Photophobia von Chi_desu (a fear of light (die Angst vor dem Licht)) ================================================================================ Kapitel 19: Lackadaisical ------------------------- lackadaisical – Lacking spirit or liveliness (ohne Motivation oder Lebendigkeit) Nachdem Light und Ryuuzaki mehr oder minder spontan beschlossen hatten, zusammenzuziehen, war es an der Zeit, Lights Familie reinen Wein einzuschenken. Gut drei Wochen nachdem Light seinen Schulabschluss gemacht hatte, hatte sein Vater Geburtstag und zu diesem Anlass brachte er Ryuuzaki einfach mit nach Hause. Der hatte sich erstmal ziemlich dagegen gesträubt, aber es ließ sich nun mal nicht vermeiden. Die Familie musste wissen, bei wem Light in Zukunft wohnen wollte. Er hatte seiner Familie vorher schonend beigebracht, dass er mit einem anderen Mann zusammenziehen würde, um wenigstens diesen Schock vorwegzunehmen. Es gab zum Geburtstag seines Vaters ein Essen im Kreis der Familie. Sayu brachte Matsuda mit, mit dem sie – sehr zum Unverständnis von Light – seit gut einem halben Jahr ausging, und Light kam eben mit Ryuuzaki, der sich trotz diverser Ausflüchte am Ende gegen seinen Freund nicht hatte wehren können. Es war nicht so, dass Light scharf darauf war, seine Familie mit Ryuuzaki bekannt zu machen. Auch für diesen besonderen Anlass hatte Ryuuzaki es nicht für nötig befunden, sich etwas anderes anzuziehen als sonst. Als er barfuß vor der Familie stand und von Light mit knappen Worten vorgestellt wurde, fielen die Reaktionen sehr unterschiedlich aus. Lights Vater klappte die Kinnlade runter. Seine Mutter wirkte, als wüsste sie nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Sayu schaute völlig unbeteiligt drein und Matsuda… "Ryuuzaki!", ächzte er und deutete auf ihn, als wäre er ein Geist. Er machte ein selten dämliches Gesicht, blinzelte ein paar Mal, sein Mund klappte auf und zu und als Light kurz davor war, etwas sehr Zynisches und Unpassendes zu sagen, schaute Matsuda plötzlich ihn an und fragte ungläubig: "Du bist mit Ryuuzaki zusammen?!" "Ja. Könntet ihr jetzt aufhören uns so anzustarren?", fragte Light ungehalten. Er hatte gewusst, dass man ihm blöde Fragen stellen würde, aber er hatte nicht damit gerechnet, dass Matsuda auch anwesend sein würde. Diesem Idioten wäre es zuzutrauen, gleich noch das Geheimnis auszuplaudern, dass Ryuuzaki L war. So weit kam es dann doch nicht, denn Sayu lenkte die Aufmerksamkeit auf sich, als sie grinsend die Hand zu ihrer Mutter ausstreckte und sagte: "Du schuldest mir 10.000 Yen." "…ihr habt gewettet, dass ich…" Entschuldigend zuckte Sayu die Schultern. "Nachdem er hier war, hast du angefangen, seltener zu Hause zu sein. Nach dem, wie ihr beide euch benommen habt, habe ich von Anfang an vermutet, dass da was im Busch ist." Ein bisschen verstimmt holte Lights Mutter die 10.000 Yen aus ihrer Geldbörse, dann betrachtete sie Ryuuzaki von oben bis unten. Erstaunlicherweise war sie es, die noch vor Lights Vater einen Schritt nach vorne machte, sich verbeugte und den Gast herzlich willkommen hieß. Die Familie Yagami erholte sich sehr schnell von der Überraschung. Gegen acht Uhr abends saßen alle am Tisch, der unter der Last von zahlreichen, duftenden Gerichten fast zusammenzubrechen drohte. Weil Light seine Mutter gebeten hatte, für seinen Gast Süßspeisen zuzubereiten, griff sogar Ryuuzaki beherzt zu und legte während er eine dick mit Schokoladencreme bestrichene Waffel verdrückte sein Unwohlsein vorübergehend ab. Kurz bevor das Essen serviert worden war, hatte Light sich kurz allein mit Matsuda unterhalten. Er hatte ihn eindringlich