Photophobia von Chi_desu (a fear of light (die Angst vor dem Licht)) ================================================================================ Kapitel 1: Philopolemicist -------------------------- Also die FF spielt in der Zeit, als Light an Ryuuzaki gekettet ist. Sie wird ein paar Spoiler zwar nicht bis zum Ende aber doch bis zu gewissen wichtigen Stellen enthalten. Texte die in den eckigen Klammern [] stehn, sollen in einer anderen Sprache sein, in diesem Fall deutsch (denn eigentlich sprechen Light und die anderen ja japanisch miteinander). Weil meine andere DN Fanfic "Alter Ego" etwas anspruchsvoller is und mehr Zeit braucht, dachte ich mir, ich poste mal die hier, die ist simpler und mehr... romance. ^^ Und naja… Abwechslung mit den Titeln und so… deshalb diesmal lustige englische Begriffe. Photophobia - A fear of light (Die Angst vor dem Licht) *** philopolemicist - A person who loves to argue or debate (eine Person, die es liebt, zu diskutieren) Im Augenwinkel sah Light, wie Ryuuzaki den Kopf schüttelte. Er beugte sich rüber, um sehen zu können, was der sich gerade für eine Webseite anschaute. Zuerst hielt Light es für eine englische Seite, jedenfalls beschäftigte sie sich eindeutig mit Kira. Die vier Buchstaben prangten oben über dem Fließtext wie ein Logo. "Was liest du da?", erkundigte Light sich neugierig. Es war einigermaßen selten, dass Ryuuzaki eine Regung zeigte, während er auf den Bildschirm starrte. "Ich durchforste nur mal wieder eine Kira Webseite nach Informationen. Über manche Menschen kann ich wirklich nur staunen." Er rückte näher an den Bildschirm heran und als er vorlas, erkannte Light, dass es sich nicht um eine englische sondern eine deutsche Webseite handelte: "[Die Polizei ist unfähig. Täglich werden Verbrecher auf freien Fuß gesetzt. Vergewaltige eine Frau und du kommst auf Bewährung frei. Stiehlst du aber jemandem Geld, wanderst du ins Gefängnis. Wo ist da die Gerechtigkeit? Die Antwort ist Kira.]" Achselzuckend sagte Light: "So sind Menschen nun einmal. Sie klammern sich an diese falsche Utopie, ohne über die Folgen nachzudenken." "Du verstehst deutsch?", fragte Ryuuzaki erstaunt. Im Hintergrund horchte auch Lights Vater auf, dem diese Tatsache offenbar bisher unbekannt gewesen war. "Ja. In der vierten Klasse war mir sehr langweilig. Während die anderen quadratische Gleichungen lösten, habe ich mir deutsch beigebracht." "Wie viele Sprachen sprichst du?" "Ah, nicht sehr viele. Englisch, deutsch und chinesisch." Lachend fügte er hinzu: "Und japanisch natürlich." Ryuuzaki blickte ihn interessiert an. "Wieso ausgerechnet deutsch?" Light wusste, dass eine wahrheitsgemäße Antwort sicher nicht besonders gut ankommen würde. Trotzdem sagte er: "Ich habe Übersetzungen deutscher Bücher gelesen und fand sie unzureichend. Eine Übersetzung verändert das Original immer, deshalb wollte ich die Sprache lernen, um die Bücher im Original lesen zu können." "Es gibt auch gute spanische Schriftsteller. Welche Bücher waren das denn?" Ryuuzaki wollte einfach nicht locker lassen. "Naja, Nietzsche zum Beispiel. Aber eigentlich interessierte mich vor allem das Buch 'Mein Kampf'." Light verdrehte die Augen, als sein Vater hinter ihm ächzte. "Wieso liest du die verbotene Biografie eines Diktators?" Light verzog das Gesicht. "Nun, man könnte sagen, ich wollte die Natur des Bösen verstehen." Selbstverständlich fiel Ryuuzaki nicht eine Sekunde lang darauf herein. "Könnte man sagen… aber so denkst du nicht, nicht wahr?" Jetzt ließ Light von seinem Computer ab um Ryuuzaki direkt ansehen zu können. Er wollte keinesfalls dass L oder einer der Anwesenden das missverstand. "Nein so denke ich nicht. Damals war mein Vater mein Held und ich wollte unbedingt auch zur Polizei und in seine Fußstapfen treten. Deshalb habe ich mich mit Recht und Gerechtigkeit beschäftigt und bin unvermeidlich auch auf die Nazizeit und Hitler gestoßen. Ich halte es für blauäugig, ihn als eine Verkörperung des Bösen darzustellen. Er war ein Mensch, und kein Mensch ist einfach nur böse. Außerdem hat er alles Böse, das geschehen ist, nicht allein getan. Waren dann alle, die für ihn gearbeitet haben, auch böse? So viele Menschen? In einem Artikel eines Amerikaners habe ich gelesen, die Deutschen hätten schlicht eine 'Affinität zum Bösen'. Das ist eine naive und obendrein gefährliche Sichtweise." Light hätte erklären können, warum er es für gefährlich hielt. Aber Ryuuzaki war klug genug, es auch so zu verstehen. "Ich wollte nicht die Natur des Bösen verstehen, sondern die Natur des Menschen." "Also liegt es in der Natur des Menschen, böse zu sein?" "Es liegt in der Natur des Menschen, Böses zu tun." Light deutete auf den Bildschirm, wo die Webseite immer noch offen war. "Kira bringt Menschen um. Und was tun diese Leute? Sie verehren ihn." Ryuuzaki legte einen Finger an die Lippen und fragte: "Wer sagt eigentlich, dass das, was Kira tut, böse ist?" Matsuda und die anderen schienen ihren Ohren kaum zu trauen. Aber Light und Ryuuzaki, die als einzige sowohl die Tiefe dieses Gesprächs als auch dessen unterschwellige Bedeutung verstanden, beachteten die Anwesenden nicht länger. Dazu war der intellektuelle Austausch zu interessant. "Willst du mich in eine Grundsatzdiskussion über Gut und Böse verwickeln?", fragte Light grinsend. "Jeder hat seine eigene Definition, und ich werde mir nicht anmaßen, meine über die der anderen zu stellen." "Wieso kämpfst du dann so vehement gegen Kira?" "Erstens will ich meinen Namen von jeglichen Verdächtigungen reinwaschen. Zweitens halte ich persönlich das, was Kira tut, für falsch." "Warum?" "Ich wurde mit diesen Werten großgezogen. Es ist falsch, ein Leben zu nehmen, ganz egal mit welcher Begründung." "Kira tötet Mörder." "Zweimal Unrecht ergibt noch kein Recht." Ryuuzaki zog die Mundwinkel hoch zu etwas, was fast wie ein Lächeln aussah. "Wenn du einen Menschen töten müsstest, um Kira zu fassen, würdest du es dann tun?" "Du meinst, so wie du es mit Lind L Taylor getan hast?" Inzwischen starrten sie einander unablässig in die Augen, in der Luft hing eine unausgesprochene Herausforderung. "Nein, würde ich nicht." "War es deiner Meinung nach falsch von mir, so zu handeln?" "Ja. Um Kira zu fassen würde ich mich nicht auf dasselbe Niveau begeben. Du hast Taylor und die FBI Agenten geopfert. Was macht dich besser als Kira?" "Für jemanden, der so viele Menschen getötet hat, hast du ganz schön überzogene Moralvorstellungen." Light lächelte. Diesmal würde er sich nicht aus der Reserve locken lassen. Wütend konnte er einen intellektuellen Zweikampf nicht gewinnen. "Ich habe in meinem Leben noch nie jemanden getötet, weder direkt noch indirekt. Kannst du von dir selbst das Gleiche behaupten?" "Touché, Yagami-kun." Auf einmal grinste Ryuuzaki. Es dauerte einen Moment, dann grinste auch Light. Sie beide wollten diese Diskussion nicht ausarten lassen. Sie wandten sich unter den erstaunten Blicken der anderen wieder ihren Bildschirmen zu. Die anderen kapierten sicher nicht, was hier gerade passiert war. Light war selber ein bisschen erstaunt. Obwohl sie einander am Schluss teilweise sehr scharfe Anschuldigen um die Ohren geschleudert hatten, fühlte es sich nicht wie das Ende eines Streits an, sondern wie der Abschluss einer erfrischenden Diskussion. Erstaunt musste er feststellen, dass es großen Spaß machte, sich mit Ryuuzaki zu messen. "Ach, übrigens, Yagami-kun", sagte Ryuuzaki und fügte auf deutsch hinzu: "[Ich habe das Buch auch gelesen.]" ...tbc... *** Am liebsten hätte ich Light aus dem Buch zitieren lassen, einfach weils so schön pervers wäre, wenn ein Serienkiller aus der Biographie eines anderen zitiert, aaaber... ich hab das Buch halt nich gelesen *g* Kapitel 2: Lachanophobia ------------------------ Lachanophobia - The fear of vegetables (Angst vor Gemüse) "Sag mal, isst du eigentlich auch mal was Vernünftiges?", fragte Light und deutete mit seinem Messer auf die grauenvolle Ansammlung von Kuchenstücken, die Ryuuzaki sich auf den Teller geschaufelt hatte. Nachdem das Team für heute Feierabend gemacht hatte, hatten sie sich wie jeden Abend in die Küche begeben, um sich Abendessen zu machen. Zumindest Light machte sich Abendessen. Ryuuzaki hatte sich bloß eine Auswahl von Kuchen aus dem Kühlschrank geholt und sich die besten rausgesucht. "Ist das nichts Vernünftiges?" "Es macht dick und krank. Du kannst doch nicht die ganze Zeit nur Kuchen in dich reinstopfen." Ziemlich angewidert betrachtete Ryuuzaki das Gemüse, das Light in seine Pfanne schnitt und sagte: "Wenn man klug isst, wird man auch mit meinem Speiseplan nicht dick. Außerdem esse ich lieber etwas, das mir schmeckt. Wenn ich mal sterbe, will ich krank sein und nicht gesund." Lachend schüttelte Light den Kopf. Er goss etwas Öl in die Pfanne und schwenkte das Gemüse. Seit zwei Wochen hatte er sich nur von Pizza, chinesischem Essen und den anderen Dingen, die man so über den Zimmerservice oder beim Lieferservice bestellen konnte, ernährt. Inzwischen konnte er das nicht mehr sehen und deshalb darauf bestanden, sich selber was zu kochen. Offenbar war Ryuuzaki die Betätigung des Kochens völlig fremd, denn während er mit dem Finger schon mal von seiner Sahnetorte naschte, beobachtete er Light interessiert. "Du machst das ziemlich gut", bemerkte er. "Woher kannst du das?" "Was, kochen?", erkundigte Light sich, dem bei dem Gedanken an etwas Nahrhaftes das Wasser im Mund zusammenlief. Er konnte es kaum erwarten, etwas so schlichtes wie Gemüse zu essen. Anders wäre er auch über kurz oder lang hier verhungert. Gott sei Dank war Ryuuzaki ausgerechnet in diesem Ferienhotel abgestiegen, wo einige Zimmer eine eigene Küche hatten. "Das ist nicht schwierig. Außerdem hat meine Mutter früher gearbeitet, da habe ich für Sayu und mich gekocht, als ich aus der Schule kam." "Du musst ja ein ganz braves Kind gewesen sein." Ryuuzaki wurde langsam ungeduldig. Diesen Charakterzug kannte Light inzwischen schon. Offenbar behagte es ihm ganz und gar nicht, Dinge im Stehen zu tun, und essen schon gar nicht. Deshalb hatte er bisher nur von seinem Kuchen genascht und wartete sehnsüchtig darauf, sich endlich hinsetzen und die Kuchengabel in seinen Köstlichkeiten versenken zu können. Wenn Ryuuzaki Hunger hatte, wurde er unleidlich wie ein kleines Kind. Einem weniger guten Beobachter wäre das vielleicht nicht aufgefallen, aber Light hatte festgestellt, dass Ryuuzakis Bemerkungen dann einen Hauch schärfer wurden und sein Gesicht sich verfinsterte. "Ich bin ja gleich fertig", sagte er, obwohl er wusste, dass Ryuuzaki nie zugeben würde, dass er ungeduldig war. Dabei hatte Light sich extra ein Gericht ausgesucht, das besonders schnell ging. Für Ryuuzaki wohl aber doch nicht schnell genug. Als er den gierigen Blick bemerkte, mit dem Ryuuzaki seine Sahnetorte bedachte, seufzte Light und sagte: "Stell den Teller hin und komm mit." Verwundert aber gehorsam folgte der andere ihm ins Wohnzimmer, wo sie auf Lights Anweisung hin den Sessel in die Höhe hievten und ihn in die Küche trugen, direkt neben den Herd. "So, setz dich", sagte Light. Erst wirkte Ryuuzaki etwas verunsichert, aber dann schnappte er sich eine Gabel und den Teller und setzte sich hin. Light stellte die Herdplatte auf die höchste Stufe und schaute dann zu, wie Ryuuzaki sich ein riesiges Stück Kuchen auf seine Gabel häufte und in den Mund schob. Er kaute und dann blickte er Light mit einem so glücklichen Gesichtsausdruck an, dass der unwillkürlich auch lächeln musste. Manchmal war L wie ein kleines Kind, er konnte sich über solche Kleinigkeiten so freuen, dass es sogar Lights Herz anrührte. Eine knappe halbe Stunde später saßen sie gemeinsam am Küchentisch und waren beide zufrieden. Light hatte sein Gemüse ohne Ende genossen und Ryuuzaki hatte inzwischen fast die gesamte Ladung Kuchen vertilgt. Zum ersten Mal seit zwei Wochen kam in Light wieder so etwas wie ein Hunger auf Süßes auf. Bisher war er so von Ls Süßigkeiten umringt gewesen, dass er jegliche Form von Zucker gemieden hatte. Aber jetzt verspürte er das Bedürfnis, sich auch ein Stück Kuchen zu genehmigen. "Stört es dich, wenn ich mir auch ein Stück nehme?", fragte er. Ryuuzaki sagte: "Nein, bedien dich." Also stapfte Light rüber zum Kühlschrank, bei dessen Anblick jeder Ernährungsberater unweigerlich in Tränen ausgebrochen wäre. Die Auswahl war groß, aber er entschied sich für ein einsames Stück Schokoladenkuchen, das besonders lecker aussah. Es war Zufall, dass er Ryuuzakis Blick auffing, als er sich wieder an den Tisch setzte. Erstaunt fragte er: "Ist irgendwas?" Natürlich war etwas. Ryuuzaki starrte das Kuchenstück an, als wäre es das letzte Nahrungsmittel auf Gottes Erdboden. Light verstand überhaupt nicht, was jetzt wieder mit ihm los war. "Nein, schon gut." Ryuuzaki widmete sich wieder seinem eigenen Teller. Verunsichert ergriff Light die Kuchengabel und dachte darüber nach, was Ryuuzaki jetzt wohl wieder für ein Problem hatte. Er wollte seine Gabel gerade in dem Stück versenken, da fiel ihm etwas ein. Es war das letzte Stück Schokoladenkuchen. "Ah, Ryuuzaki… welcher ist eigentlich dein Lieblingskuchen?", fragte er scheinbar beiläufig. Die Antwort war wirklich herzzerreißend. "Schokoladenkuchen…" Ach herrje. "Das ist das letzte Stück", stellte Light fest. "Willst du es nicht haben?" "Nein, das ist deiner!" "Ich mag die anderen auch. Wenn dir der hier so gut schmeckt, nimm du ihn." Dem euphorischen Gesichtsausdruck nach zu urteilen hätten Ryuuzaki in diesem Augenblick alle Reichtümer der Welt nicht glücklicher machen können. "Wirklich?", fragte er mit großen Augen. Nachsichtig nickte Light und Ryuuzaki griff fast zögernd nach dem Teller und zog ihn zu sich rüber. Manchmal kann ich nicht fassen, dass dieser schrullige Typ da der große L sein soll, der Kira fangen will. Aber eigentlich… eigentlich ist er schon ganz okay. Ich mag seine verrückte Art. So in Gedanken versunken bemerkte Light den Blick nicht, den Ryuuzaki ihm zu warf. Wahllos hatte Light sich eine der Akten gegriffen, um sie nach Beweisen zu durchforsten. Es handelte sich um die Akte eines Mannes, der kurz vor seinem Tod eine Nachricht hinterlassen hatte. Davon wusste Light schon, Ryuuzaki hatte ihm die Fotos schon am ersten Tag ihres Kennenlernens gezeigt. Er kannte die Botschaft, die Kira L geschickt hatte: Wer hätte das gedacht, L? Todesgötter essen nur Äpfel. Die Botschaft war bedeutungslos. Aber diese Akte hielt Light zum ersten Mal in der Hand. Er hatte ja gewusst, dass Kira das Verhalten der Opfer vor ihrem Tod beeinflussen konnte, aber beim Anblick des Fotos wurde er sich dessen erst wieder richtig bewusst und mit dem Bewusstsein kam auch ein beunruhigender Gedanke. "Ist etwas, Yagami-kun?" Ryuuzakis Stimme riss ihn dieses Mal völlig unvorbereitet aus seinen Gedanken. Er blickte den Meisterdetektiv an, der neben ihm saß und wie immer mit diesen starren Augen anschaute. Hat er mich die ganze Zeit angestarrt, oder wie hat er es gemerkt? "Nichts." "Du hast so einen seltsamen Blick. Wenn dir etwas aufgefallen ist, solltest du die Erkenntnis mit mir teilen." Light klappte die Akte zu. "Es geht um die Botschaften, die Kira dir hinterlassen hat. Mir kam da ein erschreckender Gedanke." Neugierig geworden schob Ryuuzaki seinen Daumen in den Mund. "Und zwar?" "Als ich eingesperrt war, da gab es einen Moment, da… ich kann es schlecht beschreiben. Ich saß auf dem Boden und eigentlich hatte sich nichts geändert. Trotzdem schoss es mir plötzlich durch den Kopf, dass ich unmöglich unbewusst Kira sein kann. Ich weiß bis heute nicht, wie ich überhaupt auf die Idee gekommen bin." Light wusste natürlich, dass Ryuuzaki seinen Worten nur bedingt Glauben schenken würde. Er glaubte ja, Kira bereits gefunden zu haben. "Wieso habe ich das gesagt? Wie konnte ich glauben, ich könnte Kira sein?" "Das habe ich mich auch gefragt. Aber was hat das mit den Botschaften zu tun?" "Kira kann Menschen beeinflussen, das wissen wir. Vielleicht nur kurz vor ihrem Tod, das weiß ich nicht. Aber wenn nicht… was ist, wenn er mich dazu gebracht hat, das zu sagen, nein, es selbst für eine Weile zu glauben?" "Du meinst, Kira hätte dich dazu gebracht, dich zu stellen und inhaftieren zu lassen?" "Es ist nur so ein Gedanke. Nehmen wir an, dass er wusste, dass du mich verdächtigst. Meine Äußerungen haben dich mehr als alles andere von der Spur des wahren Kira abgebracht. Weißt du, ich habe Angst, dass Kira mich längst im Visier hat. Dass ich noch lebe, um dich von ihm abzulenken und dass ich sterbe, wenn ich meinen Zweck erfüllt habe. Einfach so." Ryuuzaki holte sich einen Donut vom Teller auf dem Schreibtisch. "Das klingt durchaus plausibel. Aber bisher gibt es keine Hinweise darauf, dass Kira Menschen über so lange Zeit beeinflussen kann. Bisher sind noch alle seine Opfer gestorben." Er deutete auf die Akte. "Diese Männer haben die Nachrichten kurz vor ihrem Tod geschrieben. Ich denke, hätte Kira dich beeinflusst, ein Geständnis abzulegen, wärst du jetzt längst tot." Light nickte, nicht wirklich überzeugt. Keiner wusste, wie Kira tötete und keiner wusste, wieviel Macht er wirklich hatte. War es auszuschließen, dass Light sich unter Kiras Einfluss hatte einsperren lassen? Wenn dem so war, dann würde Light über kurz oder lang auch sterben. Seelenruhig biss Ryuuzaki in seinen Donut und sagte mit vollem Mund: "Mach dir keine Sorgen, Yagami-kun." Das war alles. Keine Gründe, keine Erklärung, einfach nur 'mach dir keine Sorgen'. Seufzend widmete Light sich wieder den Akten. Manchmal hatte er das Gefühl, dass diese ganze Sache für Ryuuzaki nicht mehr als ein spannendes Spiel war. ...tbc... *** Danke für die Reviews! Ich freu mich ^^ Seid nachsichtig mit mir, ich bin noch nicht so lange Death Note Fan, muss mich erstmal den Charakteren und ihren Eigenheiten annähern. Mal sehen wie gut ich Ryuuzaki und den unschuldigen (also ohne Erinnerungen an das DN) Light treffe. Kapitel 3: Accubitus -------------------- accubitus – Sharing a bed for sleeping only (ein Bett nur zum schlafen teilen) Etwas war anders. Light hatte trotz seiner geistigen Kapazitäten eine ganze Weile gebraucht um zu merken, was es war. Inzwischen wusste er es. Ryuuzaki hatte offenbar eine neue Marotte entwickelt. Er starrte Light an. Und das war gar nicht so harmlos, wie es im ersten Moment klingen mochte. Light besaß ein gesundes Selbstbewusstsein und konnte durchaus damit umgehen, angestarrt zu werden. Ryuuzaki übertrieb es allerdings gewaltig. Er starrte nicht nur ab und zu. Sondern eigentlich zu jeder Gelegenheit, stundenlang. Das hatte es ganz schön in sich. Light hatte es fast zufällig gemerkt, heute Vormittag bei der täglichen Besprechung. Gemeinsam mit dem Team hatten sie im Wohnzimmer am Tisch gesessen und die Fortschritte diskutiert. Er hatte sich schon länger irgendwie unwohl (oder im Nachhinein eher beobachtet) gefühlt. Matsuda hatte gerade ausschweifend vom derzeitigen Ermittlungsstand berichtet, da hatte Light den stechenden Blick bemerkt. Ryuuzaki glotzte ihn mit geradezu unverschämter Intensität an, während er gelegentlich an seiner Tasse Tee nippte. Und auch Lights verwunderter Blick änderte nichts daran. Er starrte einfach, so als wollte er jede noch so geringe Regung in Lights Gesicht erfassen. Zuerst hatte Light versucht, den starren Blick einfach zu ignorieren. Aber wo er ihm einmal aufgefallen war, war es schwer, darüber hinwegzusehen. Immer, wenn er sich umsah, stachen ihm automatisch die schwarzen Pupillen ins Auge, die auf ihn fixiert waren. Dann hatte er es mit zurückstarren versucht. Auch das war gescheitert, weil es ihm nach einer Weile einfach zu kindisch geworden war. Deshalb fragte er Ryuuzaki nach der Besprechung einfach direkt: "Gibt es einen Grund, wieso du mich so angestarrt hast?" "Nein." Und damit war die Sache erledigt, oder zumindest schien Ryuuzaki sie für erledigt zu halten. Denn er starrte schon wieder. "Yagami-kun?" Ryuuzaki sprach wie immer völlig überraschend. Sie saßen, so wie meistens, am Computer, hatten aber aus Höflichkeit vorläufig aufgehört, zu tippen. Hinter ihnen hielt Matsuda gerade einen Vortrag über seine eigenen Erkenntnisse zum Kira Fall. Selbstverständlich waren die "sensationellen Fakten", die er vortrug, dem Kopf des Ermittlungsteams und dem jungen Mann, der unfreiwillig an ihn gekettet war, längst bekannt. Aber da Ryuuzaki sich wahrscheinlich sogar freute, dass ihm jemand die Erklärungsarbeit abnahm (wenn er etwas erklärte, musste Light sowieso für gewöhnlich als "Übersetzer" fungieren, weil Ryuuzaki sehr gerne Fremdwörter benutzte, mit denen der Rest des Teams nichts anfangen konnte) und Light zu höflich war, um den jungen Polizisten darauf hinzuweisen, dass seine Erkenntnisse Schnee von gestern waren, taten sie beide so, als würden sie Matsuda zuhören. "Ja?", antwortete Light, leiser als Ryuuzaki. Erstaunlicherweise sagte Ryuuzaki auf deutsch: "[Kann ich dich mal was fragen?]" Er wählte die Sprache, die außer ihnen beiden garantiert kein anderer im Raum sprach. Also entschloss Light sich, vorerst mitzuspielen. "[Kann das nicht warten? Es ist unhöflich, sich zu unterhalten, während ein anderer spricht.]" "[Ich bin kein besonders höflicher Mensch.]" Sarkastisch erwiderte Light: "[Ach wirklich? Ist mir noch gar nicht aufgefallen.]" Light warf einen Blick über die Schulter. Matsuda hatte ihre Unterhaltung sehr wohl bemerkt, ließ sich davon aber nicht weiter stören. Na schön. "[Na schön, was wolltest du mich fragen?]" "[Gibt es etwas, das du nicht kannst?]" Die Frage erstaunte Light nun doch. "[Selbstverständlich. Ich kann zum Beispiel nicht… äh… Geige spielen.]" "[Nein, so meinte ich das nicht. Gibt es etwas, das du versucht hast, das dir aber nicht gelungen ist?]" Jetzt musste Light wirklich überlegen. Da gab es doch bestimmt irgendwas. Aber wenn er so darüber nachdachte, war ihm bisher eigentlich alles, was er angepackt hatte, auch gelungen. Er war ein Schüler mit perfekten Noten gewesen, und zwar in jedem Fach. Handwerklich war er begabt, zumindest soweit er das bisher ausprobiert hatte. Er konnte gut mit anderen Menschen, er war gut im Sport… Ein Grinsen stahl sich auf sein Gesicht, als ihm etwas einfiel. "[Ich kann nicht verlieren.]" Ryuuzaki grinste ebenfalls. Das geistige Kräftemessen mit dem Meisterdetektiv machte Light wirklich Spaß. Also fragte er: "[Und was ist es, was du nicht kannst?]" Und die Antwort war ebenso gewitzt wie die von Light es gewesen war. Mit einer Kopfbewegung in Richtung Matsuda sagte Ryuuzaki: "[Ich kann schlecht zuhören, wenn jemand über etwas spricht, das mir längst bekannt ist.]" Light lachte. Es war das erste Mal seit Wochen, vielleicht sogar Monaten, dass er einfach lachte. Und als Ryuuzaki dann mit einstimmte, hielt Matsuda dann doch endlich die Klappe und starrte die zwei verstört an. "H-hab ich etwas Dummes gesagt?" "Nein", antwortete Light amüsiert. "Wir haben nicht über Sie gelacht." "Oh…" Trotzdem war Matsuda offenbar die Lust am Monolog vergangen. Er setzte sich brav wieder hin und das Team konnte sich wieder der Arbeit widmen. Mit einem Grinsen wandten sich die zwei Genies wieder dem Bildschirm zu. Ryuuzaki fragte unschuldig: "[Wir haben also nicht über ihn gelacht, hm?]" Im Hintergrund maulte Matsuda: "Ich hasse es, wenn sie das tun." Irgendwie bürgerte es sich ein, dass Light und Ryuuzaki die deutsche Sprache benutzten, wenn sie sich austauschen wollten, ohne den Rest des Teams einzubeziehen. Es war einfach unheimlich praktisch. Wenn einer von ihnen eine neue Idee hatte, konnten sie sich rasch beraten, ohne den anderen lange Erklärungen geben zu müssen. Für Light war es etwas völlig Neues, dass ihn jemand so schnell und ohne Probleme verstehen und seine Gedankengänge nachvollziehen konnte. Erst jetzt merkte er, dass er seine Ausdrucksweise und sein Vokabular offenbar die ganze Zeit unbewusst auf niedrigem Niveau gehalten hatte, um nicht anzuecken oder andere in Verlegenheit zu bringen. Ryuuzaki war ein Gesprächspartner, mit dem er sich auf einem Niveau unterhalten konnte, das einfach nur Spaß machte. Dem Rest des Teams behagte diese neue Entwicklung weit weniger. Sie wirkten immer einigermaßen ungehalten, wenn mal wieder so ein rascher Gedankenaustausch stattgefunden hatte. Vielleicht kamen sie sich ausgeschlossen vor oder sie erkannten, wieviel Ryuuzaki und Light ihnen tatsächlich voraus hatten. Seinem Vater hätte Light gerne manches erklärt, denn neben Ryuuzakis war dessen Meinung die einzige, die für ihn noch von Bedeutung war. Aber dann hätte er auch Matsuda und den anderen erklären müssen, worum es ging, und das war ihm meistens zu anstrengend. Noch interessanter als der gelegentliche Meinungsaustausch während des Tages waren aber die Nächte. Light und Ryuuzaki hatten völlig andere, um nicht zu sagen gegensätzliche Schlafgewohnheiten. Light bevorzugte es, nachts zu schlafen, idealerweise von etwa Mitternacht bis mindestens sechs Uhr. Ryuuzaki… nicht. Anfangs hatte Light entgegen jeder Vernunft geglaubt, Ryuuzaki schliefe überhaupt nicht. Aber das tat er sehr wohl. Nur nicht so wie andere Menschen. Nachts schien er sogar aktiver als tagsüber zu sein. Dafür neigte er dazu, gelegentlich einfach im sitzen einzunicken, etwa eine Viertelstunde lang vor sich hin zu dösen und dann wieder aufzuwachen und da weiterzumachen, wo er aufgehört hatte. Deshalb hatte es anfangs fast Krieg zwischen ihnen gegeben. Light hatte die Schlacht dann quasi gewonnen und auf seinem regelmäßigen, nächtlichen Schlaf bestanden. So kam es, dass etwa gegen Mitternacht sie beide ins Schlafzimmer umzogen, wo Light sich hinlegte und Ryuuzaki neben ihm saß mit einem Laptop auf dem Schoß. An irgendeinem Abend hatte Light nicht sofort einschlafen können. Mit im Nacken verschränkten Armen hatte er dagelegen und irgendetwas Sinnloses zu Ryuuzaki gesagt. Der hatte geantwortet und irgendwie war ein Gespräch daraus entstanden. Das war der Grundstein gewesen für eine neue nächtliche Routine. Ächzend schälte Light sich aus seinen Sachen und schlüpfte in seine Boxershorts, die er zum Schlafen trug. Müde kroch er ins Bett, auf dem Ryuuzaki bereits mit seinem Laptop saß. Light deckte sich zu, genoss noch eine Sekunde lang das trügerische Gefühl der Freiheit und hob dann den linken Arm. Es klickte und dann war er wieder an L gekettet. Eigentlich hätte er liebend gerne sofort geschlafen. Aber dazu waren die Gespräche, die sie beide ausgerechnet im Bett führten, zu spannend. Tagsüber neigten sie dazu, aus jeder Diskussion einen intellektuellen Zweikampf zu machen. Kurz vor dem Einschlafen war es ein Austausch über philosophische oder wissenschaftliche Themen, ganz ohne die Notwendigkeit, den anderen zu besiegen. Gestern hatten sie sich lange über Kontingenz und das Konzept von Ursache und Wirkung unterhalten. "Worüber wollen wir reden?", fragte Light mit geschlossenen Augen. "Wir müssen uns nicht unterhalten, weißt du? Du siehst müde aus." "Geht schon. Ich bin bloß nicht mehr in der geistigen Verfassung, mir ein Thema auszusuchen." "Wie wäre es mit… mmmh… Religion? Glaubst du an Gott?" "Ist das dein Ernst?", fragte Light. "Selbstverständlich." "Wie kannst du mich sowas fragen? Leute wie wir glauben nicht an Gott. Wenn du nur lange genug darüber nachdenkst, erkennst du, wie lächerlich die Vorstellung eines omnipotenten, immer da gewesenen Wesens ist. Ich bin Atheist." "Leute wie wir? Du denkst, dass ich nicht an Gott glaube, nur weil du es nicht tust?" Light lächelte selbstsicher. "Glaubst du denn an Gott?" "Ich bin Buddhist." "Oho, interessant." Selbstverständlich gefiel es Light, dass er Recht hatte. Obwohl er Ryuuzaki doch eher für einen Atheist gehalten hatte. "Buddhisten glauben nicht an einen Gott." "Aber wir glauben zumindest an irgendetwas." "Tu ich doch auch. Ich glaube an die Gerechtigkeit." Eigentlich öffnete Light seine Augen, weil er hoffte, Ryuuzakis Reaktion sehen zu können. Stattdessen blickte er direkt in ein paar schwarzer Augen, die ihn unverwandt und aus für seinen Geschmack viel zu geringer Entfernung anstarrten. L hatte sich über ihn gebeugt und blickte ihn neugierig an. "R-Ryuuzaki?!" "Ja?" "Könntest du mir von der Pelle rücken? Ginge das, ja?" "Verzeihung." Ryuuzaki richtete sich auf und rückte zurück auf seine Seite des Bettes. "Ich wollte nur etwas überprüfen." "Und was?" "Ich wollte sehen, ob deine Augenbrauen symmetrisch sind." ...tbc... Kapitel 4: Hypnopompic ---------------------- hypnopompic - the fuzzy state between being awake and asleep (der verschwommene Zustand zwischen Schlafen und Wachen) "Das ist die richtige Adresse!" Light deutete auf ein schäbiges, mehrstöckiges Haus. "Darin muss er sein. In diesem Haus ist Kira!" Ryuuzaki und er standen auf der Straße. Dunkle Regenwolken hingen über der Stadt, die so ausgestorben war wie eine Geisterstadt. "Gehen wir rein, Ryuuzaki?" "Ja." Sie betraten das Gebäude. Drinnen war es düster und heruntergekommen. Eigentlich war es ein verlassenes Haus. Irgendwie passte es nicht zu Kira, dass er sich ausgerechnet an so einem Ort einquartiert hatte. Zu zweit rannten sie die Stufen hoch, so schnell, als wollten sie einander in einem Wettrennen schlagen. Im dritten Stock blieben sie vor einer der Wohnungstüren stehen. Auf einem schmutzigen Schild über der Klingel stand ein Name: Hangyakusha. Light runzelte die Stirn. Furchtlos drückte Ryuuzaki die Klinke runter. Die Tür war offen. Gemeinsam betraten sie den Raum, Light ging voran. Drinnen war es finster, heruntergekommen und leer. Hier konnte doch keiner wohnen, oder? Sie arbeiteten sich vor bis zu dem größten Raum, der wohl mal vor langer Zeit das Wohnzimmer gewesen war. Und dort stand jemand, mit dem Rücken zu ihnen. "Kira!", sagte Light siegessicher. Keine Antwort. Auch Ryuuzaki war so eigenartig still. "Dreh dich um!", rief Light. "Es ist vorbei. Wir haben dich." Kira drehte sich um, ganz langsam. Licht fiel auf sein junges Gesicht und Light fühlte sich, als würde ihm der Boden unter den Füßen weggerissen. "Was… was geht hier vor?", stammelte er. Kira sah aus wie er. Es war, als würde er in einen Spiegel blicken. Und neben Kira stand etwas. Etwas Großes, Schwarzes, mit leuchtenden Augen. "Was ist hier los?", krächzte Light, dessen Verstand die Situation nicht begreifen konnte. Mit dem Lächeln eines Geisteskranken antwortete Kira: "Weißt du das wirklich nicht? Light Yagami ist Kira. Kira ist Light Yagami." "Das ist nicht wahr!" Light drehte sich zu Ryuuzaki um. "Ryuuzaki, er lügt, er-" Klick. Light blickte in den Lauf einer Pistole. Ryuuzaki hatte die scharfe Waffe auf ihn gerichtet, zielte auf einen Punkt zwischen seinen Augen. "Ich wusste es. Yagami-kun ist Kira." "Das ist nicht wahr!" Hinter dem schwarzen Lauf der Waffe, die fast sein gesamtes Blickfeld ausfüllte, sah Light, dass Ryuuzaki lächelte. "Es ist vorbei, Kira." Im Schlaf bäumte Light sich auf und Ryuuzaki ließ für einen Moment von seinem Laptop ab. Light sah gequält aus. Vielleicht hatte er einen Alptraum? Schweißperlen glitzerten auf seiner Stirn. Neugierig geworden beugte Ryuuzaki sich zu ihm hin und blickte ihn an. Angestrengt warf Light den Kopf hin und her und Ryuuzaki hätte alles gegeben um zu wissen, was sein Hauptverdächtiger in seinen Träumen sah. An Händen und Füßen gefesselt führte man Light die drei Stufen auf das Podest hoch. Jemand hielt seine Schultern fest, während ein anderer ihm den Strick um den Hals legte. Sein ganzer Körper zitterte, er wollte nicht verstehen, was hier geschah. Er war doch bloß ein ganz normaler Student. Er hatte noch nie ein lebendiges Wesen getötet. Wie konnten sie denken, er wäre Kira? Ihr macht einen Fehler!, wollte er ihnen ins Gesicht schreien, aber sie hätten ihm nicht zugehört. Es gab nur einen Zuschauer. L beobachtete Light ganz genau, wirkte eigentlich nur interessiert, so als würde er gleich einem ganz besonders spannenden Experiment beiwohnen. Angst schnürte Light die Kehle zu. Er wollte etwas sagen, irgendwas, damit Ryuuzaki seinen Irrtum erkannte, und diesen Wahnsinn stoppen würde. Aber ihm fiel nichts ein und genützt hätte es ohnedies nichts. Fünf Männer stellten sich an einem Pult mit fünf Knöpfen auf. Und ohne Vorwarnung drückten sie die Knöpfe und dann war der Boden unter Lights Füßen auf einmal fort und er stürzte. Der Fall war kurz, abrupt zog sich die Schlinge zu. Panik erfüllte Lights ganzes Wesen, als er nicht mehr atmen konnte. Solche Angst hatte er noch nie zuvor gehabt, niemals. Sein Körper war wie gelähmt. Tränen liefen ihm über das Gesicht und er sah L, Ryuuzaki, der lächelte, als hätte er einen ganzen Schokoladenkuchen vor sich stehen. Das konnte doch einfach nicht wahr sein! So konnte sein Leben doch nicht enden! Ich bin nicht Kira! Ich bin nicht Kira! Ich bin nicht Kira! Ich bin nicht… Schreiend fuhr Light im Bett hoch und erschreckte Ryuuzaki dabei so sehr, dass dem sein Laptop von den Oberschenkeln rutschte und auf den Boden krachte. Entsetzt rang Light nach Luft, umfasste mit einer Hand seinen Hals. Er musste im Schlaf die Luft angehalten haben, weil er wirklich das Gefühl hatte, um ein Haar erstickt zu sein. Er zitterte am ganzen Leib. So real war noch nie einer seiner Alpträume gewesen. Die Panik steckte ihm noch in den Knochen. "Yagami-kun? Hast du schlecht geträumt?" Zittrig blickte er Ryuuzaki an. Große Augen musterten ihn allenfalls neugierig. "Schlecht ist gar kein Ausdruck", krächzte er. "Yagami-kun, du weinst", stellte Ryuuzaki fest. Light wischte sich übers Gesicht und es war tatsächlich nass. Er hatte es gar nicht gemerkt. "Ich weine nicht", sagte er automatisch. "Entschuldige", kam es von Ryuuzaki bedauernd. "Du hast dich hin und her gewälzt, ich dachte mir schon, dass du einen Alptraum hast." Er streckte die Hand aus, aber Light war noch zu erschüttert, um zu begreifen, was Ryuuzaki im Begriff war zu tun. "Ich hätte dich wecken sollen." Wie ein neugieriges Kind strich Ryuuzaki ihm eine verschwitzte Haarsträhne aus der Stirn und hielt dann plötzlich mitten in der Bewegung inne. Als hätte er sich die Finger verbrannt zog er seine Hand ruckartig zurück. Er blinzelte und dann beugte er sich über das Bett, um seinen Laptop aufzuheben. Verwirrt strich Light sich über die Stirn, da wo Ryuuzaki ihn angefasst hatte. Er merkte, dass er seine andere Hand immer noch an seinem Hals hatte und ließ sie sinken. Immer noch klang seine Stimme schwach, als er sagte: "Du machst mich irre, Ryuuzaki. Jetzt träume ich dank dir schon, dass ich Kira bin." Er machte es schon wieder. Es war neun Uhr Abends, sie waren alleine im Büro, und Ryuuzaki starrte. Mit seinen Eulenaugen glotzte er Light ohne zu blinzeln unablässig an und der war kurz davor, an die Decke zu gehen. Jeder hätte die Nerven viel früher verloren. Light litt seit Tagen unter Schlafentzug, starrte seit Stunden auf den Bildschirm und nun das wieder. Abrupt drehte er sich mit dem Stuhl zu Ryuuzaki, der sich erschrocken in seinem Stuhl zurücklehnte. "Ryuuzaki, das reicht jetzt!", sagte Light zornig. "Ich weiß, dass du mich verdächtigst, Kira zu sein. Und ich weiß auch, dass du mich vierundzwanzig Stunden am Tag im Auge behalten willst. Aber hör um Himmels Willen auf, mich ständig so anzuglotzen! Ich kann mich nicht konzentrieren, das nervt!" Äußerlich völlig unbeeindruckt blickte Ryuuzaki ihn an. Er blinzelte einmal, zweimal, legte den Kopf schief und sagte dann: "In Ordnung." Und dann drehte er den Kopf wieder zum Bildschirm, so als wäre nichts gewesen. Das regte Light fast noch mehr auf. "Nein, nicht in Ordnung!" Light packte die Sessellehne und drehte Ryuuzakis Stuhl zu sich. "Wieso starrst du mich die ganze Zeit so an?" Plötzlich wich Ryuuzaki seinem Blick aus und starrte auf seine Hände. Light verstand gar nichts mehr. Er sah bloß, dass sein Gegenüber angestrengt über etwas nachzudenken schien. Bis zur Antwort verging eine lange Zeit. "Ich sehe dich an, weil du mich interessierst. Ich bin fasziniert von dir, Yagami-kun." "Wie bitte?" Light starrte den anderen unintelligent an. Das war so ziemlich das letzte, womit er gerechnet hatte. Eigentlich hatte er einen Vortrag über Sicherheit und Kira erwartet, aber ganz sicher nicht so ein Geständnis, quasi aus dem Nichts. "Fasziniert? Wie meinst du das?" Dann fiel es ihm ein. "Ach, weil du mich für Kira hältst." Wahrscheinlich dachte Ryuuzaki während seiner nervigen Glotzerei darüber nach, wie es sein konnte, dass Kira so die Kontrolle über seine Gesichtszüge beherrschte, während er Akten über seine eigenen Verbrechen studierte. "Nein, nicht deshalb. Ich wollte dir das eigentlich gar nicht erzählen, damit keine Missverständnisse entstehen. Aber ich wollte dich auch nicht belügen." Immer noch starrte Ryuuzaki angestrengt auf seine Hände. "Du bist eine faszinierende Persönlichkeit, dazu siehst du auch nicht so schlecht aus. Ich sehe dich gerne an und überlege, was in dir vorgeht. Das ist alles." "Mh… okay…" Etwas verunsichert ließ Light dieses unangenehme Thema auf sich beruhen und drehte sich wieder um zum Bildschirm. Auf so etwas wäre er sicherlich nie gekommen. Und es passte eigentlich auch nicht zu L. Vielleicht war es wieder eine der zahllosen Fallen, mit denen Ryuuzaki Light als Kira überführen wollte. Und trotzdem ließ dieses kurze Gespräch Light einfach nicht mehr los. ...tbc... *** Eigentlich hab ich für die Fanfic nur recherchiert, wie in Japan wohl früher die Todesstrafe ausgeführt wurde... Das is jetz vielleicht naiv, aber ich WUSSTE gar nich, dass die das heute noch praktizieren. Und vor allem wusste ich nich, WIE. Als ich die Artikel darüber gelesen hab, wurde mir richtig schlecht... das Schicksal, das Light erwartet hätte, wäre er gefasst worden... uääh. Das hat mich echt geschockt. Aber dafür... ist Episode 17 nich das allergeilste überhaupt?! Boah, ich find den Seiyuu von Light echt genial... wie er "Tou-san!" schreit da im Auto (will nich spoilern)... so hoch und total komplett verzweifelt... boah, Gänsehaut. Kapitel 5: Ichor ---------------- ichor - The blood of a god (Das Blut eines Gottes) Zum fünften Mal las Light sich dieselbe