“, stöhnte er, „dann musst.... du fliehen! Hier!“ Mit der gesunden Hand langte er unter seinen geborstenen Harnisch und förderte ein kleines weisses Tuch, das mit grossen goldenen Lettern bestickt war, zu Tage und reichte es Jessy, die im ersten Augenblick davor zurückschrak, da es dasselbe Tuch war wie das, das sie den Vorteil im Kampf gegen Arthex gekostet hatte, dann jedoch nahm sie es zögernd an sich. „Es wird... dir noch von Nutzen sein!“, erklärte D’ahiel knapp, dann verliessen ihn seine Kräfte.

Jessy drehte das kleine schmutzige Tuch ein paar Mal in den Händen und konnte nun endlich auch das Wort, das darauf geschrieben stand, entziffern. „Aironie!“, las sie laut vor, legte die Stirn nachdenklich in Falten und wandte sich schliesslich wieder D’ahiel zu, der sie aus grossen Augen heraus anstarrte. „Wer ist Aironie?“, wollte sie wissen, doch D’ahiel schwieg und Jessy sah, dass er gestorben war. Sie fuhr ihm mit der flachen Hand über die kalte Wange, schloss seine Lider und wickelte das Tuch, das er ihr gegeben hatte, um ihr Handgelenk.

Im nächsten Augenblick erscholl ein Bersten und Fauchen als bräche die ganze Welt in zwei Teile.

Jessy fuhr erschrocken herum und starrte in heller Aufregung zum Wald von Kieran zurück, nur um bestätigt zu bekommen, was sie bereits befürchtet hatte. Die Aughrim hatten ihren Vater und das undurchdringliche Dickicht des Waldes von Kieran hinter sich gelassen und hatten nun offenes Gelände betreten, auf dem sie unzweifelhaft sehr viel schneller sein würden als Jessy. Geistesgegenwärtig bückte sie sich, nahm D’ahiels Reinblutschwert an sich und löste angewidert die abgetrennte Hand vom Griff, ehe sie auf dem Absatz herum fuhr und so schnell sie ihr verletztes Bein tragen konnte in Richtung Midnachwald floh, der bereits die Grenze zwischen Artmore und Galgareth bildete.

Auch im Midnachwald lebten ganze Horden von Megrath, das wusste Jessy und obwohl es ihr ganz und gar nicht geheuer war schon wieder einen Wald zu betreten wusste sie doch, dass sie auf offenem Feld keine Chance gehabt hätte den Aughrim in ihren peitschenden und tobenden Umhängen, die immer genau so lang zu sein schienen, wie man sie gerade brauchte, zu entkommen.

Jessy hatte es stets vermieden durch den Midnachwald zu gehen um nach Galgareth zu gelangen, obwohl es eine Abkürzung von beinahe einer Stunde bedeutete, was nicht alleine daran lag, dass sie Wälder nicht mochte und dass sie sich ein wenig vor den Megrath fürchtete, sondern hauptsächlich daran, das der Midnachwald noch um einiges dichter und dunkler war als der Wald von Kieran und dass man sich, wenn man sich darin nicht auskannte, alsbald vor einer scheinbar kompakten Wand aus Stämmen, Zweigen und Blättern wiederfand, durch die es kein Durchkommen gab. Doch dieses Mal war ihr das vollkommen egal. Sie stürzte, das gigantische Reinblutschwert schwingend, einfach in den Wald hinein und hieb alles, das sich ihr in den Weg stellte, kurzerhand in Stücke. So war es natürlich ein leichtes für sie, ungehindert durch das Gehölz zu gelangen, allerdings hatte sie nicht bedacht, dass sie auf diesem Wege auch eine Schneise für die Aughrim hinterliess, die vielleicht nicht gross genug war, sie alle auf einmal einzulassen, aber immerhin gross genug um ihnen die Verfolgung durch den ansonsten so dichten Wald doch sehr zu erleichtern.

Jessy war es egal.