gebeten, Ryuuzakis Identität für sich zu behalten. Und auch sein Vater schien sich im Laufe des Abends mit der Situation abzufinden. "Irgendwie habt ihr euch ja sowieso von Anfang an so gut verstanden", hatte er gesagt. "Eigentlich sollte ich wirklich nicht überrascht sein." Jetzt saßen sie alle wie eine große Familie beieinander und Light, der sowieso nicht jemand war, der viel sagte, war sehr still geworden. Er beobachtete, wie Sayu fröhlich von ihrem letzten Date mit Matsuda erzählte und der peinlich berührt neben ihr saß, weil dabei offenbar einiges schiefgelaufen war. Immer wieder deutete sie mit ihren Stäbchen auf ihn und fing an zu lachen. Seine Mutter indes hatte so etwas wie ein Gespräch mit Ryuuzaki angefangen, was eigentlich eher so aussah, dass sie neugierige Fragen stellte und er ihr zwischen zwei Bissen eine ausweichende oder schlichtweg gelogene Antwort gab und ihr gleichzeitig ein Kompliment für ihr Essen machte. Das Gefühl, das Light bei diesem Anblick hatte, war nicht das, was er erwartet hatte. Die Heimlichkeiten waren ihm manchmal ziemlich auf den Geist gegangen und eigentlich hätte er erleichtert sein müssen, dass die Familie jetzt Bescheid wusste. Ryuuzaki saß an diesem Tisch als wäre er ein Familienmitglied. Eigentlich hätte Light das zufrieden machen sollen. Stattdessen hatte er ein beklemmendes Gefühl, wenn er sich umsah. Diese Familienidylle hinterließ einen schalen Nachgeschmack, irgendwie war ihm das alles zu profan. Light hasste sich selbst dafür, dass er solche Gedanken hatte, aber er konnte nichts dafür. Er stellte sich vor, dass es in ein paar Jahren zum Geburtstagsfest für seinen Vater ähnlich aussehen würde. Ryuuzaki und er würden kommen, älter, reicher und erfolgreicher. Sayu und Matsuda würden geheiratet und wahrscheinlich schon ein oder zwei Kinder haben, seine Eltern würden sich glücklich anlächeln und das alles löste plötzlich ein bitteres Gefühl der Leere in ihm aus. War das schon alles? Wollte er wirklich den Rest seines Lebens so verbringen? "Ist etwas, Raito?", fragte Ryuuzaki neben ihm. Lächelnd schüttelte Light den Kopf. "Nein", sagte er sehr leise, "ich finde es nur schön, dass wir alle hier so sitzen." Es war eine dreiste Lüge, aber was hätte er sonst sagen sollen? Er musste plötzlich an die Langeweile denken, die ihn so gequält hatte, bevor Kira aufgetaucht und Ryuuzaki in sein Leben getreten war. Etwas hatte in seinem Leben gefehlt und Ryuuzaki hatte es ausgefüllt. Mit ihm wurde es nicht langweilig, ihn zu lieben war nervenaufreibend, aufregend und schön. Aber es konnte nicht ewig so sein. Vielleicht waren eine gemeinsame Wohnung und das Ende der Heimlichkeiten auch der Anfang vom Ende. Light wurde traurig, als ihm bewusst wurde, dass Liebe allein vielleicht nicht reichen würde, um ihn für immer glücklich zu machen. Es klingelte an der Tür und Light war sehr dankbar, von seinen trübsinnigen Gedanken abgelenkt zu werden. "Ich geh schon", sagte er hastig und stand auf. Er öffnete die Tür und die Person, die vor ihm stand, war mit Sicherheit die letzte, die er erwartet hätte. "Misa…" Nach der ersten Schrecksekunde nannte Light nochmal Misas Namen und sie fiel ihm augenblicklich um den Hals. "Raitooo", quietschte sie und drückte ihm fast die Luft ab. "Ich hab dich so vermisst! Entschuldige, dass ich nicht früher gekommen bin, aber ich musste mich um eine Wohnung kümmern und den ganzen Papierkram erledigen und…" "Misa, was machst du hier?" Energisch schob er sie weg. Sie strahlte über das ganze Gesicht. "Die Dreharbeiten sind beendet. Ich bin wieder in Japan." Ziemlich baff starrte er sie an. "Ja… und?" Nicht