Zeile in derselben Akte durch und wieder wollte der Inhalt nicht bis zu ihm durchdringen. Er fühlte sich gerädert, so total erschöpft, dass sein Hirn einfach nicht mehr funktionieren wollte. Er kannte alle Informationen zwar längst in- und auswendig, trotzdem musste er sich ja irgendwie beschäftigen. Deshalb durchforstete er die Akten wieder und wieder nach einem Hinweis, den er bisher übersehen hatte. Außerdem erstellte er sich komplexe Listen, um Korrelationen zu finden, die vielleicht auf den ersten Blick nicht sichtbar waren. Aber dieser Tag hatte es so in sich, heute wollte es einfach nicht funktionieren. Nach seinem erschreckenden Traum heute Nacht hatte er das Gefühl, als hätte er überhaupt nicht geschlafen. Ryuuzakis ständig wachsamer, teils auch überwachender Blick zehrte zusätzlich an seinen Nerven. Es war gerade mal fünf Uhr Nachmittags. Das Team würde in frühestens einer Stunde nach Hause gehen und dann erwartete ihn auch bloß eine kurze Pause zum Abendessen und dann bis Mitternacht mehr von der Monotonie ihm längst bekannter Akten. Hinzu kamen dann noch bohrende Kopfschmerzen, die den Tag perfekt machten. Nur an seiner angeschlagenen Verfassung lag es, dass er seinen Stolz über Bord warf und zu Ryuuzaki sagte: "Ich brauche eine Pause." "Wir essen in einer Stunde." "Nein, jetzt." Er massierte sich die Schläfen. "Ich kann heute einfach nicht mehr, Ryuuzaki. Lass uns bitte irgendetwas anderes tun, als immer nur vor dem Computer zu sitzen." Sofort war sein Vater zur Stelle. "Fühlst du dich nicht wohl, Raito?" "Ich habe bloß Kopfschmerzen, Vater. Kein Grund zur Sorge." Ein langer, durchdringender Blick von Ryuuzaki folgte, und dann lehnte auch der sich zurück und sagte: "Vielleicht hast du Recht. Vielleicht würde eine Pause uns beiden ganz gut tun. Hast du einen Vorschlag?" "Keine Süßigkeiten. Am besten, nicht mal dieses Zimmer", ächzte Light. "Ich muss wenigstens mal für ein paar Minuten hier raus, mich bewegen. Von mir aus machen wir einen Spaziergang, aber ich muss mich irgendwie abreagieren." Ryuuzaki überlegte kurz. "Wie wäre es mit einem kleinen Tennismatch, zur Entspannung?" Das war gar keine so schlechte Idee. Eigentlich war Light es gewohnt, lange zu sitzen und sich zu konzentrieren. Aber als er noch Schüler gewesen war, war er wenigstens morgens und abends unterwegs gewesen, und sei es nur, um zur Schule oder zum Nachmittagsunterricht zu kommen. Ein wenig sportliche Betätigung wäre ein perfekter Ausgleich zu dem langen Sitzen. "Halte ich für eine gute Idee." "Nun denn." Ryuuzaki stand auf und wandte sich an die anderen. "Ich würde vorschlagen, wir machen alle Feierabend. Sie können nach Hause gehen und ich gehe mit Raito eine Partie Tennis spielen." Den meisten schien die Idee zu gefallen, jedenfalls beschwerte sich keiner. An diesem Tag, der so furchtbar begonnen hatte, endeten die Ermittlungen schon um fünf Uhr nachmittags und mit Tennisschlägern bewaffnet machten Light und Ryuuzaki sich auf zum hoteleigenen Tennisplatz. Weil es schon relativ spät war, war glücklicherweise ein Platz für sie beide frei. Auf dem Weg nach draußen hatten sie verwirrte Blicke geerntet, weil Light und Ryuuzaki natürlich immer noch die Handschellen trugen, aber der Meisterdetektiv schien sich daran nicht sonderlich zu stören. Und in der momentanen Situation war es selbst Light einigermaßen egal. An der frischen Luft konnte er förmlich spüren, wie sein Körper neue Energie tankte und die Kopfschmerzen besser wurden. Nachdem sie ihre Schläger ausgepackt hatten, hielt Light demonstrativ seinen Arm hoch und sagte: "So können wir aber nicht spielen." "Oh. Das hatte ich ganz vergessen." Schuldbewusst blickte Ryuuzaki ihn an. "Ich hab die Schlüssel im Büro vergessen." "Das ist doch nicht dein Ernst!" Light war kurz davor, Ryuuzaki mit dem Tennisschläger zu verprügeln. Wieso schaffte dieser Kerl es immer wieder, ihn zur Weißglut zu treiben? "Willst du mich wahnsinnig machen, Ryuuzaki? Willst du das?" Ryuuzaki starrte ihn unbeeindruckt an und sagte ruhig: "War nur ein Scherz, Yagami-kun." Er hielt plötzlich einen Schlüssel in der Hand und Light wurde bewusst, dass er vielleicht den Verstand verlieren würde, noch bevor sie Kira gefasst hatten. Ryuuzaki machte ihn los und er rieb sich das Handgelenk, nicht weil es wirklich wehtat, sondern viel eher weil es sich plötzlich ganz ungewohnt anfühlte ohne das unnachgiebige Metall. "Also dann", sagte Light. "Fünf Sätze." Schon einmal waren sie im Tennis gegeneinander angetreten. Aber dieses Mal fühlte sich völlig anders an. Light erinnerte sich, dass ihm beim letzten Mal so viele Dinge durch den Kopf gegangen waren, auch wenn er nicht mehr wusste, was genau. Dieses Mal dachte er nur an eins: an den Sieg. Er wollte Ryuuzaki unbedingt besiegen, koste es was es wolle. Das erste Match hatte er damals gewonnen, aber das reichte ihm nicht. Er wollte L beweisen, dass das nicht bloß Zufall gewesen war. Light war ein Gewinner, kein Verlierer. Er wollte hören, dass Ryuuzaki zugab, verloren zu haben. Das Spiel war härter als beim letzten Mal. Sie schossen einander die Bälle um die Ohren und mehr als einmal hätte einer von ihnen fast einen pfeilschnellen Tennisball ins Gesicht gekriegt. Sie alle beide spielten dieses Spiel mit einer unfassbaren Verbissenheit. Nach dem vierten Satz stand es 2:2, Ryuuzaki lag im letzten Satz nach Punkten vorne. Einer seiner pfeilschnellen Bälle sauste genau auf die Linie zu. Light sprintete hinterher, streckte den Arm aus um diesen verfluchten Ball noch zu erwischen. Plötzlich änderte der seine Flugbahn, schlug ein und sauste auf Lights Gesicht zu. Im letzten Moment machte er eine eigenartige Verrenkung, der Ball sauste nur Millimeter an seinem Gesicht vorbei. Aber dabei knickte sein rechter Fuß um. Er stürzte und kam mit der rechten Hand voran auf dem Boden auf. Auf einmal lag er am Boden, gekrümmt, und hielt sich den schmerzenden Knöchel. "Yagami-kun!" Ryuuzaki war bei ihm. "Alles in Ordnung?" So eine dämliche Frage! Light setzte sich auf, um sich ein Bild von seinem Zustand zu machen. Sein Knöchel schmerzte wie die Hölle. Außerdem hatte er sich den rechten Ellbogen und die Handfläche aufgeschürft. Er massierte seinen Knöchel und sagte: "Ist nicht so schlimm." "Du blutest. Wir sollten das Match beenden." "Nein." Wild entschlossen starrte Light seinen Gegner an. Wenn das Spiel jetzt zu Ende war, war Ryuuzaki der Sieger, weil er nach Punkten vorne lag. Dieser schäbige Trick würde ihn ganz bestimmt nicht den Sieg kosten. Ryuuzaki reichte ihm die Hand und er zog sich daran hoch. "Das sind nur ein paar Kratzer und ich will dieses Spiel zu Ende bringen." Ryuuzaki starrte ihn eindringlich an. "Das ist ein Verhalten, wie Kira es an den Tag legen würde." "Was für einen Unterschied macht das? Geh zurück auf deine Seite. Wir spielen weiter." Der Rest des Spiels war ein wahrer Alptraum. Sein Knöchel tat weh, aber damit konnte Light umgehen. Aber es war schwer, mit seiner blutigen, aufgeschürften Hand den Schläger festzuhalten. Jeden einzelnen Punkt musste er sich hart erkämpfen. Aber sein Wille zu siegen war letzten Endes größer als der Schmerz. Das Ergebnis war ein hauchdünner Sieg und Ryuuzaki musste sich ein weiteres Mal geschlagen geben. Das Gefühl, das Light nach seinem Sieg hatte, war weder Triumph noch Freude. So war es einfach. Er war ein Sieger, so und nicht anders kannte er es. Nachdem sie die Handschellen wieder angelegt hatten, machten sie sich ausgepowert auf den Weg zurück ins Hotelzimmer. Light war sehr erstaunt, wie einfach es plötzlich war, ihn zufriedenzustellen. Er fühlte sich jetzt müde, aber auf eine sehr angenehme Weise. Ryuuzaki hätte sich am liebsten gleich wieder an seinen Computer gesetzt, aber Light hatte darauf bestanden zu duschen. Weil Ryuuzaki ihn konstant überwachte, war er selbst im Bad nicht allein, ein Zustand, an den er sich wohl nie so ganz gewöhnen würde. Aber darüber konnte er heute hinwegsehen, außerdem hatte Ryuuzaki ihm wenigstens die Handschellen erspart. Triefend kam er aus der Dusche und Ryuuzaki, der in seiner üblichen Pose auf dem Boden gekauert hatte, reichte ihm ein Handtuch. Light schlang es sich um die Hüften und machte sich erst jetzt, wo er das Blut abgewaschen hatte, daran, die Schürfwunde an seiner Handfläche zu untersuchen. An einer Stelle war wohl Dreck in die Wunde gekommen, deshalb kratzte er die Stelle wieder auf. Ryuuzaki stand auf und beobachtete ihn. Light drehte das Wasser auf und hielt die nun erneut blutende Hand unter den Wasserstrahl. Er bemerkte den neugierigen Blick und fragte: "Was ist? Ist das wirklich so interessant?" "Ich frage mich nur gerade, ob du wohl schmerzunempfindlich bist, Yagami-kun", antwortete Ryuuzaki. "Es war sicher nicht angenehm, mit der Hand den Schläger festzuhalten." "Ich wollte gewinnen. Da lasse ich mich von sowas doch nicht abhalten." "Zeig mal her." Ryuuzaki packte ihn am Handgelenk und hielt sein Gesicht so nah an Lights Hand, dass seine Nase sie fast berührte. Interessiert glotzte er die Wunde an und öffnete, ohne den Blick abzuwenden, mit seiner freien Hand eine Schublade. Erstaunt sah Light zu, wie der andere ihm einen weißen Verband um die Hand und das Handgelenk wickelte. Eigentlich hatte er Ryuuzaki eher als jemanden eingeschätzt, der keinerlei Einfühlungsvermögen besaß. Das hier passte nicht zu ihm. Als er fertig war, sah Ryuuzaki auf und erklärte: "Ich möchte vermeiden, dass du irgendwo im Zimmer Blutflecken hinterlässt." Ach so. Schon wieder leicht genervt zog Light sich unter dem unverschämten Blick Ryuuzakis an. An diesem Abend kamen sie nicht mehr dazu, weiterzuarbeiten. Zuerst genehmigten sie sich ein ausgiebiges Abendessen, danach schlug Light vor, etwas fernzusehen. Ryuuzaki meckerte, weil er weiterarbeiten wollte, aber Light erinnerte ihn daran, dass er allen für den Rest des Tages freigegeben hatte, und da schloss Light sich einfach mal selbst mit ein. Er hatte schlicht keine Lust mehr, nach dem anstrengenden Tennisspiel weiter zu recherchieren. Außerdem hatte sein verstauchter Fuß sich wieder gemeldet, nachdem der Adrenalinrausch des Kräftemessens abgeklungen war. Deshalb saßen sie am frühen Abend gemeinsam auf der Couch und versuchten, bei der Auswahl des Fernsehprogramms auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Ryuuzaki wollte offenbar die Nachrichten sehen, aber Light hatte heute keine Lust auf weitere Berichterstattungen über Kira und dessen Morde. Er suchte sich einen Psychothriller aus und ignorierte es, dass Ryuuzaki das Gesicht verzog. Dieser Abend war in jeder Hinsicht eine Ausnahme. Ryuuzaki schien sich mit seinem Schicksal abgefunden zu haben und Light hatte die seltene Gelegenheit, schon um elf Uhr schlafengehen zu dürfen. Aber dieses Mal fielen sie beide todmüde ins Bett. Ryuuzaki nahm seinen Laptop gar nicht erst mit, stattdessen überraschte er Light damit, dass er sich auszog und in eine lockere, schwarze Hose schlüpfte, die offenbar das war, was er zum schlafen zu tragen pflegte. Nebeneinander lagen sie ihm Bett und Ryuuzaki klang schläfrig, als er fragte: "Yagami-kun? Vermisst du deine Familie eigentlich?" "Ein Bisschen vielleicht. Ich sehe ja wenigstens täglich meinen Vater. Und er erzählt mir, wie es meiner Mutter und meiner Schwester geht." "Es könnte sein, dass du sie noch eine ganze Weile lang nicht wiedersiehst." "Ich weiß. Aber das ist schon okay." Ryuuzaki gähnte. Es war nicht wirklich völlig dunkel im Raum, weil von draußen helles Mondlicht durch die große Fensterfront schien. Light schloss die Augen, wollte aber noch nicht einschlafen. "Ryuuzaki… wie wäre es, wenn du aufhörst, mich Yagami-kun zu nennen?" "Wie soll ich dich sonst nennen?" "Wie wärs mit Raito?" "Raito, hm?" Er überlegte kurz und murmelte dann: "Ich glaube, es spricht nichts dagegen." Light fuhr sich durch das Haar und spürte dabei wieder den Verband um seine Hand. Trotz all seiner Merkwürdigkeiten war Ryuuzaki kein so schlechter Kerl. Konnte er gar nicht sein, schließlich kämpfte er mit allen Kräften gegen Kira. Manchmal trieb er Light fast in den Wahnsinn, aber dennoch… dennoch… Er musste dem Schlaf schon näher sein als dem Wachen, denn Light fühlte sich auf einmal so seltsam. Da lag ein anderer Mensch neben ihm in diesem Bett und auf einmal fand er das ganz eigenartig. Eine ihm bis dato unbekannte Sehnsucht erfasste ihn und, dem Schlaf schon so nah, wunderte er sich, was es damit wohl auf sich hatte. Ein Teil von ihm sehnte sich nach Wärme, ganz egal, woher sie auch kommen mochte. Ein Teil von ihm wollte weiter zur Mitte hin rücken diesen komischen Kauz L an sich ziehen und festhalten. Er öffnete nochmal die Augen und sah, dass Ryuuzaki sich zu ihm gedreht hatte. Light studierte die ebenmäßigen Züge des anderen, der mit geschlossenen Augen seltsamerweise auf einmal wesentlich… menschlicher wirkte. Menschlich und verletzlich. Er hat mich gern, oder? Das hat er doch gesagt… ich fasziniere ihn. Wenn ich diesen Kerl richtig verstehe, dann ist das seine Art, mir zu sagen, dass er mich gern hat. Vielleicht sogar… Ryuuzaki seufzte und seine Hand schob sich unter der Bettdecke hervor um den Daumen zwischen die Lippen zu drücken. Light ächzte fast unhörbar. Oh das kann doch einfach nicht wahr sein. Ryuuzaki lutschte im Schlaf an seinem Daumen… ...tbc... *** Danke für die Kommentare! Ich freu mich sehr ^_^ Kapitel 6: Thanatopsis ---------------------- thanatopsis - The contemplation of death (Das Nachsinnen über den Tod) Als Light morgens aufwachte, lag Ryuuzaki immer noch so da, den Daumen zwischen den Lippen wie ein kleines Kind. Nachdem Light seine fünf Minuten, die er zum Aufwachen und Anwerfen seines Verstandes benötigte, aufgebraucht hatte, kniff er die Augen zusammen und starrte Ryuuzaki an. Er lag völlig reglos da, als würde er nicht schlafen sondern… Den Gedanken wollte Light gar nicht zu Ende denken. Aber er konnte nichts daran ändern, wie er Ryuuzaki so daliegen sah, musste er unwillkürlich daran denken, wie es wäre, wenn neben ihm nicht ein Schlafender sondern ein Toter läge. Wenn Kira seinen Namen heute Nacht herausgefunden und ihn im Schlaf ermordet hätte. Die Vorstellung jagte ihm eine Heidenangst ein, obwohl er selbst nicht wusste, wieso. Bisher hatte er jeden Gedanken an Kira beiseite geschoben. Natürlich beschäftigte er sich fast Tag und Nacht mit Kira. Aber bisher hatte er den Gedanken nie zugelassen, dass nicht nur Ryuuzaki und er hinter Kira her waren, sondern umgekehrt genauso. Da draußen lauerte irgendwo ein Massenmörder, der jede Schwäche, jeden Fehler nutzen würde, um L und den Rest des Teams auszuschalten. Bisher hatte Light noch nie so weit gedacht. Aber was, wenn Ryuuzaki nicht als Sieger aus diesem Kampf hervorgehen würde? Wenn er sich eines Tages an die Brust fassen und einfach umfallen würde? Könnte ich damit leben? Wenn ich Kira wäre, wäre er mein Todfeind. Dann wäre ich es, der versucht, ihn umzubringen. Wenn ich Kira wäre… wenn ich Kira wäre… läge es in meiner Macht, ihn zu retten… Wenn… Es war ein eigentümlicher Schmerz, den ihm dieser Gedanke bereitete. Er beschloss, damit aufzuhören. Es machte keinen Sinn, über diese Dinge nachzudenken. Er war nicht Kira. Er stand auf Ryuuzakis Seite und würde mit ihm gemeinsam diesen Serienmörder fassen. Und dann… dann… Ryuuzaki runzelte die Stirn, ein Zeichen, dass er aufwachte. Sofort verflogen Lights düstere Gedanken und er beobachtete, wie der stoische, schrullige L erwachte. Zuerst kuschelte er sich noch tiefer in die Decke, als wollte er darunter verschwinden. Dann öffnete er ganz langsam die Augen. Die ersten Sekunden, in denen er sich schlaftrunken umsah, wirkte er wie ein völlig anderer Mensch. Unbefangen, neugierig und müde. Dann blinzelte er und seine großen Augen fixierten Light. Der konnte nun nicht mehr widerstehen, er packte Ryuuzakis Arm und zog ihm mit einem Ruck den Daumen aus dem Mund. "Das ist ungesund und macht schiefe Zähne", erklärte er. Darauf bekam er keine Antwort, nur das erbarmungslose Starren tiefschwarzer Augen. Es war hoffnungslos, Ryuuzaki zu einer menschlichen Reaktion bewegen zu wollen. Deshalb seufzte er und warf einen Blick auf die Uhr. "Schon kurz nach sechs. Wir sollten langsam aufstehen." Ryuuzaki folgte seinem Blick. "Die Uhr trägst du ständig. War sie ein Geschenk?" "Mein Vater hat sie mir geschenkt. Sie ist mir sehr wichtig." "Ah ja." Ryuuzaki setzte sich auf. Der Vorteil an so einer zerzausten Frisur war es, dass man beim Aufstehen noch genauso aussah wie beim Einschlafen. Grinsend schaute Light zu, wie der andere aufstand und sich entspannt am Oberschenkel kratzte. Egal wie schön es im Bett war, so langsam musste er auch aufstehen. Er schlug die Bettdecke zur Seite und Ryuuzaki umrundete das Bett, weil die Länge der Kette sonst nicht ausgereicht hätte. Schwungvoll stand Light auf… Auf einmal raste gleißender Schmerz durch seinen Fuß. Er schrie auf, als sein Fuß nachgab und stürzte vornüber. Im Fallen sah er Ryuuzakis weit aufgerissene Augen. Dann prallte er gegen den anderen, der breitete die Arme aus, so als wollte er ihn auffangen, allerdings viel zu spät, und wurde durch die Wucht mit von den Füßen gerissen. Am Ende lag Ryuuzaki rücklings auf dem Boden und Light mit schmerzverzerrtem Gesicht über ihn. Er war zu beschäftigt mit seinem brennenden Knöchel, deshalb merkte er nicht, was für ein Gesicht der junge Mann unter ihm zog. "Scheiße!", fluchte er. "Yagami-kun, hast du Probleme mit der Motorik?" "Das war mein Fuß, okay?", fauchte er und machte in seiner Wut eine unbedachte Bemerkung, die gleich wieder brennenden Schmerz durch seinen Fuß jagte. Er ächzte und ließ die Stirn auf Ryuuzakis Brustkorb sinken. "Auaa….", jammerte er, und das war so ganz entgegen seiner Art. "Wenn du wohl von mir runtergehen würdest?" Mühsam stemmte Light sich hoch. Als er so über Ryuuzaki thronte, hielt er einen Moment lang inne. Ausdruckslose Augen blickten zu ihm hoch und Light vergaß seinen schmerzenden Fuß für einen Augenblick. Er konnte es sich nicht erklären, aber in diesem Moment verspürte er den unbändigen Drang, sich wieder runterzubeugen und… Was denke ich denn da? Er stemmte sich von Ryuuzaki runter und setzte sich auf, um sich das schmerzende Fußgelenk zu massieren. Vielleicht hatte er sich den Fuß ja doch verstaucht. Vorstellbar wäre es. Während des Tennisspiels war sein Wille zu siegen übermächtig gewesen. Zusammen mit dem Adrenalinstoß hätte das sicher gereicht, um den Schmerz für eine Weile zu unterdrücken. Danach war er ja fast nur noch gesessen. Und über Nacht war der Fuß dann angeschwollen und jetzt konnte er damit nicht mehr auftreten. Er warf einen Blick rüber zu Ryuuzaki, der einfach dasaß und ihn auf eigenartig hilflose Weise anstarrte. Er wirkte fast so, als überlegte er fieberhaft, was er nun tun sollte. "Was ist?", blaffte Light ungehalten. "Hör auf mich anzustarren und hilf mir hoch." Keine Reaktion. Ärgerlich versuchte Light, den Fuß zu strecken, was noch einigermaßen klappte, aber den Fuß anziehen konnte er nur unter Schmerzen. Er kannte das schon. Vor ein paar Jahren hatte er sich mal den Fuß verstaucht. Damals hatte seine Mutter ihn fast überfürsorglich umsorgt, sie hatte ihn vor den Fernseher gesetzt, Eis auf seinen Fuß gelegt und ihn bekocht. Diese Annehmlichkeiten würde er hier nicht bekommen. "Komm schon, hilf mir auf", sagte er, weil der andere sich immer noch nicht rührte. Ryuuzaki erwachte wie aus einer Starre und stand rasch auf. Er kostete sie beide einige Mühe, vom Schlafzimmer ins Wohnzimmer zu kommen. Auch wenn es ihm nicht behagte, entschied Light, vorerst auf die allmorgendliche Dusche zu verzichten. Stattdessen legte er seinen Fuß hoch und ließ sich von L, der dafür sogar kurz die Handschellen löste, einen Eisbeutel bringen. Seit diesem einen Abend, an dem Ryuuzaki seinem Team gedankenlos freigegeben hatte, arbeiteten sie nicht mehr bis Mitternacht oder noch länger durch. Jetzt saßen sie spätestens um elf Uhr vor dem Fernseher und zankten sich um die Fernbedienung. Light hatte scherzhaft gemeint, Ryuuzaki hätte wohl Gefallen an dem, was andere gemeinhin "Freizeit" nannten, gefunden. Ganz so war es nicht, aber Light musste ja nicht alles wissen. Es war eine gute Gelegenheit, das, was Ryuuzaki vor einiger Zeit so leichthin Freundschaft genannt hatte, auszubauen. Er wollte Lights Vertrauen gewinnen, in der schwachen Hoffnung, dass Kira sich an dieses Vertrauen später erinnern würde. Die Akten kannte er ohnehin auswendig, auch wenn täglich neue Fälle hinzukamen. Wichtiger war das hier. Wichtiger war es, die Psyche von Yagami Light zu analysieren, solange der verwundbar genug war, so viel von sich preiszugeben. Selbstverständlich war Ryuuzaki gezwungen, mit jedem Stück Information auch etwas von sich selbst zu offenbaren, aber er war sich sicher, dass es das wert war. Schließlich ahnte Light nicht einmal, dass es eine Schlacht um Informationen war. Heute hatte Ryuuzaki den erbitterten Kampf um die Fernbedienung gewonnen und sich für die Nachrichten entschieden. Er schaute wirklich gerne Nachrichten, weil es eines seiner Hobbys war, mit den spärlichen Informationen, die die Presse hatte, zu jonglieren und mit seiner Erfahrung auch zwischen den Zeilen zu lesen und die ungesagten Informationen zu ergänzen. Heute war das Programm eher ein Mittel zum Zweck, nämlich um Light weitere Informationen zu entlocken. Die Nachrichtensprecherin trug gerade einen Mordfall vor, da sah er seine Chance und ergriff sie. "Wenn Kira ihn nicht erwischt, werden sie ihn wohl hinrichten", sagte er scheinbar beiläufig. "Vermutlich", erwiderte Light. "Er hat drei Kinder getötet. Die Öffentlichkeit würde es nicht sehr gut aufnehmen, wenn sie ihn nicht mit der vollen Härte des Gesetzes bestrafen. Aber ich denke, Kira wird ihn sich vorher holen." Ryuuzaki rückte ein Stück zur Seite, damit er Light ansehen konnte. Er stützte das Kinn auf sein linkes Knie und beobachtete, wie Light aufmerksam die Nachrichten verfolgte. "Wie denkst du über die Todesstrafe, Raito?" "Es ist barbarisch", sagte Light abfällig. Die Antwort kam so spontan, dass man eindeutig merkte, dass er die Wahrheit sagte. Ryuuzaki war immer wieder fasziniert, wie sehr Light sich während der Haft verändert hatte. Jetzt war er ein normaler, hochintelligenter Student mit vielseitigen Interessen und einer aufrichtigen, interessanten Persönlichkeit. Wie hatte sich dieser Teenager in das Monster Kira verwandeln können? Light war faszinierend und liebenswert. Kira war eine gewissenlose Bestie. Light schüttelte den Kopf. "Wir verdammen Mörder und dann werden wir selbst welche. Es ist nicht Recht, andere zu töten. Auch nicht im Namen der Gerechtigkeit." Jetzt schaute er Ryuuzaki an und versuchte augenscheinlich, sich die Irritation darüber, dass der ihn schon wieder anstarrte, nicht anmerken zu lassen. Ganz unerwartet musste Ryuuzaki lächeln. Light war wirklich eine faszinierende Persönlichkeit. Er war ein glühender Verfechter der Gerechtigkeit. Wenn man ihn so ansah, mochte man glauben, dass nichts und niemand ihn von diesem Weg abbringen konnte. Weil er so in Gedanken versunken war, überraschte Lights plötzliche Frage ihn. "Und du, Ryuuzaki?" "Oh. Ich… ich denke, ich finde es gut, so wie es ist." "Wirklich?" "Ja. Eingesperrt zu sein ist nicht abschreckend genug. Die Vorstellung, wir würden Kira fassen und dann würde man ihn einfach wegsperren, macht mich richtig krank. Er ist ein Massenmörder und dafür gibt es nur eine Strafe." "Ich kann dich echt nicht verstehen. Was genau ist dann der Unterschied zwischen Kira und unserer Justiz?" "Kira ist ein verwöhntes Kind", sagte Ryuuzaki. "Er hat nicht das Recht, über andere Urteile zu fällen." "Und wer hat das Recht? Ein paar korrupte Richter?" Light seufzte. "Ich will nicht darüber diskutieren, das Thema macht mich krank. Ich bin erstaunt, dass du so denkst. Das hätte ich nie erwartet." "Du siehst ja richtig erschüttert aus." Tatsächlich hatte sich eine steile Falte zwischen Lights Augenbrauen gebildet. "Ich hatte dich einfach anders eingeschätzt." Die Worte trafen Ryuuzaki auf eine unerwartete Weise. Er hatte nicht gewusst, dass es ihm wichtig war, wie Light über ihn dachte. Wortlos starrte er den Teenager an, der sich jetzt wieder dem Fernseher widmete. Sein Profil war auch interessanter. Er hatte ein sehr schönes Gesicht. Kein Wunder, dass er Mädchen für sich einspannen konnte und dass keiner auch nur auf die Idee gekommen war, dass aus diesem Mund nichts als Lügen gekommen waren. Kira ist ein verwöhntes Kind. Das hatte Light mal gesagt und es hatte genau dem entsprochen, was Ryuuzaki gedacht hatte. Heute schaute er den Teenager an und ergänzte: Kira ist ein wunderschönes Kind. "Ryuuzaki?", fragte Light nach einer ganzen Weile. "Darf ich dich mal was fragen?" "Natürlich." "Wieso gehst du so weit für diesen Fall?" Er wandte den Blick vom Fernseher ab um Ryuuzaki anzusehen. "Keiner wusste, wie L aussieht. Wieso bist du das Risiko eingegangen, dich meinem Vater und den anderen zu zeigen?" "Anders wäre ich nicht weitergekommen." L merkte, dass er wieder an seinem Daumen herumkaute. "Kira hatte die Polizei erfolgreich gegen mich aufgebracht. Ich hätte unter diesen Bedingungen nicht effizient arbeiten können. Ich musste mich entscheiden, ob ich den Fall lösen und dabei mein Leben einsetzen will oder eben nicht." "Warum ist dir dieser Fall mehr wert als dein eigenes Leben?" "Das ist schließlich mein Job. Und ich wusste, worauf ich mich einlasse. Oder ich glaubte, ich wüsste es." "Wie meinst du das?" "In dem Moment, als ich mich deinem Vater und den anderen Polizisten als L offenbart habe, habe ich mein Leben eingesetzt in diesem Spiel." Er blickte Light sehr lange an. "Aber wirklich lebensgefährlich ist die Lage erst, seit ich… seit ich mich dir offenbart habe." Das war wohl der Abend der offenen Worte. Denn Ryuuzaki meinte jedes Wort so, wie er es sagte. Wie schon so oft hatte Light mit seiner ehrlichen, freundlichen Art es geschafft, Ryuuzakis Mauern niederzureißen. "Ich fürchte mich vor dem Moment, wo ein Mensch, den ich gern habe, sich an die Brust fasst und tot zusammenbricht", sagte Light und blickte starr zum Fernseher. Er wollte sich seine Gefühle nicht allzu deutlich ansehen lassen, dabei war es für einen guten Beobachter so offensichtlich, was er fühlte. "Kira ist brillant, alles, was er getan hat, war perfekt durchdacht. Selbst unsere Spur mit den Geschäftsmagnaten, die in den letzten Wochen gestorben sind, könnte bloß ein weiterer Trick sein, um L in die Irre zu führen. Was, wenn wir verlieren?" "Es tut mir leid, dass ich deinen Vater in solch eine Gefahr gebracht habe, Raito." "Es war seine eigene Entscheidung, keiner hätte ihn davon abbringen können. Außerdem ist es nicht nur er, um den ich Angst habe." "Deine Familie dürfte sicher sein, deine Mutter und deine Schwester kennt niemand, Kira würde nicht…" "Ich habe Angst, dass Kira dich tötet." Süßer Schmerz breitete sich in Ryuuzakis Brust aus und mit diesem Schmerz kam auch die Angst. Angst davor, zu tief in diese Sache verwickelt zu werden, aber auch seine ganz banale Angst, jemandem nahe zu sein. Er wollte weglaufen, aber dann hätte L wie ein Feigling ausgesehen. Er wollte wirklich glauben, dass Light noch immer Kira war und all diese bedeutungsvollen Sachen sagte, weil er einfach berechnend war. Aber so war es nicht. "Das ist sehr schön, dass du das sagst, Raito", sagte er. Es war eine hohle Phrase, leere Worte, die dem Chaos in seinem Inneren nicht einmal annähernd gerecht wurden. "Dann werde ich versuchen, nicht zu sterben." ...tbc... Kapitel 7: Anaxiphilia ---------------------- anaxiphilia – The act of falling in love with the wrong person (sich in die falsche Person verlieben) Bisher hatte Ryuuzaki Schlaf immer als eine Notwendigkeit betrachtet, der auch er nicht entkommen konnte, ein zeitraubendes Zeugnis menschlicher Schwäche, weshalb er seinen Schlaf auch auf ein Minimum reduziert hatte. Wenn er aufgewacht war, dann war er sonst immer sofort aufgestanden, um nicht eine einzige Minute zu verschwenden. Yagami Light hatte ihm beigebracht, dass man auch anders aufwachen konnte. Man konnte einfach liegen bleiben und darauf warten, bis die Lebensgeister langsam erwachten. Weil er so viel Schlaf nicht gewohnt war, war Ryuuzaki nämlich für gewöhnlich derjenige, der als erster erwachte. Anfangs hatte er Light dann gleich geweckt, aber der brauchte offensichtlich ein paar Minuten, um wach genug zu werden, auch aufzustehen. Deshalb hatte Ryuuzaki es sich notgedrungen auch angewöhnt, etwas länger liegenzubleiben und auf diese wunderbare Weise langsam wach zu werden. Jetzt gerade befand er sich in diesem glorreichen Moment zwischen Schlafen und Wachen, wo ihm so viele ungewöhnliche Bilder und Worte im Kopf herumschwirrten und sich immer wieder zu neuen, undenkbaren Kombinationen zusammenfanden. Es war zu früh, um sich zu sorgen, um Kira, um Light, um die Welt da draußen. In diesem einen Augenblick war Kira nichts als ein Wort, zu weit weg um ihn in Aufruhr zu versetzen. Er wollte nicht aufwachen. Irgendetwas lag auf ihm, diese Erkenntnis drang langsam zu ihm durch. Es war kein Kissen. Dieser betörende Duft, den Light Yagami verströmte, lag in der Luft und Ryuuzaki atmete ihn schamlos ganz tief ein. Seit Light vor ein paar Tagen wegen seinem Fuß gestürzt und auf ihm gelandet war, hatte dieser Geruch sich an ihm festgesetzt und er war nicht unglücklich darüber. Im Gegensatz zu den meisten Menschen belästigte er Ryuuzakis feine Nase nicht. Es war ein ganz eigener Geruch, so schwer zu beschreiben, dass er keine Worte dafür fand, sondern nur Beschreibungen von Assoziationen, die er in ihm wach rief. Auch wenn er es nicht wollte, der Schlaf wich von ihm und Stück für Stück holte die Realität ihn ein. Er öffnete müde die Augen und schmiegte seine Wange an die weiche Haut von Lights rechtem Arm. Eine seiner Hände kroch unter der warmen Decke hervor und berührte abwesend diesen Arm, der wie selbstverständlich auf ihm lag, praktisch auf seinem Gesicht. Er blickte nach rechts, wo Light sein schlafendes Gesicht in ein Kissen gedrückt hatte. Sein sonst so perfektes Haar stand in alle Richtungen ab und er wirkte vollkommen gelöst und entspannt. In dieser Haltung zeichneten sich die Muskeln auf seinem Arm ab. Irgendwie hatte Ryuuzaki Light immer als Kind gesehen. Fast erwachsen zwar, aber noch ein Schüler – beziehungsweise jetzt Student – und nicht mehr als ein besonders scharfsinniges Kind, das seinen Verstand wie eine Waffe gebrauchte. Light hatte es ja selbst gesagt, Kira ist ein verwöhntes Kind. Ryuuzaki war es nie ganz gelungen, Kira und Light im Geiste voneinander zu trennen. Aber neben ihm lag kein Kind. Das war ein junger Mann, nicht sehr viel jünger als er, intelligent und kräftig, schön und tödlich. Irgendwann heute Nacht hatte er sich wohl auf den Bauch gedreht und dabei seinen Arm über Ryuuzaki geworfen, so als wäre der ein Kissen. So nah hätte Ryuuzaki niemals freiwillig jemanden an sich herangelassen und er wunderte sich irgendwo, dass er nicht wach geworden war. Aber es war so schön, so gemütlich, so… Mit einem wohligen Brummen legte Light seine Stirn in Falten. Die Muskeln in seinem Arm spannten sich an und er erwachte. Ganz langsam öffnete er seine Augen und zog sein Gesicht ein Stück aus dem Kissen, gerade genug, um sehen zu können. Der Blick in die verschlafenen Augen wirkte wie ein Kübel Eiswasser, den man über Ryuuzaki ausgeschüttet hatte. Er spürte, wie er erstarrte, als wäre sein ganzer Körper plötzlich zu Eis gefroren. Und Light merkte es auch. Fast abrupt hob er seinen Arm hoch. "Entschuldige", sagte er ohne Bedauern in der Stimme. "Ich muss geträumt haben." Ryuuzaki zwang sich, sich zu entspannen. Obwohl er am liebsten aus dem Bett gesprungen wäre, setzte er sich nur langsam auf. Aus der Hosentasche holte er den Schlüssel für die Handschellen und machte sich los. Er wusste, dass Light es auffallen musste. Normalerweise machte er sie erst im Bad voneinander los, damit ihm auch nicht die geringste Bewegung von Light entging. Heute hätte er es nicht geschafft, die bloße Erinnerung an die unfreiwillige Nähe machte ihn unruhig und nervös. Auch wenn er ganz besonders langsam ging, es kam ihm vor wie eine Flucht, als er im Badezimmer verschwand und Light im Bett zurückließ. Die Ermittlungen und das Leben mit Ryuuzaki kam Light manchmal wie eine andere Welt vor, so als wäre sein ganz normales Leben zwischenzeitlich eingefroren, damit er inzwischen am Fall Kira arbeiten konnte. In diesem Hochhaus, in diesem Büro, da schien die Welt da draußen mit den ganz normalen Ereignissen und Problemen manchmal gar nicht zu existieren. Deswegen traf ihn die e-Mail, die er eher zufällig entdeckte, eher unvorbereitet. Es war vormittags, das Team war bereits eingetroffen und weil er sich etwas gelangweilt hatte, hatte er sein e-Mail Postfach der Touou Universität aufgerufen. Weil er das so selten machte, waren da meistens nur viele Mails mit langweiligen Neuigkeiten über Professorenwechsel oder Events auf dem Campus. Heute aber war eine besondere e-Mail dabei. Nachdem er sie gelesen und kurz darüber nachgedacht hatte, wie er darauf reagieren sollte, hatte Light sich in seinem Stuhl zurückgelehnt und mit einem Räuspern die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. "Ryuuzaki, ich hätte da eine Bitte." "Ja?" "Ich muss morgen zur Uni." Light deutete auf den Bildschirm, damit Ryuuzaki die e-Mail überfliegen konnte. "Ich hätte es beinahe vergessen, aber das Semester ist fast zu Ende. Morgen sind die Prüfungen." So ganz stimmte das nicht. Er hatte jeden Gedanken an die Prüfungen nicht ganz ohne Grund beiseite geschoben, weil es momentan Dinge gab, die wichtiger waren als das Lernen. "Du hättest es beinahe vergessen?!", wiederholte sein Vater im Hintergrund schockiert. "Willst du mir erzählen, du hast bis eben nicht gewusst, wann deine Prüfungen sind?" Achselzuckend erklärte Light: "Ich war hier so eingespannt, dass ich es völlig vergessen hatte. Zum Glück habe ich meine e-Mails geprüft." Sein Vater wirkte nicht sehr begeistert, Ryuuzaki zeigte wie üblich gar keine Gefühlsregung und dem Rest des Teams stand ein gewisses Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Offenbar kannten Matsuda und Mogi im Gegensatz zu Light nicht die Annehmlichkeiten, sich vor Prüfungen nicht fürchten zu müssen. "Also?", fragte Light erwartungsvoll. "Ließe sich das einrichten, dass ich morgen meine Prüfungen ablegen kann? Man sieht vielleicht darüber hinweg, dass ich im Unterricht nicht anwesend bin, aber wenn ich morgen nicht erscheine, muss ich das Semester wiederholen." "Heißt das, du willst an der Prüfung teilnehmen, obwohl du gar keine Zeit zum lernen hattest?!", fragte Matsuda ungläubig. "Ja." "Denkst du, du schaffst das?", erkundigte sein Vater sich. Offenbar wusste er nach all den Jahren immer noch nicht, wie gut sein Sohn wirklich war. "Es gefällt mir zwar nicht, aber ich möchte Raito nicht noch mehr Schwierigkeiten machen als ich es ohnehin schon tue", mischte Ryuuzaki sich ein. "Ich möchte nicht dafür verantwortlich sein, dass du das Semester wiederholen musst." Zufrieden nahm Light dies zur Kenntnis und wandte sich wieder dem Bildschirm zu. Er hielt es nicht für zweckdienlich, jetzt noch mit dem Lernen anzufangen. In unregelmäßigen Abständen hatten einige seiner Kommilitonen ihm Informationen über den derzeitigen Unterrichtsstand per e-Mail zukommen lassen und er hielt sich diesbezüglich für ausreichend informiert. Die interessantere Frage war, ob Ryuuzaki vorhatte, die Universität in Handschellen zu betreten. Die Antwort, die Light auf diese Frage bekam, war nicht wirklich überraschend. Denn pünktlich um acht Uhr betraten sie zu zweit und aneinander gekettet den Prüfungssaal. Es wurde laut im Raum, man bedachte sie beide mit ungläubigen Blicken. Selbst für Light, der mit einer gesunden Portion Selbstbewusstsein gesegnet war, war der Weg zu seinem Sitzplatz kein sehr angenehmer. Wenigstens waren die Professoren informiert, sonst hätte es vermutlich Schwierigkeiten gegeben. Was genau Ryuuzaki ihnen mitgeteilt hatte, wusste Light nicht und wollte es, wenn er ehrlich war, auch gar nicht wissen. Kaum hatten sie beide sich gesetzt, da rief eine Mädchenstimme: "Raito-kuuuun!" Jemand schlang von hinten die Arme um ihn und als er sich umdrehte, erkannte er Mai. Zum Beginn des Semesters - vor Ryuuzaki und seinen Handschellen, fügte er in Gedanken hinzu - hatte er sich ab und an mit ihr getroffen. Das war nun doch schon eine ganze Weile her, trotzdem war sie offensichtlich nach wie vor von ihm begeistert. "Hast du meine e-Mails bekommen?", plapperte sie drauf los. "Es war ganz schön langweilig ohne dich! Wo warst du bloß?" "Raito und ich arbeiten an einem zeitaufwändigen wissenschaftlichen Projekt", kam Ryuuzaki ihm zuvor. Mai musterte Ryuuzaki von oben bis unten und man sah ihr am Gesicht an, dass sie in diesem Augenblick beschloss, den eigenwilligen jungen Mann nicht zu mögen. "Und worum geht es bei diesem Projekt? Gehören die Handschellen vielleicht auch dazu?" "In der Tat. Wir arbeiten an einer Studie über die sozioökonomische und psychosoziale Lebenssituation emotional und physisch voneinander abhängiger Individuen von überdurchschnittlicher kognitiver Kapazität." Light lachte und Mai verzog beleidigt das Gesicht. Die Tür ging auf und der Professor betrat den Raum. Nervöse Stille breitete sich im Raum aus und nur auf zwei Leute übertrug sich die plötzliche Anspannung nicht. Light war eigentlich nur neugierig auf die Fragen und natürlich darauf, wie Ryuuzaki bei den Prüfungen so abschneiden würde. Und was Ryuuzaki anbelangte… wenige Minuten später, nachdem die Prüfungszettel ausgeteilt worden waren und die emsige Stille nur vom Kratzen der Stifte auf rauem Papier übertönt wurde, hörte Light links neben sich erst ein Rascheln und dann das Geräusch, wie von einer harten Tafel Schokolade ein Stück abgebissen wurde. Zur Mittagszeit hatten Light und Ryuuzaki sich wie die meisten