Illusion of Time/Gaia von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 7: 7 ------------ Meeresrauschen. Eine leichte Briese, die das Gesicht kitzelte. Sanfte Sonnenstrahlen, gerade grell genug, um das Bedürfnis zu wecken, die Augen zu öffnen. Und die Wärme eines Mädchens. Kara… »Ah, du bist aufgewacht«, sagte sie sanft. »Huh?«, machte Will. Er setzte sich auf und schüttelte den Kopf. Ein weiterer Blick genügte, um die Situation zu erkennen: Sie trieben auf einem winzigen Bruchstück des Schiffes, immer noch mitten auf dem Ozean. Kara sah grauenhaft aus. Ihr Kleid war patschnass, schmutzig und unrettbar zerrissen. Ganz abgesehen von ihrem Gesicht und ihrem Haar. Will vermutete, dass er selbst auch nicht viel besser aussah. »Das ist alles so schrecklich«, sagte sie verzweifelt. »Wir scheinen die einzigen Überlebenden zu sein… Bist du wenigstens in Ordnung?« »Ich fühl mich furchtbar«, erwiderte er wahrheitsgemäß. »Kein Wunder. Du warst ziemlich lange bewusstlos. Du solltest dich noch ein wenig ausruhen.« Will bemerkte, dass ihre Schuhe verloren gegangen waren und sie ihre Füße nun im Wasser gleiten ließ. Es musste eiskalt sein; er fragte sich, wie lange sie schon so da saß. »Ich habe schon davon gehört, wie es ist, Schiffbruch zu erleiden«, flüsterte sie mit brüchiger Stimme. »Aber in Wirklichkeit ist es noch viel, viel fataler…« Sie bemerkte seinen besorgten Blick und lächelte schwach. »Tut mir Leid… Wir sollten nicht daran denken; lass uns einfach diese Idylle genießen.« Und so vergingen die Stunden. Kara starrte schweigend aufs Meer hinaus, während Will die restlichen Vorräte einteilte, die er noch in seinem Rucksack bei sich trug. Zwar lenkte ihn der Fund der hölzernen Windstatue weit unten in der Tasche ein wenig ab (es war also doch kein Traum gewesen?!), doch die ernüchternde Erkenntnis, dass die Nahrung noch allerhöchstens ein paar Tage reichen würde, brachte ihn recht schnell auf den Boden der Tatsachen zurück. Genau genommen erwies sich diese Schätzung sogar noch als sehr optimistisch, als er bereits gegen Ende des vierten Tages nur noch ein paar Kekse übrig hatte. Trinkwasser hatten sie noch genügend, doch ohne Nahrung würde ihnen das auch nicht viel helfen. Er hatte wohl keine andere Wahl: Er musste fischen. In diesen Gewässern gab es die merkwürdigsten Fische; einige Arten schwammen in riesigen Schwärmen durch das Meer und sprangen dabei regelmäßig an die Luft. Glücklicherweise erkannte Will nach einigen fruchtlosen Versuchen, sie mit der Hand zu packen, dass ihm seine Kräfte hier sicher von großem Nutzen sein würden. Lilly und die anderen hatten Kara offenbar über alles aufgeklärt, und so war sie nicht sonderlich überrascht, als der erste Fisch wie durch Zauberhand in Wills Griff flog - wohl aber wütend. »Was machst du da? Das arme Tier!« Und damit schlug sie es ihm aus der Hand und funkelte ihn an. »Was denn?«, fragte Will verdutzt. »Wir haben nichts mehr zu essen!« »Das gibt uns nicht das Recht, sie zu töten!« »Also willst du uns lieber verhungern lassen?«, antwortete Will hitzig. Sie zögerte nur eine Sekunde, bevor sie antwortete. »Ich könnte es einfach nicht ertragen, ein anderes Geschöpf zu töten. Roher Fisch ist sowieso nicht gut für meinen Teint.« Will verkniff sich gerade noch im letzten Moment eine spöttische Bemerkung über ihren ‘Teint’( Sie waren Schiffbrüchige, um Himmels Willen!). »Du kannst ihn ja essen, wenn du unbedingt willst. Ich rühr ihn jedenfalls nicht an!