Das einzige, was in diesem Augenblick zählte war, ihren Vorsprung gegenüber den Aughrim aufrecht zu erhalten und Galgareth zu erreichen, bevor die Verfolger sie erreichten, und als ob ihre Karten nicht schon schlecht genug gewesen wären, liess in diesem Moment auch noch die Wirkung des Oglov- Pulvers allmählich nach und der Schmerz kehrte mit verstärkter Heftigkeit in ihr Knie zurück.

Jessy versuchte, dem einfach keine Beachtung zu schenken, doch das war leichter gesagt als getan und allmählich hatte sie mit jedem Schritt das Gefühl, dem Tode ein wenig näher zu kommen, statt vor ihm zu fliehen.

Hinter ihr sprengte der Umhang eines Aughrim heran und kam ihr mehrere Male bedrohlich nahe, ohne sie zu erwischen und ein paar Mal musste sie sich im laufen umdrehen und einen der gefährlichen Fetzen mit dem Schwert abwehren um selbst unverletzt zu bleiben und als sie das andere Ende des Midnachwaldes erreicht hatte, waren zwei der Aughrim bereits in greifbarer Nähe.

Jessy nahm ein letztes Mal alle Kraft zusammen über die sie verfügte. Die Wirkung des Oglov- Pulvers hatte mittlerweile wohl gänzlich nachgelassen was ihr der grauenhafte, kaum in Worte zu fassende Schmerz in ihrem rechten Knie deutlich machte, doch immer noch konnte sie, dank der lieblos gezimmerten Schiene ihres Vaters, auf das Bein auftreten und sie nutzte diese Tatsache soweit aus, wie es nur irgend möglich war. Fetzen von schwarzem Samt schlangen sich immer wieder um ihre Arme oder ihren Hals, doch allesamt Hieb Jessy im laufen mit dem Reinblutschwert entzwei und das Schreien und Hecheln der Aughrim in ihrem Nacken wurde immer lauter und unheimlicher. Schliesslich wuchs vor ihr, scheinbar unendlich weit vor ihr, die Silhouette des Wehrturmes von Galgareth allmählich zu stattlicher Grösse heran und gab ihr ein letztes Mal Hoffnung. Wenn sie den Turm erreichte war sie in Sicherheit. Er war Tag und Nacht besetzt und die Aughrim würden ihr, wie Alexius gesagt hatte, nicht nach Galgareth folgen. Sie rannte immer schneller, schrie vor lauter Schmerz während die Bandage um ihr Knie sich langsam dunkelrot verfärbte und warf das Reinblutschwert von sich, um noch einmal alles geben zu können-

-und dann brach die Schiene.

Sie hatte die instabile Konstruktion zu sehr belastet und ihr eigenes Blut hatte die hölzernen Latten aufgeweicht und schliesslich brechen lassen, als sie, nach alter Gewohnheit, das Knie zum Laufen biegen wollte und beim nächsten Schritt gab ihr rechtes Bein einfach unter ihr nach und brachte sie zu Fall- eine Körperlänge bevor sie den Turm von Galgareth erreichte.

Jessy fiel der Länge nach hin und schlug so hart auf dem steinigen Boden auf, dass sie sich eine üble Platzwunde am Kopf zuzog und gewiss unzählige Blessuren an Armen und Beinen, doch das merkte sie überhaupt nicht mehr. Der Schmerz, der von ihrem Knie ausging war so intensiv, dass sie überhaupt nicht mehr fähig war, noch irgend etwas anderes zu fühlen und es war ihr inzwischen auch egal, wenn die Aughrim sie töteten denn dann würde wenigstens dieser Schmerz endlich aufhören.

Doch sie taten es nicht.

Sekunden nur, nachdem sie gestürzt war und sich auf den Rücken gedreht hatte, war einer der Aughrim über ihr. Getragen von seinem Umhang schwebte er einfach unmittelbar über ihrem Körper liegend in der Luft und beobachtete sie mit zuckenden, unruhigen Blicken, während Fetzen seines Umhanges ihre Arme und Beine gegen den Boden pressten und ihr jedwede Bewegung verunmöglichten.