anderen auch in die Mensa gesetzt um etwas zu essen. Mai und zwei ihrer Freundinnen hatten sich ihnen mehr oder weniger aufgedrängt und deshalb saßen sie beide jetzt eingeengt zwischen den Mädchen und mussten sich so überaus interessanten Themen wie "die Party letzten Donnerstag" aussetzen. Während Light sich Mühe gab, freundlich zu sein und wenigstens ein wenig mit den Mädchen zu plaudern, schwieg Ryuuzaki eisern und tat fast so, als wären sie überhaupt nicht anwesend. Nachdem sie in der Früh die schriftlichen Prüfungen abgelegt hatten, waren am Nachmittag die mündlichen an der Reihe. Hier hatte Ryuuzaki nachgeben müssen, er hatte sich einverstanden erklärt, für den Rest der Prüfungszeit die Handschellen zu entfernen, weil die Professoren es offenbar nicht akzeptiert hätten, wenn sie beide zu zweit zu den mündlichen Prüfungen aufgetaucht wären. Deshalb saßen sie jetzt zwar nebeneinander, aber Light genoss die seltene Freiheit, seinen linken Arm frei bewegen zu können, ohne auf die Kette und Ryuuzaki achten zu müssen. Das Mensapersonal war nicht unbedingt gut zu sprechen auf Sonderwünsche, weshalb Light und Ryuuzaki alle beide dasselbe auf ihrem grauen Tablett hatten. Ein Teller Curryreis (Hauptgericht), ein Teller Gemüse (Beilage) und ein kleines Schälchen Pudding (Nachspeise). Nicht einmal zwei Minuten nachdem sie sich hingesetzt hatten, holte Ryuuzaki sich wie selbstverständlich Lights Nachtisch. Light nahm sich von Ryuuzaki mit der gleichen Selbstverständlichkeit den Curryreis. Er wusste, dass Ryuuzaki von besonders scharfen Speisen noch weniger hielt als von allen anderen nicht gezuckerten Mahlzeiten. Er selbst war wie immer in letzter Zeit fast ausschließlich mit Süßem konfrontiert worden, deshalb würde er keine Schwierigkeiten mit einer doppelten Portion haben, ganz im Gegenteil. Er deutete mit seinen Stäbchen auf Ryuuzakis Gemüseteller und sagte: "Iss wenigstens das Gemüse. Irgendwoher musst du ja Vitamine kriegen." Während Light sich über seine doppelte Portion mit großem Appetit hermachte, brachte Ryuuzaki es tatsächlich über sich, den Löffel für den Nachtisch wegzulegen und sich mit den Stäbchen an das ungeliebte Gemüse zu wagen. Es war eine neue Erkenntnis für Light, dass Ryuuzaki es offensichtlich nicht gewohnt war, mit Stäbchen zu essen. Er dachte daran, dass der andere vor langer Zeit mal etwas von England erzählt hatte und schloss daraus, dass Ryuuzaki nicht in Japan aufgewachsen war. Aller Wahrscheinlichkeit war er aus Europa, eine Theorie, die Light schon aufgestellt hatte, nachdem er gemerkt hatte, dass Ryuuzaki deutsch sprach. Es war sehr erstaunlich, dass Ryuuzaki es ohne Widerworte schaffte, so etwa die Hälfte des Gemüsetellers zu essen. Das war ein sehr seltenes Ereignis. Er aß zwar nicht ausschließlich Süßes, soviel hatte Light schon mitbekommen, aber wenn er es nicht unbedingt musste, verzichtete er lieber auf alles, was nicht mindestens zur Hälfte aus Zucker bestand. Die Mädchen hatten den Tellertausch sowie Lights Bemerkung über das Gemüse und Ryuuzakis Reaktion darauf neugierig beobachtet und eines sagte: "Ihr seid echt gute Freunde, kann das sein?" Erstaunt blickte Light sie an. Er warf Ryuuzaki einen Seitenblick zu und antwortete: "Ich schätze ja." Ihm war bis eben gar nicht aufgefallen, wie vertraut sie beide miteinander umgingen. Jemand, der ihre Situation nicht kannte, mochte wohl leicht falsche Schlüsse ziehen. Ryuuzaki hatte sich gerade den ersten Löffel Pudding in den Mund gesteckt und sein seliges Lächeln ließ darauf schließen, wie glücklich er darüber war, den Geschmack des Gemüses übertünchen zu können. Light deutete auf den halbvollen Teller. "War das schon alles? Bei deiner Ernährung wundert es mich nicht, dass du bleich wie ein Gespenst bist." "Dieses Zeug ist mir einfach zu bitter", maulte Ryuuzaki. Das blonde Mädchen rechts von Mai kicherte. Light wollte nicht so ganz verstehen, was sie so lustig fand. Also entschloss er sich, sie zu ignorieren und erkundigte sich beiläufig bei seinem Sitznachbarn: "Wie waren die Prüfungen für dich so bisher?" Achselzuckend erwiderte Ryuuzaki: "Viel zu einfach." Light hätte liebend gerne gefragt, ob Ryuuzaki schon mal eine Universität besucht hatte. Der Meisterdetektiv war immerhin ein paar Jahre älter und Light wusste noch immer so gut wie nichts über ihn. Wenn er schon mal studiert hatte, war es kein Wunder, dass ihm die Prüfungen leicht fielen. Er hatte ein ähnlich gutes Gedächtnis wie Light. Einmal aufgenommenes Wissen ging eben nicht mehr verloren. Aber vor den Mädchen konnte Light ihn schlecht fragen. "Was hat es denn nun eigentlich wirklich mit der Kette auf sich?", erkundigte sich eines der Mädchen neugierig. "Ihr habt ganz schön Aufsehen erregt, heute Morgen." "Ah, das?", fragte Ryuuzaki unschuldig. "Wie schon gesagt, das ist ein Experiment." Misstrauisch beäugte Mai ihn. "Ein Experiment, soso…" "Ich schreibe eine wissenschaftliche Arbeit über die psychischen Auswirkungen, die aufgedrängte körperliche Nähe auf einen Menschen hat. Weil Raito recht robust wirkt, dachte ich mir, er wäre als Fallstudie besonders gut geeignet." Light sah Ryuuzaki mit hochgezogenen Augenbrauen an. Robust? Achselzuckend meinte der: "Du hast ein gesundes Selbstbewusstsein, ich war mir sicher, dass du unter dem Druck ständiger Beobachtung nicht allzu schnell zusammenbrichst." Das Erschreckende war, neben der Tatsache, dass Ryuuzaki den Mädchen das Blaue vom Himmel runter log und das ohne auch nur eine Miene zu verziehen, dass Light seine Frage gar nicht gestellt hatte und Ryuuzaki trotzdem darauf geantwortet hatte. Er legte seine Essstäbchen weg und verkündete, dass er satt war. Sein Sitznachbar hatte seinen Pudding sowieso schon lange verschlungen. Grinsend deutete Ryuuzaki auf den fast vollen Gemüseteller und äffte Light nach: "War das schon alles?" Die Antwort war ein bitterböser Blick und Light stand auf. "Ich geh mal eben zur Toilette." "Ich komme mit", verkündete Ryuuzaki und Light ächzte innerlich. Die Kette war ab und trotzdem hatte er keine Sekunde Ruhe vor diesem Kerl. Das ständig kichernde Mädchen beugte sich rüber zu Mai und sagte etwas, das wohl eigentlich ein Flüstern hätte sein sollen, aber für die beiden Jungs überdeutlich zu hören war. "Ryuga-kun hängt an Yagami-kun wie ein Baby." Eine andere erwiderte scherzhaft: "In ihrem letzten Leben waren sie sicher Liebende." Es war nur ein dummes Sprichwort, eine Redensart um besonders gute Freunde zu beschreiben und trotzdem löste es irgendetwas in Light aus, das er selber nicht verstand. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals und zum ersten Mal überhaupt wagte er es nicht, Ryuuzaki anzusehen, weil er fürchtete, der würde ihm die unerwartete Reaktion auf die gedankenlose Äußerung an der Nasenspitze ansehen. "Wie poetisch", erwiderte Mai säuerlich. Light schüttelte den Kopf, in der Hoffnung, mit dieser Geste auch den Gedanken abschütteln zu können, und schritt so rasch voran, dass Ryuuzaki hinter ihm zurückblieb. Um fünf Uhr Nachmittags verließen Light und Ryuuzaki, nun schon wieder aneinander gekettet, das Schulgebäude. Die Prüfungen hatten sie hinter sich gebracht und es wurde Zeit, ins Büro zurückzukehren. Mit in den Hosentaschen vergrabenen Händen schlurfte Ryuuzaki neben Light her. Eben hatte er Watari benachrichtigt und sie würden in wenigen Minuten mit der Limousine abgeholt werden. "Wie ist es gelaufen, Raito?", erkundigte Ryuuzaki sich, obwohl er die Antwort sicherlich kannte. "Gut." "Wirst du das Semester erfolgreich bestehen?" Selbstsicher erwiderte Light: "Ja." "Sehr gut. Dann hat sich der kleine Ausflug ja gelohnt." Ryuuzaki blickte in die Luft, so als müsste er über seine nächsten Worte erst nachdenken. "Während ich draußen vor dem Saal stand und auf das Ende deiner Prüfung gewartet habe, habe ich mir die vorbeikommenden Studenten angesehen. Mir kam der Gedanke, dass jeder von ihnen Kira sein könnte." "Aha?" Das war nun keine wirklich neue Erkenntnis. Kira war ein Phantom, bisher gab es so gut wie gar keine Hinweise. Im Grunde konnte es jeder sein. Worauf also wollte Ryuuzaki hinaus? "Ich weiß, dass du zur Zeit nicht Kira bist." Light wollte über das 'zur Zeit' Protest einlegen, aber Ryuuzaki hob die Hand und kam ihm zuvor. "Trotzdem habe ich mir vorher nie wirklich klargemacht, dass du momentan genau wie ich Kiras Feind bist. Ich habe Vorkehrungen zu meinem Schutz getroffen, aber deinen Namen kennen sehr viele hier. Mir wurde bewusst, dass ich dich in Gefahr gebracht habe." Light wusste wirklich nicht, was er darauf antworten sollte. Einmal mehr wurde deutlich, wie sehr L sich auf ihn als Kira versteift hatte. "Kira ist da draußen irgendwo und ich habe dich gedankenlos ins Team geholt und schleppe dich in Handschellen zur Uni. Es war mir nicht bewusst, was für einer Gefahr ich dich aussetze." War das so etwas wie eine Entschuldigung? Oder sprach Ryuuzaki mal wieder einfach aus, was ihm durch den Kopf ging? Oder war es am Ende wieder eine seiner Fallen, die ausschließlich dem Zweck diente, Light als Kira zu überführen? "Ich dachte, das sei dir egal", sagte er. Ryuuzaki wirkte, als sei er mit dem Gedanken schon wieder weit weg, als er antwortete: "Ja, das dachte ich auch." *** Tut mir so leid, dass das so lange gedauert hat... aber ich habe ewig lange an diesem Kapitel gefeilt, es wollte mir nicht so recht gefallen. Jetz bin ich zufrieden und ich hoffe es gefällt euch. Und schreibt Kommentare, ich freu mich über jeden einzelnen! Kapitel 8: Limerance -------------------- limerance – The initial thrill of falling in love (Schmetterlinge im Bauch) Es klingelte an der Tür und Light warf einen Blick auf den Monitor. Draußen stand Misa mit einem Pappkarton in der Hand und winkte fröhlich in die Kamera. Es war nicht so, dass sie unwillkommen war. Jedenfalls brachte sie Abwechslung in den grauen Ermittlungsalltag. Aber er hatte einfach zu viele andere Dinge, die ihm im Kopf herumschwirrten, deshalb seufzte er, als er sie sah. Sein Vater öffnete ihr die Tür und freudestrahlend trat sie ein. Artig begrüßte sie Lights Vater mit einer Verbeugung und winkte dem Rest des Teams zu. "Raito", zwitscherte sie dann und er lächelte sie nachsichtig an. Sie konnte ja nichts dafür, dass er so beschäftigt war. Auch wenn sie nicht lange bleiben konnte, wollte er nicht, dass sie mit einem schlechten Gefühl wieder ging. "Misa, es tut mir leid, aber wir haben keine Zeit", sagte er. Sie stellte sich vor ihn und er legte die Hände auf ihre Schultern, um seinen Standpunkt gleich deutlich zu machen. Ryuuzaki wirkte sowieso nicht sehr glücklich darüber, dass sie inzwischen weit weniger lange arbeiteten als am Anfang. Er wollte nicht für noch mehr Verzögerungen verantwortlich sein. Die bloße Berührung ließ Misa erröten. "Das macht nichts!", antwortete sie strahlend. "Ich wollte euch auch nur schnell was Süßes für zwischendurch hochbringen." Sie stellte die Schachtel auf den Tisch und blickte Light etwas verlegen an. "Ich hab das extra für dich gebacken, aber im Eifer des Gefechts ist es zu viel geworden, deshalb habe ich nichts dagegen, wenn du den Kuchen mit den anderen teilst." "Misamisa!", rief Matsuda mit Tränen der Begeisterung in den Augen. "Das finde ich so nett von dir!" Mit dem Ärmel wischte er sich über die Augen und schniefte, tief bewegt über ihre Fürsorge. Light öffnete die Schachtel und war einen Moment lang wirklich aufrichtig überrascht. Das war kein Kuchen, das waren lauter kleine Kunstwerke. Schokoladenkuchen mit Verzierungen aus weißer Glasur oben drauf, Sachertorte, eine Stück Sahnetorte mit kleinen Figuren aus… was war es? Marzipan?... oben drauf. Vor allem wollte er sich nicht fragen, wo jeweils der Rest der Torte war, weil sie ja immer nur ein Stück für ihn eingepackt hatte. Neben ihm warf jetzt auch Matsuda einen Blick in die Schachtel und ächzte: "Misamisa ist wirklich unglaublich! Sieht das lecker aus! D-darf ich?" "Natürlich", sagte Misa, erfreut darüber, wie gut ihr Kuchen ankam. Das Team stürzte sich gierig auf die Köstlichkeiten und weil Light ja wusste, dass Ryuuzaki Schokoladenkuchen am liebsten mochte und der sich an dem Gerangel um die besten Kuchenstücke nicht beteiligte, schob Light das wahrhaft köstlich aussehende Stück auf einen Teller um es für den Meisterdetektiv aufzuheben. Nachdem jeder ein Stück ergattert hatte, hielt Light den Teller hoch und fragte: "Möchtest du auch ein Stück, Ryuuzaki?" Es kam ihm schon komisch vor, dass L angesichts dieser süßen Köstlichkeiten so ruhig an seinem Platz sitzengeblieben war. Noch komischer aber war seine Antwort. "Nein, danke." Die überraschten Blicke ignorierte er entweder oder bemerkte sie gar nicht. Matsuda, der sich die Sahnetorte geschnappt hatte, deutete mit der Kuchengabel auf den Kopf des Teams und fragte mit vollem Mund: "Bist du krank?" Irgendetwas an Ryuuzakis Verhalten war einfach nur komisch. "Nein, ich möchte diesen Kuchen nur nicht." Diesen Kuchen? Verständnislos stellte Light den Teller weg und setzte sich wieder. Aus Ryuuzaki wurde er einfach nicht schlau, ganz egal, wie sehr er sich auch bemühte. "Misa, wir müssen jetzt wirklich weiterarbeiten. Vielen Dank für den Kuchen", sagte er und schob sie sanft in Richtung Tür. Das Team bedankte sich ebenfalls bei ihr, nur Ryuuzaki beachtete sie überhaupt nicht. An der Tür stellte Misa sich lächelnd auf die Zehenspitzen und hauchte Light einen Kuss auf die Wange. Mit einem fröhlichen Abschiedsgruß auf den Lippen verließ sie die Suite und ließ die Männer allein zurück. "Du bist so ein Glückspilz!", rief Matsuda mit vollem Mund und deutete auf Light. Als er sich wieder an seinen Platz setzte, fing Light den säuerlichen Blick auf, den Ryuuzaki ihm zuwarf. Eigentlich war Light ein Mensch, der sich voll und ganz auf seine Aufgaben konzentrierte und nie Zeit mit Tagträumen verschwendete. Er gab viel zu tun und trotzdem konnte er sich heute nicht konzentrieren. Niemand beachtete ihn, wie er so dasaß auf seinem Schreibtischstuhl, und seine Zeit damit verbrachte, Ryuuzaki anzustarren. Er wollte es gar nicht. Er wollte lieber etwas Produktives tun, aber seine Gedanken schweiften immer wieder ab. Etwas hatte sich verändert und er konnte es einfach nicht verstehen. Wenn er auf den Bildschirm sah, wenn er versuchte, die Daten in das Programm einzugeben, kehrten seine Gedanken unwillkürlich wieder zu dem schrulligen Detektiv zurück, der seit wenigen Wochen quasi der Mittelpunkt seines Lebens war. Er musste an das denken, was Mai und die anderen Mädchen so gedankenlos über sie beide gesagt hatten. Es stimmte ja, es gab Momente, da gingen sie so vertraut wie wahre Freunde miteinander um. Oder eher wie… wie was eigentlich? Dieser eine Satz, den Ryuuzaki gesagt hatte, ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Du faszinierst mich. Warum musste er plötzlich ständig daran denken? Ryuuzaki verhielt sich eigenartig. Dass er Misas Kuchen abgelehnt hatte, war nur ein Zeichen der schleichenden Veränderung, die Light bemerkt hatte. Irgendetwas stimmte nicht. Aber war es Ryuuzaki, mit dem etwas nicht stimmte, oder war es er selbst? Was war plötzlich anders? Sie beide waren immer noch dieselben. Ryuuzaki, dieser nervige, aufdringliche, rücksichtlose Kerl, der für sein Ziel über Leichen ging… Light konnte sich dunkel an die Zeit vor seiner Inhaftierung erinnern. Er hatte Ryuuzaki gehasst, etwas, das er sie nie zuvor bewusst gemacht hatte. Er hatte diesen Kerl mit einer unfassbaren Inbrunst gehasst, so als wäre er das eine große Hindernis in Lights Leben. Jetzt, wo er darüber nachdachte, konnte er sich diesen Hass nicht mehr erklären. Er wusste nur, dass er verschwunden war, allmählich, und an seine Stelle war etwas anderes getreten. Respekt natürlich, vielleicht auch Freundschaft, aber da war noch etwas. Aber was? Irgendwann würde es auf diese Frage eine Antwort geben müssen, aber noch war er nicht bereit, sie zu finden und die Konsequenzen zu tragen. Im Augenwinkel sah Light, wie Ryuuzaki sich mit der linken Hand fahrig die Haare aus der Stirn strich. Einem anderen wäre es vielleicht nicht aufgefallen, weil er auf den ersten Blick wirkte wie immer. In der Rechten hatte er einen Donut, mit der linken Hand tippte er hin und wieder etwas ein oder bewegte umständlich die Maus. Aber für Light war es offensichtlich, dass Ryuuzaki unruhig war. Deshalb löste er seinen Blick vom Bildschirm, um L einen prüfenden Blick zuzuwerfen. "Ist irgendwas?", erkundigte er sich. Ryuuzaki hielt kurz inne, dann atmete er aus und seine Schultern senkten sich deutlich. Es war, als würde allein durch die Ablenkung etwas von seiner Anspannung gelöst. "Ich bin ein wenig frustriert", gab er zu. "Ich kann mich einfach nicht konzentrieren." "Das ist ja auch kein Wunder. Wir arbeiten seit Stunden ohne Pause, wie soll man da noch vernünftig denken können?" Light selbst erging es kaum besser. Es war zehn Uhr abends und er war müde und witterte die Gelegenheit, eine Verschnaufpause einlegen zu können. Im Gegensatz zu Ryuuzaki wusste er, wieviel besser man nach nur fünf Minuten Pause wieder denken konnte. "Wie wäre es mit etwas frischer Luft?", schlug er deshalb vor. Zur Antwort bekam er bloß einen schiefen Blick. "Willst du einen Spaziergang machen?" Ryuuzaki war von der Idee offensichtlich nicht sehr begeistert. "Nein, es reicht doch, wenn wir nach draußen gehen. Von mir aus gehen wir irgendwo einen Balkon suchen. Oder…", er dachte kurz nach, "wir gehen aufs Dach. Du musst das Gebäude nicht verlassen, niemand wird uns belästigen und wir können trotzdem durchatmen." Ein langer Blick folgte, bis Ryuuzaki schließlich langsam nickte. "Das ist keine so schlechte Idee." Er stand auf und erleichtert folgte Light seinem Beispiel. Wie immer merkte er erst beim Aufstehen, wie anstrengend das Sitzen gewesen war. Jeder Muskel in seinem Körper schien sich bemerkbar machen zu wollen und er streckte sich erschöpft. Ryuuzaki steckte die Schlüssel ein, während Light seine Jacke vom Kleiderhaken nahm und hineinschlüpfte. Dass Ryuuzaki sich nichts Warmes anzog, ließ darauf schließen, dass er wirklich nicht mehr als fünf Minuten eingeplant hatte. Aber das war besser als nichts. Wenige Augenblicke später erklommen sie gemeinsam die Treppe hoch zum Dach. Ryuuzaki schob die schwere Tür zum Dach auf und dann blies ihnen die eisige Nachtluft ins Gesicht. Light war erst einmal hier gewesen, nämlich um sich den durchaus beeindruckenden Hubschrauberlandeplatz anzusehen. Der Hubschrauber stand auf der runden Plattform, ein imposantes Fluggerät, das den Steuerzahler sicher einiges an Geld gekostet hatte. Light atmete die frische Luft tief ein. Drinnen hatte er gar nicht gemerkt, wie kühl es geworden war. Er näherte sich enthusiastisch dem Geländer am Rand und Ryuuzaki folgte ihm nur zögernd. Erst seit L sich hier in diesem Hotel einquartiert hatte, hatte man die Tür überhaupt aufgeschlossen, eigentlich war dieses Dach kein sicherer Ort für Gäste. Damit ein Hubschrauber ungehindert landen konnte, gab es keinen mannshohen Zaun um das Dach herum, sondern gerade mal eine steinerne Brüstung mit einem fragil wirkenden Eisengeländer. Furchtlos wie er war ergriff Light das Geländer und beugte sich darüber. Tief unter ihm erstreckte sich die Stadt, deren Lichter his hier rauf strahlten. Der Wind, der sich an der kahlen Hauswand brach, blies ihm jetzt direkt ins Gesicht und ihn erfasste eine Woge der Euphorie. Nur dieses Geländer trennte ihn von einem tödlichen Sturz in die Tiefe. "Sieh dir das an!", sagte er zu Ryuuzaki gewandt, der einen guten Meter hinter ihm stehengeblieben war. "Muss nicht sein", kam es von ihm. "Ich bin kein Fan von großen Höhen." "Du hast Höhenangst?" "Nein, ich habe keine Angst. Ich meide große Höhen einfach nur, wenn es möglich ist." Light war nicht jemand, der in seinem Leben schon viel mit Ängsten konfrontiert gewesen war. Wenn er so darüber nachdachte, hatte er wahre Angst erst im Zusammenhang mit L kennengelernt. Besonders hervorstechend war in seiner Erinnerung die Szene, als sein Vater ihn aus seiner Zelle geholt und ihm anschließend im Auto die Pistole an die Stirn gedrückt hatte. Aber Ryuuzaki fühlte sich offensichtlich nicht wohl, so nah am Abgrund. Deshalb warf er einen letzten, fast bedauernden Blick runter auf die Stadt. Da unten lebten so viele verschiedene Menschen. Jetzt gerade geschahen da unten, rein statistisch gesehen, dreizehn Überfälle, vier Vergewaltigungen und ein Mord. Und das war sogar eine gute Statistik, die meisten Großstädte der Welt konnten von so geringen Zahlen nur träumen. Die Welt war voll von schlechten Menschen. Kopfschüttelnd wandte Light sich ab und stellte sich neben Ryuuzaki. Diese Dinge sollte er lieber gar nicht erst denken. Kira dachte mit Sicherheit auch so, es wäre einfach nicht klug, diesen gedanklichen Ansatz auch nur zuzulassen. Also blickte er statt nach unten lieber nach oben, in einen perfekten Sternenhimmel. Es war eine ganze Weile her, seit er die Sterne gesehen hatte. Sein analytischer Verstand suchte automatisch nach den Sternbildern, aber er bemühte sich auch, einfach nur diesen Anblick zu genießen. Ryuuzaki reckte seinem Beispiel folgend den Kopf hoch und blickte hoch zu dem fast vollen Mond, der im sternenklaren Himmel über der Stadt hing und sein Gesicht in blasses Licht tauchte. Light musste lächeln. So hatte er den großen L auch noch nie gesehen. Schön, wie ein neugieriges Kind, das fasziniert die Sterne und den Mond anstarrt. Kühler Wind wehte und Light fröstelte, trotzdem nicht gewillt, die Stille und frische Luft der Nacht gleich wieder aufzugeben. Von einem Moment zum anderen waren die schwarzen Augen auf ihn gerichtet und Ryuuzaki fragte: "Frierst du?" Sein Atem verdampfte an der kalten Luft. Es war ein schönes Bild, fast wie gemalt. Nicht der Sternenhimmel, sondern Ryuuzaki, dessen blasse Haut in diesem Moment wie Porzellan wirkte. Das Mondlicht ließ seine Augen ganz seltsam leuchten. So gerne hätte Light diesen Moment festgehalten, ihn bis in alle Ewigkeit in Eis eingefroren, um ihn wieder und wieder betrachten zu können. Aber Ryuuzakis fragendes Gesicht wartete auf eine Antwort. "Nein", erwiderte er kopfschüttelnd. "Schon okay." "Wir sollten wieder reingehen, bevor du dich erkältest." Eigentlich wollte Light darauf hinweisen, dass er sich wenigstens seine Jacke angezogen hatte, ließ es dann aber doch sein. Im Moment bevorzugte er einfach nur Stille, auch wenn der Augenblick des inneren Friedens so schnell vorbeigezogen war. Gemeinsam gingen sie wieder zur Tür. Ihre Schritte und das immer präsente Rasseln der Kette waren die einzigen Geräusche im Treppenhaus. Light wollte nicht reden. Noch immer dachte er an diesen Moment, wo er Ryuuzaki für einen kurzen Augenblick mit anderen Augen gesehen hatte. Er wunderte sich, dass dieses Bild ihn gar nicht mehr losließ. Und auf einmal war irgendetwas anders. Da war plötzlich dieses warme, zähe Gefühl, das ihn irgendwie überwältigte. Es war wie… wie etwas, das schon lange dagewesen war, ihm aber jetzt erst bewusst wurde. In seiner Brust schmerzte etwas, sein Magen fühlte sich flau an. Im ersten Moment konnte er nicht einmal sagen, ob es ein sehr angenehmes oder ein total furchtbares Gefühl war. Vielleicht war es beides. Dann erst erkannte er, was es war. Die Wucht der Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag in die Magengrube. Er hatte sich in Ryuuzaki verliebt. ...tbc... Kapitel 9: Basorexia -------------------- basorexia - An overwhelming desire to neck or kiss (ein überwältigendes Verlangen zu küssen) Light war um eine Erkenntnis und um eine Bürde reicher. Dass er ausgerechnet für den Mann, der in ihm einen Serienmörder vermutete, Gefühle entwickelt hatte, hatte ihn völlig überrascht. Nachdem er Zeit gehabt hatte, darüber nachzudenken, hatte er beschlossen, dass das, was er fühlte, absolut unangebracht war und er es deshalb ignorieren würde. Nach außen hin änderte sich überhaupt nichts. Dazu hatte Light sich viel zu gut unter Kontrolle. Es war kein Problem, mit Ryuuzaki zusammenzuarbeiten, nicht einmal die Tatsache, dass sie aneinandergekettet waren, erwies sich als Hindernis. Light war schließlich kein verliebtes Schulmädchen, er hatte durchaus die Kontrolle über sich und seine Hormone. Dass er seine Gefühle nicht abschalten konnte hieß nicht, dass er die Kontrolle über sein Handeln nicht im Griff hatte. Das einzige, was sich geändert hatte, war das, was sich in seinem Inneren abspielte. Es gab Situationen, in denen er innerlich einen regelrechten Kampf gegen sich selbst ausfechten musste. Wenn er Ryuuzaki ansah, mit ihm sprach, neben ihm im Bett lag, wollte ein Teil von ihm sich auf diese Verliebtheit einlassen, aus reiner Neugierde sich langsam vorwärts tasten und erkunden, was weiter mit ihm passieren würde. Aber sein pedantischer, kontrollsüchtiger Teil unterband selbst jeden Gedanken daran. Light hatte nicht vor, sich von Gefühlen leiten zu lassen. Einmal war er verliebt gewesen, damals war er vierzehn oder fünfzehn Jahre alt gewesen, und diese Erfahrung mochte er nicht unbedingt wiederholen. Damals hatte er sich wie ein Idiot benommen. Jetzt war er älter und weiser und konnte besser damit umgehen. Auf der Suche nach einer Akte, die er sich kürzlich angesehen hatte, stolperte Light zufällig über eine Datei, die seine Aufmerksamkeit erregte. Sie trug den Namen "Yagami Light – Persönlichkeitsprofil". Die Datei befand sich nicht im selben Ordner wie die anderen Polizeiakten, deshalb war sie ihm vorher nie aufgefallen. Ihm war natürlich klar, dass dieses Dokument sicher nicht für seine Augen bestimmt war, aber es weckte seine Neugier. Ryuuzaki saß neben ihm und hatte den Blick starr auf den Bildschirm gerichtet, der Rest des Teams war gerade im Nebenzimmer. Also öffnete Light die Datei und las. Zuerst überflog er die Beschreibungen seiner Lebensumstände und musste dabei erkennen, wie gründlich Ryuuzaki recherchiert hatte. Dann blieb sein Blick auf einem Absatz hängen. Light Yagami ist berechnend und gnadenlos egoistisch. Er hasst es, zu verlieren. Er ist von sich selbst vollkommen überzeugt und neigt zur Selbstüberschätzung. Er ist ein Einzelgänger, der es aber perfekt versteht, sich in soziale Gefüge zu integrieren und anderen Menschen etwas vorzumachen. "Das sind vertrauliche Akten, Raito." Light blickte auf. Er hatte nicht bemerkt, dass Ryuuzaki sich von seinem eigenen Bildschirm abgewandt hatte, um zu sehen, was er da las. Er drehte sich mit dem Stuhl, um Ryuuzaki ansehen zu können, und fragte: "Das denkst du also über mich? Du hältst mich für einen selbstverliebten, gefühlskalten Egoisten?" "Dieses Persönlichkeitsprofil habe ich vor deiner Inhaftierung angelegt." "Das ist keine Antwort auf meine Frage. Denkst du so über mich?" "Ja." Es traf Light, wenn er ehrlich war. Noch nie war er jemandem begegnet, der so negativ über ihn dachte. Erfolgreich, intelligent, nett, freundlich… das waren normalerweise die Worte, mit denen man ihn beschrieb. Das Persönlichkeitsprofil, das Ryuuzaki erstellt hatte, kam ihm so unbekannt vor, als wäre es die Beschreibung eines Fremden. Es war eine Beleidigung und es tat schlicht und einfach weh. Zornig sagte er: "Nicht zu fassen, dass ich mir so eine Beleidigung von jemandem wie dir gefallen lassen muss." "Jemandem wie mir?" Die Gelegenheit nutzte Light für eine Retourkutsche. "Du bist ein Heuchler." Ryuuzaki legte den Kopf schief. "Wieso nennst du mich einen Heuchler?" "Du bist ein sehr einsamer Mensch", sagte Light mitleidlos. "Aber ich glaube, das macht dir gar nichts aus, deswegen halte ich es auch für Zeitverschwendung, dich deshalb zu bedauern. Du hast mal zu mir gesagt, wir wären Freunde, weißt du das noch?" Ryuuzaki nickte nur. "Aber du hast keine Freunde. Du verstehst das Konzept Freundschaft überhaupt nicht. Du benutzt dieses Wort bloß, um andere zu manipulieren. Wenn du Misa und mir erzählst, du wärst unser Freund, hoffst du, wir würden weich in deiner Gegenwart und würden uns vielleicht irgendwann verraten. In Wahrheit hast du niemanden gern, ich glaube, nicht mal dich selbst. Dich wirklich auf einen anderen einzulassen, dazu bist du viel zu feige." "Das ist nicht richtig", widersprach Ryuuzaki vage. Abfällig schüttelte Light den Kopf. Was für einen Sinn hatte diese Diskussion? Ryuuzaki war sowieso zu wenig einfühlsam, als dass er hätte verstehen können, was für ein beschissenes Gefühl es war, in Lights Situation sein zu müssen. Er schloss das Dokument und setzte seine Suche nach der Akte fort. Den Rest der Arbeitszeit verbrachten sie in eisigem Schweigen. Abends saßen sie gemeinsam auf der Couch und sahen fern. Sie schwiegen einander immer noch an, was sich selbst bei eingeschaltetem Fernseher irgendwie merkwürdig anfühlte. Light wollte am liebsten einfach schlafengehen, hätte sich aber eher die Zunge abgebissen, als das laut zu sagen. Ryuuzaki hatte sich eine große Portion Schokoladenkuchen organisiert, den er jetzt genüsslich in sich reinstopfte. Light hatte festgestellt, dass Schokoladenkuchen bei Ryuuzaki momentan ganz besonders hoch im Kurs zu stehen schien, warum auch immer. Es war ohnehin beunruhigend, dass ihm das überhaupt auffiel. "Raito", sagte Ryuuzaki irgendwann völlig überraschend in die Stille hinein. "Was ist?" "Wegen dieser Akte über dich…" "Ja?" Er hatte überhaupt keine Lust, weiter darüber zu reden, dementsprechend kalt war auch sein Tonfall. "Es stimmt, ich glaube daran, dass ich mit diesem Persönlichkeitsprofil richtig lag. Aber das war vor deiner Inhaftierung. Ich denke nicht, dass es jetzt in diesem Moment auf dich zutrifft." Für Ryuuzakis Verhältnisse war das wohl so etwas wie eine Entschuldigung. "Und wie denkst du jetzt über mich?" "Ich halte dich weder für gefühlskalt noch für egoistisch." "Das passt nicht zusammen, Ryuuzaki. Ich war auch vor meiner Inhaftierung so. Ein Mensch könnte sich auch gar nicht so verändern." "Du schon. Es fühlt sich an, als wärst du ein völlig anderer Mensch. Das Profil passt, jedenfalls passte es zu dem Zeitpunkt, als ich es erstellt habe." Verärgert schüttelte Light den Kopf. "Das ist nicht wahr. Du kanntest mich einfach nicht gut genug. Du weißt eben nichts über mich." Für ihn war das Thema damit erledigt, er schaute wieder zum Fernseher und versuchte, nicht allzu müde auszusehen. "Ich weiß sogar sehr viel über dich. Mehr als du denkst." "Ah ja? Was denn zum Beispiel?" Es war keine wirklich ernst gemeinte Frage. Ryuuzaki wusste nur, was Light bisher über sich preiszugeben bereit gewesen war. Im Grunde kannte er ihn überhaupt nicht, deshalb glaubte Light auch nicht, dass er eine Antwort bekommen würde. "Du bist freundlich, großzügig, selbstbewusst und du hast einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit." Das war zwar richtig, konnte Light aber nur mäßig beeindrucken. "Du hast einen Hang zur Selbstüberschätzung, weil du so gut wie keine Selbstkritik kennst. Du weißt, dass das, was du tust, perfekt ist, also gibt es keinen Grund, daran zu zweifeln. Du hast dich sehr gut unter Kontrolle, Gefühle zeigst du anderen nur dann, wenn du dich bewusst dafür entscheidest. Deine größte Angst ist es, unvollkommen zu sein. Deshalb hasst du es so sehr, zu verlieren." Treffer. Light bemühte sich, keine Regung zu zeigen. "Woher willst du das alles wissen? Du rätst doch bloß gut." "Ich rate niemals, Raito. Immerhin habe ich Wochen und Monate damit verbracht, dich zu studieren." "Dann bist du eben ein guter Beobachter." Ryuuzaki nickte und stellte seinen leeren Kuchenteller weg. Light wollte nicht noch mehr hören. Es war ihm unangenehm, dass über ihn gesprochen wurde und genau das erfasste Ryuuzaki mit seinem stechenden, immerzu beobachtenden Blick. "Das gefällt dir nicht", sagte er und es war keine Frage sondern eine Feststellung. "Du hasst es, durchschaut zu werden. Wahrscheinlich ist das für dich nur eine andere Form der Niederlage. Ist es denn so schlimm, dass ich weiß, was in dir vorgeht?" "Du weißt gar nichts", sagte Light und ärgerte sich über die Unsicherheit in seiner Stimme. "Ich weiß, dass du gerade fieberhaft überlegst, wie du mich zum Schweigen bringen kannst. Und du denkst darüber nach, was dich verraten hat. Wieso es mir so leicht fällt, dich zu durchschauen." Light verspürte den starken Drang, wegzulaufen. Das kannte er von sich selbst überhaupt nicht. Er verstand nicht einmal, warum es ihm so unangenehm war, dass Ryuuzaki sein Ich so gut erfasst hatte. Er fühlte sich durchleuchtet und diese Augen schienen immer tiefer in seine Seele zu blicken. Light hielt sich für einen guten Menschen und trotzdem war da plötzlich die Furcht, Ryuuzaki, ausgerechnet er, könnte etwas von ihm erblicken, das für niemanden bestimmt war. "Du bist ein Perfektionist. Alles was du tust, muss unbedingt perfekt sein. Nach außen hin trägst du diese Perfektion wie eine Maske, damit niemand sehen kann, wie du wirklich bist. Du weißt, dass du besser bist als die anderen. Du versuchst, es keinen spüren zu lassen. Du bist freundlich zu allen, aber irgendwo tief drinnen siehst du dennoch auf sie herab. Dein wahres Ich fragt sich immerzu, warum du die Regeln dieser Welt befolgst. Ruhm, Reichtum, Karriere, das alles bedeutet dir in Wahrheit nichts. Dein wahres Ich langweilt sich, sucht nach etwas Größerem, etwas Besserem. Aber das darf keiner wissen." Er machte eine Pause. Die Gelegenheit hätte Light nützen müssen, für eine Antwort, einen Gegenangriff, irgendetwas, aber er konnte nicht. Es ging einfach nicht. "Du nimmst die Dinge, wie sie kommen und machst das Beste daraus. Vielleicht war es das… vielleicht war das der Grund, wieso jemand wie du zu einem Mörder wurde. Du bekamst die Gelegenheit und hast dich entschieden, Gott zu spielen." "Ich bin nicht Kira. Ich bin kein Mörder." "Nicht mehr." "Nein, nie." Dieser Moment, dieses Gespräch, war so seltsam intensiv. Ryuuzaki hörte einfach nicht auf zu starren. Er wusste, dass er Recht hatte, er hatte zielsicher Lights Schwachpunkte aufgezeigt. Noch nie hatte jemand Light Yagami so durchschaut. Light fühlte sich verletzlich. So als hätte Ryuuzaki es geschafft, all seine Maßnahmen der Verteidigung einfach zu durchbrechen. Die perfekte Maske war abgefallen und zurück blieb nur er selbst. Es fühlte sich nicht gut an. Nackt und bloß, schutzlos. Und nicht einmal sein messerscharfer Verstand wollte ihm eine Waffe liefern, um zurückzuschlagen. Und ausgerechnet in diesem Augenblick der Verletzbarkeit tauchte noch etwas anderes auf. Ein Gefühl der Sehnsucht wallte in ihm auf, als er Ryuuzaki ansah. Bar jeglicher Verteidigungsmechanismen, die von Ryuuzaki so konsequent und mühelos entschärft worden waren, konnte er sich dagegen nicht wehren. Er sehnte sich danach, Ryuuzaki nahe zu sein. Jetzt gerade wollte er nicht perfekt sein, nicht das Richtige tun. Light lehnte sich nach vorne und küsste Ryuuzaki auf den Mund. ...tbc... *** Hihihi, ich mag das Kapitel! Ich hab schon wieder ewig dran rumgefeilt, aber jetzt gefällt's mir total. Ich fand die Frage, wie Light hinter seiner perfekten Maske eigentlich wirklich ist, total schwierig. Ich hoffe, das ist einigermaßen nachvollziehbar. Und er hat Ryuuzaki geküsst. ^_^ Jaja, mal sehn wie der reagiert... @vulkan_chan: bei den Titeln handelt es sich allesamt um englische Fremdwörter bzw. englische Wörter, die nicht mehr wirklich verwendet werden. Man merkts eh, vieles kommt aus dem griechischen und lateinischen, einige dürfte es im deutschen Fachjargon genauso geben, "photophobia" zum Beispiel gibt’s als medizinischen Fachbegriff "Photophobie" (Lichtempfindlichkeit) im Deutschen. Kapitel 10: Philophobia ----------------------- philophobia – A fear of love or of falling in love (Angst vor der Liebe oder davor, sich zu verlieben) Ryuuzaki zu küssen war nicht unbedingt so, wie Light es erwartet hatte. Zuerst war es so wie jeder andere Kuss auch, bedeutungslos und leer. Er war zu aufgewühlt, um irgendetwas zu fühlen. Aber dann kam dieses Gefühl in seinem Bauch, für das er keine Worte fand. Er spürte, wie etwas leicht an seinem Hemd zog, Ryuuzakis Hand zupfte unbeholfen daran und irgendwo am Rande wunderte er sich darüber. So langsam fing er an, dieses Gefühl wirklich zu genießen, und es war bloßer Instinkt, als er sich anschickte, eine Hand in Ryuuzakis Nacken zu legen. Plötzlich bekam er einen Stoß vor die Brust und der Körperkontakt ging abrupt verloren. Als er aufsah, saß Ryuuzaki mit angezogenen Beinen am anderen Ende der Couch und starrte ihn aus weit aufgerissenen Augen an. Der Ausdruck in seinen Augen war fast panisch, als hätte Light ihm soeben eine Kugel in die Brust geschossen. Augenblicklich begriff er, dass er einen großen Fehler gemacht hatte und in seinem Kopf, der eben noch wie leergefegt gewesen war, herrschte nun das blanke Chaos. Während Light versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen, legte Ryuuzaki seinen Daumen auf seine Unterlippe und sagte: "Ich möchte Yagami-kun bitten, das nicht mehr zu tun. Das war wohl ein Missverständnis." Yagami-kun. Es wäre nicht deutlicher gewesen, hätte er eine Wand zwischen ihnen beiden aufgestellt. Das wirkte wie eine schallende Ohrfeige, Light wurde wieder klar im Kopf. So langsam dämmerte ihm, was er da getan hatte. Er setzte einen teilnahmslosen Gesichtsausdruck auf und sagte eisig: "Offensichtlich. Es wird nicht mehr vorkommen." So nah sie sich vor wenigen Augenblicken gewesen waren, so groß war jetzt auf einmal die Kluft zwischen ihnen. Dass ein Kuss von ihm zurückgewiesen wurde, hatte Light noch nicht erlebt. Es war schmerzlich und eine Art von Niederlage, die er nicht kannte. Er verstand nicht, warum Ryuuzaki das getan hatte. Hätte er von Anfang an den Mund gehalten, wäre es nicht soweit gekommen. Jetzt schien die Temperatur im Raum unter den Gefrierpunkt zu sinken. Beide hatten sie ihre Mauern wieder aufgebaut, breiter und stärker als vorher. "Light, Ryuuzaki… sagt mal, stimmt irgendwas nicht?" Sogar Matsuda, der normalerweise alles als letzter kapierte, hatte gemerkt, dass etwas nicht stimmte. War ja auch kein Kunststück. Der sonst so