« Dann wandte sie sich um und würdigte ihn keines Blickes mehr. Will seufzte nur. Er wusste, dass es lediglich eine Frage der Zeit war, bis Kara ihre Tierliebe vergessen würde; doch bis dahin nichts zu essen, konnte gefährlich für sie werden. Den Rest des Tages sprachen die beiden nicht mehr miteinander, und auch die Nacht über versuchten sie - trotz der Kälte - so weit wie möglich voneinander entfernt zu liegen. Am siebenten Tag krochen sie auf dem Zahnfleisch. Beide stöhnten vor Magenkrämpfen. Will hatte bisher - aus Rücksicht auf ihre Freundschaft - darauf verzichtet, einen der Fische ohne Karas Erlaubnis zu fangen; aber nun war ihm eins klar geworden: Sollten sie jetzt nichts essen, würden sie zweifellos sterben. Also machte er sich am Rand ihres kleinen Floßes bereit und wartete - er wurde nicht enttäuscht. Schon sprang ein kleiner Fisch fröhlich aus dem Wasser, nur um aus heiterem Himmel von Wills Magie angezogen und mit dessen Flöte erschlagen zu werden. Diesen Vorgang wiederholte Will einige Male, bis er einen ansehnlichen Haufen zusammen hatte. Aus Mangel an Feuer (und Ekel, eine Woche ohne Essen) machte er sich sofort daran, einen rohen Fisch nach dem anderen zu verspeisen. Kara hatte ihm noch immer den Rücken zugewandt, doch ab und an glaubte er, einen verstohlenen Blick von ihr zu bemerken. Schließlich legte er ein paar Gräten weg und sagte: »Jetzt hab dich nicht so, Kara. Du musst etwas essen.« Das Mädchen sah erst ihn, dann den noch immer recht stattlichen Haufen unsicher an. In ihrem Inneren schien sie mit ihrem Gewissen zu ringen, doch schließlich gewann der Überlebenstrieb die Oberhand und sie griff wortlos nach einem der farbenfrohen Meeresbewohner. Dann nach dem nächsten. Und noch einem. Will beobachtete, wie sie ungeniert ihre Zähne in dem Fleisch versenkte, große Stücke abriss und Sehnen und Muskeln freilegte; das Blut floss aus ihren Mundwinkeln. Und doch konnte er einen Moment lang nicht anders, als sie unbeschreiblich hübsch zu finden. Nachdem sie den größten Hunger gestillt hatte, sah sie ihm direkt in die Augen. »Bitte entschuldige mein Benehmen… Aber weißt du, ich bin in einem Schloss aufgewachsen, in dem ich nur rufen musste, und schon brachte man mir alles, was ich verlangte. Ich bin nicht an den Gedanken gewöhnt, dass andere Lebewesen dafür sterben müssen. Aber ich schätze, so ist das Leben nun mal, oder?« »Ja«, nickte Will. »So ist das Leben nun mal…« In den folgenden Tagen geschah nichts Außergewöhnliches. Sie überlebten, indem sie weiterhin Fische fingen und vertrieben sich die Zeit mit Spielchen und Schätzungen, wie lange sie wohl noch so würden ausharren müssen, und ob die anderen wohl noch am Leben waren. Falls nicht, so dachte Will, würde er sich niemals verzeihen können. Eines nachts - sie waren schon seit beinahe zwei Wochen unterwegs - konnten beide nicht schlafen, und so bewunderten sie die Sterne, die ihnen vom Firmament aus zuleuchteten. »Wunderschön…«, flüsterte Kara. »Wie gerne würde ich sie berühren… Wie gerne würde ich dich berühren…!« Das Letzte hatte nur gemurmelt. »Wie bitte?«, fragte Will. »Ach nichts…« Will lächlte sie an. »Wenn ich könnte, würde ich dir einen schenken.