Wiedersehen macht bekanntlich Freude
Kapitel 1
Langsam hob der junge Mann seinen Kopf. Seine eisblauen Augen sahen den Barkeeper durchdringend an.
„Noch einmal das Gleiche“, wiederholte der Mann mit bereits schwerer Zunge. Seine Tonlage war tief und ein wenig kratzig. Deutlich war der russische Akzent in seiner Stimme raus zu erkennen. Die stickige Luft in der Bar tat seiner Lunge nichts Gutes. Doch das brachte ihn noch lange nicht dazu die Bar zu verlassen um seine Lunge mit frischer Luft zu füllen.
Er hasste diesen Ort!
Er hasste den Rauch, den schweren Alkohol, sein Leben und er hasste es, wenn er wieder Mal zu viel getrunken hatte und in eine bedrückte Stimmung fiel. In solchen Momenten hasste er einfach alles, war nur noch unzufrieden mit sich und seiner Umwelt.
Unruhig wanderten seine eisblauen Augen durch den Raum, ehe der junge Mann die schweren Augenlieder schloss. Doch seine Aufmerksamkeit war damit keinesfalls verschwunden. Auch wenn er viel getrunken hatte, seine Sinne waren noch immer wachsam.
Deutlich konnte er aus der schweren Luft die verschiedenen Gerüche heraus erkennen. Der viele Zigarettenqualm hatte sich mit dem süßen Geruch des Alkohols und dem säuerlichen Geruch mancher Gäste, die schon zu viel getrunken hatten und wenig vertrugen, gemischt.
Die meisten Gäste dieser Bar waren Männer, die wohl doppelt so alt waren wie er selbst. Ihre lauten und tiefen Stimmen vermischten sich in einem Wirrwarr aus Geräuschen, zu denen noch manchmal das Knarren der Stühle auf dem Holzfußboden mischte, genauso wie das klirren der Gläser.
„Dann betrink dich noch mehr, meinem Geldbeutel soll es nur recht sein. Aber wehe du fängst wieder Streit an, dann werf ich dich hinaus Tala und erteile dir Hausverbot. Dein letzter Wutanfall hat mich einiges gekostet“, sagte der Barkeeper, während er die klare Flüssigkeit in das Glas des jungen Mannes schenkte.
Der Angesprochene hob wieder seine schweren Augenlider und richtete seinen Blick auf den Barkeeper. Doch auf diese Drohung gab Tala nichts, er mochte den Mann nicht, er war ihn zu wieder.
Die dunkle Hose, von der Tala nicht wusste, ob sie von den ganzen Dreck und den Flecken so dunkel ist und früher Mal hell war, schnürte ihn am Bund den dicken Bauch ab, der unter einem grauen, mit Flecken besehen und viel zu kurzem T-shirt hervorquellte.
Angewidert rümpfte der junge Mann die Nase und hob sein Glas an die Lippen. Klare Wodka benetzte seine Zunge und rann seiner Kehle hinunter. Der Alkohol brannte und erfüllte sein inneres dennoch mit einer wohligen Wärme.
Außer ihm saßen nur wenige Gäste an der Theke, die meisten hatten sich zu kleinen Gruppen an einen runden Tisch gesetzt. Ihr schallendes Lachen und lauten Flüche, die selbst einen Hartgesottenen noch rote Ohren verpasst hätten, erfüllte die kleine und dunkle Bar mit einen verruchten Leben. Nur leise war die Musik aus dem Radio zu vernehmen und Tala war sich sicher, dass kaum einer der anwesenden Gäste auf die Musik achtete.
Er ließ seinen Blick durch den Raum wandern.
Die stickige Luft hatte einen grauen Ton von dem ganzen Rauch angenommen und verbarg so einiges vor allzu neugierigen Blicken. Das spärliche Licht von den wenigen Lampen schaffte dagegen keine wirkliche Abhilfe, es tauchte nur die hölzernen Möbel, die Theke, den Boden und auch die Dachbalken in einen orange Ton.
An einer Wand bemerkte der junge Mann zwei Menschen, offensichtlich ein Mann und eine junge Frau. Sie hatten ihre Leiber eng umschlungen, ihre feuchten Zungen erkundeten die Mundhöhle des anderen.
Während Tala auch noch den letzten Rest seines Wodkas hinunter kippte, sah er den beiden zu.
Die Hände des Mannes fuhren forschend über den Körper der Frau und verschwanden schließlich unter ihrem Top. Fast meinte Tala das Keuchen der Frau zu hören, der die Berührungen ihres Gegenübers sehr genoss und noch mehr wollte.
Energisch schüttelte der junge Mann seinen Kopf. So viel getrunken hatte er doch gar nicht.
Und doch spürte er den Drang, das Verlangen des Mannes selbst zu stillen.
Er stellte das leere Glas wieder auf den Tresen ab und legte noch das Geld hinzu.