lebendige Dialog zwischen Light und Ryuuzaki über jedes Detail der Ermittlungen hatte sich in unangenehmes Schweigen verwandelt. Gemeinsam saßen sie auf der Couch, jeder am anderen Ende, so weit voneinander entfernt, wie es die Kette zuließ. "Wieso, was sollte nicht stimmen?", fragte Light. "Ihr seid irgendwie anders, oder täusche ich mich?" Seelenruhig kaute Ryuuzaki ein Stück Zucker und erwiderte: "Das täuscht. Wir sind müde und deshalb nicht so gesprächig wie sonst. Wir haben die ganze Nacht durchgearbeitet." Geschlafen hatte Light tatsächlich so gut wie gar nicht. Wie sollte er auch, die ganze Nacht lang hatte er diese peinlichen Minuten bevor er Ryuuzaki geküsst hatte in seinem Kopf gewälzt und versucht, eine Erklärung dafür zu finden, wieso er so die Kontrolle über sich verloren hatte. Diesen Fehler konnte er sich selbst einfach nicht verzeihen. Vielleicht hätte er weniger negativ darüber gedacht, wenn Ryuuzaki anders reagiert hätte, aber so hatte er nicht nur einen absoluten Kontrollverlust erlitten sondern war darüber hinaus auch noch zurückgewiesen worden. Sein Ego wurde damit einfach nicht fertig. Aber so langsam dämmerte ihm, dass das verbissene Schweigen nur ein weiteres Eingeständnis von Schwäche war. Damit zeigte er Ryuuzaki, dass er verletzt war. Und das machte die Niederlage nur noch größer. Er wusste, was er eigentlich hätte tun sollen: sein perfektes Lächeln aufsetzen und so tun, als wäre ihm das alles völlig egal. Aber er brauchte etwas Ruhe, wenigstens ein paar Minuten ohne diesen starren, forschenden Blick, um sich zu sammeln und neue Kraft für dieses absurde Theater zu schöpfen. Als hätte Ryuuzaki seine Gedanken gelesen, stellte er seine Tasse ab und sagte: "Wir sind beide ausgelaugt. Vielleicht könnten Raito und ich eine Pause gebrauchen. Auch voneinander." Das Team horchte auf und Ryuuzaki zuckte die Schultern. "Watari würde gerne herkommen, um etwas mit mir zu besprechen. Raito könnte etwas Zeit mit seinem Vater verbringen. So weiß ich, dass jemand ihn im Auge behält, und wir könnten beide etwas… Abstand gewinnen." Die Worte hingen bedeutungsvoll in der Luft, auch wenn wahrscheinlich außer ihnen keiner wusste, worum es wirklich ging. Hasserfüllt blickte Light Ryuuzaki an, der ihm schon wieder einen Schritt voraus war. Normalerweise hätte er diesen Vorschlag schon aus Prinzip abgelehnt, einfach weil es nicht seine Idee gewesen war, aber dies war eine Ausnahmesituation. "Das halte ich für eine gute Idee. Vater, was meinst du?" Der wirkte etwas hilflos, überrascht durch den plötzlichen Sinneswandel von L. "Ryuuzaki… ich dachte, es geht darum, Light 24 Stunden im Auge zu behalten?" Es war ziemlich klar, was er gerade dachte. Er befürchtete, dass Ryuuzaki Light erneut verdächtigen könnte, sollte der auch nur ein paar Minuten ohne seine Aufsicht sein. "Sie passen doch auf ihn auf, Yagami-san." "Bitte, Vater", sagte Light. "Ich denke, es würde uns allen gut tun." "Natürlich. Ich freue mich, wenn wir etwas Zeit zusammen verbringen können." "Ist alles in Ordnung, Ryuuzaki?" Er griff missmutig nach seiner Teetasse. "Warum fragt mich das heute eigentlich jeder?" Er hatte Watari sicherlich nicht herbestellt, damit der ihm auch noch Salz in die Wunde streute. Watari lächelte wissend. "Weil man es dir im Gesicht ansieht, dass etwas nicht stimmt." "Du siehst es bloß, weil du mich so lange kennst. Aber wenn es sogar Matsuda und den anderen auffällt, sollte es mir doch Sorgen machen." "Was ist denn eigentlich passiert?" Ryuuzaki seufzte. "Die Sache mit Raito ist etwas außer Kontrolle geraten." Watari wusste Bescheid über die merkwürdige Anziehung zwischen Light und Ryuuzaki, es war Teil des Systems, dass L ihm täglich e-Mails schickte, in denen er die Ereignisse des Tages schilderte. Es gab ihm Sicherheit. Sollte Kira ihn doch eines Tages töten, gäbe es jemanden, der über den Stand der Ermittlungen, über jedes Detail, bestens informiert war. Jemanden, den Light noch nie zu Gesicht bekommen hatte. "Er hat mich gestern Abend geküsst. Einfach so." Sichtlich erstaunt setzte Watari sich. "Interessant." "Nein, nicht interessant. Ganz schlecht." Erschöpft ließ er die Stirn gegen sein Knie sinken. Watari war ein ausnehmend guter Zuhörer. Er wusste, dass Ryuuzaki manchmal eine Weile brauchte, um seine komplizierten Gedankengänge zu entwirren und für einen anderen verständlich zu machen. Außerdem urteilte er nicht, Watari vertraute L bedingungslos. Und genau das brauchte er im Moment. Er überlegte eine Weile und sagte dann: "Ich habe ihm gesagt, dass er das nie wieder tun soll. Aber er hat sicher gemerkt, wie erschrocken ich war." Vielleicht war das nicht einmal das Schlimmste, aber davon konnte Ryuuzaki nicht einmal Watari erzählen. Im Nachhinein gesellte sich zu dem Schreck und dem schalen Gefühl, von Light komplett aus der Bahn geworfen worden zu sein noch etwas anderes. Die Erkenntnis, dass sie beide einander einen Augenblick lang so nah gewesen waren, dass der Junge ihn geküsst hatte, brachte ein angenehmes, irgendwie aufregendes Gefühl mit sich. Das war überhaupt nicht gut. "Das allein würde dich aber nicht so verunsichern." Ah, manchmal hasste er es, wie gut Watari ihn kannte. Ryuuzaki war es wichtig, undurchschaubar zu sein. Das war Teil seines Berufs, Teil seines Auftritts. Light und er waren sich vielleicht gar nicht so unähnlich. Wäre er es gewesen, den man so durchschaut hätte, es hätte ihn sicherlich genauso erschüttert. Er hätte es bloß nicht so offen gezeigt wie Light. "Ich wünschte, ich hätte anders reagiert. Weniger… aufgebracht." Wieder ließ er sich Zeit, bis er weitersprach. Gerade in Wataris Gegenwart musste er seine Worte mit Bedacht wählen. "Du weißt, dass ich mit Gefühlen und mit Nähe nicht umgehen kann. Er hat mich ziemlich erschüttert." Er seufzte. "Jetzt ist alles noch komplizierter geworden. Die Stimmung ist unerträglich, ich brauchte dringend etwas Abstand." "Wo ist er überhaupt?" "Ich habe ihn mit seinem Vater losgeschickt. So weiß ich wenigstens, dass jemand ihn im Auge behält." Er bemerkte sehr wohl den prüfenden Blick, den Watari ihm zuwarf. Es war ja auch nicht alltäglich, dass Ryuuzaki seine eigenen Anweisungen zurücknahm. "Das ist ziemlich gefährlich. Wenn er Kira ist und du lässt ihn frei herumlaufen…" "Momentan gibt es nichts von ihm zu befürchten." "Dann glaubst du nicht, dass er Kira ist?" "Nicht mehr." Ryuuzaki kippte sich einige Zuckerstücke in den Tee. "Diese Geschichte macht mir Sorgen. Ich hätte ihn nie so nah an mich herankommen lassen dürfen. Er hat mich völlig überrumpelt." Das war wohl das erste Mal, dass er sich selbst in eine unangenehme Lage gebracht hatte. Jetzt konnte er die Sache mit den Handschellen keinesfalls mehr abblasen. Das wäre schwach gewesen und L zeigte keine Schwäche, Punkt. "Ich denke, Raito weiß selbst nicht, warum er mich geküsst hat. Das ist das einzig Gute an dieser Sache." Von Watari kam ein fragender Blick. "Bevor… vor dem Kuss… haben wir uns über ihn unterhalten. Er hat das Persönlichkeitsprofil gesehen, das ich einmal für ihn angelegt habe. Eigentlich wollte ich ihm bloß sagen, dass ich es inzwischen nicht mehr für zutreffend halte, aber die Dinge sind irgendwie außer Kontrolle geraten. Ich habe ihm ziemlich deutlich gezeigt, wie gut ich ihn durchschauen kann. Das ist seine Schwäche, sogar die einzige, soweit ich das bisher sehen kann. Damit kommt er nicht zurecht, als ich anfing, Stück für Stück sein wahres Ich freizulegen, geriet er in Panik. Ich wollte nicht aufhören, weil ich ohnehin schon so weit gegangen war. Ich war neugierig zu sehen, was weiter passieren würde und ob er wohl doch noch zum Gegenschlag ausholen würde." Im Nachhinein war es in jeder Hinsicht unklug gewesen, so direkt vorzugehen. "Es mag ihm nicht bewusst sein und er hatte zu dem Zeitpunkt wohl einfach nur das Gefühl, vollkommen schutzlos zu sein, aber instinktiv wusste ein Teil von ihm um meine Schwachstelle und hat sie ausgenutzt. Der Kuss war das perfekte, das einzige Manöver zur Verteidigung." "Der Junge ist ziemlich gefährlich." "Richtig. Er ist die gefährlichste Person, die mir je begegnet ist." Eigentlich meinte Ryuuzaki das sogar im zweifachen Sinn. Ihm ganz persönlich konnte Light gefährlich werden. Nicht Kira, sondern Light Yagami. Irgendwie hatte er es geschafft, dass Ryuuzaki ihn gern hatte. Und das war so gefährlich, dass er lieber gar nicht darüber nachdenken wollte. "Er war eindeutig in der schwächeren Position und er wusste nicht einmal von Anfang an, dass ich ihn attackiere. Dieser Junge ist momentan nicht Kira und trotzdem ist es ihm gelungen, mich zu besiegen." Alles in allem war es nicht einmal eine halbe Stunde, die Light ohne die Handschellen und mit seinem Vater verbrachte. Sie hatten einen Spaziergang gemacht und sich in ein fast leeres Café gesetzt. Sein Vater hatte versucht, herauszufinden, ob etwas nicht stimmte und wie er sich bei der ganzen Situation eigentlich fühlte. Aber schon wenige Minuten Abstand zu Ryuuzaki hatten ausgereicht, damit Light neue Kraft tanken konnte und beim Gespräch mit seinem Vater hatte er sich bereits ausreichend unter Kontrolle, um nicht etwa etwas Dummes zu sagen, das er nicht mehr hätte zurücknehmen können. "Es ist einfach nur anstrengend. Und natürlich ist es eine Belastung, dass man mich für einen Serienmörder hält. Aber du musst dir keine Sorgen machen", hatte er seinem Vater lächelnd versichert. "Ich komme damit zurecht." Damit allein hatte er seinen Vater wieder eingewickelt und der wäre nicht mehr auf die Idee gekommen, dass etwas nicht stimmen könnte. Bei seiner Rückkehr ins Büro war Light dann wie ausgewechselt. Er sah Ryuuzaki freundlich an und bedankte sich höflich für die Zeit allein mit seinem Vater. Widerstandslos ließ er sich die Kette anlegen und Aizawa bemerkte sichtlich erleichtert, dass es wohl eine gute Idee gewesen war, diese Pause einzulegen. Ryuuzaki starrte schon wieder, aber diesmal prallte der intensive Blick an Lights glatter Fassade und dem schmucken Lächeln einfach ab. So nicht, mein Freund!, dachte er finster, während das aufgesetzte Lächeln allenfalls noch eine Spur sanfter wurde. Nie wieder! Schon am nächsten Tag war nach außen hin alles wieder beim alten. Die Diskussion über die Akten, die neuen Morde und Kira war wieder aufgelebt und Matsuda äußerte ganz begeistert, wie froh er sei, dass Ryuuzaki und Light wieder ganz die alten wären. In Wahrheit war, zumindest was Light anbelangte, nichts mehr wie vorher. Er hatte nur noch ein Ziel vor Augen: sich dieser albernen Gefühle für Ryuuzaki auf dem schnellsten Weg entledigen. Es war einfach gewesen, diesen Weg zu beschreiten, denn von näherem betrachtet, hatte Ryuuzaki viele positive Eigenschaften und sogar seine schrullige Art war irgendwie liebenswert. Es rückgängig zu machen war allerdings eine andere Sache. Weil Light, wenn er ganz ehrlich war, auch nicht so viele Erfahrungen mit der Liebe gemacht hatte, fielen ihm nicht sehr viele Strategien ein. Genauer gesagt nur eine einzige, die zugegebenermaßen auch auf der Hand lag: Ablenkung. Wenn er diese neuen Gefühle nicht loswerden konnte, musste er sich eben ablenken. Und da gab es ja schon jemanden, der perfekt dafür war. "Raitooo!", schallte Misas Stimme durch die gesamte Hotelsuite. Sie hatte sich bei ihm untergehakt und strahlte über das ganze Gesicht. "Ich freu mich so, dass du mich eingeladen hast." Light versuchte wirklich, nachsichtig zu sein, obwohl ihre laute, aufdringliche Art ihm nicht sehr behagte. Misa war ein nettes Mädchen und sie war die erste, die ihm so direkt und offensiv ihre Liebe gestanden hatte. Für seinen Geschmack war sie etwas zu unbedarft, aber davon wollte er sich nicht abschrecken lassen. Er hätte es sicher schlechter treffen können. Sich mit ihr zu beschäftigen war auf jeden Fall besser als sich mit Ryuuzaki zu beschäftigen. Deshalb warf er ihr einen freundlichen Blick zu und erwiderte: "Ich hoffe, die Umstände stören dich nicht allzu sehr." 'Die Umstände', das war Ryuuzaki, der Light gegenüber auf der Couch saß und bedächtig seinen Kaffee schlürfte. Sofort warf Misa ihm einen finsteren Blick zu und sagte gleichzeitig in zuckersüßem Tonfall zu Light: "Es wäre zwar schöner ohne den Störenfried, aber wenigstens können wir Zeit miteinander verbringen." Light hatte sich vorgenommen, Misa besser kennenzulernen. Also fragte er sie: "Und, was hast du in letzter Zeit so gemacht?" "Mh, gestern hatte ich zwei Fotoshootings, das war ganz schön anstrengend. Und der Fotograf war gar nicht begeistert, dass Mogi-san die ganze Zeit dabei war. Wenn ich nicht arbeite, warte ich eigentlich nur darauf, dass ihr Kira endlich fasst und ich dich ganz für mich habe." Light fragte sich ernsthaft, warum er bei ihrem ersten Treffen geglaubt hatte, sie wäre vielleicht gar nicht so oberflächlich. Er konnte sich eigenartigerweise nicht mehr daran erinnern, aufgrund welcher ihrer Äußerungen er zu der Erkenntnis gelangt war. Jetzt jedenfalls hielt er sich selbst für total bescheuert. Sie war ein typisches Mädchen, fast schon klischeehaft. Hatte sie sich in Gedanken jemals mit etwas Tiefschürfenderem als ihrem Aussehen beschäftigt? Wehmütig dachte Light an seine Unterhaltung mit Ryuuzaki über Glaube und Gott. Eine Unterhaltung mit Misa über so ein ernstes Thema wollte er sich lieber nicht vorstellen. Manchmal konnte ihre kindliche Sichtweise ganz erfrischend sein, aber es war doch etwas völlig anderes, mit einem Ebenbürtigen Meinungen auszutauschen. Vielleicht war das der Grund, wieso er sich zu Ryuuzaki hingezogen fühlte. Es war schlicht die intellektuelle Stimulation, die er noch nie zuvor so erfahren hatte. Es war unfair, Misa ausgerechnet mit Ryuuzaki zu vergleichen. Sie hatte andere Stärken. Beispielsweise geriet sie bei einem Kuss nicht in Panik. Als Ryuuzaki nach nicht einmal einer halben Stunde mahnte, es sei langsam wieder an der Zeit, sich an die Arbeit zu machen, war Light einigermaßen erleichtert. Mit einem unwilligen Ryuuzaki im Schlepptau brachte er Misa zur Tür. Sie stand schon fast draußen, da zog er die Tür so weit auf, dass sie zwischen ihm und Ryuuzaki war, und gab Misa einen Kuss. Befremdlicherweise löste diese Geste überhaupt nichts in ihm aus. Aber wenigstens Misa machte er damit glücklich. Sie strahlte wie schon lange nicht mehr und wankte mit einem verklärten Lächeln davon. Der Blick, den Ryuuzaki Light zuwarf, nachdem der die Tür zugemacht hatte, war sehr, sehr eigenartig. ...tbc... *** Gott, dieses Kapitel war das mühsamste überhaupt bisher. Ich habe mindestens ein Dutzend Versionen geschrieben und es wollte mir trotzdem nicht so recht gefallen. Aber jetzt kann ich gut damit leben, es ist doch noch was geworden und das ist das Wichtigste. ^_^ Wie immer ein herzliches Danke für die Kommentare! Ich finde den Manga von Death Note, von ein paar wenigen Patzern mal abgesehen, ziemlich gut ins Deutsche übersetzt. In Band vier glaube ich gibt es eine Stelle, wo Light sich denkt "So nicht mein Freund!". Den Satz fand ich ziemlich cool, den musste ich so übernehmen. Hihi~ @LumCheng: Das hat schon seinen Grund, warum L manchmal so kindisch rüberkommt. Ich finde irgendwie… dass er sich hinter seinem Auftreten und dieser kindischen Fassade genauso versteckt wie Light sich hinter seiner Perfektion. Dadurch neigt man dazu, L zu unterschätzen. Naja, in meiner Fanfic macht er's jedenfalls zu einem großen Teil absichtlich. @vulkan_chan: *dir mal ne Beruhigungstablette reich* Das hat… zugegebenermaßen etwas länger gedauert, als ich gehofft hatte, aber naja… das könnte eventuell noch öfter passieren, ich bin ein Fan von cliffhangern… *schon mal in Deckung geh* Deinen Kommentar fand ich jedenfalls sehr genial ^_^ Kapitel 11: Veriloquent ----------------------- veriloquent – Speaking nothing but the truth (nichts als die Wahrheit sagen) Eigentlich war Ryuuzaki kein Mensch, der oft persönliche Abneigungen gegen andere hatte. Für ihn waren Menschen eher wie Schachfiguren, er beobachtete sie, schob sie herum, lenkte sie, fing sie ein. Den Menschen an sich brachte er aber für gewöhnlich weder positive noch negative Gefühle entgegen, von sehr wenigen mal ausgenommen. Er kannte den schlimmsten menschlichen Abschaum, aber selbst die Täter, die er hinter Gitter brachte, entlockten ihm keine Gefühlsregung. Er war in der Lage, zu verabscheuen, was sie taten. So wie er verabscheute, was Kira tat. Aber Kira selbst konnte er auch nicht hassen, nicht mal den. Obwohl er so fehlgeleitet war, war er schließlich für L ein sehr interessantes Wesen, das studiert und analysiert werden wollte und ihm wenigstens anständige Gegenwehr lieferte. Umso mehr überraschte ihn die Erkenntnis, dass er Amane Misa nicht leiden konnte. Er konnte es an nichts festmachen, sie war ein dummes kleines Mädchen, das ihm nichts getan hatte und das eigentlich auch nichts Verabscheuungswürdiges an sich hatte. Trotzdem mochte er sie nicht. Er hatte es lieber, wenn sie in ihrem Hotelzimmer blieb, anstatt ihm mit ihrer bloßen Anwesenheit auf den Geist zu gehen. Leider hatte Light offenbar ausgerechnet jetzt, wo Ryuuzaki seine außergewöhnliche Abneigung für das Mädchen entdeckt hatte, beschlossen, mehr Zeit mit ihr zu verbringen. Fast jeden Tag kam sie jetzt zu ihnen ins Büro und hing so lange an Light, bis Ryuuzaki ein Machtwort sprach und sie mehr oder minder rauswarf. Aus dem Augenwinkel starrte er die zwei an, die augenscheinlich schwer miteinander beschäftigt waren. Eigentlich hatte er schon bei ihrer Ankunft zu ihr gesagt, dass er unbedingt arbeiten müsse und sich von ihr nicht ablenken lassen wollte. Hartnäckig wie sie war hatte sie vorgeschlagen, dass er sich an seinen Computer setzte und sie sich einfach nur neben Light setzen und den Mund halten würde. Aber still zu sein lag nicht in Misas Natur. Light hatte gerade mal fünf Minuten gearbeitet, da hatte sie seine Hand genommen. Dann hatte sie an seinem Haar herumgezupft und danach sich neugierig über den Bildschirm gebeugt und gefragt: "Was tust du denn gerade?" Light hatte seinen Vorsatz, zu arbeiten, sehr schnell aufgegeben und unterhielt sich jetzt mit gedämpfter Stimme mit ihr über irgendwelche Belanglosigkeiten, die so schreiend langweilig waren, dass es Ryuuzaki fast die Tränen in die Augen trieb. Wieso hatte er so eine Abneigung gegen Misa? Nicht weil sie der zweite Kira war, sonst hätte er Light ja noch mehr verabscheuen müssen. Und auch nicht, weil sie nicht die Intelligenteste war, von der Sorte befanden sich im Team noch einige mehr und die waren ihm alle völlig egal. Eigentlich kannte er den Grund ja. Es war gar nicht sie, es war Light. Ryuuzaki hasste es, dass sie Light in Beschlag nahm. Er hasste es, dass sie… ja, dass sie Lights Freundin war, dass sie ihm näher war als Ryuuzaki, dass sie ihn so problemlos umarmen und küssen konnte. Ryuuzaki begann zu verstehen, dass ein menschliches Gefühl gleich viele weitere nach sich zog. Light hatte sich irgendwie in sein Herz geschlichen, er war ihm schon lange nicht mehr gleichgültig. Und damit hatte er jetzt noch ganz andere Dinge am Hals, eben zum Beispiel dass er Misa nicht leiden konnte. Wenigstens brachten ihn seine Überlegungen ein Stück weiter. Dieses Gefühl war keine Eifersucht sondern vielmehr eine Erkenntnis. Durch Misa begann er zu verstehen, dass er gewisse Besitzansprüche an Light stellte. Und dass es ihm wehtat, wenn Light einer anderen Person seine volle Aufmerksamkeit schenkte. Auch wenn ihm das nicht gefiel, er konnte es nicht ändern. Er mochte Light. Er hatte diesen gefährlichen Jungen, den ersten Kira, den kaltblütigen Serienmörder, sehr, sehr gern. Ah, das war wirklich ein Alptraum. "Sag mal, was glotzt du so?" Misa riss ihn aus seinen Gedanken. Eigentlich hatte er ja arbeiten wollen, aber wie von selbst hatte er von der Tastatur abgelassen und angefangen, die beiden anzustarren. "Ihr stört mich", sagte er in einem Tonfall, der weit aggressiver ausfiel, als er das beabsichtigt hatte. Sie streckte ihm die Zunge raus und Light sagte bedächtig: "Entschuldige." Es war schon etwas beunruhigend, wie gut er mit dem Kuss und allem, was davor und danach passiert war, zurecht kam. Erst war Light wirklich wütend gewesen und eigentlich hatte Ryuuzaki damit gerechnet, dass diese Wut auch noch eine ganze Weile anhalten würde. Aber Light hatte sich wieder perfekt unter Kontrolle, so perfekt, dass Ryuuzaki nicht wusste, ob seine Gelassenheit nur gespielt war oder ob er seine vermeintliche Niederlage tatsächlich schon überwunden hatte. "Amane-san, du solltest wirklich gehen. Du hältst hier alle vom Arbeiten ab." Misa tat nie, was er sagte. Und auch jetzt warf sie Light einen fragenden Blick zu. Ein Kopfnicken von ihm hätte ausgereicht, sie aus dem Büro zu jagen, aber Light hatte offenbar noch immer nicht genug von ihrer ermüdenden Gesellschaft, er setzte nur einen unbeteiligten Gesichtsausdruck auf. Grinsend sagte Misa: "Ich gehe erst, wenn Raito mich darum bittet." "Ryuuzaki, es muss doch möglich sein, dass ich wenigstens ein paar Minuten am Tag mit ihr verbringen kann", seufzte Light. Bis vor kurzem hatte er immer ziemlich erleichtert ausgesehen, wenn sie wieder gegangen war. Dass er sich auf ihre Seite schlug, verkraftete Ryuuzaki gar nicht gut. "Wenn du sie dazu bringen könntest, für diese paar Minuten den Mund zu halten, wäre es kein Problem", sagte er und versuchte, sich zu beruhigen. Er wusste, dass sein Tonfall genauso gelangweilt wie immer klang, aber allein seine Wortwahl hätte einem guten Beobachter schon zu viel über seinen Gemütszustand verraten. Schon wesentlich ruhiger fügte er hinzu: "Sie hat zu dem Fall nichts beizutragen und ich brauche meine Ruhe." Light warf ihm einen zornigen Blick zu. Eigentlich rechnete er mit einer scharfen Antwort, aber stattdessen sagte Light leise zu Misa: "Geh jetzt besser." "Aber…" Er lächelte sie fast schon zärtlich an und der Anblick versetzte Ryuuzaki einen Stich. "Bitte, Misa." Sofort nickte Misa gehorsam, stand auf, schob brav ihren Stuhl zurück an seinen Platz und verließ artig das Büro. "Sag mal, was sollte das?", fragte Light nachdem sie gegangen war. "Was meinst du?" "Jetzt tu nicht so. Wieso jagst du Misa aus dem Büro? Ich habe dich schon konzentriert arbeiten sehen, wenn hinter dir fünf Leute durcheinander geredet haben und da willst du mir erzählen, dass unsere Unterhaltung dich so gestört hat?" Light zerrte ungeduldig an der Kette, weil die sich unter seinem Schreibtischstuhl verhakt hatte. "Ist das wieder eins von deinen Spielchen? Darf ich jetzt gar kein eigenes Leben mehr haben?" Ryuuzaki schnaubte abfällig. "Nicht alles dreht sich immer um dich, Raito. Sie stört einfach, sie hält uns beide von der Arbeit ab." "Ich lasse mich von dir nicht terrorisieren! Deine Spielchen hängen mir zum Hals raus. Es ist unangenehm genug, mich mit meiner Freundin zu unterhalten, wenn daneben ein Geisteskranker sitzt und uns anstarrt!" "Fakt ist, ich halte euch immer noch für Kira, ob ihr euch nun momentan daran erinnert oder nicht. Mir ist nicht wohl dabei, wenn ihr zu viel Zeit miteinander verbringt. Dass du plötzlich so großes Interesse an ihr hast, wirkt ziemlich verdächtig." Im nächsten Moment traf Lights Faust ihn im Gesicht und er fiel rückwärts vom Stuhl. "Können wir euch alleine lassen oder schlagt ihr euch dann wieder die Köpfe ein?" Lights Vater warf einen strengen Blick in die Runde und Light seufzte. Ryuuzaki und er saßen auf der Couch, umringt von den Polizisten und sie trugen beide die Spuren der Prügelei im Gesicht. "Nein. Geht ruhig, es ist schon spät." "Wirklich?", hakte Matsuda nach. Zugegeben, dieses Mal hätten sie beide sich fast nicht bändigen lassen. Vier Männer hatte es gebraucht, damit sie einander nicht wirklich ernsthaft verprügelt hatten. Aber jetzt war es vorbei und Light sagte ernst: "Wirklich. Geht." Die anderen näherten sich der Tür aber sein Vater warf Light noch einen misstrauischen Blick zu. Light schüttelte kaum merklich den Kopf. Er hatte wirklich nicht vor, heute noch einen Streit vom Zaun zu brechen. Zögernd verabschiedeten die Beamten sich und Ryuuzaki und Light blieben allein zurück. Heute war kein besonders guter Tag. Misa war ziemlich anstrengend gewesen, obwohl er sich eher die Zunge abgebissen hätte, als das Ryuuzaki gegenüber zuzugeben. Und jetzt diese sinnlose Schlägerei. Sie waren doch keine Kinder mehr. Aber irgendwie schaffte Ryuuzaki es immer wieder, ihn auf die Palme zu bringen. Light war so wütend gewesen. Er wusste, dass das sicher mehr gewesen war, als sein Zorn über Ryuuzakis ewige Verdächtigungen oder seine abfälligen Worte über Misa. Es stand einiges zwischen ihnen und sie beide verwandten sehr viel Energie darauf, die eigenen Gefühle vor dem anderen zu verbergen, ob nun positiv oder negativ. Heute waren sie eben auf andere Weise hervorgebrochen. Zaghaft befühlte Light seine geschwollene Wange und sagte leise: "Ich wusste gar nicht, dass Fußnägel Kratzspuren hinterlassen können…" "Du hättest den Kopf nicht wegziehen sollen. Mein Fuß hat dich sehr ungünstig gestreift." "Schneid dir die Fußnägel", grummelte Light. Sein einziger Trost war, dass Ryuuzaki dafür eine blutige Lippe abbekommen hatte. "Heute sind wir wirklich zu weit gegangen. Wir wollen Kira fangen und nicht uns gegenseitig umbringen." "Du hast angefangen, Raito." "Es wäre nicht soweit gekommen, wenn du nicht so schlecht über Misa gesprochen oder wieder mit deinen Verdächtigungen angefangen hättest." "Seit wann macht es dich so wütend, wenn jemand schlecht über Amane-san spricht?" Die bedeutungslose Antwort lag ihm schon auf den Lippen, als Light noch einmal inne hielt. Wem machte er eigentlich etwas vor? Das hier war so kindisch und er hatte genug davon. Die Heimlichkeiten gingen ihm auf den Geist und waren einfach wider seine Natur. Er war ein Mensch, der lieber offensiv an die Dinge heranging. Dieses umeinander Herumschleichen zehrte an seinen Nerven und deshalb entschied er sich jetzt, die Dinge offen auf den Tisch zu legen. "Das war nicht der Grund." "Was dann?", fragte Ryuuzaki scheinbar gleichgültig. "Ich bin wütend auf dich. Hast du überhaupt verstanden, wieso ich dich neulich geküsst habe? Verstehst du, dass es nicht leicht für mich ist, Tag und Nacht an dich gekettet zu sein?" Den Blick, den Ryuuzaki ihm zuwarf, konnte er beim besten Willen nicht deuten. Hatte er es wirklich nicht kapiert? Light seufzte. "Ich mag… nein…" Sei ehrlich. "Ich habe mich in dich verliebt, okay?" Ryuuzaki merkte, wie seine Augen riesengroß wurden. Was hat er gerade gesagt?! Fassungslos starrte er Light an und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Einer kam dann doch und es war nicht unbedingt das, was er sich erhofft hatte: Er versucht schon wieder, dich aus dem Konzept zu bringen! War es das? Nur eine weitere Lüge, eine Falle? Aber nein, er war sich doch sicher, dass Light Yagami momentan nicht Kira war. Also war es vielleicht wirklich die Wahrheit? Er spürte ein kribbelndes Gefühl der Freude in seinem Magen. "Deshalb hast du mich geküsst?", fragte er abrupt. "Weshalb denn wohl sonst?", ächzte Light. Habe ich mich geirrt? Vielleicht ging es ihm gar nicht darum, mich zu entwaffnen. Nicht nur jedenfalls… Ryuuzaki war total perplex. Dass Light sich einfach nur in ihn verliebt hatte, wäre ihm nicht mal im Traum eingefallen. Wie auch, der Gedanke lag wirklich nicht besonders nah. Erstens war Ryuuzaki der Meinung, dass er nicht besonders attraktiv wirkte, jedenfalls auf das andere Geschlecht. Über andere Männer hatte er sich soweit keine Gedanken gemacht. Aber ausgerechnet Light… Eigentlich sollte er ihn hassen. Ryuuzaki hatte ihn aus seinem Leben gerissen und ihm seine Freiheit genommen. Nicht zu vergessen die Anschuldigungen, er sei ein Serienmörder. Sagt dir der Begriff Stockholm-Syndrom etwas?, fragte eine hämische Stimme in seinem Kopf. Das war blanker Unsinn und das wusste er auch. Aber Tatsache war auch, dass sie beide sich in einer Ausnahmesituation befanden. Und in solchen Situationen konnte man seinen Gefühlen nicht immer trauen. "Hör zu, ich habe dir das nur erzählt, weil ich die Heimlichkeiten satt habe", sagte Light. "Vielleicht denkst du ab und zu mal darüber nach, wie ich mich fühle. Ich muss den ganzen Tag mit mir verbringen, ganz so einfach ist das nicht in meiner… Situation. Misa sollte mich wenigstens etwas ablenken und was machst du? Du wirfst sie raus." Sein erster Impuls war es, etwas Bedeutungsloses zu sagen und Light mit einer Antwort ohne Inhalt abzuspeisen. Aber Light war sehr ehrlich gewesen und Ryuuzaki hatte das Gefühl, ihm auch ein wenig Ehrlichkeit zu schulden. "Es gefiel mir nicht, euch zusammen zu sehen." "Das klingt ja fast, als wärst du eifersüchtig", sagte Light. Es klang wie ein Scherz, aber seine Augen blieben ernst. "Ich denke, ich bin eifersüchtig", gab Ryuuzaki unumwunden zu. Überrascht blickte Light ihn an. "Machst du dich über mich lustig?" "Nein." Ryuuzaki bedauerte fast schon wieder, so ehrlich gewesen zu sein. Diese Gefühlsduseleien waren wirklich nichts für ihn. "Ich gebe zu, ich mag dich. Ich denke über dich nach, ich…" Er schüttelte den Kopf, als ihm bewusst wurde, was er da redete. "Aber es geht nicht darum, was ich denke oder fühle. Ich will nicht darüber nachdenken, weil es sowieso nicht geht." "Weil du mich für Kira hältst", sagte Light. Es war keine Frage. "So oder so… erst muss ich die Sache zu Ende bringen." Es machte keinen Unterschied. Wenn er sich irrte, wenn Light nicht Kira war, brachte er ihn in Gefahr. Und wenn er es doch war, musste er den nötigen Abstand wahren… oder zumindest noch ein bisschen Abstand, soweit das nach den letzten Wochen möglich war. Aber aufgeben wollte er noch nicht. Wenn Light nicht Kira war, dann wollte Ryuuzaki die Chance, einem so faszinierenden Menschen nahe sein zu können, nicht ungenutzt verstreichen lassen. Ryuuzaki zuckte die Schultern. "Der Fall ist noch nicht geklärt, ich weiß nicht, wer du wirklich bist. Ich kann mich erst damit befassen, wenn ich Kira gefasst habe." So war es tatsächlich. Wenn er nur für einen Tag nicht hätte L sein müssen, hätte er sich gestattet, diese merkwürdige Anziehung zwischen ihnen beiden zu erkunden und erst aufzuhören, wenn er sich über seine Gefühle klargeworden wäre. Aber er durfte nicht, das war viel zu gefährlich. Es ging immerhin um sein Leben. "Ich verstehe", sagte Light und es klang wie ein Seufzen. "Hättest du mir das nicht einfach sagen können? Wozu dieses ganze Theater?" Er ließ den Kopf sinken. "Wenn diese Sache vorbei ist", sagte Ryuuzaki leise, "dann möchte ich wissen, was das ist mit uns." Aber noch nicht jetzt. Erst musste er Gewissheit haben. Er musste den Fall Kira lückenlos aufklären und erst danach könnte er es vielleicht wagen, sich auf Light wirklich einzulassen. "Dann lass uns diesen Fall so schnell wie möglich aufklären. Lange kann es nicht mehr so weitergehen." Ganz meine Meinung. Sie waren eben beide Menschen, die mit Ungewissheit nur sehr schlecht leben konnten. ...tbc... Kapitel 12: Incalescence ------------------------ incalescence – Growing warm and lusty with love (Gefühle von Wärme und Lust, ausgelöst durch die Liebe) Ryuuzaki fragte sich, ob er einen Fehler gemacht hatte. Light hatte ihn mit seiner gnadenlosen Ehrlichkeit ziemlich überrascht und nun begann er sich zu fragen, ob es nicht doch besser gewesen wäre, wenn er seine Überlegungen für sich behalten hätte. Vorher war das alles bloß eine vage Sache gewesen und von Lights Gefühlen hatte er ja sowieso nichts geahnt. Jetzt, wo sie es ausgesprochen hatten, war es plötzlich greifbar geworden. Vorher hatte die Anmutung von etwas Außergewöhnlichem in der Luft gelegen, selbst Ryuuzaki hatte gemerkt, dass zwischen ihnen etwas anders war. Aber jetzt war es plötzlich da, ganz real, und das machte es noch viel schwieriger, es zu ignorieren. Kleinigkeiten hatten plötzlich eine neue Bedeutung und er hasste es, wie ihn das von seiner eigentlichen Aufgabe ablenkte. Selbst eine zufällige Berührung konnte ihn plötzlich in Aufruhr versetzen, so sehr, dass er sich nicht mehr auf seine Arbeit konzentrieren konnte. Das hasste er mehr als alles andere und in diesen Momenten wünschte er von Herzen, Light hätte einfach den Mund gehalten oder noch besser, diese Sache gäbe es überhaupt nicht. Er wollte diese Gefühle gar nicht. Er hatte nie einen Menschen wirklich an sich herangelassen und dementsprechend schwer fiel es ihm jetzt, plötzlich damit umzugehen. Am liebsten hätte er die Handschellen losgemacht und Light weggeschickt, zu Misa in die Suite, wo er ihn trotz allem noch hätte im Auge behalten können. Aber das würde er schon allein deshalb nicht tun, weil er den Gedanken nicht ertragen hätte, Light Tag und Nacht mit Misa auf engstem Raum allein zu lassen. Eigentlich hatte er wirklich nicht mehr darüber nachdenken wollen, jedenfalls bis zum Abschluss des Falles. Aber er konnte gar nicht anders. Er konnte nicht benennen, was ihn an Light so magisch anzog. Er war sich natürlich im Klaren darüber, dass die Situation, in der sie beide sich befanden, außergewöhnlich war. Vierundzwanzig Stunden am Tag in der Gesellschaft eines anderen verbringen zu müssen konnte durchaus Auswirkungen auf einen Menschen haben. Er kannte die einschlägige Literatur und wusste deshalb, dass er seinen Empfindungen nur bedingt vertrauen konnte. Es war gut möglich, dass sie beide nach Beendigung des Falles völlig anders denken würden. Vielleicht würden sie einander wieder anfeinden, sobald sie diese verdammten Handschellen loswürden. Das war durchaus möglich und schon allein deshalb war es verschwendete Zeit, jetzt darüber nachzudenken. Aber wann immer er einen Blick auf Light erhaschte, und sei es nur aus dem Augenwinkel, konnte er nicht anders als ihn anzustarren. Ob es Light genauso erging, vermochte er nicht mit Sicherheit zu sagen. Seitdem Ryuuzaki ihn quasi durchleuchtet hatte, hatte Light seine Maske sozusagen perfektioniert und nur noch ganz selten blitzte etwas von seinen wahren Gefühlen unter dem freundlichen Gesichtsausdruck hervor. Was Ryuuzaki mit Sicherheit wusste war, dass er diesen Fall niemals lösen würde, wenn sich seine Gedanken fast den ganzen Tag lang um Light drehten. Irgendetwas musste er tun, aber ihm wollte einfach nicht einfallen, was. Vorsichtig öffnete Light die Augen und unterdrückte ein Gähnen. Er wusste nicht genau, wie spät es war, aber nach dem spärlichen Licht, das durch die Fenster in den Raum fiel zu urteilen, war er etwas zu früh wach geworden. Ein fremder Körper hatte sich dicht an ihn geschmiegt und er musste den Kopf mit einiger Anstrengung in die Höhe recken, um über den dunklen Haarschopf hinweg einen Blick auf die Uhr auf Ryuuzakis Nachttisch werfen zu können. Halb sechs. Mindestens noch eine halbe Stunde Zeit. Er ließ den Kopf wieder auf das Kissen sinken. In letzter Zeit war es eher selten vorgekommen, dass Ryuuzaki mit ihm durchschlief. Normalerweise war er immer morgens aufgewacht und Ryuuzaki hatte wieder mit dem Laptop auf dem Schoß dagesessen und gearbeitet. Einmal hatte er sogar im Lotussitz auf dem Bett gesessen und meditiert. Seit sie dieses offene Gespräch miteinander geführt hatten, war eben alles nicht mehr so einfach. Umso erstaunlicher, dass Ryuuzaki nicht nur friedlich neben ihm schlief – eigentlich ja eher an ihm – und friedlich schlummernd mit einer Hand Lights Hemd gepackt hatte. Wenigstens lutschte er nicht am Daumen. Light seufzte. Wie sollte er seine Gefühle unter Kontrolle halten, wenn er morgens aufwachte und der Mensch, an den er ständig denken musste, so dicht neben ihm lag? Er hasste die momentane Situation, in der nichts wirklich war und nur ihre Worte ständig in der Luft hingen und alles so viel schwerer machten. Er wünschte, er hätte nichts gesagt. Unausgesprochen hatte es auch zwischen ihnen gestanden, aber es war nicht so verdammt real gewesen. Er schloss die Augen und versuchte, noch etwas zu schlafen. Und nicht daran zu denken, dass Ryuuzaki ganz unschuldig neben ihm lag. Eine halbe Ewigkeit lang lag er so da, zwischen Schlafen und Wachen, dann spürte er eine Bewegung und etwas berührte seine Hand. Er ignorierte es, aber fremde Finger strichen sacht über seinen Arm und er spürte fremden Atem an seinem Hals. "Raito", flüsterte Ryuuzaki. Ryuuzaki? Was tust du da? Er spürte, wie die Hand über seinen Bauch streifte und dass er plötzlich kein Hemd mehr anhatte. Ryuuzaki küsste seinen Hals und die bloße Berührung jagte ihm einen wohligen Schauer über den Rücken. Der andere Körper drängte sich dichter an seinen und er biss sich auf die Unterlippe, um keinen Laut von sich zu geben. Sein Herz pochte ganz laut in seinen Ohren. Er spürte warmen Atem auf seiner nackten Haut und dann wanderte die Hand nach unten und die Finger schlüpften in den Bund seiner Shorts. Er wollte irgendetwas sagen, wenigstens die Augen aufmachen, aber er lag einfach nur da und versuchte, irgendwie mit dieser Situation klarzukommen. "Raito?", hauchte der andere und Light konnte es nicht über sich bringen zu antworten. Instinktiv hielt er den Atem an, wagte nicht, sich zu bewegen. Die Hand war vollends in seine Shorts geschlüpft und die Finger hatten ihn kaum berührt und lösten doch eine Welle der Erregung in ihm aus. Er glaubte, jetzt sofort den Verstand zu verlieren und riss die Augen weit auf. Ein schwarzes Augenpaar erwiderte seinen verwirrten Blick und im ersten Moment wusste Light nicht, was nun real war und was nicht. Er atmete laut hörbar aus und versuchte, sich zu beruhigen. Langsam wurde ihm klar, dass er bloß geträumt hatte. Aber sein Körper fühlte sich trotzdem an, als stünde er in Flammen und ihm schoss durch den Kopf, dass Ryuuzaki, der ja so dicht bei ihm lag, seine Erregung bemerken musste. Wie um den Gedanken zu bestätigen rutschte Ryuuzakis Bein wie zufällig ein Stück nach oben und streifte die ohnehin schon empfindliche Stelle. Light wollte irgendetwas tun, aber er wusste nicht genau, was. Es kostete ihn alle Willenskraft, nicht aufzustehen und sich irgendwie, trotz der Kette in Sicherheit zu bringen oder