einmal das konnte ihre gute Laune trüben. "Darf ich denn nicht reinkommen? Wir haben so viel zu besprechen! Ich muss mit dir über etwas sehr Wichtiges reden! Etwas, das ich dir am liebsten schon vor zwei Jahren gesagt hätte." "Misa, das ist ein schlechter Zeitpunkt." Hinter ihm sagte jemand: "Raito? Ist alles in Ordnung?" Ryuuzaki schob sich neben Light, um Misa sehen zu können. Wenn er überrascht war, ließ er es sich nicht anmerken. Misa dagegen wirkte regelrecht schockiert. "Ryuuzaki… san…", krächzte sie. "Was tust du denn hier?" Er hob die Hand zum Gruß und seine dunklen Augen musterten sie scheinbar neugierig. Light wollte lieber gar nicht wissen, welch verworrene Gedanken sich hinter diesem harmlosen Gesichtsausdruck abspielen mochten. Er musste Misa loswerden, bevor sie sein Leben auf den Kopf stellte. Deshalb entschied er sich, ihr die Wahrheit schonungslos zu sagen. Vielleicht würde sie ihn dann ja in Ruhe lassen. "Ryuuzaki ist hier, weil wir den Geburtstag meines Vaters feiern. Ich wollte ihn der Familie vorstellen. Ich ziehe demnächst mit ihm zusammen." "Zusammen… wie? Was?" Misa schien gar nichts mehr zu kapieren. Ihr Blick wanderte von Light zu Ryuuzaki und wieder zurück, und das mehrere Male. Bis sie hilflos fragte: "Ihr zwei seid… ihr seid…" "Liiert", unkte Ryuuzaki, der es offensichtlich genoss, ihr das an den Kopf zu werfen. Das war gar nicht seine Art. Misa wirkte auf einmal total verloren. Das strahlende Lachen war gänzlich verschwunden und zurück blieb ein Ausdruck der Verzweiflung in ihren Augen. "Wie ist denn das passiert? Ich verstehe nicht… Raito… du…" "Ich habe dir vor deiner Abreise gesagt, dass ich keine Gefühle für dich habe", sagte Light kühl. "Ich dachte, du hättest das verstanden." "Aber ich dachte… ich…" "Misa", sagte Light ungeduldig. "Das ist jetzt wirklich kein guter Zeitpunkt. Geh nach Hause, ja?" Und dann schloss er die Tür. Misa war die Letzte, die er in seiner Nähe haben wollte. Er drehte sich zu Ryuuzaki um und schüttelte verständnislos den Kopf. "Was zum Teufel geht in ihr vor?" "Du warst gemein zu ihr", stellte Ryuuzaki sachlich fest. "Das war nicht meine Absicht. Ich wollte nur, dass sie es endlich versteht." Light hatte ein Bisschen Sorge, dass Ryuuzaki dank Misas Auftauchen gleich wieder falsche Schlüsse ziehen könnte. Endlich hatte sich das Leben normalisiert, endlich dachte er nicht mehr jeden Tag an Kira und daran, dass Ryuuzaki ihn möglicherweise immer noch irgendwie verdächtigte, da tauchte sie auf und riss alte Wunden neu auf. Er wollte sie nicht mehr in seiner Nähe haben. Er wollte sie vergessen, so wie er den nagenden Zweifel vergessen wollte, ob Ryuuzaki nicht doch nur bei ihm war, um ihn konstant überwachen zu können. Ryuuzaki wirkte entspannt. Der unerwartete Besuch schien ihn jedenfalls nicht sofort ins Grübeln gebracht zu haben, denn das hätte Light sofort an seinem Gesicht gesehen. "Komm, gehen wir zurück zu den anderen." Misa saß in ihrem neuen Appartement und heulte sich die Augen aus. Sie verstand die Welt nicht mehr. Light und sie waren doch füreinander bestimmt. Das war wie ein Naturgesetz. Und jetzt war Light ausgerechnet mit Ryuuzaki zusammen. Das konnte doch einfach nicht wahr sein! "Raito gehört doch zu mir", schluchzte sie und umarmte ihren Kater, den sie sich während ihres Aufenthaltes in England angeschafft hatte und der auf den Namen Kira hörte. Das Tier miaute, beachtete ihren Heulkrampf sonst aber nicht weiter. "Und er ist ganz bestimmt nicht schwul! Ich versteh das nicht!" Sie wischte sich einmal über das Gesicht, was aber gegen eine Flut von Tränen kaum Auswirkungen