Photophobia von Chi_desu (a fear of light (die Angst vor dem Licht)) ================================================================================ Kapitel 5: Ichor ---------------- ichor - The blood of a god (Das Blut eines Gottes) Zum fünften Mal las Light sich dieselbe Zeile in derselben Akte durch und wieder wollte der Inhalt nicht bis zu ihm durchdringen. Er fühlte sich gerädert, so total erschöpft, dass sein Hirn einfach nicht mehr funktionieren wollte. Er kannte alle Informationen zwar längst in- und auswendig, trotzdem musste er sich ja irgendwie beschäftigen. Deshalb durchforstete er die Akten wieder und wieder nach einem Hinweis, den er bisher übersehen hatte. Außerdem erstellte er sich komplexe Listen, um Korrelationen zu finden, die vielleicht auf den ersten Blick nicht sichtbar waren. Aber dieser Tag hatte es so in sich, heute wollte es einfach nicht funktionieren. Nach seinem erschreckenden Traum heute Nacht hatte er das Gefühl, als hätte er überhaupt nicht geschlafen. Ryuuzakis ständig wachsamer, teils auch überwachender Blick zehrte zusätzlich an seinen Nerven. Es war gerade mal fünf Uhr Nachmittags. Das Team würde in frühestens einer Stunde nach Hause gehen und dann erwartete ihn auch bloß eine kurze Pause zum Abendessen und dann bis Mitternacht mehr von der Monotonie ihm längst bekannter Akten. Hinzu kamen dann noch bohrende Kopfschmerzen, die den Tag perfekt machten. Nur an seiner angeschlagenen Verfassung lag es, dass er seinen Stolz über Bord warf und zu Ryuuzaki sagte: "Ich brauche eine Pause." "Wir essen in einer Stunde." "Nein, jetzt." Er massierte sich die Schläfen. "Ich kann heute einfach nicht mehr, Ryuuzaki. Lass uns bitte irgendetwas anderes tun, als immer nur vor dem Computer zu sitzen." Sofort war sein Vater zur Stelle. "Fühlst du dich nicht wohl, Raito?" "Ich habe bloß Kopfschmerzen, Vater. Kein Grund zur Sorge." Ein langer, durchdringender Blick von Ryuuzaki folgte, und dann lehnte auch der sich zurück und sagte: "Vielleicht hast du Recht. Vielleicht würde eine Pause uns beiden ganz gut tun. Hast du einen Vorschlag?" "Keine Süßigkeiten. Am besten, nicht mal dieses Zimmer", ächzte Light. "Ich muss wenigstens mal für ein paar Minuten hier raus, mich bewegen. Von mir aus machen wir einen Spaziergang, aber ich muss mich irgendwie abreagieren." Ryuuzaki überlegte kurz. "Wie wäre es mit einem kleinen Tennismatch, zur Entspannung?" Das war gar keine so schlechte Idee. Eigentlich war Light es gewohnt, lange zu sitzen und sich zu konzentrieren. Aber als er noch Schüler gewesen war, war er wenigstens morgens und abends unterwegs gewesen, und sei es nur, um zur Schule oder zum Nachmittagsunterricht zu kommen. Ein wenig sportliche Betätigung wäre ein perfekter Ausgleich zu dem langen Sitzen. "Halte ich für eine gute Idee." "Nun denn." Ryuuzaki stand auf und wandte sich an die anderen. "Ich würde vorschlagen, wir machen alle Feierabend. Sie können nach Hause gehen und ich gehe mit Raito eine Partie Tennis spielen." Den meisten schien die Idee zu gefallen, jedenfalls beschwerte sich keiner. An diesem Tag, der so furchtbar begonnen hatte, endeten die Ermittlungen schon um fünf Uhr nachmittags und mit Tennisschlägern bewaffnet machten Light und Ryuuzaki sich auf zum hoteleigenen Tennisplatz. Weil es schon relativ spät war, war glücklicherweise ein Platz für sie beide frei. Auf dem Weg nach draußen hatten sie verwirrte Blicke