Nun konnte Jessy die Gestalten zum ersten Mal aus nächster Nähe sehen.

Ihre Körper waren lächerlich dürr- doch wozu hätten sie muskulös sein müssen wenn ihre Umhänge das Gehen und Kämpfen für sie übernahmen?- und in glänzende, schwarze Rüstungen gehüllt. Ihre Haare schienen ebenso lebendig wie ihre Umhänge und umschmeichelten ihre Gesichter wie die Hände unzähliger Verliebter. Die Masken, die ihr Antlitz verhüllten, waren ebenso schwarz wie alles andere an den düsteren Gestalten, sah man von dem weissen Haar ab, und enthielten lediglich zwei bösartig anmutende Schlitze für die rotglühenden Augen, Nase und Mund waren verborgen.

Einige Haarsträhnen jenes Aughrim, der über Jessy in der Luft schwebte, hatten damit begonnen, zärtlich ihre Wangen und ihre Stirn zu streicheln und der Aughrim schnüffelte immer wieder lautstark an Jessys Mund, wie um ihren Duft in sich aufzunehmen, damit er sich immer wieder daran erinnern konnte.

Jessy verstand ihre Absichten nicht. Sie hatten ihr Opfer, ihre Beute, und sie war wehrlos, warum schlugen sie nicht zu?

„Tötet mich!“, schrie sie unter Schmerzen und so schwach, dass es im Grunde kein wirklicher Schrei mehr war. „Damit dieser elende Schmerz endlich aufhört! Tötet mich, ich bitte euch!“

Abrupt liess der Aughrim ab von ihr und wich einige Schritte zurück. Jessy blickte ihm nach und sah, wie er einige geheimnisvolle Blicke mit den anderen tauschte, dann zogen sich die vier zurück und waren nach einer geraumen Weile aus ihrem Blickfeld verschwunden.

Jessy konnte es nicht fassen. Stundenlang war sie vor den vier Bestien geflohen, hatte ihren Vater zurückgelassen, hatte die grauenvollsten Schmerzen die sie jemals gehabt hatte auf sich genommen und den Kampf letztlich doch noch verloren, nur um hier, an einem Punkt an dem sie bereits mit dem Leben abgeschlossen und sich auf das Ende ihrer Schmerzen gefreut hatte, festzustellen, dass die Aughrim sie überhaupt nicht töten wollten.

Das durfte alles nicht wahr sein.

„Kommt zurück!“, schrie sie. „Kommt zurück und tötet mich endlich! Ich flehe euch an, tötet mich! Tötet mich!“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2009-06-26T17:01:02+00:00 26.06.2009 19:01
boaahhh ich liebe es wie du das ganze beschreibst!!!
sooo geil..eh ich könnte das nicht^^...außerdem...kannst du die ganzen wesen echt gut beschreiben...kann sie mir schon richtig vorstellen^^
jaa...deine sätze sind lang..aber das find ich nicht so schlimm...besser als abgehackte sätze und in deinen kapiteln passieren auch extrem viele sachen...die sicher nicht so leicht zu beschreiben sind wie...manch...oder viele andere FFs.Echt respekt!....ich könnte das nie in meinem leben so ausdrücken wie du!^^
aalso...ich les dann mal weiter^^

Von: abgemeldet
2007-07-12T18:38:27+00:00 12.07.2007 20:38
hi,
ich mag deine geschichte. Jedenfalls das, was ich noch gelesen habe, bis mir klar wurde dass ich sie wohl ausdrucken muss, um sie ganz zu lesen. Ich hasse es nämlich am pc so viel an einem stück lesen zu müssen ,).

dummerweise schreibst du extrem lange sätze.... das erschwert noch zusätzlich ... also bis zu der stelle wo ich gelesen habe, hast du einen satz geschrieben der satte 91 wörter hatte Oo.
bis jetzt der längste satz den ich je gelesen habe ^^.
ansonsten ist mir buis jetzt nichts aufgefallen was ich bemängeln konnte.
deine wortwahl ist absolut spitze.
nur wie gesagt: extrem lange sätze oO

mfg
evil


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