hatte. "Ist da irgendetwas, von dem ich nichts weiß? Vielleicht hat Ryuuzaki Raito erpresst? Er hat sich an ihn rangemacht, damit er ihn überwachen kann, bestimmt!" Ihre eigenen Worte konnten sie nicht überzeugen. Sie kannte Light gut genug um zu wissen, dass er sich nicht erpressen ließ. Wenn er wirklich mit Ryuuzaki zusammen war, dann sicher nicht weil er dazu gezwungen wurde. Also blieb nur noch die Möglichkeit, dass er sie angelogen hatte. Warum? Um sie zu schützen? Aber warum war Ryuuzaki bei ihm gewesen? Die Vorstellung, dass es eine triftige Begründung dafür gab, Light mehr als zwei Jahre lang gegen seinen Willen zu überwachen, war schlichtweg absurd. Light hätte das nie zugelassen und selbst dieser Verrückte Ryuuzaki hätte sowas nicht durchsetzen können. Aber was steckte dann dahinter? Kira drückte seinen Kopf gegen ihren Unterarm und sie kraulte ihn. Der Kater schnurrte zufrieden und rollte sich auf ihrem Schoß ein. Wenn Misas Körper von einem Schluchzen geschüttelt wurde, brummte er kurz, hielt sich aber sonst ruhig. Dieses Mal konnte seine Anwesenheit Misa aber nicht beruhigen. Ihr Traum, ihr ganzes Leben lag plötzlich in Trümmern. Wie sollte sie Light die Wahrheit sagen, wenn Ryuuzaki ständig um ihn herum war? Bis auf weiteres musste sie sich zurückhalten und Light einfach vertrauen. Warum auch immer er diese schrecklichen Dinge gesagt hatte, sie musste auf ihn hören. Sie würde ihn nach so langer Zeit nicht in Gefahr bringen. Lieber würde sie selber leiden, im Namen der Liebe. Irgendwann würde eine Möglichkeit kommen, Ryuuzaki konnte ihn schließlich nicht vierundzwanzig Stunden am Tag überwachen. Und wenn doch dann würde sie eben abwarten. So lange, bis er sich erinnern würde. Dann würde er zu ihr zurückkommen. "Und wenn es nochmal zwei Jahre dauert… nein, selbst wenn es zehn Jahre dauert, ich warte auf ihn!", sagte sie zu ihrem Kater. "Er kommt zu mir zurück. Ganz bestimmt. Ganz… bestimmt..." Zwei Tage später packte Light seine Sachen und zog von zu Hause aus, noch bevor Misa die Gelegenheit hatte, ihn ohne Ryuuzaki anzutreffen. Als sie bei der Familie Yagami klingelte, wollte man ihr seine neue Adresse nicht nennen. Misa hatte Light verloren und sie entschied, dass sie, solange Ryuuzaki in seiner Nähe war, nichts mehr unternehmen würde, um ihn zu finden. Sie würde warten, darin hatte sie ja schon Übung. Und Misa wartete. Lustlos blätterte Light die mehrseitige Informationsbroschüre eines großen Konzerns durch, die er sich nach einem Jobangebot dieser Firma organisiert hatte. Inzwischen hatte sich herausgestellt, dass er wirklich als Bester in ganz Japan seinen Abschluss gemacht hatte und dementsprechend hoch war die Zahl der Unternehmen, die ihn anzuwerben versuchten. Es waren sehr renommierte, internationale Konzerne dabei, aber wenn er ehrlich war, reizte ihn keiner davon wirklich. Am Ende würde er in einem Büro enden und Nachtschichten schieben um für irgendein Unternehmen die besten Verträge zu den besten Konditionen auszuhandeln. Er hatte doch nicht studiert, sich nicht so lange mit Recht und Gesetz befasst, um jetzt einem gesichtslosen Konzern rechtliche Vorteile zu verschaffen. Er wusste, dass sich in den großen Firmen auch großes Geld verdienen ließ. Wenn er seine Karriere richtig plante, würde sein Gehalt schon in wenigen Jahren das seines Vaters bei weitem übertreffen. Aber Geld war ihm nicht wichtig. Etwas in ihm weigerte sich einfach, einen dieser langweiligen Schreibtischjobs anzunehmen. Es gab nur eines, was ihn wenigstens einigermaßen reizte, und das war die Arbeit bei der Polizei. Er wollte Rätsel lösen, Fälle aufklären, Menschen