geerntet, weil Light und Ryuuzaki natürlich immer noch die Handschellen trugen, aber der Meisterdetektiv schien sich daran nicht sonderlich zu stören. Und in der momentanen Situation war es selbst Light einigermaßen egal. An der frischen Luft konnte er förmlich spüren, wie sein Körper neue Energie tankte und die Kopfschmerzen besser wurden. Nachdem sie ihre Schläger ausgepackt hatten, hielt Light demonstrativ seinen Arm hoch und sagte: "So können wir aber nicht spielen." "Oh. Das hatte ich ganz vergessen." Schuldbewusst blickte Ryuuzaki ihn an. "Ich hab die Schlüssel im Büro vergessen." "Das ist doch nicht dein Ernst!" Light war kurz davor, Ryuuzaki mit dem Tennisschläger zu verprügeln. Wieso schaffte dieser Kerl es immer wieder, ihn zur Weißglut zu treiben? "Willst du mich wahnsinnig machen, Ryuuzaki? Willst du das?" Ryuuzaki starrte ihn unbeeindruckt an und sagte ruhig: "War nur ein Scherz, Yagami-kun." Er hielt plötzlich einen Schlüssel in der Hand und Light wurde bewusst, dass er vielleicht den Verstand verlieren würde, noch bevor sie Kira gefasst hatten. Ryuuzaki machte ihn los und er rieb sich das Handgelenk, nicht weil es wirklich wehtat, sondern viel eher weil es sich plötzlich ganz ungewohnt anfühlte ohne das unnachgiebige Metall. "Also dann", sagte Light. "Fünf Sätze." Schon einmal waren sie im Tennis gegeneinander angetreten. Aber dieses Mal fühlte sich völlig anders an. Light erinnerte sich, dass ihm beim letzten Mal so viele Dinge durch den Kopf gegangen waren, auch wenn er nicht mehr wusste, was genau. Dieses Mal dachte er nur an eins: an den Sieg. Er wollte Ryuuzaki unbedingt besiegen, koste es was es wolle. Das erste Match hatte er damals gewonnen, aber das reichte ihm nicht. Er wollte L beweisen, dass das nicht bloß Zufall gewesen war. Light war ein Gewinner, kein Verlierer. Er wollte hören, dass Ryuuzaki zugab, verloren zu haben. Das Spiel war härter als beim letzten Mal. Sie schossen einander die Bälle um die Ohren und mehr als einmal hätte einer von ihnen fast einen pfeilschnellen Tennisball ins Gesicht gekriegt. Sie alle beide spielten dieses Spiel mit einer unfassbaren Verbissenheit. Nach dem vierten Satz stand es 2:2, Ryuuzaki lag im letzten Satz nach Punkten vorne. Einer seiner pfeilschnellen Bälle sauste genau auf die Linie zu. Light sprintete hinterher, streckte den Arm aus um diesen verfluchten Ball noch zu erwischen. Plötzlich änderte der seine Flugbahn, schlug ein und sauste auf Lights Gesicht zu. Im letzten Moment machte er eine eigenartige Verrenkung, der Ball sauste nur Millimeter an seinem Gesicht vorbei. Aber dabei knickte sein rechter Fuß um. Er stürzte und kam mit der rechten Hand voran auf dem Boden auf. Auf einmal lag er am Boden, gekrümmt, und hielt sich den schmerzenden Knöchel. "Yagami-kun!" Ryuuzaki war bei ihm. "Alles in Ordnung?" So eine dämliche Frage! Light setzte sich auf, um sich ein Bild von seinem Zustand zu machen. Sein Knöchel schmerzte wie die Hölle. Außerdem hatte er sich den rechten Ellbogen und die Handfläche aufgeschürft. Er massierte seinen Knöchel und sagte: "Ist nicht so schlimm." "Du blutest. Wir sollten das Match beenden." "Nein." Wild entschlossen starrte Light seinen Gegner an. Wenn das Spiel jetzt zu Ende war, war Ryuuzaki der Sieger, weil er nach Punkten vorne lag. Dieser schäbige Trick würde ihn ganz bestimmt nicht den Sieg kosten. Ryuuzaki reichte ihm die Hand und er zog sich daran