„Müsste reichen, ansonsten schreib es mir an“, sagte Tala zu dem Barkeeper, der das Geld nahm und nachzählte. Anstatt etwas zu sagen, schüttelte der Mann einfach nur seinen Kopf und sah dem Rothaarigen noch nicht einmal nach. Solange seine Gäste sich benahmen und zahlten, konnten sie machen was sie wollten, er interessierte sich nicht für die Sorgen, die Probleme oder in irgendeiner anderen Weise für seine Gäste. Meistens waren seine Gäste, die sich an seinen Alkohol betranken, für ihr Unglück selbst verantwortlich. Betrogen sie hier doch ihre Frau, begannen Prügeleien oder vertrugen einfach keinen Alkohol weil sie davon nur depressiv wurden.
Die Schritte des Rothaarigen gingen dank des Wodkas langsam und schleppend. Leicht schwankend lief er auf den Mann und die Frau zu, die einfach nicht ihre Finger voneinander lassen konnten.
Ihre jungen und schlanken Leiber waren in heißen Küssen eng umschlungen. Tastend, als wären sie blind und könnten nur so das Aussehen ihres Gegenübers erkennen, fuhren die Hände über ihre Körper.
Trotz des schwankenden Schrittes war seine Haltung aufrecht und stolz.
Sobald er bei dem Pärchen war, griff Tala mit der Hand den Oberarm der Frau und zerrte sie weg.
Überrascht und auch erschrocken stieß die Frau einen schrillen Schrei aus. Sie stolperte über ihre eigenen ungeschickten Füße und landete mit einem weiteren Aufschrei auf den Boden der Bar. Unterdessen sah der Mann verwirrt drein und ehe er wusste wie ihm geschah, hatte sich der Rothaarige auch schon vorgebeugt und seine Lippen auf die des Mannes gelegt.
Doch die Starre des Mannes wehrte nur kurz, für Talas Meinung sogar zu kurz. Sobald der Mann begriff, was der Rothaarige da veranstaltete, stieß er den Russen von sich und schlug gleich wütend mit der Faust nach ihm.
„Du verdammte Schwuchtel such dir jemand anderen, aber nicht mich“, fuhr der Mann Tala dabei wütend an und stand mit drohender Köperhaltung vor ihm.
Tala bekam davon gar nichts mit, sobald ihm die Faut des Mannes an der Schläfe getroffen hatte, war er zu Boden gegangen. Weiße Funken tanzten vor seinen Augen in der Dunkelheit und schienen ihn in dien Irre zu führen. Kopfschüttelnd versuchte er sich wieder aufzurichten und zog sich an einen Tisch hoch. In diesem Moment holte der Mann erneut aus und wollte Tala in den Magen schlagen, doch war der Rothaarige dieses Mal schneller.
Er wich dem Angriff aus, stieß dafür aber einen weiteren Gast an und kam ins schwanken.
Der angestoßene Gast kippte sein volles Glas Bier unabsichtlich über einen weiteren Gast aus und so ging es weiter.
Wie der Barkeeper schon befürchtet hatte, war Tala wieder ein Mal nur da um für genügend Ärger zu Sorgen. Noch bevor er reagieren konnte, war schon die Hälfte aller Gäste aufgesprungen und hatten sich in eine Massenschlägerei verwickeln lassen. Die meisten von denen waren unfreiwillig hinein geraten, doch der Alkohol verleitete viele dazu die Sache nicht auf sich sitzen zu lassen, sondern ebenfalls zu zuschlagen.
Doch waren auch genügend Gäste darunter, die nur auf so was gewartet hatten und sich mit Vergnügen in die Prügelei zu stürzen.
Aber der Rothaarige gehörte zu keiner der beiden Gruppen. Er prügelte sich weder zum vergnügen, noch war er unfreiwillig hineingeraten. Genau genommen hatte er für diese Unruhe in der Kneipe ja gesorgt.
Und während er sich versuchte gegen den Teufel Alkohol zu wehren um nicht verlangsamt zu reagieren und viel einzustecken, gingen Tala in diesem Moment zich Gedanken durch den Kopf. Seine Aufmerksamkeit galt nicht dem Geschehen in der Kneipe. Wie in einem Film verfolgte er das Szenario und war auch Teil dessen, der nach anderen Schlug, Angriffe auswich und sich vor einem, auf ihn zufliegendes, Glas duckte.
’Schwuchtel…’.
Dieses eine Wort ging Tala währenddessen immer und immer wieder durch den Kopf. Schon so viele Male ist ihm das Wort zu Ohren gekommen und immer dann, wenn jemand andere seine Neigung bemerkte. Es waren nicht nur Männer die ihm wegen seiner Vorliebe zu seinem eigenen Geschlecht beleidigten, auch Frauen ließen sich hin und wieder auf dieses Niveau herab sinken und beschimpften den jungen Russen.
Aber was war schon dabei?
Er liebte Männer ja und?