helfen. Das war wenigstens nicht so langweilig. Light fragte sich, warum dieses scheußliche Wort, Langeweile, eine so wichtige Rolle in seinem Leben spielte. Warum fiel es ihm so schwer, einfach glücklich zu sein? Warum suchte er irgendwo immer wieder nach Aufregung und Abwechslung? Frustriert legte er die Broschüre weg. Er hatte keine Lust mehr, sich diesen ewig gleichen Mist durchzulesen. Eigentlich hatte er gehofft, Ryuuzaki würde ihm anbieten, künftig mit ihm zusammenzuarbeiten. L konnte ebenso gut aus zwei Personen bestehen und diese Aufgabe hätte ihm wirklich Spaß gemacht. Aber Ryuuzaki hatte nie etwas gesagt und deshalb nahm Light an, dass das nicht in Frage kam. "Hast du dich schon für eine Firma entschieden?", kam es von der Tür. Light drehte sich um. Ryuuzaki lehnte im Türrahmen und beobachtete ihn aus seinen dunklen Augen. Er war sicher schon länger da, das war eine Marotte von ihm. Wenn es ihm gelang, Light in einem Moment zu erwischen, wo der sich unbeobachtet fühlte, dann ließ Ryuuzaki sich gerne Zeit, um sich bemerkbar zu machen. Er beobachtete Light lieber, mit diesem wissenden, gleichzeitig liebevollen und lauernden Blick. Sicher hatte er gesehen, mit wie wenig Interesse Light seine Angebote durchgesehen hatte und hatte längst seine Schlüsse daraus gezogen. Die Frage hatte er eigentlich nur pro Forma gestellt. Light entschied sich, sie trotzdem zu beantworten. "Ich weiß nur, dass ich keins von diesen Angeboten annehmen kann." "Es zieht dich immer noch zur Polizei." Ryuuzaki kam mit schlurfenden Schritten auf ihn zu. "Ein Schreibtischjob würde mich zu Tode langweilen." "Bei der Polizei tust du auch nichts anderes. Jemanden wie dich werden sie nicht zum Knöllchenschreiben abkommandieren. Du wirst 80 Prozent deiner Zeit damit verbringen, Akten zu durchforsten." "Das ist ja sehr tröstlich." "Ich möchte nur, dass du vorbereitet bist." Achselzuckend erwiderte Light: "Selbst wenn. Es ist das Aufregendste, was die Zukunft für mich zu bieten hat. Es sei denn, du bittest mich doch noch, mit dir zusammenzuarbeiten." Er hatte lange überlegt, ob er das überhaupt ansprechen sollte und sich eigentlich dagegen entschieden, und nun sprach er es doch aus. Es war einen Versuch wert, auch wenn er die Antwort schon kannte. "Das werde ich aber nicht tun. Ich möchte dein Leben schließlich nicht noch mehr in Gefahr bringen als ich es ohnehin schon tue." "Lüg mich nicht an." "Du kennst die Wahrheit doch. Muss ich es aussprechen?" "Ich darf nicht L sein, wenn auch nur die geringste Möglichkeit besteht, dass ich Kira war und vielleicht wieder werde", sagte Light kopfschüttelnd. "Das ist es doch, was du denkst. Oder?" Ryuuzaki antwortete nicht. Das Thema war für sie beide ein wunder Punkt und es war nicht gut, weiter darauf herumzureiten. Light würde auch eine andere, interessante Arbeit finden. Er würde es auch ohne Ryuuzaki schaffen. Und im Grunde hatte er seine Entscheidung schon getroffen. Geld bedeutete ihm nichts. Man konnte sich damit vieles kaufen, aber kaum etwas, um der Langeweile zu entgehen. Light wollte zur Polizei. Light schloss die Haustür hinter sich und lehnte sich dagegen. Im Flur war es dunkel, aber aus der Küche kam genug Licht, damit er etwas sehen konnte, obwohl es draußen schon dunkel geworden war. Schwerfällig bückte er sich, um die Schuhe auszuziehen. Er hatte soeben seinen ersten Arbeitstag hinter sich gebracht. Es war nicht wirklich anstrengend gewesen. Die Kollegen waren, soweit er das gesehen hatte, alle recht nett, er hatte einen eigenen Schreibtisch, er hatte die Aufgaben, die man ihm heute erklärt hatte, schnell begriffen