genau das Gegenteil zu tun und den Traum einfach in die Realität umzusetzen. Ryuuzaki leckte sich über die Lippen. Er hatte es bemerkt, daran bestand überhaupt kein Zweifel. Light war eigentlich so gut wie nie etwas peinlich aber das hier war ein wahrer Alptraum. Und es war um so vieles verfänglicher, weil Ryuuzaki seine Gefühle ja kannte. Irgendwas musste geschehen, sie konnten einander ja nicht noch stundenlang wortlos anstarren. Light war gerade dabei, innerlich seine Hormone, seine Gefühle und alles andere was ihm sonst noch so einfiel zu verfluchen, da rückte Ryuuzaki vor und küsste ihn auf den Mund. Es war eine ganz unschuldige Geste, eigentlich, aber nicht das, wonach Lights Körper sich im Moment sehnte. Anstandshalber wartete er einen Moment lang ab, um zu sehen, ob Ryuuzaki sich noch anders entscheiden würde, dann rückte er vor und drängte seine Zunge in Ryuuzakis Mund. Der gab einen überraschten Laut von sich und Light wusste schon in dem Moment, dass sie da einen großen Fehler machten. Auf einmal waren die guten Vorsätze vergessen, und nicht nur das mit dem Fall Kira war das Problem sondern auch Ryuuzaki, der ja selbst gesagt hatte, dass er Schwierigkeiten mit diesen Dingen hatte. Eigentlich rechnete er damit, jeden Moment wieder weggestoßen zu werden, aber Ryuuzaki… tat nichts. Jedenfalls nichts, was als Abwehr hätte gewertet werden können. Er wirkte nur irgendwie… neugierig. So als würde er zum ersten Mal jemanden so küssen. Großer Gott. Vielleicht war es wirklich so. Light hatte schon einige Mädchen geküsst, jedoch nie aus einem so schlichten und archaischen Grund wie jetzt. Meist hatte er es getan, um zu bekommen, was er wollte. Nie einfach um der Sache selbst willen. Als sie nach Luft ringend nebeneinander lagen, wusste Light nicht mehr, was er tun sollte. Ryuuzaki legte sich einen Finger an die Lippen und kommentierte völlig unpassend: "Das war wirklich interessant." Light zog eine Augenbraue hoch. "Interessant ist nicht das richtige Wort." "Wir sollten damit aufhören", sagte Ryuuzaki. "Ich weiß." Aber sie waren ja nicht einmal in der Lage, den Körperkontakt aufzugeben. Sie lagen immer noch so dicht aneinander als wären sie siamesische Zwillinge. Es war so dämlich, so kindisch, so unkontrolliert. Light fühlte sich, als wäre er nicht er selbst. Er hatte einen dummen Traum und schon verlor er die Kontrolle. Was richtete diese ganze Sache, dieser verdammte Fall mit all seinen Konsequenzen, mit ihm an? Hinterher würde er sich selbst nicht mehr im Spiegel ansehen können. "Ich denke, das mit uns könnte einfach ein Nebeneffekt dieser ganzen Situation sein", sagte Ryuuzaki und hielt seinen Arm mit der Handschelle hoch. "Daran habe ich auch schon gedacht. Aber das macht es nicht weniger anstrengend." Es kostete ihn unendlich viel Willenskraft, jetzt einfach aufzuhören, wo sein ganzer Körper glühte und bis in seine Fingerspitzen kribbelte. Er hatte noch den eigentümlichen Geschmack von Ryuuzaki auf der Zunge und leckte sich unwillkürlich über die Lippen. Süßlich, irgendwie. Was ja keine große Überraschung war. Light war kein Fan von Süßem aber das hier, dachte er, bildete definitiv die Ausnahme. Irgendwie fühlte er sich ja jetzt besser. So als hätte er sich eine Last von der Seele geschafft. Nur hatte er sich gleichzeitig noch mehr Probleme geschaffen und das würde sich früher oder später rächen. Je weiter sie beide gingen, desto schwieriger würde es werden, aufzuhören. Irgendwann würde der Punkt kommen, an dem es kein Zurück mehr gäbe. Light seufzte tief. Er brauchte unbedingt eine kalte Dusche. Das Ende stand kurz bevor und dieses Mal war Ryuuzaki einfach nur erleichtert. Es war jetzt so gut wie sicher, dass Kira sich unter den Vorständen des Yotsuba Konzerns befand. Einer von ihnen stellte bereits Nachforschungen an, um an Ls richtigen Namen zu gelangen. Die Erkenntnis, dass Kira sich unter ihnen befand, war der große Sprung, den es gebraucht hatte. Von jetzt an war es nur noch ein Kinderspiel. Es erforderte nur mehr eine gute Strategie und etwas Geduld, aber Kira war nicht mehr die große Unbekannte und das war das Wichtigste. Gleichzeitig wurde immer offensichtlicher, dass Ryuuzaki zumindest damit recht hatte, dass dieser Kira und der, der ihm vor Lights Inhaftierung das Leben so schwer gemacht hatte, nicht ein und dieselbe Person waren. Der erste Kira hatte ihm immer die Stirn geboten und er war so geschickt vorgegangen, dass er beinahe keine Spuren hinterlassen hatte. Hätte er die FBI Agenten nicht getötet, hätte Ryuuzaki vielleicht bis jetzt vergebens nach ihm gesucht. Der Kira im Yotsuba Konzern ging dagegen fast schon plump vor. Er hinterließ Spuren und suchte viel zu auffällig nach L. Mit dieser Erkenntnis kam auch seine Befürchtung, dass Light wieder zu Kira werden würde, sobald sie den Fall abgeschlossen hatten. Noch bestand zumindest die Möglichkeit, dass Kira ein Phantom war, das irgendwo da draußen saß und andere manipulierte, um selbst nicht in die Schusslinie zu geraten. Dann wären sowohl Light als auch Misa und der Mann von Yotsuba nichts weiter als Strohmänner, deren Verhaftung allenfalls einen weiteren Schritt auf einem Pfad ohne absehbares Ende markierte. Ryuuzaki wusste, dass dies, objektiv gesehen, das denkbar schlimmste Szenario wäre. Ein Mensch, der andere beliebig kontrollieren konnte und nie selbst aktiv werden musste, war so gut wie nicht zu überführen. Für ihn persönlich allerdings war die Vorstellung, dass er Recht hatte und Light der erste und wahre Kira war, wesentlich katastrophaler. Er wusste, dass es schmerzhaft werden würde, sollte sich diese These bewahrheiten. Sollte es ihm gelingen, Lights Schuld zu beweisen, würden sie ihn wegsperren und zwangsläufig hinrichten. Schon jetzt konnte er sich das kaum vorstellen, ohne dass sich ihm die Kehle zuschnürte. Light war der erste Mensch, der ihm wirklich und aufrichtig etwas bedeutete. Es war ein Fehler gewesen, so ehrlich zu Light zu sein und ein noch größerer Fehler, ihn zu küssen. Es hatte diese Sache so beängstigend real gemacht und anstatt alles zu erleichtern hatten seine Taten alles nur noch viel schwieriger gemacht. Schon jetzt blieb er bei der Frage, ob er es über sich bringen würde, Light zu verhaften und damit in den sicheren Tod zu schicken, mit nichts als einem dumpfen Schmerz in seiner Brust zurück, aber ohne eine konkrete Antwort. ...tbc... *** Ich möchte euch alle schonmal vorwarnen, dass das nächste Kapitel zwangsläufig ein paar Spoiler enthalten wird. Ich werde versuchen, sie so gering wie möglich zu halten, aber für den Fortgang der Story lässt es sich leider nicht ganz vermeiden. Noch etwas in eigener Sache: Ich suche... so etwas wie einen Betaleser. Nicht wegen der Grammatik oder um Rechtschreibfehler zu korrigieren, sondern eigentlich suche ich eher jemanden, dem ich, wenn ich mir wegen diverser Handlungen meiner Charaktere nicht sicher bin, ein Kapitel ab und zu vorab schicken kann und der mir dann ganz gnadenlos ehrlich sagt, ob das so okay ist bzw. mich darauf hinweist, wenn was zu schnulzig oder zu OOC oder sonstwas ist. Es wäre denk ich nicht so viel zu tun, mit den meisten Kapiteln bin ich eh einigermaßen zufrieden, aber zum Beispiel hab ich lange überlegt, ob dieses Kapitel hier so ok ist, in so einem Fall wärs super, wenn jemand vor dem Posten mal drüberschaut und was dazu sagt. Wer Interesse hat, bitte melden ^_^ Kapitel 13: Epincion -------------------- epincion – A victory song or anthem (Ein Lied oder eine Hymne auf den Sieg) So eigenartig das war, nach dem Erlebnis am Morgen, wo sie gemeinsam im Bett aufgewacht waren, wurde es einfach, sich auf anderes zu konzentrieren. Es war, als hätten sie ihren Gefühlen für eine Weile Luft gemacht und nun fiel es einfach leichter, sich wieder der Arbeit zu widmen. Obwohl sie nach dem Aufstehen nicht mehr davon gesprochen hatten, hatte Light den Entschluss gefasst, es nicht mehr soweit kommen zu lassen. Zur Not würde er auf dem Fußboden schlafen, alles war besser als nochmal die Kontrolle zu verlieren. In den darauf folgenden Tagen waren die Ermittlungen schlagartig vorangeschritten. Der Verdacht, dass Kira mit dem Yotsuba Konzern zu tun hatte, hatte sich bestätigt. Matsuda, dieser Einfaltspinsel, hätte beinahe sein Leben gelassen und am Ende war es Misa gewesen, die ihnen überraschend einen stichhaltigen Beweis gegen Higuchi geliefert hatte. Light hatte das Gefühl, dass etwas an Misa sich verändert hatte, konnte es aber nicht wirklich benennen. Jedenfalls fand er es sehr eigenartig, dass sie zu Higuchi ins Auto gestiegen war und ihm das Geständnis abgerungen hatte. Sie wirkte in letzter Zeit aber auch etwas verwirrt, was kein Wunder war. Nachdem er ihr erst Hoffnungen gemacht hatte, hatte Light sich nun wieder von ihr zurückgezogen und selbstverständlich verstand sie das überhaupt nicht. Aber sie verlor nie ihr Lächeln und versuchte tapfer weiter, sich ihm zu nähern. Sie hatte Ausdauer, das musste man ihr lassen. Gemeinsam hatten Light und Ryuuzaki einen Schlachtplan ausgearbeitet, um Higuchi schnellstmöglich zu überführen. Sie würden Sakura TV benutzen, um ihn in eine Falle zu locken. Es war ein brillanter Plan. Vor allem Misa und Matsuda gerieten damit ziemlich in die Schusslinie, aber es gab keine andere Möglichkeit, sonst würden weitere Menschen sterben. Light nahm sich die Zeit, Matsuda ganz genau auf seine Aufgabe vorzubereiten, damit der es nicht vermasselte. Während Ryuuzaki sich um die Gegebenheiten kümmerte, instruierte Light auch den Rest des Teams und schärfte Misa ein, am Tag der Übertragung bloß nicht ans Telefon zu gehen. Nun war es nur noch eine Frage von wenigen Tagen, bis Ryuuzaki Kira dingfest machen würde. Je näher der Zeitpunkt rückte, desto unruhiger wurde Light. Er wusste nicht, was danach passieren würde. Ein Teil von ihm fürchtete sich davor, dass alles von vorne losgehen und Ryuuzaki ihn wieder ins Visier nehmen würde. Denn trotz allem war er ja von seinen Verdächtigungen kein Stück abgegangen. Light begann sich zu fragen, ob er wirklich schon für ein Ende der Ermittlungen bereit war und für das, was danach passieren würde. Mit ihm, mit Misa, mit Ryuuzaki. Am Abend vor dem Tag X saßen Light und Ryuuzaki im Wohnzimmer. Die Monitore, PCs und sogar der Fernseher waren zur Abwechslung mal ausgeschaltet. Akten durchzuarbeiten machte jetzt sowieso keinen Sinn mehr und sie hatten das Szenario oft genug durchgesprochen. Sie waren perfekt vorbereitet und hatten das Bedürfnis nach etwas Ablenkung gehabt, allerdings etwas, das nicht die unfreiwillige Nähe auf der Couch vor dem Fernseher erforderte. Deshalb hatte Light unten bei der Rezeption angerufen und nachgefragt, ob man ein Schachspiel habe. Die Leute hatten tatsächlich eines aufgetrieben und nun saßen sie einander gegenüber, zwischen ihnen der Tisch mit dem Schachbrett und daneben Ryuuzakis obligatorische Süßigkeiten. Das Spiel dauerte nun schon fast eine Stunde. Sie beide hatte der Ehrgeiz gepackt und sie überdachten jeden ihrer Züge sorgsam. Aber selbst die Konzentration, die ein Schachspiel erforderte, konnte Light nicht daran hindern, über morgen nachzudenken. Er freute sich natürlich, dass sie Kira endlich dingfest machen würden, aber die Ungewissheit machte ihm zu schaffen. Der Plan war nicht ungefährlich, auch wenn er sich sicher war, an alles gedacht zu haben, konnte eine Menge schief gehen. Keiner konnte sagen, ob es gut gehen würde. Und er hatte so überhaupt keine Ahnung, wie es danach weitergehen sollte. Das Ende von etwas Großem, Bedeutsamen stand unmittelbar bevor und was danach kam, darüber hatte Ryuuzaki ihn ziemlich im Dunkeln gelassen. Er glaubte nicht, dass L ihm zufrieden stellende Antworten geben würde. Er glaubte schließlich immer noch, Light könnte Kira sein, und dementsprechend handelte er auch. Er würde keine relevanten Informationen über sein geplantes Vorgehen preisgeben. Auch um sich selbst von den unnötigen Grübeleien abzuhalten, sagte Light in die konzentrierte Stille hinein: "Irgendwie fühlt sich das hier an, als wäre es unser letztes gemeinsames Spiel." "Da hast du vielleicht auch Recht", erwiderte Ryuuzaki, ohne den Blick vom Schachbrett zu nehmen. "Wenn alles nach Plan verläuft, sitzt Kira morgen schon im Gefängnis." "Und was passiert dann?", fasste er seine Befürchtungen schließlich doch in Worte. "Das kommt darauf an, welche Erkenntnisse wir morgen gewinnen. Mir fehlen noch einige wichtige Informationen, um dieses Rätsel wirklich lösen zu können." Er dachte noch einen Moment lang nach, dann setzte er. "Wenn ich die habe, werde ich die notwendigen Schritte einleiten. Vielleicht können wir den Fall ja wirklich abschließen." "Und was ist mit dem zweiten Kira?" "Wenn er Menschen beliebig manipulieren kann und wir zu dem Schluss kommen, dass er von Anfang an Kira war, dann hat er Amane-san und dich benutzt, um mich auf eine falsche Fährte zu locken. Dann gab es in dem Sinne keinen zweiten Kira." Light setzte seine Dame, sodass er mit dem nächsten Zug Ryuuzakis König schlagen könnte. "Schach", sagte er und sah kurz auf. "Ganz ehrlich, wie hoch schätzt du die Wahrscheinlichkeit ein, dass es tatsächlich so war?" Ryuuzaki überlegte eine ganze Weile, dann nahm er Lights Dame mit seiner. Es war für ihn ein ungewohnt offensives Manöver, aber es würde ihm nichts mehr nützen. Nachdem er seinen Zug beendet hatte, sagte er: "Ehrlich? Weniger als fünfzehn Prozent." Es war ja nichts Neues, dass Ryuuzaki so dachte. Aber in den letzten Tagen hatte Light die Tatsache so gut es ging verdrängt, weil der Gedanke, dass Ryuuzaki trotz allem, was passiert war, einen Mörder in ihm vermutete, doch ziemlich wehtat. "Und was tust du, wenn du doch zu dem Schluss gelangen solltest, dass ich Kira bin?" "Dann verhafte ich dich." Light schob seinen Turm in Position. "Wieso tust du das alles überhaupt, wenn du immer noch denkst, ich wäre es? Du sagst mir, wenn der Fall abgeschlossen ist, dann willst du wissen, was das mit uns ist. Aber in deinem Kopf ist er doch schon längst abgeschlossen und ich bin Kira." Nachdenklich antwortete Ryuuzaki: "Auch wenn es weniger als fünfzehn Prozent sind, ich hoffe immer noch, dass du es nicht bist. Dieses eine Mal möchte ich mich wirklich gerne irren." Er starrte irritiert auf das Schachbrett und schien langsam zu begreifen, dass er kaum noch Möglichkeiten hatte, eine Niederlage abzuwenden. Mit seinem nächsten Zug schob er seinen Läufer nach vorne. "Aber wenn ich mich nicht irre… hoffe ich, ich kann dich irgendwie vor dir selbst retten." "Mich vor mir selbst retten…", wiederholte Light tonlos. Er warf einen Blick auf das Schachfeld und stellte erfreut fest, dass Ryuuzaki seine Chance zu kontern verpasst hatte. Mit seinem Läufer schlug er Ryuuzakis Dame. "Matt in sieben Zügen." Ryuuzaki blinzelte und sein Kopf ruckte wieder nach unten. Eine Weile lang sauste sein Blick über das Spielfeld, bis er schließlich wieder aufsah. "Ich kann dir nicht mehr entkommen", sagte er bedeutungsvoll und schob seinen König hinter einen der Bauern. "Ich gewinne eben immer", sagte Light scherzhaft. Irgendetwas fühlte sich an dieser Unterhaltung falsch an, aber er konnte nicht sagen, was es war. Mit dem prophezeiten siebten Zug setzte Light seinen Turm in Position und sah auf. "Schachmatt." Mit dem Zeigefinger stieß Ryuuzaki seinen eigenen König um. Alles verlief nach Plan. Ein zunehmend gestresster Higuchi hatte genau so reagiert, wie Ryuuzaki und Light es prophezeit hatten. Jetzt war er mit seinem Porsche unterwegs zu Sakura TV. Mit wem auch immer er da im Auto geredet hatte, er hatte von einem Handel gesprochen. Nachdem der Polizist auf dem Motorrad gestorben war, gab es eigentlich nur eine logische Erklärung: er verfügte jetzt über die Fähigkeit, Menschen zu töten, wenn er nur das Gesicht kannte. Damit war er zu gefährlich, es war Zeit, einzugreifen und ihn zu verhaften. "Raito? Bist du soweit?", fragte Ryuuzaki und stand auf. Light nickte. Er spürte den Rausch eines Adrenalinstoßes, und die aufkommende Euphorie unterdrückte vorerst jeden Zweifel und die nagende Ungewissheit über das danach. Sie würden Kira schnappen, in wenigen Minuten. Ungeduldig sah er zu, wie Ryuuzaki Misa Handschellen anlegte und sie ziemlich übertrieben an den Stuhl fesselte. Danach rannten sie beide los, stürmten aus der Suite und die Treppe hoch zum Dach. Schon im Treppenhaus hörte man den Lärm, den der Helikopter machte. Ryuuzaki stieß die Tür zum Dach auf und blieb stehen. Der Wind den die Rotoren verursachten, blies ihnen heftig ins Gesicht und Light musste die Augen schließen, um sie vor dem aufgewirbelten Staub zu schützen. Er hörte ein metallisches Klicken und damit erübrigte sich die Frage, wie Ryuuzaki mit diesem Störfaktor an der Hand einen Hubschrauber steuern wollte. Light wagte es, die Augen wieder zu öffnen. Er wollte Ryuuzaki antreiben, endlich in diesen Helikopter steigen, aber dann klickten die Handschellen noch einmal und L machte einen Schritt nach hinten. "Ryuuzaki?", fragte Light und starrte verständnislos auf das andere Ende der Kette. Ryuuzaki hatte es an dem wuchtigen Stahlhebel der Tür festgemacht. Er machte zwei Schritte vor, weiter ließ ihn die Kette nicht, aber Ryuuzaki war schon außerhalb seiner Reichweite. "Was soll das?", rief er gegen den Lärm an. Ryuuzaki lächelte bloß. Er bewegte die Lippen, aber es war zu laut, um ihn zu verstehen. "Was hast du gesagt?", schrie Light. Aber Ryuuzaki drehte sich um und rannte zum Helikopter. Der Mann im Cockpit rückte beiseite und ließ ihn ans Steuer. "WARTE!", brüllte Light, obwohl er genau wusste, dass es keinen Sinn hatte. "Ryuuzaki, du Mistkerl, WARTE!!" Ryuuzaki warf ihm aus dem Cockpit des Hubschraubers einen letzten Blick zu, dann hob die Maschine ab und der Wind, den die Rotorblätter erzeugten, hätte Light beinahe von den Füßen gerissen. Er fiel mit dem Rücken gegen die schwere Tür und hob instinktiv einen Arm, um seine Augen vor dem aufgewirbelten Staub zu schützen. "Ryuuzaki!", brüllte er immer wieder gegen den Lärm und den Sturm an, aber es änderte gar nichts. L ließ ihn allein zurück. Der Helikopter verschwand am dunklen Himmel. Frustriert, zornig und besorgt ließ Light sich auf den Boden sinken und wünschte Ryuuzaki die Pest an den Hals. …tbc… So, ich hab meinen Wunsch-Betaleser gefunden. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an Yagami_Raito fürs korrigieren. Jetzt fühl ich mich gleich besser ^_^ Damit ist wohl auch klar, wie ich das mit der Geschichte handhabe. Durch Lights und Ryuuzakis Gefühle entsteht ein neues Szenario... lasst euch überraschen. Kapitel 14: Mendaciloquent -------------------------- mendaciloquent – Able to tell artful or skilled lies (in der Lage sein, besonders geschickte Lügen zu erzählen) "Ist es klug, ihn unbewacht zurückzulassen?" Es war die einzige Frage, die Watari stellte und als Ryuuzaki nicht darauf antwortete, gab er sich mit der Stille zufrieden. Ryuuzaki wusste selbst nicht, ob er das Richtige getan hatte. Seitdem Light und er diesen Plan ausgetüftelt hatten, hatte er darüber nachgedacht, wie er in dieser Situation reagieren würde. Bis zum Schluss hatte er keine zufriedenstellende Antwort gefunden, deswegen hatte er eben einfach seinem Instinkt vertraut und Light zurückgelassen. Es war eine emotionale Entscheidung gewesen, und das machte ihm etwas Sorgen. So frustrierend das war, letzten Endes hatte er eine so wichtige, vielleicht sogar lebenswichtige, Entscheidung aus einem Bauchgefühl heraus getroffen. Am Ende war es vielleicht ganz gut so. Wenn Light Kira war, wäre es sicher keine gute Idee, ihn mit Higuchi in Kontakt zu bringen. Und wenn er es nicht war, hätte ihn das hier nur unnötig in Gefahr gebracht. Schließlich war Higuchi ein Killer, trotz des gut durchdachten Plans gab es immer noch ein großes Risiko. Und diese Entscheidung hatte noch einen Vorteil. Im entscheidenden Moment würde Light ihn nicht ablenken. Mit etwas Abstand zwischen ihnen war Ryuuzaki sich sicher, dass er in dieser Sache objektiv würde urteilen können. Wenn Light nicht neben ihm saß, würde es definitiv leichter, zu entscheiden, ob Kira mit Higuchi endgültig dingfest gemacht war oder eben nicht. Aber eine Frage ließ Ryuuzaki nicht los. Was, wenn Light… Kira… es genau so geplant hat? Wenn das hier Teil seines Plans ist, überträgt sich Kiras Macht vielleicht auf ihn, während ich nicht da bin. Wer weiß, was er in meiner Abwesenheit alles anrichten kann? Der Gedanke, dass Light vielleicht in Kürze Ls Tod ungestört planen und vorbereiten könnte, war erschreckend. Es war jedenfalls nicht ganz auszuschließen. Er konnte jetzt nur noch hoffen, dass Light in seiner Abwesenheit nicht die Gelegenheit haben würde, irgendetwas Dummes zu tun. Und er musste darauf vertrauen, dass sein Instinkt ihm im Notfall den richtigen Weg weisen würde. Wenn er sich verändert, werde ich es merken. Dann wird einer sterben, er oder ich. Fassungslos blickte Ryuuzaki abwechselnd das Notizbuch in seinen Händen und den Todesgott auf der Straße an. Er hatte sich so einiges ausgemalt, wie Kira wohl tötete, aber der Gedanke, dass es ein schnödes Notizbuch war, wäre ihm nie gekommen. In seinem Kopf rasten die Gedanken. Würden die Morde jetzt wirklich aufhören? Wahrscheinlich nicht. Was alles nach Kiras Plan verlaufen? Und wie passte Light Yagami da hinein? Er schaute zu, wie man Higuchi in Handschellen legte und verhaftete. Er brauchte mehr Zeit zum Nachdenken. Dieses Notizbuch war der Quell allen Übels. Es musste vernichtet werden, aber nicht, bevor alle Fragen beantwortet waren. Der Todesgott spreizte seine Flügel und Ryuuzaki erschrak, als das Wesen plötzlich auf ihn zugeflogen kam. Seine Finger umklammerten das dünne Heft und er schluckte. Etwas Übernatürliches konnte man nicht bekämpfen, darum hatte er sich bis dato geweigert, daran zu glauben. Der Shinigami kam an den Helikopter und seine gruseligen Augen musterten Ryuuzaki und das Notizbuch in seinen Händen. "Da du jetzt das Death Note hast", sagte er, "werde ich dir folgen." Ryuuzaki reckte das Kinn in die Höhe, atmete tief ein und fragte: "Wirst du mir meine Fragen beantworten?" "Soweit ich das kann, ja." Die anderen näherten sich jetzt auch dem Helikopter und lauschten der bizarren Unterhaltung. "Nur die, die das Notizbuch berühren, können dich sehen und hören, richtig?" "Ja." "Auf wessen Seite stehst du?" "Ich bin auf niemandes Seite. Ich bin nur ein Beobachter und der ursprüngliche Besitzer dieses Death Note." "Dann wirst du nicht versuchen, einen von uns zu töten?", fragte Ryuuzaki. "Nein. Ich begleite denjenigen, der das Death Note hat, das ist alles." Das waren gute Nachrichten. "Dann schlage ich vor, wir kehren zum Hauptquartier zurück und stellen Shinigami-san dort unsere Fragen." Die anderen nickten, der Todesgott blieb unbeteiligt. Ryuuzaki klaubte die Schlüssel für die Handschellen aus seiner Hosentasche und übergab sie Lights Vater. "Yagami-san, ich hätte eine Bitte an Sie. Fahren Sie schon vor. Ich habe Raito auf dem Dach des Gebäudekomplexes zurückgelassen. Ich möchte Sie bitten, ihn dort abzuholen und zusammen mit Misa in deren Hotelzimmer zu bringen. Und erzählen Sie den beiden nichts von dem Death Note und dem Shinigami. Sie sollen nur wissen, dass wir Kira gefasst haben." "Aber…" "Bitte", sagte Ryuuzaki eindringlich. Lights Vater nickte und stieg wortlos in eines der Polizeiautos ein. Ryuuzaki blickte den Todesgott wieder an. Er würde so oder so ein paar Extra Runden fliegen müssen, damit Yagami-san genug Zeit hatte, Light wegzubringen. "Ich weiß nicht… kannst… du dem Hubschrauber folgen?" Zur Antwort breitete der Shinigami seine Flügel aus und erhob sich in die Luft. Als die Dachtür endlich aufging, war es nicht die Person, die Light erwartet hatte. Anstelle von Ryuuzaki kam sein Vater, um ihn abzuholen. Im ersten Moment durchfuhr ihn ein eisiger Schrecken. "Vater?", fragte er tonlos. "Was… was ist mit Ryuuzaki? Ist er okay?" "Ja, mach dir keine Sorgen." Erleichtert stand Light auf und beobachtete mit gemischten Gefühlen, wie sein Vater die Handschelle um sein Handgelenk löste. Was hatte das zu bedeuten? "Vater, was ist passiert? Wurde Kira verhaftet? Geht es allen gut?" Sein Vater nickte. "Alle sind wohlauf. Es ist genauso verlaufen, wie ihr es vorhergesagt habt. Wir konnten Higuchi verhaften. Komm mit." Er ging die Treppe hinunter und Light folgte ihm. Irgendetwas stimmte hier nicht. Wenn Kira wirklich verhaftet war, dann passte es aber nicht so ganz ins Bild, dass sein Vater so wortkarg war. Light brannte auf Antworten. "Und weiter? Vater, erzähl mir, was passiert ist!" In dem Moment konnte er die Ungeduld in seiner Stimme nicht ganz verbergen. "Das kann ich nicht." "Wie bitte?" "Ryuuzaki hat es mir verboten. Kira ist gefasst, mehr darfst du zur Zeit nicht wissen." Das war doch einfach nicht zu fassen! Light wusste nicht, wie er reagieren sollte. Wochen-, nein, monatelang hatte er sich das alles angetan und wofür? Damit ihm am Ende nicht einmal gesagt wurde, was nun wirklich hinter dem Namen Kira steckte?! Aber er kannte seinen Vater gut genug um zu wissen, dass er von ihm keine Antworten bekommen würde. Nicht, wenn Ryuuzaki es verboten hatte. "Und wo bringst du mich jetzt hin?", stieß er zornig hervor. Fast rechnete er damit, dass Ryuuzaki ihn gleich wieder in die Zelle würde verfrachten lassen, aber sein Vater antwortete: "Erstmal holen wir Amane." Sie gingen ins Büro und machten Misa los, die seltsamerweise gar keine Fragen zu haben schien, sondern sich einfach nur bei Light einhakte und über die brutale Behandlung jammerte. Danach wurden sie in Misas Hotelzimmer gebracht. Sein Vater bat ihn reichlich wortkarg darum, erstmal hierzubleiben und abzuwarten. Light wusste, dass er keine Wahl hatte, aber wäre Ryuuzaki jetzt hiergewesen, er hätte ihm persönlich den Hals umgedreht. Nachdem sein Vater gegangen war, fing Misa an zu quasseln, aber Light konnte ihr nicht zuhören. War er jetzt wieder der Hauptverdächtige? War das der Grund für diese dämliche Geheimniskrämerei? Was hatte Ryuuzaki vor? Was hatte er herausgefunden? Wie geht es jetzt weiter? Rem war ein wenig erstaunt. Sie stand mitten in einem fremden Zimmer, umringt von Polizisten und diesem "L", mit dem Yagami Light so viele Probleme gehabt hatte. Der beobachtete sie aus dem Augenwinkel und stellte ihr hin und wieder eine auf den ersten Blick harmlose Frage. Bei den ersten paar Fragen war Rem ins Schwanken geraten. Weil sie so harmlos klangen, war sie versucht, ehrlich darauf zu antworten. Erst hinterher merkte sie, welch tiefere Absicht dahinterstand. Sie musste sich zusammennehmen, um Misa nicht in Schwierigkeiten zu bringen. Aber Misa war nicht hier und Yagami Light auch nicht. Er hatte ihr nicht viel über seinen Plan erzählt, aber sie begann sich zu fragen, ob er das hier tatsächlich einkalkuliert hatte. Er hatte doch gesagt, er würde Higuchi töten und das Death Note wieder in seinen Besitz bringen. L hatte bereits verkündet, dass Light weder von dem Death Note noch von Rem etwas erfahren sollte. Das konnte kaum Teil seines Plans sein. Aber Rem zwang sich, ruhig zu bleiben. Sie würde abwarten und sehen, was weiter passieren würde. Sie wollte so gerne nach Misa sehen. Die Befragung dauerte mehrere Stunden und hinterher wirkte L nicht gerade begeistert. Die wichtigen Fragen hatte Rem ihm auch nicht beantwortet. Alles, was Misa hätte belasten können, würde er von ihr nicht erfahren. Am Ende des Tages fragte einer der Männer L: "Und, Ryuuzaki? Was sagst du?" L kaute an seinem Daumen und überlegte. Schließlich warf er Rem einen sehr eigenartigen Blick zu und antwortete: "Wir haben Kira gefasst. Diese Regeln schließen aus, dass Yagami Light und Amane Misa je ein Death Note benutzt haben." Rem atmete erleichtert auf. Das war gut. Wenn L bei dieser Überzeugung bliebe, wäre alles in bester Ordnung. Er wandte sich an einen der Männer. "Ich hätte trotzdem eine Bitte an Sie, Yagami-san." "Ja?" "Ich möchte Kameras in Raitos Zimmer installieren lassen. Das ist eine reine Vorsichtsmaßnahme. Ich bin inzwischen fast zu hundert Prozent überzeugt, dass Ihr Sohn nicht Kira ist. Es würde mich einfach beruhigen, wenn ich ihn noch eine Weile beobachten könnte." "Ryuuzaki, ich verstehe das nicht. Diese Regeln in diesem Buch beweisen, dass er nicht Kira sein kann. Hundertprozentig. Wozu die Kameras?" L zögerte. "Wie gesagt, das ist nur eine Vorsichtsmaßnahme. Wir wissen noch nicht alles über dieses Death Note, der Shinigami konnte uns nur sehr wenige Fragen beantworten. Derzeit aber sieht es so aus, als könnte man damit nur Menschen beeinflussen, die kurz darauf sterben. Wenn dem so wäre, bliebe immer noch die Frage offen, warum Amane-san die Videobänder des zweiten Kira abgeschickt hat. Ich möchte einfach sichergehen, dass mir nichts entgangen ist. Ich bitte Sie, erlauben Sie mir, Raito ein paar Tage lang zu überwachen. Danach betrachte ich diesen Fall als abgeschlossen und Ihr Sohn ist frei von jeglichen Anschuldigungen." Lights Vater nickte langsam. "In Ordnung." L wirkte zufrieden. "Bitte gehen Sie nach Hause und sorgen Sie dafür, dass die gesamte Familie es für eine Weile verlässt. Ich werde in der Zeit die Installation der Kameras veranlassen. Sobald das erledigt ist, kann Raito nach Hause. Amane-san kann ebenfalls gehen. Es gibt keinen Grund, sie länger hier festzuhalten." Er drehte sich um zu den vielen Bildschirmen und drückte einen Knopf. Ein paar der Monitore gingen flackernd an und auf einem sah man Misa und Light, die auf einer Couch saßen. Light starrte finster ins Nichts und Misa beobachtete ihn strahlend dabei. Rem bedachte Misa mit einem zärtlichen Blick. Light hatte sein Versprechen wahr gemacht, Misa war außer Gefahr. Es war nicht notwendig, ihm seine Macht zurückzugeben. Misa war sicherlich glücklicher ohne ihre Erinnerungen. Es war zwar schade, dass Rem nun nicht mehr bei ihr sein konnte, aber trotzdem war sie zufrieden. L hielt das Death Note hoch. "Ich werde das Notizbuch an einen sicheren Ort bringen lassen. Sie alle muss ich bitten, Stillschweigen zu bewahren, insbesondere auch Raito und Amane-san gegenüber. Wir treffen uns in einer Woche ein letztes Mal hier im Büro, um den Fall offiziell abzuschließen." Etwas hilflos zuckte er die Schultern. "Ich denke… ich denke, wir sind fertig für heute. Sie können gehen." Zornig zog Light sich sein Hemd über den Kopf und warf es in die Ecke. Vor ein paar Wochen hatte er sich auf den Moment seiner Heimkehr so gefreut und jetzt, wo er wirklich wieder hier war, frei von diesen gottverdammten Handschellen, da hasste er es einfach nur. Seine Mutter hatte ihn bereits stürmisch begrüßt, aber ihm war das zu viel geworden und er hatte sich auf sein Zimmer verzogen. Er war momentan einfach zu wütend, um den braven Sohn zu geben. Ryuuzaki war ein verdammter Egoist. Selbst ihm musste klar sein, wie furchtbar die Ungewissheit für Light war. Er wusste ja noch nicht einmal, ob er nun immer noch ein Verdächtiger war oder nicht. Sein Vater hatte kein Wort über den Fall gesagt. Erwarteten jetzt alle von ihm, dass er einfach in sein altes Leben zurückkehrte, ohne überhaupt zu wissen, wie nun der Stand der Dinge war? Jedenfalls hatten sie Kira gefasst, das hielt er für bestätigt. Aber irgendetwas musste noch geschehen sein. Mit einer Festnahme gab sich L doch nicht zufrieden, der würde erst Ruhe finden, wenn er restlos alles in Erfahrung gebracht hätte. Und dazu zählte auch die nicht unbedeutende Information darüber, wie Kira getötet hatte. Light zerrte ein frisches Hemd aus dem Schrank, zog es sich an und ließ sich dann auf sein Bett fallen. Je länger er die Decke anstarrte, desto frustrierter wurde er. Warum sagte ihm denn keiner was? War das jetzt wirklich alles? War er mit der Verhaftung von Kira von allen Verdächtigungen reingewaschen und deshalb wieder hier? Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Ryuuzaki schuldet mir eine Entschuldigung! Wenigstens das. Eigentlich passte das zu L. Der Fall war erledigt und weil sich erwiesen hatte, dass Light Yagami nicht Kira war, war er jetzt überflüssig und man hatte ihn weggeschickt. Dieser Feigling Ryuuzaki hatte sich seiner entledigt, so als wäre er nur noch ein überflüssiges Anhängsel. Dass es so enden würde, hätte er niemals gedacht. Alles, was Ryuuzaki gesagt hatte, war bloß eine Lüge gewesen. Wenn das hier vorbei ist, will ich wissen, was das mit uns ist. Die Antwort darauf hatte Light jetzt jedenfalls. Das zwischen ihnen war nie mehr als eine Lüge gewesen, die Ryuuzaki ihm in der Hoffnung, Hinweise für seine Ermittlungen zu bekommen, erzählt hatte. So wütend war er selten je gewesen. Seine Augen brannten. Ich werde Ryuuzaki nicht mehr wiedersehen. Es sei denn natürlich, er hat mich immer noch unter Verdacht. Sein Stolz verbot ihm, diesen Verlust zu betrauern. Ryuuzaki hatte es in der Hand und wenn der es nicht einmal für nötig hielt, sich zu verabschieden, dann würde Light darüber auch nicht traurig sein. Er brauchte diesen exzentrischen Spinner nicht. Aber wieso fühle ich mich dann so verdammt beschissen? Erschrocken setzte er sich im Bett auf, als er hörte, wie jemand hektisch die Treppe hoch gerannt kam. Die Tür flog auf und seine Schwester stand keuchend in seinem Zimmer. Sie starrte ihn an als wäre ihm ein zweiter Kopf gewachsen. Sie holte tief Luft. "Du bist wieder da." "Ja. Hallo, Sayu." "Und du bist nicht nur hier, um deine Sachen zu packen?" "Nein, natürlich nicht." Light erinnerte sich dunkel daran, welche Anweisungen Ryuuzaki seinem Vater gegeben hatte. Sie hatten seiner Familie eine ganz schöne Lügengeschichte aufgetischt und er musste es jetzt ausbaden. "Ich hab schon gedacht, dass du nie mehr nach Hause kommst", sagte seine Schwester. Und fügte leiser hinzu: "Du hast mir gefehlt." Ein Lächeln schlich sich wie von selbst auf sein Gesicht. Daran, dass die ganze Sache seiner Familie Kummer bereitet hatte, hatte er bislang nicht gedacht. "Entschuldige, Sayu", sagte er. "Es wird nicht mehr passieren." Genau das nahm er sich wirklich vor. Er musste versuchen, so schnell wie möglich in dieses Leben zurückzufinden und seine Gedanken an Ryuuzaki und Kira ein für alle mal hinter sich zu lassen. "Das sollte es auch besser nicht", sagte sie jetzt und verzog das Gesicht in einem fehlgeschlagenen Versuch, böse auszusehen. "Sonst kriegst du Ärger mit mir." "Keine Sorge." Er stand auf und tippte ihr an die Stirn, wie er es früher als sie jünger gewesen waren immer gemacht hatte. "Jetzt wird alles wieder wie vorher." Es war fast ein nostalgisches Gefühl, als sich die Polizisten um Ryuuzaki in der Hotelsuite für die offiziell letzte Besprechung zum Thema Kira versammelt hatten. Ein sehr wichtiger Teil des Teams fehlte, Light war auf Ryuuzakis Wunsch hin nicht anwesend, aber in seiner Gegenwart hätten sie die wichtigen Dinge nicht besprechen können. "Für die, die es noch nicht wissen: die Kameras in Raitos Zimmer wurden wieder entfernt. Wie erwartet ergaben sich keine weiteren Verdachtsmomente gegen ihn. Yagami-san, Ihr Sohn ist nicht länger ein Verdächtiger. Ich entschuldige mich bei Ihnen und Ihrer Familie für die entstandenen Unannehmlichkeiten." Lights Vater seufzte und nickte dann. "Ich bin einfach nur froh, dass es endlich vorbei ist." "Ich habe das Death Note an einem sicheren Ort versteckt", sagte Ryuuzaki zu allen. Er hatte lange überlegt, ob er ihnen überhaupt erzählen sollte, dass er es nicht vernichten wollte. Aber er brauchte Mitwisser, je mehr desto besser, für den Fall dass etwas – für die anderen - Unvorhergesehenes passieren sollte. "Ich halte es für das Beste, wenn niemand außer mir das Versteck kennt." "Wieso vernichten wir es nicht einfach?", erkundigte Mogi sich. "Dieses Notizbuch ist eine üble Sache und es wäre besser, wenn wir es verbrennen." Ryuuzaki war eigentlich derselben Meinung, aber er konnte das Notizbuch nicht vernichten. Sollte Light Yagami doch Kira sein oder es werden – und die Chancen standen, entgegen dem, was er gerade zu seinem Team gesagt hatte, ziemlich hoch - würde man es brauchen, um ihn zu überführen. Ihm wäre auch lieber gewesen, er hätte es verbrennen oder dem Shinigami zurückgeben können, aber wenn er sich irrte und Light doch wieder zu Kira geworden war, dann nahm er seinen eigenen Tod zwar in Kauf, nicht aber den anderer Menschen. Im Fall der Fälle würden seine potentiellen Nachfolger informiert werden und die würden das Death Note schon finden. Und damit könnten sie Light Yagami sehr leicht das Handwerk legen. Ryuuzaki dachte an Mello, der sicherlich keine Schwierigkeiten damit hätte, einen Namen in das Death Note zu schreiben. Weil er seine wahren Beweggründe natürlich nicht offenbaren konnte, erwiderte er: "Wir wissen nicht, wie viele Todesgötter noch auf die Erde kommen oder sogar schon gekommen sind. Sollte so eine Sache noch einmal passieren, wäre das Notizbuch sehr hilfreich, um einem neuen Kira auf die Spur zu kommen." "Das stimmt." Ryuuzaki fing zweifelnde Blicke von Lights Vater auf. Er war der einzige, der die Lüge vielleicht durchschaute. Aber er würde sicher nichts dazu sagen. Es war schließlich sein Sohn, um den es ging und auch wenn er der Gerechtigkeit dienen wollte, es ging nichts über die Macht der Verdrängung. Soichiro Yagami würde seinen Sohn erst dann für Kira halten, wenn er stichhaltige Beweise hätte. Die anderen waren zu leichtgläubig, um L zu hinterfragen. Selbst den zweiten Kira hatte Ryuuzaki ihnen ohne große Mühe als ein Trick von Kira verkauft, um die Ermittler in die Irre zu führen. "Die Gerichtsverhandlung für Higuchi hat bereits begonnen. Ich habe keinen Zweifel, dass man ihn am Ende zum Tode verurteilen wird." Er warf dem Todesgott einen vielsagenden Blick zu. "Im Augenblick seines Todes wird das Death Note frei und erst, wenn es wieder jemand berührt, wird derjenige der neue Besitzer. Ich denke, ich werde das so belassen. Dann kann Shinigami-san dahin zurückkehren… naja… woher er gekommen ist." Er wusste, dass die Informationen des Todesgottes nichts wert waren. Schon bei der ersten