hoch. "Das sind nur ein paar Kratzer und ich will dieses Spiel zu Ende bringen." Ryuuzaki starrte ihn eindringlich an. "Das ist ein Verhalten, wie Kira es an den Tag legen würde." "Was für einen Unterschied macht das? Geh zurück auf deine Seite. Wir spielen weiter." Der Rest des Spiels war ein wahrer Alptraum. Sein Knöchel tat weh, aber damit konnte Light umgehen. Aber es war schwer, mit seiner blutigen, aufgeschürften Hand den Schläger festzuhalten. Jeden einzelnen Punkt musste er sich hart erkämpfen. Aber sein Wille zu siegen war letzten Endes größer als der Schmerz. Das Ergebnis war ein hauchdünner Sieg und Ryuuzaki musste sich ein weiteres Mal geschlagen geben. Das Gefühl, das Light nach seinem Sieg hatte, war weder Triumph noch Freude. So war es einfach. Er war ein Sieger, so und nicht anders kannte er es. Nachdem sie die Handschellen wieder angelegt hatten, machten sie sich ausgepowert auf den Weg zurück ins Hotelzimmer. Light war sehr erstaunt, wie einfach es plötzlich war, ihn zufriedenzustellen. Er fühlte sich jetzt müde, aber auf eine sehr angenehme Weise. Ryuuzaki hätte sich am liebsten gleich wieder an seinen Computer gesetzt, aber Light hatte darauf bestanden zu duschen. Weil Ryuuzaki ihn konstant überwachte, war er selbst im Bad nicht allein, ein Zustand, an den er sich wohl nie so ganz gewöhnen würde. Aber darüber konnte er heute hinwegsehen, außerdem hatte Ryuuzaki ihm wenigstens die Handschellen erspart. Triefend kam er aus der Dusche und Ryuuzaki, der in seiner üblichen Pose auf dem Boden gekauert hatte, reichte ihm ein Handtuch. Light schlang es sich um die Hüften und machte sich erst jetzt, wo er das Blut abgewaschen hatte, daran, die Schürfwunde an seiner Handfläche zu untersuchen. An einer Stelle war wohl Dreck in die Wunde gekommen, deshalb kratzte er die Stelle wieder auf. Ryuuzaki stand auf und beobachtete ihn. Light drehte das Wasser auf und hielt die nun erneut blutende Hand unter den Wasserstrahl. Er bemerkte den neugierigen Blick und fragte: "Was ist? Ist das wirklich so interessant?" "Ich frage mich nur gerade, ob du wohl schmerzunempfindlich bist, Yagami-kun", antwortete Ryuuzaki. "Es war sicher nicht angenehm, mit der Hand den Schläger festzuhalten." "Ich wollte gewinnen. Da lasse ich mich von sowas doch nicht abhalten." "Zeig mal her." Ryuuzaki packte ihn am Handgelenk und hielt sein Gesicht so nah an Lights Hand, dass seine Nase sie fast berührte. Interessiert glotzte er die Wunde an und öffnete, ohne den Blick abzuwenden, mit seiner freien Hand eine Schublade. Erstaunt sah Light zu, wie der andere ihm einen weißen Verband um die Hand und das Handgelenk wickelte. Eigentlich hatte er Ryuuzaki eher als jemanden eingeschätzt, der keinerlei Einfühlungsvermögen besaß. Das hier passte nicht zu ihm. Als er fertig war, sah Ryuuzaki auf und erklärte: "Ich möchte vermeiden, dass du irgendwo im Zimmer Blutflecken hinterlässt." Ach so. Schon wieder leicht genervt zog Light sich unter dem unverschämten Blick Ryuuzakis an. An diesem Abend kamen sie nicht mehr dazu, weiterzuarbeiten. Zuerst genehmigten sie sich ein ausgiebiges Abendessen, danach schlug Light vor, etwas fernzusehen. Ryuuzaki meckerte, weil er weiterarbeiten wollte, aber Light erinnerte ihn daran, dass er allen für den Rest des Tages freigegeben hatte, und da schloss Light sich einfach mal selbst mit ein. Er hatte schlicht keine Lust mehr, nach dem anstrengenden