und sah für die Zukunft keine größeren Schwierigkeiten, sich in den Job einzufinden. Was blieb, war eine gewisse Ernüchterung. Er hatte den Einstellungstest mit fliegenden Fahnen bestanden, weder der sportliche noch der Psychotest waren für ihn ein größeres Hindernis gewesen. Die anschließenden Schulungen waren recht interessant gewesen, er hatte gelernt, mit einer Schusswaffe umzugehen und man hatte ihm sehr viel über den Umgang mit Kriminellen und Menschen allgemein beigebracht. Es war aufregend gewesen und hatte seine Hoffnungen geschürt, dass die Aufgaben eines Polizisten doch breiter gefächert waren als nur Akten zu sortieren. Heute hatten ihm die Kollegen seinen Schreibtisch gezeigt. Er kam frisch von der Ausbildung, seine Aufgabe würde es sein, sich um den Papierkram der Polizeistation zu kümmern… mit anderen Worten: Akten anlegen, Akten sortieren, Akten verwalten. Und es war genauso langweilig, wie es sich anhörte. Mit den Wochen würde man seine Aufgabengebiete erweitern, er würde bald mit auf Streife fahren dürfen, aber wirklich große Hoffnungen auf eine abwechslungsreiche Tätigkeit machte Light sich nicht mehr. Er hatte darauf bestanden, in einem anderen Stadtteil anzufangen als dem, wo sein Vater arbeitete, einfach weil es nicht seine Art war, sich mit dem Erfolg seines Vaters Vorteile zu verschaffen. Er würde diesen öden Job noch sehr, sehr lange machen, bevor ihm irgendwann mal eine Beförderung Aussicht auf Besserung versprach. In Socken schlurfte er den Flur entlang, wohl wissend, dass Ryuuzaki zu Hause war und sich in seinem Büro aufhielt. Eigentlich mochte der es gar nicht, bei der Arbeit gestört zu werden, vor allem weil er geradezu pedantisch darauf bedacht war, Informationen über seine Fälle vor Light geheimzuhalten, aber dem Jüngeren war das heute egal. Er war frustriert, ernüchtert, müde. Und er sehnte sich danach, all die negativen Gefühle für eine Weile zu vergessen und sich daran zu erinnern, was wirklich wichtig war. Zielstrebig hielt er auf Ryuuzakis Büro zu und klopfte an. Es dauerte etwas, bis Ryuuzaki ihn herein rief. Große, dunkle Augen schauten ihn an, als Light das Büro betrat und dabei seine Krawatte löste. "Raito, du bist schon zu Hause?", fragte Ryuuzaki und sein Unmut über die Störung war ihm deutlich anzusehen. "Wie war der erste Arbeitstag?" "Darüber möchte ich jetzt nicht sprechen", erwiderte Light. "Was willst du dann?" Er war bei Ryuuzaki angekommen und beugte sich runter, um den Dunkelhaarigen zu küssen. Seltsam, dass er ausgerechnet jetzt daran denken musste, welche Reaktion der allererste Kuss bei Ryuuzaki ausgelöst hatte. Das hatte sich jedenfalls inzwischen grundlegend geändert. Nach einem Moment passiven Widerstands lehnte Ryuuzaki sich ihm entgegen und öffnete bereitwillig den Mund, als Light mit der Zunge gegen seine Lippen stupste. Light steckte alle seine Gefühle in diesen Kuss, positiv wie negativ, wohl wissend, dass Ryuuzaki sie zu deuten wusste. Er wollte heute nicht mehr nachdenken. Nach langen Momenten wohliger Passion ließ Light von Ryuuzaki ab und sagte heiser: "Ich weiß, dass du arbeiten musst. Aber ich brauch das jetzt. Ich muss mich entspannen." "Nicht hier. Beim letzten Mal hast du mir alles durcheinander geworfen und mehrere Stunden Arbeit ruiniert." "Dann komm", sagte Light ungeduldig. Er brauchte die Ablenkung und die Entspannung, die er nur finden konnte, wenn Ryuuzaki bei ihm war. Er ging vor ins Schlafzimmer, wohl wissend, dass Ryuuzaki sich beeilen und ihm folgen würde. Als er nicht sehr viel später nach Luft ringend neben Ryuuzaki im Bett lag, fühlte Light sich schon wesentlich