Befragung war ihm aufgefallen, dass er auf die wirklich wichtigen Fragen nur ausweichende Antworten bekommen hatte. Aus irgendeinem Grund wollte Rem ihm nicht alles erzählen aber Ryuuzaki hatte nicht das Gefühl gehabt, nicht direkt belogen zu werden. Deshalb ging er davon aus, dass zumindest die Informationen über das Death Note, die Rem bereitwillig herausgegeben hatte, der Wahrheit entsprachen. Der Shinigami nickte bedächtig. "Ich gehe zurück in die Welt der Todesgötter, sobald der rechtmäßige Besitzer tot ist. Erst wenn jemand das Death Note berührt, komme ich wieder zurück." Damit war soweit alles geklärt. Ryuuzaki erklärte den Fall Kira für abgeschlossen. Obwohl sie so lange daran gearbeitet hatten, war die Stimmung irgendwie gedrückt. Matsuda war der einzige, der lautstark seine Erleichterung verkündete, vor allem darüber, dass er das ganze heil überstanden hatte. Der Rest wirkte zufrieden, aber keiner war wirklich in Hochstimmung, wie es zum Abschluss eines solchen Falles eigentlich angemessen gewesen wäre. Vielleicht spürten sie, genau wie er, dass etwas an diesem Sieg falsch war. Aber im Gegensatz zu ihm wussten sie nicht, was es war. Ryuuzaki verabschiedete sich förmlich und mit schlichten Worten der Dankbarkeit von seinem Team. Matsuda war offenbar kurz davor, in Tränen auszubrechen, deshalb beeilte er sich, sie alle wegzuschicken. Als sie gingen, rief er Soichiro Yagami noch einmal zurück. "Bitte, richten Sie Raito aus…" Ja, was eigentlich? Es gab nichts, was er sagen konnte. Nichts hätte seine widersprüchlichen Empfindungen richtig ausdrücken können. Es gab keine Worte für das Bedauern, das er über die Trennung empfand. Kopfschüttelnd sagte er: "Nein, ist schon gut." Allein blieb er in seinem Büro zurück, das ihm plötzlich so groß und leer erschien, nur beobachtet von den umheimlichen Augen des Shinigami, der darauf wartete, in seine Welt zurückkehren zu können. Sein rechtes Handgelenk fühlte sich so leicht und irgendwie nackt an. …tbc… Kapitel 15: Acrasia ------------------- acrasia – Acting against one's own judgment or lacking self control (Gegen die eigene Überzeugung handeln oder keine Selbstkontrolle haben) Misa erschrak fast zu Tode, als Rem einfach durch die Wand kam. Glücklicherweise war sie alleine, denn sie rief auch sofort: "Shinigami-san!" Automatisch musste Rem lächeln. Sie hatte Misa wirklich sehr vermisst und war froh, dass sie sich entschlossen hatte, sie noch einmal zu besuchen. Eigentlich sollte sie immer entweder beim Besitzer des Death Note oder aber beim Death Note selbst sein, aber L war gerade auf dem Weg ins Gefängnis um Higuchi zu befragen und hatte sie explizit gebeten, nicht mitzukommen. Es war nicht verboten, die freie Zeit für einen kleinen Besuch bei einer ehemaligen Death Note Besitzerin zu nutzen. Sie war sogar sehr erleichtert über diese Gelegenheit, weil sie Misa noch einige Dinge klarmachen musste. "Shinigami-san, schön dich zu sehen", sagte Misa fröhlich, als hätte sie einen ganz normalen Gast. "Bist du hier, um mir mein Death Note zurückzugeben?" Misa wusste nur das, was Rem ihr damals gesagt hatte, deshalb hatte sie sich wohl überlegt, dass Rem ihr irgendwann einfach ein Death Note aushändigen würde. "Nein." "Oh." Misa machte ein enttäuschtes Gesicht. "Ich verstehe das nicht. Ryuuzaki verdächtigt uns nicht mehr, aber ich glaube, Raito erinnert sich immer noch nicht daran, dass er Kira ist. Ist irgendetwas schief gelaufen?" "Nein, ich denke, alles ist gut, so wie es jetzt ist. Yagami Raito hat seine Erinnerungen verloren und weil L das Death Note versteckt hält, wird er sie auch nicht zurückbekommen." "Aber dann wird er sich nie daran erinnern, dass ich der zweite Kira bin! Ich muss zu ihm und es ihm sagen! Er findet schon einen Weg-" "Tu das nicht", unterbrach Rem sie. Das war genau das, was sie befürchtet hatte. Sie musste Misa unbedingt zur Vernunft bringen. Inzwischen bedauerte sie es fast, Misa die Wahrheit gesagt zu haben. Es war notwendig gewesen, um sie vor Higuchi zu beschützen, aber jetzt wurde es dafür zum Problem. Rem hatte nur ein Interesse: Misa sollte glücklich werden. Wenn Light seine Erinnerungen zurückbekäme, würde alles von vorne anfangen. Light hatte kein Interesse an Misa, so oder so. Mit dem Death Note hätte Light Yagami früher oder später versucht, Misa umzubringen. Sie bedeutet ihm nichts, wäre ich nicht dazwischen gegangen, wäre sie vermutlich schon tot. Ich werde nicht riskieren, dass er noch einmal die Gelegenheit bekommt, ihr zu schaden. Dieser Light, ohne seine Erinnerungen, würde ihr wenigstens nichts tun. Und solange sie kein Death Note mehr bekommt, wird L es auch nicht. Für Rems Interessen war diese Situation die weitaus Günstigere und sie hatte sich vorgenommen, alles zu tun, um diesen Zustand beizubehalten. "Du darfst Yagami Raito nichts von dem Death Note erzählen." "Wieso denn nicht?" "Glaub mir, es ist besser so, für euch beide. Ich bin hier, um mich von dir zu verabschieden. Ich muss wieder in die Shinigami Welt zurück, sobald Higuchi stirbt." "Aber…" Misa schaute sie verzweifelt an. "Was ist mit Raito und mir? Ich dachte, du wärst auf unserer Seite!" "Das bin ich. Und deshalb möchte ich, dass du mir zuhörst. Ganz egal, was Yagami Raito auch tut, du darfst ihm nicht erzählen, was du von mir weißt. Wenn du es tust, bringst du euch beide wieder in Gefahr." "Wenn er es vergessen hat, muss ich es ihm sagen! Raito muss doch wissen, dass es Shinigami gibt und das Death Note und…" "Dann wird L ihn verhaften und er wird hingerichtet. Wenn du es ihm sagst, ist das sein Todesurteil." Misa hatte schon so viele unvernünftige Dinge getan, nur aus Liebe zu Light Yagami. Diese Liebe war auch das einzige, was sie vielleicht davon abhalten konnte, diese Sache von vorne anzufangen. "Wenn er sich nie erinnert", sagte Misa mit Tränen in den Augen, "dann wird er auch nie wissen, was ich für ihn getan habe. Was ist, wenn er mich verlässt? Ich bin nutzlos, wenn ich ihm nicht die Wahrheit sagen kann." "Du liebst Raito, oder?" "Ja! Ja, natürlich!" "Dann musst du das Geheimnis für dich behalten." Schwer ließ Misa sich auf ihr Bett sinken. Man sah ihr an, dass sie mit sich kämpfte. Rem näherte sich ihr und wie schon einmal strich sie dem blonden Mädchen eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Ich hoffe, wir begegnen uns nie mehr, Misa. Es bringt immer Unglück, einen Todesgott an seiner Seite zu haben. "Lebwohl, Misa." Misa konnte nicht antworten. So lautlos wie sie gekommen war, verließ Rem die Wohnung und ließ eine schluchzende Misa alleine zurück. Sie konnte nur hoffen, dass ihre Worte eindringlich genug gewesen waren. "Es ist soweit." Ryuuzaki drehte sich zu dem Shinigami um, der ihn seit Tagen auf Schritt und Tritt verfolgte. Er hatte keine Ahnung, woher Rem es wusste, wenn sie weder das Death Note um das es ging hatte noch bei Higuchi war. Trotzdem zweifelte er nicht an ihren Worten. Und gleich darauf ging einer der Bildschirme an und Watari sagte bloß: "Die Behörden haben uns mitteilen lassen, dass Higuchi hingerichtet wurde." Das war keine große Überraschung. Der Prozess war bloß pro Forma gewesen, sie hatten ja nicht einmal das Death Note gehabt, um seine Schuld zu beweisen. Aber drei ranghohe Mitglieder des Yotsuba Konzerns hatten gegen ihn ausgesagt und das hatte offenbar für einen Schuldspruch gereicht. "Das Notizbuch gehört jetzt niemandem mehr, richtig?", fragte Ryuuzaki nochmal nach. Es war gar nicht seine Art, Fragen zu stellen, deren Antwort er schon kannte, aber diese Sache war zu groß, um irgendwelche Risiken einzugehen. Er wollte sich lieber nochmal versichern. "So ist es. Wenn du nicht wieder in den Genuss meiner Gesellschaft kommen möchtest, sieh zu, dass du es von jetzt an nicht mehr anfasst", sagte Rem. Ryuuzaki sagte nichts. Das war die Information, die der Shinigami mehr als bereitwillig herausgegeben hatte. Sie hatte offenbar großes Interesse daran, dass das Death Note verborgen blieb. Er hatte sogar zeitweise den Eindruck gehabt, es wäre ihr am liebsten, er hätte es ihr zurückgegeben. Aber gerade weil sie das wollte, wollte er es behalten. Er traute ihr nicht. Irgendetwas an dem Todesgott weckte einfach sein Misstrauen. Rems Abgang war nicht so spektakulär, wie Ryuuzaki es erwartet hatte. Sie flog nicht davon, sie löste sich nicht einmal in Nichts auf oder verpuffte in einer Rauchwolke. Nein, sie ging einfach durch die Wand hindurch und durch das Fenster sah er sie wegfliegen, wohin auch immer. Das Kapitel Higuchi war hiermit abgeschlossen. Ryuuzaki holte sich ein Stück Kuchen, stellte es an seinem Schreibtisch ab und setzte sich hin. Jetzt, wo der Fall abgeschlossen war, hatte Watari bestimmt schon die notwendigen Schritte eingeleitet. Lange würde das hier nicht mehr sein Büro bleiben. Er würde demnächst weiterziehen, entweder zu seinem nächsten Fall oder aber zeitweilig zu seinem Stützpunkt in England zurück, um dort neue Aufträge abzuwarten. Er fragte sich, ob irgendetwas jemals wieder so aufregend, so intensiv und so grausam sein würde wie der Fall Kira. Sicher nicht. Er startete das Programm und einer der zahlreichen Bildschirme flackerte. Das etwas unscharfe Bild der Aufnahme einer Überwachungskamera flammte auf und es zeigte ein leeres Zimmer. Ryuuzaki seufzte. Am Anfang hatte er es nicht gewagt, die Aufnahmen vor Rem anzuschauen, aber dann hatte seine Neugierde doch gesiegt und inzwischen beschäftigte er sich fast mit nichts anderem mehr. Er warf einen raschen Blick auf die Uhr. Eigentlich müsste es jeden Moment soweit sein. Wie aufs Stichwort tauchte jetzt in dem Zimmer ein brünetter junger Mann auf, der sich schwer auf das Bett setzte und mit im Nacken verschränkten Armen nach hinten sinken ließ. Ryuuzaki beobachtete ihn aus großen Augen. Es gab nur diese eine Kamera. Die anderen hatte er bereits wieder entfernen lassen und Yagami-san diese letzte einfach verschwiegen. Bisher hatten weder er noch Light sie bemerkt. Offiziell war sie noch da, um Ryuuzaki Sicherheit zu geben und Light wenigstens noch etwas länger im Auge behalten zu können. Inoffiziell war es für ihn der letzte Kontakt zu Light, der ihm geblieben war. Ryuuzaki hatte sich das alles ganz anders vorgestellt. Er erinnerte sich, als Light und er auf der Couch gesessen und sich gegenseitig ihre Gefühle gestanden hatten. Jetzt im Nachhinein konnte er darüber nur den Kopf schütteln. Wie die Kinder. Da hatte er sich das alles viel zu einfach vorgestellt. Er hatte gedacht, dass der Fall Kira einen richtigen Abschluss finden würde. Er hatte nur zwei Möglichkeiten in Betracht gezogen: Light ist Kira oder eben Light ist nicht Kira. So einfach war es nun doch nicht. Vor ein paar Tagen hatte Ryuuzaki Higuchi im Gefängnis besucht. Die Sicherheitsvorkehrungen waren fast noch absurder gewesen als die, die er bei der Inhaftierung von Misa getroffen hatte. Ryuuzaki hätte Aiber schicken können, aber er hatte es in diesem speziellen Fall vorgezogen, selbst zu gehen. Er hatte gewusst, dass er keine zweite Chance für eine Befragung haben würde, deshalb war er lieber selber hingegangen. Erst hatte Higuchi überhaupt nicht mit ihm reden wollen, aber am Ende hatte er mit geschickten Fragen das, was ihn wirklich interessierte, doch erfahren. Es hatte jedenfalls ausgereicht, um seine eigenen Schlüsse ziehen zu können. Higuchi war nie und nimmer der erste und einzige Kira gewesen. Er hatte das Death Note in etwa zu der Zeit erhalten, als Light sich freiwillig hatte inhaftieren lassen. Alles machte Sinn und das war das Schlimme an der Sache. Light Yagami war der erste Kira. Und Misa der zweite. Higuchi hatte das Death Note erhalten, damit Light sich von jedem Verdacht hatte reinwaschen können. Aber etwas war bei seinem Plan schief gelaufen. Angestrengt starrte Ryuuzaki auf den Bildschirm. Das war nicht Kira. Er war sich sicher gewesen, nach Higuchis Tod würde Light seine Macht zurückerlangen, aber dem war nicht so. Light unterhielt sich nicht mit unsichtbaren Wesen, er schaute sporadisch die Nachrichten, aber keiner kam dabei ums Leben und er schrieb auch nichts auf verdächtige kleine Zettelchen oder in ein noch verdächtigeres schwarzes Notizbuch. Er hatte noch immer dieselben, unschuldigen Augen wie vorher. Er strahlte immer noch eine Aura der Reinheit aus. Und das Wichtigste war: es war seither niemand mehr durch Kiras Hand gestorben. Ryuuzaki war noch am Leben, und das war das sicherste Anzeichen dafür, dass Light nicht Kira geworden war. Und da saß er nun und hatte nichts Halbes und nichts Ganzes. Der Fall war offiziell abgeschlossen, eine Entscheidung, die ihm nicht leicht gefallen war. Er hätte sicher eine Möglichkeit gefunden, Lights Schuld zu beweisen, jetzt wo er über diese Informationen verfügte. Das einzige, was Light wirklich entlastete, war die letzte Regel im Death Note, die besagte, dass man nach dreizehn Tagen starb, wenn man nichts hineinschrieb. Er hatte so eine Ahnung, dass diese Regel so nicht korrekt war. Sie hätte sich leicht auf die Probe stellen lassen. Aber Ryuuzaki hatte aufgegeben und die anderen Polizisten, die ganze Welt sogar, in dem Glauben gelassen, Kira sei gefasst. Weil er Light schützen wollte. Ihm waren ein dutzend guter Gründe eingefallen für sein Handeln, aber das war nun einmal der wahre Grund und es sich selbst gegenüber zuzugeben war schmerzlich genug. Er hatte seine Pflicht nicht erfüllt, um Light zu schützen, um einen Serienmörder zu decken. Es war wider seine Natur und er würde noch sehr, sehr lange daran zu knabbern haben. Vielleicht war es im Endeffekt besser so. Wenn er versucht hätte, Light zu belasten, wäre der früher oder später mit dem Death Note in Berührung gekommen. Vielleicht hätte Ryuuzaki mit weiteren Ermittlungen eine Kette von Ereignissen angestoßen, die Light dazu verholfen hätten, seine Macht doch noch wiederzuerlangen. Aber das machte es auch nicht erträglicher. Das einzige, was er nun tun konnte, war, Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen. Es war immer noch möglich, dass Light wieder zu Kira werden würde. Und sein erstes Opfer als neuer Kira würde Ryuuzaki sein, wie auch immer er das anstellen würde. Für diesen Fall wollte Ryuuzaki zumindest das Nötigste tun. Er hatte wichtige Ermittlungsunterlagen mit seinen konkreten Überlegungen in einem Schließfach verstauen lassen mit der Anweisung, diese Unterlagen nach seinem Tod unverzüglich dem Waisenhaus zu überlassen. Near oder Mello oder irgendein anderer würde sich dann um den Fall kümmern und Light zur Strecke bringen. Seine zweite Vorsichtsmaßnahme betraf Misa. Er hatte ein komisches Gefühl bei ihr. Die Art, wie sie Higuchi ein Geständnis abgerungen hatte, machte sie sehr verdächtig. Ryuuzaki hatte das untrügliche Gefühl, dass sie etwas wusste. Weil aber bisher keine Morde geschehen waren, konnte er nicht sagen, ob sie Kiras Macht zurückerlangt hatte oder nicht. Auf jeden Fall stimmte mit ihr etwas nicht. Sie war erst kürzlich bei Light zu Besuch gewesen und er hatte die zwei beobachtet, aber ihm war nichts aufgefallen. Misa hatte sich mit ihm unterhalten, Light hatte sie relativ wenig beachtet, und irgendwann war sie wieder gegangen. Jetzt wo es nur noch eine Kamera gab, war sie ein Sicherheitsrisiko. Wenn er mit seinem Instinkt richtig lag und sie irgendwas wusste, war es zu riskant, sie in Lights Nähe zu belassen. Die Kamera würde früher oder später entdeckt werden und es wäre katastrophal, sollte Misa sich erst hinterher entschließen, Light auf irgendeine Weise zu beeinflussen. Deswegen hatte Ryuuzaki, um sie vorläufig von Light fernzuhalten, ein paar Anrufe getätigt. Noch in diesen Tagen würde jemand ihr Management kontaktieren und sie bitten, in einem ausländischen Fernsehfilm eine Rolle zu übernehmen. Damit war sie außer Landes und er hatte Zeit, darüber nachzudenken, wie er Light im Auge behalten konnte, sollte sie ihn in Zukunft irgendwie zu beeinflussen versuchen. Aber allen Vorsichtsmaßnahmen zum Trotz… es fühlte sich schlecht an. Es hatte nie einen Fall gegeben, den er nicht zu Ende gebracht hatte. Er hatte nie einen Täter entkommen lassen. Irgendwie hatte er das Gefühl, am Ende doch von Kira besiegt worden zu sein. Jetzt, wo er sich wegen seiner Entscheidung ohnehin schon schlecht fühlte, musste er sich nun auch noch seinen Gefühlen stellen. Es war nur ein paar Tage her und schon jetzt wäre es ein Wunder, würde Light ihm nicht einfach die Tür vor der Nase zuknallen, sollte er dort auftauchen. Light hatte seinen Stolz und war ohne Zweifel stinksauer auf ihn. Aber Ryuuzaki war noch nicht bereit für eine Auseinandersetzung. Er wollte etwas Gras über die Sache wachsen lassen. Er wollte erst sehen, wie sich ihre Gefühle nach einiger Zeit Abstand entwickeln würden. Jetzt würde sich zeigen, ob das, was sie füreinander empfanden, nur eine Nebenwirkung der außergewöhnlichen Situation gewesen war, oder ob es doch etwas Dauerhaftes war. Stumm starrte er den Bildschirm an und fragte sich, ob es normal war, nach so kurzer Zeit ein so schmerzliches Gefühl der Sehnsucht entwickelt zu haben. Er wollte zu Light gehen, ihn berühren, ihn irgendetwas sagen hören, ganz egal. Selbst seine Angst vor Nähe war nicht so stark wie diese Sehnsucht. Aber er zwang sich, zu warten. Er musste die Dinge zur Ruhe kommen lassen, sonst würde er Light und sich selbst nur unglücklich machen. Regentropfen prasselten auf das Dach und in Lights Ohren waren sie laut wie Trommelschläge. Hellwach lag er in seinem Bett und starrte das Muster an, dass das Licht, das von draußen kam, an seine Zimmerdecke warf. Etwas fehlte ihm. Auf einmal fühlte er sich auch zu Hause sehr allein. Zwei Tage nach seiner Rückkehr war er schon wieder zum Unterricht gegangen. Mai und einige andere hatten ihn herzlich begrüßt und es war ihm nicht sehr schwer gefallen, trotz der langen Pause dem Unterricht zu folgen. Aber etwas war trotzdem anders. Früher war er zur Schule und dann auch zur Uni gegangen mit einer ganz natürlichen Selbstverständlichkeit. Man musste zur Schule gehen um etwas zu lernen. Und man musste lernen, um später im Leben Erfolg zu haben. Und Erfolg bedeutete Ruhm und Reichtum. Jetzt dachte er zum ersten Mal einen Schritt weiter. Und dann? Karriere bedeutete ihm nichts, Geld noch weniger. Er hatte immer Polizist werden wollen, so wie sein Vater. War das wirklich so erstrebenswert? Light fühlte sich ausgebrannt. Nichts hatte mehr eine Bedeutung für ihn, dieses Leben war so entsetzlich langweilig. Eine Weile lang hatte er so viel Aufregung gehabt, dass er gedacht hatte, die Rückkehr nach Hause würde ihn erleichtern. Dem war nicht so. Er hatte die Anspannung genossen, die Jagd auf Kira, die Zeit mit Ryuuzaki, die intellektuelle Herausforderung. Immer öfter saß er im Unterricht und fragte sich, ob das schon alles war. Er hatte das Gefühl, etwas Wichtiges verpasst zu haben. War ihm nicht etwas anderes bestimmt als diese ewige Routine? Ryuuzaki fehlte ihm. Er war wütend, aber er vermisste diesen schrulligen Spinner auch. Es passte ihm nicht, dass Ryuuzaki in gewisser Weise das letzte Wort gehabt hatte. Alles war nach seinem Willen verlaufen und damit kam Light gar nicht zurecht. Er warf einen Blick auf die Uhr. Kurz nach sieben. Eigentlich sollte er brav an seinem Schreibtisch sitzen und lernen. So hatte er es früher gemacht. Sobald er aus der Schule gekommen war, hatte er bis spät in die Nacht über seinen Büchern gesessen und gelernt. Jetzt fiel es ihm sehr schwer, sich zu konzentrieren. Er musste immer wieder über Ryuuzaki nachdenken und über den Fall Kira. Von seinem Vater hatte er noch immer keine zufrieden stellenden Antworten bekommen. Der hatte irgendwann einfach zu ihm gesagt, er solle die Sache doch ruhen lassen und sich jetzt wieder voll und ganz auf sein Studium konzentrieren. Als ob das so einfach wäre. Light hörte Schritte, jemand kam die Treppe hoch. Am dumpfen Klang erkannte er, dass es sein Vater war, die Schritte seiner Mutter und seiner Schwester waren wesentlich leichtfüßiger. Es klopfte an der Tür, er setzte sich auf, schaltete das Licht ein und nahm pro Forma ein Buch zur Hand. "Ja?" Sein Vater betrat den Raum und schloss die Tür hinter sich. "Kann ich dich kurz sprechen?" "Natürlich." Er legte das Buch beiseite. "Was gibt es?" Sein Vater setzte sich auf den Schreibtischstuhl. "Ryuuzaki hat den Fall Kira offiziell für abgeschlossen erklärt. Es tut mir leid, dass ich dir das nicht früher sagen durfte. Higuchi wurde verurteilt, deine Unschuld wurde zweifelsfrei bewiesen." Light konnte sich nicht wirklich darüber freuen. "Und weiter? Erfahre ich jetzt, was am Tag von Higuchis Festnahme passiert ist?" "Ryuuzaki hat mich gebeten, dir gewisse Einzelheiten nicht zu erzählen und ich habe mich entschieden, ihm in der Hinsicht zu vertrauen, auch wenn ich seine Entscheidung nicht verstehe. Alles, was du wissen musst, ist, dass Higuchi der einzige Kira war. Amane-san und du, ihr werdet nicht länger verdächtigt." "In Ordnung", sagte er tonlos. Er wollte diese Informationen, je mehr sie alle ein Geheimnis daraus machten, desto mehr wollte er sie. Aber es hatte keinen Sinn, von seinem Vater würde er nichts erfahren. "Ich muss noch etwas lernen. Ist sonst noch etwas?" "Ich wollte mich bei dir entschuldigen. Du wurdest nur in diese Sache verwickelt, weil du mein Sohn bist. Anderenfalls hätte Ryuuzaki dich nicht beschatten lassen, du wärst nie unter Verdacht geraten und hättest das alles nicht mitmachen müssen." "Ist schon gut, Vater", antwortete er. "Ich bin froh, dass ich diese Erfahrung machen durfte. Es war nicht angenehm, aber es hat Spaß gemacht, mit Ryuuzaki zusammenzuarbeiten. Es hat mich daran erinnert, wie gerne ich Polizist werden möchte." Es war eine dreiste Lüge. Ganz im Gegenteil, erst diese Sache hatte ihm gezeigt, wie wenig ihm eine Polizeikarriere doch bedeutete. Aber er wollte seinem Vater keinen Kummer mehr machen. Der konnte ja auch nichts dafür. Es war allein Ryuuzakis Schuld. "Dann lasse ich dich jetzt mal wieder allein. Überanstreng dich nicht beim Lernen." "Ja, Vater." Er sah zu, wie sein Vater das Zimmer verließ und die Tür hinter sich zumachte. Das war also das Ende des Falles Kira. So hatte er sich das nicht vorgestellt. Ryuuzaki war ihm etwas schuldig, wenigstens eine Entschuldigung und einen anständigen Abschied. Und er konnte nichts tun als hier zu sitzen und das alles hinzunehmen. Auf einmal hatte er das Gefühl, in diesem engen Raum zu ersticken. Er musste hier raus, an die frische Luft, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Er schnappte sich eine Jacke und verließ sein Zimmer. Leise schlich er die Treppe runter, vorsichtig, damit seine Eltern es nicht mitbekamen, zog sich seine Schuhe an und verließ das Haus. Draußen regnete es in Strömen, aber das war ihm momentan schlicht egal. Er stapfte durch den Regen, in irgendeine Richtung, und dachte nach. So aufgewühlt wie jetzt war Light noch nie gewesen. Er war wütend, stinksauer auf Ryuuzaki und auf seinen Vater. Er verabscheute diese Geheimniskrämerei und er verstand nicht, warum Ryuuzaki es nicht mal für nötig gehalten hatte, sich zu verabschieden, und diese Sache mit ein bisschen mehr Anstand zu Ende zu bringen. Und gleichzeitig musste er mit der Sehnsucht kämpfen, die selbst unter seiner grenzenlosen Wut noch an die Oberfläche kam. Ryuuzaki fehlte ihm. Die vergangenen Tage ohne ihn waren nicht sehr angenehm gewesen. Es fühlte sich an, als würde etwas Wichtiges plötzlich fehlen, etwas, ohne das er nicht vollkommen war. Ab und an kam ihm ein interessanter Gedanke oder eine spannende Idee, und obwohl er natürlich wusste, dass Ryuuzaki nicht bei ihm war, glaubte er im allerersten Moment, da sei jemand, mit dem er den Gedanken teilen könnte. Und dann wurde er wieder daran erinnert, dass er allein war. Er konnte mit niemandem so reden wie mit Ryuuzaki. Weder mit seiner Familie noch mit seinen Studienkollegen. Und er dachte immer wieder an diesen Kuss, der ihn so völlig unerwartet total überwältigt hatte. Es war nicht richtig so. Diese Sache hatte keinen richtigen Abschluss und damit konnte er einfach nicht leben. Er steuerte auf eine Straßenbahnhaltestelle zu. Er hatte keine Ahnung, ob es Ryuuzakis Büro überhaupt noch gab, aber versuchen musste er es. Er brauchte einen Abschluss. Er wollte Ryuuzaki nicht das letzte Wort haben lassen, er würde nicht zulassen, dass jemand anders über sein Leben bestimmte. Auf dem Weg zu dem Gebäudekomplex musste er zweimal umsteigen. Die ganze Zeit über starrte er aus dem Fenster. Es war kalt und unangenehm, weil er komplett durchnässt war. Die letzten Meter über musste er wieder durch den Regen laufen und damit wurde auch sein zwischendurch halb getrocknetes Haar wieder nass. Als er das Hotel betrat, fühlte er sich schwer und träge. Er wusste nicht, was er zu Ryuuzaki sagen sollte. Das alles hier war seltsam unwirklich. Während der Ermittlungen hatte Light wie die anderen auch eine Chipkarte für den Aufzug gehabt, der regulär sonst nur bis zum vorletzten Stockwerk fuhr. Die hatte er seinem Vater aushändigen müssen. Er ging zur Rezeption und verlangte, zum obersten Stockwerk gebracht zu werden. "Unser Gast möchte nicht gestört werden", sagte man ihm. "Dann rufen Sie ihn an und sagen ihm, dass Yagami Light hier ist und ihn sehen will!" Wenigstens war Ryuuzaki noch da. Wäre er schon weiter gezogen, wäre es unmöglich gewesen, ihn je zu finden. Light rechnete fast damit, dass Ryuuzaki ihn gar nicht erst zu ihm hochkommen lassen würde, aber zu seiner Überraschung geleitete ihn einer der Männer nach einem kurzen Anruf im obersten Stockwerk zum Aufzug. Oben angekommen stieg er aus und stellte sich vor die Eingangstür zur Suite. Er klopfte nicht sondern starrte nur in die Kamera und wartete. Es dauerte eine ganze Weile, bis sich die Tür schließlich öffnete. …tbc… Kapitel 16: Apodysophilia ------------------------- apodysophilia – feverish desire to undress (das fiebrige Verlangen sich oder jemanden auszuziehen) Regen triefte von seinen Haaren und seiner Kleidung, lief ihm über das Gesicht, aber Light sah nur Ryuuzaki, der mit in den Hosentaschen vergrabenen Händen vor ihm stand. "Raito." Er machte ein paar Schritte zurück, damit Light reinkommen konnte. Die Tür fiel ins Schloss und einen Moment lang starrten sie einander an. "Warum bist du hier?" "Ist das dein Ernst?!", fragte Light. "Am Tag von Higuchis Verhaftung fesselst du mich an eine Tür, anstatt mich mitzunehmen und mich diesen Fall ordentlich zu Ende bringen zu lassen. Ich werde von meinem Vater abgeholt, der mir ausrichtet, dass der Fall abgeschlossen sei und ich einfach so da weitermachen solle, wo ich aufgehört habe, bevor du mir über den Weg gelaufen bist. Was denkst du denn, warum ich hier bin!?" Ryuuzaki sagte kein Wort. Er zog bloß die Schultern hoch und starrte auf den Boden. "Du hast es nicht einmal für nötig befunden, dich von mir zu verabschieden!", sagte Light zornig. "Du schuldest mir eine Entschuldigung für alles, was du mir angetan hast! Ist dir eigentlich klar, wie meine Familie gelitten hat? Ist dir klar, wie die Zeit in dieser Zelle für mich war? Weißt du, was ich deinetwegen alles mitgemacht habe?! Und da bequemst du dich noch nicht einmal, diese Sache anständig zu Ende zu bringen?" Ryuuzaki starrte weiterhin auf den Boden und bei Light brannten alle Sicherungen durch. Er versetzte dem hageren jungen Mann einen Stoß vor die Brust, der Ryuuzaki nach hinten stolpern und gegen die Wand fallen ließ. "Schau mich an, wenn ich mit dir rede!" Endlich hob Ryuuzaki den Kopf. Dieser Blick brachte Light einen Augenblick lang aus dem Konzept. Jedenfalls lange genug, damit Ryuuzaki sagen konnte: "Es tut mir leid." Fassungslos starrte Light ihn an. "Ist… ist das alles?" "Was willst du denn hören?" Light wollte ihn erwürgen. So einen Menschen konnte es doch gar nicht geben. So einen sturen, widerspenstigen, dämlichen Idioten…! Er packte Ryuuzaki am Kragen. Irgendwie fühlte er sich hilflos, weil er nicht wusste, wie er dem anderen begreiflich machen sollte, was ihn so wütend machte. Ryuuzaki wirkte kalt, so als würde das alles völlig an ihm abprallen. Light wollte ihm ins Gesicht schlagen, irgendetwas tun, um zu ihm durchzudringen. Bevor es soweit kommen konnte, fiel ihm eine der Fragen ein, die ihm seit der Trennung auf der Seele lastete. Er funkelte Ryuuzaki an und sagte: "Ich will wissen, was ihr mir alle verheimlicht! Wie hat Higuchi getötet? Warum sagt mir keiner was?" Ganz ruhig legte Ryuuzaki seine Hände auf die von Light und löste dessen Finger von seinem Hemd. "Du bist ganz nass. Ich hole dir ein Handtuch." Light blieb mitten im Raum stehen, während Ryuuzaki im Bad verschwand, und kam sich irgendwie verloren vor. Seine Wut war verraucht, jetzt fühlte er sich wirklich nur noch total hilflos. Der Kerl ließ nichts an sich heran, keinerlei Emotionen, fast so wie ganz am Anfang als sie sich das erste Mal begegnet waren. Ryuuzaki kam zurück mit zwei Handtüchern in der Hand. "Setz dich", sagte er knapp. "Ich kann nicht, ich bin nass", antwortete Light, der überhaupt nicht fassen konnte, dass sie sich plötzlich über solche Banalitäten unterhielten. "Ist doch egal. Setz dich." Die Stimmung die den Raum erfüllte war bedrückend. So viel Unausgesprochenes stand zwischen ihnen und in der Stille konnte Light es ganz deutlich spüren. War er wirklich hergekommen um Ryuuzaki die Meinung zu sagen? Oder war er hier, um… um… Er schüttelte den Gedanken ab und setzte sich auf die Couch. Ryuuzaki warf ihm eines der Handtücher über den Kopf und drückte ihm das zweite in die Hand. Während er sich die Arme, Hände und das Gesicht abtrocknete, nahm Ryuuzaki das Handtuch auf seinem Kopf und rubbelte sanft seine Haare trocken. "Du kannst mich nicht einfach anschweigen", sagte Light ruhig. "Ich war nicht darauf vorbereitet, dass du kommst", kam die Antwort. "Ich dachte, du wärst zu stur um herzukommen." "Du solltest mich besser kennen. Ich brauche einen Abschluss und ich brauche Antworten." Ryuuzaki hielt inne und Light zog sich langsam das Handtuch vom Kopf, um dem anderen in die Augen sehen zu können. "Wirst du mir antworten?" "Ich kann nicht." "Warum nicht?" "Weil du der erste Kira bist." Es tat so schrecklich weh. Diese Anschuldigungen waren nie angenehm gewesen, aber in diesem Moment tat es einfach so unglaublich weh, weil es ausgerechnet von Ryuuzaki kam. Light konnte nicht verstehen, wie ihm überhaupt jemand so etwas zutrauen konnte. Er hatte nie einem Lebewesen etwas zuleide getan. Er war kein schlechter Mensch. Ich bin nicht Kira. Automatisch senkte er den Kopf, weil Ryuuzaki nicht sehen sollte, wie sehr er ihn verletzt hatte. Ryuuzaki kniete sich vor ihn, vor der Couch hin und lehnte seinen Kopf an Lights Knie. Das war so typisch für ihn. Vielleicht wollte er sogar etwas Tröstliches sagen, wusste aber nicht, was. Weil er ein gefühlskalter Mensch war. Oder zumindest jemand, der mit Gefühlen nicht umzugehen wusste. "Warum hast du mich belogen? War das wirklich notwendig?", fragte Light, ohne aufzublicken. Er warf seinen Stolz über Bord, aber was für einen Unterschied machte das noch? Es hatte sich nichts geändert. Was auch immer sein Vater glaubte, für Ryuuzaki war er immer noch ein Verdächtiger. Für ihn war er sowieso nicht mehr als ein geschickter Serienmörder, da war es nicht mehr von Belang, ob er seine Gefühle offenbarte oder nicht. "Was genau meinst du?" "Das mit… uns. Dass du wissen willst, was das ist, wenn der Fall abgeschlossen ist. Ich dachte wirklich, dass du wenigstens irgendwelche Gefühle für mich hast. War das wirklich notwendig, mir solche Märchen aufzutischen?" Stille. Von all den Momenten des Schweigens zwischen ihnen war dieser wohl der Unangenehmste. Light wollte aufstehen und gehen. Das hier führte zu nichts. Kein Abschied, keine Antworten, nicht einmal eine ehrliche Entschuldigung. So etwas Blödes. Wieso bin ich eigentlich hergekommen? "Das bringt nichts", sagte er laut. "Ich gehe." Ryuuzaki umfasste sein Handgelenk und Light sah auf. "Was wird das?" "Warte noch." "Worauf denn? Noch mehr Beleidigungen?" "Nein!" Ryuuzaki wirkte frustriert. Er fuhr sich mit der freien Hand durch die Haare, eine nervöse Geste, die Light so von ihm überhaupt nicht kannte. Es sah aus, als wolle er unbedingt etwas tun oder sagen, aber als würde ihm nicht einfallen, wie er es anstellen sollte. "Ich habe dich nicht belogen. Nicht was das anbelangt." "Ach nein?" "Raito… entschuldige…" Light hatte keine Ahnung, wofür Ryuuzaki sich eigentlich entschuldigte. Aber langsam sickerte das, was der andere zu ihm gesagt hatte, zu ihm durch. Ich habe dich nicht belogen. Aber wenn er nicht gelogen hatte, wenn es doch stimmte, warum… "Warum hast du mich weggeschickt?" "Ich brauchte Abstand… für eine… grundlegende Entscheidung…" Die letzten Worte hatte Ryuuzaki fast nur noch geflüstert. "Ich werde dich in Ruhe lassen. Es ist durchaus möglich, dass du ebenso wie Amane-san manipuliert wurdest. Es bringt nichts, deine Schuld zu beweisen und dein Leben zu ruinieren. Das solltest du wissen." Es wusste nicht, ob er Ryuuzaki glauben sollte. So eine Entscheidung passte ganz und gar nicht zu ihm. Er hatte außerdem mehrmals kundgetan, dass er nicht glaubte, Light wäre manipuliert worden. Vielleicht war das wieder nur eine Lüge und in Wahrheit hatte Ryuuzaki schon neue Pläne, um die Schuld seines Lieblingsverdächtigen zu beweisen. Andererseits hatte Light keine Ahnung, was Ryuuzaki bei Higuchis Verhaftung herausgefunden hatte. Ohne diese Information war es schwer, Ryuuzakis Handeln einzuschätzen. Es gab nichts zu beweisen, weil er nicht Kira war. Von daher hatte er auch nichts zu befürchten, aber ein Verdacht hieße, früher oder später wieder mit Ryuuzaki in Kontakt zu kommen, und das wollte er nicht. So würde er nie damit abschließen können. Also entschied er sich, es zu glauben und diesen Abschied als einen endgültigen zu betrachten. "Dann sollten wir uns jetzt voneinander verabschieden." Ryuuzaki sah zu ihm hoch und antwortete nicht. Aber wenigstens ließ er sein Handgelenk los. Das war der Moment, wo sie beide hätten aufstehen, einander die Hand geben und sich für die gute Zusammenarbeit bedanken sollen. Stattdessen legte Ryuuzaki die Hände auf Lights Knie, stemmte sich hoch… und küsste ihn. Es ist sowieso das letzte Mal, redete Light sich ein. Zum Abschied… Es war viel zu schnell vorbei. Zurück blieb nur die Sehnsucht, mit der er sich schon seitdem Ryuuzaki ihn nach Hause geschickt hatte, quälte. Verdammt, so hatte er sich das nicht vorstellt. Er wäre wirklich aufgestanden und gegangen. Aber Ryuuzaki schaute so… eigenartig zu ihm hoch. Sein Blick war nicht mehr so ausdruckslos wie sonst, ganz im Gegenteil, aus seinen Augen sprach ein sehnsüchtiger Wunsch, ein Verlangen, das seinerseits etwas in Light auslöste. Erst jetzt wurde er sich dessen bewusst, wie sie dasaßen. Ryuuzaki kniete zu seinen Füßen und blickte so verlangend zu ihm hoch. Es gab Light ein Gefühl von Macht und das fühlte sich… verdammt gut an. Dieser Macht über Ryuuzaki war er sich nie zuvor bewusst gewesen, weil Ryuuzaki es nie so offen gezeigt hatte. Was auch immer der Grund dafür war, dass er sich auf einmal so verletzbar zeigte, in Light bewirkte es ein wahres Gefühlschaos. In diesem Moment war er der Stärkere. Er könnte jetzt gehen und Ryuuzaki mit dieser Sehnsucht zurücklassen. Diese Erkenntnis war es, die ihn dazu bewegte, sich stattdessen vorzubeugen und Ryuuzaki zu küssen. Er drängte seine Zunge zwischen Lippen, die sich bereitwillig öffneten. Dieser Kuss war um so vieles intensiver als der an jenem Morgen, als sie nebeneinander aufgewacht waren. Er begriff, vielleicht zum ersten Mal, wieso er sich zu Ryuuzaki so hingezogen fühlte. Weil Ryuuzaki ihm geistig ebenbürtig war und die Vorstellung, diesen ersten gleichwertigen Menschen, dem er je begegnet war, zu besitzen, löste ein wunderbares Prickeln in seinem Körper aus. Macht wirkte wie ein starkes Aphrodisiakum auf ihn. Ryuuzaki schlang seine Arme um Lights Nacken und keuchte. Light zwang sich, sich vom anderen zu lösen und hielt den Kopf hoch, als der ihn gleich wieder küssen wollte. Kontrolle. Ich bestimme. Meine Regeln. Ryuuzaki schaute fast schon verzweifelt zu ihm hoch und allein dieser Blick löste eine Welle der Erregung in Light aus. Er hatte die Kontrolle, endlich. Es fühlte sich so gut an. Er zerrte ungeduldig an Ryuuzakis ewig gleichem, weißen Shirt und es dauerte etwas, bis der kapierte, was Light von ihm wollte. Dann aber nahm er die Arme hoch, damit Light ihm das Kleidungsstück über den Kopf ziehen konnte. Er warf es achtlos weg und beugte sich weiter vor, raunte Ryuuzaki nur ein Wort ins Ohr: "Ausziehen." Es gefiel ihm ohne Ende, dass der andere seinem Wunsch zwar etwas unsicher aber doch Folge leistete. Eigentlich hatte er gedacht, Ryuuzaki könnte seine Hose einfach so herunter schieben, weil ihm das Teil sowieso immer halb in den Kniekehlen hing, aber er öffnete sie ordentlich und schälte sich auf dem Boden umständlich aus dem Kleidungsstück und auch aus seinen Shorts. Er setzte sich wieder etwas auf und nahm sich die Zeit, Ryuuzaki anzusehen. Er war ganz schön dürr, jetzt sah man es sogar noch besser als ohnehin schon. Aber trotzdem war er auf seine ganz eigene Weise auch irgendwie schön. "Raito", hauchte Ryuuzaki und es klang wie eine verzweifelte Bitte. Dieser hilflose Tonfall in Ryuuzakis Stimme brachte Light zum Grinsen. So kannte er sich gar nicht, er war erstaunt darüber und irgendwie neugierig. Ryuuzaki brachte Seiten an ihm hervor, die selbst ihm fremd waren. Anstatt weiterzumachen, lehnte Light sich auf der Couch zurück und schaute auf Ryuuzaki herab. Der blickte ihn verständnislos und immer noch verzweifelt an, bekam aber keine Reaktion. Er wusste, seine Überlegenheit würde nicht von Dauer sein. Das hier war eine ganz besondere Situation und nur weil Ryuuzaki sich hier verwundbar gab, hieß das nicht, dass er es morgen auch noch sein würde. Aber 'morgen' war sowieso ein Thema für sich. Momentan wollte er nur an jetzt denken. Scheu schob Ryuuzaki sich zwischen