« In diesem Moment zog Kara ernsthaft in Betracht, ob man die im Laufe des Tages gefangenen Fische nicht vielleicht auf ihrem Gesicht braten könnte. Sie seufzte glücklich und deutete auf einen bestimmten Stern. »Siehst du diesen roten Stern dort, im Sternbild des Cygnus?«, fragte sie. »Ja… Unglaublich, er sieht aus als stünde er in Flammen.« In seiner Ehrfurcht vor der Schönheit über (und neben) ihm war er sich kaum bewusst, dass er einen Arm um sie legte - ganz im Gegensatz zu Kara, deren Gesicht nun - falls überhaupt möglich - ein noch tieferes Rot annahm. »Weißt du, wie wir diesen Abend unvergesslich machen könnten?«, fragte sie scheu. Mir würde schon etwas einfallen, dachte Will. »Lass uns beide einen Wunsch aussprechen. Der Stern wird ihn uns erfüllen.« Will willigte sanft lächelnd ein und schloss die Augen. Und während er in Gedanken seinen Wunsch äußerte, fühlte er, wie Kara ein wenig näher rückte… Als sich ihre dritte Woche auf hoher See ihrem Ende zuneigte, musste Will sich eingestehen, dass er Kara immer besser leiden konnte. Ihre anfängliche Arroganz war - dank ihrer gemeinsam Erfahrung - vollständig gewichen. Sie hatte sich definitiv verändert, war viel natürlicher und freundlicher geworden. Bei dem Gedanken an sie musste er feststellen, wie sehr sie sein Blut in Wallung brachte… Sie saßen Seite an Seite, starrten aufs Meer hinaus und genossen die Gegenwart des anderen, planschten mit den Füßen im Wasser herum. Die untergehende Sonne tauchte die Szene in einen rot-goldenen Glanz. Einzig und allein das flaue Übelkeitsgefühl, das sich den ganzen Tag über schon langsam in Wills Magen ausgebreitet hatte, vermochte die Perfektion ein wenig zu trüben. »Früher liebte ich es, die Sonne untergehen zu sehen«, sagte Kara, den Kopf an Wills Schulter gelehnt. »Es war so schön, wie sie das Schloss anstrahlte. - Heute hasse ich diese Momente! Wenn die Sonne verschwindet, kommt die Dunkelheit… Jedes Mal fürchte ich, die Sonne nie wieder zu sehen.« Sie hob den Blick, um seinen zu treffen. »Aber seit du an meiner Seite bist, sehe ich sie jeden Morgen wieder. Du machst selbst Situationen wie diese erträglich…« Will lauschte schweigend ihren Worten und lächelte in sich hinein. Er empfand das gleiche, war allerdings noch nie sonderlich gut mit Worten gewesen. Wenn ihm nur nicht so schlecht wäre… »Weißt du, Will«, fuhr sie fort, die Stimme zu einem kaum hörbaren Flüstern gesenkt, »als ich damals in euer Haus geflüchtet bin und ich dich zum ersten Mal sah, da wusste ich sofort - das war Schicksal.« Sie richtete sich langsam auf und ihr Gesicht näherte sich seinem. Wills Herz begann, schmerzhaft zu pochen. Würde er wissen, was zu tun war? Würde es ihr gefallen? Würde sie ihn womöglich auslachen? Und wieso zum Teufel musste ihm ausgerechnet jetzt so schlecht werden? Als die Welt sich verdunkelte, dachte er zunächst, er würde die Augen schließen; doch dann wurde ihm klar, dass die Übelkeit aus seinem Magen geschwappt war und seinen ganzen Körper überflutet hatte. Sie drohte ihn zu überwältigen. Nein, nicht jetzt!, dachte er verzweifelt. Ihre Lippen waren nur noch Zentimeter voneinander entfernt, als sein Körper nachgab. Das Letzte, was er wahrnahm, war, wie Kara erschrocken seinen Namen und etwas wie »Lass mich nicht allein!« rief - und dann nichts mehr. ---------------------------------------------------------- Die nächsten Kapitel folgen erst, wenn ich ein paar nette Kommentare bekommen hab... hehe ;-) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)