besser. Sex war zum Stressabbau ausgezeichnet, das hatte er schon vor zwei Jahren festgestellt. Seine Hand tastete nach dem erhitzten Körper des anderen und weil er zu müde war, den Kopf zu heben, gab er sich zufrieden, als er einen Arm ertastete und ließ seine Hand dort ruhen. Die Unruhe, mit der er nach Hause gekommen war, war verflogen. Nur Ryuuzaki hatte diese Wirkung auf ihn und er war sehr dankbar dafür, dass es noch immer funktionierte. Vielleicht würde er für eine lange Zeit Akten sortieren. Aber er konnte abends nach Hause kommen und die Leere vertreiben, indem er Ryuuzakis Nähe suchte. Arbeit war nicht alles. "Dein erster Tag ist nicht besonders gut gelaufen." Ryuuzaki fragte nicht, er sprach einfach aus, was er schon wusste. "Richtig." "Ich verstehe." Eigentlich hätte Light den anderen gerne darauf hingewiesen, dass er es wohl kaum verstehen konnte. Ryuuzaki war L und demnach wahrscheinlich nie einer ganz normalen Tätigkeit nachgegangen. Das nahm Light jedenfalls stark an. Ryuuzaki, der ihm im Geiste so ähnlich war, wusste nicht, wie zermürbend es sein konnte, dem alltäglichen Einerlei von Schule oder Job standzuhalten. Er hatte seine elitäre, abwechslungsreiche, manchmal lebensgefährliche Tätigkeit gefunden. Ryuuzaki verstand es ganz sicher nicht. Aber Light sprach nicht laut aus, was er dachte. Eine Hand tastete nach seiner und sie verschränkten wortlos ihre Finger ineinander. Light drehte jetzt doch den Kopf nach links, um den anderen ansehen zu können. Das war es, wofür er die Langeweile des Alltags überstand. Um jeden Tag hierher zurückkehren und bei Ryuuzaki sein zu können. Jetzt gerade fühlte er sich ein bisschen sentimental und dachte an Dinge, die schon sehr lange her waren. "Du hast ziemlich zugenommen, seit wir uns begegnet sind", bemerkte er müde. "Habe ich das?" Es stimmte. Ryuuzaki hatte seine besonderen Schlaf- und Essensgewohnheiten nicht wirklich abgelegt, aber man konnte den Einfluss, den Light auf ihn hatte, deutlich sehen. Wenn sie zusammen aßen, zwang Ryuuzaki sich, etwas von dem "gesunden Zeug", wie er es nannte, zu essen. Er schlief regelmäßiger als früher, aß mehr und gesünder, dachte nicht mehr nur ständig an seine Arbeit. Er sah immer noch aus wie ein Gespenst, übernächtigt und blass, aber nicht mehr so dürr wie früher. Fast normalgewichtig. Light sah es gern. Es war der Einfluss, den er auf Ryuuzaki hatte, er und niemand sonst. Es waren sozusagen die Spuren, die er hinterlassen hatte. "Raito." "Mh?" "Jetzt gerade weiß ich nicht, was du denkst. Und das gefällt mir nicht." Lächelnd erwiderte Light: "Ich habe mich nur an etwas sehr Wichtiges erinnert." Für das hier lohnte es sich, die Langeweile in Kauf zu nehmen und dieses ganz normale Leben zu leben. Nicht die Normalität war sinnlos, sondern seine rastlose Suche nach etwas Besserem, Größerem. …tbc… *** Unglaublich aber wahr, ein Update! Ich mag das Kapitel nicht sonderlich und habe, wie man sieht, Monate mit mir gerungen, es zu posten. Nun hab ich mich entschlossen, dass ich es posten muss, sonst kanns ja auch nie weitergehen. Vielleicht fragen sich einige, warum ich ihnen keine ENS geschrieben habe. War Absicht, weil ich so lange nicht geupdated hab. Ich möchte keinem eine ENS schreiben, der diese vielleicht nicht mehr möchte. Deshalb. Dass ich mir mit dem Update so lange Zeit gelassen habe, tut mir leid. Es is bei mir wohl immer so, dass ich irgendwann zwischendrin ne längere Pause brauche, um Ideen zu sammeln. Aber ich verspreche, ich werde diese FF fertig stellen, und wenn es das letzte ist, was ich tue! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)