seine Knie und beugte sich zu ihm. Er schien nicht genau zu wissen, was er von der Situation halten sollte oder welche Reaktion er von Light zu erwarten hatte. Ziemlich ungeschickt versuchte er, Lights Hemd aufzuknöpfen. Ein paar der Knöpfe lösten sich, weil er so ungeduldig an dem Stoff zerrte, und fielen auf den Boden, aber Light registrierte das nur am Rande. Er genoss es unheimlich, das Bewusstsein, dass der andere sich völlig nackt an ihn drückte und er selbst komplett angezogen war. Da war es wieder, dieses Gefühl der Überlegenheit, und es gefiel ihm. Ryuuzaki sah ihn an, mit einer Mischung aus Neugier und brennendem Verlangen. Light hatte nicht gewusst, dass diese schwarzen Augen überhaupt so viele Emotionen zeigen konnten. Ryuuzaki berührte seine bloße Haut, die immer noch feucht vom Regen war, und sagte erstaunt: "So kalt…" Zuerst strich er mit den Fingern über die makellose Haut, als müsste er das, was er sah, berühren, um es wirklich begreifen zu können. Eigentlich wollte Light am liebsten sofort zur Sache kommen, aber er zwang sich, ruhig zu bleiben. Ryuuzaki hatte offenbar überhaupt keine Erfahrungen mit diesen Dingen. Und außerdem hatte Light immer noch die panische Reaktion auf den allerersten Kuss im Sinn. Also gab er ihm die Zeit. Irgendwann beugte Ryuuzaki den Kopf runter und setzte seine Erkundung mit den Lippen fort, küsste und strich mit den Lippen über jeden Zentimeter nackter Haut. Light grub die Finger seiner rechten Hand in Ryuuzakis dichtes, ungekämmtes Haar, als der eine Brustwarze erreichte und neugierig darüber leckte. Die Reaktion spornte ihn an und mit seiner Zunge wusste Ryuuzaki wahrlich umzugehen. Kein Wunder eigentlich, wenn ich daran denke, wie er an seinen Süßigkeiten rumgeleckt hat, dachte Light seltsamerweise. Ryuuzaki versuchte, ein Bein über Lights Oberschenkel zu legen, so als wollte er ihm auf den Schoß klettern. Das unterband dieser jedoch, indem er sich nach vorne lehnte. Es gefiel ihm wesentlich besser, wenn Ryuuzaki auf dem Boden sitzen blieb. Um diese herrische Geste zu tarnen, küsste er Ryuuzaki auf den Mund und erlaubte sich, dessen Geschmack und seine ungestüme Art zu küssen, einen Augenblick lang zu genießen. Er legte einen Arm um den dürren Körper und zog Ryuuzaki ganz dicht an sich heran. So dicht, dass der Lights Erregung unzweifelhaft spüren musste. Bis jetzt war das alles eigentlich nicht anders gewesen als hätte Light eine Frau bei sich gehabt. Allzu viel Erfahrung hatte er selbst auch nicht, mit sechzehn hatte er mal eine Freundin gehabt, ein durchschnittlich hübsches, gut angepasstes Mädchen namens Takako. Er hatte das entscheidende Wissen um guten Sex zu haben ebenso schnell gelernt wie alles andere in seinem Leben. Aber Ryuuzaki war eben keine Frau und das war doch etwas anderes. Von Ryuuzaki konnte er wohl nicht groß Initiative erwarten, aber das war vielleicht auch gar nicht so schlecht. Trotz seines erregten Zustandes hatte Light immer noch im Hinterkopf, dass er Ryuuzaki nachdem er heute irgendwann dieses Hotel verlassen würde nie mehr wiedersehen würde. Er hatte nicht unbedingt das Bedürfnis, richtigen Sex mit Ryuuzaki zu haben, aus vielerlei Gründen, unter anderem weil er einfach nicht so weit gehen wollte. Aber es gibt ja noch andere Möglichkeiten… Unbefriedigt würde er dieses Hotel jedenfalls nicht verlassen. Weil er Ryuuzaki so viel Intuition in dieser Situation nicht zutraute, öffnete Light den Reißverschluss seiner Hose. Deutlicher hätte es fast nicht sein können, Ryuuzaki reagierte trotzdem nicht. Light seufzte, nahm Ryuuzakis Hand und führte sie. Selbst die Berührung durch den Stoff seiner Boxershorts hindurch war wie ein elektrischer Schlag, der durch Lights Körper raste. Er bekam eine Gänsehaut, konnte kaum fassen, was für ein himmelweiter Unterschied zwischen dieser unbeholfenen Berührung und dem, was er damals mit Takako so erlebt hatte, war. Er dachte an Misa, die unzweifelhaft sehr viel attraktiver war als Ryuuzaki, so man die beiden denn überhaupt miteinander vergleichen konnte, die niedlich und sicher auch sexy sein konnte, wenn sie es wollte, aber die in ihm, und das wusste er mit fast beunruhigender Gewissheit, niemals so ein Gefühlschaos hätte auslösen können. Zögernd strich Ryuuzaki über den Stoff der Shorts und Light stieß aus zusammengepressten Zähnen ungeduldig hervor: "Mach schon!" Erstaunlich gehorsam schlüpfte eine dürre Hand in seine Boxershorts und als sie ihn umfasste, stieß Light ein für ihn sehr untypisches Geräusch aus, das irgendetwas Undefinierbares zwischen einem Fauchen und einem Stöhnen war. Für jemanden, der keine Erfahrung mit so etwas hatte, machte Ryuuzaki seine Sache erstaunlich gut. Vielleicht kam das einfach, weil er auch ein Mann war und naturgemäß wusste, was sich wie anfühlte, oder aber Light hatte sich mit seiner Vermutung über Ryuuzakis Erfahrungsschatz doch geirrt. "Ryuuzaki!", ächzte er. Der reckte den Kopf hoch für einen innigen Kuss, der alles bisher da gewesene in den Schatten stellte. Light fühlte sich an, als würde seine Brust überquellen von all diesen Gefühlen und Sinneseindrücken. Da war nicht nur diese unglaubliche Erregung die ihn bis in sein Innerstes angespannt fast wahnsinnig machte, sondern auch so ein wunderbar warmes Gefühl, stärker als bloße Zuneigung, eine Art von Liebe, die er so bisher nicht gekannt hatte. Zusammen waren diese Empfindungen fast mehr, als er ertragen konnte. Es dauerte nicht sehr lange. Die Art wie Ryuuzaki ihn anfasste und die gierigen, prickelnden Küsse trieben ihn unweigerlich und sehr rasch auf den Höhepunkt zu. Im Moment als er kam riss Light den Kopf zurück, weg von diesen fordernden Lippen, und warf ihn in den Nacken. Er starrte an die Decke und hatte in dem einen Moment nur einen einzigen Gedanken: Ich will noch mehr! Der Moment der Ekstase ging viel zu schnell vorüber und Light wurde sich so langsam wieder seiner selbst und der Umgebung bewusst. Schwer atmend saß er auf der Couch, Ryuuzaki kniete noch immer auf dem Boden, zwischen seinen Beinen und Lights wummerndes Herz wollte sich nur langsam wieder beruhigen. Momentan wusste er nur eins: etwas Vergleichbares hatte er noch nie erlebt. Mühsam hob er den Kopf und schaute Ryuuzaki an. Der erwiderte den Blick aus großen, lustgetrübten Augen. Irgendwo in einem finsteren Winkel seiner Seele fand Light diesen Anblick unendlich amüsant. Irgendwie war er versucht, jetzt einfach aufzustehen, sich anzuziehen, zu gehen und Ryuuzaki so zurückzulassen. Stattdessen küsste er ihn nochmal, allerdings bei weitem nicht so intensiv wie noch gerade eben. "Gehen wir ins Schlafzimmer", schlug er vor und erntete dafür einen fragenden Blick. "Oder soll ich lieber gehen?", fragte er daraufhin. Stumm schüttelte Ryuuzaki den Kopf. Light lachte leise. "Jetzt bist du dran", raunte er. Müde öffnete Light die Augen. Er starrte an die hübsch verzierte Zimmerdecke und versuchte, etwas Klarheit in seine wirren Gedanken zu bringen. So erschöpft war er nie zuvor in seinem Leben gewesen. Draußen prasselte immer noch der Regen gegen das Fenster. Jetzt gerade war er so müde, dass er glaubte, zwei Tage durchschlafen zu können. Es war, als wären alle seine Sorgen, seine Zweifel und seine Wut mit einem mal wie weggewischt. Er schaute nach links, wo Ryuuzaki lag. Das war wohl die Macht der Gewohnheit. Wegen der Kette hatte er immer links von Light gelegen, so einfach ließ sich das jetzt nicht mehr abschütteln. Ryuuzaki hatte seinen schwarzen Wuschelkopf auf Lights linken Arm gelegt und lag mit angezogenen Knien splitternackt da, die Decke bis zur Hüfte gezogen. Seine Augenlider waren halb geschlossen, ein untrügliches Zeichen, dass auch er sich bis an seine Grenzen und darüber hinaus verausgabt hatte. Er wirkte entspannt, ausgelaugt und höchst zufrieden, so wie nach einer großen Portion Schokoladenkuchen. Nun, den hatte er auch gehabt. In dieser kurzen Pause, in der sie beide von der Couch ins Bett übersiedelt waren, hatte Ryuuzaki sich irgendwoher ein Stück Kuchen organisiert und es genüsslich vor Lights Augen nackt im Bett liegend gegessen. Anschließend hatte Light ihm die Reste ausgiebig von den Fingern und den Lippen geleckt und danach… Light schnurrte ein zufriedenes "Hmmm". Er wusste, dass sich das nicht wiederholen würde, aber nach so langer Zeit, in der er seine Gefühle so vehement unterdrückt hatte, war dies wesentlich besser als die ewige geistige Anspannung. Letzten Endes war er doch froh, dass er hergekommen war. Irgendwie hatte er das einfach gebraucht. Er hatte dem Verlangen einmal nachgeben müssen, seltsamerweise machte es das leichter, zumindest körperlich von Ryuuzaki loszukommen. Er würde nicht vergessen, dass er wenigstens so Macht über Ryuuzaki gehabt hatte und von dieser Erkenntnis würde er noch lange zehren können. Er warf Ryuuzaki noch einen zärtlichen Blick zu, dann erlaubte er sich, die Augen zu schließen und langsam wegzudriften. Light war es, der als erster wach wurde. Über Ryuuzakis wuschelige Haare hinweg warf er einen Blick auf den Wecker. Vierzehn Minuten vor sieben. Vage erinnerte er sich daran, dass er heute Unterricht hatte, und zwar in… vierundsiebzig Minuten. Ganz vorsichtig zog er seinen Arm unter dem schlafenden Ryuuzaki weg, der sogar davon nicht wach wurde, und stand auf. Nur mit seinen Boxershorts bekleidet stand er vor dem Bett und betrachtete den Schlafenden. Gestern, kurz vor dem Einschlafen, war sein Verstand benebelt gewesen, jetzt konnte er langsam wieder klar denken. Er konnte immer noch nicht bedauern, gestern hergekommen zu sein. Im Gegenteil, jetzt fühlte er sich befreit. Die Sache war geklärt. Es war schon ziemlich verwunderlich, wie sie gestern plötzlich jede Hemmung über Bord geworfen hatten und trotz des drohenden Abschieds übereinander hergefallen waren. Aber eigentlich auch wieder nicht. Sie hatten sich so lange zusammennehmen müssen und Light hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass Gefühle sich zwar unterdrücken ließen, dann aber nur, um mit doppelter Heftigkeit irgendwann wieder hochzukommen. Mühsam suchte er sich im Licht eines anbrechenden Tages, das durch die Fenster fiel, seine Sachen zusammen. Seinem Hemd fehlten fast alle Knöpfe und er hielt es für keine sehr gute Idee, mit offenem Hemd nach draußen zu gehen oder gar nach Hause zu kommen, insbesondere, wo er am Hals die verräterischen Spuren von gestern Nacht trug. Deshalb schnappte er sich Ryuuzakis Hemd und schlüpfte hinein. Dieser unverkennbare Geruch haftete an dem Kleidungsstück und Light wusste, dass er sich auf dem Heimweg auf nichts als die Erinnerungen, die er nun damit verband würde konzentrieren können. Er blickte Ryuuzaki noch einmal an und verabschiedete sich in Gedanken von ihm. Gerade wollte er den Raum verlassen, da kam es verschlafen vom Bett aus: "Gehst du schon?" "Ich muss zum Unterricht. Ich komme sowieso schon zu spät." Ryuuzaki warf ihm einen enttäuschten Blick zu. "Möchtest du nicht noch etwas bleiben?" Light lachte leise. "Ist schon gut. Jetzt bin ich dir nicht mehr böse, du musst das nicht tun." Ryuuzaki schaute ihn verwirrt an. "Du wirst es mir nicht sagen, oder? Was genau mit Higuchi passiert ist." Ryuuzaki schüttelte den Kopf. "Es ist besser, wenn du es nicht weißt." Light nickte. Damit hatte er schon gerechnet. Und er wusste, dass er diese Information nie bekommen würde, jedenfalls nicht, solange Ryuuzaki das nicht wollte. Er wusste auch, dass ihn das so schnell nicht loslassen würde. Aber es gab nichts, was er tun konnte. Also sagte er schlicht: "Lebwohl, Ryuuzaki." "Lebwohl? Sagst du mir grade, wir sehen uns nicht wieder?", fragte er und setzte sich im Bett auf. "Sag du es mir. Oder musst du deinen nächsten Fall zufällig in Japan lösen?" Es kam keine Antwort. "Bis gestern ging es mir schlecht, aber jetzt… kann ich das abhaken. Ich musste mir das einfach von der Seele schaffen." Er zupfte an dem Hemd. "Das hier behalte ich. Als Erinnerung." Er ging zur Tür und warf Ryuuzaki einen letzten Blick zu. "Raito…" Light ließ die Tür ins Schloss fallen und verließ mit einer ihm nicht ganz erklärlichen Selbstzufriedenheit die Hotelsuite. ...tbc... *** Sorry, hat etwas länger gedauert... ich hoffe, das Warten hat sich gelohnt ^_^ Kapitel 17: Inparlibidinous --------------------------- inparlibidinous – the love of one person for another who does not love them (unerwiderte Liebe) "Raitoooo!!" Der helle Schrei der Begeisterung riss Light ganz unerwartet aus seinen Gedanken. Er war fast zu Hause und hatte ein unangenehmes Gefühl von déjà-vu als er Misas Stimme hörte. Er drehte sich zu ihr um und sie rannte ihn fast über den Haufen, als sie sich ihm an den Hals warf. "Raito, ich hab dich so vermisst!", plapperte sie drauflos. "Du hast dich nicht gemeldet, was war denn los? Hast du so viel zu tun? Musst du Unterrichtsstoff nachholen?" Er machte sie sanft von sich los. Er wünschte wirklich, sie hätte ihn noch eine Weile in Ruhe gelassen. Es war nicht einmal eine Woche her, seit er Ryuuzaki im Hotel aufgesucht hatte und irgendwie hatte er sich noch immer noch nicht ganz davon erholt. Er hätte die Konfrontation mit Misa lieber auf einen späteren Zeitpunkt verschoben, einen, wo die Erinnerung nicht mehr ganz so präsent war. "Misa", sagte er ernst. "Komm." "Du nimmst mich mit nach Hause?", fragte sie und grinste verschmitzt. "Auf dein Zimmer?" Er nickte unbeteiligt. Schweigend ging er neben ihr her, führte sie dann ins Haus und bedeutete ihr, nach oben zu gehen. Seine Mutter war zu Hause und der sagte er schnell Bescheid, dass er Besuch hatte, wohl wissend, dass sie früher oder später Tee vorbeibringen würde. Oben stellte er seine Tasche ab und verfrachtete Misa auf den Schreibtischstuhl, so wie bei ihrem ersten Besuch hier. So wie viele Dinge, die mit Misa zu tun hatten, hatte er auch jetzt das Gefühl, sich nur sehr vage an ihren letzten Besuch zu erinnern. So als hätte er während ihres Besuches irgendetwas anderes Wichtiges gemacht und kaum etwas von dem, was sie gesagt hatte, mitbekommen. Das war ja eigentlich auch nicht weiter verwunderlich, groß interessiert hatte er sich noch nie für sie. Aber jetzt wo er wusste, wie sich wirkliche Anziehung zwischen zwei Menschen anfühlte, war klar, dass das mit Misa nie etwas werden würde. Was auch immer ihn auf die dämliche Idee gebracht hatte, er könnte es einfach mal mit ihr versuchen, den Irrtum musste er jetzt aufklären. Misa ließ ihn allerdings gar nicht erst zu Wort kommen. "Ich dachte mir, wenn du so viel zu tun hast, dann komme ich dich eben besuchen. Vielleicht können wir ja mal ausgehen? Wir haben noch gar nicht gefeiert, dass du Ryuuzaki endlich losgeworden bist." Den finsteren Blick, den er ihr daraufhin zuwarf, bemerkte sie entweder nicht oder ignorierte ihn. Misa redete gerne viel, aber heute war sie sogar für ihre Verhältnisse sehr redselig. Er hatte das Gefühl, als wüsste sie schon, was er sagen wollte, aber so viel Feinfühligkeit traute er ihr eigentlich nicht zu. "Misa", unterbrach er sie. "Darf ich auch mal was sagen?" Sie errötete und starrte verlegen auf den Boden. "Entschuldige. Eigentlich wollte ich dir was sagen und ich wusste nicht so recht, wie." "Was denn?" Er sah sie an und dachte nach. Sie war so ein richtig typisches Mädchen. Niedlich, keine Frage, und hübsch war sie auch. Sie war ihm etwas zu oberflächlich, aber er würde sowieso nur schwer eine Freundin finden, die mit seinem intellektuellen Level mithalten konnte. Einen Moment lang zog er es in Betracht, diese Sache einfach so weiterlaufen zu lassen. Dann wären seine Eltern zufrieden, jedenfalls mehr als wenn er ihnen Ryuuzaki vorgesetzt hätte, und sie würde ihm sicher etwas Abwechslung von dem grauen Alltag seines Lebens bieten. Es war ja nicht so, dass sie nicht sexy war, ganz besonders ihre unterwürfige Haltung sprach etwas in ihm an und er fragte sich, ob das vielleicht der Grund war, dass er ausgerechnet sie erhört hatte. "Ich hab ein Angebot bekommen in einem Kinofilm mitzuspielen." Das war die wichtige Sache, die sie ihm mitzuteilen hatte? Na sehr spannend. "Und?" "Es ist ein britischer Film und wird in England gedreht", erzählte sie. "Mein neuer Manager sagt, ich wäre dämlich, dieses Angebot nicht anzunehmen. Dann würde ich international bekannt und es wäre ein wahnsinniger Schub für meine Karriere." "Hört sich doch gut an", antwortete Light desinteressiert. "Aber das hieße, ich müsste für etwa zwei Jahre nach England ziehen." Er horchte auf. Nicht, dass ihre Abwesenheit ein Problem für ihn wäre, aber so langsam kam ihm das komisch vor. Misa war in Japan ein Idol, aber über die Landesgrenzen hinaus war sie so gut wie unbekannt. Wie kam eine britische Filmproduktion dazu, sie für einen Film zu engagieren? Er wusste es nicht sicher, hatte aber die starke Vermutung, dass ihr Englisch nicht das Beste war. Absurderweise kam ihm Ryuuzaki in den Sinn. Es wäre definitiv genau sein Stil, jemanden auf diese Weise erstmal von der Bildfläche verschwinden zu lassen, aber was hätte er denn davon? "Was für ein Film ist das?" "So genau weiß ich das noch nicht. Sie wollten eine Japanerin für die Rolle, aber was genau ich spielen werde, weiß ich nicht. Mein Manager hat so lange geredet und ich hab ihm irgendwann nicht mehr zugehört." "Hmm." "Was sagst du dazu?" "Was soll ich dazu sagen? Das ist eine großartige Chance für deine Karriere, schön für dich." "Wir könnten uns zwei Jahre lang nicht sehen… oder nur sehr selten. Raito… meine Karriere ist mir nicht mal halb so wichtig wie du", sagte sie ungewöhnlich ernst. "Ich liebe dich. Ich will nicht von dir getrennt sein." Sie stand auf und kam zu ihm ans Bett. Sie beugte sich vor und ihr blondes Haar fiel bis auf seine Schultern, als sie ihn küsste. Es bedeutete ihm überhaupt nichts, aber er ließ sie gewähren. "Du brauchst nur ein Wort zu sagen, dann lehne ich ab und bleibe hier. Ich tue, was auch immer du sagst." Er schaute sie an. Sie wollte, dass er sie bat, hier zu bleiben. Sie wollte aus seinem Mund hören, dass er sie lieber bei sich haben wollte. Aber so war es eben nicht. Er verwarf die Option, sie sich warm zu halten, und antwortete ehrlich: "Du solltest es annehmen. Ob du bleibst oder nicht ist mir egal." "W-was?" Sie starrte ihn schockiert an. "Es war eine dumme Idee, ich hätte es dir gleich von Anfang an sagen sollen. Ich mag dich, aber ich bin nicht in dich verliebt." "Aber du hast mich geküsst und wir… ich... ich meine…" Jetzt kamen ihr die Tränen und er seufzte. Er hasste es, wenn er Mädchen zum weinen brachte. "Das meinst du doch nicht wirklich! Wir gehören zusammen, Raito. Wir sind…" Fast verängstigt brach sie mitten im Satz ab und eine halbe Minute lang kam kein Ton aus ihrem geöffneten Mund. Dann schluckte sie und sagte: "Wir sind füreinander bestimmt." Er hatte das untrügliche Gefühl, dass sie etwas ganz anderes hatte sagen wollen. Ihr liefen jetzt die Tränen übers Gesicht. "Bitte, Raito. Ich werde hierbleiben, ich mache dir auch keine Schwierigkeiten, ja? Es war blöd, dich damit zu nerven, ich hätte selbst wissen müssen, dass ich hier bei dir bleiben muss, damit das mit uns funktioniert!" "Darum geht es doch nicht. Ich wollte es dir schon vorher sagen, das mit uns macht keinen Sinn." "Sag so was nicht!", flehte sie. "Raito, bitte. Ich liebe dich! Ich kann ohne dich nicht leben. Wir gehören einfach zusammen." Sie verzog das Gesicht und schüttelte energisch den Kopf. "Du bist…" Wieder zögerte sie. "Was bin ich?" Irgendetwas stimmte hier nicht. Schon wieder hatte er das Gefühl, auf ein Geheimnis gestoßen zu sein. Jeder schien hier in etwas eingeweiht zu sein außer ihm. Er packte sie bei den Schultern. "Misa! Was bin ich?" "Du bist-" Es klopfte an der Tür und beide sahen erschrocken auf. "Was ist denn?", fragte Light und seine Schwester verkündete draußen, dass sie im Auftrag ihrer Mutter Tee für ihn und Misa gebracht hatte. Er ließ Misa los und die wischte sich übers Gesicht. "Komm rein." Sayu begrüßte Misa höflich und als die den Gruß mit einer knappen Verbeugung erwiderte, verzog Sayu argwöhnisch das Gesicht. Sie stellte das Tablett auf Lights Schreibtisch ab, sagte, ganz entgegen ihrer Art, kein Wort und verließ das Zimmer wieder. Es war wohl auch ziemlich offensichtlich, dass sie gerade in etwas hineingeplatzt war. Misa hatte verheulte Augen, ihr Make-up war schon verlaufen. Nachdem Sayu die Tür geschlossen hatte, schniefte Misa und brach gleich wieder in Tränen aus. "Raito", schluchzte sie. "Verlass mich nicht, bitte." "Hör auf zu weinen. Es tut mir leid, aber das bringt doch nichts. Geh nach England, das ist das Beste für dich." Er stand auf, um sie sanft zur Tür zu schieben, aber sie fiel ihm um den Hals und heulte wie ein kleines Kind. Light stand einfach da und wartete darauf, dass sie sich beruhigte. Er hatte ja gewusst, dass es nicht einfach werden würde. Aber dass sie so heftig reagieren würde, damit hatte er nicht gerechnet. Und vor allem nicht mit diesem eigenartigen Gefühl, dass sogar sie ihm etwas verheimlichte. Als sie endlich nicht mehr weinte, schob er sie zur Tür hinaus und begleitete Misa nach unten. Er wünschte ihr zum Abschied alles Gute und sie sah ihn bloß verzweifelt an. Aber wenigstens fing sie nicht schon wieder an zu weinen. Als sie sich umdrehte und auf die Straße trottete und er die Tür geschlossen hatte, fühlte er sich um einiges besser. Mit dem Ärmel wischte Misa sich über das Gesicht. Sie konnte und wollte nicht glauben, dass es einfach so vorbei war. Light war Kira und sie der zweite. Sie waren füreinander bestimmt, das stand fest. Wäre Sayu nicht dazwischengekommen, hätte Misa es ihm gesagt. Jetzt war sie froh, dass sie es nicht getan hatte. Rem hatte sie schließlich gewarnt und Schwierigkeiten wollte sie ihm auf keinen Fall machen. Außerdem hatte er zu ihr gesagt: "Geh nach England, es ist das Beste für dich." Vielleicht hatte er das nur getan, um ihr die Abreise zu erleichtern. Er wollte, dass sie Karriere machte. Vielleicht würde ihnen beiden das ja auch irgendwann noch nützlich sein. Denn irgendwann würde Light sich wieder erinnern, das stand für sie fest. Und dass er gerade mit ihr Schluss gemacht hatte, hatte er nur getan, weil er ihrer Karriere nicht im Weg stehen wollte, ganz bestimmt. In zwei Jahren würde sie wieder nach Japan kommen und zu ihm gehen und er würde sie mit offenen Armen empfangen und zu ihr sagen: "Ich bin stolz auf dich, Misa." Und dann würde er ihr einen Antrag machen und sie würde ihm sagen, dass er Kira gewesen war. In zwei Jahren wäre ja auch schon Gras über die Sache gewachsen und selbst der sture Ryuuzaki würde ihnen dann nicht mehr nachschnüffeln. Misa lächelte wieder. So würde es kommen. Niemand konnte sie beide trennen, schließlich waren sie füreinander bestimmt. Sie würde nach England gehen, so wie Light es ihr gesagt hatte, und sie würde stark sein und zwei Jahre Trennung aushalten. Light klappte das Buch zu und streckte sich. Die Abschlussprüfungen des Semesters standen kurz bevor und ganz im Gegensatz zum letzten Mal hatte er diesmal Zeit, sich ordentlich darauf vorzubereiten. Drei Monate war es her, dass er zu Ryuuzaki ins Hotel gegangen war und seitdem hatte er von ihm nichts mehr gehört. Das war auch ganz gut so, er hatte allmählich in den Alltagstrott zurückgefunden und sich auch wieder mit der Langeweile abgefunden, die damit einherging. Er hatte für sich entschieden, dass er es einfach durchziehen würde, auch wenn er dem Studium nichts mehr abgewinnen konnte. Eine andere Möglichkeit war ihm sowieso nicht eingefallen und er hoffte, über eine Karriere bei der Polizei wenigstens ab und zu den ein oder anderen spannenden Fall lösen zu dürfen und so seiner Langeweile für eine Weile zu entkommen. Von Misa hatte er seitdem er so offen mit ihr gesprochen hatte, auch nichts mehr gehört. Sie war, wie er aus der Zeitung erfahren hatte, tatsächlich nach England umgezogen, trotzdem hatte es ihn überrascht, gar nichts mehr von ihr zu hören. Nach ihrer heftigen Reaktion hatte er damit gerechnet, dass sie ihn geradezu mit Anrufen und unangekündigten Besuchen terrorisieren würde, aber bisher hatte sie ihm noch nicht mal ein Lebenszeichen geschickt. In den letzten Wochen hatte er sich ab und zu mit diesem Mädchen, Takada, aus seinem Jahrgang getroffen. Sie war eine intelligente junge Frau, aber wenn er mit ihr ausgegangen war, konnte er an nichts anderes denken, als daran, dass sie Ryuuzaki nicht das Wasser reichen konnte. Da half es nichts, sich bewusst zu machen, dass er so jemanden nicht so schnell finden würde, jemanden, der so intelligent und widerspenstig war, der Gedanke kam einfach immer wieder auf, deswegen hatte er sie in den letzten zwei Wochen auch nicht mehr angerufen. Er vermisste Ryuuzaki immer noch, manchmal tastete er früh morgens immer noch an seinem Handgelenk nach der Kette um zu sehen, ob er sich nicht irgendwo verhakt hatte, nur um dann festzustellen, dass da nichts mehr war. Er vermisste die angeregten Gespräche, er vermisste Ryuuzakis Kommentare mit seiner ganz eigenen Sicht auf die Dinge und er vermisste auch, was in dieser einen Nacht passiert war und sich garantiert nicht wiederholen würde. Es war umwerfend gewesen und er konnte nicht leugnen, dass er sich regelrecht danach verzehrte, sich manchmal einfach hinlegte und sich vorstellte, Ryuuzaki wäre bei ihm. Aber das würde alles vorbeigehen. Man konnte einen Menschen nicht ewig vermissen. Irgendwann würde er schon etwas anderes finden, um die Leere in seinem Inneren zu füllen. Es war noch nicht sehr spät, aber er war müde vom Lernen. Gerade wollte er sich hinlegen, da rief seine Mutter von unten nach ihm. Müde erhob er sich und öffnete seine Tür. "Kaa-san? Was ist?" "Besuch für dich!" Light bekam nicht sehr viel Besuch zu Hause. Die einzige, die ab und zu vorbeigekommen war, war Misa gewesen, aber die war ja weit weg in England. Hoffte er jedenfalls. Als er die Treppe hinunter ging, überlegte er, wie hoch die Chancen standen, dass sie gerade eine mehrtätige Drehpause hatte und hergekommen war, um ihm in der Zeit auf den Geist zu gehen. Im Wohnzimmer hörte er das Klirren von Geschirr und das erfreute Geschwätz von seiner Mutter und Sayu. Offensichtlich war sein Vater noch nicht zu Hause, der kam auch immer erst später. Als er ins Zimmer kam, hatte er sich bereits bemüht, ein höfliches und freundliches Lächeln zu zeigen, aber als er den Gast sah, blieb er erst einmal wie erstarrt stehen und das Lächeln gefror auf seinen Lippen. Auf der Couch neben Sayu saß ein junger, dürrer Mann, die Knie an den Körper gezogen, und rührte, den Löffel in spitzen Fingern, seinen zweifellos überzuckerten Tee um. "Ah, Raito", sagte er freundlich. "Hallo." …tbc… Kapitel 18: Theogamy -------------------- theogamy – A marriage between gods (eine Ehe unter Göttern) "Ryuuzaki… was tust du hier?" Light starrte den unerwarteten Besuch ungläubig an. "Nun sei doch nicht so unhöflich!", kam es von seiner Mutter. Sie kam zu ihm und zog ihn hinüber zum Sofa, damit er sich dazusetzte. Sie war immer ganz erfreut, wenn er mal Besuch hatte, weil sie sich etwas Sorgen machte, dass ihr Sohn bei der vielen Lernerei vereinsamen könnte. Hätte sie gewusst, was für ein ganz spezieller Freund Ryuuzaki war, hätte sie sich diese Umstände wohl kaum gemacht. Das hier wirkte wie ein fröhliches Kaffeekränzchen, sie hatte Ryuuzaki Tee serviert und sogar Sayu saß daneben und beobachtete den Gast neugierig. Light vergaß in diesem Augenblick jede Höflichkeit. "Wieso bist du hier?", fragte er und konnte einen Anflug von Wut nicht ganz aus seiner Stimme verbannen. "Ich war in der Gegend", antwortete Ryuuzaki und schlürfte seinen Tee. "Da dachte ich mir, dass ich meinen besten Freund mal besuche." "Ihr seid beste Freunde?", fragte Sayu erstaunt. "Light hat gar nichts von dir erzählt, Ryuuzaki-san!" "Hat er nicht?", fragte Ryuuzaki anklagend. Dabei wusste er doch ganz genau, dass Light seiner Familie nichts erzählt hatte. Das hätte schließlich auch ihn in Gefahr gebracht. "Wir haben uns an der Universität kennengelernt. Wir haben gemeinsam die Rede zum Auftakt des Semesters gehalten." "Dann bist du auch so ein Schlaukopf?", platzte Sayu heraus und sie erntete dafür einen finsteren Blick von ihrer Mutter. Während Ryuuzaki sich scheinbar ungefangen mit Sayu unterhielt, überlegte Light, wie er auf diese Situation reagieren sollte. Er wollte alleine mit Ryuuzaki sprechen, weil er vor seiner Familie natürlich schlecht fragen konnte, warum L nach drei Monaten Abwesenheit plötzlich einfach so bei ihnen zu Hause auftauchte. Aber er konnte Ryuuzaki nicht einfach mit auf sein Zimmer nehmen… oder? Irgendwie war die Vorstellung extrem bizarr, auch wenn ihm selbst nicht so ganz klar war, warum. "Ich habe vor drei Monaten die Schule gewechselt, um im Ausland zu studieren", erklärte Ryuuzaki. "Seitdem haben wir uns nicht mehr gesehen und ich wollte nur mal sehen, wie es Raito so geht." Light konnte es einfach nicht fassen. Was ging eigentlich in Ryuuzakis Kopf vor?! "Es geht mir bestens", antwortete er unterkühlt. "Und dir?" "Ich kann nicht klagen. Was macht das Studium?" Das konnte nicht sein Ernst sein. Wollte er jetzt ernsthaft Konversation betreiben? Light wusste Ryuuzaki momentan überhaupt nicht einzuschätzen, es war gut möglich, dass er wirklich einfach nur aus einer Laune heraus hier war, um mit Light ein paar Worte zu wechseln und nebenbei vielleicht zu prüfen, ob der nicht doch Anzeichen eines Serienmörders zeigte… "Raito?" Light wollte antworten, aber er konnte nicht. Diese Farce hatte er monatelang mitgespielt. Jetzt war Schluss damit, ein für alle mal. Die Zeit für kindische Spielchen und Versteckspiele war vorbei. Ryuuzaki hatte jetzt nicht mehr das Sagen. Jetzt wird getan, was ich sage! Er reckte das Kinn in die Höhe und sagte: "Kann ich dich mal unter vier Augen sprechen?" Er warf Ryuuzaki einen so durchdringenden Blick zu, dass sogar dieser einen Augenblick lang seinen Mund hielt. "Komm mit in mein Zimmer." "Gerne." Gemächlich stellte Ryuuzaki seine Tasse ab und stand auf. "Hier entlang", sagte Light grimmig und ging vor. Als sie beide in seinem Zimmer waren, schloss er die Tür von innen ab und atmete tief ein und aus. Ryuuzaki schlenderte gelassen zum Schreibtisch und sagte: "Ein schönes Zimmer. Auf den Aufnahmen der Überwachungskameras wirkte es viel kleiner." "Ryuuzaki… was willst du hier?" "Ich wollte dich besuchen." "Das ist hoffentlich nicht dein Ernst." Ryuuzaki zog eine Augenbraue hoch. "Wieso denn nicht?" "Ich glaube dir nicht, dass du keine Hintergedanken hast. Wahrscheinlich hoffst du, dass ich vielleicht doch irgendwelche Anzeichen eines Serienmörders zeige. War dir Higuchis Verhaftung nicht genug? Ist dir langweilig?" "Mein Besuch hat nichts mit dem Fall zu tun." "Sondern?" Verunsichert schaute Light zu, wie Ryuuzaki den Schreibtischstuhl in die Mitte des Zimmers schob und sich darauf stellte. Er fummelte an der Lampe herum und brachte ein kleines, schwarzes Objekt zutage, das er mit spitzen Fingern hochhielt. Light traute seinen Augen nicht. "Du hast Kameras hier versteckt?" "Nur diese eine." Umständlich stieg er vom Stuhl herunter und steckte die Minikamera ein. "Das war eine reine Vorsichtsmaßnahme. Aber die brauche ich jetzt nicht mehr." "Du hast mich drei Monate lang beobachtet?" In diesem Moment verabscheute Light diesen Kerl aus tiefstem Herzen. So viel Dreistigkeit konnte er wirklich nicht fassen. Und noch weniger konnte er fassen, dass sein Herz bei Ryuuzakis Anblick einen kurzen Sprung gemacht hatte und er sich tatsächlich einen Moment lang doch die Hoffnung gemacht hatte, Ryuuzaki könnte seinetwegen hier sein. "Deshalb bist du also hier. Ich möchte, dass du gehst. Komm nie wieder hier her. Wage es nicht noch einmal, meine Familie zu behelligen." "Raito, ich…" "Raus hier." "Hör mir bitte zu." "Weißt du, was das Gute an dieser Sache ist? Offiziell ist der Fall abgeschlossen, auch wenn du offenbar immer noch paranoid genug bist, mir hinterher zu schnüffeln. Ich muss nicht mehr auf dich hören. Verschwinde. Sofort." Weil Ryuuzaki keine Anstalten machte, zu gehen, machte Light einen Schritt auf ihn zu, packte ihn beim Oberarm und zerrte ihn zur Tür. "Ich bin hier, weil es ohne dich unerträglich ist", sagte Ryuuzaki unerwartet. Augenblicklich ließ Light ihn los. Er starrte den anderen an und war sich sicher, dass er sich verhört hatte. "Was hast du gesagt?" "Du fehlst mir. Ich dachte, das gibt sich mit der Zeit, aber ohne dich ist alles einfach öde und leer." Er kaute nervös an seiner Unterlippe. "Ich wollte es nicht wahrhaben, aber ich hatte drei Monate Zeit, um darüber nachzudenken. Die Wahrheit ist, dass ich dich liebe." Schwer ließ Light sich gegen die Tür sinken. "Wow…", sagte er, weil ihm einfach nichts Geistreicheres einfiel. "Das kam jetzt wirklich unerwartet." Sein Herzschlag musste sich mindestens verdoppelt haben, aber trotzdem stand er immer noch an der Tür und Ryuuzaki stand immer noch unschlüssig mitten im Raum. Was hätte er denn tun sollen? Light wusste mit dieser Situation tatsächlich nichts anzufangen. Normalerweise stand er über den Dingen. Wenn ihm irgendein Mädchen so etwas gesagt hätte, wäre er auf sie zu gegangen, hätte sie umarmt und ihr je nach Sachlage eine passende Antwort gegeben. Aber das hier war kein Spiel und dieses Mal wusste er zwar, was er hätte tun sollen, konnte es aber nicht umsetzen. "Du fehlst mir auch", sagte er in die Stille hinein. "Und nun?" Light zuckte die Schultern. "Das hat doch sowieso alles keinen Sinn. Auf solche Überraschungsbesuche alle paar Monate, wenn dir gerade mal danach ist, habe ich überhaupt keine Lust." "Ich werde sicher nicht so oft in der Stadt sein, wie ich das gerne möchte. Aber ich habe ein neues Büro für mich organisiert, im Stadtzentrum. Ich werde Tokio zu meinem Stützpunkt machen. Was ich via PC erledigen kann, werde ich von hier aus erledigen. Und ich werde hier sein, wenn ich gerade keinen Fall habe." "Und was willst du mir damit sagen?", hauchte Light. Nach dem ganzen auf und ab wollte er es konkret aus Ryuuzakis Mund hören. "Das ist die einzige Möglichkeit, damit wir beide alles haben können. Ich kann dich leider nicht mehr mit Handschellen an mich fesseln. Nicht, dass ich nicht darüber nachgedacht hätte; wenn ich es könnte, hätte ich es getan. Aber auf deine Gesellschaft will ich nicht verzichten. Ich werde hier sein. Ich kann weiter als L arbeiten, aber ich bin in deiner Nähe." Er kramte umständlich in seiner Hosentasche und zog eine Chipkarte heraus, ähnlich der, die sie alle damals für den Zugang zum obersten Stockwerk des Hotels benutzt hatten. Er hielt sie Light hin. "Damit kommst du rein." Light blickte die Karte an. Auf der Vorderseite war in Goldbuchstaben eine Adresse gestanzt und er konnte nicht so recht glauben, dass L ihm gerade bereitwillig einen Schlüssel zu seinem Stützpunkt überreicht hatte. "Für jemanden, der mir von Anfang an misstraut hast, ist das aber ein ziemlich großer Vertrauensbeweis", sagte er bitter. Achselzuckend erwiderte Ryuuzaki: "Es liegt bei dir. Ich dachte mir schon, dass du wütend auf mich bist, weil ich mich eine Weile lang nicht gemeldet habe. Ich biete dir eine Möglichkeit an, dass es nicht einfach so endet." Light schaute Ryuuzaki ernst an. "Ich möchte, dass du mir eine Frage ehrlich beantwortest." Von Ryuuzaki kam bloß ein fragender Blick aus großen Augen. "Tust du das, weil du mich immer noch für Kira hältst?" Ryuuzaki schaute ihn ganz offen an und sagte ohne zu zögern: "Nein." Light wusste nicht, ob er Ryuuzaki auch nur annähernd so gut durchschauen konnte, wie der ihn. Er glaubte, dass es eine ehrliche Antwort war, aber sicher konnte er sich nicht sein. "Ich verstehe", sagte er leise. Dann wurde es wieder still. Ryuuzaki zuckte die Schultern, seufzte und sagte: "Überleg es dir und lass es mich wissen, wenn du dich entschieden hast." Er ging an Light vorbei zur Tür und verließ das Zimmer, ohne dass Light den Versuch unternahm, ihn aufzuhalten. Irgendwie unschlüssig saß Ryuuzaki auf der Couch in seinem brandneuen Büro. Weil dies sein neuer Stützpunkt werden sollte, sozusagen Ls offizielles Hauptquartier, hatte er sich die Möbel extra einfliegen lassen. Weil er vorhatte, dieses Mal so viel Zeit wie möglich im Hauptquartier zu verbringen, hatte er diesmal auch darauf geachtet, sich ein paar bequeme Möbel zu organisieren, so wie diese Couch. Das Wichtigste war der Kühlschrank, der randvoll war mit Süßigkeiten und von jetzt an auch immer prall gefüllt bleiben würde. In einer kleinen Ecke des Kühlschranks, im Getränkefach zwischen süßen Säften und Eistee, stand auch eine Flasche Mineralwasser. Light schien dieses Getränk zu bevorzugen und die Flasche war für ihn gedacht, für den Fall, dass er doch vorbeikäme. Ryuuzaki hoffte sehr, die Flasche nicht umsonst gekauft zu haben, ihm war Mineralwasser nämlich viel zu bitter. Das Büro befand sich im obersten Stockwerk eines Hochhauses, aber diesmal ragte es nicht so sehr über die Stadt wie beim letzten Mal. Er war im elften Stockwerk und damit immer noch weit unter dem Hotelkomplex, den er sich für den Fall Kira ausgesucht hatte. Ryuuzaki hatte sich diesen Bürokomplex ausgesucht, weil ihm hier alles das geboten wurde, was er für ungestörtes Arbeiten brauchte. Mit dem Lift kam man nur bis ganz nach oben, wenn man im Besitz der Chipkarte war oder aber wenn der Lift von hier aus nach unten geschickt wurde um jemanden abzuholen. Im Erdgeschoss gab es einen Sicherheitsdienst, der ungewollte Besucher außerdem kontrollierte und gegebenenfalls aufhielt. Mit dem Lift konnte man direkt bis in die Tiefgarage fahren, damit musste Ryuuzaki sich nicht unnötig den Angestellten zeigen, die in den Büros unter seinem arbeiteten und regelmäßig ein und aus gingen. Nachts war das Gebäude für gewöhnlich leer, deshalb würde sich auch niemand daran stören, dass er nachts meistens wach war. In diesem Gebäude würde ihn niemand vermuten, das war der eigentliche Grund dafür, dass er es sich ausgesucht hatte. Der wirklich große Unterschied zu seinem letzten