Wenn er es sogar ganz genau nimmt, gibt es sogar einen bestimmten Mann den er besonders liebt. Aber bis jetzt hatte der Rothaarige keinen einzigen Gedanken daran verschwendet, dass seine Neigung unnormal wäre.
Die Meinungen der anderen waren ihm völlig egal, die Kommentare und Beleidigungen perlten an ihm ab wie Wasser. Es gab jedoch Situationen in denen er nicht so gelassen reagierte und an denen die Kommentare nicht wie Wasser an ihm abperlten, sondern tief in sein innerstes schnitten und ihn verletzten.
Doch solche Tage und darüber war Tala froh, gab es zum Glück so selten, dass er sie an einer Hand abzählen konnte.
„Hab ich dir nicht gesagt dass du deine scheiß Laune und deine scheiß Fresse halten sollst“, fuhr ihn plötzlich der Barkeeper mit lauter und aufgebrachter Stimme an. Tala erschrak als der Barkeeper plötzlich hinter ihm auftauchte und ihn an seinen Kragen aus der Bar zerrte.
Mit einer Kraft, die der Rothaarige dem alten und dicken Mann gar nicht getraut hatte, beförderte er den Rothaarigen aus seiner Bar.
„Und wehe ich sehe dich hier noch ein Mal, du hast Hausverbot du mistkerl“.
Mit einem lauten Knall wurde die Tür zur Bar geschlossen. Somit verstummte auch der Lärm von draußen.
Das einzige was Tala jetzt noch hörte war das Geräusch von Autoreifen, die über eine nasse Fahrbahn fuhren.
Es war bereits dunkel und nur eine einzige flackernde Straßenlaterne tauchte die Straße in ein mattes Gelb.
Der Rothaarige konnte spüren wie die Fasern seiner Kleidung gierig das kalte Wasser aus der Pfütze, in die er befördert wurde, aufsaugte und schon bald seine Haut mit einer feuchten Kälte benetzte. Es war unangenehm, aber was noch schlimmer für ihn war, waren diese verfluchten Kopfschmerzen die ihn wieder zu übermannen drohten.
Leise vor sich hinfluchend stemmte Tala sich auf die Knie.
Sein Kopf war gesengt und die roten Strähnen hingen ihm klitschnass vom Kopf und klebten an seiner Haut.
Die dicke und dunkle Wolkendecke ließ darauf schließen, dass der starke Regen so schnell nicht enden würde. Der rothaarige hatte weder ein Auto, noch Geld für ein Taxi und zu Fuß drohte ihm ein Marsch von gut einer Stunde bis er wieder zu Hause war. Bis dahin wäre er schon bis auf die Knochen durchnässt und hätte sich wahrscheinlich schon längst eine Lungenentzündung eingefangen.
„Ich hasse das“, flüsterte er leise in die Stille der Nacht hinein, als vor seinen Augen plötzlich Schuhe auftauchten. Schwarze Herrenschuhe, sauber und seltsamer weise trocken.
’Na super, wahrscheinlich guckt jetzt irgend so ein reicher Sack auf mich herab und will sich gleich daran erlaben mir irgendwelche Spenden zu geben’, dachte er sich und hob nur langsam seinen Kopf.
Seine Augen wanderten dabei ebenfalls höher und musterten den Mann vor sich neugierig.
Die schwarzen Herrenschuhe gingen über in eine schwarze und feine Stoffhose. ’wahrscheinlich trägt der Mann einen Anzug’, dachte sich Tala und ließ seinen Blick langsam höher wandern.
Er hatte Recht!
Der Mann trug einen schwarzen Anzug, welcher nur von einem Regenschirm trocken gehallten wurde. Passend zum Anzug trug der Fremde eine schlichte Krawatte. Die Haut des Mannes war hell. Nicht ganz so hell wie die von Tala, doch auch recht hell. Sein Gesicht besaß markante Züge und seine Augen…
’Seine Augen!’
Mit offenen Mund starrte Tala den Mann, den er nur zu gut kannte an und wäre am liebsten geflohen. Nie im Leben hätte er sich träumen lassen, dass sein alter Konkurrent, ihn in einen so erbärmlichen Zustand sehen würde.
Tala konnte nicht mit ihm zusammenleben, aber noch schlimmer war es ohne ihn leben zu müssen.
„Kai“, entgegnete der Rothaarige nur kühl zur Begrüßung, obwohl er eigentlich etwas ganz anderes hatte sagen wollen. Doch er verdankte es dem Alkohol, dass seine Gedanken vernebelt waren und ihm die Kopfschmerzen auch den letzten klaren Sinn raubten.
Tala wusste nicht ob Kai etwas auf seine Begrüßung erwidert hatte und wenn ja was es wohl war, denn der pochende Schmerz in seinem Kopf wurde zu stark. Wieder tauchte die völlige Finsternis auf die ihn einhüllte und die kleinen weißen Funken tanzten wieder frech vor seinen Augen.
Was genau geschah, nachdem Tala sein Bewusstsein verlor, hat er nie erfahren.