Tennisspiel weiter zu recherchieren. Außerdem hatte sein verstauchter Fuß sich wieder gemeldet, nachdem der Adrenalinrausch des Kräftemessens abgeklungen war. Deshalb saßen sie am frühen Abend gemeinsam auf der Couch und versuchten, bei der Auswahl des Fernsehprogramms auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Ryuuzaki wollte offenbar die Nachrichten sehen, aber Light hatte heute keine Lust auf weitere Berichterstattungen über Kira und dessen Morde. Er suchte sich einen Psychothriller aus und ignorierte es, dass Ryuuzaki das Gesicht verzog. Dieser Abend war in jeder Hinsicht eine Ausnahme. Ryuuzaki schien sich mit seinem Schicksal abgefunden zu haben und Light hatte die seltene Gelegenheit, schon um elf Uhr schlafengehen zu dürfen. Aber dieses Mal fielen sie beide todmüde ins Bett. Ryuuzaki nahm seinen Laptop gar nicht erst mit, stattdessen überraschte er Light damit, dass er sich auszog und in eine lockere, schwarze Hose schlüpfte, die offenbar das war, was er zum schlafen zu tragen pflegte. Nebeneinander lagen sie ihm Bett und Ryuuzaki klang schläfrig, als er fragte: "Yagami-kun? Vermisst du deine Familie eigentlich?" "Ein Bisschen vielleicht. Ich sehe ja wenigstens täglich meinen Vater. Und er erzählt mir, wie es meiner Mutter und meiner Schwester geht." "Es könnte sein, dass du sie noch eine ganze Weile lang nicht wiedersiehst." "Ich weiß. Aber das ist schon okay." Ryuuzaki gähnte. Es war nicht wirklich völlig dunkel im Raum, weil von draußen helles Mondlicht durch die große Fensterfront schien. Light schloss die Augen, wollte aber noch nicht einschlafen. "Ryuuzaki… wie wäre es, wenn du aufhörst, mich Yagami-kun zu nennen?" "Wie soll ich dich sonst nennen?" "Wie wärs mit Raito?" "Raito, hm?" Er überlegte kurz und murmelte dann: "Ich glaube, es spricht nichts dagegen." Light fuhr sich durch das Haar und spürte dabei wieder den Verband um seine Hand. Trotz all seiner Merkwürdigkeiten war Ryuuzaki kein so schlechter Kerl. Konnte er gar nicht sein, schließlich kämpfte er mit allen Kräften gegen Kira. Manchmal trieb er Light fast in den Wahnsinn, aber dennoch… dennoch… Er musste dem Schlaf schon näher sein als dem Wachen, denn Light fühlte sich auf einmal so seltsam. Da lag ein anderer Mensch neben ihm in diesem Bett und auf einmal fand er das ganz eigenartig. Eine ihm bis dato unbekannte Sehnsucht erfasste ihn und, dem Schlaf schon so nah, wunderte er sich, was es damit wohl auf sich hatte. Ein Teil von ihm sehnte sich nach Wärme, ganz egal, woher sie auch kommen mochte. Ein Teil von ihm wollte weiter zur Mitte hin rücken diesen komischen Kauz L an sich ziehen und festhalten. Er öffnete nochmal die Augen und sah, dass Ryuuzaki sich zu ihm gedreht hatte. Light studierte die ebenmäßigen Züge des anderen, der mit geschlossenen Augen seltsamerweise auf einmal wesentlich… menschlicher wirkte. Menschlich und verletzlich. Er hat mich gern, oder? Das hat er doch gesagt… ich fasziniere ihn. Wenn ich diesen Kerl richtig verstehe, dann ist das seine Art, mir zu sagen, dass er mich gern hat. Vielleicht sogar… Ryuuzaki seufzte und seine Hand schob sich unter der Bettdecke hervor um den Daumen zwischen die Lippen zu drücken. Light ächzte fast unhörbar. Oh das kann doch einfach nicht wahr sein. Ryuuzaki lutschte im Schlaf an seinem Daumen… ...tbc... *** Danke für die Kommentare! Ich freu mich sehr ^_^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)