Büro war, dass keiner da war. Kein Team mehr, kein Light und sogar Watari hatte er weggeschickt, zurück nach England. Er konnte ihn hier nicht gebrauchen, er hatte sowieso schon so eine komische Bemerkung gemacht, als er von Ryuuzakis Plänen, seinen Stützpunkt hierher zu verlegen, gehört hatte. Bei Lights Anblick hätte Watari womöglich die falschen, nein, eigentlich ja die richtigen Schlüsse gezogen. Und das letzte, was Ryuuzaki wollte war sich Watari zum Feind zu machen. Er vertraute Watari, natürlich, aber er wusste auch, dass er mehr der Sache als ihm verpflichtet war. Sollte er ahnen, dass Ryuuzaki Light absichtlich hatte entkommen lassen, könnte er ihnen beiden gewaltige Schwierigkeiten machen. Darum hatte Ryuuzaki entschieden, ihn in Großbritannien zu lassen, in der Nähe des Waisenhauses, um dort nach dem Rechten zu sehen, und weit, weit weg von ihm und Light. Watari war nur unfreiwillig gegangen, aber Ryuuzaki hatte ihn davon überzeugt, dass er ihm in England besser helfen konnte als hier. Ryuuzaki hatte ihm einfach gesagt, dass im Falle von Kiras Rückkehr es besser war, wenn sie nicht beide am selben Ort waren. Das hatte Watari eingesehen. Ob sich der ganze Aufwand gelohnt hatte, würde sich erst noch zeigen. Light war stur und stolz, es war gut möglich, dass er nie hier auftauchen würde. Ryuuzaki starrte nach draußen und ihm wurde wieder einmal bewusst, dass er nicht mehr derselbe Mensch war. Der Fall Kira hatte ihn verändert. Zum ersten Mal hatte er mit Fremden zusammengearbeitet, war gezwungen gewesen, Fremden zu vertrauen. Das Büro in dem Hotelkomplex, die Stadt, das alles war ihm vertraut geworden. Er hatte einen Vertrauten gefunden, einen geliebten Menschen, eine Fülle von Emotionen, die er so noch nicht gekannt hatte. Das alles konnte er nicht mehr loswerden, auch wenn ein Teil von ihm sich wünschte, er könnte. Sogar den Namen würde er mitnehmen in dieses neue Leben… Ryuuzaki. Eigentlich änderte er seine Namen mit jedem neuen Fall. Aber er hatte sich so sehr daran gewöhnt, es klang beinahe vertrauter als sein richtiger Name. Light nannte ihn Ryuuzaki. Es war, als gäbe es nun zwei Ichs, Ryuuzaki und L. Ein Genie, einen Meisterdetektiv auf der einen, aber einen ganz normalen Menschen auf der anderen Seite. Ein Blitz zuckte über den finsteren Himmel. Ryuuzaki hatte gelernt, dieses Wetter zu lieben. Er würde das Prasseln von Regentropfen auf dem Dach für immer mit Light assoziieren. Auch nach drei Monaten war er immer noch erstaunt über sich selbst, darüber, dass es ihm so einfach gelungen war, seine Scheu vor Menschen Light zuliebe zu überwinden. Er fragte sich, was er sich wünschen sollte, weil er nicht einmal das genau wusste. Sein Herz wollte, dass Light kommen und sein Angebot annehmen würde. Aber sein Verstand mahnte ihn, dass da immer noch Kira war, der wie ein bedrohlicher Schatten über allem hing. Am Schreibtisch piepte etwas und Ryuuzaki spürte eine Welle der Erleichterung. Jemand hatte soeben mit der Chipkarte die Tür unten geöffnet. Er bewegte sich nicht sondern starrte weiterhin nach draußen. Seltsamerweise hatte er einen Moment lang das Gefühl, es wäre Kira, der in diesem Moment in den Aufzug stieg und zu ihm hoch kam mit der Absicht, ihn zu töten. Jemand war an der Tür. Wieder piepte es, als sie mit der Karte geöffnet wurde. Jemand kam ins Büro, die Tür fiel ins Schloss und Ryuuzaki lauschte den Schritten. Draußen donnerte es nochmal. Und dann setzte Light sich neben ihn auf die Couch. Ein paar Minuten lang starrten sie schweigend nach draußen. "Und?", fragte Ryuuzaki irgendwann. "Bist du gekommen, um mir die Karte zurückzugeben oder um mein Angebot anzunehmen?" "Weder noch." Jetzt erst drehte Ryuuzaki sich zu Light, um ihn ansehen zu können. "Ich bin hier um zu verhandeln." "Worüber?" "Na über dein Angebot." Ryuuzaki zog die Augenbrauen hoch. "Ich höre." Light hielt die Chipkarte demonstrativ hoch. "Ich weiß, dass ich nur Student bin und du der erfolgreiche Detektiv mit dem vielen Geld. Aber wir spielen nach meinen Regeln." Es folgte eine Pause, dann: "Keine Lügen. Ich hasse das. Ich verlange, dass du mir sagst, was du denkst. Immer. Und wenn es um Kira geht erst recht. Ich werde versuchen, damit zu leben, dass ihr mir alle was verheimlicht. Aber ich möchte nicht, dass du mich anstarrst und ich mich ständig fragen muss, ob du grade die Wahrscheinlichkeit abwägst, ob ich Kira bin oder nicht." Ryuuzaki nickte bedächtig. Er war der Meister der Lügen und Intrigen, aber er war derselben Meinung. Das hier konnte nur funktionieren, wenn sie beide keine Spielchen spielten. Jedenfalls nicht mehr als nötig. "Ich weiß nicht, was aus uns wird. Aber wenn es zu Ende geht, will ich, dass wir ehrlich zueinander sind. Wenn du genug von mir hast, sag es. Umgekehrt werde ich es dir genauso sagen. Wenn du das hier aufrechterhältst, weil du immer noch denkst, ich wäre Kira…" "Das tue ich nicht. Werde ich auch nicht." "Gut. Dann habe ich nur noch eine Bedingung." Light schaute ihn bedeutungsvoll an. "Ich möchte einen Vertrauensbeweis." Ryuuzaki wusste bereits, was kommen würde. Während er versuchte, seinen Gesichtsausdruck unter Kontrolle zu behalten, dachte er darüber nach, wie er die unvermeidliche Frage beantworten wollte. Light beugte sich vor. "Sag mir deinen Namen." "Wieso verlangst du das von mir?" "Ich will wissen, ob du mir vertraust. Denn wenn nicht hat das alles hier keinen Sinn." Light sah ihn fast flehend an. "Ich will nur deinen Vornamen. Behalt den Nachnamen für dich, wenn du meinst. Aber ich muss wissen, wie der Mann heißt, den ich liebe." Den ich liebe. "Ryuuzaki." Der Name kam einfach über seine Lippen, obwohl er mit seinen Überlegungen noch nicht am Ende angelangt war. Er vertraute Light, aber es war einfach zu riskant. Ryuuzaki konnte ihm seinen richtigen Namen nicht nennen. Außerdem war "Ryuuzaki" irgendwo wie sein richtiger Name für ihn geworden. Es fühlte sich nicht an wie eine richtige Lüge. "Mein Name ist wirklich Ryuuzaki." Verblüfft starrte Light ihn an. "Ist das dein Ernst?" Ryuuzaki nickte. Light brauchte einen Moment, dann lachte er leise. "Ich hätte es wissen müssen. So raffiniert kannst wirklich nur du sein. Ryuuzaki." Trotz allem fühlte Ryuuzaki sich schuldig. Offenbar war Light nicht annähernd so misstrauisch wie er. Er glaubte ihm, einfach so. Das tat weh. Es wäre ihm fast lieber gewesen, wenn der andere nachgehakt hätte. Entschuldige, Raito. Das war die letzte Lüge, ich verspreche es. Light entspannte sich sichtlich. Er steckte die Chipkarte ein und die Geste sprach ihre eigene Sprache. Ryuuzaki blickte ihn an und fühlte sich gleichzeitig froh und verzweifelt. Er wusste, dass er einen Fehler machte. Irgendwann würde sich das rächen. Irgendwann würde einer von ihnen den anderen töten, und der Gedanke schmerzte so sehr, dass er es kaum ertragen konnte. Er würde alles tun, um es nicht soweit kommen zu lassen. Alles. Aus einem Impuls heraus beugte er sich vor und küsste Light. Vielleicht mache ich einen Fehler. Vielleicht stürze ich uns beide ins Unglück. Aber hier und jetzt liebe ich dich, Raito. Und das lasse ich mir nicht wegnehmen. 2 Jahre später. "Wir alle setzen große Erwartungen in unsere Zukunft. Ich bin sicher, jeder einzelne von uns wird die Herausforderungen mit der uns zuteil gewordenen Ausbildung meistern. Ich gratuliere allen recht herzlich zum Abschluss." Light beugte den Kopf vor der versammelten Schülerschaft und erntete tosenden Applaus für seine Abschlussrede. Er war sich sicher, sie war etwas zu förmlich geraten, die meisten seiner Kommilitonen waren eher in ausgelassener Stimmung und wollten als frisch gebackene Absolventen nicht so gern noch etwas über Verantwortung und die Zukunft hören. Aber sie waren sicherlich froh, dass er sich kurz gefasst hatte und mit seinen letzten Worten endete offiziell die Zeremonie und der kleine Empfang mit Buffet war eröffnet. Er stieg vom Podium und gesellte sich zu seiner Familie, die ihn stolz beglückwünschte und ihm nochmal zum Abschluss gratulierte. Er hatte als Bester abgeschnitten, auf jeden Fall als Bester seines Jahrgangs, mit aller Wahrscheinlichkeit auch als Bester in ganz Japan… so wie immer eben. Nun, dieses Detail war ihm nicht sonderlich wichtig. Lächelnd nahm er die Glückwünsche entgegen. anlässlich seiner Abschlussfeier waren sogar seine Großeltern angereist, deshalb gab er sich Mühe, sich von seiner besten Seite zu zeigen. Ihm selbst bedeutete der Abschluss nichts. Er hatte nicht darum bangen müssen, es war sowieso klar gewesen, dass er diese Prüfung ausgezeichnet bestehen würde. Wichtiger war, dass zahlreiche Firmen ihm Angebote unterbreitet hatten und er sich, nachdem er sich entschlossen hatte, sich zwei Monate Ferien zu gönnen, unter dutzenden von Stellenangeboten eines aussuchen konnte. Kein Wunder also, dass die Familie stolz war. Ihm selbst wurde der Rummel schnell zu viel, mit einer Entschuldigung seilte er sich ab und machte sich auf den Weg zum Buffet, um etwas zu essen. "Das war eine sehr pathetische Rede, Raito." Ryuuzaki tauchte wie immer wie aus dem Nichts auf. Er stand plötzlich einfach hinter ihm, wie immer in Jeans und das weiße Shirt gekleidet, und sah völlig unbeteiligt aus. "Ryuuzaki, hallo!" Er freute sich, noch mehr weil Ryuuzaki eigentlich behauptet hatte, er müsse arbeiten. "Warst du schon die ganze Zeit über da?" "Ja. Die anderen Reden haben mich fast zu Tode gelangweilt", antwortete er kopfschüttelnd. "Deine war auch nicht sonderlich prickelnd, du hättest den armen Kindern besser erzählen sollen, dass statistisch gesehen ein halbes Prozent von ihnen langzeitarbeitslos sein wird, über dreißig Prozent anstatt Karriere zu machen irgendwo in einem mittelständischen Betrieb an einem Schreibtisch versauern werden und dass fünfzehn Prozent der weiblichen Absolventen innerhalb der nächsten zwei Jahre schwanger werden und ihre Karriere aufgeben." "Das wäre eventuell nicht so gut angekommen", entgegnete Light trocken. Amüsiert beobachtete er, wie Ryuuzaki sich zum Buffettisch drängelte und sich Kuchenstücke auf den Teller schaufelte. "Was machst du hier? Ich dachte, du wärst geschäftlich unterwegs." "Ich konnte mir doch nicht entgehen lassen, wie du deinen Abschluss machst", antwortete Ryuuzaki mit vollem Mund. "Außerdem wollte ich fragen, ob du gleich Zeit hast." "Zeit wofür?" Ryuuzaki schluckte und ging ein paar Schritte. Light fiel durchaus auf, dass er ihn in eine Ecke manövrierte, wo nicht so viel los war. "Ich habe heute Nachmittag einen Termin mit einem Makler ausgemacht." "Willst du ein Haus kaufen?", spottete Light. "Allerdings." Gelassen zuckte Ryuuzaki die Schultern. "Du wolltest nach dem Abschluss von zu Hause ausziehen, oder nicht? Das wäre ein guter Zeitpunkt, um zusammenzuziehen." Light starrte den anderen erstmal fassungslos an. "Ist das dein Ernst?" Ryuuzaki nickte und schaufelte sich mehr Kuchen in den Mund. Sie hatten noch nie wirklich darüber gesprochen. Bisher hatte er Ryuuzaki einfach in seinem Büro besucht, wenn ihm danach gewesen war. Vor allem in letzter Zeit hatte er mehr Zeit dort als zu Hause verbracht. Light hasste Überraschungen, aber die Idee fand er eigentlich nicht schlecht. "Also, kommst du mit? Er hat da ein nettes kleines Haus für uns am Stadtrand. Ich kann in der ersten Etage mein Büro einrichten und unten wohnen wir." Erst einmal etwas sprachlos musterte Light seinen Freund. Er kannte diese spontanen Aktionen schon, aber das war doch etwas Besonderes. Es freute ihn, wenn er ganz ehrlich war. Er freute sich darüber, dass Ryuuzaki von sich aus so einen Schritt machte und der Gedanke, dass sie vielleicht bald zusammen wohnen würden, freute ihn auch. Er lächelte aufrichtig und antwortete: "Gute Idee." Am Flughafen entstieg eine blonde junge Frau dem Flugzeug. Sie zog sich ihren Hut vom Kopf und genoss den kühlen Wind, der ihr ins Gesicht blies. Vielleicht bildete sie sich das nur ein, aber sogar die Luft hier roch vertraut. Sie lächelte begeistert und konnte vor Aufregung kaum stillstehen. Zwei Jahre hatte sie ihre Heimat nicht mehr gesehen und freute sich unbändig darüber, endlich wieder hier zu sein. Sie musste sich unbedingt mal wieder die Hauptstadt ansehen. Sie wollte auf jeden Fall das nächste Kirschblütenfest miterleben. Aber das alles war nicht so wichtig. Eigentlich wollte sie bloß eines so schnell wie möglich tun: Sie wollte Light besuchen und ihm endlich die Wahrheit sagen. Sie streckte die Hände in die Luft und schrie: "Japan, ich bin wieder da!!" …tbc… *** Es tut mir ehrlich leid, dass das so lange gedauert hat. Aber wer meine FFs kennt weiß, dass das normal bei mir ist. Hab immer mittendrin so Aussetzer, wo's erstmal nicht mehr voran geht. Momentan wird’s nich ganz so schnelle Updates wie vorher geben, irgendwie geht’s grad nich so voran. Kapitel 19: Lackadaisical ------------------------- lackadaisical – Lacking spirit or liveliness (ohne Motivation oder Lebendigkeit) Nachdem Light und Ryuuzaki mehr oder minder spontan beschlossen hatten, zusammenzuziehen, war es an der Zeit, Lights Familie reinen Wein einzuschenken. Gut drei Wochen nachdem Light seinen Schulabschluss gemacht hatte, hatte sein Vater Geburtstag und zu diesem Anlass brachte er Ryuuzaki einfach mit nach Hause. Der hatte sich erstmal ziemlich dagegen gesträubt, aber es ließ sich nun mal nicht vermeiden. Die Familie musste wissen, bei wem Light in Zukunft wohnen wollte. Er hatte seiner Familie vorher schonend beigebracht, dass er mit einem anderen Mann zusammenziehen würde, um wenigstens diesen Schock vorwegzunehmen. Es gab zum Geburtstag seines Vaters ein Essen im Kreis der Familie. Sayu brachte Matsuda mit, mit dem sie – sehr zum Unverständnis von Light – seit gut einem halben Jahr ausging, und Light kam eben mit Ryuuzaki, der sich trotz diverser Ausflüchte am Ende gegen seinen Freund nicht hatte wehren können. Es war nicht so, dass Light scharf darauf war, seine Familie mit Ryuuzaki bekannt zu machen. Auch für diesen besonderen Anlass hatte Ryuuzaki es nicht für nötig befunden, sich etwas anderes anzuziehen als sonst. Als er barfuß vor der Familie stand und von Light mit knappen Worten vorgestellt wurde, fielen die Reaktionen sehr unterschiedlich aus. Lights Vater klappte die Kinnlade runter. Seine Mutter wirkte, als wüsste sie nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Sayu schaute völlig unbeteiligt drein und Matsuda… "Ryuuzaki!", ächzte er und deutete auf ihn, als wäre er ein Geist. Er machte ein selten dämliches Gesicht, blinzelte ein paar Mal, sein Mund klappte auf und zu und als Light kurz davor war, etwas sehr Zynisches und Unpassendes zu sagen, schaute Matsuda plötzlich ihn an und fragte ungläubig: "Du bist mit Ryuuzaki zusammen?!" "Ja. Könntet ihr jetzt aufhören uns so anzustarren?", fragte Light ungehalten. Er hatte gewusst, dass man ihm blöde Fragen stellen würde, aber er hatte nicht damit gerechnet, dass Matsuda auch anwesend sein würde. Diesem Idioten wäre es zuzutrauen, gleich noch das Geheimnis auszuplaudern, dass Ryuuzaki L war. So weit kam es dann doch nicht, denn Sayu lenkte die Aufmerksamkeit auf sich, als sie grinsend die Hand zu ihrer Mutter ausstreckte und sagte: "Du schuldest mir 10.000 Yen." "…ihr habt gewettet, dass ich…" Entschuldigend zuckte Sayu die Schultern. "Nachdem er hier war, hast du angefangen, seltener zu Hause zu sein. Nach dem, wie ihr beide euch benommen habt, habe ich von Anfang an vermutet, dass da was im Busch ist." Ein bisschen verstimmt holte Lights Mutter die 10.000 Yen aus ihrer Geldbörse, dann betrachtete sie Ryuuzaki von oben bis unten. Erstaunlicherweise war sie es, die noch vor Lights Vater einen Schritt nach vorne machte, sich verbeugte und den Gast herzlich willkommen hieß. Die Familie Yagami erholte sich sehr schnell von der Überraschung. Gegen acht Uhr abends saßen alle am Tisch, der unter der Last von zahlreichen, duftenden Gerichten fast zusammenzubrechen drohte. Weil Light seine Mutter gebeten hatte, für seinen Gast Süßspeisen zuzubereiten, griff sogar Ryuuzaki beherzt zu und legte während er eine dick mit Schokoladencreme bestrichene Waffel verdrückte sein Unwohlsein vorübergehend ab. Kurz bevor das Essen serviert worden war, hatte Light sich kurz allein mit Matsuda unterhalten. Er hatte ihn eindringlich gebeten, Ryuuzakis Identität für sich zu behalten. Und auch sein Vater schien sich im Laufe des Abends mit der Situation abzufinden. "Irgendwie habt ihr euch ja sowieso von Anfang an so gut verstanden", hatte er gesagt. "Eigentlich sollte ich wirklich nicht überrascht sein." Jetzt saßen sie alle wie eine große Familie beieinander und Light, der sowieso nicht jemand war, der viel sagte, war sehr still geworden. Er beobachtete, wie Sayu fröhlich von ihrem letzten Date mit Matsuda erzählte und der peinlich berührt neben ihr saß, weil dabei offenbar einiges schiefgelaufen war. Immer wieder deutete sie mit ihren Stäbchen auf ihn und fing an zu lachen. Seine Mutter indes hatte so etwas wie ein Gespräch mit Ryuuzaki angefangen, was eigentlich eher so aussah, dass sie neugierige Fragen stellte und er ihr zwischen zwei Bissen eine ausweichende oder schlichtweg gelogene Antwort gab und ihr gleichzeitig ein Kompliment für ihr Essen machte. Das Gefühl, das Light bei diesem Anblick hatte, war nicht das, was er erwartet hatte. Die Heimlichkeiten waren ihm manchmal ziemlich auf den Geist gegangen und eigentlich hätte er erleichtert sein müssen, dass die Familie jetzt Bescheid wusste. Ryuuzaki saß an diesem Tisch als wäre er ein Familienmitglied. Eigentlich hätte Light das zufrieden machen sollen. Stattdessen hatte er ein beklemmendes Gefühl, wenn er sich umsah. Diese Familienidylle hinterließ einen schalen Nachgeschmack, irgendwie war ihm das alles zu profan. Light hasste sich selbst dafür, dass er solche Gedanken hatte, aber er konnte nichts dafür. Er stellte sich vor, dass es in ein paar Jahren zum Geburtstagsfest für seinen Vater ähnlich aussehen würde. Ryuuzaki und er würden kommen, älter, reicher und erfolgreicher. Sayu und Matsuda würden geheiratet und wahrscheinlich schon ein oder zwei Kinder haben, seine Eltern würden sich glücklich anlächeln und das alles löste plötzlich ein bitteres Gefühl der Leere in ihm aus. War das schon alles? Wollte er wirklich den Rest seines Lebens so verbringen? "Ist etwas, Raito?", fragte Ryuuzaki neben ihm. Lächelnd schüttelte Light den Kopf. "Nein", sagte er sehr leise, "ich finde es nur schön, dass wir alle hier so sitzen." Es war eine dreiste Lüge, aber was hätte er sonst sagen sollen? Er musste plötzlich an die Langeweile denken, die ihn so gequält hatte, bevor Kira aufgetaucht und Ryuuzaki in sein Leben getreten war. Etwas hatte in seinem Leben gefehlt und Ryuuzaki hatte es ausgefüllt. Mit ihm wurde es nicht langweilig, ihn zu lieben war nervenaufreibend, aufregend und schön. Aber es konnte nicht ewig so sein. Vielleicht waren eine gemeinsame Wohnung und das Ende der Heimlichkeiten auch der Anfang vom Ende. Light wurde traurig, als ihm bewusst wurde, dass Liebe allein vielleicht nicht reichen würde, um ihn für immer glücklich zu machen. Es klingelte an der Tür und Light war sehr dankbar, von seinen trübsinnigen Gedanken abgelenkt zu werden. "Ich geh schon", sagte er hastig und stand auf. Er öffnete die Tür und die Person, die vor ihm stand, war mit Sicherheit die letzte, die er erwartet hätte. "Misa…" Nach der ersten Schrecksekunde nannte Light nochmal Misas Namen und sie fiel ihm augenblicklich um den Hals. "Raitooo", quietschte sie und drückte ihm fast die Luft ab. "Ich hab dich so vermisst! Entschuldige, dass ich nicht früher gekommen bin, aber ich musste mich um eine Wohnung kümmern und den ganzen Papierkram erledigen und…" "Misa, was machst du hier?" Energisch schob er sie weg. Sie strahlte über das ganze Gesicht. "Die Dreharbeiten sind beendet. Ich bin wieder in Japan." Ziemlich baff starrte er sie an. "Ja… und?" Nicht einmal das konnte ihre gute Laune trüben. "Darf ich denn nicht reinkommen? Wir haben so viel zu besprechen! Ich muss mit dir über etwas sehr Wichtiges reden! Etwas, das ich dir am liebsten schon vor zwei Jahren gesagt hätte." "Misa, das ist ein schlechter Zeitpunkt." Hinter ihm sagte jemand: "Raito? Ist alles in Ordnung?" Ryuuzaki schob sich neben Light, um Misa sehen zu können. Wenn er überrascht war, ließ er es sich nicht anmerken. Misa dagegen wirkte regelrecht schockiert. "Ryuuzaki… san…", krächzte sie. "Was tust du denn hier?" Er hob die Hand zum Gruß und seine dunklen Augen musterten sie scheinbar neugierig. Light wollte lieber gar nicht wissen, welch verworrene Gedanken sich hinter diesem harmlosen Gesichtsausdruck abspielen mochten. Er musste Misa loswerden, bevor sie sein Leben auf den Kopf stellte. Deshalb entschied er sich, ihr die Wahrheit schonungslos zu sagen. Vielleicht würde sie ihn dann ja in Ruhe lassen. "Ryuuzaki ist hier, weil wir den Geburtstag meines Vaters feiern. Ich wollte ihn der Familie vorstellen. Ich ziehe demnächst mit ihm zusammen." "Zusammen… wie? Was?" Misa schien gar nichts mehr zu kapieren. Ihr Blick wanderte von Light zu Ryuuzaki und wieder zurück, und das mehrere Male. Bis sie hilflos fragte: "Ihr zwei seid… ihr seid…" "Liiert", unkte Ryuuzaki, der es offensichtlich genoss, ihr das an den Kopf zu werfen. Das war gar nicht seine Art. Misa wirkte auf einmal total verloren. Das strahlende Lachen war gänzlich verschwunden und zurück blieb ein Ausdruck der Verzweiflung in ihren Augen. "Wie ist denn das passiert? Ich verstehe nicht… Raito… du…" "Ich habe dir vor deiner Abreise gesagt, dass ich keine Gefühle für dich habe", sagte Light kühl. "Ich dachte, du hättest das verstanden." "Aber ich dachte… ich…" "Misa", sagte Light ungeduldig. "Das ist jetzt wirklich kein guter Zeitpunkt. Geh nach Hause, ja?" Und dann schloss er die Tür. Misa war die Letzte, die er in seiner Nähe haben wollte. Er drehte sich zu Ryuuzaki um und schüttelte verständnislos den Kopf. "Was zum Teufel geht in ihr vor?" "Du warst gemein zu ihr", stellte Ryuuzaki sachlich fest. "Das war nicht meine Absicht. Ich wollte nur, dass sie es endlich versteht." Light hatte ein Bisschen Sorge, dass Ryuuzaki dank Misas Auftauchen gleich wieder falsche Schlüsse ziehen könnte. Endlich hatte sich das Leben normalisiert, endlich dachte er nicht mehr jeden Tag an Kira und daran, dass Ryuuzaki ihn möglicherweise immer noch irgendwie verdächtigte, da tauchte sie auf und riss alte Wunden neu auf. Er wollte sie nicht mehr in seiner Nähe haben. Er wollte sie vergessen, so wie er den nagenden Zweifel vergessen wollte, ob Ryuuzaki nicht doch nur bei ihm war, um ihn konstant überwachen zu können. Ryuuzaki wirkte entspannt. Der unerwartete Besuch schien ihn jedenfalls nicht sofort ins Grübeln gebracht zu haben, denn das hätte Light sofort an seinem Gesicht gesehen. "Komm, gehen wir zurück zu den anderen." Misa saß in ihrem neuen Appartement und heulte sich die Augen aus. Sie verstand die Welt nicht mehr. Light und sie waren doch füreinander bestimmt. Das war wie ein Naturgesetz. Und jetzt war Light ausgerechnet mit Ryuuzaki zusammen. Das konnte doch einfach nicht wahr sein! "Raito gehört doch zu mir", schluchzte sie und umarmte ihren Kater, den sie sich während ihres Aufenthaltes in England angeschafft hatte und der auf den Namen Kira hörte. Das Tier miaute, beachtete ihren Heulkrampf sonst aber nicht weiter. "Und er ist ganz bestimmt nicht schwul! Ich versteh das nicht!" Sie wischte sich einmal über das Gesicht, was aber gegen eine Flut von Tränen kaum Auswirkungen hatte. "Ist da irgendetwas, von dem ich nichts weiß? Vielleicht hat Ryuuzaki Raito erpresst? Er hat sich an ihn rangemacht, damit er ihn überwachen kann, bestimmt!" Ihre eigenen Worte konnten sie nicht überzeugen. Sie kannte Light gut genug um zu wissen, dass er sich nicht erpressen ließ. Wenn er wirklich mit Ryuuzaki zusammen war, dann sicher nicht weil er dazu gezwungen wurde. Also blieb nur noch die Möglichkeit, dass er sie angelogen hatte. Warum? Um sie zu schützen? Aber warum war Ryuuzaki bei ihm gewesen? Die Vorstellung, dass es eine triftige Begründung dafür gab, Light mehr als zwei Jahre lang gegen seinen Willen zu überwachen, war schlichtweg absurd. Light hätte das nie zugelassen und selbst dieser Verrückte Ryuuzaki hätte sowas nicht durchsetzen können. Aber was steckte dann dahinter? Kira drückte seinen Kopf gegen ihren Unterarm und sie kraulte ihn. Der Kater schnurrte zufrieden und rollte sich auf ihrem Schoß ein. Wenn Misas Körper von einem Schluchzen geschüttelt wurde, brummte er kurz, hielt sich aber sonst ruhig. Dieses Mal konnte seine Anwesenheit Misa aber nicht beruhigen. Ihr Traum, ihr ganzes Leben lag plötzlich in Trümmern. Wie sollte sie Light die Wahrheit sagen, wenn Ryuuzaki ständig um ihn herum war? Bis auf weiteres musste sie sich zurückhalten und Light einfach vertrauen. Warum auch immer er diese schrecklichen Dinge gesagt hatte, sie musste auf ihn hören. Sie würde ihn nach so langer Zeit nicht in Gefahr bringen. Lieber würde sie selber leiden, im Namen der Liebe. Irgendwann würde eine Möglichkeit kommen, Ryuuzaki konnte ihn schließlich nicht vierundzwanzig Stunden am Tag überwachen. Und wenn doch dann würde sie eben abwarten. So lange, bis er sich erinnern würde. Dann würde er zu ihr zurückkommen. "Und wenn es nochmal zwei Jahre dauert… nein, selbst wenn es zehn Jahre dauert, ich warte auf ihn!", sagte sie zu ihrem Kater. "Er kommt zu mir zurück. Ganz bestimmt. Ganz… bestimmt..." Zwei Tage später packte Light seine Sachen und zog von zu Hause aus, noch bevor Misa die Gelegenheit hatte, ihn ohne Ryuuzaki anzutreffen. Als sie bei der Familie Yagami klingelte, wollte man ihr seine neue Adresse nicht nennen. Misa hatte Light verloren und sie entschied, dass sie, solange Ryuuzaki in seiner Nähe war, nichts mehr unternehmen würde, um ihn zu finden. Sie würde warten, darin hatte sie ja schon Übung. Und Misa wartete. Lustlos blätterte Light die mehrseitige Informationsbroschüre eines großen Konzerns durch, die er sich nach einem Jobangebot dieser Firma organisiert hatte. Inzwischen hatte sich herausgestellt, dass er wirklich als Bester in ganz Japan seinen Abschluss gemacht hatte und dementsprechend hoch war die Zahl der Unternehmen, die ihn anzuwerben versuchten. Es waren sehr renommierte, internationale Konzerne dabei, aber wenn er ehrlich war, reizte ihn keiner davon wirklich. Am Ende würde er in einem Büro enden und Nachtschichten schieben um für irgendein Unternehmen die besten Verträge zu den besten Konditionen auszuhandeln. Er hatte doch nicht studiert, sich nicht so lange mit Recht und Gesetz befasst, um jetzt einem gesichtslosen Konzern rechtliche Vorteile zu verschaffen. Er wusste, dass sich in den großen Firmen auch großes Geld verdienen ließ. Wenn er seine Karriere richtig plante, würde sein Gehalt schon in wenigen Jahren das seines Vaters bei weitem übertreffen. Aber Geld war ihm nicht wichtig. Etwas in ihm weigerte sich einfach, einen dieser langweiligen Schreibtischjobs anzunehmen. Es gab nur eines, was ihn wenigstens einigermaßen reizte, und das war die Arbeit bei der Polizei. Er wollte Rätsel lösen, Fälle aufklären, Menschen helfen. Das war wenigstens nicht so langweilig. Light fragte sich, warum dieses scheußliche Wort, Langeweile, eine so wichtige Rolle in seinem Leben spielte. Warum fiel es ihm so schwer, einfach glücklich zu sein? Warum suchte er irgendwo immer wieder nach Aufregung und Abwechslung? Frustriert legte er die Broschüre weg. Er hatte keine Lust mehr, sich diesen ewig gleichen Mist durchzulesen. Eigentlich hatte er gehofft, Ryuuzaki würde ihm anbieten, künftig mit ihm zusammenzuarbeiten. L konnte ebenso gut aus zwei Personen bestehen und diese Aufgabe hätte ihm wirklich Spaß gemacht. Aber Ryuuzaki hatte nie etwas gesagt und deshalb nahm Light an, dass das nicht in Frage kam. "Hast du dich schon für eine Firma entschieden?", kam es von der Tür. Light drehte sich um. Ryuuzaki lehnte im Türrahmen und beobachtete ihn aus seinen dunklen Augen. Er war sicher schon länger da, das war eine Marotte von ihm. Wenn es ihm gelang, Light in einem Moment zu erwischen, wo der sich unbeobachtet fühlte, dann ließ Ryuuzaki sich gerne Zeit, um sich bemerkbar zu machen. Er beobachtete Light lieber, mit diesem wissenden, gleichzeitig liebevollen und lauernden Blick. Sicher hatte er gesehen, mit wie wenig Interesse Light seine Angebote durchgesehen hatte und hatte längst seine Schlüsse daraus gezogen. Die Frage hatte er eigentlich nur pro Forma gestellt. Light entschied sich, sie trotzdem zu beantworten. "Ich weiß nur, dass ich keins von diesen Angeboten annehmen kann." "Es zieht dich immer noch zur Polizei." Ryuuzaki kam mit schlurfenden Schritten auf ihn zu. "Ein Schreibtischjob würde mich zu Tode langweilen." "Bei der Polizei tust du auch nichts anderes. Jemanden wie dich werden sie nicht zum Knöllchenschreiben abkommandieren. Du wirst 80 Prozent deiner Zeit damit verbringen, Akten zu durchforsten." "Das ist ja sehr tröstlich." "Ich möchte nur, dass du vorbereitet bist." Achselzuckend erwiderte Light: "Selbst wenn. Es ist das Aufregendste, was die Zukunft für mich zu bieten hat. Es sei denn, du bittest mich doch noch, mit dir zusammenzuarbeiten." Er hatte lange überlegt, ob er das überhaupt ansprechen sollte und sich eigentlich dagegen entschieden, und nun sprach er es doch aus. Es war einen Versuch wert, auch wenn er die Antwort schon kannte. "Das werde ich aber nicht tun. Ich möchte dein Leben schließlich nicht noch mehr in Gefahr bringen als ich es ohnehin schon tue." "Lüg mich nicht an." "Du kennst die Wahrheit doch. Muss ich es aussprechen?" "Ich darf nicht L sein, wenn auch nur die geringste Möglichkeit besteht, dass ich Kira war und vielleicht wieder werde", sagte Light kopfschüttelnd. "Das ist es doch, was du denkst. Oder?" Ryuuzaki antwortete nicht. Das Thema war für sie beide ein wunder Punkt und es war nicht gut, weiter darauf herumzureiten. Light würde auch eine andere, interessante Arbeit finden. Er würde es auch ohne Ryuuzaki schaffen. Und im Grunde hatte er seine Entscheidung schon getroffen. Geld bedeutete ihm nichts. Man konnte sich damit vieles kaufen, aber kaum etwas, um der Langeweile zu entgehen. Light wollte zur Polizei. Light schloss die Haustür hinter sich und lehnte sich dagegen. Im Flur war es dunkel, aber aus der Küche kam genug Licht, damit er etwas sehen konnte, obwohl es draußen schon dunkel geworden war. Schwerfällig bückte er sich, um die Schuhe auszuziehen. Er hatte soeben seinen ersten Arbeitstag hinter sich gebracht. Es war nicht wirklich anstrengend gewesen. Die Kollegen waren, soweit er das gesehen hatte, alle recht nett, er hatte einen eigenen Schreibtisch, er hatte die Aufgaben, die man ihm heute erklärt hatte, schnell begriffen und sah für die Zukunft keine größeren Schwierigkeiten, sich in den Job einzufinden. Was blieb, war eine gewisse Ernüchterung. Er hatte den Einstellungstest mit fliegenden Fahnen bestanden, weder der sportliche noch der Psychotest waren für ihn ein größeres Hindernis gewesen. Die anschließenden Schulungen waren recht interessant gewesen, er hatte gelernt, mit einer Schusswaffe umzugehen und man hatte ihm sehr viel über den Umgang mit Kriminellen und Menschen allgemein beigebracht. Es war aufregend gewesen und hatte seine Hoffnungen geschürt, dass die Aufgaben eines Polizisten doch breiter gefächert waren als nur Akten zu sortieren. Heute hatten ihm die Kollegen seinen Schreibtisch gezeigt. Er kam frisch von der Ausbildung, seine Aufgabe würde es sein, sich um den Papierkram der Polizeistation zu kümmern… mit anderen Worten: Akten anlegen, Akten sortieren, Akten verwalten. Und es war genauso langweilig, wie es sich anhörte. Mit den Wochen würde man seine Aufgabengebiete erweitern, er würde bald mit auf Streife fahren dürfen, aber wirklich große Hoffnungen auf eine abwechslungsreiche Tätigkeit machte Light sich nicht mehr. Er hatte darauf bestanden, in einem anderen Stadtteil anzufangen als dem, wo sein Vater arbeitete, einfach weil es nicht seine Art war, sich mit dem Erfolg seines Vaters Vorteile zu verschaffen. Er würde diesen öden Job noch sehr, sehr lange machen, bevor ihm irgendwann mal eine Beförderung Aussicht auf Besserung versprach. In Socken schlurfte er den Flur entlang, wohl wissend, dass Ryuuzaki zu Hause war und sich in seinem Büro aufhielt. Eigentlich mochte der es gar nicht, bei der Arbeit gestört zu werden, vor allem weil er geradezu pedantisch darauf bedacht war, Informationen über seine Fälle vor Light geheimzuhalten, aber dem Jüngeren war das heute egal. Er war frustriert, ernüchtert, müde. Und er sehnte sich danach, all die negativen Gefühle für eine Weile zu vergessen und sich daran zu erinnern, was wirklich wichtig war. Zielstrebig hielt er auf Ryuuzakis Büro zu und klopfte an. Es dauerte etwas, bis Ryuuzaki ihn herein rief. Große, dunkle Augen schauten ihn an, als Light das Büro betrat und dabei seine Krawatte löste. "Raito, du bist schon zu Hause?", fragte Ryuuzaki und sein Unmut über die Störung war ihm deutlich anzusehen. "Wie war der erste Arbeitstag?" "Darüber möchte ich jetzt nicht sprechen", erwiderte Light. "Was willst du dann?" Er war bei Ryuuzaki angekommen und beugte sich runter, um den Dunkelhaarigen zu küssen. Seltsam, dass er ausgerechnet jetzt daran denken musste, welche Reaktion der allererste Kuss bei Ryuuzaki ausgelöst hatte. Das hatte sich jedenfalls inzwischen grundlegend geändert. Nach einem Moment passiven Widerstands lehnte Ryuuzaki sich ihm entgegen und öffnete bereitwillig den Mund, als Light mit der Zunge gegen seine Lippen stupste. Light steckte alle seine Gefühle in diesen Kuss, positiv wie negativ, wohl wissend, dass Ryuuzaki sie zu deuten wusste. Er wollte heute nicht mehr nachdenken. Nach langen Momenten wohliger Passion ließ Light von Ryuuzaki ab und sagte heiser: "Ich weiß, dass du arbeiten musst. Aber ich brauch das jetzt. Ich muss mich entspannen." "Nicht hier. Beim letzten Mal hast du mir alles durcheinander geworfen und mehrere Stunden Arbeit ruiniert." "Dann komm", sagte Light ungeduldig. Er brauchte die Ablenkung und die Entspannung, die er nur finden konnte, wenn Ryuuzaki bei ihm war. Er ging vor ins Schlafzimmer, wohl wissend, dass Ryuuzaki sich beeilen und ihm folgen würde. Als er nicht sehr viel später nach Luft ringend neben Ryuuzaki im Bett lag, fühlte Light sich schon wesentlich besser. Sex war zum Stressabbau ausgezeichnet, das hatte er schon vor zwei Jahren festgestellt. Seine Hand tastete nach dem erhitzten Körper des anderen und weil er zu müde war, den Kopf zu heben, gab er sich zufrieden, als er einen Arm ertastete und ließ seine Hand dort ruhen. Die Unruhe, mit der er nach Hause gekommen war, war verflogen. Nur Ryuuzaki hatte diese Wirkung auf ihn und er war sehr dankbar dafür, dass es noch immer funktionierte. Vielleicht würde er für eine lange Zeit Akten sortieren. Aber er konnte abends nach Hause kommen und die Leere vertreiben, indem er Ryuuzakis Nähe suchte. Arbeit war nicht alles. "Dein erster Tag ist nicht besonders gut gelaufen." Ryuuzaki fragte nicht, er sprach einfach aus, was er schon wusste. "Richtig." "Ich verstehe." Eigentlich hätte Light den anderen gerne darauf hingewiesen, dass er es wohl kaum verstehen konnte. Ryuuzaki war L und demnach wahrscheinlich nie einer ganz normalen Tätigkeit nachgegangen. Das nahm Light jedenfalls stark an. Ryuuzaki, der ihm im Geiste so ähnlich war, wusste nicht, wie zermürbend es sein konnte, dem alltäglichen Einerlei von Schule oder Job standzuhalten. Er hatte seine elitäre, abwechslungsreiche, manchmal lebensgefährliche Tätigkeit gefunden. Ryuuzaki verstand es ganz sicher nicht. Aber Light sprach nicht laut aus, was er dachte. Eine Hand tastete nach seiner und sie verschränkten wortlos ihre Finger ineinander. Light drehte jetzt doch den Kopf nach links, um den anderen ansehen zu können. Das war es, wofür er die Langeweile des Alltags überstand. Um jeden Tag hierher zurückkehren und bei Ryuuzaki sein zu können. Jetzt gerade fühlte er sich ein bisschen sentimental und dachte an Dinge, die schon sehr lange her waren. "Du hast ziemlich zugenommen, seit wir uns begegnet sind", bemerkte er müde. "Habe ich das?" Es stimmte. Ryuuzaki hatte seine besonderen Schlaf- und Essensgewohnheiten nicht wirklich abgelegt, aber man konnte den Einfluss, den Light auf ihn hatte, deutlich sehen. Wenn sie zusammen aßen, zwang Ryuuzaki sich, etwas von dem "gesunden Zeug", wie er es nannte, zu essen. Er schlief regelmäßiger als früher, aß mehr und gesünder, dachte nicht mehr nur ständig an seine Arbeit. Er sah immer noch aus wie ein Gespenst, übernächtigt und blass, aber nicht mehr so dürr wie früher. Fast normalgewichtig. Light sah es gern. Es war der Einfluss, den er auf Ryuuzaki hatte, er und niemand sonst. Es waren sozusagen die Spuren, die er hinterlassen hatte. "Raito." "Mh?" "Jetzt gerade weiß ich nicht, was du denkst. Und das gefällt mir nicht." Lächelnd erwiderte Light: "Ich habe mich nur an etwas sehr Wichtiges erinnert." Für das hier lohnte es sich, die Langeweile in Kauf zu nehmen und dieses ganz normale Leben zu leben. Nicht die Normalität war sinnlos, sondern seine rastlose Suche nach etwas Besserem, Größerem. …tbc… *** Unglaublich aber wahr, ein Update! Ich mag das Kapitel nicht sonderlich und habe, wie man sieht, Monate mit mir gerungen, es zu posten. Nun hab ich mich entschlossen, dass ich es posten muss, sonst kanns ja auch nie weitergehen. Vielleicht fragen sich einige, warum ich ihnen keine ENS geschrieben habe. War Absicht, weil ich so lange nicht geupdated hab. Ich möchte keinem eine ENS schreiben, der diese vielleicht nicht mehr möchte. Deshalb. Dass ich mir mit dem Update so lange Zeit gelassen habe, tut mir leid. Es is bei mir wohl immer so, dass ich irgendwann zwischendrin ne längere Pause brauche, um Ideen zu sammeln. Aber ich verspreche, ich werde diese FF fertig stellen, und wenn es das letzte ist, was ich tue! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)